Wolfgang Behringer
HEXEN
Glaube, Verfolgung, Vermarktung
C.H.Beck
Der Glaube an Hexen ist weltweit verbreitet – auch heute noch. In beinahe allen Kulturen gab oder gibt es Menschen, die glauben, dass bestimmte Personen mit Hilfe magischer Kräfte Nutzen oder Schaden stiften und mit Geistern und Dämonen in Kontakt treten können. Wolfgang Behringer, einer der führenden Experten zur Geschichte der Hexenverfolgung, schildert in diesem Band knapp und präzise die Traditionen des Hexenglaubens, die Zeit der großen Prozesse und Hinrichtungen in Europa sowie die spätere Rezeption und Vermarktung. Und auch die heutige Situation wird nicht ausgespart.
Wolfgang Behringer, geb. 1956, war von 1999 bis 2003 Chair in Early Modern History an der University of York. Seither ist er Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität des Saarlandes. Bei C.H.Beck sind von ihm u.a. erschienen: Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung (52010) und Tambora und das Jahr ohne Sommer. Wie ein Vulkan die Welt in die Krise stürzte (52017).
I. Einleitung
II. Hexenglaube
III. Hexenverfolgung
IV. Kampf gegen die Hexenverfolgungen
V. Verwertung und Vermarktung
VI. Epilog
ANHANG
Literatur
Quelleneditionen
Sammelwerke
Untersuchungen
Zeittafel
Zur Entwicklung im 21. Jahrhundert
Register
Menschen in vielen Kulturen glauben, dass bestimmte Personen ohne natürliche Hilfsmittel schädliche Wirkungen hervorrufen können. Über den Wahrheitsgehalt solcher Zuschreibungen können innerhalb derselben Gesellschaft Differenzen bestehen, oft wird der Hexenglaube von einer dominierenden weltanschaulichen Strömung, einer Hochreligion oder dem Rationalismus der westlichen Zivilisation bekämpft. Da der Hexereivorstellung ein Inversionsmotiv zugrunde liegt, die Verkehrung zentraler gesellschaftlicher Normen, tritt sie mit einer gewissen Notwendigkeit mit ähnlichen Inhalten auf. Deviantes Sozial- und Sexualverhalten gehören zu diesem Bild, bestimmte Merkmale im Erscheinungsbild, eine Affinität zur Nacht, der Kontakt mit Geistern und Dämonen, auch esoterische Zusammenkünfte mit schrecklichen Untaten wie Kannibalismus oder rituellem Kindermord. Darüber hinaus werden den Hexen märchenhafte Fähigkeiten zugeschrieben, deren archaischer Gehalt nicht allein funktional erklärt werden kann. Dazu gehören der Flug durch die Luft, Tierverwandlung, Zukunftsvorhersage und die Beeinflussung des Laufs der Natur. Wiederholt ist auf die schmale Trennlinie zwischen Hexerei und Heiligkeit hingewiesen worden.
Die Hexen werden in diesem Buch als Teil eines größeren Themas betrachtet, welches eine Reihe akademischer Disziplinen beschäftigt hat, wobei Ethnologie und Geschichtsforschung den größten Beitrag geleistet haben. Die Spannweite der Fächer ist jedoch breiter. Die über dreihundert Doktorarbeiten, die im deutschen Sprachraum seit Beginn des 20. Jahrhunderts zur Hexerei und verwandten Gebieten geschrieben worden sind, verteilen sich auf die Disziplinen Geschichte, Recht, Theologie, Psychologie, Soziologie, Ethnologie, Medizin, Sprachwissenschaften, Volkskunde und Fächer, die sich mit den alten Zivilisationen beschäftigen. Veränderte Fragestellungen und interdisziplinäre Zusammenarbeit haben die historischen Hexenverfolgungen in ein neues Licht gerückt. Früher betonte Bedingungen wie die christliche Dämonenlehre, der römische Inquisitionsprozess, die legale Tortur im Strafverfahren, frauenfeindliche Phantasien von Klerikern oder fiskalische Absichten des Staates haben an Erklärungswert verloren. Die Entdeckung, dass Hexenverfolgungen primär von der Bevölkerung gewünscht und notfalls gegen den Willen der Obrigkeit durchgeführt worden sind, entschuldigt nicht die Anteile der Kirche, der Justiz und des Staates an den Verfolgungen, hat sie aber relativiert. Stattdessen hat die Analyse sozialer und psychischer Strukturen an Bedeutung gewonnen. Europäischer und außereuropäischer Hexenglaube erweisen sich als stärker vergleichbar als früher angenommen. Folter und Tötung von Hexen gab es auch außerhalb des christlichen Kulturkreises. Hexerei und Hexenverfolgung sind Themen, welche die ganze Menschheit betreffen.
Abb. 1: Teufelsanbetung und Hexenflug, aus: Johannes Tinctoris, Contra sectam Vaudensium, ca. 1460
Dieses Buch folgt nicht dem engen Hexenbegriff, der bis vor Kurzem von Historikern oder Ethnologen gebraucht worden ist. Die christliche Definition durch den Teufelspakt ist ebenso partikular wie die von Edward Evan Evans-Pritchard (1902–1973) propagierte Betonung der körperbezogenen Erblichkeit. Derartige Hexereibegriffe, die periphere oder regionale Phänomene als Kriterien der Definition betonen, versagen an den konkreten Einzelfällen und verhindern die Vergleichbarkeit. Weder in heutigen Gesellschaften noch im historischen Europa hat es jemals eine einheitliche Hexereivorstellung gegeben. Die regionalen Begriffe waren in Europa so verschieden wie im heutigen Afrika, und auch die Inhalte der Begriffe waren nicht völlig identisch. Nur ein erweiterter Blickwinkel ermöglicht die Erfassung der Spezifik der europäischen Auseinandersetzung mit dem Hexenglauben. Dies erscheint wichtig, weil in Europa jene Ablehnung des Hexenglaubens wurzelt, die während der Epoche des Kolonialismus in andere Kulturen exportiert wurde. Der dadurch hervorgerufene Kulturkonflikt erinnert in vielfacher Hinsicht an die historischen innereuropäischen Konflikte, die insofern prototypischen Charakter besitzen.
Die europäische Kultur hat Definitionen von Hexerei hervorgebracht, die sich gravierend von traditionellen Vorstellungen unterscheiden. Grundlegend war die Perspektive der christlichen Dämonenlehre. Nach Augustinus (354–430) beruhte jede Form der Superstition oder der Magie – schwarze wie weiße – auf einem ausdrücklichen oder stillschweigenden Pakt mit dem Teufel. Für mittelalterliche Theologen wie Burchard von Worms (965–1025) waren Hexen Personen, die sich selbst, durch teuflische Illusionen verblendet, Kräfte zuschrieben, die sie in Wirklichkeit nicht besaßen. Spätmittelalterliche Theologen wie der Verfasser des Malleus maleficarum (Hexenhammer) Heinrich Kramer/Institoris (1430–1505) sahen in den Hexen Mitglieder einer großen, gegen die christliche Gesellschaft gerichteten Verschwörung, die durch Gottes Zulassung immensen Schaden anrichten konnten und vernichtet werden mussten. Frühneuzeitliche Verfolgungsgegner wie Johann Weyer (1515–1588) konnten dagegen in den angeblichen Hexen nur melancholische Frauen erkennen, denen man mit Nachsicht und Liebe begegnen sollte, um sie von ihren Wahnvorstellungen zu heilen. Für Vertreter des europäischen Rationalismus und der Aufklärung war Hexerei inexistent, die Tötung angeblicher Hexen schreiendes Unrecht, Justizmord, wie August Ludwig Schlözer (1735–1809) anklagte. Im Zeitalter der Romantik erklärte Jacob Grimm (1785–1863) die Hexen zu «weisen Frauen», welche die Geheimnisse einer alten Volkskultur bewahrt hätten und deswegen von der christlichen Kirche verfolgt worden seien. Der französische Revolutionshistoriker Jules Michelet (1798–1874) betrachtete sie als «Ärztinnen des Volkes», Opfer der feudalen Unterdrückung und Vorläufer der sozialen Revolution.
Der Abstraktionsschub, den die Interpretation der Hexerei mit dem Aufstieg der Gesellschaftswissenschaften erlebt hat, kann am besten anhand dreier Theoretiker verdeutlicht werden, die den Rahmen zur Interpretation der Hexenthematik schufen. Soziologen im Gefolge Émile Durkheims (1858–1917) betrachten die Hexereivorstellung als Mittel zur Selbstvergewisserung der Gesellschaft, die sich anhand von Devianz über ihre Normen verständigt. Die Psychologie sieht seit Sigmund Freud (1856–1939) als Grundlage der Hexereivorstellungen ins Unterbewusstsein verdrängte Triebregungen und in den Hexen Objekte einer Projektion zur Ableitung eigener Ängste und Aggressionen. Die Ethnologie interpretiert seit Bronislaw Malinowski (1884–1942) Hexenfurcht und Antihexereibewegungen als Krisensymptome einer Gesellschaft. Magie war für ihn wie für Freud ein Mittel zur Wunscherfüllung, die als Folge defizitärer Technik in primitiven Gesellschaften notwendig hervortritt.
Hexenglaube und Hexenverfolgung stellen nicht nur ein Phänomen der Vergangenheit dar. In den urbanen Zentren der westlichen Zivilisation bezeichnen sich Dissidenten aus dem esoterischen oder feministischen Milieu als «neue Hexen». Die Hexenpanik in der Nordprovinz der Republik Südafrika, wo im Jahr 1996 etwa dreihundert Menschen wegen Hexerei von lokalen Tribunalen verurteilt und hingerichtet wurden, ist nur ein jüngeres Beispiel für das Aufbrechen der traditionellen Hexenfurcht. Die vom African National Congress Nelson Mandelas gestellte Provinzregierung in Polokwane zeigte sich entsetzt und richtete Asyldörfer zum Schutz der Verfolgten ein. Moderne Antihexereibewegungen in Afrika und anderen Teilen der heutigen Welt verdeutlichen wie die historischen Pogrombewegungen in Europa, worum es bei dem traditionellen Hexereibegriff geht: um die Auseinandersetzung mit «dem Bösen». Grundlage dafür ist die nie zu lösende und immer aktuelle Frage nach den Ursachen der Leiden und Übel in der Welt, von Unglück, Krankheit und Tod. Dieses Thema mit Bezügen zum Theodizeeproblem ist ebenso zeitlos und kulturübergreifend wie die Auseinandersetzung der Menschheit mit ihren physikalischen Grenzen, den Gesetzen der Natur und der Möglichkeit ihrer Überschreitung.
Der vorliegende Versuch eines Überblickes betrachtet das Thema Hexen als anthropologisches Phänomen mit historischer Dimension. Vier Kapitel behandeln Hexenglauben, Hexenverfolgung, den Kampf dagegen sowie die Verwertung und Vermarktung des Themas. Gemäß dem Charakter der Reihe wird auf Fußnoten verzichtet. Wichtige Quellentexte zu den historischen Hexenverfolgungen sind in den Sammlungen von Joseph Hansen, Alan Kors und Edward Peters sowie vom Autor dieses Buches zu finden. Die kursiv gesetzten Buchtitel kehren nicht unbedingt im Literaturverzeichnis wieder. Dieses enthält ein Verzeichnis der unverzichtbaren und aktuell wichtigsten Buchtitel. Biographische Daten finden sich jeweils bei den Erstnennungen der Akteure im Text. Zeittafel und Register sollen die Übersichtlichkeit erhöhen.
Die sozialistische Regierung des westafrikanischen Landes Benin (bis 1975 Dahomey) ließ nach ihrer Machtübernahme eine Briefmarke mit dem Thema La lutte contre la sorcellerie (Forces du Mal) drucken. Die Antihexereikampagne wollte sie als eine Form des Klassenkampfes verstanden wissen, da Reichtum im traditionellen Afrika gemäß der Vorstellung der Begrenztheit der Güter oft auf Zauberei zurückgeführt wird. Die Bevölkerung fing jedoch an, alte Frauen zu jagen, die für eine Tetanusepidemie mit hoher Kindersterblichkeit verantwortlich gemacht wurden. Anstatt eine Impfaktion zu beginnen, ließ die Regierung Geständnisse der Hexen im Radio verbreiten. Die Frauen gaben an, sich in Waldkäuze verwandelt und kleine Kinder verhext zu haben, um deren Seelen in Tiere verwandeln zu können, die sie dann auffraßen. Diese Zusammenfassung eines rezenten Ereignisses aus einem «Entwicklungsland» mit hoher Kindersterblichkeit, dessen Einwohner mehrheitlich traditionellen «Naturreligionen» anhängen (18 % Katholiken, 15 % Muslime), lässt eine Fülle von Motiven anklingen, die im antiken Strigenglauben, im alteuropäischen Hexenglauben und in der Vorstellungswelt Afrikas, Südostasiens und Amerikas gleichermaßen zu finden sind.
Solche kulturübergreifenden Ähnlichkeiten bedürfen einer Erklärung. Die bekannte Alternative Kulturdiffusion oder Strukturgenese kann dabei aus methodischen Gründen nicht entschieden werden. Gemeinsame Ursprünge würden am einfachsten die Gemeinsamkeiten in den Vorstellungen erklären, sie müssten allerdings weiter zurückreichen als die Besiedelung Amerikas, also viele Jahrtausende. Aussagen über das Alter magischer Vorstellungen, von Tierverwandlung, magischem Flug etc. können ebenfalls kaum getroffen werden. Prähistoriker legen jedoch bei einer Reihe von Artefakten, Felsbildern oder Höhlenmalereien magisch-religiöse Bezüge nahe. Sicherheit bekommen wir mit dem Einsetzen schriftlicher Überlieferung. Hier kann man sehen, dass Beschwörungen und Texte zur Hexenabwehr zu den ältesten überlieferten Texten der Menschheit gehören. Der Nachweis einer gemeinsamen Abstammung aller Hexereivorstellungen ist freilich methodisch unmöglich. Im Zeitalter der Mythenbastelei stieß eine solche Vorstellung auf dezidierte Ablehnung. Malinowski hat darauf verwiesen, dass magische Vorstellungen und Praktiken fast überall die gleiche Funktion erfüllten, und impliziert, dass der Hexenglaube von der Arktis bis Australien in ähnlicher Weise immer wieder neu entstanden sei. Das würde freilich letztlich bedeuten, dass er nicht nur durch äußere Bedingungen hervorgerufen wird, sondern auch in der menschlichen Psyche angelegt ist. Psychologen haben magische Verhaltensweisen im Kindesalter festgestellt, die auf Versuchen einer Selbstdeutung der Umwelt ohne ausreichendes Wissen beruhen. Sicher besteht hier ein Zusammenhang zur Beliebtheit von Zaubermotiven in Märchen. Nach der Psychoanalyse Freuds sind Omnipotenzphantasien ohnehin im menschlichen Unbewussten angelegt.
Freilich sind Hexereivorstellungen weder gleichförmig noch gleichmäßig verteilt. Untersuchungen über Hexerei und Antihexerei in Afrika haben gezeigt, dass Hexereivorstellungen in manchen afrikanischen Gesellschaften keine Rolle spielen, weil Unglück Göttern oder Ahnengeistern zugeschrieben wird, während in anderen unter vergleichbaren Bedingungen sozialer Organisation und Ökonomie die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung an Hexerei glaubt. Die frühen Feldstudien wie die Evans-Pritchards haben Beispiele von Gesellschaften in Afrika vorgeführt, bei denen der Glaube an Hexerei das soziale Leben in hohem Maße strukturierte. Der Anthropologe Max Marwick versuchte in den 50er Jahren, solche allgemeinen Aussagen auf eine statistische Basis zu stellen, und sammelte bei den Cewa in Ostafrika 200 Fälle von «Unglück», deren Umstände und Interpretation er verglich. Dabei stellte er fest, dass Unglück bei allgemeiner Fragestellung zu 100 % auf Hexerei zurückgeführt wurde, bei den konkreten Fällen immer noch zu 54 %. Nur ein Viertel der Befragten führte das Unglück auf natürliche Ursachen oder Gott zurück, der Rest verteilt sich auf Ahnengeister und Personen, die nicht als Hexen betrachtet wurden. Bei 74 % der Fälle von Hexerei (79 von 107) wurde die Hexe oder der Zauberer namentlich identifiziert (54 Männer, 35 Frauen). In 78 % der Fälle waren vermuteter Täter und Opfer matrilinear verwandt, in 21 % angeheiratet oder entfernt verwandt. Nur in 1 % der Fälle waren sie überhaupt nicht miteinander verwandt. Soziale Nähe war nicht nur bei den Cewa konstitutiv für Verhexungsangst, Kategorien wie Verwandtschaft oder Nachbarschaft spielen in allen Gesellschaften eine herausragende Rolle.
Intensiver Hexenglaube ist keineswegs beschränkt auf rurale Gebiete oder die niederen Bildungsschichten. 1968 hielten an der Universität von Ghana 41 % der Studenten die Existenz von Hexerei für wahrscheinlich, weitere 35 % waren sich ganz sicher. Ähnliche Zahlen sind von höheren Schulen in Sambia bekannt, wo die Behauptung «Zauberer machen Leute krank» nur von 9 % der Befragten verneint, von 83 % dagegen bejaht wurde, davon 62 % mit «strongly agree». Intensiver Hexenglaube bedeutet nicht ständige Angst, sondern ein Bewusstsein latenter Gefahr, vergleichbar Verkehrsunfällen in Großstädten. Isaac Schapera wies nach, dass in Botsuana Hexerei vor Ankunft der Europäer der Gerichtsbarkeit der Häuptlinge unterstand und Folter und Tötung Instrumente der vorkolonialen Justiz waren. Zwei Sammelbände von Max Marwick und Mary Douglas über Witchcraft demonstrierten 1970 den hohen Forschungsstand zum komplexen Phänomen der afrikanischen Hexerei und setzten für die internationale Forschung Standards. Auf die Zunahme der Antihexereibewegungen seit der Entkolonialisierung geht exemplarisch der Sammelband Witchcraft in Contemporary Tanzania ein, der Aufschlüsse über Hexenverfolgungen der Moderne gibt.
Für Asien und Australien/Ozeanien gehörte Hexerei nicht wie für die afrikanische Ethnologie zu den erstrangigen Gegenständen, obwohl Malinowski bereits 1922 in seiner klassischen Feldstudie Argonauts of the Western Pacific wie in den folgenden Studien auf das Phänomen der bösen Zauberer (bwagau) und der «fliegenden Hexen» (mulukwausi) hingewiesen hatte. Sein Befund, dass alle wichtigen Lebensstationen von Magie begleitet sind und schwere Unglücksfälle und der Tod fast immer auf Hexerei zurückgeführt werden, wurde von anderen Ethnologen wie Reo F. Fortune bestätigt. Philipp Kuhns Untersuchung Soulstealers. The Chinese Sorcery Scare of 1768 präsentiert das Beispiel einer historischen Hexenpanik in einer asiatischen Hochkultur. Ethnien in Ländern mit so unterschiedlichem kulturellen Hintergrund wie das christlich-animistische Papua-Neuguinea, die islamischen Länder Indonesien und Malaysia oder das buddhistische Thailand kennen gleichermaßen Hexereivorstellungen. Der Sammelband Understanding Witchcraft and Sorcery in Southeast Asia verdeutlicht, dass man sich in manchen Ethnien über den Hexenglauben eher lustig macht, während andere ihm einen hohen Stellenwert beimessen. Das Ausmaß moderner Antihexereibewegungen in Asien wird für das hinduistische Indien in Sohaila Kapurs Witchcraft in Western India deutlich.
Im modernen Amerika mischen sich Hexereivorstellungen der Einwanderer aus Europa, Afrika und Asien mit denen der Native Americans (Indianer). In der Karibik und in Brasilien besteht trotz christlicher Missionsbemühungen ein starker afrikanischer Einfluss, der in dem Aufstieg der aus Westafrika stammenden Voodoo-Religionen mit ihren ausgeprägten Verhexungsängsten zum Ausdruck kommt. Für die Erforschung des altamerikanischen Hexenglaubens waren die Arbeiten der Kulturanthropologen um Franz Boas (1858–1942) und ihrer frühen Rezeption der russischen Schamanismusforschung wegweisend. Clyde Kluckhohn hat in seiner klassischen Feldstudie Navaho Witchcraft auf rezente Hexenprozesse in den Reservaten hingewiesen, die zu Tötungen führten. Sonderfälle stellen die alten Hochkulturen Mexiko und Peru dar, über deren Hexereivorstellungen bereits aus dem 16. Jahrhundert Berichte vorliegen. In Mexiko haben Nagualismus (Tierseelenglaube) und Hexenglaube Missionierung, Entkolonialisierung und Revolution überlebt. Die katholische Kirche verzichtet noch heute auf die Evangelistensymbole (Adler, Stier, Löwe), um deren Verehrung zu verhindern. Aus dem 19. Jahrhundert werden Hexenverbrennungen berichtet, die lokale Gerichte gegen den Willen der Regierung durchführten. Morde an vermeintlichen Hexen dauern bis in die Gegenwart an. Nach den drei großen ethnologischen Handbuchserien zu den Indianern Nord-, Mittel- und Südamerikas wurde die Hexereiproblematik in dem Sammelband Witchcraft and Sorcery of the American Native Peoples von den arktischen Inuit bis zu den Mapuche-Indianern in Chile vergleichend behandelt. Hexereivorstellungen erscheinen bei den sesshaften Pueblo-Indianern besonders ausgeprägt, mit einer an das historische Europa erinnernden Akzentuierung der Ernteschädigung. Sie ist aber auch bei ehemals nomadischen Indianern wie den Apache vorhanden. In ihrem Fall können Hexenprozesse vor der Sesshaftmachung in Reservaten nachgewiesen werden.
Auch in Europa gab es nach der Streichung des Hexereidelikts aus dem Strafrecht illegale Aktionen, bei denen vermeintliche Hexen bedrängt und getötet, oft in ihren Häusern eingeschlossen und mit diesen verbrannt worden sind. Der Hexenglaube ist auch heute noch in beträchtlichem Maße verbreitet. Meinungsumfragen haben gezeigt, dass der Anteil der hexengläubigen Bevölkerung – je nach Art der Fragestellung – durchschnittlich zwischen zehn und dreißig Prozent der Gesamtbevölkerung liegt. Bei einer 1973 durchgeführten Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach lag der Anteil der Hexengläubigen bei 11 % (2 % sicher, 9 % vielleicht) der westdeutschen Bevölkerung (8 % der Männer, 13 % der Frauen). Anders sah das Ergebnis aus, wenn das Reizwort «Hexen» vermieden wurde. Das «Anwünschen» von Krankheiten hielten 23 % der Bevölkerung für möglich (Männer 15 %, Frauen 28 %). In einer 1986 durchgeführten Befragung des Forsa-Instituts hielten 13 % der Westdeutschen Hexerei, 21 % Krankheitszauber für «möglich». Umfragen der demoskopischen Institute in Allensbach 1989 und des Wickert-Instituts 1991 ergaben Werte von 16 % bzw. 14 %. Insgesamt hat der Hexenglaube in Deutschland den repräsentativen Umfragen (jeweils ca. 2000 Befragte) zufolge innerhalb einer Generation leicht zugenommen, wenngleich 85–90 % der Befragten den Hexenglauben jeweils entschieden ablehnten.
Die Hexengläubigen bilden mit 10–15 % der Bevölkerung in einer der entwickeltsten westlichen Gesellschaften eine stabile Minderheit. Ihr Sozialprofil entspricht im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Stadt-/Landverteilung, Parteipräferenz, Religiosität, Bildung und soziale Schicht den Erwartungen. Ihr Idealtypus ist eher weiblich und alt, lebt auf dem Land, besitzt geringe Bildung und gesellschaftliche Position. Eine starke Korrelation besteht zwischen Hexenglaube und Frömmigkeit, insbesondere bei einem ausgeprägten Glauben an einen personalisierten Teufel. Eine Erhebung des Gallup-Instituts von 1988 zeigt für den Teufelsglauben in den USA mit 66 % und in Irland mit 57 % hohe Spitzenwerte. In Deutschland ist der Glaube an die Existenz eines personalen Teufels mit 24 % am stärksten unter den regelmäßigen Kirchgängern ausgeprägt, wobei – für manche vielleicht überraschend – kein Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten besteht, obwohl dies bei den Funktionären durchaus der Fall ist. Papst Johannes Paul II. hat das Festhalten der katholischen Kirche an der Vorstellung von einem personalen Teufel wiederholt bekräftigt. Nach einer Umfrage von 1976 teilten 79 % der katholischen und 40 % der evangelischen Priester in Deutschland die Auffassung, dass der Teufel als Person existiere. Bei nichtaktiven Kirchenmitgliedern ist der Teufelsglaube mit 3 % jeweils erstaunlich gering. Im Durchschnitt glaubten 12 % der Bevölkerung daran (Männer 9 %, Frauen 14 %), also etwa so viele, wie an die Existenz von Hexen glauben.
Die Untersuchungen von Ernesto de Martino (1908–1965) für Süditalien, Jeanne Favret-Saada für das Hainaut oder Inge Schöck für Südwestdeutschland haben gezeigt, dass der Hexenglaube in der Gegenwart nach Zuschreibungsmustern und sozialen Mechanismen funktioniert, die Anthropologen und Historikern bekannt sind. Struktur und Persistenz des Hexenglaubens werden als Folge seiner Verankerung im sozialen Leben betrachtet, seiner Funktion bei der Bewältigung von angsterregenden Situationen und interpersonalen Konflikten. Er dient der Strukturierung der Wahrnehmung und vereinfachten Kategorisierung der Umwelt und stellt damit ein ordnendes und entlastendes Moment dar. Unerwartetes Unglück, das Auftreten plötzlicher und unheilbarer Krankheiten können auf die Einwirkung «böser Leute» zurückgeführt werden, auf magische Kräfte, Zauberei oder Hexerei (Kontingenzreduktion). Mit dieser Diagnose verknüpft ist die spannungslösende Möglichkeit der aktiven Bekämpfung. Hexereiverdächtige Personen haben in ihrem Dorf oft eine lange Verdachtskarriere hinter sich, bei der Nachbarn über Jahrzehnte hinweg Beobachtungen gesammelt haben. Manchmal galten ganze Familien als verdächtig. Willem de Blécourt hat anhand von niederländischen Beispielen gezeigt, welch eine zentrale Rolle Hexenfinder in der europäischen Volkskultur bei der Bestätigung konkreter Verdächtigungen spielen.
Im Hintergrund dieser Funde steht die klassische Untersuchung Evans-Pritchards Witchcraft, Oracles and Magic among the Azande, welche bei einer ländlichen Bevölkerung im kolonialen Ostafrika durchgeführt wurde und die Normalität des Umgangs mit Magie in einer bäuerlichen Gesellschaft demonstriert. Bei den Azande werden bestimmte Formen von Unglück auf das Einwirken von Hexerei (mangu) zurückgeführt, etwa wenn ein Mann über eine Wurzel stolpert und sich das Bein bricht. Der Einwand, dies sei eine natürliche Ursache, wird mit dem Hinweis auf die spezielle Situation entkräftet. Die Wurzel sei zwar immer dort, aber noch nie habe dies zum Beinbruch geführt. Der Unglücksfall führt zum Überdenken der sozialen Beziehungen, notfalls unter Hinzuziehung eines Spezialisten (witch doctor), der durch Orakeltechnik den Verursacher des Unfalls enthüllen soll. Der Konflikt kommt zum Abschluss, indem der Verunglückte die gestörte soziale Beziehung repariert und den Anlass für weiteren Schadenzauber beseitigt. Hexerei wird dabei auf das Vorhandensein eines Organs zurückgeführt, dessen Besitz erblich ist. Die Hexe kann nicht persönlich verantwortlich gemacht werden, weil die Hexerei auch ohne ihr Zutun geschehen kann. So eigenartig diese Analyse klingen mag, so hilfreich war die Offenlegung derartiger strukturfunktionalistischer Mechanismen für das Verständnis des Hexenglaubens in anderen Kulturen, von Südostasien über Amerika bis Europa. Keith Thomas hat mit seiner Studie Religion and the Decline of Magic gezeigt, in wie hohem Maße noch das frühneuzeitliche England durchdrungen war von Spezialisten für magische Dienstleistungen, und die Frage aufgeworfen, ob nicht der Wegfall der kirchlichen Abwehrmagie aufgrund der Einführung der Reformation zu einem Anstieg der Hexenfurcht in der Bevölkerung geführt haben könnte.