Martina Hartmann ist Stellvertreterin der Präsidentin der Monumenta Germaniae Historica und lehrt als außerplanmäßige Professorin für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Verlag C.H.Beck liegt von derselben Autorin vor: Die Merowinger (2012).
Wilfried Hartmann war bis zu seiner Pensionierung ordentlicher Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Die Geschichte der Karolingerzeit bildet einen seiner Forschungsschwerpunkte; 2010 publizierte er eine Biographie Karls des Großen.
Wie groß war das Frankenreich, und wie viele Menschen lebten darin? Sprachen die Franken französisch? Wer aß was zur Zeit Karls des Großen? Woher stammten die Karolinger, und warum heißen sie so? Wie wurde der erste Karolinger König? Wie sah Karls Tagesablauf aus? Wie viele Freundinnen hatte Karl der Große? Wo und wie wurde Kaiser Karl bestattet? Was war eine Königspfalz? Welche Musik spielte die Hofkapelle? Wozu brauchte man im Jahr 800 einen Kaiser? Wie viele Klöster hat Karl gegründet? Wie viele Fremdsprachen sprach der Kaiser? Wie viele christliche Königreiche gab es zur Zeit Karls des Großen? Wie kam man auf die Idee, einen gewalttätigen Krieger heiligzusprechen? Welche Kunstwerke aus der Zeit Karls besitzen wir noch? Hat Karl überhaupt gelebt?
Obwohl alle, die dieses Buch zur Hand nehmen, den Namen Karls des Großen kennen und auch ungefähre Vorstellungen mit diesem bedeutenden Frankenherrscher verbinden, stellen sich doch viele Fragen über dessen Leben und die gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen und religiösen Verhältnisse seiner Zeit, auf die man keine oder zumindest keine fundierte Antwort zu geben wüsste. Deshalb haben sich 1200 Jahre nach dem Tod Kaiser Karls des Großen zwei Spezialisten für die Erforschung des Frühmittelalters daran gemacht, schon einmal die 101 wichtigsten dieser Fragen zu beantworten.
Martina Hartmann/Wilfried Hartmann
Die 101 wichtigsten Fragen
Verlag C.H.Beck
Mit 20 Abbildungen, 3 Karten und 2 Stammtafeln
Originalausgabe
1. Auflage. 2014
© Verlag C.H.Beck oHG, München 2014
Umschlaggestaltung: malsyteufel, willich
Umschlagabbildung: Karl der Große, Reiterstandbild, Musée du Louvre, Paris.
© akg-images/Erich Lessing
ISBN 978 3 406 65893 8
ISBN eBook 978 3 406 65894 5
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I. Die Gesellschaft zur Zeit Karls des Großen
1. Wie groß war das Frankenreich Karls, und wie viele Menschen lebten darin?
2. Sprachen die Franken französisch?
3. Wie war die fränkische Gesellschaft zur Zeit Karls aufgebaut?
4. Welche Stellung hatten die Frauen in der fränkischen Gesellschaft?
5. Wie sahen die Siedlungen der Franken aus?
6. Wie waren die Verkehrsverhältnisse im Frankenreich?
7. Wie viele Rheinbrücken gab es zur Zeit Karls?
8. Wie kleidete man sich zur Zeit Karls des Großen?
9. Wer aß was zur Zeit Karls des Großen?
10. Wie verbreitet war der christliche Glaube im Frankenreich?
11. Wie funktionierte die Rechtsprechung im Reich Karls des Großen?
II. Herkunft und Ansehen der Karolinger
12. Woher stammten die Karolinger, und warum heißen sie so?
13. Was ist ein Hausmeier?
14. Hat Karl Martell Europa vor den Muslimen gerettet?
15. Wie wurde der erste Karolinger König?
16. Was geschah mit dem letzten Merowingerkönig?
17. In welchem Zustand befand sich das Frankenreich in der Mitte des 8. Jahrhunderts?
III. Karl und seine Familie
18. Wann und wo wurde Karl geboren?
19. Wie «groß» war Karl der Große, und wie sah er aus?
20. Wie sah Karls Tagesablauf aus?
21. War Karl ein Brudermörder?
22. Was spricht dafür, dass Karl ein Muttersöhnchen war?
23. Welche Rolle spielte die Liebe bei Karls Ehebündnissen?
24. Wie viele Freundinnen hatte Karl?
25. Welchen politischen Einfluss hatten Karls Ehefrauen?
26. Wie war das Verhältnis Karls zu seinen Kindern, und wann wurde er zum letzten Mal Vater?
27. Wer war Karls Lieblingssohn?
28. Warum haben Karls Töchter nie geheiratet?
29. War Pippin der Bucklige wirklich bucklig und Ludwig der Fromme wirklich fromm?
30. Hat Karl ein Testament gemacht?
31. Wo und wie wurde Kaiser Karl bestattet?
IV. Der Frankenkönig
32. Was war eine Königspfalz?
33. Was war das Königsgut, und wie wurde es verwaltet?
34. Hatte Karl eine Lieblingsresidenz?
35. Was heißt «regieren» in der Zeit Karls des Großen?
36. Wer half Karl beim Regieren?
37. Was waren die Kapitularien?
38. Gab es in Karls Reich ein einheitliches Währungssystem?
39. Welche Musik spielte die Hofkapelle?
40. Wie viele echte und wie viele gefälschte Urkunden Karls haben sich erhalten?
41. Wie reagierte Karl auf Verschwörungen?
42. Welche Regelung traf Karl für seine Nachfolge?
V. Karl als Eroberer
43. Welches Reich hat Karl zuerst erobert?
44. War Herzog Tassilo von Baiern ein Hochverräter?
45. Besaß Baiern eine Sonderstellung im Frankenreich?
46. Warum dauerte der Krieg gegen die Sachsen über 30 Jahre?
47. Wie kann man Karls besondere Grausamkeit gegen die Sachsen erklären?
48. Wie wurden die Awaren besiegt?
49. Welche Schwierigkeiten hatte Karl bei seiner Expansion nach Spanien?
VI. Karl der Kaiser
50. Was ist überhaupt ein Kaiser, und welche Aufgaben hatte er?
51. Seit wann gab es im Westen des römischen Reiches keinen Kaiser mehr?
52. Wozu brauchte man im Jahr 800 einen Kaiser?
53. Wurde Karl durch die Kaiserkrönung überrascht, und was störte ihn daran?
54. Welchen Titel benutzte Karl als Kaiser, und wie sah er als Kaiser aus?
55. Wie dachte man in Byzanz über Karls Kaiserkrönung?
VII. Karl und die Kirche
56. Wie wurde man Bischof in Karls Reich?
57. Wie viele Klöster hat Karl gegründet?
58. Was wissen wir über Karls Beziehungen zu den Päpsten?
59. Wie hielt es Karl mit dem rechten Glauben?
60. Weshalb waren Kirchenversammlungen für Karl wichtig?
61. War Karl fromm?
62. Hat Karl einem Bischof eine balsamierte Hausmaus verkaufen lassen?
VIII. Bildung und Wissenschaft
63. Konnte Karl lesen und schreiben?
64. Wie wurde ein künftiger Herrscher erzogen?
65. Wie viele Fremdsprachen sprach der Kaiser?
66. Hat Karl sich um die Schulen in seinem Reich gekümmert?
67. Wie multikulturell war Karls Hof, und wer waren die wichtigsten Ratgeber?
68. Welche Spitznamen hatten Karls gelehrte Freunde?
69. Kannten die Karolinger keine Großbuchstaben, oder warum erfanden sie die karolingische Minuskel?
70. Warum ließ der christliche Kaiser Karl Werke heidnischer Autoren der Antike abschreiben?
71. Was versteht man unter karolingischer Renaissance?
72. Was geschah mit Karls Hofbibliothek?
IX. Das Frankenreich und seine Nachbarn
73. Wie viele christliche Königreiche gab es in Europa zur Zeit Karls?
74. Wie sahen die Beziehungen des Frankenreichs zu seinen Nachbarn aus?
75. Wie funktionierte Karls Ostpolitik?
76. Wollte Karl die byzantinische Kaiserin Irene heiraten?
77. Wie kommt ein Elefant an den Hof Karls des Großen?
78. Welche Feinde hatte das Frankenreich beim Tod Karls des Großen?
X. Das Nachleben Karls des Großen
79. Wie viele Adelsfamilien berufen sich auf Karl den Großen als Vorfahr?
80. War Karl der erste Kreuzfahrer?
81. Wie kam man auf die Idee, einen gewalttätigen Krieger heiligzusprechen?
82. Wo wird der heilige Karl bis heute besonders verehrt?
83.Welche Städte berufen sich auf Karl als ihren Gründer?
84. Hat Karl die Universität Paris gegründet?
85. Geht das Kurfürstenkolleg auf Karl den Großen zurück?
86. Inwiefern war Karl eine Quelle des Rechts?
87. Was haben die Rolandsäulen mit Karl dem Großen zu tun?
88. Wieso hat man Karl vorgeworfen, Inzest mit seiner Tochter getrieben zu haben?
89. War Karl der Große nekrophil?
90. Wie kommt Karl der Große in die Bildergeschichten von Wilhelm Busch?
XI. Quellen und Denkmäler aus Karls Zeit
91. Welche Bauwerke aus Karls Zeit können heute noch bewundert werden?
92. An welcher Großbaustelle ist Karl gescheitert?
93. Welche Kunstwerke aus Karls Zeit besitzen wir noch?
94. Stellt die Reiterstatuette aus Metz Karl den Großen dar?
95. Haben sich Reichsinsignien Karls erhalten?
96. War Karl ein Bücherfreund?
97. Hat Karl Briefe geschrieben?
98. Wer schrieb einen ‹Bestseller› über Karls Leben?
99. Wer schrieb ein Werk über Karls Taten, das erst mit Verspätung ein Erfolg wurde?
100. Gab es eine offiziöse Berichterstattung über die karolingische Familie und ihre Herrschaft?
101. Hat Karl überhaupt gelebt?
Anhang
Quellen mit deutscher Übersetzung
Literaturhinweise
Bild- und Kartennachweis
Zeittafel
Personenregister
Ortsregister
I. Die Gesellschaft zur Zeit Karls des Großen
1. Wie groß war das Frankenreich Karls, und wie viele Menschen lebten darin? Diese scheinbar einfache Frage ist nicht leicht zu beantworten. Zwar können wir sagen, dass die Fläche des Reiches ungefähr 1 Million qkm umfasste; dabei muss man aber bedenken, dass es neben den vollständig ins Reich integrierten Gebieten andere, meist sehr dünn besiedelte Landstriche gab, in denen die Franken nur eine Art Oberherrschaft ausübten. Festzuhalten ist, dass Karl die Ausdehnung des Frankenreichs ungefähr verdoppelt hat. Wenn man sich eine Vorstellung von den Entfernungen im Frankenreich machen möchte, so sollte man sich die Distanzen zwischen weit auseinanderliegenden Orten des Herrschaftsraums vergegenwärtigen: Die Strecke von Hamburg bis Rom misst ca. 1600 km, und ebenso weit ist es von Wien bis Barcelona. Dabei ist zu bedenken, dass ein Bote zu Fuß maximal 40 km und als Reiter mit einem guten Pferd kaum mehr als 60 km am Tag zurücklegen konnte.
Absolute Zahlenangaben zur Bevölkerung des gesamten Reiches zu machen, ist unmöglich. Nur für einige Bezirke sind Angaben über die Bevölkerungsdichte möglich, weil es aus dem Gebiet westlich des Rheins einige Güterverzeichnisse von Klöstern gibt, die auch darüber informieren, wie viele Männer, Frauen und Kinder auf dem Besitz dieser Abteien lebten. Auf dieser Grundlage ist errechnet worden, dass auf dem Besitz des Klosters Saint-Germain (heute in Paris) eine Bevölkerung von 34 bis 39 Einwohnern pro qkm gelebt hat (die entsprechende Zahl im heutigen Deutschland beträgt 225, die in Frankreich 97). Freilich darf man auf dieser für die damalige Zeit sicher sehr hohen Zahl keine Hochrechnung aufmachen, denn die Bevölkerungsdichte in der Île de France war zweifellos höher als in den meisten übrigen Regionen des Frankenreichs. Die Bevölkerung verteilte sich sehr unterschiedlich: neben einigen Regionen mit vielleicht ca. 30 Menschen pro qkm, gab es andere mit weniger als zwei Einwohnern. Das Gebiet östlich des Rheins war zum großen Teil sehr dünn besiedelt.
Auch absolute Angaben über die durchschnittliche Lebenserwartung eines Menschen aus der Zeit um 800 sind schwierig. Zweifellos war die Sterblichkeit bei Säuglingen und Kleinkindern äußerst hoch, und auch viele Mütter starben während oder bald nach einer Entbindung. Die Lebenszeit der Männer wurde infolge der zahlreichen Kriege und gewaltsamen Auseinandersetzungen verkürzt. Hinzu kamen Hungersnöte und Seuchen als demographisch wirksame Faktoren.
Man kann auch nicht generell sagen, dass Personen aus der Oberschicht größere Chancen auf ein langes Leben hatten als solche aus der Unterschicht. Bei einigen Angehörigen der karolingischen Familie können wir jedoch genaue Aussagen über ihr Lebensalter machen: Karl der Große starb wahrscheinlich in seinem 66. Lebensjahr; sein Sohn und Nachfolger Ludwig der Fromme wurde 62, aber dessen Brüder wurden nur 33 (Pippin) bzw. 39 (Karl der Jüngere); Pippin der Bucklige starb mit 41 Jahren. Von den Söhnen Ludwigs des Frommen erreichte Ludwig der Deutsche das höchste Alter, er wurde ca. 70, während Lothar I. mit 60 und Pippin mit ca. 40 Jahren verstarb; Karl der Kahle wurde 54 Jahre.
Keine der Karolingerinnen (Königinnen oder Königstöchter) wurde älter als 65; viele von ihnen sind im Alter zwischen 30 und 44 Jahren gestorben, die meisten wahrscheinlich bei der Geburt eines Kindes. Königinnen in der Merowingerzeit erreichten dagegen mitunter ein hohes Alter: Chrodechilde, Ingoberga und Radegunde wurden ca. 70, Arnegunde, Brunichild, Ultrogotho und Balthild über 60 Jahre alt.
Da die Bußbücher – Sündenverzeichnisse, die gleich die Höhe und die Art der erforderlichen Buße nennen – Bestimmungen enthalten, die sich gegen Abtreibung oder Empfängnisverhütung richten, dürfen wir annehmen, dass dergleichen öfter vorkam; Zahlenangaben sind natürlich nicht möglich.
Insgesamt können wir wohl davon ausgehen, dass die Bevölkerung des Frankenreichs zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert ein wenig zugenommen hat. Dies war einmal die Folge des damals für die Landwirtschaft günstigen Klimas, das warme Sommer und nicht so strenge Winter brachte. Zum andern dürfte aber auch die Schaffung des karolingischen Großreichs durch Karl den Großen die innere Sicherheit erhöht haben, so dass die Menschen seltener unter Überfällen feindlicher Nachbarn und Versorgungsengpässen leiden mussten (siehe auch Frage 78).
2. Sprachen die Franken französisch? In der Zeit um 800 bildeten die Franken sprachlich wahrscheinlich keine Einheit mehr. Die meisten der in Gallien wohnenden Franken hatten die Sprache der sie umgebenden Romanen angenommen; sie sprachen also eine Art Altfranzösisch, wobei sich die Sprache im Norden sehr stark von der im Süden unterschied. Die weiter östlich wohnenden Franken sprachen die germanische Sprache ihrer Vorfahren. Dies galt auch für die Alemannen, die Baiern, die Thüringer, die Sachsen und die Friesen, deren Sprachen sich aber stark voneinander unterschieden; vor allem Sachsen und Friesen dürften von den südlicher wohnenden Völkern kaum verstanden worden sein. Aber auch im Gebiet des späteren Deutschland gab es noch eine romanischsprachige Restbevölkerung, so etwa im Moselgebiet oder auch im Alpenraum.
Schriftliche Zeugnisse des Altfranzösischen besitzen wir erst aus dem 9. Jahrhundert. Das älteste Zeugnis ist jener Eid, den Ludwig der Deutsche im Jahr 842 vor Straßburg in romanischer Sprache geschworen hat, damit das Heer Karls des Kahlen – seit 840 westfränkischer König und seit 875 römischer Kaiser (†877) – ihn verstehen konnte. Karl hingegen leistete seinen Eid in deutscher (teudisca) Sprache, um vom Heer Ludwigs verstanden zu werden.
Das sogenannte Althochdeutsche oder Theodiske ist bereits in einigen Zeugnissen aus dem ausgehenden 8. Jahrhundert schriftlich bezeugt. Das älteste erhaltene Zeugnis ist ein lateinisch-althochdeutsches Wörterbuch (es wird nach dem ersten Wort «Abrogans» genannt), das uns eine Handschrift aus St. Gallen überliefert. Dieses Wörterbuch wurde in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts geschrieben und enthält über 3000 althochdeutsche Wörter.
Anlässlich einer Kirchenversammlung im Jahr 786 ist davon die Rede, dass eine Vorschrift sowohl auf Latein (latine) als auch in der Volkssprache (theodisce) verlesen werden soll.
Karl der Große hat sich um die volkssprachige Dichtung und auch um die bessere Pflege und Vereinheitlichung der Volkssprache gekümmert; er ließ eine Sammlung von volkssprachigen Liedern über die Taten und Kriege der alten Könige anlegen und soll damit begonnen haben, eine Grammatik der Volkssprache ausarbeiten zu lassen. Einhard berichtet auch, dass er den Monaten einheitlich fränkische Namen gegeben habe; auch die Winde seien von ihm mit volkssprachigen Namen versehen worden.
3. Wie war die fränkische Gesellschaft zur Zeit Karls aufgebaut? Berühmt ist das Wort Karls des Großen aus den Jahren nach 800: Es gibt nur Freie und Knechte. Die Wirklichkeit sah jedoch anders aus, denn es gab zahlreiche Formen von Freiheit und Unfreiheit: Es gab Freigelassene und Sklaven, Halbfreie und Vollfreie und vor allem – es gab auch eine über den Freien stehende Gruppe, den Adel. Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht hing mit der Abstammung und mit dem Besitz an Grund und Boden zusammen.
Die Adligen waren meist Großgrundbesitzer; manche von ihnen besaßen in verschiedenen Regionen des Reiches ausgedehnte Ländereien, die sie durch Heirat, Erbgang und königliche Schenkungen erhalten hatten und zu mehren suchten.
Die Freien besaßen meist eine eigene Hofstelle, die ihre Familie ernährte; es gab aber auch Freie, die eine Hofstelle bearbeiteten, die einem Großgrundbesitzer gehörte.
Die Unfreien hingegen arbeiteten zum Teil auf dem zentralen Hof ihres Herrn; manche von ihnen waren aber auch mit einem von ihrem Herrn abhängigen kleinen Bauerngut ausgestattet. Sie mussten neben der Arbeit auf dieser Bauernstelle, für deren Nutzung sie Abgaben in Form von Naturalien zu leisten hatten, auch noch drei Tage in der Woche auf dem zentralen Gut des Herrn Fronarbeit verrichten. Nicht nur weltliche Herren, sondern auch die Kirche verfügte über Unfreie. In jedem Fall waren Unfreie persönliches Eigentum ihrer Herren. Im Fall eines Delikts übten diese richterliche Gewalt über ihre Unfreien aus; die fränkischen Rechtsbücher suchten allerdings zu verhindern, dass ein Herr seinen Knecht mit dem Tod bestrafte. Da im Frankenreich eher ein Mangel an Menschen herrschte, lag es auch nicht im Interesse der großen Grundherren, die Zahl ihrer unfreien Arbeiter durch Todesurteile zu mindern. Alle Unfreien konnten freigelassen werden; ob ihr Los dann tatsächlich besser war als vorher, ist nicht sicher.
Die Freien unterschieden sich vor allem darin von den Knechten, dass sie zur Gerichtspflicht und zur Wehrpflicht herangezogen wurden. Gerichtspflicht bedeutet, dass sie an den mehrfach im Jahr zusammentretenden Gerichtsversammlungen teilnehmen mussten (siehe Frage 11); Wehrpflicht bedeutet, dass sie im Fall eines Krieges zu Heeresfolge verpflichtet waren, also an den vom König angeordneten Kriegszügen teilzunehmen hatten. Da Grafen sowohl Gerichtsherren als auch oberste Heerführer in ihren Amtsbezirken waren, konnten sie Freie so oft verpflichten, an Kriegszügen teilzunehmen oder zu Gerichtsversammlungen laden, dass diesen keine Zeit blieb, ihre Äcker ordentlich zu bestellen, die sie deshalb dem Grafen übertragen mussten. Karl versuchte, durch Herrschererlasse, sogenannte Kapitularien, derartige Missbräuche abzustellen. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass ihm dies gelang. Ob sich durch solche Machenschaften die Zahl der Freien in der Karolingerzeit insgesamt verringert hat, können wir mangels Zahlenmaterial nicht sagen. Die Versuche Karls des Großen, die Freien zu schützen, scheinen aber in diese Richtung zu deuten. Anscheinend haben sich manche Freie in die Abhängigkeit der Kirche geflüchtet, um dem dauernden Druck der Heerund Gerichtsfolge zu entkommen. Die Kirche hat ihrerseits die Möglichkeit genutzt, freie Bauern auf dem Totenbett zu veranlassen, ihre Güter zugunsten ihres Seelenheils der Kirche zu übertragen. In einem Kapitular klagt Karl der Große darüber, dass auf diese Weise enterbte Kinder aus Not zu Räubern und Dieben geworden seien; daher sollten sich die Priester bei der Beratung ihrer Pfarrkinder zurückhalten.
Jenseits von Adligen, Freien und Unfreien gab es Fremde, die sich länger im Reich Karls aufhielten. Zu dieser Gruppe gehörten nicht zuletzt die Juden, die vor allem als Händler oder Ärzte tätig waren. Deren Schutz versuchten Karl und sein Sohn Ludwig der Fromme durch entsprechende Gesetze zu gewährleisten.
4. Welche Stellung hatten die Frauen in der fränkischen Gesellschaft? Auch für die Frauen in der fränkischen Gesellschaft gilt, dass ihre Stellung und ihre Lebensbedingungen durch die soziale Schicht bestimmt wurden, in die sie hineingeboren worden waren.
Frauen aus der untersten Schicht, also der der Unfreien oder Hörigen, waren von ihren Herrn völlig abhängig und hatten kaum Rechte; so konnten sie beispielsweise ohne deren Erlaubnis nicht einmal heiraten. Einhard, der Biograph Karls des Großen, hat sich für unfreie Paare, die ins Kirchenasyl geflohen waren, weil sie heiraten wollten, aber nicht durften, in Briefen an deren Herren eingesetzt.
Die Lebensbedingungen der einfachen freien Frauen dürften sich wenig von jenen aus der Unfreienschicht unterschieden haben. Der tägliche Kampf um den Lebensunterhalt wird das beherrschende Thema gewesen sein. Viele sind wohl bereits in jungen Jahren im Kindbett gestorben. Aus den Quellen erfahren wir freilich nur wenig über Frauen aus dieser Schicht.
Mehr wissen wir über die Frauen von Adel und die Königinnen. Hinsichtlich ihrer Stellung in der Gesellschaft bildet die Zeit Karls des Großen eine Phase des Umbruchs: Während die adeligen Frauen in der Merowingerzeit über ihr eigenes Vermögen verfügen und auch, ohne verheiratet zu sein, einen eigenen Hausstand mit Bediensteten führen konnten – das gilt auch für die Königstöchter –, war dies in der Karolingerzeit nicht mehr möglich: Die adeligen jungen Mädchen mussten sich entscheiden zwischen einem Leben als verheiratete Ehefrau oder einem Leben im Kloster. So lebte Karls Schwester Gisela, für die zweimal eine Eheschließung verabredet worden war, die dann aber nicht zustande kam, schließlich bis zu ihrem Tod im Kloster Chelles bei Paris, wohin sich später auch Karls älteste Tochter Rotrud zurückzog. Zwei weitere Töchter des Königs wurden Äbtissinnen. Und auch jenen, die nicht förmlich als Nonnen eintraten, wurde ein Kloster übertragen, aus dessen Einkünften sie ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten; dieses Kloster sollten sie nach dem Tod des Vaters auch zu ihrem Aufenthaltsort machen. Da weder Karl noch seine Söhne oder Enkel ihre Töchter mit ausländischen Königen oder Adeligen verheirateten, spielten die Klöster des Frankenreiches für die Königstöchter eine große Rolle.
Die Töchter des fränkischen Adels hatten eine Chance, zum Aufstieg der Familie beizutragen, wenn sie einen König heirateten; und umgekehrt wählte der Herrscher Frauen aus einflussreichen Familien, um diese an sich zu binden. Die Eltern von Karls dritter Gemahlin Hildegard hatten beispielsweise große Besitzungen im Reichsteil von Karls Ende 771 verstorbenem Bruder Karlmann; der König wollte also mit dieser Eheschließung seine Macht in dieser Region stabilisieren. Später machte er Hildegards Bruder zum Präfekten in Baiern, nachdem er Herzog Tassilo III. abgesetzt hatte und einen loyalen Vertreter der Reichsgewalt brauchte (siehe Frage 45). Karls vierte Gemahlin kam schließlich aus einer mächtigen fränkischen Familie, und Karls Söhne heirateten Frauen aus wichtigen Adelsfamilien in ihren Teilreichen.
Im Unterschied zu ihren merowingischen Vorgängerinnen hatten die Königinnen der Karolingerzeit aber keinen großen politischen Einfluss mehr (siehe Frage 25). Das lässt sich daraus schließen, dass sie in den Urkunden Karls des Großen nicht als Fürsprecherinnen begegnen und keine einzige Königin in der gesamten Karolingerzeit eine Regentschaft wahrnahm.
Wenn die aus Italien stammende Kaiserin Angilberga, die Gemahlin Kaiser Ludwigs II. (†875), über ein größeres eigenes Vermögen verfügte, dann ist das eine Ausnahme in der ganzen Karolingerzeit. Es scheint so, als habe mit Karl dem Großen eine Zeit begonnen, die die Königinnen – wie es später das 19. Jahrhundert in Bezug auf alle Frauen wollte – auf die «3 K» beschränkte: Kinder, Küche und Kirche. Erst mit dem Aufstieg der nachfolgenden Dynastie der Ottonen sollte sich dies im 10. Jahrhundert wieder ändern.
Während wir eine gute Vorstellung davon haben, wie merowingische Königinnen gekleidet waren und welch kostbaren Schmuck sie besaßen, den man ihnen mit ins Grab gab, hat sich kein einziges Grab einer karolingischen Königin erhalten. Wir kennen zwar den Todestag und den Begräbnisort der Königinnen, aber alle Gräber sind später verloren gegangen. So hinterließen die Karolingerinnen ihre nachhaltigsten Spuren, indem sie Klöster gründeten bzw. Kirchen und Klöster förderten.
5. Wie sahen die Siedlungen der Franken aus? Weil die Masse der karolingischen Bauwerke aus Holz errichtet wurde, ist kaum eines erhalten geblieben. Verloren sind auch die meisten Kirchen auf dem Land, und selbst die Königshöfe. In den Quellen wurde besonders betont, wenn eine Kapelle oder auch die Halle in einer Königspfalz aus Stein errichtet wurde. Einige wenige kleine Kirchen aus Stein haben bis heute überdauert – etwa in Germigny (bei Orléans), in Steinbach-Michelstadt oder in Graubünden, sowie natürlich die Pfalzkapelle in Aachen. Große Klosterkirchen oder Bischofskirchen wurden bereits im ausgehenden 8. Jahrhundert aus Stein errichtet, sie sind aber nicht erhalten, so die Klosterkirche in Aniane (Südwestfrankreich) und die Bischofskirche in Salzburg – ein gewaltiger Bau von ca. 66 Metern Länge und 33 Metern Breite (siehe Frage 91).
Die Holzhütten der Bauern bestanden meist nur aus einem fensterlosen Raum und wurden allein durch eine Feuerstelle beleuchtet und beheizt; der Rauch zog durch das Dach ab. Vielfach lebten in diesen Hütten Menschen und Haustiere zusammen; entsprechend mangelhaft war die Hygiene und entsprechend groß die Zahl der dadurch verursachten Krankheiten.
Grundstoffe für die Beleuchtung wie Talg oder Bienenwachs wurden zwar auf dem Land hergestellt, mussten aber den Grundherren abgeliefert werden. Vor allem Klöster und Kirchen hatten einen großen Bedarf, weil viele gottesdienstliche Handlungen zu nächtlicher Stunde stattfanden und in den Kirchen häufig Kronleuchter hingen, die mit Kerzen besteckt waren, und andere Leuchter vor den Reliquienschreinen standen. Der Besuch einer solcherart erleuchteten Kirche wurde daher für einfache Gläubige, die an die Dunkelheit in ihren Behausungen gewöhnt waren, zu einem großen Erlebnis.
Auch mit der Heizung stand es in den Klöstern weit besser als in den Bauernkaten. Dort gab es Kamine und Wärmestuben, für deren Betrieb das Holz von den hörigen Bauern geliefert werden musste. Neben der Wärmestube gab es in den Klöstern meist auch einen Baderaum, obwohl die Mönche nur an Weihnachten und Pfingsten baden durften; auch eine Rasur war ihnen nur selten gestattet. Die karolingischen Herrscher hingegen badeten jeden Samstag und rasierten sich auch regelmäßig ihren Bart; nur den Schnurrbart haben sie stehen lassen.
6. Wie waren die Verkehrsverhältnisse im Frankenreich? Vor allem in Gallien, also im Frankenreich links des Rheins, existierten auch im Frühmittelalter noch immer die Römerstraßen, auch wenn sie oftmals nicht mehr in Stand gehalten wurden. In Germanien hingegen – dem Osten des Reiches – versuchten die Karolinger, Wege anzulegen, auf denen Fuhrwerke fahren konnten. Wichtige Massengüter – wie vor allem Salz – wurden aber meist auf Flüssen befördert, weil die Wagen den schlechten Wegeverhältnissen kaum gewachsen waren. Andere Waren wurden auf Pferde oder Maultiere geladen oder – vor allem wenn Gebirge zu überwinden waren – auf dem Rücken von Menschen getragen.
Es gab durchaus auch Fernhandel, aber der betraf überwiegend wertvolle Güter wie kostbare Stoffe, Gewürze und Waffen oder auch Sklaven. Eine wichtige Route für den Sklavenhandel führte von Böhmen, wo die meist slawischen Sklaven zusammengetrieben wurden, über Mainz und Verdun nach Córdoba; denn vor allem das muslimische Spanien hatte einen großen Bedarf an Sklaven, die im Haus, aber auch in Manufakturen für die Herstellung von Leder und Lederwaren (Schuhe, Taschen) benötigt wurden.
Doch auf den Straßen traf man nicht nur Händler, sondern im 8. und 9. Jahrhundert auch häufig Wallfahrer. So zogen angelsächsische Pilger durch das Frankenreich nach Rom; innerhalb des Frankenreichs hingegen war etwa Tours mit dem Grab des heiligen Martin ein wichtiges Ziel. Theodulf von Orléans, ein enger Mitarbeiter Karls des Großen (siehe Frage 67), stand den Pilgerreisen kritisch gegenüber und schrieb, es sei eine größere Leistung, zu Hause ein gottgefälliges Leben zu führen, als eine Wallfahrt nach Rom oder nach Tours zu unternehmen.
Dennoch schuf man eine gewisse Infrastruktur für die Pilger. So wurden in den Alpen und auch in Italien an der viel begangenen Straße nach Rom Pilgerherbergen, Hospize, errichtet, in denen Wallfahrer übernachten und sich verpflegen konnten.
7. Wie viele Rheinbrücken gab es zur Zeit Karls? Einhard hebt unter den bedeutenden Bauwerken, die Karl hatte errichten lassen, vor allem die Rheinbrücke bei Mainz hervor. Sie sei – entsprechend der Breite des Flusses an dieser Stelle – fünfhundert Schritte lang gewesen. Einhard fährt fort: «Ein Jahr vor Karls Tod verbrannte sie und wurde, da der König bald darauf starb, nicht wieder aufgebaut, obwohl er beabsichtigt hatte, sie durch eine steinerne zu ersetzen.» Eine steinerne Brücke über den Rhein bei Mainz wurde tatsächlich erst im Jahr 1862 für die Eisenbahn errichtet! Dass es so lange dauerte, bis eine steinerne Rheinbrücke gebaut werden konnte, hängt damit zusammen, dass Bau und Unterhalt von Brücken organisatorische Fähigkeiten erfordern. Eine Brücke über den Rhein hatten im ersten nachchristlichen Jahrhundert bereits die Römer gebaut. Die eigentliche Brückenkonstruktion bestand zwar aus Holz, doch ruhte sie auf etwa 20 steinernen Pfeilern, die auf dem Boden des Rheins gründeten.
Eine Brücke über die Donau gab es im frühen Mittelalter überhaupt nicht; Karl der Große hat seine Feldzüge gegen die Awaren deshalb von Schiffen begleiten lassen, auf denen sein Heer immer wieder die Flussseite wechseln konnte. Die Donaubrücke in Regensburg wurde nicht vor der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, in der Zeit von 1135 bis 1146, erbaut.
In welch schlechtem Zustand Straßen und Brücken aus der Römerzeit im frühen Mittelalter häufig waren, hat der Benediktinermönch Richer von Reims am Ende des 10. Jahrhunderts beklagt: «Auf der Brücke klafften so viele und so große Löcher, dass … kaum die Ortskundigen hinüberkamen. Der Mann … legte, wo Löcher waren, den Pferdehufen seinen Schild oder weggeworfene Bretter unter, und … kam, bald vorwärtsgehend, bald zurücklaufend, tatsächlich mit den Pferden und mir hinüber.»
8. Wie kleidete man sich zur Zeit Karls des Großen? Grundsätzlich war Kleidung in der gesamten vormodernen Zeit Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht oder gar zu einer bestimmten Berufsgruppe. Doch in der Zeit Karls des Großen waren die Unterschiede in der Bekleidung eines Adligen, eines Bauern oder eines Mönchs noch nicht so ausgeprägt. Über das Aussehen von Karls fränkischer Tracht unterrichtet uns Einhard: «Auf dem Körper trug er ein Leinenhemd, die Oberschenkel bedeckten leinene Hosen; darüber trug er eine Tunika, die mit Seide eingefasst war; die Unterschenkel waren mit Schenkelbändern umwickelt … Im Winter schützte er seine Schultern und seine Brust durch ein Wams aus Otter- oder Marderfell. Darüber trug er einen blauen Umhang.»