Die geheimnisvolle Stadt der Inka
C.H.Beck
Die Inka-Stadt Machu Picchu gab Wissenschaftlern seit ihrer Entdeckung durch den Amerikaner Hiram Bingham 1911 Rätsel auf: War sie Zufluchtsstätte der vor den Spaniern flüchtenden letzten Inka und der «Sonnenjungfrauen»? Diente sie als Bollwerk gegen feindliche Tieflandindianer? Wie haben die Menschen dieser frühen Hochkultur gelebt? Kenntnisreich rekonstruiert Berthold Riese die Lebensweise der Bewohner Machu Picchus, erzählt die Geschichte seiner Entdeckung und bietet einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung dieser Stadt eines untergegangenen Volkes.
Berthold Riese war Professor für Ethnologie und Altamerikanistik an der Universität Bonn und ist derzeit Honorarprofessor an der Sun Yatsen-Universität in Kanton (China). Bei C.H.Beck erschienen von ihm Die Maya (7. Aufl. 2011) und Das Reich der Azteken. Geschichte und Kultur (2011).
Einleitung
I. Die Wiederentdeckung Machu Picchus
1. Hiram Binghams Expedition von 1911
2. Die Expedition von 1912
3. Die Expedition von 1915
4. Der Entdecker kostet seinen Ruhm aus
5. Neid und Nationalismus
6. Aussöhnung
II. Die Inka
1. Ihr mythischer Ursprung
2. Pacha Kutiq Inka Yupanki gründet das Reich
3. Spanier erobern das Inka-Reich
4. Rückzug des Inka nach Anti Suyu
5. Das Ende des letzten Inka
III. Die Stadt Machu Picchu
1. Stadtmauer und Stadttor (Inti Punku)
2. Die zentrale Gruppe (Yachay Wasi)
3. Das Haus des Inka (Inka Wasi)
4. Der Heilige Platz (Inti Kancha)
5. Die Sonnenwarte (Inti Watana)
6. Der Große Platz (Inti Pampa) und die Zweiteilung der Stadt
7. Die Unterstadt (Hurin Machu Picchu)
8. Die Wasserversorgung
9. Terrassen und Feldscheunen
10. Die Gipfel Wayna und Machu
11. Heilige Felsen, Berge und Höhlen
12. Das Wegenetz
13. Die Gesamtanlage
IV. Wem und wozu diente Machu Picchu?
1. Machu Picchu als Ursprungsort der Inka
2. Grenzfeste gegen das Tiefland
3. Landsitz Pacha Kutiqs
4. Regierungssitz der Inka-Herrscher in der frühen Kolonialzeit
5. Zufluchtsstätte der Sonnenjungfrauen
V. Machu Picchu in Gegenwart und Zukunft
1. Die Erschließung
2. Das Weltkulturerbe
3. Welche Gefahren drohen Machu Picchu in der Zukunft?
VI. Das politische Symbol
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Register
«Von den anerkannten Weltwundern wurden die hängenden Gärten in Babylon, der Artemis-Tempel zu Ephesos, die Statue des olympischen Zeus, der Koloß zu Rhodos, das Mausoleum in Halikarnassos und der Leuchtturm von Alexandria durch die Zeiten zerstört. Allein die berühmte Cheops-Pyramide ist noch vorhanden! Auf gleicher Stufe mit ihr gebührt Machu Picchu der Rang eines achten Weltwunders.» Diese Worte eines peruanischen Generals zeigen, mit welchem Stolz Peru auf diese Inka-Stadt blickt. Wie kommt es, daß der kleine, verlassene Bergort Machu Picchu zu solchem Ruhm gelangte, nachdem er 500 Jahre lang unbeachtet auf einem Felsgrat im unzugänglichen Hinterland Perus geschlummert hatte? Was war und ist er diesseits von schwärmerischem Lobgesang und touristischer Vermarktung wirklich?
Unser wissenschaftliches Bild von der vorspanischen Stadt Machu Picchu beruht auf der historischen Forschung: den Bodenfunden, die in Machu Picchu in Form von Gräbern und steinernen Bauwerken vorliegen, sowie der schriftlichen Überlieferung. Bei letzterer steht nur das zur Verfügung, was nach der spanischen Eroberung niedergeschrieben wurde, also zu einer Zeit, als die Stadt bereits verlassen war. Die Inka selbst kannten nämlich keine Schrift und haben ihre Geschichte daher nur mündlich überliefert, unterstützt von den Khipu genannten Knotenschnüren. Schließlich versucht der gewissenhafte Archäologe und Historiker auch immer, örtliche Traditionen in sein Bild von der Vergangenheit einzubeziehen. Hier kommt zum Tragen, daß in Peru insgesamt und besonders in entlegenen Bergtälern, wie dem des Uru Pampa-Flusses, über dem sich Machu Picchu erhebt, die altindianische Sprache, das Runa Simi oder Quechua, wie sie auch genannt wird, noch lebendig ist. Das meiste von dem, was ich über die Menschen, die früher in der Stadt lebten, und über die Funktion von Gebäuden und der Gesamtanlage erschließen kann, basiert aber letztlich nicht auf örtlichen Legenden der Indianer, sondern auf den reichhaltigen kolonialzeitlichen Schriftquellen und auf wissenschaftlichen Studien, vor allem aus der Archäologie. Sie sind wie auch die anderen von mir benutzten Quellen im Literaturverzeichnis nachgewiesen, wobei ich, wenn möglich, deutsche Ausgaben anführe.
Ein besonders interessanter Aspekt Machu Picchus ist die Vereinnahmung der Inka-Stadt durch Politik und Kultur des modernen Peru und durch den globalen Tourismus; neuerdings auch durch esoterische Indigenisten, also Menschen, die glauben, daß Altindianisches nur von Abkömmlingen der ehemaligen Erbauer und Bewohner verstanden und verbreitet werden kann. Auch das wird Thema meines Buches sein, allerdings nur in einem abschließenden Ausblick und selbstverständlich aus der Distanz des europäischen Forschers und Nicht-Indianers. Wesentlichstes Anliegen meines Buches ist es aber, einen wissenschaftlich begründeten und daher von populären Klischees sehr oft abweichenden Einblick in die Stadt Machu Picchu selbst zu geben.
Lesern, die andere Bücher über altperuanische Kulturen kennen, wird die schwankende Schreibung von Wörtern der Quechua-Sprache und ihre Verballhornung im Spanischen ein steter Verdruß sein. Um das zu vermeiden und einigermaßen konsequent und klar zu sein, nehme ich den Standpunkt eines Einheimischen aus der Zeit der Inka ein und rekonstruiere indianische Namen in eine möglichst korrekte Form des Runa Simi, wie es in Qusqu, dem heutigen Cusco, im 16. Jahrhundert gesprochen wurde. Um den Bezug zu anderen Veröffentlichungen und zur modernen Geographie herzustellen, ist der ersten Erwähnung die heute übliche oder offizielle Schreibung in Klammern beigefügt. Aus diesem Grund habe ich im Titel und im Text des Buches Machu Picchu und andere Namen, die den Bestandteil picchu enthalten, in der üblichen, wenn auch nicht korrekten Schreibung picchu belassen, anstatt pikchu zu schreiben.
Es ist mir ein Anliegen, denen herzlich zu danken, die mich bei bibliographischen Recherchen, in sprachlichen Fragen, beim Beschaffen von Abbildungen und Entwerfen der Karten sowie beim Korrekturlesen unterstützt haben. Mein Dank gilt Baldur Köster, Sabine Dedenbach Salazar-Sáenz, Katja Hannß, Albert Meyers, Christian Prager, Frauke Sachse, Malte Schnitger und Josef Szykulski, Harald Grauer und Amrai Coen. Auch den Urhebern und Verlagen, die mir erlaubten, aus ihren Werken zu zitieren und Illustrationen zu übernehmen, danke ich.
Germering, im Sommer 2012 |
Berthold Riese |
Abb. 1: Das Inka-Reich
Hiram Bingham (Abb. 3), protestantischer Theologe und Historiker, hatte schon 1907 und 1909 in zwei Abenteuerreisen Südamerika durchquert und war daher mit den dortigen Lebensumständen und Problemen vertraut, als er eine weitere Reise plante. Hauptmotive dafür waren die Lust auf Abenteuer und Freude an der Selbstdarstellung. Den Drang nach Abenteuern verband er mit dem soliden Wissen des Historikers, indem er seine Kenntnisse der lateinamerikanischen Geschichte nutzte, um sich lohnende Ziele für Entdeckungen zu suchen. So wollte er berühmt werden. Er schmiedete also schon 1910 erneut Pläne für eine dritte Südamerika-Expedition. Sie waren anfangs allerdings noch sehr unklar und konkretisierten sich erst, als der Erdöl-Millionär Edward S. Harkness (1874–1940) als Geldgeber einsprang und ihm gleichzeitig die Wahl der Expeditionsziele weitgehend abnahm. Seinem Förderer zuliebe konzentrierte Bingham sich auf die geologische und topographische Erkundung Perus. Eine Gruppe von sieben Männern war bald zusammengestellt. Die eine Hälfte reiste im Mai, die andere im Juni 1911 mit dem Dampfschiff von New York aus ab.
In Peru angekommen, holte Bingham die Zustimmung des Staatspräsidenten Augusto Leguia zu den Expeditionszielen und geplanten Arbeiten ein und kontaktierte örtliche Wissenschaftler, von deren Erfahrung und Informationen er sich einiges versprach. Unter ihnen war auch Max Uhle (1856–1944), den die amerikanische Archäologie heute als herausragende Forscherpersönlichkeit würdigt. Bingham aber scheint von dem Deutschen wenig beeindruckt gewesen zu sein, wohl vor allem, weil er die Archäologie noch kaum ins Visier seiner eigenen Arbeiten genommen hatte, sondern vor allem geologisch und geographisch zu forschen beabsichtigte.
Zunächst glaubte Bingham, durch alte, bei Cusco ausgegrabene Menschen- und Tierknochen, die er unter vermeintlich mächtigen späteren Ablagerungen entdeckt hatte, einem eiszeitlichen «Homo Americanus» auf die Spur gekommen zu sein. Das wäre eine wissenschaftliche Sensation geworden, denn bis dahin galt die Anwesenheit von Menschen auf dem amerikanischen Kontinent als relativ jung. Daher billigte man den amerikanischen Ureinwohnern auch nicht den Status einer eigenen Großrasse zu, sondern klassifizierte sie als mongolische Rasse. In der vorschnellen und peinlich falschen Annahme des hohen Alters dieser Funde bestärkte ihn der physische Anthropologe George F. Eaton, der die nach Nordamerika gesandten Knochen im Labor der Yale University untersuchte und als Ergebnis behauptete, eine bisher unbekannte Bisonart in ihnen entdeckt zu haben. Da diese Bisonart längst ausgestorben sei, müßten die Knochenfunde sehr alt sein! Man verfügte damals noch nicht über naturwissenschaftliche Verfahren, um das Alter von Knochen direkt zu bestimmen, sondern war auf Indizien angewiesen. Diese bestanden im wesentlichen in geologisch-archäologischer Stratigraphie und konnten nur im Feld angemessen entwickelt und beurteilt werden, nicht jedoch im Labor, wie Eaton es versuchte. Vom vermeintlichen Alter der Bisonknochen schloß man dann darauf, daß die sie begleitenden Menschenknochen ebenso alt seien. Die Fundstelle entpuppte sich, unter anderem wegen der wissenschaftlichen Aufrichtigkeit Eatons, nach einer späteren Untersuchung einfach als Abfallgrube von Rinderschlachtungen; und alle dort gefundenen Knochen wurden als dem erst von spanischen Siedlern eingeführten Hausrind oder dem modernen Menschen zugehörig bestimmt.
Als nächstes ging die Expedition auf die Suche nach bisher unbekannten Inka-Ruinen. Bingham wählte das Uru Pampa-Tal (heute: Urubamba), das in seinem Oberlauf Willka Nuta (heute: Vilcanota) genannt wird, und sammelte in der Provinzhauptstadt Cusco Hinweise auf möglicherweise interessante Ruinenstätten. Auch hatte er sich als Historiker zur Vorbereitung seiner Expedition mit den Schriften spanischer Chronisten aus der Kolonialzeit vertraut gemacht, die gelegentlich über diese Gegend berichtet haben. In Cusco wurde ihm eine Ruine namens Machu Picchu als mögliches Ziel genannt. Zwar hatte schon 40 Jahre vor ihm der französische Forscher Charles Wiener denselben Hinweis erhalten, doch hatte Wiener sich in der Lokalisierung des Ortes verschätzt und war auf seiner Reise daher, ohne es zu merken, unterhalb der Ruine vorbeigezogen. Etwa um die gleiche Zeit hat August Bens, der im Uru Pampa-Tal eine Sägerei betrieb, Machu Picchu vermutlich schon besucht und vielleicht sogar Begräbnishöhlen ausgenommen. Bingham maß der ihm genannten Ruinenstätte Machu Picchu damals keinerlei besondere Bedeutung zu. Er erreichte auf seiner Erkundung über das Provinzstädtchen Ollantay Tampu (heute: Ollantaytambo) am 23. Juli 1911 Torontoy. Von diesem Dorf aus führte ihn der ansässige Indianer Melchor Arteaga am folgenden Tag auf einem alten Inka-Pfad den steilen Hang hinauf zu den Machu Picchu genannten Ruinen, vorbei an einem alten Inka-Haus, in dem sich ein Bauer eingerichtet hatte und wo man auf dem mühsamen Anstieg eine willkommene Rast einlegte.
Abb. 2: Blick über die Stadt auf den Wayna Picchu
Machu Picchu war nur einer von vielen Ruinenorten, die Bingham auf dieser Explorationsreise besichtigen wollte, und so hielt er sich dort nicht lange auf, sondern setzte seinen Weg Uru Pampa-abwärts schon am folgenden Tag fort. An der Brücke von Chuqi Chaka, etwa 20 Kilometer flußabwärts von Machu Picchu, entschloß sich Bingham, das hier einmündende steile Tal des Willka Pampa-Flusses (heute: Vilcabamba) hinaufzusteigen, um nach den dort vermuteten Ruinen der letzten Inka-Festungen aus der Zeit der spanischen Eroberung zu suchen. Er wußte aus seiner Lektüre kolonialzeitlicher Chronisten, daß die Inka den Spaniern dort nach 1532 noch einige Jahrzehnte getrotzt hatten, und er war begierig, ihre Zufluchtsorte und Burgen zu entdecken. Die Brücke von Chuqi Chaka trug immer noch den Namen, mit dem auch alte kolonialzeitliche Chroniken die Eingangspforte zum Inka-Reich von Willka Pampa bezeichnen. So konnte Bingham sich mit Recht einiges von der Erforschung dieses Seitentales erhoffen.
In Rosas Pata und in Espiritu Pampa fand er tatsächlich bedeutende Ruinen aus der Inka-Zeit, die er mit den Städten Witkos bzw. Willka Pampa, also den letzten Residenzen der Inka-Herrscher, gleichsetzte. Die Unterschiede der ursprünglichen und heutigen Namen erscheinen zunächst verwirrend. Doch wenn man bedenkt, daß Ortsnamen gegenwärtig oft neu erfunden werden, weil das Gebiet zeitweilig unbesiedelt war, und wenn man außerdem berücksichtigt, daß sich die Bezeichnung in den spanischen Quellen oft nur auf die Gegend, also den Flußlauf, beziehen, aber nicht auf bestimmte an ihm gelegene Orte, wird man sich von historisch wenig aufschlußreichen modernen Namen wie «Geisterebene» (Espiritu Pampa) in der Suche nicht entmutigen lassen. Die Identifizierung dieser Ruinen mit Orten der letzten Inka-Zuflucht gelang Bingham aufgrund seines Wissens um diese Probleme und dank seines intensiven Quellenstudiums. Ein Ansatzpunkt für die Identifizierung war, daß einige wenige Namen die Veränderungen überdauert hatten, wie zum Beispiel die genannte Brücke von Chuqi Chaka und das Flußtal Willka Pampa. Das alles kombinierte Bingham und kam zu durchaus fundierten Rekonstruktionen. Aufgrund ihrer historischen Bedeutung hielt er diese Entdeckungen damals auch für viel wichtiger als die von Machu Picchu. Erst sehr viel später nahm er eine Umdeutung vor, die ihn von der gut begründeten und auch heute noch akzeptierten Identifizierung der letzten Inka-Zufluchtsorte mit Witkos/Willka Pampa wegführte zur schlecht begründeten Zuweisung dieser Rolle an Machu Picchu und damit verbunden zu weiteren phantastischen Spekulationen über das Alter und die Geschichte Machu Picchus. Dabei nahm er nicht einmal die ihm vermutlich bekannten Erwähnungen Machu Picchus in den kolonialzeitlichen Quellen zur Kenntnis, die ihn von seinen irregeleiteten Spekulationen hätten abbringen und zu substantielleren, wenn auch weniger spektakulären Deutungen Machu Picchus hätten führen können. Dieser Schritt wurde erst 50 Jahre später von dem nordamerikanischen Historiker John Howland Rowe getan.
Nun waren aus damaliger Sicht zwei der vier Expeditionsziele erreicht. Es blieb noch Binghams Hauptziel, die Besteigung des, wie damals vermutet wurde, höchsten Bergmassivs der peruanischen Anden, des Qoro Puna (heute: Nevado de Coropuna). Mit zwei einheimischen Begleitern gelang ihm auch dieses anstrengende alpinistische Unternehmen. Er bezwang immerhin einen über 6000 Meter hohen eisgepanzerten Gipfel des Massivs. Doch die eigentliche Motivation, als Erstbesteiger des höchsten Berges von ganz Peru oder wenigstens von dieser Gegend in die alpinistischen Annalen einzugehen, mißlang. Schon bei seiner Vorbereitung wußte er, daß die Alpinistin Annie S. Peck das gleiche Ziel verfolgte, denn sie hatte ihn freundlich eingeladen, gemeinsame Sache bei der Besteigung des Qoro Puna zu machen. Anstatt ihr großherziges Angebot anzunehmen, bat Bingham sie mit männlicher Arroganz, doch zu seinen Gunsten auf ihre eigene Besteigung zu verzichten. Annie Peck, eine gestandene Frauenrechtlerin, ließ sich aber nicht einschüchtern. Und in der Tat stand sie einige Wochen vor Bingham auf einem Gipfel des Qoro Puna-Bergmassivs. Bingham konnte sich nach seiner eigenen Besteigung am 15. Oktober zwar rühmen, einen um wenige hundert Meter höheren Gipfel erreicht zu haben als seine Konkurrentin; und damit hatte er den Vorrang des Mannes gegenüber der Frau wiederhergestellt. Aber so ganz vermochte er seinen übermäßigen Geltungsdrang nicht zu befriedigen, denn es muß ihm klar gewesen sein, daß der Qoro Puna nicht die Höhe des etwas weiter nördlich gelegenen Berges Waskaran (heute: Huascarán, 6770 Meter) oder des in den Südanden Argentiniens aufragenden Aconcagua (6860 Meter) erreicht. Die größte Enttäuschung erlebte er aber, als er, erschöpft oben angekommen, feststellte, daß der benachbarte Gipfel noch höher war, ihm aber Zeit und Kraft fehlten, ihn ebenfalls zu besteigen.
Abb. 3: Hiram Bingham zur Zeit seiner Entdeckung Machu Picchus
Die letzte Komponente der Expedition überließ Bingham weitgehend seinen Mitarbeitern. Es war die topographische Aufnahme eines Querschnittes durch die Anden entlang dem 73. Längengrad. Auch das gelang zufriedenstellend, allerdings, wie gesagt, vornehmlich durch Binghams Mitarbeiter, die diesen Teil der Expeditionsergebnisse später wissenschaftlich vorbildlich veröffentlicht haben.
Während dieser Unternehmungen der anderen Expeditionsteilnehmer begab sich Binghams Assistent Paul Baxter Lanius für knapp drei Wochen nach Machu Picchu, um die Baureste aufzunehmen. Es ist seine Arbeit und die seiner sechs Begleiter, die noch heute Grundlage aller kartographischen und baukundlichen Darstellungen Machu Picchus bilden. Daß der Expeditionsleiter Bingham diese wichtige Arbeit nicht selbst durchführte, sondern sie seinem jungen und unerfahrenen Assistenten überließ, wird vor dem Hintergrund verständlich, daß Machu Picchu damals eben noch keine hervorragende Stellung im Rahmen der Expeditionsziele einnahm.
Am 12. Dezember 1911 traf Bingham auf der Rückreise von seiner ergebnisreichen Expedition in Panama ein, wo er sich mit seiner Frau traf, die von ihrem Sommerwohnsitz in Jamaika angereist war. Die Expedition nach Peru hatte damit, nach gut einem halben Jahr Feldarbeit, einen erfolgreichen Abschluß gefunden, und Bingham konnte die wohlverdiente Ruhe im Kreise seiner Familie genießen.
Der Erfolg der Expedition von 1911 mit ihren vielen Entdeckungen von Inka-Ruinen in den entlegenen Bergen der Uru Pampa- und Willka Pampa-Täler, den geographischen Vermessungen entlang des 73. Meridians und der Erstbesteigung eines der Gipfel des Qoro Puna-Bergmassivs ließen Bingham eine Fortsetzung seiner Karriere als Geograph und nun auch als Archäologe planen. Er war in den besten Jahren für solche Unternehmungen, knapp über 30, durchtrainiert und voller Tatendrang.
Im Juli und August des Jahres 1912 reiste er, vor allem zur Vervollständigung seiner photographischen Dokumentation, für knapp zwei Wochen nach Machu Picchu.Machu Picchu,