BECK’S HISTORISCHE BIBLIOTHEK
BHB
–
Geschichte eines Weltreichs
Verlag C.H.Beck
Das Bild des Britischen Empire schwankt in der Geschichte: Je nachdem, welchen Kontinent und welche Epoche der Historiker in den Blick nimmt, wechselt das Bild und ändern sich die Maßstäbe für dessen Interpretationen. Zu unterschiedlich waren die Länder und Völker, über die die Briten auf unterschiedliche Weise herrschten. Sie eroberten und gestalteten ihr Empire als beutelüsterne Seeräuber und nüchterne Kaufleute, als wagemutige Seefahrer und Entdecker, aber auch als ausbeuterische Plantagenbesitzer und Sklavenhändler, als engstirnige Militärs und als idealistische Missionsschwestern, als deportierte Londoner Taschendiebe und als hart arbeitende Farmer, als politische Visionäre und als schlichte Distriktbeamte. Und sie taten dies in Auseinandersetzung und auch in Zusammenarbeit mit den jeweils Beherrschten, die auf ihre Art, durch ihren Widerstand und auch durch ihre Kooperation, ihren Beitrag zur Gestaltung des Empire leisteten. Wie stets und überall in der Geschichte stehen den Erfolgen der Sieger und den Gewinnen der Profiteure die Schicksale der zahllosen Opfer gegenüber, der Unterlegenen und Ausgebeuteten – der bis zur physischen Vernichtung verfolgten Ureinwohner wie der nordamerikanischen Indianer oder der Bewohner Tasmaniens, der Millionen von schwarzen Sklaven, aber auch der britischen Soldaten, die zwischen 1793 und 1798 in St. Domingo an Gelbfieber und anderen Tropenkrankheiten starben.
Peter Wende, international renommierter Kenner der englischen Geschichte, nimmt in dem vorliegenden Band all diese Aspekte in den Blick und erzählt in seiner großen Gesamtdarstellung die Geschichte des Britischen Empire von dessen Anfängen in der Frühen Neuzeit bis zu seiner Auflösung im 20. Jahrhundert und seiner Transformation zum Commonwealth.
Peter Wende ist Professor em. für Neuere Deutsche Geschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität zu Frankfurt am Main. Von 1994 bis 2000 war er Direktor des Deutschen Historischen Instituts London.
Für Irina
Prolog
I. Vorgeschichte
II. Das ältere Empire – Handel und Herrschaft (1607 – 1783) …
1. Die Kolonien
2. Der Handel
3. Schiffahrt und Seemacht
4. Politische Organisation
5. Aufstieg zur Weltmacht
6. Krise und Ende des älteren Empire
7. Zwischenbilanz I
III. Das klassische Empire – Herrschaft und Mission (1784 – 1914)
1. Allgemeine Tendenzen und Strukturen: Seemacht – Handel – territoriale Expansion – globale Mission
2. Indien
3. Die ersten Dominions
4. Afrika – Vom Kap bis Kairo
5. England und sein Empire im Zeitalter des Imperialismus
6. Zwischenbilanz II
IV. Ende und Erbe – Vom Empire zum Commonwealth
1. Krisenmanagement (1914 – 1945)
2. Das Ende des indischen Reiches
3. Imperiales Intermezzo im Nahen Osten
4. Der Rückzug aus Afrika
5. Vom British Commonwealth zum «People’s Commonwealth»
V. Bilanz
ANHANG
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der Kolonien, Dominions, Protektorate und Mandatsgebiete des Empire
Zeittafel
Register der Personen und geographischer Begriffe
Verzeichnis der Karten
Nordamerika im späten 17. Jahrhundert
Ungefähre Dauer der Seereisen von und nach England im 18. Jahrhundert
Das Britische Empire 1815
Indien 1783
Indien 1909
Britisch-Nordamerika und das Dominion Kanada
Australien im 19. Jahrhundert
Südafrika in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Großbritannien und die Aufteilung Afrikas (1914)
Das Britische Empire 1930
Die Teilung Indiens 1947
Großbritannien und der Nahe Osten nach dem Ersten Weltkrieg
Britische Dekolonisation in Afrika
Überreste des Empire 1998
Das Commonwealth 1998
‹The conquest of the earth,
which mostly means the taking it away
from those who have a different complexion
or slightly flatter noses than ourselves,
is not a pretty thing when you look into it too much.
What redeems it is the idea only …›
(Joseph Conrad, Heart of Darkness)
«Die Geschichte eines Imperiums ist umso schwieriger zu schreiben, je länger es bestand, je weiter es sich geographisch ausdehnte, je dezentraler es organisiert war, je mehr es nicht nur formelle Kolonialherrschaft, sondern auch ‹informal empire› in unterschiedlichen Schattierungen umfaßte … Es ist deshalb kein Wunder, daß es … bis heute keine überzeugende Totalinterpretation des britischen Empire (gibt)» – schrieb zu Recht vor anderthalb Jahrzehnten Jürgen Osterhammel, einer der besten Kenner der außereuropäischen Geschichte.[1] Dieser Satz besitzt noch heute seine Gültigkeit und wird auch nach dem Erscheinen dieses Buches gelten, denn ich hatte zu keiner Zeit die Absicht, eine umfassende oder gar ‹abschließende› Geschichte des Britischen Empire vorzulegen. Vielmehr soll hiermit dem deutschen Leser eine einführende Orientierung an die Hand gegeben werden, zumal bis heute keine derartige Überblicksdarstellung in deutscher Sprache vorliegt, das Empire allenfalls als Teilaspekt der britischen Geschichte in Erscheinung getreten ist.[2] Dies kann keineswegs genügen angesichts des offenkundigen Ausmaßes und der Vielfalt, mit der das Britische Empire unsere gegenwärtige Welt geprägt, ja zum Teil in ihrer jetzigen Gestalt hervorgebracht hat. Wer in dieser Welt Orientierung sucht, ist auf die Geschichte ihrer Entstehung verwiesen, die nicht von der Geschichte des Britischen Empire getrennt werden kann.
Darüber hinaus hat mich ein ganz persönliches Motiv zu diesem Unternehmen veranlaßt. Seit meinem Studium, d.h. seit ca. fünfzig Jahren, habe ich mich immer wieder mit Themen und Problemen der englischen Geschichte beschäftigt, von Detailstudien mit Schwerpunkt auf dem 17. Jahrhundert als der Epoche der Revolutionen, bis hin zu Versuchen einer Gesamtdarstellung der britischen Geschichte. Dabei wurde mir immer deutlicher, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang den verschiedenen Formen und Phasen der britischen Expansion nach Übersee zukommt. Und so soll mit diesem Buch bislang Versäumtes nachgetragen werden, ohne daß die Geschichte des Empire mein spezielles Forschungsgebiet geworden wäre. Allerdings habe ich im Laufe von mehr als zwanzig Jahren akademischer Lehre wiederholt Übungen und Seminare aus diesem Themenfeld angeboten wie auch einen entsprechenden Vorlesungszyklus, der durch zahlreiche Erweiterungen und Korrekturen ergänzt zum Ausgangspunkt für die vorliegende Darstellung geworden ist. Wenn ich mich dabei bemüht habe, vor allem neuere Forschungsergebnisse zu berücksichtigen, so soll hier weder der Anspruch auf Vollständigkeit noch auf jeweils angemessene Gewichtung erhoben werden – die unübersehbare Fülle neuerer Studien steht dem entgegen. Freilich bestand auch nicht die Absicht, eine komplette Bestandsaufnahme der Empire-Forschung vorzulegen – eine Aufgabe, die allenfalls von einem Expertenkollektiv, und dann auch nur für einen begrenzten Zeitraum, zu leisten wäre.
Was jedoch heißt ‹Empire›? Wie alle Begriffe der politischen Sprache, so hat auch der des ‹Empire› zu verschiedenen Zeiten Unterschiedliches bedeutet. Wenn z.B. ein vom englischen Parlament im Jahr 1533 verabschiedetes Gesetz feststellte: «… England is an empire …»,[3] und dies zu einer Zeit, als die englische Krone – abgesehen von der Hafenstadt Calais – über keinerlei Besitzungen außerhalb des Inselarchipels gebot, dann sind hier sämtliche Assoziationen mit dem künftigen überseeischen Reich fehl am Platz. Denn es handelte sich dabei um die umgangssprachliche Version des dem römischen öffentlichen Recht entstammenden Begriffs Imperium. Dieser bezeichnete ursprünglich die uneingeschränkte Autorität eines militärischen Befehlshabers und wurde dann als Synonym für Herrschaft sowie zur Bezeichnung des beherrschten Territoriums verwendet. Im Zeitalter der Renaissance diente der Begriff den englischen Rechtsgelehrten zur Charakterisierung einer souveränen staatlichen Gewalt, die, in Analogie zum Römischen Reich, keine Autorität über sich anerkennt. Und sie bedienten sich seiner, um, wie etwa in dem Gesetz von 1533, aus Anlaß der Reformation im Streit mit Rom dem päpstlichen Stuhl gegenüber die völlige Unabhängigkeit der englischen Krone auch in Glaubensdingen zu rechtfertigen.
Im 17. Jahrhundert wurde ‹Empire› dann gelegentlich zur Bezeichnung einer unter einem Herrscher vereinten Gemeinschaft von Ländern und Völkern verwendet, etwa wenn mit Blick auf die durch König Jakob I. von England vollzogene Personalunion mit Schottland von einem ‹Empire of Great Britain› die Rede war.[4] Doch selbst nach der 1707 in aller Form vollzogenen staatsrechtlichen Vereinigung setzte sich dieser Begriff nicht als Synonym für Great Britain bzw. nach 1801 für The United Kingdom of Great Britain and Ireland durch. Vielmehr wurde es üblich, nun in erster Linie die amerikanischen Kolonien als English oder British Empire in America zu bezeichnen, dann aber auch schon bald das gesamte Kolonialreich, das sich, wie Edmund Burke es beschreibt, «to the farthest limits of the east and of the west» erstreckt.[5] Im 19. Jahrhundert – seit dessen Mitte und vor allem in der Epoche des Imperialismus – meint British Empire schließlich die Totalität des weltweiten britischen Herrschaftssystems in all seinen verschiedenen Ausformungen und Abstufungen von Machtausübung und politischer und ökonomischer Einflußnahme.
In diesem Sinne dient der Begriff der vorliegenden Darstellung zur Bezeichnung ihres Gegenstandes, umschließt er die Summe von globalen Handelsbeziehungen, einem Netz von Flottenstützpunkten, Siedlungs- und Beherrschungskolonien, Protektoraten und schließlich dem Verbund von souveränen Staaten, wie sie zuletzt im Commonwealth zusammengeschlossen sind.
Dieses Empire war ein Imperium, d.h. ein Gebilde politischer Herrschaft, das zugleich mehr und weniger als ein Staat war. Es war mehr als ein bloßer Staat aufgrund seiner weltweiten Ausdehnung, die zugleich die Basis für eine Weltmachtstellung bildete, die zumindest zeitweilig Großbritannien die Position einer konkurrenzlosen Hegemonialmacht verschaffte. Es war weniger als ein Staat, da es weder über eindeutige Grenzen verfügte noch einen gleichmäßig und umfassend integrierten Gesamtkomplex bildete. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein galt, daß die Grenzen des Empire vielerorts fließend waren, denn «imperiale Grenzen trennen keine gleichberechtigten politischen Einheiten, sondern stellen eher Abstufungen von Macht und Einfluß dar»[6]. Und wie bei allen Imperien lassen sich im Empire ein Zentrum – der Nationalstaat Großbritannien als die eigentliche Machtzentrale – und die von ihm mit von Ort zu Ort und Zeit zu Zeit wechselnder Intensität beherrschte Peripherie unterscheiden. Dabei gilt besonders für das Britische Empire, daß die Beziehung zwischen Zentrum und Peripherie keineswegs als einseitiges Abhängigkeitsverhältnis erscheint, bei dem alle Dynamik ihren Ursprung in der Zentrale hat, sondern daß von Fall zu Fall auch Impulse von der Peripherie ausgingen.
Deswegen soll die Geschichte des Empire im Folgenden als die Geschichte eines ständigen Wechselverhältnisses dargestellt werden: als die Geschichte eines pulsierenden, von einer Vielzahl von Faktoren beeinflußten Beziehungsgeflechts und nicht etwa als die Summe der Geschichten Englands, Kanadas, Australiens, Indiens, Nigerias usw. Diese finden lediglich punktuell Berücksichtigung und zwar dann und dort, wo sie Schwer- oder Wendepunkte in der Geschichte des Gesamtreiches markieren. Wenn dabei Irland keine besondere Erwähnung erfährt, obwohl diesem Land öfters eine Pilotfunktion für das frühe Empire wie auch für dessen Auflösung zugemessen wird, so deswegen, weil die englische Irlandpolitik letztlich stets britische Politik war, die darauf abzielte, Irland nicht als Teil des Empire zu behandeln, sondern, wie zuvor Wales und Schottland, dem Vereinigten Königreich zu inkorporieren. Dies ist dann auch 1801 zumindest für die Dauer von 120 Jahren verwirklicht worden.
Nicht zuletzt geht es mir in dieser Überblicksdarstellung darum, durch die Akzente, die ich setze, Schneisen in einem Informationsdickicht zu schlagen für Wege, auf denen der Leser gegebenenfalls weitere Informationen erwerben kann. Diesem Ziel dient auch die kommentierte Auswahlbibliographie, die zugleich jene Publikationen nennt, auf die ich mich in vielfältiger Weise gestützt habe. Die Anmerkungen beschränken sich in erster Linie auf den Nachweis von wörtlichen Zitaten. Schließlich möchte ich an dieser Stelle all jenen meinen Dank sagen, von deren Arbeiten ich auf die eine oder andere Weise profitiert habe, sei es, daß ich die Ergebnisse ihrer Forschungen übernahm, sei es, daß mich ihre Urteile zu eigenen Einschätzungen angeregt haben.
Frankfurt am Main, im November 2007 |
Peter Wende |
Im August des Jahres 1415 eroberten portugiesische Truppen die afrikanische Hafenstadt Ceuta an der östlichen Einfahrt zur Straße von Gibraltar; und zwei Monate später, am 25. Oktober, errang das Heer des englischen Königs Heinrich V. bei Azincourt einen eindrucksvollen Sieg über die zahlenmäßig überlegene Streitmacht des französischen Herrschers Karl VI.: beides bedeutsame militärische Ereignisse – wenn auch mit höchst unterschiedlichen Folgen. Die Eroberung Ceutas steht durchaus noch in Zusammenhang mit der iberischen Reconquista – der Jahrhunderte währenden Kämpfe der christlichen Staaten auf der Pyrenäenhalbinsel gegen die moslemische Vorherrschaft –, doch da die Araber bereits vom portugiesischen Boden vertrieben waren, verfolgte man jetzt den traditionellen Gegner über die Meerenge hinaus bis nach Afrika und begnügte sich nicht damit, lediglich reiche Beute zu machen: Die eroberte Hafenstadt wurde vielmehr zum Marinestützpunkt ausgebaut – zum Schutz des eigenen Handels und als Basis für weitere Unternehmungen im marokkanischen Raum. Überdies konnte man nun Einfluß auf den Karawanenhandel durch die Sahara gewinnen, denn Ceuta war ein bedeutender Umschlagplatz für den Warenverkehr im Mittelmeerraum. Zudem war einer der Befehlshaber auf portugiesischer Seite Prinz Heinrich, dem man später den Beinamen ‹Der Seefahrer› zulegte, weil er im Laufe der folgenden Jahre die maritimen Aktivitäten Portugals nachhaltig initiierte und förderte, über die später der Seeweg nach Indien erschlossen und die portugiesische Kolonialmacht etabliert wurde. Mit der Einnahme Ceutas begann – historisch gesehen – die überseeische Expansion Europas und eine neue welthistorische Epoche, das Zeitalter der Entdeckungen, die meist schon bald in Eroberungen umschlugen.
Für die Zeitgenossen blieb Ceuta gleichwohl allenfalls ein Randereignis – im Gegensatz zur Schlacht von Azincourt und ihren unmittelbaren militärischen und politischen Auswirkungen. Denn der englische König Heinrich V. sah mit diesem spektakulären Sieg vor aller Welt seinen Anspruch auf den französischen Thron bestätigt. Damit war eine weitere Phase des hundertjährigen Krieges eingeleitet, der bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts die politischen und ökonomischen Energien Englands binden, ja über Gebühr strapazieren sollte. Und während im Mittelmeerraum italienische Handelsstädte sowie die beiden iberischen Monarchien im 15. Jahrhundert darangingen, die überseeische Expansion Europas einzuleiten, blieb England daher trotz seiner atlantischen Randlage auf den europäischen Kontinent fixiert.
Die Ursachen hierfür waren vielfältig. Krone und Adel, beide normannischen Ursprungs, waren, nicht zuletzt auf Grund bestehender Rechts- und Besitzverhältnisse, traditionsgemäß auf Frankreich hin orientiert. Von 1066 bis zum Ende des hundertjährigen Krieges hatte der englische König stets auch über – oft sogar ausgedehnte – Teile Frankreichs geherrscht. Das hoch- und spätmittelalterliche England war kein Inselstaat. Allerdings war das Interesse der Krone immer wieder darauf gerichtet, die politische Einheit der Insel herzustellen. So wurde Wales unterworfen, und englische Herrscher hatten mehrfach versucht, Schottland untertan zu machen. Später geriet dann auch Irland ins Visier englischer Expansionsbestrebungen, die damit freilich auf die unmittelbaren Grenzbereiche Nordwesteuropas beschränkt blieben.
Ähnliches gilt für ökonomische Strukturen und Interessen. Im Mittelalter war England noch keine Handelsmacht, und da jeder Handel mit der Insel von Natur aus maritim sein mußte, auch noch keine Seemacht. Trotz der häufigen militärischen Expeditionen nach Frankreich gab es keine königliche Flotte, statt dessen waren bei solchen Unternehmungen die fünf Hafenstädte Hastings, Dover, Sandwich, Romney und Hythe nach geltendem Lehnrecht verpflichtet, ihre Schiffe zur Verfügung zu stellen; als Gegenleistung hatten diese cinque ports dafür bestimmte Privilegien erhalten. Auch über eine nennenswerte Handelsflotte verfügte England damals noch nicht. Als Endpunkt großer europäischer Handelsrouten wurde die Insel vorwiegend von ausländischen Kauffahrtsschiffen angesteuert. Begehrte Importwaren lieferten die Hanse und aus dem Mittelmeerraum vorwiegend italienische Kaufleute. Dies war durchaus auch im Interesse der königlichen Finanzverwaltung, denn Ausländer waren leichter zu besteuern – vor allem dann, wenn sie, wie die Hanse, über ein Monopol verfügten. Und auch die englischen Exporte – zunächst vorwiegend Wolle, später auch zunehmend Tuche – wurden anfangs von Ausländern besorgt, bis sich nach und nach auch Einheimische als Händler betätigten. Von einem Fernhandel konnte allerdings auch dann nicht die Rede sein, denn diese Händler bedienten vor allem Antwerpen als den nächstgelegenen Stapelplatz.
Angesichts der engen Bindung seiner ökonomischen und politischen Interessen an den europäischen Kontinent blieb England im ersten Jahrhundert des Zeitalters der Entdeckungen Außenseiter bzw. Nachzügler. Die einzige Ausnahme waren die beiden Reisen, die John Cabot 1497 und 1498 im Auftrag der englischen Krone unternahm. Kurz zuvor noch hatte Bartolomé, der Bruder von Christoph Kolumbus, als er an den Höfen von Paris und London für das kühne Projekt seines Bruders warb, von Heinrich VII. einen ablehnenden Bescheid erhalten. Doch als der gebürtige Genuese und venezianische Staatsbürger Giovanni Cabotto, seit 1495 als Kaufmann unter dem Namen John Cabot in Bristol ansässig, sich erbot, einen kürzeren Weg nach Indien bzw. direkt zur Gewürzinsel ‹Cipango› zu finden, gewährte ihm der englische Monarch ein entsprechendes Entdeckerpatent. Heinrich sah England wohl angesichts des Erfolgs von Kolumbus ins Hintertreffen geraten und stattete daher Cabot und dessen Söhne mit dem Recht aus, «auf eigene Kosten … alle möglichen Länder, Gegenden und Gebiete der Heiden und Ungläubigen … aufzufinden, zu entdecken und zu untersuchen, soweit sie bisher den Christen unbekannt waren».[1]
Im Mai 1497 segelte Cabot schließlich mit einem kleinen Schiff und nur 18 Mann Besatzung nach Westen. Vom Verlauf der Reise ist kaum etwas überliefert. Als man jedoch am 6. August wieder in Bristol eintraf, lautete die Erfolgsmeldung, daß man eine bislang unbekannte ferne Küste jenseits des Meeres für England in Besitz genommen habe. Bis heute besteht keine letzte Klarheit darüber, wo genau die Expedition gelandet war; es gilt jedoch als wahrscheinlich, daß Cabot, der sich selbst in China wähnte, wohl Neufundland erreicht hatte. Obwohl er bei seiner Rückkehr keinerlei Schätze geladen hatte, motivierte der Erfolg hinreichend für die Ausrüstung einer zweiten Reise. Diesmal verließen fünf Schiffe im Mai 1498 den Hafen von Bristol. Eines kehrte, nachdem es in Seenot geraten war, schon bald zurück. Von den anderen samt ihrem Oberbefehlshaber Cabot fehlt bis heute jede Spur. Dennoch wurden von Bristol aus noch einige weitere Reisen nach Westen unternommen. Von der einen brachte man 1502 sogar drei Eskimos mit nach England. Und 1508 versuchte Cabots Sohn Sebastian vergeblich, eine Nordwest-Passage zum Orient zu erschließen, trat dann aber in spanische Dienste, denn in England war das Interesse an weiteren überseeischen Unternehmungen vorerst erlahmt. König Heinrich VIII. (1509–1547) war vielmehr wieder bestrebt, im Kampf gegen Frankreich Ruhm auf europäischen Schlachtfeldern zu erringen.
So fand die europäische Expansion zunächst auch weiterhin ohne englische Beteiligung statt. Erst zur Mitte des 16. Jahrhunderts wurden unter veränderten Bedingungen abermals Expeditionen organisiert und Aktivitäten entfaltet, mit denen eine Entwicklung eingeleitet wurde, die in der Errichtung eines weltumspannenden Handels- und Kolonialreichs gipfelte.
Am Anfang stand eine vorwiegend ökonomisch bedingte Krisensituation. Einerseits hatte England auf der Basis moderner Produktionsweisen der Landwirtschaft so etwas wie eine kleine industrielle Revolution› erlebt, nicht zuletzt durch eine rasch expandierende Textilproduktion. Andererseits begannen die Tuchexporte seit der Jahrhundertmitte zu sinken, was dramatische Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft und damit auf die allgemeinen Lebensverhältnisse zur Folge hatte. Ursache dieser ökonomischen Krise war nicht nur die angesichts zunehmender internationaler Konkurrenz sinkende Nachfrage für englische Produkte auf dem mitteleuropäischen Markt, sondern auch die Auswirkungen wachsender politischer Spannungen zwischen dem protestantischen England und Spanien als der Vormacht der Gegenreformation. Als Herrscher über die spanischen Niederlande ließ Philipp II. wiederholt den wichtigen Stapelplatz Antwerpen für englische Kaufleute sperren, bis dieser Hafen schließlich mit dem Aufstand der Niederländer gegen die spanische Herrschaft seine bisherige Bedeutung für den internationalen Warenaustausch einbüßte.
Die Krise des wichtigsten exportabhängigen englischen Wirtschaftszweiges erzwang einerseits die Suche nach neuen Märkten und Absatzwegen für den Tuchhandel und andererseits die Erschließung neuer Investitionsmöglichkeiten für das bislang im Textilgewerbe gebundene Kapital. Hinzu kamen neue Vermögen, die im Zusammenhang umfangreicher Transaktionen – nach der Säkularisation kirchlichen Landbesitzes – erworben worden waren und nun gewinnbringende Anlagemöglichkeiten erforderten.
Große Gewinnspannen versprachen in erster Linie entweder Unternehmungen, die, orientiert an der Beute der Spanier in Mexiko und Peru, zu Gold- und Silberschätzen in Übersee führten oder zur unmittelbaren Teilhabe am lukrativen Fernhandel mit den begehrten Erzeugnissen des fernen Orient, vor allem dem Gewürzhandel. Für dergleichen Projekte ließ sich nun in London Kapital aufbringen, und dementsprechend war es der private Sektor, von dem die entscheidenden Impulse für die großen Entdeckungsexpeditionen und Handelsfahrten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ausgingen.
Mit diesen neuen, auf Übersee ausgerichteten merkantilen Interessen befand sich England durchaus im Einklang mit den kontinentaleuropäischen Tendenzen. Überall nahm die Nachfrage nach Luxusgütern, nach wertvollen Textilien wie Samt und Seide und bald auch Baumwolle, nach Zucker und Gewürzen, nach Gold- und Silberwaren, d.h. vor allem nach Gütern überseeischer Provenienz auf nachgerade spektakuläre Weise zu. Wenn davon entscheidende Impulse für einen weltweiten Fernhandel ausgingen, in dem z.B. in Südamerika erbeutetes Silber letztendlich nach Asien transferiert wurde, um so den Bedarf europäischer Konsumenten an Gewürzen zu decken, dann stand damit nicht das Interesse Europas an neuen Absatzmärkten, sondern an exotischen Importen am Anfang des Ausbaus eines globalen merkantilen Systems, an dem nun auch die englischen Kaufleute teilhaben wollten.
Dem standen jedoch zunächst bedeutsame Hindernisse entgegen, denn England konnte hier nur noch als Nachzügler agieren. Allzu spät hatte man realisiert, daß die Insel nach der Entdeckung Amerikas aus ihrer europäischen Randlage ins Zentrum eines neuen atlantischen Beziehungsgeflechts gerückt war. Denn die Welt, so schien es, war bereits aufgeteilt. Nachdem Spanien und Portugal 1479 im Frieden von Alcacovas ihre Einflußsphären an der afrikanischen Westküste gegeneinander abgegrenzt hatten, teilten sie nach der ersten Reise von Kolumbus 1494 im Vertrag von Tordesillas die Welt entlang des 46. Längengrades untereinander auf: Alles, was westlich dieser Demarkationslinie «gefunden und entdeckt worden ist … und … gefunden und entdeckt werden wird», sollte dem König von Spanien gehören. Für den östlichen Bereich galt das gleiche für Portugal, dem somit der Seeweg nach Asien und Brasilien vorbehalten war, während Spanien den übrigen amerikanischen Kontinent für sich in Anspruch nehmen konnte. Tatsächlich wurden diese Ansprüche weitgehend eingelöst. Im Osten stießen die Portugiesen bis nach China und Japan vor und nahmen vor allem entscheidenden Einfluß auf den lukrativen Gewürzhandel, dessen Zentren Goa und die Molukken waren. Im Westen, in Mittel- und Südamerika, errichteten hingegen die Spanier ihr Imperium und beuteten systematisch dessen reiche Edelmetallvorkommen aus. Dies hieß zugleich, daß, wer immer sich noch an der Aufteilung der überseeischen Welt beteiligen wollte, entweder Konflikte mit den seit 1580 unter einer Krone vereinten Spanien und Portugal riskierte oder versuchen mußte, auf Gebiete auszuweichen, die noch nicht von den iberischen Mächten kontrolliert wurden. Die Engländer taten sowohl das eine als auch das andere.
So verließen England im Jahr 1553 drei Segler unter dem Kommando Sir Hugh Willoughbys mit Kurs nach Norden und mit dem Ziel, eine neue Route nach Asien zu erschließen, nahezu gleichzeitig brachen drei mit Kanonen bestückte Handelsschiffe mit Kurs nach Süden auf, um an der westafrikanischen Küste – also im portugiesischen Einflußbereich – Gold, Elfenbein und Pfeffer zu laden. Beide Unternehmungen waren privat, sie wurden von eigens zu diesem Zweck gegründeten Aktiengesellschaften finanziert. Und sie blieben diesmal nicht Episode, sondern fanden Nachahmung und Fortsetzung. Mit Fug und Recht läßt sich daher der Auftakt zur Ouvertüre der Geschichte des englischen Empire auf das Jahr 1553 datieren.
In der Jahrhundertmitte, vor allem seit Sebastian Cabot, der Sohn des Entdeckers John Cabot, 1547 nach England zurückgekehrt war, flammte die Diskussion um eine nördliche Route nach Asien erneut auf, und so war es das Ziel der von Sir Hugh Willoughby und seinem Lotsen Richard Chancellor geleiteten Expedition, eine Nord/Ost-Passage zu erschließen. Nachdem sie erfolgreich das Nordkap umrundet hatten, wurde die kleine Flotte zersprengt. Von Willoughby verlor sich jede Spur im arktischen Winter. Chancellor hingegen entdeckte statt eines neuen Seeweges nach Indien die unermeßliche Weite des russischen Reiches. Er erreichte das heutige Archangelsk, nahm von dort Verbindung mit Zar Iwan IV. auf und kehrte mit vielversprechenden Konzessionen für einen künftigen Handel mit Moskau zurück, so daß bereits 1555 eine entsprechende Handelsgesellschaft in London gegründet wurde (Muscovy Company). Daneben unternahmen einzelne Schiffe nach 1556 noch hie und da den Versuch, weiter im Nordosten vorzustoßen, doch ohne jeden Erfolg.
Hartnäckiger war man hingegen bei der Suche nach einer Nord/West-Passage, denn es herrschte allgemein die Ansicht, der amerikanische Kontinent bilde lediglich eine schmale Landbarriere auf dem Weg nach China. Unter dieser Voraussetzung hatte 1576 Sir Humphrey Gilbert – der später versuchen sollte, die erste englische Kolonie auf amerikanischem Boden zu gründen – einen Traktat mit dem Titel A Discourse of a Discovery for a New Passage to Cataia veröffentlicht, und im selben Jahr brach Martin Frobisher auf, diesen Weg zu finden. Er erreichte statt dessen zunächst die Küste Grönlands und wandte sich von dort nach Westen, um die nächste größere Bucht, in die er einlief, ‹Frobisher Straße› zu nennen, da er sie für das Eingangstor der ersehnten Wasserstraße hielt. Bestärkt in diesem Glauben wurde er durch den Anblick der Eskimos, die seiner Meinung nach ‹wie Tartaren› aussahen. Einen von ihnen nahm Frobisher mit zurück nach Bristol; zudem hatte er auch Gesteinsbrocken mitgebracht, die nach Meinung der Experten goldhaltig waren. Von diesem Moment an trat das wissenschaftliche Ziel der Erkundung einer Nord/West-Passage vollständig in den Hintergrund. Statt dessen wurde eine mit königlichem Freibrief ausgestattete Handelsgesellschaft gegründet, die zwei weitere Reisen Frobishers finanzierte. Von der letzten, zu der er mit einer Flotte von fünfzehn Schiffen aufgebrochen war, brachte er 1350 Tonnen mühsam abgebautes Gestein mit, in dem Glauben, es sei goldhaltig. Tatsächlich jedoch war es Pyrit, d.h. Schwefelkies, und als man die Hoffnung auf Gold schließlich begraben mußte, machte die Gesellschaft bankrott, und Frobisher ging später gemeinsam mit Drake auf Piratenfahrten in die Karibik.
Auf Frobisher folgte der wohl bedeutendste Navigator des elisabethanischen Zeitalters, John Davis, der sich wiederum ganz auf die Entdeckung der Nord/West-Passage konzentrierte und zwischen 1585 und 1587 drei Fahrten unternahm, die zumindest eine vertiefte Kenntnis des Küstenverlaufs zwischen Grönland und Neufundland erbrachten. Noch weiter nach Westen stieß 1610 Henry Hudson vor, der mit der Entdeckung der nach ihm benannten Meeresbucht den Zugang zum Land nördlich der großen nordamerikanischen Seen eröffnete. Ihm folgten Robert Bylot und William Baffin, die, indem sie die Zugänge zum Jones Sound und Lancaster Sound entdeckten, dem Ziel so nahe kamen wie keiner zuvor. Statt dessen jedoch resümierte Baffin in seinem Bericht an seine Auftraggeber, die Aktionäre der North-West Company, «daß es im Norden … weder eine Passage noch eine Hoffnung auf eine Passage gibt».
In dem Maße, wie die Entdeckungsreisen der Engländer regelmäßig an unwirtlichen Küsten in Eis und Schnee endeten und gleichzeitig die Fahrten um das Kap der Guten Hoffnung zur seemännischen Routine wurden, wenn es darum ging, zu den Schätzen Asiens vorzustoßen, verlor sich schließlich das Interesse an der Erschließung einer neuen Passage nach Osten. England sollte nicht, wie die iberischen Mächte, auf dem Wege über die Entdeckung neuer Landmassen und Wasserwege zu einem Kolonialreich gelangen, sondern in seiner Nachzüglerrolle mit Erfolg die Monopole der Vorreiter in Frage stellen und attackieren. Nicht zuletzt die oft nur notdürftig als Handelsfahrten getarnten Beutezüge der elisabethanischen Seefahrer wiesen neue Wege, an deren Ende das Britische Empire stand. Wagemutige Seefahrer und Kaufleute, aber auch Abenteurer wie Sir John Hawkins und Sir Francis Drake, die ausprobierten, wie rigoros Spanien seine Monopolansprüche im mittel- und südamerikanischen Raum durchzusetzen bereit war, standen am Anfang, und sie waren ihrerseits bereit, Gewalt gegen Gewalt zu setzen. Bewußt gingen sie ein hohes Risiko ein, denn im Falle eines Erfolges lockten hohe Gewinne. So ließen sich bei einem Einsatz von etwa 7000 Pfund für die Ausrüstung einer Expedition mit drei Schiffen mit einigem Glück Waren bzw. Beute im Wert von ca. 30.000 Pfund nach Hause bringen.
Als John Hawkins 1562 zu seiner ersten Unternehmung in die Karibik aufbrach, ließ er sich von der durchaus zutreffenden Beobachtung leiten, daß spanische und portugiesische Schiffe nicht in der Lage waren, die wachsende Nachfrage nach afrikanischen Sklaven in den spanischen Besitzungen in Westindien zu befriedigen. So drang er zunächst in portugiesisches Hoheitsgebiet in Westafrika ein, um dort z.T. mit Gewalt 300 Sklaven in seinen Besitz zu bringen, die er mit Zustimmung der lokalen Behörden, an die er entsprechende Zölle und Abgaben entrichtete, nach seiner Ankunft in Westindien verkaufte. Beladen mit Zucker und Häuten kehrte die kleine Flotte nach England zurück. Der kommerzielle Erfolg war spektakulär. Sofort wurde eine zweite Reise organisiert, diesmal sogar mit stiller Beteiligung von Königin Elisabeth und einigen Mitgliedern des königlichen Rates.
Abermaliger Erfolg ermutigte 1567 zu einem dritten Unternehmen, nun mit sechs Schiffen, darunter zwei aus der königlichen Flotte. Doch jetzt stellte ein von Spanien heransegelnder Konvoi unter dem Kommando des neuen spanischen Vizekönigs die Eindringlinge im Hafen von Vera Cruz, wo die Engländer vor einem Sturm Zuflucht gesucht hatten. Nur mit Hilfe eines entschlossenen Manövers gelang Hawkins mit zwei kleinen Schiffen die Flucht, und er erreichte schließlich mit Mühe und Not und lediglich weniger als 50 von ursprünglich 408 Mann Besatzung den Hafen von Plymouth. Dieses Mal deckte der Erlös der Beute nicht einmal die Kosten der Finanziers.
Hawkins’ Unternehmungen zeigen deutlich, wie rasch friedlicher Handel in Seeräuberei umschlug. Auf seiner letzten Fahrt hatte er vor der afrikanischen Küste portugiesische Schiffe gekapert, ohne daß England sich mit den iberischen Mächten im Kriegszustand befand, und in der Karibik pflegte Hawkins seine Preisvorstellungen gegenüber seinen Abnehmern schließlich mit Waffengewalt durchzusetzen. Bei Francis Drake, der 1567 noch unter Hawkins als Kapitän gedient hatte, traten von Anfang an räuberische Beutezüge an die Stelle von Handelsfahrten. Zwischen 1569 und 1572 segelte Drake mindestens dreimal in die Karibik, um Beute zu machen; schließlich gelang es ihm, den jährlichen spanischen Silbertransport aus den Minen von Peru mit Hilfe entflohener Sklaven auf der Landenge von Panama aufzubringen. Als er mit reichen Schätzen nach England zurückkehrte, betrug sein Anteil an der Beute mehr als 30.000 Pfund, damals ein riesiges Vermögen. Auch seine berühmte Weltumseglung, zu der er 1577 mit drei Schiffen auslief und die offiziell das Ziel hatte, Möglichkeiten für die Errichtung englischer Stützpunkte südlich des Rio de la Plata zu erkunden, wurde zugleich in der Absicht unternommen, die spanischen Häfen an der südamerikanischen Westküste zu plündern. Dort angelangt, kaperte er u.a. ein Schiff mit den Erträgen aus den königlichen Silberminen. Um die reiche Beute sicher nach Hause zu bringen, entschloß sich Drake zur Heimreise auf der westlichen Route und vollbrachte so die erste Erdumrundung eines englischen Schiffes. Drei Jahre nach seiner Ausfahrt, am 26. September 1580, lief er nach einer abenteuerlichen Reise in den Hafen von Plymouth ein. Über die reichen Schätze an Bord, die zum Teil in die königlichen Kassen flossen, lassen sich allenfalls Vermutungen anstellen; man munkelte, die Investoren hätten 4700 % Gewinn eingestrichen. Um ihrer Anerkennung angemessenen Ausdruck zu verleihen, schlug die Königin im folgenden Jahr Drake an Bord seines Schiffes, der ‹Golden Hind›, deren Nachbau heutzutage am Londoner Themseufer zu besichtigen ist, zum Ritter.
Aber nicht nur in der westlichen Hemisphäre, wo Handel schon bald in kriegerische Aktionen umschlug, versuchten Engländer im Zeitalter Elisabeths I. sich ihren Anteil an den Schätzen der neu entdeckten Welt zu sichern. Am 31. Dezember 1600 gewährte die Königin einer Gruppe von insgesamt 101 Anteilseignern, die für eine erste Reise zusammen 30.000 Pfund aufgebracht hatten, ihren Schutzbrief für das Handelsmonopol mit «Ostindien und anderen Inseln und Ländern in dieser Gegend». Dies war die Gründungsurkunde für The Governor and Company of Merchants of London, Trading into the East-Indies, kurz: die East India-Company.
Die Londoner Kaufleute waren dabei dem offenkundig nachahmenswerten Beispiel der Holländer gefolgt, die in den Jahren zuvor mehrere einträgliche Reisen um das Kap der Guten Hoffnung unternommen hatten. Darüber hinaus hatte sich gezeigt, daß die klassische Route für den Import von Waren aus dem Orient, die über Land von Indien aus durch Persien zu den Häfen der Levante führte, weder sicher genug war noch mit dem rentableren Seetransport auf die Dauer würde konkurrieren können. So hatten die Erfahrungen mit der erst 1581 gegründeten Levant Company vor allem dazu geführt, daß man nun in Konkurrenz zu den Portugiesen und auch den Holländern direkten Zugang nach Indien bzw. zu den Gewürzinseln zu gewinnen suchte. 1601 stach die erste Flotte der neugegründeten Gesellschaft mit Kurs auf Java und Sumatra in See und kehrte zwei Jahre später mit einer riesigen Ladung Pfeffer nach London zurück, was den Eignern einen Profit von durchschnittlich 20 % bescherte und damit genügend Anreiz für weitere Reisen lieferte.
Nun war der Befehlshaber dieses ersten Konvois der East India-Company zwar ausdrücklich angewiesen worden, das Unternehmen «in a merchantlike course», d.h. als friedliche Handelsfahrt durchzuführen, gleichwohl aber war er autorisiert, andere Schiffe zu kapern, sollte sich gefahrlos dazu Gelegenheit bieten; Handel und Seeräuberei waren offensichtlich in allen fernen überseeischen Regionen unauflöslich miteinander verschränkt. Und mit den zunehmenden Aktivitäten englischer Kaufleute und Seeleute in dieser Form des Fernhandels wurden die Grundlagen für die englische Seemacht der Zukunft geschaffen. Das zeigte sich vor allem beim Schiffsbau: Die Gesamttonnage der englischen Schiffe hatte sich zwischen 1570 und 1630 verdoppelt.
Dabei gab es im England des 16. Jahrhunderts noch keinen Unterschied zwischen Kriegs- und Handelsschiff, zumal die Galeere, das klassische Kriegsschiff der mediterranen Seemächte in der frühen Neuzeit, in den rauhen Gewässern der Nordsee und des Atlantik nur bedingt einsatzfähig war. Statt dessen wurde an den westeuropäischen Küsten seit der Mitte des 15. Jahrhunderts ein neuer Schiffstyp entwickelt, der den Anforderungen der nun üblichen räuberischen Seereisen entsprach: hochseetüchtig, klein und wendig und damit manövrierfähiger als die hochbordigen, schwerfälligen Koggen des Mittelalters. So war die Mehrzahl britischer Kauffahrteischiffe in den 80er Jahren des 16. Jahrhunderts lediglich in der Lage, ca. 100 jener Fässer Bordeauxweines zu transportieren, die alsbald zur Maßeinheit für die Tonnage eines Schiffes wurden. Segler, wie z.B. die Golden Hind, mit der Drake die Erde umsegelte, waren ca. 20 m lang, 7 m breit und maßen 4 m vom Deck bis zum Kiel. Freilich waren diese Schiffe im Vergleich etwa zu denen der Spanier und Portugiesen stärker mit Kanonen bestückt, denn seit der Mitte des 16. Jahrhunderts waren die englischen Eisengießereien in der Lage, den heimischen Schiffseignern in großer Zahl relativ preiswerte gußeiserne Kanonen zu liefern. Schiffe dieser Bauart waren für lange Seereisen mit umfangreicher Ladung nur bedingt geeignet, doch sie bewährten sich nicht nur glänzend als Kaperschiffe, sondern auch dann, wenn sie zur Verstärkung der königlichen Flotte herangezogen wurden. Denn selbst wenn sich die Krone gelegentlich, wie etwa unter Heinrich VIII., um den Aufbau und den Unterhalt einer starken Kriegsflotte bemühte, so war bereits Elisabeth I. wieder darauf angewiesen, nicht nur zur Abwehr der Armada 1588, sondern für die gesamte Dauer des langen Seekriegs gegen Spanien die Schiffe der Freibeuter in Dienst zu nehmen.
Dieser Krieg – der erste Seekrieg der neueren europäischen Geschichte – war zunächst eine maritime Abwehrschlacht der Engländer gegen die drohende spanische Invasion, wurde dann aber auch vorwiegend als Kaperkrieg geführt. Seit 1585 stachen jedes Jahr zwischen ein- und zweihundert Schiffe von England aus in See, um Beute zu machen, die sich im Durchschnitt im Jahr auf 200.000 Pfund belief – ein Betrag, der fast die Höhe der jährlichen Einkünfte der Krone erreichte. So mobilisierte der Krieg als Mittel staatlicher Politik den Einsatz von beträchtlichem privatem Kapital in Unternehmungen, die zugleich Ehre und Profit versprachen. Und nicht nur Kaufleute finanzierten dergleichen kriegerische Unternehmungen, sondern auch Mitglieder des hohen Adels wie der Earl of Cumberland und zahlreiche Vertreter der Gentry, des niederen Adels.
Der Krieg Englands gegen Spanien kann daher, sowohl von englischer als auch von spanischer Seite aus betrachtet, keineswegs nur als Kampf der Vormacht der katholischen Gegenreformation gegen die protestantische Führungsmacht England verstanden werden. Für beide Seiten ging es auch um künftige Positionen in Übersee. Mithin drängten vor allem maßgebliche, finanzstarke Kreise in London darauf – nach dem Scheitern aller Versuche, eine Nord-Ost-Passage zu eröffnen –, nun mit Gewalt in das spanisch-portugiesische Kolonialreich einzudringen. Dazu bedurfte es der staatlichen Unterstützung, und deswegen trachtete man danach, für überseeische Unternehmungen, seien sie nun merkantiler oder kolonialer Natur, einen königlichen Freibrief zu erhalten. Doch solange der Krieg nicht offen ausgebrochen war, hatte sich die Königin immer wieder gesträubt, die mächtigste Militärmacht Europas zu provozieren, in der klugen Einsicht, daß ein Krieg gegen Spanien die politische Existenz des protestantischen England aufs Spiel setzen konnte und in jedem Fall die Finanzen der Krone ruinieren würde. Andererseits war es gerade ihre prekäre Finanzlage, die Elisabeth immer wieder veranlaßte, sich zumindest verdeckt und geheim an lukrativen Offensiven in das spanische Überseeimperium zu beteiligen; für Drakes Fahrten stellte sie sogar Schiffe der königlichen Marine zur Verfügung. Und da Monopole dem Staat beträchtliche Einnahmen garantierten, war die Königin gegen Ende ihrer Regierungszeit sogar bereit, eine Gesellschaft wie die East-India Company zu lizenzieren, deren erklärtes Ziel es war, portugiesisch-spanische Monopolansprüche zu ignorieren.
Bereits zu Beginn erwiesen sich private Initiativen mithin als die treibende Kraft der englischen Expansionsbestrebungen nach Übersee bzw. dementsprechender imperialer Neigungen. Dies darf allerdings nicht zu dem Schluß verleiten, schon im 16. Jahrhundert habe innerhalb einer sich allmählich formierenden, begrenzten englischen Öffentlichkeit ein allgemeines Interesse an überseeischen Unternehmungen geherrscht. Selbst gebildete Engländer jener Epoche waren, wie zahlreiche Selbstzeugnisse belegen, in erster Linie an religiösen Fragen sowie den Belangen lokaler oder allenfalls nationaler Politik interessiert. Nur eine kleine, allerdings schon bald ungemein aktive Minderheit unter den Londoner Kaufleuten und sonstigen Finanziers bei Hofe oder in der Regierung erkannte schon frühzeitig das Zukunftspotential weltweiter ökonomischer und politischer Aktivitäten und suchte dafür durch gezielte Propaganda zu werben.
Zu diesen Initiatoren zählten neben kühl kalkulierenden Kaufleuten, die in der Regel das finanzielle Risiko der überseeischen Unternehmungen trugen, vor allem auch Männer, die nicht nur auf Beute aus waren, sondern auch von Abenteuer- und Entdeckerlust, d.h. von Gier und Neugier getrieben waren. Neben John Hawkins und Francis Drake waren so gebildete Edelleute darunter wie der einflußreiche Höfling Sir Walter Raleigh und sein exzentrischer Halbbruder Sir Humphrey Gilbert oder der aus Cornwall stammende Landedelmann Sir Richard Grenville, allesamt typische ‹Renaissancemenschen›, die danach trachteten, das Ideal des kühnen, gebildeten Tatmenschen bis hin zur Stilisierung zu verkörpern und vorzuleben. So berichtet etwa der Chronist vom Tod Gilberts 1583, er habe Sir Humphrey zuletzt während eines gewaltigen Sturmes auf dem Achterdeck seines Schiffes sitzen sehen, ein Buch lesend, von dem man annimmt, es habe sich hierbei um Sir Thomas Morus’ ‹Utopia› gehandelt, und daraus zitierend dem Nachbarschiff zugerufen: «Sind wir nicht zur See wie auf Land dem Himmel stets gleich nahe», ehe sein Schiff in den Wogen verschwand.[2] Und Sir Richard Grenvilles Tod 1591 wurde Legende, weil er allein mit seinem Schiff, der Revenge, den Kampf gegen 50 spanische Kriegsschiffe aufnahm.
Am Hof Elisabeths gab es eine kleine aber einflußreiche Gruppe mit dem Staatssekretär Sir Francis Walsingham als ihrem Sprecher, die für eine aggressive Politik gegenüber der spanischen Weltmacht eintrat und entsprechende überseeische Aktivitäten befürwortete. Wenn es darum ging, hierfür Argumente zu sammeln und sie der Öffentlichkeit oder gar der Königin zu Gehör zu bringen, bediente man sich dabei der Federn versierter Propagandisten wie des Geistlichen und Geographen Richard Hakluyt (gest. 1616) und seines Schülers Samuel Purchas. Allesamt militante Protestanten, vertraten sie die Ansicht, daß England in der Auseinandersetzung mit der von Spanien angeführten Gegenreformation nur werde bestehen können, wenn es den Kampf auch als Handels- und Kolonialmacht aufnehme. Beispielhaft hierfür ist die von Hakluyt 1584 im Auftrage Sir Walter Raleighs verfaßte Denkschrift A Discourse of Western Planting, mit deren Hilfe die tatkräftige Unterstützung der Königin für die Gründung einer englischen Kolonie an der amerikanischen Küste gewonnen werden sollte. Hier sind alle damals denkbaren Argumente für eine überseeische Expansion Englands zusammengetragen. Vor allem werden englische Siedlungskolonien als Weg aus der ökonomischen und sozialen Krise der Epoche gepriesen: Sie könnten dringend notwendige Absatzmärkte für die einheimische Tuchproduktion bereitstellen und darüber hinaus als preiswerte Bezugsquellen nicht nur für exotische Luxusgüter, sondern vor allem für Schiffbaumaterialien dienen. Gleichzeitig könnten sie als Ventil für den von den Zeitgenossen befürchteten Bevölkerungsüberschuß des Mutterlandes dienen, indem sie Siedlungsraum für Bettler, Vagabunden und sonstige gescheiterte Existenzen wie auch für entlassene Soldaten böten. Darüber hinaus könnten Kolonien als strategische Stützpunkte im Kampf gegen Spanien fungieren – vor allem als Basen für Angriffe auf die Silberflotten – und zugleich zusätzliche Anreize für Schiffahrt und Flottenbau liefern sowie ausreichend Gelegenheiten für die militärische Ertüchtigung der Jugend. Schließlich predigte der Geistliche Hakluyt die Ausbreitung des christlichen Glaubens in Übersee und zwar der wahren, der protestantischen Konfession statt der Irrlehren des spanischen Antichristen. War diese Schrift ursprünglich auch nur für die Augen der Königin bestimmt, so wandte sich Hakluyt vier Jahre später mit seinem Sammelwerk The Principal Navigations, Voyages and Discoveries of the English Nation an die Öffentlichkeit, um mit dieser Sammlung englischer Pionier- und Heldentaten dem jungen, kräftigen Nationalgefühl des elisabethanischen England neue Vorbilder und Argumente zu liefern und zugleich dessen politische Energien in einem neuen nationalen Expansionsprogramm zu bündeln. Und tatsächlich trat mit den ersten tastenden Versuchen, auf amerikanischem Boden englische Siedlungen einzurichten, bereits unter Elisabeth die englische Expansion nach Westen in eine qualitativ neue Phase.
Hierfür waren in mehrfacher Hinsicht die Voraussetzungen gegeben, besonders als Folgen der ökonomischen Umbruchsituation des 16. Jahrhunderts. Auf der einen Seite existierte mit den Opfern dieser Entwicklung nun ein beträchtliches Auswandererpotential, auf der anderen Seite konnten ihre Gewinner das nötige Kapital bereitstellen, um zwar riskante, aber zugleich offenkundig profitträchtige überseeische Siedlungen zu finanzieren. Allerdings bot sich zur gleichen Zeit Irland als Alternative an, denn seit den 70er Jahren bemühte man sich zunehmend, die englische Herrschaft über die Insel durch die Einrichtung von Siedlungskolonien zu festigen. Dabei ergriff die englische Regierung die Initiative. Nach der Niederschlagung des Aufstands des Grafen Desmond im südirischen Munster 1567 übereignete die Krone dessen eroberte Ländereien 35 englischen Grundherren, die ihrerseits bis zum Ende des Jahrhunderts ca. 12.000 Siedler ins Land holten; Irland wurde damit zur ersten englischen Kolonie. Und es war kein Zufall, daß die Initiatoren der ersten Versuche, an der amerikanischen Küste englische Siedlungskolonien zu gründen, über entsprechende Erfahrungen in irischen Unternehmungen verfügten: Humphrey Gilbert und dessen Halbbruder Walter Raleigh.
1578 war es Gilbert gelungen, von Königin Elisabeth einen Freibrief zu erhalten, der ihn ermächtigte, «Länder der Barbaren, die noch nicht im Besitz eines christlichen Königs sich befinden», seinerseits namens der englischen Krone und als deren Lehen in Besitz zu nehmen, zu besiedeln und zu befestigen. Wenn man diese Formel dem im Vertrag von Tordesillas formulierten allgemeinen Rechtsanspruch der Spanier auf sämtliches Land westlich des 46. Längengrades entgegensetzte, argumentierte man dabei auf der Basis des gemeinen englischen Rechts, demzufolge sich Eigentumsansprüche in erster Linie auf de facto Besitz gründen. Gleichzeitig allerdings wußte man sehr wohl, daß man sich gegebenenfalls nur mit Waffengewalt werde behaupten können, denn erst kurz zuvor, 1564, hatten die Spanier eine Kolonie französischer Hugenotten aus ihrer 1562 an der Küste Floridas gegründeten Siedlung vertrieben. Doch es sollten noch vier Jahrzehnte vergehen, bis Engländer jenseits des Atlantiks endgültig Fuß faßten.
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