GÜNTHER MOOSBAUER
DIE VERGESSENE RÖMERSCHLACHT
Der sensationelle Fund
am Harzhorn
C.H.BECK
Zum Buch
Rom steht auf dem Höhepunkt seiner Macht, als aus dem Hinterland der römischen Provinz Dakien die Vorläufer der Vandalen nach Süden und Westen vorstoßen und unter den Bewohnern der Grenzgebiete für Unruhe sorgen. Davon unbeeindruckt schlägt im Jahr 150 n. Chr. Antoninus Pius Barbaren von der unteren und mittleren Donau die Bitte ab, in den Reichsverband aufgenommen zu werden. Eine kurzsichtig getroffene Entscheidung! Versäumt doch der Kaiser damit, Pufferzonen zu schaffen. Das Ergebnis ist eine nicht mehr abreißende Folge von Grenzkonflikten mit germanischen Verbänden.
Das vorliegende Buch bietet einen spannenden Überblick über die militärischen Krisen des 2. und 3. Jahrhunderts. Es wird deutlich, wie eng verwoben der Kampf im Orient gegen die Parther – später die Sassaniden – mit den Entwicklungen im Norden zur Zeit der Markomannenkriege Marc Aurels und danach während der Konflikte mit Weser- und Elbgermanen war. Die Überdehnung der militärischen Kräfte des Imperium Romanum zwingt mal hier, mal dort zur Schwächung des Grenzregiments und führt letztlich zur Destabilisierung des Reiches und zum Untergang der Severer-Dynastie. Ihr Erbe fällt zunächst an Maximinus Thrax, der die Erwartungen der Truppen erfüllen muss und unmittelbar nach seiner Machtübernahme einen Feldzug tief nach Germanien hineinführt, der für fast 2000 Jahre in Vergessenheit geraten sollte. Es zeigt sich allerdings auch, dass Rom in dieser Situation immer noch willens und in der Lage ist, Vorfeld und Grenzen gegen die Germanen zu verteidigen. Noch ahnt niemand, dass damals die Zeit der Soldatenkaiser heraufzieht – eine Ära, in der sich über 50 Jahre hinweg die Herrscher mitunter im Monatsrhythmus auf dem Thron ablösen und das Reich ins Wanken gerät.
Über den Autor
Professor Günther Moosbauer ist provinzialrömischer Archäologe, Leiter des Gäubodenmuseums (Straubing) und ein profilierter Kenner der römischen Germanienpolitik. Er beschreibt kompetent und anschaulich die militärischen Notwendigkeiten, denen die römischen Kaiser im 2. und 3. Jahrhundert versuchen, gerecht zu werden. Aber er erhellt auch, wie Rom durch seine Politik den Feind in Germanien stärkt. So ist ein anschauliches, detailreiches und differenziertes Portrait einer dramatischen Epoche der römischen Geschichte entstanden, zu dessen Verständnis sich die Schlacht am Harzhorn als Schlüsselereignis erweist.
VOR- UND NACHSATZ
KAPITEL 1: VORGESCHICHTE
DUNKLE WOLKEN
DIE MARKOMANNENKRIEGE: KAISER MARC AUREL
Erste Phase der Markomannenkriege
Zweite Phase der Markomannenkriege
WEITERE FELDZÜGE
DER FELDZUG DES CARACALLA
KAPITEL 2: DIE SUPERMACHT IM OSTEN UND EIN FEIGER KAISER AUS DEM WESTEN
KAPITEL 3: DIE GERMANENEINFÄLLE UM 233 N. CHR.
KAPITEL 4: AM VORABEND DES GERMANIENFELDZUGES
KAPITEL 5: DER FELDZUG DES MAXIMINUS THRAX IM JAHR 235 N. CHR.
HARZHORN UND UMGEBUNG
KAPITEL 6: ZURÜCK IN MAINZ
NACH DEM FELDZUG
KAPITEL 7: VERÄNDERUNGEN IM BARBARICUM
DIE GESELLSCHAFTLICHE GLIEDERUNG IN GERMANISCHEN VERBÄNDEN
FÜRSTEN ALS VERBÜNDETE UND FEINDE ROMS IM SPIEGEL IHRER GRABINVENTARE
KAPITEL 8: DAS ENDE DES MAXIMINUS THRAX
KAPITEL 9: NACH MAXIMINUS: EINE BELASTUNGSPROBE FÜR DAS REICH
ENTWICKLUNGEN UND KONFLIKTE ZWISCHEN DONAU UND MESOPOTAMIEN
ENTWICKLUNGEN UND KONFLIKTE ZWISCHEN DONAU UND ATLANTIK
AUSBLICK UND RESÜMEE
DAS HARZHORNEREIGNIS IM KONTEXT DER REICHSENTWICKLUNG
ANHANG
DANK
LITERATUR
KAPITEL 1: VORGESCHICHTE
Dunkle Wolken
Die Markomannenkriege: Kaiser Marc Aurel
Weitere Feldzüge
Der Feldzug des Caracalla
KAPITEL 2: DIE SUPERMACHT IM OSTEN UND EIN FEIGER KAISER IM WESTEN
KAPITEL 3: DIE GERMANENEINFÄLLE UM 233 N. CHR.
KAPITEL 4: AM VORABEND DES GERMANIENFELDZUGES
KAPITEL 5: DER FELDZUG DES MAXIMINUS THRAX IM JAHR 235 N. CHR.
KAPITEL 6: ZURÜCK IN MAINZ
KAPITEL 7: VERÄNDERUNGEN IM BARBARICUM
KAPITEL 8: DAS ENDE DES MAXIMINUS THRAX
KAPITEL 9: NACH MAXIMINUS: EINE BELASTUNGSPROBE FÜR DAS REICH
AUSBLICK UND RESÜMEE
BILDNACHWEIS
REGISTER
NAMEN
GEOGRAPHISCHE BEGRIFFE
KAPITEL 1
Der griechische Autor Appianos von Alexandria wurde Augenzeuge eines Geschehens, das in der politischen Situation Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. und für die weitere Entwicklung des Römischen Reiches wegweisend war. In der Vorrede seiner Römischen Geschichte schreibt er darüber: «Als Gebieter über die besten Teile von Land und Meer wollen sie [die Römer] aber, im Ganzen gesehen, doch lieber durch Klugheit ihren Besitzstand mehren als ihre Herrschaft ins Grenzenlose auszudehnen, über bettelarme, keinen Gewinn bringende Barbarenverbände, von denen ich in Rom einige zu Gesicht bekam; dort boten sie sich durch ihre Gesandten als Untertanen an, wurden jedoch vom Kaiser als Menschen abgewiesen, die ihm keinerlei Nutzen bringen könnten.» (Appian, Praefatio 7,26 – Übersetzung nach Veh). Was er damals erlebt hat, trug sich um 150 n. Chr. in Rom am Hof des Kaisers Antoninus Pius (138–161) zu. Damals boten barbarische Stämme aus dem Vorfeld der römischen Grenzen entlang der mittleren und unteren Donau freiwillig an, sich den Römern zu unterwerfen – ein Angebot, das der Herrscher zurückwies.
In dieser Zeit hatten erste Bewegungen germanischer Verbände im Barbaricum die dortigen Stämme militärisch unter Druck gesetzt. Daraufhin wollten sie sich unter römischen Schutz begeben. Inzwischen weiß man, dass Ankömmlinge der germanischen Przeworsk-Kultur, die späteren Vandalen, im Barbaricum jenseits der Grenze der römischen Provinz Dakien mitverantwortlich für die politischen Veränderungen gewesen sein könnten. Antoninus Pius lehnte das Gesuch ab, da er keine Möglichkeit sah, die um Aufnahme bittenden Völker in die blühenden römischen Provinzen zu integrieren. Was damals niemand wusste, war, dass dies frühe Vorzeichen der verheerenden Markomannenkriege waren, die das Reich rund eineinhalb Jahrzehnte später erschüttern sollten. Antoninus Pius war jedoch nicht allein verantwortlich für diese Entscheidung. Er traf sie gemeinsam mit einer für die außenpolitische Entwicklung immer wichtiger werdenden Einrichtung – dem consilium principis, einem kaiserlichen Rat, der sich aus Mitgliedern des Senatoren- und Ritterstandes zusammensetzte. Dessen Empfehlung erschien dem Kaiser in externen Angelegenheiten wichtig. Ihm gehörte schon damals der spätere Kaiser Marc Aurel an, der in der Zukunft selbst eine ähnliche Entscheidung treffen würde, die jedoch von weit größerer Tragweite sein sollte.
In der Forschung existierte lange das Bild einer friedlichen Blütezeit unter der Herrschaft des Kaisers Antoninus Pius. Doch die Arbeit des Historikers Ragnar Hund lässt diesen Kaiser, der als zutiefst friedfertig und militärisch inkompetent galt, in anderem Lichte erscheinen. Bei Hund ist Antoninus Pius ein Kaiser, der ständig militärische Konflikte an allen Grenzen des Reiches ausfechten und auf Bedrohungen reagieren musste. Dazu passt eine Notiz in der Historia Augusta – einer Sammlung von Kaiserviten aus dem 4. Jahrhundert: «Eine Reihe Kriege ließ er [Antoninus Pius] durch seine Statthalter führen. So ließ er die Britannier durch den Statthalter Lollius Urbicus besiegen und nach der Zurückdrängung der Barbaren eine weitere Mauer, und zwar aus Rasenstücken, errichten [Antonine Wall]. Die Mauren [Maurenkrieg 142–ca. 150/151] wurden gezwungen, um Frieden zu bitten. Germanen, Daker und viele andere Völkerschaften ließ er ebenso wie die aufständischen Juden durch seine Statthalter und Heerführer niederwerfen.» (Historia Augusta, Antoninus Pius 5,4).
Antoninus’ Feldzug in Britannien, den dessen Legat Q. Lollius Urbicus führte, fand bald nach seinem Regierungsantritt statt. Das Ergebnis war die Vorverlegung der Reichsgrenze von der Solway-Tyne-Linie des Hadrian’s Wall nach Norden, wo 142/143 n. Chr. an der engsten Stelle der Insel, zwischen Firth of Forth und Firth of Clyde, der sogenannte Antonine Wall errichtet wurde. Er war mit 60 Kilometern Strecke nur etwa halb so lang wie der Hadrian’s Wall; man hat ihn aus Rasensoden errichtet, vielleicht mit einer hölzernen Brustwehr versehen und ihn etwa drei Meter hoch gebaut. Noch heute kann man ihn bestaunen, beispielsweise am Kastell Rough Castle unweit von Falkirk in Schottland. Alle drei Kilometer wurden solche Kastelle errichtet, dazwischen lagen sogenannte ‹Milecastles› – kleinere Fortifikationen. Jenseits des Antonine Wall bestanden weitere Lager entlang der Aufmarschlinie ins nördliche Schottland, etwa bis Perth im Nordosten der Insel. So rückte man wieder wesentlich näher an die Stämme der Highlands heran, welche die britannischen Provinzen bedrohten: Sie waren 83/84 n. Chr. von Agricola am mons Graupius im äußersten Nordosten Schottlands besiegt worden. Ein gutes Jahrzehnt später brach erneut ein schwerer Konflikt mit diesen Stämmen aus, der letztlich Mitte der sechziger Jahre des 2. Jahrhunderts n. Chr. zur Aufgabe der neu geschaffenen Grenze und zum Rückzug auf die alte Linie führte, markiert durch den Hadrian’s Wall.
Weitere Konfliktherde zur Zeit des Kaisers Antoninus Pius lagen an Rhein und Donau. Nur kurz erwähnt seien zwei Auseinandersetzungen an den Grenzen der Provinz Dakien, dem heutigen Rumänien, mit den freien Dakern oder Jazygen. Im zweiten Konflikt, der von 155 bis 157/158 n. Chr. dauerte, hatte der Statthalter der Dacia Superior, Marcus Statius Priscus, das Kommando inne. Zum Zeichen des römischen Sieges in diesem Konflikt stiftete er in Sarmizegetusa einen Victoria-Altar (CIL III, 1416). Sieg hin oder her – die Schwere der Auseinandersetzungen führte dennoch zu Truppenverstärkungen in zentralen Militärlagern Dakiens und zum Ausbau des westdakischen Limes. Darüber hinaus musste um 155 n. Chr. Militär ins Schwarzmeergebiet, nach Olbia an der Mündung des Südlichen Bug in den Dnepr, entsandt und dort stationiert werden, da die Stadt von den Tauroskythen bedroht wurde. Noch grundlegendere militärische Umstrukturierungen wurden an der oberen Donau und am Obergermanisch-Raetischen Limes vorgenommen, der als Grenze über 550 Kilometer von Eining an der Donau bis nach Koblenz führte: Heute ist dieses längste Bodendenkmal Europas übrigens Teil des UNESCO-Welterbes, und die Deutsche Limesstraße sowie ein wunderschöner Limes(rad)wanderweg laden ein, die zumeist gut erhaltenen Denkmale dieser Grenze und ihre Museen zu erkunden.
Ähnlich der Situation in Britannien wurde der Limes in Obergermanien gegen Ende der Regierungszeit des Antoninus Pius auf eine gerade Linie von Miltenberg im Norden bis Lorch im Süden vorverlegt. Auch der westliche raetische Limes erfuhr Veränderungen: Der Alblimes wurde aufgegeben und die Grenze nach Norden verschoben. Der Limesabschnitt, der die Nordgrenze Raetiens bildete, verlief von West nach Ost und war aus kürzeren Stücken zusammengesetzt. Zumindest die Planungen für diese Maßnahmen dürften noch in den letzten Jahren der Regierung des Antoninus Pius erfolgt sein; die Baumaßnahmen wurden jedoch erst nach dem Regierungsantritt von Kaiser Marc Aurel (161–180) fertiggestellt. Hatte er als Mitglied des consilium principis diese Entscheidungen mitgetroffen, so setzte er sie konsequent um, nachdem er die Herrschaft übernommen hatte. Es waren dazu umfangreiche Arbeiten erforderlich: Kastelle mussten aufgelassen, neue angelegt und die Truppen entsprechend verlagert werden. Wichtig für die verlässliche zeitliche Einordnung der Vorgänge sind Daten der Dendrochronologie – einer Methode, bei der man anhand der Jahresringe eines Baumes Bauholz einer bestimmten Wachstumsperiode zuordnen kann. Die so gewonnenen Daten zeigen, dass die Kastelle Schirenhof, Unterböbingen, Aalen, Buch und Halheim um 160 n. Chr. bzw. kurz danach errichtet wurden. Erst zu diesem Zeitpunkt erhielt der Limes sein endgültiges Aussehen, und es entstand eine durchgehende Grenzlinie: In die Wälder wurden Schneisen geschlagen und die Grenze durch steinerne (in Obergermanien) oder hölzerne (in Raetien), von Gräben umgebene Wachttürme gesichert. Sie standen in Sichtweite zueinander; dazwischen wurde durchgängig eine Palisade aus halbierten Baumstämmen angelegt, die nach Auswertung von Dendrodaten zwischen 160 und 165 n. Chr. gebaut wurde.
Noch viele weitere Maßnahmen zur Grenzsicherung fallen in die Regierungszeit von Antoninus Pius. So wurden zahlreiche Kastelle in Stein ausgebaut, wie Bauinschriften in Gnotzheim, Kösching, Pförring und Pfünz belegen. Auch in Obergermanien erfolgte in den vierziger Jahren des 2. Jahrhunderts n. Chr. der Steinausbau vieler Kastelle; am Odenwaldlimes galt das sogar für die Wachttürme. Diese ‹runderneuerten› Anlagen wurden allerdings ein gutes Jahrzehnt später im Zuge der Vorverlegung des Limes größtenteils wieder aufgegeben. In Ostraetien wurden die beiden Straubinger Kastelle und das Künzinger Ostkastell in Stein ausgebaut, in Passau errichtete man auf dem Domberg ein neues Kastell anstelle des weiter östlich gelegenen, da dort nun eine größere Einheit untergebracht werden musste. Was die Gründe für die Maßnahmen in dieser Region waren, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Vielleicht hatte die germanische Bedrohung im Vorfeld des raetischen Limes Anlass zur Sorge gegeben und war so Auslöser dieser Fortifikationsmaßnahmen. Es gibt jedoch wenige Indizien dafür, dass die Verbände in Gnotzheim und Pfünz tatsächlich in Kämpfe mit Germanen verwickelt waren. Möglich ist auch, dass Auseinandersetzungen mit den Chatten stattfanden, deren eigentliche Ursachen innergermanische Konflikte waren.
Während seiner gesamten Regierungszeit trieb Antoninus Pius also die Verstärkung der Reichsgrenzen voran. Diese Bemühungen erscheinen als Reaktion auf eine kontinuierliche, latente Bedrohung von außen. Und auch wenn damals Marc Aurel – der schon von 139 n. Chr. an Caesar und mithin designierter Nachfolger des Kaisers war – in die Entscheidungen des Herrschers einbezogen war, so sollte es ihm in seiner eigenen Herrschaft nicht gelingen, das Wehrkonzept des Antoninus Pius langfristig aufrecht zu erhalten: «Der unter Pius entwickelten Maxime der wehrhaften Außenpolitik eines friedlichen, unter dem Schutz der Götter stehenden Imperiums war keine Zukunft beschieden.» (Hund 2017, 196).
Marcus Aelius Aurelius Verus, kurz Marc Aurel, wurde nach dem Tod des Antoninus Pius zum Kaiser erhoben, und zwar zusammen mit Lucius Aurelius Verus (161–169). Jenen hatte Antoninus Pius auf Wunsch seines Vorgängers Hadrian (117–138) adoptiert. Marc Aurel war nicht nur ebenfalls Adoptivsohn, sondern zudem ein angeheirateter Neffe des Antoninus Pius. Nach dem Tod Hadrians bevorzugte er Marc Aurel, so dass dieser bei der Amtsübernahme die Führung unter den beiden Augusti beanspruchen konnte. Seine besondere Stellung wurde unter anderem deutlich, als er seine Tochter Lucilla mit Lucius Verus verlobte. Zudem wurde nicht Lucius Verus pontifex Maximus, d.h. höchster Priester. Stattdessen übernahm Marc Aurel die administrativen Aufgaben. Lucius Verus hingegen entsandte er im Jahr 162 in den Osten.
Seine Aufgabe dort war es, einen Angriff der Parther abzuwehren, der dem von Rom abhängigen Klientelkönigtum Armenien gegolten hatte. Auf Befehl ihres Königs Vologaeses III. waren die Parther in Armenien einmarschiert und hatten eigenmächtig einen neuen König eingesetzt. Das römische Heer des kappadokischen Statthalters Marcus Sedatius Severianus, das zunächst zur Hilfe herbeigeeilt war, wurde von den Parthern eingekesselt und vernichtet. So überwanden die Parther die Grenzen zu den römischen Provinzen Kappadokien, dem heutigen Zentralanatolien, und Syrien; damit standen sie 162 n. Chr. auf einmal auf römischem Reichsboden. Als Reaktion darauf hob das Imperium im Osten neue Truppen aus, um die Bedrohung abzuwehren, und Lucius Verus höchstselbst übernahm vor Ort das Kommando in den Krisengebieten.
Den Krieg führte allerdings der fähige General Gaius Avidius Cassius für den noch unerfahrenen Oberbefehlshaber Lucius Verus. So konnten die Parther in den Jahren 163 bis 164 n. Chr. von römischem Boden und aus dem Königtum Armenien wieder vertrieben werden. 164 n. Chr. setzte Lucius Verus dort einen romfreundlichen König auf den Thron, und schon ein Jahr später gelang Lucius Verus mit seinem Heer ein Vorstoß tief ins Partherreich hinein, bis nach Mesopotamien. Die Verwüstungen im Rahmen dieses Feldzugs waren besonders folgenreich für die Doppelmetropole Seleukia/Ktesiphon am Tigris im heutigen Irak: Seleukia wurde komplett niedergebrannt, und in Ktesiphon, der Hauptstadt der Parther, zerstörten die Römer den Palast des parthischen Königs Vologaeses III. Der Sieg war vollkommen! Nach weiteren Operationen im parthischen Kernland zogen sich die römischen Truppen 166 n. Chr. schließlich nach Syrien zurück (Karte S. 52/53). Beide Kaiser feierten in diesem Jahr den Sieg über die Parther mit ihrer vierten imperatorischen Akklamation. Doch ein dunkler Schatten breitete sich über den großen Triumph. Eine furchtbare Seuche – wahrscheinlich die Pocken – raffte viele Soldaten dahin, und erhebliche Versorgungsschwierigkeiten auf dem Rückmarsch nach Syrien verschärften die Situation. Diese sogenannte antoninische Pest breitete sich in der Folge im gesamten Reich, auch in Italien, aus, und die damit einhergehenden Bevölkerungsverluste führten zu einer ernsthaften demographischen Krise im Reich. Doch damit nicht genug: Im Donauraum deuteten sich neue Schwierigkeiten an!
Folgt man dem römischen Geschichtsschreiber Cassius Dio (72,3,1a), der etwa zwischen 160 und 230 n. Chr. lebte, so fielen im Jahr 166 n. Chr. rund 6000 Langobarden und Obier in die Provinz Pannonia superior ein – ein Territorium, das wir in etwa auf dem Staatsgebiet des modernen Ungarn verorten. Dank Ragnar Hunds jüngsten Auswertungen epigraphischer und numismatischer Quellen dürfen wir heute allerdings davon ausgehen, dass dieser Einfall erst einige Jahre später stattfand.
Wenn es damals die ersten Scharmützel an den Grenzen der dakischen Provinzen gab, so fragt man sich, woher dann der Name «Markomannenkriege» kommt, mit dem man die Summe der Ereignisse belegt hat. Er lässt sich aus der antiken Literatur ableiten: Dort werden die Markomannenkriege als bellum Germanicum, bellum Germanicum et Marcomannicum oder auch als bellum Germanicum et Sarmaticum bezeichnet. Letztlich meinen all diese Benennungen jene Auseinandersetzungen, welche die Römer mit unterschiedlichsten Stämmen – von der illyrischen Grenze bis nach Gallien – führten. Unter den Gegnern waren die bereits erwähnten Markomannen, Langobarden und Obier, aber auch Naristen, Hermunduren, Quaden, Sueben, Sarmaten, Lakringer, Buren, Viktualen, Sosiber, Sikoboten, Roxolanen, Bastarner, Alanen, Peukiner und Kostoboken. Sie alle werden in der Historia Augusta erwähnt (Marcus Aurelius Antoninus 22,1). Der Stamm der Jazygen hingegen taucht in dieser Aufzählung deshalb nicht auf, weil er zu den Sarmaten gehört.
Wenn auch die Markomannenkriege in der Lebensgeschichte des Marc Aurel nur kurz dargestellt werden, so gab es doch zumindest in der Antike darüber weitere umfassende Quellen. Die wichtigsten dieser leider nur lückenhaft überlieferten historischen Zeugnisse hat der Althistoriker Peter Kehne in seinem hervorragenden Überblick über die Forschungsgeschichte der Markomannenkriege zusammengetragen. Darunter findet sich auch der bereits erwähnte Cassius Dio, der sich intensiv mit dieser Zeit beschäftigt hat. Leider sind seine Bücher zu diesem Thema nur als Fragmente erhalten geblieben bzw. in kurzen Exzerpten des byzantinischen Mönches Johannes Xiphilinos überliefert. Bei Ammianus Marcellinus (29,6,1) – einem römischen Historiker des 4. Jahrhunderts – lesen wir zum Beispiel von einem Einfall der Quaden nach Italien: «Das beweisen wenigstens die Raubzüge, die sie früher mit Blitzesschnelle durchführten, die Belagerung von Aquileia [nahe Udine in Italien], die sie zusammen mit den Markomannen unternahmen, die Zerstörung von Opitergium [Oderzo im italienischen Veneto] und viele blutige Taten, die sie in schnellen Kriegszügen vollbrachten. Als sie über die Iulischen Alpen eingefallen waren, konnte ihnen, wie ich früher dargelegt habe, der Kaiser Marc Aurel kaum Widerstand leisten.» Diese Passage, die als Rückblende in die Schilderung von Ereignissen aus den siebziger Jahren des 4. Jahrhunderts n. Chr. eingeflochten ist, zeigt, dass die Darstellung der Markomannenkriege durchaus ein Teil der Römischen Geschichte des Ammianus Marcellinus war. Leider sind jedoch die ersten dreizehn Bücher, die der Zeit vom Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. bis 352 n. Chr. gewidmet waren und mithin auch die Markomannenkriege umfassten, verloren.
Wir wissen noch von weiteren möglichen Gewährsmännern wie Marius Maximus – einem Zeitgenossen Cassius Dios –, aber inhaltlich ist nichts von ihren Zeugnissen erhalten geblieben. So trösten wir uns damit, dass immerhin die Archäologie eine Reihe von Funden und Befunden auf germanischer und römischer Seite beizusteuern vermag, die in den Kontext der Markomannenkriege gehören. Allerdings tritt dabei ein altbekanntes Problem auf: Die Überlieferung der Literaten zu den Markomannenkriegen hat in der Vergangenheit oft dazu gedient, archäologische Sachverhalte einzuordnen. Zur Vermeidung von Zirkelschlüssen müssen wir deshalb genau darauf achten, ob und wie die archäologischen Quellen nach einer methodisch sauberen Analyse des Fundmaterials zeitlich eingeordnet werden können. Für diese Art der Argumentation kommt Münzen, Reliefs und Inschriften große Bedeutung zu.
Unter den Reliefs spielt die Markussäule in Rom eine ganz herausragende Rolle. Diese Säule, die mit dem Sockel, auf dem sie steht, etwa 40 Meter hoch ist, umläuft spiralförmig ein Band von Bildern, das in Auszügen die Geschichte der Markomannenkriege erzählt. Natürlich wurden mit diesen Bildern keine reinen Nachrichten geboten. Die Bilder sollten nicht zuletzt dem Betrachter auch programmatische Botschaften übermitteln, die den Kaiser Marc Aurel charakterisierten. Man spricht in solch einem Zusammenhang von Bildpropaganda. Heute kann deshalb das Reliefband der Markussäule auch nicht ‹brutto für netto› gelesen und kritiklos als Bilddokument der Kriegsereignisse gewertet werden. Die Münzen helfen vor allem, ein chronologisches Gerüst für den Gang der Ereignisse zu schaffen. Sie und die Inschriften zeugen von Expeditionen, Triumphen, imperatorischen Akklamationen und Siegestiteln. Doch gerade weil relativ viele Zeugnisse über die Markomannenkriege zur Verfügung stehen, fanden in der altertumswissenschaftlichen Forschung zahlreiche Auseinandersetzungen über deren Geschichte statt.
«Während der Partherkrieg noch geführt wurde, entstand bereits der Markomannenkrieg. Sein Ausbruch konnte so lange durch die Diplomatie der Verantwortlichen hinausgezögert werden, dass der Markomannenkrieg erst nach Beendigung des Krieges im Orient geführt zu werden brauchte. … Endlich brachen beide Kaiser [d.h. Marcus Aurelius und Lucius Verus] im Feldherrenmantel auf, als die Viktualen und Markomannen alles in Verwirrung brachten und auch andere Stämme, die sich auf der Flucht vor weiter oben [d.h. im Norden] wohnenden nachdrängenden Barbaren befanden, mit Krieg drohten, falls sie nicht [auf Reichsgebiet] aufgenommen würden.» (Historia Augusta, Marcus Aurelius Antoninus 14,1). In diesem kleinen Textausschnitt werden alle Ursachen der Markomannenkriege vorgestellt: Verschiebungen im Inneren des Barbaricums – vielleicht angetrieben durch die Abwanderung der Goten aus ihren Stammesgebieten im heutigen zentralen Polen – setzten die im unmittelbaren Vorfeld der Reichsgrenzen siedelnden Stämme unter Druck.
Archäologisch fassen wir die Goten unter der sogenannten Wielbark-Kultur. Diese breitete sich seit der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. vom nördlichen Großpolen und Pommern in Richtung Ukraine und Schwarzes Meer aus. Durch Fundkartierungen rekonstruierte Verbindungen zwischen der Niederelbe, dem Siedlungsgebiet der Langobarden, und dem Donauvorfeld erweisen, dass der Donauabschnitt zwischen den Legionslagern Brigetio (Komárom-Szöny, Ungarn) und Vindobona (Wien) seit langem eine «Schnittstelle» zwischen elbgermanischen Verbänden aus dem Norden und dem Römischen Reich bildete. Genau dort kam es im Rahmen der Markomannenkriege zu schwerwiegenden militärischen Auseinandersetzungen. Die Stämme im Vorfeld der Reichsgrenze standen bis zu dieser Zeit mit Rom in diplomatischen Beziehungen, die teilweise so eng waren, dass sie sich – wie dies etwa bei den Quaden der Fall war – mitunter sogar ihre Könige von Rom bestätigen ließen (Historia Augusta, Marcus Aurelius 14,3). Diesen Eindruck untermauert eine zwischen 140 und 144 geprägte Münze, ein sogenannter Sesterz, des Antoninus Pius mit der Umschrift rex Quadis datus – den Quaden gegebener König. Aufgrund des wachsenden Drucks durch die Bewegungen im Zentral-Barbaricum schlossen sich die Stämme im Vorfeld der römischen Grenzen zusammen. Einige der bedrohten Stämme baten nun, wie wir bereits gehört haben, zu ihrem Schutz um Aufnahme auf römisches Reichsgebiet – eine Bitte, die Rom kurzsichtig verweigerte. Kurzsichtig deshalb, weil Rom an der Donau damit die Gelegenheit versäumte, eine systematische Vorfeldsicherung einzurichten, wie sie etwa Armenien als ein Pufferstaat im Osten des Reiches gegenüber den Parthern darstellte. So machten die Neuankömmlinge eben gemeinsame Sache mit den verschmähten Grenzanrainern und unternahmen Einfälle in die provinzialrömischen Gebiete. Dabei handelte es sich nicht etwa nur um kleinere Plünderungszüge, wie sie schon zuvor stattgefunden hatten, sondern um weitreichende Vorstöße. Die natürliche Begrenzung durch die Donau reichte in diesem Falle nicht, da sich zum ersten Mal riesige germanische Verbände in deren Vorfeld vereinigt hatten. Hauptgegner des Römischen Reiches waren die Markomannen, die Quaden – die im heutigen Böhmen, Mähren sowie im Süden bis hin zum nördlichen Donauvorfeld in Österreich siedelten – und die sarmatischen Jazygen in der Donau-Theiß-Ebene.
Angesichts dieser ernstzunehmenden Bedrohung wurden bereits 165 n. Chr. zwei neue Legionen, jeweils knapp 6000 Mann starke Einheiten, aufgestellt: die legio II Italica und die legio III Italica. Das wissen wir aus der Grabinschrift des Marcus Claudius Fronto (CIL VI 1377=31640=41142), die sich auf der Ostseite des Trajansforums in Rom befindet. Dort heißt es, jener sei als ehemaliger Konsul beauftragt worden, aus der italischen Jugend Truppen auszuheben; dass es sich bei denen, die er rekrutieren sollte, nur um Bewohner Italiens handelte, ist wegen der Anwesenheit von Personen aus anderen Reichsteilen unwahrscheinlich. Die Leitung dieses Unternehmens hatte vermutlich Gnaius Iulius Verus inne, der ebenfalls ehemaliger Konsul war, unterstützt durch den Ritter Tiberius Claudius Proculus Cornelianus und weitere hohe Offiziere (L’Année Épigraphique 1953, 123). Dieser Rekrutierungsvorgang ist deshalb so bedeutend, weil es das erste Mal war seit der Germanienoffensive von Kaiser Augustus (27 v.-14 n. Chr.), dass in Italien wieder neue Truppen ausgehoben wurden. Daraus lässt sich erkennen, welche Dringlichkeit und Bedeutung Marc Aurel und Lucius Verus dieser Maßnahme angesichts der drohenden Gefahren im Norden beimaßen.