Verlag C.H.Beck
Nichts ist den Druiden – so nennen sie ihre Magier – heiliger als die Mistel und der Baum, auf dem sie wächst, wofern es nur eine Eiche ist. Schon deshalb wählen sie Eichenhaine und vollziehen kein Opfer ohne Eichenlaub, so dass sie vielleicht deswegen in griechischer Deutung «Druiden» [von griechisch drŷs/Eiche] zu heißen scheinen. Sie meinen wahrhaftig, dass alles, was auf jenen Bäumen wächst, vom Himmel gesandt und ein Kennzeichen des von der Gottheit selbst erwählten Baumes sei. (…) Sie bezeichnen die Mistel mit einem Wort ihrer Sprache als «Allheiler». Nachdem man das Opfer und das Festmahl unter dem Baum feierlich vorbereitet hat, führen sie zwei Stiere von weißer Farbe herbei, deren Hörner dann zum ersten Mal bekränzt werden dürfen. Ein Priester in weißem Gewand steigt auf den Baum und schneidet die Mistel mit einer goldenen Sichel ab.
Diese Nachricht, die der römische Naturforscher Plinius der Ältere 77 n. Chr. aufgeschrieben hat, sollte sich besonders nachhaltig auf die Vorstellung späterer Generationen von Kelten, Misteln und Druiden auswirken, wie zumindest jeder Asterix-Leser wird bestätigen können. Doch wie mächtig und bedeutend die Druiden in ihren keltischen Stammesgemeinschaften tatsächlich waren, davon macht man sich kaum einen Begriff. Bernhard Maier bietet in diesem Buch einen ebenso informativen wie spannenden Überblick über die Druiden als Philosophen, Richter und Priester in der Antike sowie über ihr Fortleben in Geschichte und Mythos vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
Bernhard Maier ist Professor für Allgemeine Religionswissenschaft und Europäische Religionsgeschichte an der Universität Tübingen und ein Keltenforscher von internationalem Rang. Im Verlag C.H.Beck sind von demselben Autor lieferbar: Die Religion der Germanen (2003); Die Kelten (22003); Die Religion der Kelten (22004); Kleines Lexikon der Namen und Wörter keltischen Ursprungs (bsr 1541); Stonehenge (bsr 2377).
Vorwort
1 «Der Tod ist die Mitte eines langen Lebens»: Welt- und Menschenbild
2 «Am meisten verehren sie Merkur»: Götter und Göttinnen
3 «… und schneidet die Mistel mit einer goldenen Sichel»: Riten und Kulte
4 «Jeder Baum ist dort mit Blut besprengt»: Opferplätze und Heiligtümer
5 «Die Könige sind ihre Diener»: Politik, Recht und Gesellschaft
6 Kontinuität oder Rückspiegelung? Druiden im mittelalterlichen Irland
7 Jenseits der Antike und der Bibel: Druiden im Humanismus
8 Die Steine und die Sterne: Druiden im Zeitalter der Aufklärung
9 Nationalismus und Mystizismus: Druiden in der Romantik
10 Zwischen Wissenschaft und Zivilisationskritik: Druiden heute
Schlussbetrachtung
Literatur
Register
Bildnachweis
Die keltischen Druiden zählen zu den bekanntesten und zugleich rätselhaftesten Gestalten des vorchristlichen Altertums. Darüber hinaus gehören sie zu den populärsten, doch auch widersprüchlichsten Identifikationsfiguren des gegenwärtigen Neuheidentums. Das vorliegende Buch will zeigen, wie eng diese beiden – nur vordergründig völlig unterschiedlichen – Aspekte der Druiden miteinander verbunden sind, und wie der eine nicht ohne den anderen zu verstehen ist.
Im Mittelpunkt der ersten Hälfte dieses Buches stehen die historischen Druiden der Kelten in vorrömischer Zeit. In fünf Kapiteln werden die Aussagen der griechischen und römischen Autoren über die Druiden in ihren literarischen und historischen Zusammenhängen vorgestellt und sodann mit den archäologischen Überresten der keltischen Religion konfrontiert. Der zweite Teil des Buches ist demgegenüber der späteren Sicht auf die Druiden gewidmet. In weiteren fünf Kapiteln wird darin die Entwicklung unseres Bildes der keltischen Priester im Rahmen der europäischen Kultur- und Religionsgeschichte dargestellt. Eine Schlussbetrachtung konfrontiert den derzeitigen Stand unseres Wissens über die historischen Druiden mit den phantasievollen Deutungen neuzeitlicher Autoren und sucht die erstaunliche Kluft zwischen gesicherter historischer Erkenntnis und moderner Spekulation im Rahmen eines spezifisch europäischen Umgangs mit fremden und vergangenen Religionen verständlich zu machen.
Das vorliegende Buch will mit seiner Darstellung der Druiden des Altertums und der Neuzeit den Interessen unterschiedlicher Lesergruppen entgegenkommen, denn mindestens ebenso unterschiedlich wie die Interessen der Leser dürften auch deren Voraussetzungen und Vorkenntnisse sein. Neben archäologisch Interessierten, die über die Kelten im Allgemeinen vielleicht schon recht viel gelesen haben, stehen zweifellos andere, die mit der keltischen Kultur erstmals auf diesem Weg Bekanntschaft machen. Um Lesern ohne Vorkenntnisse die Annäherung an den Gegenstand zu erleichtern, gebe ich daher im Folgenden einige Hinweise zur Quellenlage, die der bereits vorbereitete Leser mit Spezialinteressen nur rasch überfliegen oder auch ganz überschlagen mag.
Da fast alle, die sich über die Druiden äußern oder geäußert haben, einen Zusammenhang zwischen ihnen und den antiken Kelten voraussetzen, sei hier zunächst der Begriff «Kelten» näher ins Auge gefasst. Er begegnet zuerst bei griechischen und lateinischen Autoren der Klassischen Antike als Sammelbezeichnung einer Vielzahl von Völkern Mittel- und Westeuropas. Sehr wahrscheinlich geht der von den Griechen gebrauchte Name Keltoí (lateinisch Celtae) ebenso wie die gleichbedeutende Bezeichnung Galátai (lateinisch Galli) auf die Selbstbenennung nur eines dieser Völker zurück, die erst von den Griechen und dann von den Römern in diesem erweiterten Sinn zur Bezeichnung vieler verschiedener Völker verwendet wurde. Dass alle von ihren antiken Nachbarn als Kelten bezeichneten Ethnien sich auch selbst so nannten, ist jedoch kaum anzunehmen.
Ein Hauptunterschied zwischen dem antiken und unserem modernen Keltenbegriff besteht darin, dass man den Namen der Kelten heute auch auf die antiken Bewohner der Britischen Inseln und Irlands bezieht, obwohl diese von den Griechen und Römern niemals so genannt wurden. Dies erklärt sich daraus, dass man im 16. Jahrhundert die Verwandtschaft des Irischen, Walisischen, Schottisch-Gälischen und Bretonischen mit der Sprache der antiken Kelten entdeckte und seit dem 18./19. Jahrhundert alle diese Sprachen – unter Rückgriff auf den antiken Namen der Keltoí/Celtae – als «keltisch» bezeichnete. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass man aus dem Gebrauch einer einzigen gemeinsamen oder gar mehrerer verschiedener, lediglich historisch verwandter Sprachen weder auf ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Sprechenden noch auf eine gemeinsame Kultur schließen kann. Tatsächlich spricht alles dafür, dass jene Völker, die in der Antike eine keltische Sprache gebrauchten – und von denen, wie gesagt, nur manche von den Griechen und Römern als Kelten bezeichnet wurden –, unterschiedliche Kulturen und damit auch unterschiedliche Religionen hatten. Dies im Einzelnen zu rekonstruieren, ist jedoch überaus schwierig, da man wegen des weitgehenden Fehlens einheimischer Schriftquellen vielfach auf die ebenso einseitigen wie unvollständigen Beobachtungen der Griechen und Römer, auf die Deutung archäologischer Quellen und auf den Vergleich mit späteren, nur im sprachlichen Sinn «keltischen» Texten vor allem aus Irland und Wales angewiesen bleibt.
Insbesondere in Süddeutschland, der Schweiz und Österreich findet man vielerorts in Museen und archäologischen Ausstellungen Überbleibsel einer materiellen Kultur, die man gemeinhin als «keltisch» bezeichnet. Dabei handelt es sich oft um Funde der so genannten Latène-Kultur, also jener jüngeren Periode der vorrömischen Eisenzeit, die sich in Mitteleuropa vom 5. bis zum 1. Jahrhundert v. Chr. erstreckt; diese Zeit und alle ihr noch vorausliegenden Jahrhunderte werden in dem vorliegenden Buch als vorrömische Epoche bezeichnet. Benannt ist die Latène-Kultur nach dem heutigen Namen einer Untiefe bei Marin an der Nordspitze des Neuenburger Sees (Lac Neuchâtel) in der Schweiz, wo man in vorrömischer Zeit zahllose Speere, Schwerter, Schilde, Fibeln und andere Gegenstände wohl als Votivgaben für eine Gottheit im See versenkte. Die Zuweisung dieser schriftlosen Funde an die historischen Kelten ist insofern unproblematisch, als man sie in vielen Fällen mit Völkern in Verbindung bringen kann, die von ihren südlichen Nachbarn als Kelten bezeichnet wurden und nach Ausweis der von ihnen verwendeten Personennamen auch tatsächlich eine keltische Sprache gebrauchten. Gleichwohl ist dabei zu bedenken, dass keltische Sprachen nach Ausweis der Ortsnamen zweifellos auch in solchen Regionen gebräuchlich waren, wo Funde der Latène-Kultur nur selten oder fast gar nicht vorkommen. Die keltische Kultur ist also nicht einfach identisch mit der heute so genannten Latène-Kultur. Außerdem spricht die Ähnlichkeit des keltischen Sprachzweigs mit dem Germanischen und den indogermanischen Sprachen Italiens dafür, dass das Keltische bereits einige Jahrhunderte vor dem Beginn der Latène-Kultur seine für spätere Zeiten charakteristische Ausprägung fand. Die Träger der vorangehenden, nach einem Gräberfeld am Hallstätter See im österreichischen Salzkammergut benannten eisenzeitlichen Späten Hallstatt-Kultur (6.–5. Jahrhundert v. Chr.) – darunter die Bewohner der Heuneburg und der heute so genannte «Keltenfürst von Hochdorf» – könnten also ebenfalls eine keltische Sprache gesprochen haben, auch wenn sich das nicht beweisen lässt. Was bedeutet dies für unser Verständnis der Druiden?
Klar ist, dass die antiken Autoren in den Druiden die Priester der von ihnen als Kelten bezeichneten Völker sahen und dass viele dieser Völker eine heute als «keltisch» bezeichnete Sprache gebrauchten. Gleichwohl begegnen Druiden keineswegs überall dort, wo antike Autoren von Kelten reden: Weder auf der Iberischen Halbinsel noch in Oberitalien noch auf dem Balkan oder in Kleinasien hören wir jemals etwas von Druiden. Außerdem setzen die schriftlichen Nachrichten über sie erst lange nach der Entstehung der keltischen Sprachen und erst geraume Zeit nach den ersten Funden aus der Latène-Kultur ein. So wirft auch das vorliegende Buch unter Berücksichtigung neuester Funde und Forschungen die schon oft gestellte Frage auf, seit wann und wo überall wir mit Druiden zu rechnen haben. Da die Druiden im archäologischen Fundgut nicht sicher fassbar sind und auch keine eigenen schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen haben, sind wir fast vollständig auf die Nachrichten der Griechen und Römer angewiesen, deren Zuverlässigkeit wir jedoch oft nur nach inneren Kriterien und nicht aufgrund weiterer, unabhängiger Quellen beurteilen können. Eine Hauptquelle für unsere Kenntnis sind dabei griechische und römische Autoren des 1. Jahrhunderts v. Chr., die vor allem die Verhältnisse im unmittelbar vorrömischen Gallien im Auge haben und in einem schwer bestimmbaren Ausmaß voneinander und von den heute verschollenen Werken älterer Autoren abhängig sind. Wie die folgenden Kapitel zeigen werden, werfen ihre Berichte daher oft mehr Fragen auf, als sie beantworten können.
Manche behaupten, die Beschäftigung mit der Philosophie habe ihren Anfang bei den Barbaren genommen. Es habe nämlich bei den Persern die Magier, bei den Babyloniern und Assyrern die Chaldäer, bei den Indern die Gymnosophisten sowie bei den Kelten und Galatern die sogenannten Druiden und Semnotheoi gegeben, wie Aristoteles in seiner Schrift Magikos und Sotion im 23. Buch seiner Diadoche berichten.
So schrieb, wohl um die Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr., der nur aus seinem Werk bekannte Philosophiehistoriker Diogenes Laertios im Vorwort seines Buches über Leben und Meinungen berühmter Philosophen, einer ebenso umfangreichen wie unkritischen Sammlung biographischer Nachrichten, Anekdoten und Meinungsäußerungen griechischer Denker von den Vorsokratikern des 6. Jahrhunderts v. Chr. bis zum ausgehenden Hellenismus und der unmittelbar vorrömischen Zeit (1. Jahrhundert v. Chr.). Wie so oft im Falle der Druiden haben wir es dabei mit einer Nachricht aus zweiter Hand zu tun, deren Herkunft unsicher bleibt. Diese Unsicherheit ergibt sich zunächst daraus, dass uns keine der hier zitierten Schriften – weder der Magikos noch die Diadoche – erhalten geblieben ist und wir daher nicht mehr feststellen können, ob ihre Verfasser tatsächlich jene Auffassung vertraten, die Diogenes Laertios ihnen sehr viel später zuschrieb. Denkbar ist nämlich auch, dass die Druiden erst nachträglich von einem späteren Bearbeiter in die oben zitierte Liste «barbarischer» Philosophen im Magikos oder in der Diadoche eingefügt wurden und dass Diogenes überhaupt nicht die Originalwerke, sondern nur diese spätere Bearbeitung gekannt und verwendet hat. Hinzu kommt ein Datierungsproblem: Einigkeit herrscht nämlich lediglich darüber, dass die Diadoche des Philosophiehistorikers Sotion von Alexandria in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. geschrieben wurde. Das Alter des Magikos ist aber durchaus umstritten, denn während manche Forscher an der – auch von Diogenes vertretenen – Zuschreibung des Werks an Aristoteles und damit an einer Datierung ins 4. Jahrhundert v. Chr. festhalten, sehen andere in dem aristotelischen Philosophen Antisthenes von Rhodos den wahren Verfasser und setzen die Abfassung der Schrift daher ins 2. Jahrhundert v. Chr. Wie wir aufgrund weiterer Quellen noch sehen werden, wurden die Druiden spätestens seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. von einigen Autoren als keltische Entsprechungen der griechischen Philosophen gehandelt. Vielleicht besaßen sie dieses Prestige bereits im frühen 2. Jahrhundert v. Chr., wie Diogenes Laertios dies offenkundig annahm. Wenn das so gewesen sein sollte, dann könnten die Druiden den Griechen tatsächlich schon sehr viel früher, etwa im 3. oder 4. Jahrhundert v. Chr., bekannt gewesen sein. Von dieser Datierungsproblematik wird im fünften Kapitel noch einmal ausführlich die Rede sein, doch sei hier zunächst der Blick auf den Inhalt der oben zitierten Passage gerichtet, der in ähnlicher Form bei anderen antiken Autoren wiederkehrt. «Es gibt [bei den Kelten] gewisse Philosophen und hoch geehrte Gottesgelehrte, die sie Druiden nennen», heißt es etwa bei dem um 90 v. Chr. geborenen Historiker Diodor von Sizilien (Bibliothek 5,31,2). Worauf beruht dieser antike Vergleich der Druiden mit den griechischen Philosophen, und wie berechtigt ist er?
Mit die älteste Umschreibung des Inhalts der druidischen Philosophie verdanken wir Iulius Caesar (De Bello Gallico 6,14,6), der sie um die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. im Anschluss an eine kurze Darstellung ihrer Wiedergeburtslehre – darüber unten mehr – so umschrieb:
Viel disputieren sie außerdem über die Gestirne und ihren Lauf, die Größe der Welt und der Erde, die Natur der Dinge und das Walten und die Macht der unsterblichen Götter, und geben das dann an die Jugend weiter.
Dem entspricht die Darstellung des Geographen Pomponius Mela (De chorographia 3,2,18), der knapp hundert Jahre nach Caesar in der ältesten erhaltenen Länderkunde in lateinischer Sprache die Druiden als Weisheitslehrer (magistri sapientiae) wie folgt charakterisierte:
Sie erklären, über die Größe und die Gestalt der Welt, die Bewegungen des Himmels und der Gestirne sowie über den Willen der Götter Bescheid zu wissen.
Abgesehen von der Bezeichnung «Weisheitslehrer» – eine offenkundige Umschreibung des griechischen Ausdrucks «Philosophen» – bietet Pomponius Mela also keine Informationen, die nicht bereits in Caesars Schrift enthalten sind (und die der Geograph vielleicht genau daraus bezog – von dieser Problematik wird im Folgenden noch des Öfteren die Rede sein). Da von der druidischen Wiedergeburtslehre erst weiter unten und von den Göttern und Gottesvorstellungen der Druiden erst im nächsten Kapitel die Rede sein soll, seien hier zunächst die von Caesar erwähnten Vorstellungen der Druiden «über die Gestirne und ihren Lauf, die Größe der Welt und der Erde, die Natur der Dinge» ins Auge gefasst.
Die Spärlichkeit des Schriftgebrauchs bei den Kelten bringt es mit sich, dass unsere Kenntnis des altkeltischen Wortschatzes und damit auch des Weltbilds der Druiden äußerst lückenhaft ist. Einige Anhaltspunkte liefert jedoch die Vergleichende Indogermanische Sprachwissenschaft, deren Ergebnisse günstigenfalls bis in die vorgeschichtliche, schriftlose Zeit zurückführen. Ein noch heute in Wales gebräuchliches Wort für «Welt» ist walisisch byd, das in der Form *bitu- im Vorderglied des zusammengesetzten Stammesnamens der Bituriges (im Gebiet der nach diesem Stamm benannten Stadt Bourges, dem Avaricum Caesars) bereits in der Antike bezeugt ist. Neben *bitu- standen allem Anschein nach die Bezeichnungen *albio- und *dumno-, in denen man wegen ihres sprachgeschichtlichen Zusammenhangs mit lateinisch albus «weiß» bzw. gotisch diups «tief» zwei ursprünglich komplementäre Bezeichnungen einer «lichten» Oberwelt und einer «tiefen» Unterwelt sehen wollte, was aus dem uns erhaltenen Sprachmaterial jedoch nicht sicher zu belegen ist (vgl. neben dem Stammesnamen der Bituriges die vielleicht gleichbedeutenden Personennamen Albiorix und Dumnorix). Manches spricht dafür, dass man – ähnlich wie im alttestamentlichen hebräischen Sprachgebrauch etwa des biblischen Schöpfungsberichts (Genesis 1,1) – die «Welt» als Einheit von Himmel und Erde auffasste, wovon noch die Rede sein soll. Einen Fingerzeig auf das keltische Menschenbild gibt schließlich die Etymologie der Wörter für «Mensch»: Bezeichnet altkeltisch *gdonios (sprachverwandt mit irisch duine «Person» und walisisch dyn «Mann») den Menschen als den «Erdling» (parallel zu griechisch chthōn «Erde» und chthonios «irdisch»), so charakterisiert ihn altirisch doín als den «Sterblichen» (parallel zu altnordisch deyja und gotisch diwan «sterben»). Ein Überbleibsel der vorchristlichen Anthropologie ist vielleicht walisisch enaid «Seele», das im Hinblick auf altirisch anál und walisisch anadl «Atem» ebenso wie lateinisch anima «Seele» ursprünglich soviel wie «Lebenshauch» bedeutet haben könnte.
Dass die Druiden «viel über die Größe der Welt und der Erde» disputiert hätten, ist aus unabhängigen Quellen zwar nicht zu bestätigen, doch hat man aus Caesars Hinweis auf das druidische Studium der Gestirne immer wieder auf eine an den Himmelskörpern orientierte Zeitrechnung geschlossen. Den Kronzeugen dafür bildet ein 1897 bei dem Ort Coligny in Südostfrankreich entdeckter gallo-römischer Kalender, der zwar nicht vor dem Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. entstanden sein dürfte, im Hinblick auf die Vielzahl – größtenteils unverständlicher – gallischer Bezeichnungen aber wohl älteren vorrömischen Vorbildern verpflichtet ist. Die Grundlage der Zeiteinteilung bildete ein Mondjahr aus 12 Monaten mit (7 × 30 + 5 × 29 =) 355 Tagen, dessen Abweichung gegenüber dem Sonnenjahr man bis zu einem gewissen Grad dadurch ausglich, dass man alle zweieinhalb Jahre einen dreißigtägigen Schaltmonat einschob. Der auf dem Kalender dargestellte Fünfjahreszyklus umfasst dementsprechend 62 Monate, von denen jeder – da die siebentägige Woche den Kelten ebenso wie den Germanen ursprünglich fremd war – in zwei Hälften aus 15 + 15 oder 15 + 14 Tagen unterteilt war. Wie wir im dritten Kapitel sehen werden, finden wir bei dem Historiker Diodor von Sizilien einen wertvollen Hinweis darauf, dass ein Fünfjahreszyklus bereits im vorrömischen Gallien eine wichtige Rolle spielte. Bei Caesar wiederum begegnet im Zusammenhang mit der Zeitrechnung noch ein weiterer aufschlussreicher Hinweis auf das Welt- und Menschenbild der Druiden (De Bello Gallico 6,18,1–2):
Alle Kelten rühmen sich, von Dis Pater abzustammen, und berufen sich dafür auf eine Lehre der Druiden. Deswegen bestimmen sie alle Zeiträume nicht nach der Zahl der Tage, sondern der Nächte; Geburtstage, Monats- und Jahresanfänge berechnen sie so, dass die Nacht zum folgenden Tag zählt.
Was Caesars Bemerkung über die Herkunft der Kelten von den Mitteilungen sämtlicher früherer Autoren unterscheidet, ist sein ausdrücklicher Hinweis auf ihren keltischen Ursprung. Bis dahin hatten die antiken Autoren nämlich durchweg auf phantasievolle Namengleichungen zurückgegriffen, um die Kelten mit der griechischen Mythologie zu verknüpfen. Den Anfang machte dabei wohl der Historiker Timaios von Tauromenion, der im 4. oder 3. Jahrhundert v. Chr. den Ländernamen Galatía aus dem Namen des Königs Galates, eines Sohnes des Kyklopen Polyphem und der Quellnymphe Galateia, erklärte (Etymologicum Magnum, Stichwort «Galatía»). In ähnlicher Weise leitete im 2. Jahrhundert n. Chr. der Historiker Appian die Namen der Kelten, Illyrer und Galater von drei Söhnen Polyphems namens Keltos, Illyrios und Galates ab (Illyrica 2,3–4). Wenn Diodor von Sizilien demgegenüber erklärte, die Galater seien Nachkommen des Galates, eines Sohnes des griechischen Heroen Herakles und der Tochter eines einheimischen Königs (Bibliothek 5,24,1–3), so war diese Bemerkung zweifellos darauf berechnet, die zivilisierende Wirkung der Griechen auf ihre nördlichen Nachbarn zu veranschaulichen. Eine ähnliche Genealogie finden wir bei dem griechischen Dichter Parthenios von Nikaia, einem Zeitgenossen Diodors, der die Kelten aus der Verbindung zwischen Keltos, einem Sohn des Herakles, und der Tochter eines einheimischen Herrschers namens Keltine hervorgehen ließ (Erōtika Pathēmata oder «Leidvolle Liebesgeschichten» 30,1–2).
Wer aber verbirgt sich in Caesars Bericht hinter dem Namen des Dis Pater, der als römischer Gott des Reichtums und der Unterwelt vermutlich eine Entsprechung des griechischen Gottes Pluton darstellt? Antike festlandkeltische Zeugnisse helfen hier kaum weiter, doch einen möglichen inselkeltischen Anknüpfungspunkt bilden vielleicht einige mittelalterliche irische Erzählungen um eine Gestalt namens Donn («der Dunkle»). Er erscheint im Buch von der Landnahme Irlands (Lebor Gabála Érenn) aus dem 11. Jahrhundert als einer der Söhne Míls, des Stammvaters der Iren, der noch vor der Landung seiner Brüder an der Küste Irlands in der Bucht von Inber Scene ertrank. Als sein Grab galt die kleine Felseninsel Tech nDuinn («das Haus des Donn»), die heutige Insel Bull Rock vor der Insel Dursey. Einem Gedicht aus dem 9. Jahrhundert zufolge war es der letzte Wunsch Donns, dass alle seine Nachkommen sich nach ihrem Tod in seinem Haus versammeln sollten, weshalb die mittelalterliche Erzählung von der Nachtwache Fíngens (Airne Fíngein) Tech nDuinn als den Ort bezeichnen, «wo sich die Toten ein Stelldichein geben.» Möglicherweise spiegelt sich in den mittelalterlichen Erzählungen um Donn also die vorchristliche Überlieferung um eine mythologische Gestalt, die man zugleich als Ahnherr und Totengott ansah. In der vedischen Mythologie des alten Indien finden wir in dieser Rolle den Gott Yama, der einerseits die Unterwelt regiert, andererseits zusammen mit seiner Schwester Yamī das erste Menschenpaar bildete. Ihm entspricht in der altnordischen Mythologie der Urriese Ymir, dessen Namen man als «Zwilling» oder «Zwitter» deutet. Dies wiederum erinnert an den Namen Tuisto, mit dem Tacitus (Germania 2) in seinem Referat eines germanischen Ursprungsmythos den «erdentsprossenen Gott» und Vater des Ahnherrn der Germanen bezeichnet.
Eine bemerkenswerte Parallele findet Caesars Hinweis auf die druidische Lehre vom göttlichen Ahnherrn der Kelten im 4. Jahrhundert n. Chr. bei dem Historiker Ammianus Marcellinus (Res gestae 15,9,4), der sich für seine Bemerkungen darüber auf Timagenes von Alexandria, einen Historiker der augusteischen Zeit, beruft:
Die Druiden überliefern tatsächlich, dass ein Teil der Bevölkerung [Galliens] schon immer dort ansässig gewesen sei, während andere von höchst entfernten Inseln und Gegenden jenseits des Rheins hinzugekommen seien, nachdem sie durch häufige Kriege und Sturmfluten aus ihren Wohngebieten vertrieben worden waren.
Da der Hinweis auf den Ursprung der Kelten als eine Überlieferung der Druiden ganz ähnlich auch bei Caesar steht, könnte die erste Hälfte dieser Notiz direkt auf Caesar oder aber auf einen älteren Gewährsmann, dessen Angaben sowohl Caesar als auch Timagenes vertrauten, zurückgehen. Woher aber stammt der Hinweis auf die durch Sturmfluten verursachte Völkerwanderung, den man bei Caesar vergeblich sucht?
Eudemische EthikNikomachische EthikAnthologionplēmyridesÜber die Träume