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Werner Plumpe

Carl Duisberg

1861 – 1935

Anatomie eines Industriellen

C.H.Beck

Zum Buch

Carl Duisberg, der Begründer der modernen chemischen Industrie, galt als der bedeutendste Industrielle seiner Zeit. Seine Karriere führte ihn aus kleinen Verhältnissen an die Spitze der deutschen Gesellschaft. Auf der Grundlage einer einzigartigen Quellenbasis von über 25.000 erhaltenen Briefen spürt Werner Plumpe seinem Erfolgsgeheimnis nach und rekonstruiert die Karriere dieses Bildungsaufsteigers aus Heimarbeitsmilieu, dessen Weg ihn von den Farbenfabriken Bayer an die Spitze der deutschen Industrie und in die höchsten Kreise der deutschen Gesellschaft führte. Dabei beschreibt er auch die politischen Wandlungen Carl Duisbergs, der im Ersten Weltkrieg an der Entwicklung von Giftgas beteiligt war, sich in der Weimarer Zeit auf den Boden der Republik stellte und als Gründer der I.G. Farbenindustrie AG eines der umstrittensten Gebilde der deutschen Unternehmensgeschichte schuf. Das Leben des Carl Duisberg war so stark mit der deutschen Geschichte seiner Zeit verwoben, dass sich an seiner Person das Panorama einer ganzen Epoche entfalten lässt.

Über den Autor

Werner Plumpe ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Bei C.H.Beck ist von ihm erschienen: Wirtschaftskrisen (42013).

Inhalt

1 | Ein Liebling der Götter?

      AUF DEM WEG

2 | Herkunft und frühe Prägungen

3 | Studentenjahre

4 | Der Weg in die Fabrik

      BEWÄHRUNG

5 | Erste Bewährungen

6 | In der Bayer-Familie

7 | Die Chance

8 | Leverkusen

      KARRIERE

9 | Der Chemiker als König

10 | Eine Musterstätte der Arbeit

11 | Amerika

12 | Kampf bis aufs Messer

13 | Technokratische Obsessionen

      IN DER WELT

14 | Nützliche Bekanntschaften

15 | Spinne im Netz

16 | Der Unternehmer und die Politik im Kaiserreich

      GANZ OBEN

17 | Ein gutes Leben?

18 | Kunst und Literatur

19 | Ehre und Ruhm

      KRIEG

20 | Die fatale Logik des Krieges

21 | Gas

22 | Kriegsziele

23 | Ludendorffs Freund

24 | Bethmann-Hollwegs Feind

      REVOLUTION UND ANPASSUNG

25 | November

26 | Rheinischer Kapitalismus

27 | Der schändliche Vertrag

28 | Jeder Groschen

29 | Der Studentenvater

30 | Befreundete Feinde

      REPUBLIK

31 | Carl Bosch und der Kampf um die I.G.

32 | Leiden oder die heilige Dreieinigkeit

33 | Der abwesende Präsident

      KRISE

34 | Die große Krise

35 | Illusionen

36 | Tod und Nachleben

      Epilog

37 | Kein Liebling der Götter!

      ANHANG

Anmerkungen

1 | Ein Liebling der Götter?

2 | Herkunft und frühe Prägungen

3 | Studentenjahre

4 | Der Weg in die Fabrik

5 | Erste Bewährungen

6 | In der Bayer-Familie

7 | Die Chance

8 | Leverkusen

9 | Der Chemiker als König

10 | Eine Musterstätte der Arbeit

11 | Amerika

12 | Kampf bis aufs Messer

13 | Technokratische Obsessionen

14 | Nützliche Bekanntschaften

15 | Spinne im Netz

16 | Der Unternehmer und die Politik im Kaiserreich

17 | Ein gutes Leben?

18 | Kunst und Literatur

19 | Ehre und Ruhm

20 | Die fatale Logik des Krieges

21 | Gas

22 | Kriegsziele

23 | Ludendorffs Freund

24 | Bethmann-Hollwegs Feind

25 | November

26 | Rheinischer Kapitalismus

27 | Der schändliche Vertrag

28 | Jeder Groschen

29 | Der Studentenvater

30 | Befreundete Feinde

31 | Carl Bosch und der Kampf um die I.G.

32 | Leiden oder die heilige Dreieinigkeit

33 | Der abwesende Präsident

34 | Die große Krise

35 | Illusionen

36 | Tod und Nachleben

37 | Kein Liebling der Götter!

Eine Nachbemerkung zu Quellen und Literatur

Literaturverzeichnis

Dank

Abkürzungsverzeichnis

Register

«Das Lebendige unterscheidet sich
vorzüglich dadurch von dem Todten,
daß es in sich und durch sich beweglich,
wechselnd und vorschreitend ist,
daß es nie aus einem einzelnen Zustand,
nur aus der Kraft begriffen werden kann,
welche jene alle begründet.»

Wilhelm von Humboldt

1 | Ein Liebling der Götter?

«Der Handelnde ist immer gewissenlos; es hat
niemand Gewissen als der Betrachtende.»[1]

Bei seinem Tode 1935 galt Carl Duisberg, dessen Leben hier anhand seiner eigenen Hinterlassenschaft nacherzählt werden soll, als Deutschlands bedeutendster Unternehmer, ein Erfolg, der bei einem 1861 geborenen Jungen aus Wuppertaler Heimarbeitermilieu zumindest überrascht, legt man neuere Urteile über die Rekrutierung von Wirtschaftseliten zugrunde.[2] Duisbergs Leben kann als einziger Erfolgsweg gesehen werden, und er selbst wurde nicht müde, es auch so darzustellen. Ein «Liebling der Götter» sei er gewesen, ließ er zu Ende seines Lebens seinen Sohn wissen.[3] Seine bisherigen Biographen sind ihm, wenn auch nicht mit derartigen Worten, in dieser Bewertung gefolgt, die auch schon viele Zeitgenossen teilten.[4] Der erfolgreiche Unternehmer ist auch der Ausgangspunkt dieses Buches, doch interessiert hier, um es für’s erste etwas banal auszudrücken, der Mensch hinter dem Erfolg. Was bestimmte die Karriere und den Erfolg dieses «Bilderbuchunternehmers», was waren die treibenden Kräfte, wie lassen sie sich begreifen. Dabei kann es nicht um die Freilegung einer personalen Identität gehen, die allen Erfolgen gleichsam vorauslag und ihren Weg bestimmte, sondern es wird gefragt, was einen Menschen ausmacht, der so erfolgreich ist und sich allen Erschütterungen zum Trotz bis zum Tode erfolgreich behauptet. Das unterstellt gerade nicht, dass Duisberg unverändert blieb. Vielmehr ist von einer großen Wandlungsfähigkeit auszugehen, überlebte Duisberg doch tiefe politische Zäsuren und gravierende wirtschaftliche Einschnitte und schaffte es jeweils, sich wieder aufzurappeln. Das gelingt niemandem, der zur «Identität» erstarrt ist. Der Wandel ist es, der eine Biographie interessant macht.

Duisbergs Erfolge waren in der Tat beeindruckend. Mit 22 Jahren wurde er zum Doktor der Philosophie promoviert, im Fach Chemie, das seinerzeit noch zur philosophischen Fakultät gehörte. Bereits ein Jahr nach seinem Eintritt in die Elberfelder Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. 1884 machte er wichtige Farbstoffentdeckungen, die die Firma retteten und ihren Aufstieg begründeten. Mit 27 Jahren war er Prokurist, wenig später gehörte er faktisch zur Unternehmensleitung. Er war maßgeblich für den Aufbau der Chemiestadt Leverkusen verantwortlich, gehörte seit 1900 zum Vorstand des Unternehmens, dessen alleiniger Generaldirektor er 1912 wurde. Die Gründung der Vorläufervereinigung und später der I.G. Farbenindustrie AG war vor allem sein Werk. Vor dem Krieg war er bereits Träger hoher Auszeichnungen und Mitglied der guten Gesellschaft des Deutschen Kaiserreiches – und er genoss Ruhm, Stellung und das Leben, das ihm so möglich wurde. Mit dem Krieg zerbrach diese Welt, auch wenn Duisberg sich nach Kräften mühte, zumindest die Möglichkeit ihrer Wiederkehr zu erhalten. Dazu gehörte auch die endgültige Gründung der I.G. Farbenindustrie AG (1916/1925), die aber zugleich das Ende seiner aktiven Unternehmerlaufbahn bedeutete. 1925 zog er sich aus der Unternehmensleitung zurück – er wurde allerdings Aufsichtsratsvorsitzender – und übernahm stattdessen den Vorsitz des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI), dem er bis 1931 präsidierte. Zahlreiche Ehrenämter, aber auch wichtige Funktionen in der Wissenschafts- und Studienförderung kamen in den 1920er Jahren hinzu, bis schließlich sein 70. Geburtstag das Signal zum Rückzug gab. Duisberg starb 1935 im Alter von 74 Jahren und wurde in Leverkusen auf dem Werksgelände beigesetzt.

Als sich Johannes Walther, Hallenser Geologe und seit der gemeinsamen Studienzeit in Jena enger Freund von Carl Duisberg, im Herbst 1893 durch ein Buchmanuskript quälte und nicht recht vorankam, gab ihm Carl Duisberg den Rat: «Schneidig zugegriffen und geschrieben, dann geht die Sache schon».[5] Ob er dieselbe Empfehlung gegeben hätte zu einem Text, der sein eigenes Leben behandelt? Wahrscheinlich schon, denn Duisberg liebte es, Probleme auf «schneidige» Weise zu lösen oder zumindest so von ihnen zu reden. Aber gerade in seinem eigenen Fall hätte er die paradoxe Erfahrung gemacht, dass sich ein «schneidiges» Leben zuweilen gar nicht «schneidig» erfassen lässt, was er wohl ahnte: «Im übrigen wird es nicht ganz so einfach …, aus der riesigen Fülle eines über 50 Jahre aufgestapelten Aktenmaterials, sowie meiner umfangreichen Autographen- und sonstigen Sammlungen das Wesentliche herauszuholen.»[6] Duisberg war von seiner eigenen Bedeutung schon frühzeitig derart überzeugt, dass er sie dokumentiert sehen wollte. Quellenmangel gibt es in seinem Fall daher nicht. Der Historiker auf den Spuren von Carl Duisberg findet sich vor einer überbordenden Quellenmenge wieder, durch die er hindurch muss. Allein im Bayer-Archiv in Leverkusen finden sich zahllose Schreiben von Carl Duisberg aus den frühen 1880er Jahren bis zu seinem Tod im Jahr 1935. Sie sind nie gezählt worden; die Umfangsschätzungen liegen aber zwischen 25.000 und 35.000 Stück.[7] Zu diesen Briefen kommen die Sachakten aus seiner Tätigkeit als Chemiker, Prokurist, Direktor, Vorstandsmitglied und Generaldirektor der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. hinzu, die mehrere hundert Bände umfassen und vor allem die Zeit seiner aktiven Unternehmensführung zwischen den 1890er und den 1920er Jahren dokumentieren. Des weiteren sind die umfangreichen Reden und Schriften erhalten; die wichtigsten von ihnen wurden bereits 1922 und 1933 von den Farbenfabriken in repräsentativen Bänden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.[8] Schließlich enthält das Bayer-Archiv eine Fülle an weiterem Sammlungsgut, insbesondere Zeitungsausschnitte, Photographien, Urkunden und Druckschriften, dann aber auch Sachgegenstände wie Reiseapotheken, Pharmazeutika, Medaillen und Skulpturen. Alles in allem ist der ältere Archivbestand in Leverkusen im Grunde eine umfassende Dokumentation von Duisbergs Leben und, da Duisberg eine wichtige Figur der Unternehmens- und Zeitgeschichte überhaupt war, auch ein wichtiger Quellenbestand für die deutsche Geschichte. So umfangreich die Bestände in Leverkusen sind, so gering fallen sie erstaunlicherweise in anderen Archiven aus. Duisbergs Leverkusener Omnipräsenz findet keinen Niederschlag in den staatlichen oder den Überlieferungen anderer Privatarchive. Hier sind Hinweise auf ihn eher selten, in den Korrespondenzen und Erinnerungen seiner Zeitgenossen wird Duisberg zumeist nur am Rande erwähnt, wenn überhaupt. Die Fülle der Leverkusener Überlieferung ist daher auch nicht unbedingt ein guter Gradmesser seiner wirtschaftlichen und politischen Bedeutung. Diese wird durch die akribische Dokumentation seines Lebens eher überzeichnet.

Das Archiv und seine Bestände sind daher selbst Ausdruck der «heroischen» Phase der Unternehmensgeschichte der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., in der Carl Duisberg eine Schlüsselrolle spielte. Diese Rolle spielte er nicht zuletzt auch als Schreiber von Denkschriften, Organisationsschemata, Reden und Vorträgen und eben von Briefen.[9] Duisberg bezeichnete sich selbst zwar als «schreibfaul», und in der Tat sind von ihm nicht sonderlich viele handschriftliche Briefe überliefert. Seit den frühen 1890er Jahren aber konnte er seine Geschäftsbriefe diktieren. Da die Geschäftsleitung zugleich verwandtschaftlich verbunden war, entstanden so in immer dichterer Folge Diktate Duisbergs zur Lage der Firma und zum Wohlbefinden der Familie. Je bedeutender seine Stellung im Unternehmen wurde, umso mehr konnte er diktieren, bis schließlich seine ganze Korrespondenz von seinem Büro mit mehreren Abteilungen und entsprechenden Mitarbeitern abgewickelt wurde, das ein Privatsekretär leitete.[10] Im Regelfall diktierte Duisberg pro Tag mehrere Stunden lang wechselnden Stenographen Briefe und arbeitete auf diese Weise die vorgelegte Post ab.[11] Auf Reisen ließ er die Postmappen durch den langjährigen Privatsekretär Carl Wichelhaus hinterherbringen und nutzte dann die Infrastruktur der großen Hotels, um den gewohnten Postverkehr aufrechterhalten zu können. Nach den Erinnerungen von Otto Meesmann, der eine Zeit lang im RDI-Büro Duisbergs gearbeitet hatte, begann «die Arbeit … – auch an den Sonn- und Feiertagen – mit der Durchsicht der eingegangenen Post, die ihm geschlossen vorgelegt wurde. Auf diese Weise war er über alle Vorgänge unterrichtet, und, wenn irgend möglich, mußten die Antworten am Abend schon abgesandt werden. Alle Briefe seines umfangreichen Schriftwechsels unterschrieb er selbst, sodaß die persönliche Fühlung mit den vielen Menschen, die sich mit Wünschen und Vorschlägen an ihn wandten, gewahrt blieb.»[12] Je älter er wurde, schrieb er seine Briefe aber kaum noch selbst, sondern attestierte durch seine Unterschrift seine Zustimmung.

Carl Wichelhaus[13] war für Duisberg der wichtigste Mitarbeiter, den er permanent um sich hatte und auf den er sich schließlich geradezu blind verließ. Wichelhaus war die graue Eminenz hinter Duisberg, die ihn mit den Mappen der Leverkusener Post versorgte, seine Anweisungen ausführte, die Verbindungen hielt, wenn Duisberg nicht schreiben konnte, ja, der schließlich sogar einen Teil der persönlichen Korrespondenz abfasste. Duisberg wusste sehr gut, was er an seinem Leverkusener Sekretariat bzw. an Carl Wichelhaus hatte, dem er wiederholt großzügige Geschenke machte.[14] Die gesamte Korrespondenz wurde von Anfang an einem gewissen Klassifikations- und Ablageschema unterworfen, das sich in Grundzügen bis heute erhalten hat und die Ursache sowohl der zum Teil perfekten Verwahrung der Akten wie ihrer Unübersichtlichkeit ist. Denn von jeder Korrespondenz wurden mehrere Kopien angefertigt, sodass die gleichen Vorgänge in verschiedenen Überlieferungssträngen existieren (Autographensammlung, persönlicher Nachlass, Personalakten zu den Korrespondenzpartnern, Sachakten des Unternehmens), die aber nicht völlig deckungsgleich sind.[15]

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1 | Die Briefmanufaktur: Sekretariatsmitarbeiter von Carl Duisberg im November 1931, ganz links oben Heinrich Gattineau, in der Bildmitte am Tisch Carl Wichelhaus

Auf diese Weise entstand, getragen von «strengster Pflichterfüllung und unentwegter Arbeitskraft» (Carl Wichelhaus) eines der seltsamsten Gebilde der deutschen Unternehmens-, ja der neueren Geschichte überhaupt: Ein mehr als 40 Jahre andauernder Monolog des Chemikers und Industriellen Carl Duisberg, dokumentiert in der voluminösen Autographensammlung, die Duisberg schon vor 1914 anlegte und die – wohl in der Tradition der Goetheschen Sammlung[16] stehend – auch Ausdruck von Duisbergs eigener Bedeutung als Korrespondenzpartner bedeutender Zeitgenossen sein sollte. Dieser Monolog beginnt mit den Bürden des Berufsalltags, erzählt von ersten Erfolgen, der Familiengründung und der Kindererziehung, dem Aufstieg im Unternehmen, bahnbrechenden Errungenschaften und großen Erfolgen, die die Farbenfabriken und Carl Duisberg vor 1914 auf den Höhepunkt von wirtschaftlichem Erfolg und Ansehen brachten. Er schildert die Not und die Ängste beim Ausbruch des Krieges, den unbedingten Selbstbehauptungswillen und die Hybris jener Jahre, den Absturz von Niederlage und Revolution und das nur mühsame Wiederaufrichten in der Weimarer Republik, die von Krise zu Krise taumelt, bis in der Weltwirtschaftskrise die Hoffnung verloren zu gehen scheint. Dieser Monolog erzählt zugleich von den inneren Kämpfen eines Mannes, seinem Triumphalismus und seiner Zerknirschtheit, dem seelischen Preis, den das Leben verlangt, und von den Freuden, die es spenden kann. Dieser Monolog wirft auch ein perspektivisches Licht auf eine entscheidende Phase deutscher Geschichte, wie sie sich in der (kleinen) Welt eines Industriellen spiegelte.

Duisberg selbst war davon überzeugt, dass seine Hinterlassenschaft auf wissenschaftliches und historisches Interesse stoßen würde. Folgerichtig ließ er auch seine Reden und Stellungnahmen dokumentieren, die sich in vielfachen Abschriften, zum Teil in gebundener Form, im Archiv der Bayer AG finden.[17] Die zwei Bände seiner Abhandlungen sind bereits erwähnt, Bände, die Duisberg selbst großzügig an Freunde, Bekannte und wissenschaftliche Bibliotheken verschenkte. Diese umfassenden Dokumentationen seiner öffentlichen Auftritte ergänzen die Korrespondenz in erhellender Weise, da sie neben die nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Korrespondenz gleichsam eine Art öffentliche Stimme des «Geheimrates» setzen, ein gelegentlich durchaus farbiger Kontrast. Überdies verfasste Duisberg eine Anzahl von autobiographischen Texten und Reiseberichten, beginnend mit seinen nüchternen, überaus informativen Erinnerungen in der nichtgedruckten Böttingerfestschrift aus Anlass des 50. Geburtstages der Farbenfabriken über zahlreiche Selbstdarstellungen und Reiseschilderungen aus den 1920er Jahren bis hin zu seinen Memoiren, die indes einen Fall für sich darstellen.[18] Die Memoiren enthalten nur sehr begrenzt eine Schilderung der eigenen Entwicklung, sondern dokumentieren vielmehr die Erlebnisse des bereits «fertigen» und gereiften Mannes. Diese Art der Erinnerungen, deren historischer Wert aus vielerlei Gründen nicht unproblematisch ist,[19] ist gerade deshalb so interessant, weil sie in einer Art Brennspiegel etwas zeigen, das auch seine Korrespondenz und sein öffentliches Sprechen kennzeichnet: Duisberg war ein Mann der Tat, zumindest in der Selbstdarstellung, ein Mann, der nicht dazu neigte, sich selbst zu problematisieren oder gar in Frage zu stellen. Seine Erfolge und seine Niederlagen, seine Triumphe und seine dunklen Momente sind in den Briefen zwar erkennbar, das Auf und Ab des Lebens erscheint bei Duisberg aber als eine Folge der äußeren Umstände und des eigenen raschen und zupackenden Handelns. Duisberg neigte zum Grübeln, gerade in seiner zweiten Lebenshälfte waren ihm depressive Stimmungen nicht fremd, aber wie viele Männer seiner Zeit setzte er sich diesen Stimmungen nicht bewusst aus, sondern suchte ihnen durch ein aktives Leben zu entkommen. Die Arbeit war Duisbergs Art, mit den Krisen des Lebens fertigzuwerden – und es ist ihm im Großen und Ganzen auch gelungen. Man muss die Briefe und die Reden daher immer auch als Ausdruck einer bestimmten Selbsthaltung begreifen, als Momente eines disziplinierten Lebens, um dessen Bedeutung der «temperamentvolle» Carl Duisberg nur zu gut wusste. Selbstreflexion war Duisbergs Sache nicht; dazu fehlte nicht allein die Zeit, sondern auch der Wille und wohl auch die Sensibilität.[20]

Dieser Mann also hat einen umfangreichen, 40 Jahre andauernden Monolog hinterlassen. Der Quellenwert dieser Selbstauskunft ist indes beschränkt. Wesentliche Ereignisse in Duisbergs Leben fanden hier nur sehr begrenzt Niederschlag. Einerseits wurden wichtige Verhandlungen in kleinem Kreis nicht dokumentiert; andererseits vermied Duisberg nicht selten bewusst die schriftliche Form. Vertrauliche Gespräche, ließ er Oskar von Miller wissen, seien oft besser als lange Briefe, «denn beim Schreiben kommt nie Gutes heraus, im Gegenteil, meist wird der Konflikt größer. Mündlich kann man Manches sagen, was sich nicht schreiben lässt.»[21] Dieser Punkt entwertet den Monolog nicht, macht ihn aber ergänzungsbedürftig, was angesichts der notorischen Verschwiegenheit der I.G.-Spitze, aber auch des durchaus informellen Charakters der Unternehmensführung in Elberfeld und Leverkusen nicht immer einfach ist. Doch das eigentliche Problem im Umgang mit der Fülle der Texte ist ein anderes. Dieser gigantische Monolog lässt sich nicht auch nur annähernd wiedergeben, obwohl zahlreiche seiner Stellen ein ausführliches Zitat geradezu verlangen. Allein seine Länge zwingt dazu, auszuwählen. Der Historiker muss den gesamten Monolog lesen, wenn er das Individuum Duisberg begreifen will. Aber wie Boswell in seinen Betrachtungen über den englischen Lexikographen Samuel Johnson bemerkte, ist jedes Detail wichtig, aber nicht jedes Detail kann auch dargestellt werden.[22] Darum kann es also nicht gehen, zumal Vollständigkeit ja nicht notwendig Transparenz nach sich zieht.

Es ist vielmehr «schneidig» zu wählen, was dargestellt werden soll. Der Kern der Darstellung sollte das «Eigentliche» des Individuums sein, mit dem man sich beschäftigt, so problematisch ein solcher Zugriff in theoretischer Sicht ist. Hier geht es also um den erfolgreichen Unternehmer, der Duisberg war und ohne den es eine historische Figur «Carl Duisberg» nicht gegeben hätte. Dieser Mensch soll aber nicht allein in seinen Handlungen nachgezeichnet werden, obwohl das schon verdienstvoll genug wäre. Mir geht es vielmehr auch darum, zu begreifen, was die Bedingungen der Möglichkeit des individuellen Erfolgs als Unternehmer im Falle Duisbergs waren, und ob man, lassen sie sich feststellen, hieraus Schlüsse ziehen kann, die helfen, die Dynamik des Kapitalismus zu begreifen. Das ist, nebenher gesagt, eine Frage, die die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg intensiv beschäftigte, wobei Max Weber, Werner Sombart oder Joseph Schumpeter bei ihren Arbeiten zweifellos Figuren wie Carl Duisberg vor Augen hatten.[23] Es war vor allem Joseph Schumpeter, der in zahlreichen Texten die konkrete Tätigkeit des Unternehmers in den Vordergrund rückte.[24] Ohne Unternehmer, genauer: ohne Individuen, die Neues auch gegen Widerstand durchsetzen, war nach Schumpeters Auffassung der Kapitalismus zum Untergang verdammt.[25] Gleichwohl gibt es bis heute kaum eine nennenswerte historische Unternehmerforschung. Sie war das Lebensthema des Emigranten Fritz Redlich[26], der aber über verdienstvolle Vorstudien nicht hinausgekommen ist. Während sich die abstrakte Funktionsbeschreibung von erfolgreichen Unternehmern seit langem in der Literatur findet,[27] sind die Unternehmerindividuen bestenfalls in verstreuten Biographien erkennbar. Hiervon gibt es mittlerweile eine große Anzahl, die für das Verstehen des «Unternehmerischen» auch wertvolle Hinweise liefern. Die Lebensgeschichte wird rekonstruiert, und der Leser kann sich die für ihn wichtigen Erkenntnisse aus den Texten herausziehen. Im folgenden soll kurz der Platz skizziert werden, den Duisberg hier einnehmen könnte.[28]

Joseph Schumpeter hat, wie gesagt, als erster in umfassender Hinsicht das Problem des Unternehmerischen aufgegriffen. Mit der zu seiner Zeit vorherrschenden neoklassischen Gleichgewichtsökonomie, von der er fasziniert war, lasse sich wirtschaftliche Entwicklung, das ist Schumpeters zentraler Punkt, nicht erklären. Schumpeters dynamischer Faktor ist der Unternehmer, der in gegebenen Gleichgewichtssituationen alte Konfigurationen zerstört und durch neue ersetzt, sei es, indem er neue Produkte einführt, bessere Produktionsverfahren anwendet oder die Unternehmensorganisation grundlegend umbaut.[29] Sein Anreiz hierfür ist der zunächst unter günstigen Umständen anfallende Pioniergewinn, der so lange trägt, bis die Neuerung Allgemeingut geworden und ein neues Gleichgewicht erreicht ist. Die Unternehmerschaft und ihre Funktion, Neues im Zweifel gegen Widerstand durchzusetzen, sind mithin das dynamische Prinzip des Kapitalismus. Was aber sind das für Individuen, wo kommen sie her, was bestimmt ihre Karriere? Kann es sein, dass der Kapitalismus letztlich vom Zufall stets spontan neu auftauchender Unternehmer abhängt? Auf diese Fragen gibt es keine wirtschaftstheoretische Antwort; hier können bestenfalls Eigenschaften beschrieben werden, die ein Unternehmer im Schumpeterschen Sinne besitzen muss. Aber woher sie kommen und welche Bedeutung sie gegebenenfalls erlangen, lässt sich nur historisch zeigen.

Schumpeter fasste seine Beobachtungen zu den unternehmerischen Individuen in drei Gruppen zusammen, die auch für die nachfolgende Analyse wichtige Impulse geben: Zunächst war ihm völlig klar, dass unternehmerisches Handeln erst im Nachhinein feststellbar ist. «Schöpferisches Reagieren» könne nur ex post, faktisch niemals ex ante verstanden werden, «d.h. daß es durch Anwendung der Regeln über das Schließen aus vorgegebenen Fakten nicht vorausgesagt werden kann».[30] Sodann bedeutet Unternehmerschaft bei Schumpeter grundlegende Veränderung, das heißt, es werden nicht nur kurzfristig Ereignisse beeinflusst, sondern deren «‹langfristiges› Ergebnis. Schöpferisches Handeln verändert soziale und ökonomische Situationen für immer. … Aus diesem Grund ist schöpferisches Reagieren ein wesentliches Element des historischen Prozesses; daran kann auch ein deterministisches Glaubensbekenntnis nichts ändern.» Diesen historischen Charakter des Unternehmertums spitzte Schumpeter in einem dritten Punkt noch zu: Schöpferisches Reagieren habe stets zu tun «(a) mit den Qualitäten der in einer Gesellschaft lebenden Menschen, (b) mit den relativen Qualitäten der Menschen, d.h. mit den für einen bestimmten Tätigkeitsbereich verfügbaren Qualitäten relativ zu den gleichzeitig für andere Bereiche verfügbaren Qualitäten, und (c) mit individuellen Entscheidungen, Handlungen und Verhaltensmustern. Demgemäß ist eine Analyse des schöpferischen Reagierens im Wirtschaftsleben gleichbedeutend mit einer Analyse des Unternehmertums.»[31]

Die Biographie von Carl Duisberg ist daher nicht nur aus allgemeinen historischen Gründen bedeutsam; sie kann zugleich maßgeblich dazu beitragen, den theoretisch bestimmten Rahmen des «Unternehmertums» in einer Weise zu füllen, die diesen überhaupt erst sinnvoll werden lässt. Es ist unbestreitbar, dass das Individuum Carl Duisberg für den Erfolg der Farbenfabriken in Elberfeld und Leverkusen von wesentlicher Bedeutung war, und zwar in einer Weise, die Schumpeters Anforderungen an «schöpferisches Handeln» geradezu passgenau genügt: Was also machte dieses Individuum aus? Und stellt man die Frage so, dann muss auf ein zentrales Problem der ökonomischen Theorie, nämlich auf die Frage nach dem dynamischen Faktor in der wirtschaftlichen Entwicklung, eine Antwort erfolgen, die selbst nur sehr bedingt ökonomisch sein kann. Es zeigt sich, dass der Kapitalismus auf individuellen Voraussetzungen beruht, die er selbst nur sehr bedingt herstellen kann. Wer also ist der Unternehmer Carl Duisberg? Will man diese Frage beantworten, kommen sehr viel mehr Momente ins Spiel als allein das reine wirtschaftliche Handeln. Auch die Persönlichkeitsmerkmale spielen eine wesentliche Rolle. Es wird eben nicht jeder Unternehmer, und höchstwahrscheinlich könnte es auch nicht jeder. Unternehmer ist kein Lehrberuf, Unternehmerschaft ist vielmehr eine Eigenschaft, die sich im Lebensprozess einstellt, aber von sehr vielen Voraussetzungen abhängig ist, die keineswegs zielgerichtet erworben werden können. Unternehmerschaft ist also, könnte man zusammengefasst sagen, ein nur ex-post identifizierbares Moment einer spezifischen Lebenspraxis, die sich auch nicht aus einer entsprechenden Herkunft oder Prägung gleichsam automatisch ergibt.

Unternehmer sind daher Individuen, die sich nur entsprechend rekonstruieren und betrachten lassen – im Vollzug ihres Lebens.[32] Das ist der Sinn dieses Buches, insofern ist auch von der Anatomie eines Unternehmers die Rede. Wenn von Voraussetzungen die Rede ist, dann sind sie allerdings nicht allein individueller Art. Carl Duisberg hätte sein können, wie er wollte: Wäre sein Leben nicht in eine bestimmte Phase des Aufstiegs der chemischen Industrie in Deutschland und in der Welt gefallen, dann wäre es völlig anders verlaufen.[33] Daher ist, bevor mit dem Erzählen seines Lebens begonnen wird, hierauf ein kurzer Blick zu werfen.[34]

Der Farbstoffbedarf vor allem des Textilgewerbes wurde traditionell durch den Anbau von Färberpflanzen gedeckt, namentlich Krapp, Waid und Indigo, um die gängigsten blau- und rotfärbenden Farbstoffe zu benennen. Die Qualität der Farben war ordentlich, wechselte aber mit den natürlichen und Klimabedingungen; das Farbspektrum und die Färbeeigenschaften waren begrenzt. Größere Nachfragesteigerungen erforderten eine erhebliche Erweiterung der Anbauflächen, was bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts auch geschah. Doch ein Ende der «natürlichen» Expansion zeichnete sich ab, da eine größere Ausdehnung der natürlichen Farbstoffproduktion nur zu sehr hohen Kosten, wenn überhaupt möglich gewesen wäre. Gleichzeitig ließen das starke Bevölkerungswachstum und die Expansion der Textilindustrie im 19. Jahrhundert die Nachfrage nach Farben stark ansteigen; dass mit den in den 1850er Jahren gefundenen Teerfarbstoffen ein gutes Geschäft zu machen war, da durch diese die Nachfrage nun in technisch guter Qualität zu sehr viel günstigeren Preisen befriedigt werden konnte, lag daher auf der Hand.

Dass aus den Derivaten des Steinkohlenteers Farbstoffe gewonnen werden konnten, entdeckte der englische Chemiker William Henry Perkin (1838–1907) eher zufällig, als er versuchte, synthetisches Chinin herzustellen. Der von ihm aufgefundene Farbstoff «Mauve» erwies sich als strahlend und farbecht. Perkin meldete auf das Produkt ein Patent an, gründete ein Unternehmen und profitierte von seinem Monopol in England, weil der Farbstoff rasch auf große Nachfrage stieß. Das zog im Ausland Nachfolger auf den Plan, namentlich in Frankreich, wo mit dem Fuchsin, einem rötlichen Farbstoff, ein weiterer neuer Farbstoff entdeckt und auf den Markt gebracht wurde. Man wusste zwar, wie man diese Farbstoffe herstellen konnte, aber ihre chemische Konstitution konnte erst aufgeklärt werden, nachdem August Kekulé den Benzolring dargestellt hatte und nun klar war, dass bei der Farbenherstellung unterschiedliche Elemente an das Kohlenstoffmolekül angekoppelt wurden. Die chemische Erforschung der Farbstoffe und damit zugleich die Darstellung neuer Farbstoffgruppen erfolgten nun Schlag auf Schlag. Carl Graebe und Carl Liebermann stellten mit dem Alizarin einen hochwertigen Ersatz für das bisherige Krapp-Rot dar. Peter Wilhelm Gries entwickelte die Klasse der Azo-Farbstoffe, Adolf Baeyer gelang schließlich 1878/1883 die Synthetisierung des Indigo. Damit war das chemische Problem der Teerfarben zumindest theoretisch gelöst; es kam jetzt darauf an, diese Farbstoffe in guter Qualität und kostengünstig herzustellen. Entsprechend waren seit Beginn der 1860er Jahre in Deutschland derartige Fabriken wie Pilze aus dem Boden geschossen, zumal es hier kein einheitliches Patentrecht gab, das einen wirksamen Konkurrenzausschluss wie in Großbritannien ermöglicht hätte. Es herrschte unter den zahlreichen Konkurrenten vielmehr ein geradezu mörderischer Wettbewerb, in dessen Folge die Preise gedrückt blieben, die auch durch zeitweilige Konventionen nicht stabilisiert werden konnten. Die Unternehmen mussten sich in einem Wettlauf um neue Produkte und neue Produktionsverfahren behaupten, und konnten dies nur, wenn sie eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen gründeten und eine Produktionstiefe erreichten, die es ihnen ermöglichte, wichtige Vor- und Zwischenprodukte, insbesondere Schwefel-, Salz- und Salpetersäure, kostengünstig und in gleichbleibender Qualität zu beziehen bzw. selbst herzustellen. Überleben konnte mithin – zumindest im Wettbewerb der großen Unternehmen – nur, wer über eine eigene Forschung und eine entsprechende Produktionsorganisation verfügte. Die deutschen Chemieunternehmen bewältigten diese Aufgabe bekanntermaßen derart grandios, dass sie vor dem Ersten Weltkrieg den Weltfarbenmarkt nach Belieben beherrschten und auch etwa ein Viertel der Weltpharmaproduktion aus Deutschland kam.[35] Nur in diesem Rahmen, der seine Karriere zugleich ermöglichte wie von ihr gestaltet wurde, ist Duisbergs Leben vorstellbar.[36] Und auch hier war Carl Duisberg weniger eine Ausnahmeerscheinung als das besonders energische Exemplar eines bestimmten Typus, der wissenschaftliche Forschung und industrielle Organisation miteinander zu verbinden verstand. Davon gab es in Deutschland zumal bei den großen Farbenunternehmen zahlreiche Vertreter, ja, man kann sagen, dass im Konkurrenzkampf nur der überlebte und groß wurde, der über entsprechende Begabungen verfügte.[37] Duisberg war in dieser Gruppe von Menschen durch besonderen Ehrgeiz und besondere Energie ausgezeichnet, nicht durch eine völlig andere Art. Und der hier erzielte Erfolg war wiederum die Voraussetzung und Bedingung für den sukzessiven Bedeutungszuwachs, den er nach der Jahrhundertwende in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik erwarb, ja, hier lag schließlich auch der Grund für seine zentrale Rolle in der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges. Es war der erfolgreiche Unternehmer, nach dem Militär und Staat riefen, als ihnen der leichtfertig eingegangene Krieg industriell und wirtschaftlich über den Kopf zu wachsen drohte.

Obwohl Carl Duisberg zu den prominenten Figuren der jüngeren deutschen Unternehmensgeschichte zählt und in zahlreichen Texten Gegenstand der Untersuchung war, hat die einfache Frage nach den individuellen Bedingungen der Möglichkeit von Unternehmerschaft bisher niemand gestellt. In der Literatur[38] erscheint er als geradezu prototypischer Chemieindustrieller und Lobbyist, interessiert aber zumeist nicht als Individuum. Eigentlich ist Duisberg in der Literatur nur ein Name; das gilt in gewisser Hinsicht sogar für die bisher einzige große Biographie von Hans Joachim Flechtner, in der Duisberg zu einer Art Übererfolgsmensch, im Übrigen auch moralisch, versteift wird.[39] Andere biographische Studien hangeln sich an einzelnen Gesichtspunkten des Lebens von Carl Duisberg entlang, ohne ihn als Menschen ganz in den Blick zu nehmen. Entsprechend hölzern fallen die Urteile aus; sie prüfen, ob Duisberg bestimmten Klischees entsprach («Sozialistenfresser») oder ob bestimmte Vorwürfe zutreffen («Kriegshetze», Giftgas etc.). All das ist verdienstvoll, lässt den «Geheimrat» im Grunde aber im Dunklen. Die DDR-Geschichtsschreibung sah in ihm, der in den 1920er Jahren als Vorsitzender des RDI zum Repräsentanten der gesamten deutschen Industrie aufstieg, gerne auch den «Sprecher» des modernen Flügels der imperialistischen Bourgeoisie, den taktischen Gegenspieler der «Hardliner» aus der Schwerindustrie. Berücksichtigung fanden in der Literatur sodann vor allem Duisbergs exzeptionelle Leistungen bei der Planung, dem Aufbau und der Organisation des Chemiestandortes Leverkusen[40] sowie seine wiederholten Initiativen, die schließlich zur Bildung der I.G. Farbenindustrie AG führten[41], wobei sich auch eine Anzahl von Studien findet, die weniger an Duisbergs Tätigkeit als an der vermeintlich von Anfang an verhängnisvollen Geschichte dieses deutschen Chemiekonzerns interessiert sind.[42]

Hier geht es also um den Unternehmer Carl Duisberg in seiner Entwicklung vom jungen Chemiker zum alten RDI-Präsidenten. Diese Unternehmergeschichte, ich deutete es an, kann indes nicht allein nach wirtschaftlichen Aspekten erzählt werden.[43] Nimmt man die Literatur, auch die zahlreichen jetzt neu erscheinenden oder schon erschienenen Unternehmerbiographien zur Hand, so fällt rasch ins Auge, dass sich eine Trennung zwischen Kultur- und Wirtschaftsgeschichte in der praktischen Arbeit bestenfalls als hinderlich erweist. Alles ökonomische Handeln von Menschen ist immer auch kulturelles Handeln. Historisch kann man das nicht trennen, weil es der Historiker mit dem «Leben» zu tun hat und nicht mit der «Theorie». Eine solche Unterscheidung ist in der Theorie nur schwer plausibilisierbar, im Leben ist sie schlicht naheliegend. In der Forschung ist der Trennung daher unbedingt Rechnung zu tragen, in der Darstellung aber umso weniger; dieser Punkt soll im folgenden auch nicht dadurch geheilt werden, dass vermeintlich theoretisch plausible Kategorien als empirische Beschreibungen verwendet werden (Habitus, Kapitalsorten etc.). Das ist zumeist nur metaphorisches Reden, mit dem empirischen Befunden eine Art höhere Weihe verliehen werden soll. Gegenüber der empirischen Beschreibung bringt diese Art der Etikettierung keinerlei Zusatznutzen. Die Darstellung folgt, ganz konventionell, dem Leben Carl Duisbergs und beschreibt es in seinen wesentlichen Aspekten. So entsteht das Bild eines Lebensweges, das um das unternehmerische Handeln kreist, es aber immer wieder verlässt, um die Dynamik dieses Mannes begreiflich zu machen, seinem Dämon[44] nachzuspüren.

Die nachfolgende Lebensgeschichte Carl Duisbergs ist weitgehend chronologisch geordnet, lässt sich aber nicht nur so erzählen. Vielmehr gibt es Kapitel, die den Lebensgang des Unternehmers Carl Duisberg im Zeitverlauf schildern, aber eben auch Kapitel, die bestimmte Aspekte seiner Tätigkeit oder seines Lebens herausgreifen und gesondert erzählen. Das führt unvermeidlich zu Vor- und Rückgriffen sowie zu Wiederholungen, unter denen der Lektüregenuss insbesondere desjenigen Lesers, der den Text an einem Stück liest, gelegentlich leiden mag. Dieses Problem der «continuity» ließ sich nicht immer vermeiden; es empfiehlt sich aber durchaus, manche Kapitel erst einmal beiseitezulassen und sich stärker an die Abläufe in Duisbergs Lebensgeschichte zu halten, um von dort aus bei Gelegenheit Exkursionen in einzelne Themenbereiche zu unternehmen.