|3|Hermann-Josef Frisch

Die Welt
der Seidenstraße

Von China nach Indien
und Europa

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

|4|Impressum

Menü

|5|Inhalt

Wo Ost und West sich begegnen

Die Seidenstraße – eine Legende

Der längste Handelsweg der Welt

Drei Irrtümer

Name und Erforschung

Geografie der Seidenstraße

Wegstrecken der Seidenstraße

Anfang und Ende der Seidenstraße

Seide

Handel

Ideen und Erfindungen

Die Religionen der Seidenstraße

Völker und Sprachen

Geschichte der Seidenstraße: die Antike

Geschichte der Seidenstraße: die Blütezeit

Geschichte der Seidenstraße: die Mongolenzeit

Niccolò, Maffeo und Marco Polo

Die neue Seidenstraße

Der Weg durch China

Xian – die Kaiserstadt

Der Hexi-Korridor und Lanzhou

Bing Ling Si und der Gelbe Fluss

Die Moschee von Linxia und der Stupa von Xiahe

Das Kloster Labrang

Das Kloster Kumbum

Jiayuguan – das Ende der Chinesischen Mauer

Die Wüste Gobi

Dunhuang und die Wüste Taklamakan

Die Mogao-Grotten

Die Turpan-(Turfan-)Senke

Jiaohe und Gaochang – verlorene Pracht

Die Bezeklik-Grotten

Oasenstädte nördlich der Taklamakan

Oasenstädte südlich der Taklamakan

Kashgar – die westlichste Stadt Chinas

|6|Der Weg nach Nordindien

China

Bergwelt des Kongur Shan und Mustagh Ata

Taxkorgan und Pamirgebirge

Der Khunjerab-Pass

Der Karakorum Highway

Pakistan

Das Hunzaland

Das Gilgittal im Karakorum

Das Industal

Taxila – die buddhistische Universität

Indien

Der Weg durch den Punjab

Entlang der Yamuna und des Ganges

Varanasi, die heilige Stadt

Lumbini, Bodh Gaya, Sarnath und Kushinagara

Nalanda – das buddhistische Zentrum

Der Weg durch Zentralasien

Kirgistan

Der kirgisische Alatau und der Yssykkölsee

Die Bilder von Chopol Ata

Die Steppen Kirgistans

Usbekistan

Das Ferghanatal

Samarkand – Afrasiab – Marakanda

Samarkand – das fruchtbare Land

Buchara – die edle Stadt

Buchara – Samaniden und Karachaniden

Entlang des Amudarja

Chiwa – die Schöne

Chiwa – Hauptstadt von Choresme

Turkmenistan

Kohne Urgentsch (Köneürgenç)

Merw – Parther und Seldschuken

Iran

Mashhad – heilige Stadt der Schiiten

Tus – der Dichter Firdausi

Karawansereien in der Salzwüste Dascht-e Kawir

Ghom (Qom) – islamische Hochschulstadt

Nach Süden zur Seeroute: Isfahan

|7|Pasargadai und Persepolis

Nach Süden zur Seeroute: Schiras

Der Weg durch Vorderasien

Nach Norden: Iran

Qazvin und Sultaniyeh

Vom Elburs-Gebirge zum Kaspischen Meer

Ardabil – Seiden- und Teppichstadt

Täbris – Ostaserbaidschan

Qara Kelisa – die Schwarze Kirche

Armenien

Chor Virab – das Gründungskloster

Etschmiadsin – die armenische Kirche

Nordarmenien – karges Land

Georgien

Tiflis/Tbilissi

Mzcheta – religiöses Zentrum Georgiens

Der Weg zum Schwarzen Meer

Konstantinopel/Byzanz/Istanbul

Nach Westen: Iran

Hamadan

Kermanschah – Stadt der Sassaniden

Kurdenland und Taq-e Bostan

Westiran – der Urmiasee

Irak

Bagdad – Stadt der Abbasiden

Syrien

Städte am Euphrat

Palmyra – die Oase Tadmor

Aleppo – Hauptstadt islamischer Kultur

Von Aleppo nach Damaskus – Ebla und Hama

Damaskus – Stadt der Omayyaden

Krak des Chevaliers – die Kreuzfahrer

Libanon

Byblos – Alphabet und Papyrus

Beirut – Sidon – Tyros

Mittelmeer bis Rom

Mittelmeer bis Venedig und Genua

Die Seidenstraße – eine Perspektive

Bild- und Textnachweis

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Unterwegs in der Wüste Taklamakan, China

|9|Wo Ost und West sich begegnen

»Kaiser, Könige und Fürsten, Ritter und Bürger – und ihr alle, ihr Wissbegierigen, die ihr die verschiedenen Rassen und die Mannigfaltigkeit der Länder dieser Welt kennen lernen wollt – nehmt dieses Buch und lasst es euch vorlesen. Merkwürdiges und Wunderbares findet ihr darin, und ihr werdet erfahren, wie sich Groß-Armenien, Persien, die Tatarei, Indien und viele andere Reiche voneinander unterscheiden. Dieses Buch wird euch genau darüber unterrichten, denn Messer Marco Polo, ein gebildeter edler Bürger aus Venedig, erzählt hier, was er mit eigenen Augen gesehen hat.«

So beginnt der Reisebericht, den der venetianische Kaufmann Marco Polo (1254–1324) im Jahr 1299 in genuesischer Gefangenschaft seinem Mitgefangenen Rustichello da Pisa diktierte und der im deutschsprachigen Raum unter dem Titel »Die Wunder der Welt« bekannt ist. Von 1271–1295 war Marco Polo mit seinem Vater und seinem Onkel auf der Seidenstraße und in China unterwegs (vgl. Seite 44f.). Durch seinen Bericht wurde der große Handelsweg zwischen Europa und China ins Bewusstsein der europäischen Völker gehoben.

Doch die Geschichte dieses Wegenetzes, das erst 1877 vom deutschen Forscher Ferdinand von Richthofen (1833–1905) »Seidenstraße« genannt wurde (vgl. Seite 18f.), ist viel älter. Sie beginnt spätestens mit dem chinesischen Entdecker und kaiserlichen Gesandten Zhang Qian (195–114 v. Chr.), der im Auftrag von Wudi (156–86 v. Chr.), des bedeutendsten Kaisers der Han-Dynastie, nach Westen geschickt wurde, um dort Partner gegen die Xiongnu zu suchen, des nomadischen Volkes nördlich von China, das immer wieder das chinesische Reich durch seine überraschenden Raubzüge bedrohte. Zhang Qian reiste zweimal nach Westen: Von 139–126 v. Chr. kam er entlang der Wüste Taklamakan (vgl. Seite 68f.) bis ins Fergahanatal (vgl. Seite 116f.) und nach Baktrien in das Gebiet des heutigen Afghanistan, Usbekistan und Turkmenistan. Seine zweite Reise führte ihn von 115–114 v. Chr. wiederum ins Ferghanatal in das Gebiet Sogdiens (heute Kirgistan und das östliche Usbekistan). Zhang Qian verfasste über beide Reisen einen ausführlichen Bericht, in dem er |10|die vielen Völker und Kulturen, die er kennen lernen konnte, genau beschrieb. Sein Fazit der beiden Reisen gibt die Bedeutung der Handelswege von China nach Westen wieder: »Aus dem Wissen des anderen kommt uns die Erkenntnis des eigenen Lebens.«

Das ist neben Handel, Technik, Erfindungen und Religionen, die über das Netz der Seidenstraße zwischen Ost und West wanderten, wohl die wichtigste Bedeutung dieser zentralen Verbindung von Asien und Europa: Wo Ost und West sich treffen, wo Asien und Europa sich austauschen, wo sich die vielen Völker Ost-, Zentral- und Vorderasiens mit denen Europas begegnen, da findet nicht nur Handel und Austausch von Gütern statt, sondern da wächst ein besseres Verständnis des Lebens der anderen. Ein solches Kennenlernen anderer Völker und Kulturen ist eine Bereicherung auch des eigenen Lebens. Die Seidenstraße ist eine Brücke zwischen Ost und West.

Marco Polo war auf dem Hinweg drei Jahre unterwegs, bis er den Hof des Mongolenkaiser Kubilai Khan in Khanbalik, dem heutigen Beijing (Peking) erreichte. Unsagbare Mühen auf dem Weg erforderten viel Zeit, im Winter waren die Wege über die Gebirge unpassierbar. Doch war die Seidenstraße zur Zeit der Mongolenherrschaft zumindest politisch ruhig – vergleichbar der Pax Romana im Römischen Reich erlaubte es die Pax Mongolica den drei Polos, sich ungehindert und sicher auf den weiten Weg von Europa nach China zu machen (den Rückweg legte Marco Polo zum größten Teil auf dem Seeweg zurück).

Zu anderen Zeiten waren die Routen der Seidenstraße aber durch sich bekriegende Völker und durch räuberische Überfälle schwerer zu passieren als zur Zeit der Polos. Vor ihnen unternahmen wohl nur wenige Europäer die weite Reise vollständig. Denn in der Regel wurden die Waren der Seidenstraße nur ein Stück des Gesamtweges transportiert und dann in den großen Handelsorten (wie Palmyra, Chiwa, Samarkand …) an andere Kaufleute weiterverkauft. Allein die Missionare der verschiedenen Religionen aus dem persischen (Manichäismus, Zorostrismus) und nordindischen (Buddhismus) Raum (vgl. Seite 32f.) wanderten unter größten Mühen den ganzen Weg von Zentral- bzw. Südasien nach China. Umgekehrt sind dann ab der Zeitenwende auch buddhistische chinesische Mönche in die Zentren des Buddhismus nach Nordindien gewandert, um dort die zentralen Schriften des Buddhismus zu studieren und mit nach China |11|zu nehmen (vgl. hierzu den Abschnitt »Der Weg nach Nordindien«, Seite 80ff.).

Heute dauert ein Flug von Frankfurt nach Beijing etwa zehn Stunden. Auf die alten Karawanenweg, die die Polos beschritten, sind wir nicht länger angewiesen. Dennoch wird die Seidenstraße von China nach Europa in unserer Zeit als Straßennetz und als Schienenweg wieder neu ausgebaut – dies geschieht vor allem durch die chinesische Regierung. Heute kann man von Europa aus über asphaltierte Straßen nach China fahren. Zusätzlich zur Transsibirischen Eisenbahn, die am Ende des 19. Jahrhunderts von Moskau über Ulan Bator nach Beijing gebaut wurde, soll künftig auch eine chinesische Schnellbahntrasse China und Mitteleuropa verbinden und bessere, vor allem schnellere Handelsverbindungen ermöglichen (vgl. Seite 44f.).

Doch vor allem bleibt die Faszination der Seidenstraße: Unermessliche reiche Güter sind über sie transportiert worden, eine Vielfalt von Erfindungen gelangte aus China nach Europa. Umgekehrt sind die unterschiedlichsten Religionen von West nach Ost gewandert und in China an die dortige Kultur angepasst worden. Mit mehr als 10.000 Kilometern ist die Seidenstraße der längste Handelsweg der Welt. Sie bestand über 1500 Jahre und auf ihr trafen sich Händler und Kaufleute, Mönche und Missionare, Forscher und Entdecker, Krieger und Diplomaten – Asien und Europa, Ost und West.

Der Dichter Heinrich Heine (1797–1856) hat ein Gedichtfragment unter dem Titel »Teleologie«) hinterlassen, das wie folgt beginnt:

»Beine hat uns zwei gegeben

Gott, der Herr, um fortzustreben,

wollte nicht, dass an der Scholle

unsre Menschheit kleben solle.«

Die Seidenstraße ist gleichsam die Umsetzung dieses Spruches – eine faszinierende Welt, ein legendenhafter Weg. Lassen Sie sich mitnehmen auf eine Reise in die Welt der Seidenstraße.

Hermann-Josef Frisch

|12|Die Seidenstraße – eine Legende

Im Jahr 139 vor Christus, als die chinesische Han-Dynastie ihre Herrschaft gefestigt hatte und bereit war, über die Grenzen ihrer Herrschaft hinauszublicken, sandte der Kaiser Wu (Wudi, 141–87 v. Chr.) seinen erfahrenen Diplomaten Zhang Qian (195–114 v. Chr.) nach Westen. Er sollte als Kundschafter die Länder westlich von China erforschen und auch nach Verbündeten suchen, die China gegen die nomadischen Völker im Norden des Landes (vor allem die Xiongnu) beistehen würden. Zhang Qian kam auf dieser ersten Reise (139–126 v. Chr., eine zweite folgte ab 119 v. Chr) bis zum Volk der Yuezhi, einem indogermanischen Volk, das vom Tarimbecken (rund um die Wüste Taklamakan) bis zum zentralasiatischen Baktrien (heute vor allem Usbekistan) herrschte. Nach seiner Rückkehr schrieb Zhang Qian einen Bericht über seine Reise für den Kaiser. Darin beschreibt er die verschiedenen Völker, die er unterwegs kennenlernte. Als Fazit nennt er einen Gedanken, der am Anfang unserer Reise in die »Welt der Seidenstraße« stehen soll:

»Mein Kaiser, es gibt nichts auf der Welt, das nicht zu einem anderen in Wechselbeziehung steht. Wenn wir nur von einem Teil ausgehen, können wir ihn nicht fassen. Erst aus dem Wissen des anderen kommt uns die Erkenntnis.«

Seit der Zeit Kaiser Wudis, also im zweiten vorchristlichen Jahrhundert, wurde die Verbindung von Ost (China) und West (Europa über Zentral- und Vorderasien) zur wohl wichtigsten Verbindung der Kontinente. Dabei ging es vorrangig um Handel (Seide, aber auch viele andere Güter, vgl. Seite 28f.), aber ebenso um den Austausch von Gedanken, Erfindungen, ja sogar Religionen. Diese Brücke zwischen Ost und West hatte bis zum 15. Jahrhundert Bestand und wurde erst viel später »Seidenstraße« genannt.

1700 Jahre Austausch zwischen Ost und West zum Vorteil beider Seiten – da ist es kein Wunder, dass heute versucht wird, die alte Seidenstraße durch eine neue »Silk Road« wieder zu beleben. Die Seidenstraße ist das Beispiel einer frühen Globalisierung, ohne sie wäre die Geschichte Europas und Asiens wohl völlig anders verlaufen. Die Seidenstraße ist wegen ihrer nicht zu unterschätzenden Bedeutung zu einer Legende geworden, die Auswirkungen hat bis heute.

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Reiter, Tang-Dynastie, Shanghai Museum, China

 

|14|Der längste Handelsweg der Welt

Von der früheren chinesischen Kaiserstadt Xian (zur Zeit der Han-Dynastie Chang’an genannt) bis Rom ist es auf dem reinen Landweg eine Strecke von ca. 11.500 km; im Einzelnen: Xian bis Kashgar, der westlichsten Stadt Chinas = 3730 km; Kashgar bis Samarkand in Usbekistan = 1265 km; Samarkand bis Mashhad im Iran = 1012 km; Mashhad bis Istanbul = 3328 km – zusammen 9335 km. Wählt man den (allerdings selten) genutzten Landweg von Istanbul nach Rom, so kommen 2219 km hinzu – zusammen überbrückt die Seidenstraße also einen Weg von 11.554 km. Zum Vergleich: Die Straßenverbindung Panamericana, die die Spitze Alaskas mit dem südamerikanischen Feuerland (Chile/Argentinien) verbindet, hat eine ungefähre Länge von 25.750 km. Die Panamericana wurde allerdings nie auf ihrer ganzen Länge als Handelsweg genutzt, sondern immer nur in Teilstücken. Auch ist sie an zwei Stellen in Mittelamerika und Kolumbien unterbrochen. Von ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung her ist die Panamericana in keiner Weise mit der Seidenstraße zu vergleichen. Die Weihrauchstraße (etwa von Sanaa im Jemen bis Damaskus in Syrien) hat eine Länge von ca. 3000 km. Sie hatte rein wirtschaftlich eine vergleichbare Bedeutung wie die Seidenstraße, allerdings fehlte hier weithin der kulturelle Austausch.

Straße bei Dunhuang, China

|15|Der Weg von Xian in China nach Varanasi in Indien durch die Karakorumschlucht, den Punjab und die Gangesebene hat eine Länge von ca. 5700 km. Von Varanasi aus sind es bis ins Mittlere Land, wo der Buddha lebte, nur wenige hundert Kilometer: ca. 330 km nach Norden zur Geburtsstätte des Buddha in Lumbini (heute in Nepal) oder 255 km nach Südosten bis nach Bodh Gaya, dem Ort seiner Erleuchtung.

Die Seidenstraße in ihren beiden Wegstücken von China nach Europa und nach Nordindien kann also zu Recht als der längste Handelsweg der Welt bezeichnet werden. Über 1700 Jahre hinweg wurden hier die Hochkulturen China, Indien und Europa aneinander gebunden, Waren getauscht (in beide Richtungen), Erfindungen und Ideen weitergegeben (meist von China nach Europa), Religionen verbreitet (diese meist von West nach Ost).

Die Transportmittel der Seidenstraße waren je nach geografischen und klimatischen Bedingungen unterschiedlich: Wo es möglich war, wählte man Pferde- und Eselskarren, doch in Wüsten- und Steppengebieten waren Kamele gefragt. Im riesigen Netz der Handelsstationen auf den verschiedenen Strecken der Seidenstraße gab es überall Karawansereien und Handelsstationen, wo verkauft, gekauft, getauscht und vor allem umgeladen wurde. In beide Richtungen verteuerten sich so die gehandelten Güter durch die Gewinnspanne der verschiedenen Händler, aber auch durch Zölle und Abgaben.

Basar, Damaskus, Syrien

|16|Drei Irrtümer

In Europa kennen wir aus der Antike das römische Straßensystem, das die verschiedenen Teile des Römischen Reiches über viele tausend Kilometer hinweg verband und die Grundlage dieses Reiches darstellte. Diese Staats- und Heerstraßen dienten nicht allein dem Handel zwischen den Provinzen, sondern vor allem dem schnellen Transport von Militäreinheiten und der Sicherung der oft bedrohten Grenzen (etwa in Deutschland entlang des Limes). Die römischen Straßen waren gepflastert, Meilensteine dienten der Orientierung.

Auch die beiden großen Straßen im südamerikanischen Inkareich (die königliche Straße von Cusco nach Quito [ca. 3000 km] und die längere Küstenstraße) waren in der Ebene breite, gepflasterte Straßen, in schwierigem Berggelänge aus dem Felsen gehauene Pfade, die eindeutig erkennbar waren und deshalb zu Recht als »Straße« bezeichnet werden konnten.

All das trifft auf die Seiden»straße« nicht zu. Vielmehr müssen hier drei Irrtümer korrigiert werden:

• Die Seidenstraße war keine Straße, erst recht keine ausgebaute und gepflasterte Verbindung. Es handelt sich hierbei um ein Netz von Handelsorten und Karawansereien quer durch Asien, zwischen denen sich die Karawanen frei bewegten (meist wohl durch örtliche Führer geleitet). Es war also kein vorgegebener Weg, keine »Straße« im eigentlichen Sinn, sondern eine Vielzahl von offenen Handelswegen durch Steppe und Wüste und anderes unwegsames Gelände.

• Die Seidenstraße bestand nicht aus einem Weg, sondern war ein unübersehbares Netz verschiedenster Wege (vgl. die vereinfachte Darstellung im Vorsatz/Nachsatz dieses Buches). Solche Wege veränderten sich je nach den politischen, aber auch geografischen Gegebenheiten. Als – um ein Beispiel zu nennen – die südliche Umrundung der Wüste Taklamakan durch zunehmenden Wassermangel schwieriger wurde, wurde die Nordumgehung bedeutungsvoller (vgl. Seite 76f.). Es gab Wege der Seidenstraße, die nördlich von Aralsee und Kaspischen Meer über Südrussland das Schwarze Meer erreichten, aber es gab auch Wege durch das Bergland von Afghanistan. Die meist genutzte Route allerdings ging von Kashgar |17|aus durch das heutige Kirgistan, Usbekistan, Turkmenistan und Iran. Dort verzweigte sich der Weg in den direkten Weg zum Mittelmeer über Bagdad, Palmyra und Aleppo. Oder der Weg verlief, wenn die politische Situation anderes nicht zuließ vom Iran aus nach Norden, querte Armenien und das heutige Georgien bis zum Schwarzen Meer. Nicht eine Straße also, sondern viele Wegmöglichkeiten, sodass man nicht von einer »Seidenstraße«, sondern von »Seidenstraßen« oder »Seidenwegen« sprechen sollte.

Kamelkarren in Xinjiang, China

• Auf den Seidenstraßen wurde zwar als wichtigstes und kostbarstes Gut chinesische Seide von Ost nach West transportiert aber auch viele andere Güter in beide Richtungen (vgl. Seite 28f.). Neben der Bedeutung als Handelsverbindung wurden die Seidenstraßen in der Verbindung von China nach Europa auch zum »Transportweg« vieler Ideen und Erfindungen (vgl. Seite 30f.), in der Verbindung vom Vorderen Orient und von Nordindien zum Weg unterschiedlicher Religionen (vgl. Seite 32–35f.).

Die Seidenstraße war mithin ein Wegenetz, das den Austausch von Ost (China), West (Europa) und Süd (Indien) ermöglichte und damit Geschichte schrieb, die die großen Kulturen Asiens und Europas bis heute prägt.

|18|Name und Erforschung

Der Name Seidenstraße ist neueren Ursprungs und stammt nicht aus der eigentlichen Seidenstraßenzeit. Er wurde vom deutschen Geografen und Ostasienforscher Ferdinand von Richthofen im Jahr 1877 zum ersten Mal genutzt. Mit Richthofen beginnt auch die Reihe der großen europäischen Erforscher Zentralasiens (besonders des chinesischen Westens, der heutigen Provinz Xinjiang (veraltet Sinkiang, übersetzt »die neuen Grenzgebiete [im Westen]):

Ferdinand von Richthofen (1833–1905) war Geograph und Kartograph. Von 1860–1872 bereiste und erforschte er Ostasien, vor allem die unterschiedlichsten Provinzen in China; bis in das Gebiet des heutigen Xinjiang konnte er allerdings nicht vordringen. Den Namen Seidenstraße prägte er im Anschluss der Reise, als er eine Professur in Bonn übernahm. Später lehrte er in Leipzig und Berlin, wo u.a. Sven Hedin sein Schüler wurde.

Ferdinand von Richthofen

Albert Grünwedel (1856–1935) war Indologe, Tibetologe und Archäologe sowie Kunstgeschichtler und forschte als stellvertretender Direktor des Völkerkundemuseums in Berlin vor allem über buddhistische Kunst in Zentralasien. Er initiierte die deutschen Turfan-Expeditionen, zwei davon leitete er persönlich (1. Expedition 1902–1903, 3. Expedition 1905–1907; die 2. Expedition 1904–1905 und die 4. Expedition 1913–1914 wurde von Le Coq geleitet). Wie andere Forscher nach ihm brachte Grünwedel eine Fülle von Fundstücken und auch Teile von an Höhlenwänden angebrachten Fresken nach Deutschland, sodass sein Wirken in China heute als »Raubgrabung« bezeichnet wird. In Deutschland genoss Grünwedel allerdings durch seine den Expeditionen folgenden Publikationen hohes Ansehen.

August Albert von Le Coq (1860–1930) war als Archäologe Assistent von Albert Grünwedel in Berlin. Er leitete zwei der Turfan-Expeditionen und brachte dabei mehr Artefakte nach Europa als sein Vorgesetzter. Vor allem wird ihm heute das Zersägen der Fresken (etwa von Bezeklik, vgl. Seite 74f.) vorgeworfen, aus denen er die schönsten Stücke mit den Gesichtern der Figuren herausschnitt. Einige davon sind heute im Berliner Völkerkundemuseum zu sehen, andere wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

|19|Marc Aurel Stein (1862–1943), ein ungarischer Jude, war Archäologe und Indologe, der nach seinem Studium in London am British Museum arbeitete. Von Indien aus führte er in den Jahren 1900–1930 vier Expeditionen nach Zentralasien an, besonders in das Gebiet Xinjiangs. Für den zentralasiatischen Bereichen prägte er den Begriff Serindia (von Seres [= China] und Indien). Er entdeckte und erforschte vor allem die Vielzahl der buddhistischen Schriften in den Grotten von Mogao (vgl. Seite 66f.), die vor allem in den alten Turksprachen aufgezeichnet waren.

Marc Aurel Stein

Sven Hedin (1865–1952) ist der bekannteste der europäischen Forscher in diesem Gebiet. Nach Reisen nach Persien erforschte der schwedische Geograph auf mehreren groß angelegten Expeditionsreisen vor allem das Gebiet des Tarimbeckens mit der Wüste Taklamakan (insbesondere den wandernden See Lop Nor) und das von ihm Transhimalaya genannte Gebiet nördlich der Hauptkette des Himalaya mit den Quellgebieten des Indus und des Brahmaputra. Seine Forschungsergebnisse halfen China beim Bau von Straßen und Eisenbahnlinien. Seine Bücher »Durch Asiens Wüsten« und »Transhimalaya« werden auch heute noch gelesen.

Sven Hedin

|20|Geografie der Seidenstraße

Asien ist mit 44,6 Millionen km2 und ca. 35 % der Landmasse der größte Kontinent der Erde. In Asien leben mit ca. 4,2 Milliarden Einwohner etwa 60 % der Weltbevölkerung. Dabei sind in Asien viele globale Superlative zu finden:

• die beiden bevölkerungsreichsten Länder: China (1,37 Milliarden) und Indien (1,26 Milliarden);

• der größte Anteil am flächenmäßig größten Land: Russland (im sibirischen Teil 13,123 Millionen km2);

• die höchste Gebirgskette: Himalaya und darin alle Berge der Erde über 8000 Meter Gipfelhöhe;

• die tiefstgelegenen Stellen der Erde: das Tote Meer (–420 m unter NN), der See Gennesaret (–220 m), die Turpan-(Turfan-)Senke (–154 m).

Asien ist zudem der Erdteil mit der verschiedenartigsten Vegetation – es gibt dort im Norden den Permafrostboden Sibiriens, im Süden den Dschungel Südostasiens. Die extremen Vegetationszonen Wüste und Regenwald sind in Asien ebenso vertreten wie alle anderen auf der Erde anzutreffenden Zonen: von der Tundra bis zum Schwemmland der großen Flüsse, von der Grassteppe bis zu den vergletscherten Hochgebirgen.

Pamirgebirge

|21|Für die Routen der Seidenstraßen sind geografisch und klimatisch die enormen natürlichen Barrieren bedeutsam – deshalb konnte der gesamte Weg über diese Handelsroute (etwa von der Familie Polo, vgl. Seite 44f.) nur über meist zweijährige Reisen zurückgelegt werden. Es gibt als Hindernisse:

• Bergketten: Tian-Shan, Kunlun-Shan, Pamir, Hindukusch, Karakorum, Zagros, Kaukasus mit Gipfeln oft über 7000 m (etwa K 2.8611 m, Nanga Parbat 8125 m, Kongur-Shan 7719 m);

• Pässe: über Pamir und Hindukusch müssen höhe Pässe in menschenfeindlichem Gelände überwunden werden, der höchste Pass der Seidenstraße ist allerdings der Khunjerab-Pass (heute Grenze zwischen China und Pakistan) mit 4730 m;

• Wüsten und Steppen: Gobi und Taklamakan (China), Karakum und Kyzylkum (= »schwarzer und roter Sand«, Usbekistan), das gesamte Gebiet Turkmenistans, Kavir und Lot (Iran), die Wüste im Westen des Irak und im Osten Syriens.

Auf den Wegstrecken gibt es extreme Klimaschwankungen: In der Turpan-Senke wird es bis +50°, in der Kizilkum-Wüste und im Hochgebirge im Winter bis –40°. Überschwemmungen der Flüsse (im Frühjahr wegen Schmelzwassers und fehlender Brücken unpassierbar), Bergrutsche, Schneeverwehungen, Lawinen, Sandstürme und vieles mehr machten die Seidenstraßen zu gefährlichen Routen, die nur unter größten Mühen zu bewältigen waren.

Gelber Fluss, Qinghai, China

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Wegstrecken der Seidenstraße

Die Karte zeigt – vereinfacht – nur den Weg der Seidenstraße, der am häufigsten genutzt wurde; die vielen Alternativen, also Seidenstraßen, sind hier nicht dargestellt. Anfang und Ende, also je nach Sicht der Landweg innerhalb Zentralchinas und der Seeweg durch das Schwarze Meer und das Mittelmeer werden auf der folgenden Seite erläutert. Ebenfalls ist hier der Seeweg von Bandar Abbas im Iran durch den Persischen Golf und das Rote Meer nicht wiedergegeben.

Der Hauptweg der Seidenstraße lässt sich in folgende Wegstücke einteilen (vgl. auch die Kapiteleinteilung dieses Buches):

Der Weg durch China führte von der Kaiserstadt Xian (oder von Luoyang bzw. in der Mongolenzeit von Beijing aus) an die westliche Grenze des chinesisches Raumes, nach Kashgar. Dabei führte der Weg zuerst durch die fruchtbaren Lössgebiete entlang des Gelben Flusses, die notwendige Überquerung des Flusses selbst war gefährlich und mühsam. Je weiter man nach Westen kam, umso unfruchtbarer wurde das Land. Zuerst gab es noch weites Grasland, |23|dann aber nur noch Steppe und ab Dunhuang die riesige und nur mit größter Mühe zu überwindende oder umrundende Taklamakan-Wüste. Kashgar war Oasen- und Handelsstadt.

Der Weg nach Nordindien führte von Kashgar aus in das »Mittlere Land«, in dem der Buddha gelebt hatte – östlich und nördlich von Varanasi. Dabei waren zuerst die Ausläufer des Pamir zu überwinden, dann der Khunjerab-Pass, der zur äußerst schwierigen Karakorum-Schlucht führte. Im Tiefland war der Weg durch den Punjab und die Yamuna- bzw. Gangesebene dagegen einfach.

Der Weg durch Zentralasien überquerte den Tian-Shan und verlief dann durch die Wüsten von Karakum und Kizilkum und durch die Steppen und Wüsten des heutigen Turkmenistans und des Irans bis in den Westiran.

Der Weg durch Vorderasien erforderte je nach politischer Lage bei der Stadt Qazvin die Entscheidung, den direkten Weg zum Mittelmeer zu gehen: durch den heutigen Irak und durch Syrien bis in den heutigen Libanon. Eine Alternative war der Weg nach Nordwesten: durch den Nordiran in das armenische Gebiet und dann durch das Gebiet des heutigen Georgien bis zum Schwarzen Meer.

|24|Anfang und Ende der Seidenstraße

Westliche Ausgangspunkte der Seidenstraße waren:

Rom: Die mittelitalienische Stadt mit heute ca. 3 Millionen Einwohnern wurde der Legende nach im Jahr 753 v. Chr. gegründet, war zuerst ein kleines Königreich, dann ab dem 5. vorchristlichen Jahrhundert eine Republik. Ab 27 v. Chr. wurde das inzwischen den gesamten Mittelmeerraum umfassende Reich unter Augustus (63 v. Chr. bis 14 n. Chr.) zum Kaiserreich. Die über die Seidenstraße transportierten Waren erreichten Rom über seinen Hafen Ostia oder auf dem Landweg von Brindisi aus. Die Römer hatten nur sehr vage Vorstellungen von einem östlichen Land Serica, in welchem die kostbare Seide auf Büschen wuchs …

Konstantinopel: