Joachim Radkau, geb. 1943, habilitierte sich mit einer Studie über Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft. 1981 wurde er Professor für Neuere Geschichte an der Universität Bielefeld. Er forschte über die Geschichte des deutschen Waldes und des Naturschutzes sowie über den Zusammenhang zwischen Nervosität und Technikgeschichte im Wilhelminischen Kaiserreich. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Radkau bekannt, als er im Jahr 2000 eine Weltgeschichte der Umwelt (Natur und Macht, Verlag C.H.Beck) veröffentlichte. 2005 folgte eine viel beachtete Biographie Max Webers.
Vor kurzem ging ein spanischer Film durch die Kinos: Cenizas del Cielo, auf deutsch: Federicos Kirschen. Der Held ist der nordspanische Bauer Bugallo, der im Schatten eines gigantischen Kraftwerks lebt und seine Obstbäume mit Folien abdeckt, wenn der Wind den Rauch herüberweht. Seine große Hoffnung ist das Klima-Protokoll von Kyoto: In seiner Gutgläubigkeit bildet er sich ein, dadurch würde das Kraftwerk gezwungen werden, unverzüglich dichtzumachen. In dieser Hoffnung tauft er sein neugeborenes Kälbchen auf den Namen «Kyoto». Er klettert sogar wie ein Greenpeace-Aktivist auf den Kühlturm des Kraftwerks und lässt sich wieder herunterholen – vorerst geschieht nichts. Aber schließlich kommen die Umweltschützer doch an die Macht; das Kraftwerk, eine ohnehin veraltete Dreckschleuder, wird abgeschaltet. Da passiert allerdings vorübergehend das, womit die Propaganda der Energiewirtschaft immer Angst machte: Die Lichter gehen aus. Nun, da zündet man eben Kerzen an; und irgendwann werden die Lichter auch wieder hell. Glücklich und zufrieden geht Federico in den Wald, um Brennholz zu sammeln. Aber er wird wegen Waldfrevels von Umwelt-Rangern verhaftet. Das bricht ihm das Herz, und er stirbt, während das Kälbchen Kyoto munter auf der Weide herumtollt.
Eine humoristische Parodie auf die Devise Global denken – lokal handeln, aber auch eine Anspielung auf das geflügelte Wort des französischen Girondisten Pierre Vergniaud im Anblick der Guillotine: «Die Revolution verschlingt wie Saturn ihre Kinder.» In der Tat, im Rückblick auf die vergangenen vierzig Jahre kann es betroffen machen, wie ungeheuer viele Menschen, Ideen, Energien die Umweltbewegung verbraucht und verschlissen hat. Die Geschichte der Öko-Ära ist nicht nur die Geschichte einer neuen Aufklärung, nicht nur eine Wissens-, sondern auch eine Vergessensgeschichte. Viele Namen, die einst eine Zeitlang die Zukunft zu verkörpern schienen, sind heute selbst innerhalb der Öko-Szene unbekannt; zahllose Bücher, die für kurze Zeit die Menschen bewegten, sind längst im Ramsch gelandet. Den charismatischen Momenten der Erleuchtung und spontanen Begeisterung folgte eine nicht endende Flut von Umweltverordnungen, die nicht einmal mehr Experten für Umweltrecht auch nur annähernd überblicken. Die «sanften», «alternativen» Energien klangen lieblich, solange sie Zukunftsmusik waren; jetzt sind nicht wenige Naturfreunde im Anblick der Windparks und der Monotonie der für Bio-Kraftstoff subventionierten Maisfelder verstört.[1]
Theodor W. Adorno und Max Horkheimer hatten in ihren «Philosophischen Fragmenten», die sie Dialektik der Aufklärung betitelten, 1947 dargestellt, wie sich die zur Herrschaft gelangte Aufklärung selber in die Mechanismen der Macht verstrickt, ihre eigene Art von Intoleranz erzeugt und ihr ehedem höchstes Ideal, die Vernunft, zum Herrschaftsinstrument macht. Auf dogmatische Art beriefen sich die Aufklärer auf die Natur, aber unterdrückten zugleich das wilde, ungebändigte Element in der Natur, nicht zuletzt in der weiblichen Natur. Die beiden vor der NS-Diktatur geflohenen Gelehrten, die sich – wie sich zeigen sollte – darauf verstanden, intellektuelle Hegemonie zu erlangen, deuteten den Nationalsozialismus nunmehr als «Revolte der Natur» und verliehen ihm bei aller Abscheu eine Art von historischer Logik:[2] eine Provokation, die merkwürdigerweise im Ozean der NS-Forschung mehr oder weniger untergegangen ist.
Heute möchte man die «Dialektik der Aufklärung» fortschreiben: Die Umweltbewegung – auch hierin eine «neue Aufklärung» – setzte genau an dem wundesten Punkt der alten Aufklärung an. Die Natur der neuen Ökologie ist in ihrem Eigenleben unendlich viel differenzierter und raffinierter, als es sich die Physikotheologen des 18. Jahrhunderts träumen ließen; aber sie ist auch viel verletzbarer und enthält daher an den Menschen die doppelte Aufforderung, sie zu schonen, jedoch auch, sie zu schützen, aktiv zu werden mit aller Kraft, da es um das Überleben der Erde geht.
Max Weber hat die Modernisierung als einen Prozess der Entzauberung beschrieben, jedoch mit einem Unterton von Trauer, aus dem sich heraushören lässt, dass diese Ernüchterung eine Sehnsucht nach Wiederverzauberung hervorruft;[3] Adorno und Horkheimer haben dargestellt, wie die zur Herrschaft gelangte Aufklärung ihre eigenen Mythen hervorgebracht und mit der Autorität der Wahrheit versehen hat. Die Umweltbewegung hat den Prozess der Entzauberung fortgesetzt, indem sie auch den Mythos des Fortschritts – den machtvollsten Mythos der Aufklärung – entzaubert hat; zugleich jedoch enthält der in die Offensive gegangene Naturschutz, der allenthalben eine schutzbedürftige Artenvielfalt entdeckt, einen grandiosen Entwurf der Wiederverzauberung der Welt, der sich in der Bilderpracht zahlloser Natur-Publikationen spiegelt. Mit dem Kult der bunten Biodiversität wird gewissermaßen auch der magische Zauber in die Natur zurückgeholt; er ist jedoch zugleich ein Instrument der Macht.
Michel Foucault hat den Begriff der biopouvoir geprägt, um eine neue Dimension der Herrschaft in der Ära des aufgeklärten Absolutismus zu kennzeichnen: Nicht nur wurden jetzt Forst- und Landwirtschaft, die Wachstumsprozesse in Wald und Feld zum Politikum; dasselbe widerfuhr auch der menschlichen Sexualität, damals im Sinne einer Bevölkerungspolitik, die zum Zwecke der Untertanenvermehrung solche Sexualpraktiken, die nicht der Fortpflanzung dienten, als «unnatürlich» und krankhaft diskreditierte. Am Anfang der neuen Umweltbewegung steht der Alarm über die «Bevölkerungsbombe», also der genaue Gegenalarm zu dem Gezeter der Bevölkerungsstrategen über den im Bett begangenen «Betrug an der Natur»; gemeinsam ist jedoch dem alten und dem neuen Streben nach biopouvoir der Wunsch nach Regulierung des Zeugungsvorgangs, der mit den modernen Verhütungsmitteln elegante Instrumente erlangt hatte.
Auch die globale Rhetorik, die die «ökologische Revolution» von Anfang an kennzeichnet, verrät einen untergründigen Machttraum. Dieser blieb in den ersten beiden Jahrzehnten der Öko-Ära mehr oder weniger latent. Seit der zweiten großen Öko-Konjunktur um 1990 ist er offener zutage getreten, am meisten in dem Projekt eines globalen Klimaregimes. Denkt man freilich an die Chancen, die der globale Umweltschutz für die Legitimation von Herrschaft bietet, kann man es bemerkenswert finden, wie wenig diese Chancen bislang trotz aller Umweltgipfel wahrgenommen wurden. Da fehlt eben der passende Akteur: eine Weltregierung, die imstande wäre, diese Potentiale auszuschöpfen. Zudem sind die Gegenkräfte bislang übermächtig: Noch immer bietet das fortgesetzte Wirtschaftswachstum weltweit attraktivere machtpolitische Chancen als der Umweltschutz. Kein Zweifel: Wenn der Umweltschutz nicht selbst zu einer Macht wird, hat er gegen diese Mächte keine Chance. Insofern wäre eine basisdemokratische Fundamentalkritik an dem im Umweltschutz enthaltenen Machtpotential politisch naiv.
Man vergesse nicht, dass sich jene Probleme, die seit den letzten vierzig Jahren als «Umweltprobleme» firmieren, auch auf sehr andere Art etikettieren und mit Handlungsimperativen versehen lassen. Die Einsicht in die Begrenztheit und die zunehmend spürbare Erschöpfung der natürlichen Ressourcen dieser Erde war bis dahin ein mächtiger Antrieb des imperialistischen Wettkampfes um einen maximalen Anteil an der Welt gewesen; es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die «Umweltprobleme», deren Lösung implizit als gemeinsame Aufgabe der Menschheit begriffen wird, künftig erneut in dieser Weise umdefiniert und mit aggressiven Handlungsimperativen versehen werden – schon jetzt sind entsprechende Ansätze deutlich zu erkennen. Der Terroranschlag vom 11. September 2001 hat den «Kampf der Kulturen» zum Mainstream des amerikanischen Denkens gemacht; zugleich hat Greenpeace in den USA einen katastrophalen Absturz erlebt.
Noch etwas anderes kommt heute hinzu. Die Amerikanisierung der Welt hat der großen Mehrheit der Menschen kein Glück gebracht. Schon aus ökologischen Gründen ist der amerikanische Lebensstandard für den Großteil der Menschheit unerreichbar; bereits der Versuch, ihm näher zu kommen, vertieft die Kluft zwischen Arm und Reich und verschärft ökologische Krisen. Gemessen an dem in Dollar bezifferten Pro-Kopf-Einkommen müssen sich die allermeisten Länder der Welt hoffnungslos minderwertig vorkommen. Die wachsende Popularität eines aggressiven religiösen Fundamentalismus in den islamischen Ländern ist als Trotzreaktion auf diese ebenso frustrierende wie aufreizende Situation psychologisch nicht unverständlich.
In dieser Lage enthält der environmentalism, sofern er sich vom American way of life gründlich emanzipiert und sich auf sein ursprüngliches Ziel besserer Lebensqualität zurückbesinnt, ein Alternativangebot: die Möglichkeit eines neuen Selbstwertgefühls auf der Grundlage der Wertschätzung autochthoner Traditionen der Lebensweise, die den ökologischen Bedingungen des eigenen Landes angepasst sind. Wohl nicht zufällig ist die islamische Welt – mit der bedeutungsvollen Ausnahme von Indonesien – in der Landschaft der Umweltbewegungen der bei weitem größte weiße Fleck:[4] Dort bietet sich der ohnmächtigen Wut über die Amerikanisierung, die die eigene Kultur entwertet und der Masse der Menschen doch keinen besseren Ersatz bietet, keine andere Gegenmacht als der religiöse Fanatismus.
Auch Umweltpolitiker müssen machtbewusst sein und sich der Herrschaftsinstrumente zu bedienen wissen. Flächendeckender Umweltschutz ist ohne gekonnten Einsatz des Staatsapparates aussichtslos; und man muss nicht alle Krokodilstränen ertappter Umweltsünder über den «polypenartig wuchernden Bürokratismus» für bare Münze nehmen. Dass der Umweltschutz «von der Bewegung zur Verwaltung» wird, ist bis zu einem gewissen Grade unvermeidlich; und doch liegt in diesem Prozess zweifellos eine Gefahr. Je mehr sich der Umweltschutz mit politischer und ökonomischer Macht verbündet, desto mehr wird es zur Aufgabe historisch-politischer Umweltforschung, diesen Prozess kritisch zu begleiten. Die historische Erfahrung zeigt, dass der Staat keineswegs per se das Gemeinwohl verkörpert und auch ein formal zentralisierter Staatsapparat mitnichten eine ganzheitliche Inangriffnahme der Umweltprobleme garantiert, die Bürokratie vielmehr zur Diffusion der Kompetenzen und Verantwortungen tendiert. Und «Umweltschutz» ist ein vieldeutiges Projekt; auch der Öko-Bluff hat bereits seine Geschichte.
Verwaltungsjuristen neigen nicht selten – in Deutschland noch etwas mehr als in manchem anderen Land [5] – zu einer Überregulierung, bei der der Aufwand in keinem Verhältnis mehr zum Effekt steht.[6] Der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Everhardt Franßen, der es wissen muss, zog die Bilanz: «Wir haben heute keine Regelungsdefizite, sondern Vollzugsprobleme, die durch das ständige Drehen an der rechtlichen Regulierungsschraube nicht behoben, sondern nur vermehrt werden.»[7] Professionelle Insider der Umweltpolitik haben im Eigeninteresse die Tendenz, den Umweltschutz so kompliziert wie möglich zu machen, damit der Laie einsieht, dass er nicht mitreden kann. Wer dagegen auf praktisch wirksamen Umweltschutz bedacht ist, sollte besser überlegen, wie sich die Dinge vereinfachen lassen, statt in üblicher Experten-Wichtigtuerei zu bemängeln, dass die Politik gegenüber der Komplexität der Umweltprobleme «unterkomplex» sei. Selbst einem Henry Makowski, in der Mobilisierung der Staatsmacht für den Naturschutz sonst nicht schüchtern, zucken die Mundwinkel, wenn er bemerkt, beim Überschlag über all die internationalen Verträge zum Schutz des Wattenmeers sei er auf die Rekordzahl von sechzehn gekommen.[8] Von Insidern hört man die Klage, der Landschaftsschutz komme in Deutschland immer schlechter voran, da er sich mit Verwaltungsaufwand überfordere.
Der globale und nachhaltige Erfolg des Umweltschutzes dürfte entscheidend daran hängen, ob es gelingt, ihn an einer begrenzten Zahl von klaren und einfachen, allen vernünftigen Menschen einsichtigen Regeln festzumachen, ähnlich wie sich das Rauchverbot in öffentlichen Räumen im Zuge der Öko-Ära mehr und mehr auf der ganzen Welt durchsetzt.[9] Ebendarin besteht der praktische Nutzen eines Rückblicks über die vergangenen Jahrzehnte: hinter dem bis ins Unendliche anschwellenden Wust der Umweltschutzbestimmungen doch die einfachen Grundmotive wiederzuerkennen. Wenn ein Menschenrecht auf sauberes Wasser, gute Luft, gesunde Ernährung und ruhigen Schlaf – ein ganz simples und elementares, allen Menschen einsichtiges Naturrecht – in all seinen Konsequenzen durchgesetzt wird, dann wird damit zugleich auch ein Großteil der Umweltprobleme in Angriff genommen. Nur im Einklang mit der menschlichen Natur kann die menschliche Beziehung zur Natur reformiert werden. Die Klimapolitik verrennt sich als bloße Klimapolitik in Sackgassen; eine wirklich globale Grundlage erhält sie nur, wo sie auf vitale und gegenwärtige Bedürfnisse der Menschen trifft. Bei aller Rhetorik der Nachhaltigkeit und Biodiversität sollte man nicht vergessen: Der Umweltschutz findet eine vitalere Basis in den Lebensbedürfnissen hier und jetzt als in der Vorsorge für eine ferne und unbestimmte Zukunft und für ein unübersichtliches Ganzes der Erde, und er hat auch nur dann eine Chance, wenn er erst einmal an den menschlichen Selbsterhaltungstrieb und nicht nur an die Selbstlosigkeit – an die spirituelle Selbstauflösung in einem großen Ganzen – appelliert. Das eine schließt das andere nicht aus. Wie Max Weber in seiner Protestantischen Ethik zeigte, entspringen die stärksten Triebkräfte der Weltgeschichte einer in sich eigentlich unlogischen Synthese von metaphysischen und sehr physischmateriellen Motiven.
Der aus der Praxis immer wieder entspringende Zwang, innerhalb der Unendlichkeit der Umweltprobleme Prioritäten zu bestimmen, verbunden mit dem Trägheitsgesetz, das nicht nur der Bürokratie, sondern auch den etablierten Umweltverbänden innewohnt, bringt die Gefahr mit sich, dass sich die Umweltpolitik allzu einseitig auf bestimmte Aktionspfade fixiert und darüber andere, möglicherweise gewichtigere Umweltprobleme vernachlässigt. Da die Natur immer wieder Überraschungen bietet – in den unbeabsichtigten Nebenwirkungen besteht ja die Essenz der gesamten Umweltproblematik! –, ist die Fixierung auf bestimmte Prioritäten in der Umweltpolitik potentiell fataler als in anderen Politikbereichen. Aus alldem ergibt sich die praktische Folgerung, dass zur grünen Aufklärung auch der Öko-Revisionismus gehört. Es wäre grundfalsch, alle diejenigen, die gegenüber einem bestimmten Öko-Alarm Skepsis bekunden, pauschal als Häretiker zu disqualifizieren. Manche von ihnen mögen eigennützige Interessen mit Öko-Argumenten kaschieren; aber auch der, der es mit dem Umweltschutz ernst meint, muss sich selbst immer wieder prüfen, ob er sich nicht aus sehr persönlichen Motiven an bestimmten Punkten festbeißt und Grund zur Toleranz hätte gegenüber Dissidenten, die andersartige Sichtweisen einbringen.
Man erinnere sich, dass das Projekt «Umweltschutz» von Anfang an die Allianz von historisch durchaus heterogenen Bestrebungen bedeutete und untergründig stets von Spannungen und Verständnisbarrieren begleitet war. Es ist sehr wohl möglich, dass diese Allianz in Zukunft wieder zerfällt und Wasser- und Luftreinhaltung, Natur- und Tierschutz, erneuerbare Energien und alternative Verkehrskonzepte erneut ihr voneinander separiertes Eigenleben führen. Tendenzen dazu zeichnen sich bereits in der Gegenwart ab. Die Priorität der Klimapolitik hat zwar Teilbereiche des Umweltschutzes mit nie dagewesenem Durchsetzungsvermögen versehen, dafür jedoch den Zusammenhalt der gesamten Umweltbewegung auf eine harte Probe gestellt, zumal wenn der Klimawandel als Totschlagargument gegen jegliche Bedenken fungiert, die bestimmten unter Klimaschutz laufenden Projekten entgegenstehen.[10] Gerade die beiden Hauptangriffsziele des Umweltprotestes auf der ganzen Welt – Kernkraftwerke und Staudämme – geraten durch den Klima-Alarm aus der Schusslinie, ja lassen sich als Klimaschutz verkaufen. Auch der Natur- und Landschaftsschutz sieht sich durch eine absolute Priorität der Forcierung erneuerbarer Energien vor den Kopf gestoßen. Der latente Zielkonflikt spitzt sich dadurch zu, dass auch der Naturschutz in den letzten zwanzig Jahren unter der Parole der Biodiversität von einem globalen Expansionsrausch erfasst ist.[11]
Die Fähigkeit, mit inneren Spannungen und Zielkonflikten auf besonnene Art umzugehen, war, wie es scheint, für die Zukunft der Umweltbewegung noch nie so entscheidend wie heute. Wer jeden, der an der Hockeyschläger-Klimakurve zweifelt, wie einen Holocaust-Leugner behandelt, strapaziert den Zusammenhalt der Umweltbewegung ebenso wie der, für den jeder ein Feind ist, der nicht alle Formen der Kerntechnik radikal und bedingungslos ablehnt, oder derjenige, der nur den als zugehörig empfindet, dem das ungestörte Sich-Paaren von Unken wichtiger ist als eine ICE-Trasse. Schon Jeremy Bentham, der seine Katzen, aber auch die Mäuse in seinem Arbeitszimmer zärtlich liebte, kam um die Einsicht nicht herum, dass es in der Naturliebe Zielkonflikte gibt.[12] Aber der Konflikt zwischen der Katzen- und der Mäuseliebe ist noch harmlos im Vergleich zu den Zielkonflikten der Zukunft.
Eine überlegte Umgangsweise mit diesen Konflikten wird durch die Einsicht erleichtert, dass es bei den großen Umweltproblemen der Welt ohnehin keine endgültige Lösung gibt, vielmehr alle Lösungswege vorläufigen Charakter tragen und zeitgebunden sind. Nicht zuletzt in dieser Einsicht dürfte der praktische Wert des Geschichtsbewusstseins für den Umweltschutz liegen. Die Geschichte ist – vom Ballast dogmatischer «Lehren der Geschichte» entrümpelt – ein gutes Antidot gegen eine Rechthaberei, die zu unnötigen Reibungsverlusten führt, politischen wie menschlichen. Es gibt keinen Grund zu der Einbildung, unser heutiges Umweltbewusstsein sei der höchstmögliche und definitive Stand ökologischer Einsicht; wie wir sahen, war man in mancher früheren Zeit in bestimmten Punkten sogar weiter als wir heute: im 18. Jahrhundert in der Verbindung von Naturliebe und Menschenliebe, um 1900 in der Verbindung von Naturschutz und Lebensreform, in den 1930er Jahren mit der Konzentration auf den Bodenschutz. Vielleicht wird es sich in Zukunft überhaupt als zeitbedingter Irrweg erweisen, Natur- und Umweltschutz als separate Bereiche zu etablieren, anstatt sie als integrale Bestandteile von Agrar-, Energie-, Verkehrs- und Baupolitik zu begreifen.
In der Einsicht in das ort- und zeitgebundene Moment der Dinge liegt die innere Verwandtschaft zwischen Geschichtswissenschaft und Ökologie, auch wenn beide Disziplinen diese ihre Verwandtschaft bislang noch kaum gewürdigt haben. Und auch in der Erinnerung an all das, was der große Verbund «Umweltschutz» seit der «ökologischen Revolution» von 1970 ungeachtet all seiner inneren Heterogenität geleistet hat, besteht der praktische Nutzen des historischen Rückblicks. Die dem Menschen innewohnende Naturliebe ist in ihren Spielarten vielfältig wie der Eros, ja wahrscheinlich sogar noch vielfältiger und bizarrer («polymorph-pervers» in der Terminologie Freuds); monomanisch von partikularen Leidenschaften getriebene Umweltinitiativen sind, separat operierend, nicht imstande, das im Menschen enthaltene, sehr umfangreiche Potential an Naturliebe und Umweltbewusstsein aufzufangen und in Aktionen umzusetzen, deren Wirkung über momentane und punktuelle Effekte hinausgeht.
Friedrich Nietzsche hat in seiner 1873 entstandenen Schrift Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben vor allem von der Gefährdung des prallen Lebens durch ein «verzehrendes historisches Fieber», ein betäubendes und sinnverwirrendes Sirren und Flimmern einer Flut von Assoziationen aus fernen Vergangenheiten gehandelt. Aber diese Schrift entstand auf dem Höhepunkt des Historismus, während wir heute längst in einer Zeit der Enthistorisierung der meisten Wissenschaften leben. Davon ist auch die Umweltbewegung gezeichnet; keine der großen Bewegungen der neueren Geschichte hat bislang so wenig Geschichtsbewusstsein besessen wie diese. Und dabei enthielte die Geschichte für sie so viele Potentiale: nicht unbedingt schulmeisterliche «Lehren der Geschichte», eher belebende Impulse. Geschichtsbewusstsein, richtig verstanden, bedeutet eben nicht nur, im Gegenwärtigen das Vergangene zu suchen, sondern auch das Neue der Gegenwart zu entdecken, das Fließende des Hier und Jetzt intensiver zu erleben und zu durchdenken. Aus der Geschichte erkennt man, dass es den historischen Augenblick gibt,wo das Trägheitsmoment bestehender Strukturen durchbrochen wird und manches möglich wird, was bis dahin als unmöglich galt. Das beste «Nutzen der Historie für das Leben» besteht vielleicht darin, den Blick für derartige historische Augenblicke in der eigenen Gegenwart zu schärfen. Wer weiß, vielleicht erleben wir einen solchen Augenblick schon bald.
Die «ökologische Kommunikation», die sich Niklas Luhmann aus seinen legendären Zettelkästen konstruierte, ist mir in ihrer ganzen Unendlichkeit stets sehr konkret gewesen, und dies mittlerweile seit bald vierzig Jahren. Umso schwerer fällt es mir, diese Kommunikation als in sich logisches Konstrukt zu erfinden. Und doch gewinnt sie über die Länge der Zeit auch in meiner nicht allzu theoriebeflissenen Erfahrung ihre charakteristischen Leitmotive und Spannungszonen; diese spiegeln sich in der Gesamtanlage dieses Buches. Um sie der Reihe nach durchzugehen:
(1) Die Priorität des Prioritätenproblems. – der für den Aktivisten entstehende Zwang, inmitten der Buntscheckigkeit der unter der Rubrik «Umwelt» gesammelten Themen eine Priorität zu bestimmen. Darauf stieß ich vor allem durch Kontakte zu solchen Wissenschaftlern, die vielerfahren in politischen Kontroversen waren. In Gesprächen mit Klaus Traube und Regine Kollek, lange Zeit führend unter den kritischen Experten in Sachen Kern- und Gentechnik, wurde mir neben vielem anderen mehr als einmal bewusst, wie sehr es darauf ankommt, in der verwirrenden Vielfalt potentieller Risiken einen Blick für die politikfähigen Punkte zu gewinnen – womit nicht gesagt ist, dass derartige Prioritäten ein für alle Mal festlägen. Es gibt einen Öko-Alarmismus, der ablenkt und desorientiert. Durch Regine Kollek wurde mir bewusst, dass die medienwirksamen Frankenstein-Phantasien von Menschenzüchtung per Gentechnik von dem weitaus realeren Risiko der Monopolisierung lukrativer Arten durch Agrarkonzerne ablenkt. Klaus Traube warnte die Kernkraftgegner davor, sich in technische Detailprobleme locken zu lassen und darüber das Grundproblem aus den Augen zu verlieren: die Unmöglichkeit einer politischen Steuerung von technischen Megaprojekten.
Aber oft ist es nicht gut, sich zu rasch auf eine Priorität zu fixieren. Die Pharmakologin Erika Hickel, die zur ersten Bundestagsfraktion der Grünen gehörte, berichtete mir von ihrem eigenen Lernprozess: Das damals bei den Grünen übliche endlose Hin und Her ungeregelter Diskussionen, das jeden zielstrebigen und disziplinierten Menschen über kurz oder lang kribbelig macht, habe sich oftmals (nicht immer) doch gelohnt und am Ende mehr Klarheit gebracht – oder doch zumindest Leute herausgeekelt, denen es nicht ernst gewesen sei. Aber gerade die Unübersichtlichkeit der Umweltprobleme verführt zu vorschnellen Positionen. Edda Müller, deren Karriere sich zwischen Umweltpolitik und Verbraucherschutz bewegte und die mir Einblicke in die «Innenwelt der Umweltpolitik» gab – so der Titel ihres Buches –, wies mich darauf hin, dass sich gerade auf einem extrem diffusen Terrain besonders leicht fixe Ideen festsetzen; dieser Gedanke war mir ein Aha-Erlebnis.
Das trifft sich mit Grundgedanken von Reinhard Ueberhorst, der 1979/80 die Bundestags-Enquetekommission «Künftige Kernenergiepolitik» leitete, und auf dessen Elmshorner Gesprächsabenden ich seit über zwanzig Jahren unendlich viel gelernt habe: seiner Warnung, sich in Umweltfragen vorschnell auf festen Positionen zu verschanzen, und seiner Forderung nach einer «diskursiven Politik», die sich mit einer Mehrzahl möglicher Optionen konfrontiert. Auf welche Weise man in einem derart unübersichtlichen Revier dennoch zu politischen Entscheidungen gelangt – diese Frage lässt sich, wie mir scheint, besser durch den Blick auf die Geschichte als auf prinzipielle Weise beantworten. Zu den eindrucksvollsten Erlebnissen dieser Gesprächsabende gehörten die Begegnungen mit dem kürzlich verstorbenen Hermann Scheer, dem Charismatiker der Solarenergie. Besonders in Erinnerung blieb mir seine These, die Steuerfreiheit des Flugbenzins sei einer der allergrößten und zugleich verschwiegensten Umweltskandale. Keiner traue sich, an dieses Tabu zu rühren – und dabei würden mit einem Schlage nicht wenige negative Folgen der gegenwärtigen Globalisierung vermindert, wenn sich der Flugverkehr drastisch verteuere. Das wurde mir ein Memento: Umweltschutz könnte so einfach sein – wenn nicht die ebenso einfachen wie wirkungsvollen Wege systematisch versperrt würden!
«Der gerade Weg ist meistens der Weg, der verbaut ist» – das ist eine Quintessenz von Gerhard Wallmeyer, Mitbegründer von Greenpeace Deutschland, nach 30 Jahren Erfahrung als Regenbogenkämpfer. Also müsse man strategische Umgehungsmanöver machen: über die Wale und über die Dünnsäureverklappung zu den ganz großen und heiklen Problemen der Ausbeutung der Weltmeere. Hinderlich sei dabei das fixe Bild, das die Öffentlichkeit von den Regenbogenkämpfern habe: Wenn Greenpeace zu Lande gegen die Gentechnik mobil mache, werde das als Greenpeace-Aktivität gar nicht wahrgenommen (so dass Greenpeace in einer Novembernacht des Jahres 1996 im Schlauchboot die erste Lieferung genmanipulierter Sojabohnen von Monsanto im Hamburger Hafen in Empfang nahm). Wenn dagegen der Greenpeace-Rivale Paul Watson seine Jagd auf Walfänger mache, hielten viele das für eine Greenpeace-Aktion.
(2) Charisma und Bürokratisierung. Von Max Weber herkommend, achtete ich in den Umweltbewegungen auf Charismatiker, auf spirituelle Motive und zugleich auf Prozesse der Bürokratisierung und Veralltäglichung. Die spirituellen Beweggründe waren ein Dauerthema mit Orlinde, meiner Frau, über die ich vor vielen Jahren mit buddhistischem Gedankengut in Berührung kam. Tenzin Choegyal, der jüngere Bruder des Dalai-Lama, verabreichte uns da eine kalte Dusche, indem er die ökologische Stilisierung des Buddhismus durch seinen berühmten Bruder verwarf: Dem Buddhismus gehe es um die Befreiung des Menschen aus dem Kreislauf des Seins, nicht um die Wiederherstellung materieller Stoffkreisläufe. Über Baumkult zu reden sei verlorene Zeit. Aber auch der Respekt vor allen Lebewesen gehört zum Buddhismus. Und ist es nicht das gute Recht heutiger Menschen, vor dem Hintergrund moderner Probleme den Buddhismus neu zu begreifen? Ist das nicht authentischer als die Selbstkostümierung mit einem Buddhismus, der aus fernen Zeiten und Kulturen stammt?
Auf einer Japanreise lernte ich den Kulturhistoriker Ryuichiro Usui kennen, der über Ishimure Michiko arbeitet. Er erkennt in dieser «japanischen Rachel Carson» einen ganz eigenwilligen Buddhismus und dazu ein Substrat von urjapanischem Animismus, aber auch – und das überraschte mich – eine innere Beziehung zu der Lehre vom mutterrechtlichen Urgrund der Kultur: zu Johann Jakob Bachofen und zu Ludwig Klages. Nimmt in der weltweiten «ökologischen Kommunikation» jenseits aller kultureller Diversität doch eine «Weltgesellschaft» Gestalt an – eine, die nicht nur im Konferenztourismus kleiner Eliten besteht, sondern sich auf elementare menschliche Dispositionen gründet, naturhafte wie spirituelle? Gerne würde ich glauben, dass es die von Edward O. Wilson vermutete «Biophilie» als menschliche Naturanlage gibt.
Der bärtige Prophetentypus gehört zum grünen Milieu; aber zum Charismatiker im Weber’schen Sinne gehört auch eine entsprechende Jüngerschaft, und Michael Vesper, der als grüner Fraktionssekretär seiner Partei ein Mindestmaß an Disziplin beizubringen suchte, wies mich darauf hin, die Grünen hätten unglaublich viele Menschen verbraucht und verschlissen. Ich selbst war bei der Durchsicht meiner Materialmassen oft betroffen, auf wie viele Namen ich stieß, die früher eine Zeitlang die Zukunft zu verkörpern schienen, aber längst vergessen sind. Manchmal beschäftigte mich die Frage, ob die Öko-Szene einen Sinn für Märtyrer habe. Auf der Blumeninsel Mainau lernte ich 1993 Bruno Manser kennen, der den Stamm der Penan im Regenwald von Sarawak gegen auswärtige Holzfirmen zu mobilisieren suchte. Dem Spiegel zufolge setzte die «Holzmafia» 50.000 Dollar auf seinen Kopf.[1] Im Mai 2000 verschwand er spurlos im Urwald – bleibt die Erinnerung lebendig? Ein früherer Student von mir, Klaus-Jürgen Sucker, der sich im Gorillaschutz engagierte, aber auch fragwürdigen Praktiken von Holzfirmen in Zentralafrika nachging, wurde 1994 in Uganda erhängt aufgefunden; ich war betroffen, wie still es um sein Schicksal blieb.[12]
(3) Paradigma Atomkonflikt? Da ich in den 1970er Jahren vor allem über den Atomkonflikt zur Umweltbewegung gestoßen war, treibt mich seither die Frage um, ob dieser Konflikt ein Paradigma auch für andere Arenen der Umweltpolitik abgibt oder gerade nicht. Bei diesem Thema war ich am allermeisten frappiert, wie konträr man die Dinge sehen kann und in welchem Maße sich aus der Sicht verschiedener Beteiligter ganz gegensätzliche Geschichten der Umweltbewegung ergeben. Für Gerhart Baum und andere Umweltpolitiker der 1970er Jahre im Bundesinnenministerium war es ganz evident, dass niemand anders als sie selbst die deutsche Umweltbewegung ins Leben gerufen hatten, indem sie entsprechende Bürgerinitiativen gezielt förderten, um ein Gegengewicht gegen die Lobbys der Industrie aufzubauen. Diese wohlüberlegte Strategie, die einen Weg zu einem breiten Konsens hätte bahnen können, sei von dem plumpen Proteststurm gegen die Kernkraftwerke durchkreuzt worden. Für alte Kämpen der Anti-AKW-Bewegung eine Geschichte, die die Dinge auf den Kopf stellt; und doch lässt sie sich begründen. Einen wertvollen Gesprächspartner fand ich in der Endphase meiner Arbeit in Volker Hauff, der 1975 als Staatssekretär unter dem Bundesforschungsminister Matthöfer den «Bürgerdialog Kernenergie» ins Leben gerufen und seither als Bundesforschungs- und Verkehrsminister, deutsches Mitglied der Brundtland-Kommission und Vorsitzender des Rates für Nachhaltigkeit die Umweltpolitik kontinuierlich verfolgt hatte und mir anschaulich schilderte, wie sehr auch die Umweltpolitik von Außenimpulsen lebt. Die säuberliche Trennung von Staatsapparat und «Zivilgesellschaft» ist eine typische Kopfgeburt der 1990er Jahre im Zeichen der Deregulierung. NGO-Aktivisten fungieren als Ranger in Nationalparken. Wie mir Gerhard Wallmeyer berichtete, leistete Greenpeace dem darniederliegenden Russland sogar Polizeidienste, als es um die Abwehr japanischer Fischdampfer ging.
Auf dem Höhepunkt des Atomkonflikts wohnte ich Wand an Wand mit einem Beamten der politischen Polizei, der in Jeans und Pullover in der Universität erschien, wenn sich dort Anti-AKW-Demonstranten sammelten, und mir gestand, dass er sich in der Universität in Feindesland fühlte. (Ich versprach, ihm notfalls in meinem Büro Asyl zu gewähren.) Dabei mehrten sich, wie er mir berichtete, auch in den Reihen der Polizei die Kernkraft-Gegner; es war naiv, unter dem Eindruck der Zusammenstöße am Bauzaun von Kernkraftwerken «die Bullen» als Feindbild aufzubauen. Aber erst Gisela Diewald-Kerkmann, die sich über die Frauen der RAF habilitiert hat, brachte mich 30 Jahre später darauf, mich intensiver mit der Gewaltfrage in der Umweltbewegung, gerade auch weltweit, zu befassen. Mit ihr zusammen unternahm ich eine Seminarexkursion zur Hamburger Greenpeace-Zentrale und war überrascht und beeindruckt, in welchem Maße das strategische Denken nicht nur auf die Aktion, sondern auch auf die Legitimation abzielt. Bei allen Eklats ein kalkulierter Konsens mit den Gerichten: auch dies ein Schlüssel zum Erfolg bei Umweltaktionen!
Die in Umweltkonflikten vielerfahrene Gertrude Lübbe-Wolff – früher Leiterin des Bielefelder Wasserschutzamtes, dann Vorsitzende des Deutschen Umweltrates und jetzt Mitglied des Bundesverfassungsgerichtes –, bei der ich mir auf gemeinsamen Waldwanderungen Aufklärung über juristische Seiten des Umweltschutzes holte, brachte mir, der ich eine klammheimliche Anarcho-Sympathie nicht ganz verleugnen konnte, immer wieder die fundamentale Bedeutung von Institutionen für den Umweltschutz zu Bewusstsein. Räsonnements über die Rettung der Welt seien heiße Luft, wenn man nicht die Institutionen mitdenke, die die Kompetenz besitzen, um die guten Absichten in die Tat umzusetzen. Die Geringschätzung der Institution sei eine schlechte deutsche Tradition. Die staatlichen Instanzen bedürften jedoch in Umweltfragen unbedingt der Anstöße von außen. Daher sei es gedankenlos, Umweltaktivisten, die administrative Verantwortung übernähmen, als «Bürohengste» zu verspotten.
Seit dreißig Jahren gehört die Geschichte der Wald- und Holzwirtschaft zu meinen Hobbys: Nirgendwo anders haben Konflikt und Konvergenz zwischen Ökonomie und Ökologie eine so alte und vieldiskutierte Geschichte wie dort, nicht nur in Mitteleuropa, sondern in neuerer Zeit überall auf der Welt. 1993 lernte ich auf dem Stuttgarter Mammutkongress Natur im Kopf Vandana Shiva kennen, die den längsten Beifall der Tagung bekam und damals die berühmteste «Öko-Frau» Indiens, ja überhaupt der Dritten Welt war. Sie, Tochter eines Försters, der aus der Tradition der britischen Kolonialverwaltung kam, versicherte mir, für die Forstschule in Dehra Dun sei sie «der Teufel» gewesen; und doch lag es ihr fern, auch ihrerseits die staatlichen Förster zu Teufeln zu stilisieren. Zu viele Wald- und Umwelthistoriker gehen in die Irre, weil sie noch an den Dualismus von Guten und Bösen in der Geschichte glauben, egal, ob sie das Gute bei den staatlichen Forstverwaltungen oder bei der alten Waldbauernweisheit suchen. Vandana Shiva machte mir bewusst, dass eine weltweite Verständigung unter den Umweltinitiativen nur unter Anerkennung der regionalen Verschiedenheiten gelingen kann und die Parole «Global denken» Humbug ist, wenn sie auf die Projektion eigener Präferenzen in den Rest der Welt hinausläuft.
(4) Naturschutz für oder gegen den Menschen? Ich suchte nicht nur nach der Wut, sondern auch nach der Liebe: vor allem nach der Liebe zur Natur. Aber diese Libido hat es in sich; nicht einmal Sigmund Freud hat sie zu analysieren vermocht. Der Naturschutz bot unter allen Umweltschutzbereichen den mit Abstand allermeisten Gesprächsstoff. Als ich auf dem Bamberger Naturschutztag 2000 einen der Vorträge hielt, erlebte ich zum ersten Mal voller Überraschung, wie viel Groll es unter den Naturschützern über die Umweltschützer gab; nur von der Ferne wirken Natur- und Umweltschutz als Kontinuum. Als ich 2002 zusammen mit Frank Uekötter in ministeriellem Auftrag die Berliner Konferenz Naturschutz und Nationalsozialismus leitete,[3] war ich konsterniert, in welchem Maße dieses Thema, das mir im Vergleich zu Themen wie «IG Farben und Nationalsozialismus» recht harmlos erschien, nach wie vor ein vermintes Gelände ist. Da gerieten wir von zwei Seiten unter Beschuss: Die eine unterstellte uns Apologie des NS-Regimes, die andere Diffamierung des Naturschutzes.
Heinrich Spanier, der die Naturschützer im Bundesumweltministerium mehr von ihrer lobbyistischen als von ihrer spirituellen Seite erlebte, schärfte mir immer wieder ein, wie überall stelle sich auch im Naturschutz die Forderung nach einem vernünftigen Verhältnis von Aufwand und Ertrag. Ihm bin ich zu ganz besonderem Dank verpflichtet; denn er hat in seiner akribischen Art mein gesamtes Manuskript gegengelesen. Überdies verdanke ich ihm seit zehn Jahren eine Fülle von Insider-Einblicken in das Innenleben der Natur- und Umweltschutzpolitik, nicht zuletzt auch in deren komisches Element, das mir unlängst wieder sehr anschaulich wurde, als ich auf einen Asbest-Alarm hin binnen einer Stunde meinen Büroraum in der Universität räumen musste, in dem ich über drei Jahrzehnte lang gehaust hatte. Wie ich aus den USA erfuhr, gab es dort schon vor dreißig Jahren ähnliche Szenen.
Auch Wolfgang Haber, der Doyen der deutschen Ökologie und Naturschutzpolitik, hat meinen gesamten Text mit großer Genauigkeit gegengelesen: Dieses sein Entgegenkommen war für mich Nichtökologen von unschätzbarem Wert. Ich lernte ihn zuerst bei den Mainauer Gesprächen kennen, die viel dazu beigetragen haben, Umweltinitiativen einen weiteren Horizont zu geben und Zielkonflikte diskutierbar zu machen; auf der Blumeninsel im Bodensee ist die Bedeutung des Gartens für die Mensch-Natur-Beziehung stets präsent. Haber wurde mir zu einem Vorbild geistiger Unabhängigkeit und vermittelte mir seine in Kämpfen und unter Revision eigener früherer Positionen erworbene Lebenserfahrung, Naturschutz in der Demokratie müsse den betroffenen Menschen kommunizierbar sein und dürfe nicht einfach von dem Dogma «Wildnis» her kategorisch Forderungen stellen, koste es, was es wolle.
Bei einem verbeamteten Naturschützer erlebte ich, wie er an dem einen Tag in den Bauern, an dem anderen Tag dagegen in radikalen Tierschützern seine Feinde sah, denen es ihm zufolge einzig darum gehe, dass sich Kröten ungestört paaren könnten, während ihnen Polizisten, die durch Molotow-Cocktails verletzt würden, egal seien. Wiederholt stieß ich darauf, dass die Beziehung zwischen Naturschützern und Jägern eines der heikelsten Themen der Öko-Szene ist: fast zu heiß, um es zum Gegenstand der Forschung zu machen. Henry Makowski gab mir in seiner temperamentvollen Art zu dieser wie zu anderen Kampffronten des Naturschutzes eine bunte Fülle von Informationen. Thomas Neiss, über viele Jahre der dynamische Leiter der Naturschutzabteilung im Düsseldorfer Umweltministerium, erzählte mir, er habe den organisierten Jägern gesagt, bei seiner Beerdigung sollten sie blasen: «Die Sau ist tot.» Daraufhin hätten diese gekränkt erwidert, auch sie seien doch Naturschützer!
Lois Gibbs, Sprecherin einer amerikanischen Initiative gegen Umweltgifte in Unterschichten-Wohnvierteln, die gewöhnlich der Environmental-justice-Bewegung zugerechnet wurde, mochte das Etikett «environmental movement», das für andere Initiativen ein Gütesiegel ist, nicht leiden: Die Leute sollten wissen, «that we are protecting people, not birds or bees.»[4] Naturschützer in der DDR begrüßten die Wende von 1989/90 als Chance zur Rettung der Natur vor der bis dahin unaufhaltbaren Expansion der «Datschen»: der Kleingärten, die das letzte Mittel der SED-Diktatur waren, ihren Bürgern ein Rest von Zufriedenheit zu geben.[5] Aber waren nicht viele Kleingärten kleine Paradiese der Artenvielfalt – und fungierte der Naturschutz in der DDR nicht mitunter als Ablenkung von immensen Umweltzerstörungen ringsum? «Naturschutz ist nicht automatisch das, was sich Naturschutz nennt», war eine Quintessenz Frank Uekötters aus seinen Recherchen zur Naturschutzgeschichte. Ein spanischer Umweltaktivist erklärte mir, für die Artenvielfalt sei es am besten, die traditionelle Land- und Weidewirtschaft zu kultivieren; die Nationalpark-Kampagnen lenkten von dem, worauf es ankomme, nur ab.[6] Mit Verblüffung erfuhr ich, dass spanische Naturschützer die Neubelebung der Transhumanz feiern: die Wiederkehr der riesigen Schafherden, in denen spanische Agrarreformer einst den Verderb des Landes gesehen hatten.
Das Vertrackte ist nur: Es ist so leicht, die rationale Basis des Naturschutzes zu zerpflücken – aber möchte der Naturfreund ernsthaft auf jeglichen Naturschutz verzichten? Dennoch, die Frage nach der Realität hinter den Worten ist die Kernfrage eines kritischen Zugriffs, gerade bei so vieldeutigen Begriffen wie «Natur» und «Umwelt». Während der Vorarbeiten zu diesem Buch hat der mit Umweltschutz getriebene Etikettenschwindel mit jener der kriselnden Automobilbranche zugeschanzten «Umweltprämie», die der Volksmund treffend «Abwrackprämie» getauft hat, einen bislang singulären Höhepunkt erreicht.
(5) «Global» – «lokal»: auch das ein unendliches Thema! Als Bruno Manser auf der Blumeninsel Mainau gefragt wurde, was wir für den Wald tun könnten – und der Frager dachte an die Tropenwälder –, erwiderte er mit sanfter Stimme: «Der deutsche Wald den Deutschen», nicht für die skandinavische Zellstoffindustrie, dafür sollten wir kämpfen. Yannis Vlaikos, Leiter einer Fischerei-Kooperative auf der ägäischen Insel Alonnisos und zugleich Vorkämpfer des von Euronatur gesponserten Meeresnationalparks Nördliche Sporaden, vermittelte mir an Ort und Stelle ein lebendiges Bild davon, welche Chancen ein undogmatischer Naturschutz durch die Kooperation mit lokalen Interessen und Genossenschaften besitzt, während ein von allzu weit oben dekretierter Naturschutz oftmals nur auf dem Papier besteht. Daher genügt es nicht, sich über Umweltorganisationen nur aus dem Internet zu informieren; man muss auch vor Ort erkunden, was sie bewirken – und ob sie überhaupt etwas bewirken.
Mit Christel Schröder, der Vizepräsidentin von Euronatur, unternahm ich immer wieder Wanderungen durch die Senne, wo sie eine biologische Station leitet, und wurde von ihr kräftig darin bestärkt, dass der Naturschutz auch Historiker brauche, die einen Sinn für die konkrete Anschauung vor Ort hätten, während ein gewisser Typ doktrinärer Ökologen nur in der Bürokratie zu gebrauchen sei. Ihre Erfahrungen im praktischen Naturschutz führten sie dazu, jedes Jahr eine Regel umzustoßen. Über sie lernte ich Lutz Ribbe kennen, der Euronatur seit fast zwei Jahrzehnten beim Europa-Parlament vertritt und sich mit der EU-Politik seit langem temperamentvoll, jedoch ohne fixe Feindbilder herumgeschlagen hat und sich intensiv um eine Verbindung von Naturschutz und Agrarpolitik bemüht: einen der heikelsten Problembereiche der EU. Er bestärkte mich in der Überzeugung, dass ein wirksamer Umweltschutz gerade heute, wo die Spezialisierung überhandnehme, Generalisten brauche, um nicht ganz und gar in Klimaschützer, Gesundheitsschützer und Fledermausschützer zu zerfallen. Auch dies ein Fingerzeig, wie sich Historiker politisch nützlich machen können.
Udo Simonis, seit vielen Jahren ein engagierter Fürsprecher globaler Umweltpolitik, kritisierte in seinen Rezensionen von Natur und Macht immer wieder mein Zögern, mir Lovelocks Gaia-Theorie zu eigen zu machen. Auf meine Gegenfrage, wie ich das als Historiker fertigbringen solle, erwiderte er schmunzelnd, das wisse er nicht; das herauszukriegen sei meine Sache. Ein junger niederländischer Umwelthistoriker dagegen meinte – ebenfalls lächelnd – mir und meinem Weltgeschichtsprojekt gegenüber, ökologisch angehauchte world history sei etwas für alte Hippies, die sich an einem rosaroten Peace-and-love-Idyll vom Zusammenwachsen der «Einen Welt» ergötzten. Vielleicht sind die Hippies in der Tat der bislang am wenigsten gewürdigte Ursprung der grenzüberschreitenden Umweltbewegung.
Ich habe jedoch nie zu ihnen gehört. Eine globale Geschichte der Umweltbewegung ist, sobald man genauer hinschaut, keine harmonische Geschichte. Im Gegenteil, gerade durch den transnationalen Vergleich erkennt man, in welch unterschiedlichen Welten viele Umweltinitiativen leben und wie wenig sie in Wahrheit voneinander wissen. Eine grenzüberschreitende Kommunikation kann erst dann gelingen, wenn man sich die Unterschiede bewusstmacht und akzeptiert, dass die Öko-Bewegung ihre eigene Ökologie hat, sobald sie ihre jeweilige Umwelt konkret wahrnimmt und nicht nur «die» Umwelt als Abstraktum beschwört. Was nun nicht bedeutet, dass man vor jeglichem Umwelt-Nationalismus Respekt haben müsste. Vor zwanzig Jahren erlebte ich auf einer internationalen Umweltkonferenz in Skandinavien, wie eine mitteleuropäische Teilnehmerin, die gegen den Walfang gesprochen hatte, von einem Norweger lächerlich gemacht wurde: Sie sei «unschuldig wie eine Meerjungfrau»!
Um der Gefahr einer germanozentrischen Sichtweise von Anfang an nach Kräften zu begegnen, diskutierte ich ein erstes Konzept zu dem vorliegenden Buch im September 2005 in der Peking University. Da trug ich die These des australischen Ökologen Timothy F. Flannery vor, dass sich die Länder mit zunehmendem Umweltbewusstsein auseinanderentwickeln – logischerweise, denn die Umweltbedingungen seien ja in verschiedenen Regionen höchst unterschiedlich.[7] Frank Uekötter, der mich begleitete, inszenierte eine wissenschaftliche Kontroverse und verfasste ein Gegenpaper (Environmentalism Worldwide: A Different Perspective), in dem er zwar darin mit mir übereinstimmte, dass die Identifizierung «nationaler Stile» des environmentalism ein vielversprechendes Projekt sei, jedoch: «Obviously, there is nothing natural about a nation’s environmentalism.» In der Tat, da berührte er einen kritischen Punkt, an dem auch die Frage hängt, ob nationale Varianten des Umweltbewusstseins hinzunehmen oder als zu überwindende Borniertheiten anzusehen sind: eine Frage, deren Brisanz mit der Internationalisierung der Umweltpolitik wächst. Eine pauschale Antwort gibt es nicht.
Gerhard Wallmeyer brachte mir immer neue Beispiele dafür, dass bestimmte Kulturen zu Greenpeace besser passen als andere: die streitbare indonesische Kultur besser als die sanfte thailändische. Dass das Umweltbewusstsein nicht einfach ökologisch determiniert, sondern in stärkstem Maße kulturell geprägt ist, ist unmöglich zu bezweifeln – jedoch die Kultur, die «nachhaltig» ist und mehr als eine bloße Mode, enthält ihrerseits ein Stück Natur. Aber auch dann, wenn sich das Umweltbewusstsein auf die regionale Natur gründet, bietet diese Natur oft Raum für unterschiedliche Interpretationen. Selbst innerhalb der Neuenglandstaaten, die sich mit Stolz als Pioniere des environmentalism bezeichnen, gibt es verschiedene Arten von Umweltbewusstsein: Das eine treibt einen Kult mit den dortigen artenreichen Wäldern (die jedoch großenteils erst sekundär nach dem Rückgang der Landwirtschaft entstanden sind), das andere mit den vergleichsweise traditionellen Agrarlandschaften,[8] und Industriearchäologen entdecken das Tal des Connecticut River als Standort früher Fabriken, die die regenerative Wasserkraft nutzten.
Die tief verwurzelte Regionalität der Umweltbewegung ist jedoch nur die eine Seite: Der globale Horizont, so imaginär er auch sein mochte, gehörte frühzeitig dazu. Das wurde mir, trotz anfänglicher Skepsis, durch viele Gespräche mit Anna Wöbse deutlich, die die umweltpolitischen Ansätze des Völkerbundes und die Initiativen zu einer internationalen Umweltpolitik in der Zeit nach dem Kriegsende von 1945 wiederentdeckte und archivalisch recherchierte. Da konnte ich auch vieles einordnen, was sich bei mir über die Jahre an Impulsen durch Gesprächspartner aus aller Welt angesammelt hatte. Das Gros der amerikanischen Literatur nimmt die internationalen Umweltgipfel nicht sehr wichtig, und ich selbst dachte lange Zeit ähnlich; aber Bao Maohong, Historiker an der Peking University und einer der Begründer der Umweltgeschichte in China, vermittelte mir aus der Sicht seines Landes ein sehr anderes Bild: Da kamen entscheidende umweltpolitische Anstöße von den großen internationalen Konferenzen.
Aus der Sicht des Greenpeace-«Fundraisers» reagierte Gerhard Wallmeyer geradezu gereizt auf die Idee, man müsse die Leute in ihrem Vorgarten abholen. Ganz im Gegenteil, für Exotisches gäben sie am liebsten Geld. Im Übrigen werde nirgends so viel gemauschelt wie auf lokaler Ebene. Wer als Sympathisant der Basisdemokratie die Initiativen «von unten» schätzt, sollte gleichwohl nicht blind dafür sein, dass die Geschichte oft durch «Top-down»-Impulse bestimmt wird. Während ich an diesem Buch arbeitete, ist der Anlauf zu einer globalen Klimapolitik erneut gescheitert: ein Beweis für die Sinnlosigkeit von Globalpolitik oder eher ein Beweis dafür, dass diese Gipfelpolitik nicht vorankommt, wenn sie keinen Unterbau von Umweltbewegungen besitzt und weder einen spürbaren Leidensdruck hinter sich noch konkrete Ziele vor sich hat? Aber ist ein solcher Unterbau überhaupt denkbar?
] Sabine Dworog jedoch, die seit Jahren über die Bewegung gegen die Startbahn West forscht, versicherte mir, in der historisch-politischen Realität sei es unmöglich, selbstlose von NIMBY-Bewegungen zu trennen.[10