Knut Görich
FRIEDRICH BARBAROSSA
Der erste Stauferkaiser
C.H.Beck
Der Cappenberger Kopf. Sein Unterbau ruht auf vier Drachenfüßen, die einen viertürmigen Mauerkranz tragen, auf dem drei Engel stehen. In ihren erhobenen Händen liegt ein zweiter Zinnenkranz, in den der Kopf selbst eingepasst ist. Sein kurzgelocktes Haupthaar wird von einer bandartigen Vertiefung durchschnitten.
Diese konzise Biographie Barbarossas bietet ein erfrischend neues Bild des legendenumwobenen Stauferkaisers. Knut Görich befreit Friedrich I. Barbarossa von den Deutungsmustern der nationalen Geschichtsschreibung und zeigt den Protagonisten im Lichte seiner politischen Entscheidungen, seiner militärischen Auseinandersetzungen, seines spannungsreichen Verhältnisses zum Papst und insbesondere als Wahrer der Ehre des Reiches – des honor imperii. Wie eng diese Vorstellung mit der Ehre des Kaisers selbst verbunden war und wie sorgsam sie mit Rang und Ehre der Reichsfürsten austariert werden musste, bildet einen weiteren Schwerpunkt der Darstellung. Die ebenso luzide wie spannende Beschreibung des Lebens und Wirkens Barbarossas zeigt einen der bedeutendsten Herrscher des Mittelalters als wahren Virtuosen der Machtinszenierung, Rangwahrung und Statusdemonstration.
Knut Görich lehrt als Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Verlag C.H.Beck liegen von demselben Autor vor: Die Staufer. Herrscher und Reich (4. Aufl. 2019); Friedrich Barbarossa. Eine Biographie (2011).
Ein «Barbarossakopf» in Cappenberg?
Barbarossa in den deutschen Erinnerungskulturen
Aufstieg der frühen Staufer
Herzog von Schwaben und Neffe des Königs
Königswahl und Rangordnung
Kaiserkrönung und Parteilichkeit
Imperium und Imperialität
Unterwerfung Mailands und strittige Papstwahl
Herrschaftsexperimente in Norditalien
Konflikt mit Papst Alexander III.
Friedensschluss mit Alexander III.
Sturz Heinrichs des Löwen
Friedensschluss mit dem Lombardischen Städtebund
Erweiterter Handlungsspielraum
Barbarossa auf dem Kreuzzug
Rückblick
Literaturhinweise
Für Fabian, Grzegorz, Jonas und Uwe
Deutschland in staufischer Zeit
Italien in staufischer Zeit
Im früheren Prämonstratenserkloster Cappenberg fand der Münsteraner Archivdirektor Friedrich Philippi 1886 einen vergoldeten Bronzekopf. Er wusste, dass Otto von Cappenberg (†1171), der Taufpate Friedrich Barbarossas, dem Kloster einen «silbernen Kopf nach dem Bild eines Kaisers» geschenkt hatte. Das wird in einer Urkunde erwähnt, die heute als Testament des Otto von Cappenberg bekannt ist. Philippi elektrisierte die Ähnlichkeit des Kopfes mit der Beschreibung Barbarossas, die der Freisinger Kleriker Rahewin der Nachwelt überliefert hatte: «Sein Haar ist blond und oben an der Stirn etwas gekräuselt, die Ohren werden kaum durch darüber fallende Haare verdeckt, da der Barbier aus Rücksicht auf die Ehre des Reiches das Haupthaar und den Backenbart durch dauerndes Nachschneiden kürzt. Seine Augen sind scharf und durchdringend, die Nase ist schön, der Bart rötlich, die Lippen sind schmal und die Mundwinkel erweitert, und das ganze Antlitz ist fröhlich und heiter.» Philippi war überzeugt, dass das Bildnis Friedrich I. Barbarossa darstelle und ein Geschenk des Kaisers an seinen Taufpaten gewesen sei.
Die Karriere des Cappenberger Kopfes begann, als er 1902 erstmals als «Bildnis Kaiser Friedrichs I.» einer breiten Öffentlichkeit präsentiert wurde. Seitdem dutzendfach in Mittelalterausstellungen gezeigt, wurde der «Barbarossakopf» zu einer Ikone des deutschen Mittelalters. In seiner Physiognomie wollte man typische Charaktereigenschaften des Staufers erkennen: Ausdruck stolzen Selbstbewusstseins und überlegener Klugheit, aber auch den «Schimmer jener lächelnden Heiterkeit und namentlich jene Entschlossenheit», die schon seinen Zeitgenossen aufgefallen sei (Simonsfeld). Gut vorstellbar war, «wie einem Menschen dieses Aussehens leicht das Blut ins Gesicht steigt, wenn er sich verletzt» fühlt (Grundmann). Das Gesicht wirkt «ebenso faszinierend wie geheimnisvoll» und spiegelt «höfische Vorstellungen von einem eleganten Erscheinungsbild» (Laudage). Das Werk sei eine Manifestation von Barbarossas Herrschaftsauffassung: Der runde Zinnenkranz symbolisiere Rom, der darüber gesetzte Kopf die kaiserliche Herrschaft über die Stadt und über die Kirche, ganz in der Tradition Konstantins des Großen (Horch).
Die Identifikation ist alles andere als selbstverständlich, denn keinerlei Inschrift identifiziert das Bildnis mit dem Staufer. Selbst das Stirnband, das wir heute im Wissen um seine antiken Vorbilder mit der kaiserlichen Würde verbinden, wäre im 12. Jahrhundert als Zeichen weltlicher Herrschaft unverständlich gewesen – denn kein mittelalterlicher Kaiser trug eine solche ‹Imperatorenbinde›. Das Objekt selbst liefert also keine Hinweise auf einen Kaiser. Seine Inschriften nennen vielmehr Reliquien des Evangelisten Johannes: «Was hier bewahrt wird, ist vom Haar des Johannes. Erhöre jene, heiliger Johannes, die dich durch Gebete bedrängen.» Auf dem Zinnenkranz ist zu lesen, Otto habe die Büste dem Heiligen geschenkt – also dem Cappenberger Kloster, das dem Johannes geweiht war – und hoffe als Gegengabe auf dessen gnädige Fürbitte vor Gott. Dass das Bildnis als Johannesreliquiar fungierte, war den Historikern auf Grund dieser Inschriften klar. Aber man nahm an, Otto habe das Kaiserbildnis erst durch Hinzufügung der Inschriften zu einem Reliquiar umfunktioniert.
Über solchen Thesenbildungen wurde die materialtechnische Untersuchung des Objekts lange vernachlässigt. Die Bezeichnung des Kopfes als «silbern» in Ottos Testament nahm man nicht ernst und erklärte sie seit Philippi als Schreibfehler, später dann als Aussage über eine ursprüngliche Versilberung, die bei der Umwandlung des Kaiserbildnisses zum Kopfreliquiar einer Vergoldung gewichen sei. Jedoch belegt eine unveröffentlicht gebliebene – und 2021 bestätigte – Untersuchung von 1977/78, dass der Kopf keine Spuren einer Versilberung aufweist – und dass die Inschriften nicht erst nachträglich hinzugefügt, sondern schon mitgegossen wurden. Sein Unterbau mit Engeln und Mauerringen ist ein Sinnbild des himmlischen Jerusalem, das in der Apokalypse des Johannes beschrieben wird. Der Kopf war also von Anfang an als Reliquiar und nie als ‹zweckfreies Kaiserporträt› hergestellt worden. Otto war wohl sein Auftraggeber: Er machte seinen persönlichen Schutzheiligen Johannes zum Hauptpatron des Klosters und verknüpfte in den Inschriften die Johannesverehrung mit seinem eigenen Namen. Ist das Johannesreliquiar also kein Barbarossakopf, sondern ein Unterpfand für das Seelenheil Ottos von Cappenberg? Ist der «silberne», nach dem Bild eines Kaisers gestaltete Kopf wie die Mehrzahl mittelalterlicher Bildnisse verloren? Erst die moderne Rezeption hat aus dem Johanneskopf einen «Barbarossakopf» gemacht. Dass das Objekt dieser Identifikation gewissermaßen selbst widerspricht, blieb lange unbeachtet. Warum war die Suggestionskraft der These vom Kaiserporträt so groß?
Der «Barbarossakopf» war nicht zufällig eine Entdeckung des 19. Jahrhunderts. Der Staufer war damals zu einem deutschen Nationalmythos geworden. In den Medien der damaligen Zeit omnipräsent, von der nationalen Geschichtsschreibung zu einem heroischen Vertreter des deutschen Machtstaates stilisiert, war Friedrich Barbarossa einer der ‹großen Männer›, die Geschichte machen. Ferdinand Gregorovius, einer der meistgelesenen Historiker des 19. Jahrhunderts, hielt den Staufer für den «wahre(n) Kaiserkoloß des Mittelalters», der in der Geschichte Deutschlands «als Stolz der Nation» fortlebe. Der Basler Historiker Jacob Burckhardt schrieb Barbarossa «historische Größe» zu, weil sich das Bild seiner Persönlichkeit durch die Jahrhunderte magisch weiterverbreitet habe. Allerdings irrte er, denn Barbarossas Popularität wurzelte gerade nicht in seinem jahrhundertelangen Weiterleben «in Empfindungsweise und Phantasie des Volkes», sondern erst in seiner viel jüngeren Karriere als Sinnbild nationaler Einigung.
Noch 1795 hatte Georg Wilhelm Friedrich Hegel bedauert, dass in der Phantasie des Volkes zwar biblische Könige lebendig seien, die «Helden unseres Vaterlandes» wie etwa Kaiser Friedrich Barbarossa aber in den Geschichtsbüchern der Gelehrten schlummerten. So blieb es auch, bis der Sieg über Napoleon in den ‹Befreiungskriegen› die entstehende Nationalbewegung auf politische Einigung des Vaterlandes hoffen ließ. Erst jetzt kehrte der Kaiser in das kollektive Gedächtnis der Deutschen zurück. Zwar war er in der Kaisersage lebendig geblieben: Ein letzter Kaiser werde Reich und Kirche reformieren, dann ins Heilige Land aufbrechen, das Heilige Grab von den Ungläubigen zurückgewinnen, seinen Schild am dürren Baum aufhängen und eine Herrschaft des Friedens bis zum Anbruch der Endzeit errichten. Diese Legende weist zurück auf die Auseinandersetzung zwischen Friedrich II. (†1250) und den Päpsten seiner Zeit. Motiv und Personal wandelten sich in der mündlichen und schriftlichen Überlieferung: Im frühen 16. Jahrhundert war aus Friedrich II. sein Großvater Friedrich Barbarossa geworden, der im Untersberg bei Salzburg oder im Kyffhäuser bei Nordhausen schlafen sollte. Erst die 1816 erschienene Märchensammlung der Gebrüder Grimm machte eine zuvor nur in Thüringen bekannte Sage unter dem Titel «Friedrich Rotbart im Kyffhäuser» in ganz Deutschland bekannt. Vollends populär wurde der Stoff in der Fassung von Friedrich Rückerts 1817 veröffentlichtem Gedicht «Barbarossa»: «Der alte Barbarossa, / Der Kaiser Friederich, / Im unterirdschen Schlosse / Hält er verzaubert sich. / Er ist niemals gestorben, / Er lebt darin noch jetzt; / Er hat im Schloss verborgen / Zum Schlaf sich hingesetzt. / Er hat hinab genommen / Des Reiches Herrlichkeit, / Und wird einst wiederkommen, / Mit ihr, zu seiner Zeit.» Der endzeitliche Kern der alten Kaisersage wurde durch eine diesseitige Erlösungshoffnung ersetzt, durch eine politische Prophetie, die den Nerv der gedemütigten Deutschen traf. Rückerts eingängige Verse trugen ihren Teil dazu bei, den Staufer zu einem selbstverständlichen Bezugspunkt des nationalen Reichs- und Einheitsgedankens zu machen. Selbst wer auf Demokratie hoffte und Monarchie als künftige Staatsform ablehnte, bediente sich des Staufers: Heinrich Heine empfahl dem Rotbart 1844 in seinem satirischen Versepos «Deutschland. Ein Wintermärchen», als altes Fabelwesen möge er doch einfach im Kyffhäuser bleiben. Durch Preußens Sieg über Österreich bei Königgrätz 1866 rückte aber mit der nationalen Einigung auch die Verbindung zwischen Staufern und Hohenzollern näher. Nach dem ‹Einigungskrieg› gegen Frankreich proklamierten die deutschen Fürsten Wilhelm I. 1871 zum deutschen Kaiser, zur Heimkehr der siegreichen Truppen standen Barbarossadramen auf den Spielplänen der Hoftheater. Schon in Dietrich Grabbes 1829 entstandenem Schauspiel «Kaiser Friedrich Barbarossa» war angeklungen, was nun geschichtliche Kontinuität stiften sollte – dass die preußischen Nachfahren der schwäbischen Grafen von Hohenzollern das Erbe ihrer früheren staufischen Herren annehmen und deren historischen Auftrag vollenden würden. Barbarossa war zum politischen Nationalmythos geworden, der die Vergangenheit mit der Zukunft verband und damit Orientierung vermittelte. Der neue Hohenzollernkaiser partizipierte daran: Nach staufischem Vorbild gab man ihm Beinamen wie «Weißbart» oder «Barbablanca». Der Münchener Professor Johann Nepomuk Sepp dichtete Rückerts «Barbarossa» zu Ende: «Erfüllt ist jetzt die Sage, / Gekommen ist zugleich / – Gott segne diese Tage! – / Der Kaiser und das Reich.»
Denkmäler bedienten im Zeitalter der Nationalstaaten das Bedürfnis nach politischer, sozialer und kultureller Selbstverständigung. Indem sie Helden der Nation auf den Sockel hoben, propagierten sie das gültige Geschichtsbild: Die Reiterstandbilder Barbarossas und Wilhelms I., die vor der Kaiserpfalz in Goslar errichtet wurden, stellten eine vermeintlich ungebrochene Tradition von Kaiser- und Reichsidee vor Augen und überbrückten so die Kluft zwischen Gegenwart und fernem Mittelalter. Das monumentalste Beispiel staatlicher Erinnerungspolitik war das Nationaldenkmal auf dem Kyffhäuser. Am 25. Jahrestag der Reichsgründung 1896 von Kaiser Wilhelm II. eingeweiht, war es ganz dem typologischen Muster von Gründer und Vollender des Reiches verpflichtet: Der erwachende Barbarossa sitzt am Sockel des riesenhaften Reiterdenkmals Wilhelms I.
Welchen Anteil hatte die Geschichtswissenschaft an dieser Metamorphose eines mittelalterlichen Herrschers zum Nationalmythos? Natürlich machte sie sich die populäre Identifikation des schlafenden Kaisers mit dem historischen Barbarossa nicht zu eigen, sondern ordnete ihn in die Geschichte seines Jahrhunderts ein. Aber die wissenschaftliche Darstellung von Geschichte ist nur Teil einer breiteren Erinnerungskultur, weshalb die Sehnsüchte und Hoffnungen der politischen Gegenwart auch das Urteil der Historiker über Barbarossas Herrschaft beeinflussten. In ihrem Diskurs spiegelte sich der politische Konflikt um die nationale Einigung: Solange im Vormärz eine Verankerung des Staates in allen Ständen, Akzeptanz von Vielfalt und die Freiheit der Nation von Fremdbestimmung als erstrebenswerte Rahmenbedingungen galten, zogen Barbarossas Kriege in Italien, seine Ablehnung städtischer Autonomie und seine Rücksicht auf fürstliche Eigeninteressen die Kritik konstitutionell gesinnter Historiker wie Friedrich von Raumer, Heinrich Luden und Friedrich Kortüm auf sich. Der Konflikt um die klein- oder großdeutsche Lösung der deutschen Frage befeuerte dann den Historikerstreit zwischen Heinrich von Sybel und Julius von Ficker um die Frage, ob die Italienpolitik die Kaiser von ihrer deutschen Machtgrundlage abgelenkt habe und der deutschen Nation von Nachteil gewesen sei. Das zuvor erstaunlich vielfältige, auch kritische Bild Barbarossas in der Geschichtsschreibung wandelte sich dann in dem Maße zum Positiven, in dem nach der nationalen Einigung der europäische Geltungsanspruch des neuen Reiches auf die politische Tagesordnung trat. Hans Prutz, der erste Barbarossa-Biograph mit historisch-kritischem Anspruch, glaubte, die Siege des Kaisers hätten dem deutschen Volk «seine Wehrhaftigkeit und Kriegstüchtigkeit bewußt werden lassen» und ihm erlaubt, sich «in seiner nationalen Kraft anderen Nationen gegenüber» zu fühlen. Wilhelm von Giesebrecht, Autor einer vielgelesenen «Geschichte der deutschen Kaiserzeit», rühmte den Staufer, weil er «die Ehre und Hoheit der deutschen Nation inmitten großer Weltverwickelungen rühmlich behauptet» habe.
Als Konsequenz einer zunehmenden Professionalisierung der Geschichtswissenschaft, die in immer mehr quellenkritischen Spezialstudien zu einzelnen Aspekten der Politik Barbarossas ihren Ausdruck fand, trat die tagespolitische Indienstnahme des Staufers zwar zurück, aber zwei gegenwartsbezogene Überzeugungen der überwiegend preußisch-kleindeutsch-protestantisch orientierten Historiker blieben lange untergründig wirksam. Erstens die dualistische Auffassung des Verhältnisses zwischen König und Fürsten: Sei der König dem Reich und damit dem Allgemeinwohl verpflichtet gewesen, so hätten die Fürsten ihre Partikularinteressen verfolgt und damit die ‹monarchische Zentralgewalt› entscheidend geschwächt. Zweitens die Ablehnung des Katholizismus: Aus dieser Perspektive wurde Barbarossas Streit mit Papst Alexander III. zum Konflikt zwischen Überordnungsanspruch einer theokratischen Papstkirche und Selbstbehauptung eines säkular legitimierten Staates. So wurde der Staufer zum erklärten Gegner von Fürsten und Päpsten gemacht – und damit jener Kräfte, die das 19. Jahrhundert dafür verantwortlich machte, dass sich im Hochmittelalter kein starkes deutsches Königtum entwickelt hatte. Seine Kriege gegen die wirtschaftlich prosperierenden Städte in Oberitalien erklärte man als Versuch, die Machtgrundlagen des Königtums durch Erschließung neuer Finanzquellen zu stärken. Dass der Staufer als der «letzte große Vertreter des deutschen Machtgedankens» keine andere «würdige Betätigung seines Könnens» gekannt habe als «die Mehrung seiner Macht», so Dietrich Schäfer 1910, war die Quintessenz von hundert Jahren Barbarossa-Forschung. Der eigentliche Beitrag der Historiker bestand in Barbarossas «Monumentalisierung im Zeichen der Macht» (Schreiner) und der Bewunderung seiner Herrscherpersönlichkeit, weil er sich der vermeintlich historischen Aufgabe gestellt habe, das Königtum als Kern eines künftigen Nationalstaates zu stärken.
Das änderte sich auch nicht mit dem Ende der Monarchie 1918. Die Demütigung der militärischen Niederlage und der erzwungenen Gebietsabtretungen sowie die mangelnde Identifikationsbereitschaft konservativer Eliten mit der Republik sorgten für eine Radikalisierung des nationalen Geschichtsbildes. Entsprechend leicht waren die kaiserlichen Machtpolitiker in das Geschichtsbild der Nationalsozialisten zu integrieren. Lediglich die zuvor seltene Akzentuierung angeblich germanischer Denk- und Lebensweise, von Blut und Rasse trat neu hinzu. In dem großen historischen Festzug «Zweitausend Jahre Deutsche Kultur», der im Juli 1937 anlässlich der Eröffnung des «Hauses der Deutschen Kunst» durch Adolf Hitler in München stattfand, hatte auch Barbarossa seinen Platz: «In Rotbart, dem staufischen Kaiser, stieg die germanische Kraft zur höchsten glanzvollen Würde. Er mehrte des Reiches Besitz und stärkte nach innen das Deutschtum.» Zum ersten Treffen der Hitlerjugend auf dem Hohenstaufen schrieb die Göppinger Zeitung: «Barbarossas Geist lebt wieder, hat Millionen deutscher Volksgenossen ergriffen». Anderthalb Jahrhunderte Arbeit am nationalen Geschichtsbild hatten den Märchenkaiser, der schlafend in den Berg entrückt war, in eine Projektionsfläche für politische Sehnsüchte der Gegenwart verwandelt. Dass der Angriffskrieg gegen Russland im Juni 1941 den Decknamen «Unternehmen Barbarossa» erhielt, war nicht möglich ohne die Verwandlung des Staufers zum politischen Nationalmythos.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Nation als Resonanzboden des Barbarossa-Mythos ausgedient. Im demokratischen Nachkriegsdeutschland verloren die mittelalterlichen Kaiser ihre Relevanz für die Gegenwart, die seit dem 19. Jahrhundert immer wieder herbeigedeutet worden war. Als die Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1990 just mit dem 800. Todesjahr Barbarossas zusammenfiel, hatte der im Kyffhäuser schlafende Kaiser als Symbol nationaler Einheit schon längst ausgedient. Die Bundesrepublik gedachte des Staufers im Medium ihres eigenen politischen Mythos und prägte eine 10-DM-Sondermünze. Der «mythenpolitische Schnitt» (Münkler) nach 1945 war vollkommen. Das nationale Geschichtsbild war als eine der geistigen Voraussetzungen der deutschen Katastrophen im 20. Jahrhundert erkennbar geworden und als Bezugspunkt politischer Selbstvergewisserung nachhaltig desavouiert. Nun wurden Entpolitisierung und Verzicht auf Heroisierung, Entnationalisierung und Regionalisierung zu charakteristischen Begleitumständen der Erinnerung an die Staufer – eine Tendenz, die sich 2010 mit der Mannheimer Ausstellung «Die Staufer und Italien» verstärkte und die 2022 die Münsteraner Ausstellung «Barbarossa – ein europäischer Herrscher und die Kunst seiner Zeit» weiter vertieft.
In der Geschichtswissenschaft ist das Machtparadigma nicht mehr Fluchtpunkt historischer Darstellung des mittelalterlichen Königtums – auch wenn personelle Kontinuitäten in der universitären Lehre sein Überleben über den Umbruch von 1945 hinaus noch lange gesichert hatten. Die Suche nach ‹Vorgeschichte› und ‹Anfängen› jener Entwicklungen, die zur Entstehung des modernen Nationalstaates führten, hatte mittelalterliche Kaiser noch zu Helden oder Versagern in einer Fortschritts- und Modernisierungsgeschichte gemacht. Mittlerweile gibt das gewandelte Verständnis vormoderner Herrschaftsausübung die vermeintlichen politischen Konzepte Barbarossas, mit denen er als einer jener ‹großen Männer, die Geschichte machen›, planmäßig den Ausbau der Königsherrschaft verfolgt haben soll, als Schöpfungen der staatszentrierten Politikgeschichte des 19. Jahrhunderts und ihrer Forschungstraditionen zu erkennen. Was man früher für Indizien einer ‹staufischen Reichsreform› hielt, ist heute als anachronistische Rückprojektion von Elementen moderner Staatlichkeit erkennbar, die weder der Praxis noch den Intentionen der damaligen politischen Elite gerecht wird. So gehörte die Teilhabe der Fürsten an der Königsherrschaft zu einem zwar keineswegs konfliktfreien, aber dennoch «selbstverständlich praktizierten konsensualen Entscheidungsgefüge» (Schneidmüller 2000). Auch ist die ältere Theorie, wonach ein ‹lehnsrechtlicher Umbau› des Reiches ein schon früh verfolgtes Ziel des Staufers gewesen sei, hinfällig, seit die neuere Forschung erkennt, dass anders, als früher vorausgesetzt, das Lehnsrecht als normatives System überhaupt erst im 12. Jahrhundert entstand (Dendorfer). Der Zusammenhang zwischen Landleihe und Treueerwartung wird dadurch nicht hinfällig, aber deutlicher als zuvor treten nun die verschiedenen Aspekte personaler Herrschaft, ihre Ausdrucksformen und die Praktiken der Machtausübung in den Vordergrund.
Auch wenn die Quellen die an sich gebotene Unterscheidung zwischen König und Umfeld oft hinter der erzählerischen Fiktion des allein handelnden und entscheidenden Herrschers verschwinden lassen, dürfen die Lücken der Überlieferung nicht einfach mit der Initiative Barbarossas geschlossen werden, will man ihn nicht sozusagen durch die Hintertüre wieder auf die Bühne zurückkehren lassen, auf der ‹große Männer Geschichte machen›. Die Herausforderung für ein neues Bild des Staufers besteht darin, Herrschaft und Macht nicht nur vom monarchischen Zentrum her, sondern aus den wechselseitigen Bindungen personaler Herrschaftsausübung zu erklären, in der Barbarossa als König und Kaiser zwar der ranghöchste, aber keineswegs der stets initiative Akteur war.
Der Staat war im Mittelalter noch nicht jene omnipotente Institution, als die er sich seit der Frühen Neuzeit herausbildete. Deshalb ist für das Verständnis mittelalterlicher Königsherrschaft ein staatsferner Begriff von Politik geeignet, der den Blick für die andersartige Gestaltung von Machtbeziehungen in der mittelalterlichen Präsenzgesellschaft öffnet und Politik nicht als einseitigen Akt versteht, in dem von oben nach unten ‹durchregiert› und entschieden wird, sondern als kommunikatives Handeln und als Ergebnis – durchaus auch konfliktträchtiger – Aushandlungsprozesse, die Partizipation voraussetzen. Barbarossa war auf allen Feldern politischen Handelns mit Personengruppen verbunden, die ihn als ihren Herrn anerkannten, die in der politischen Praxis jedoch ebenfalls gestaltende Kraft ausübten und deren Unterordnung sich nicht auf ein Verhältnis von Befehl und Gehorsam reduzieren lässt. Aufmerksamkeit für die in den Quellen erkennbaren Spuren dieses wechselseitigen Kommunikationsprozesses macht den «Rücksichtsverband» (Schneidmüller 2017) sichtbar, in dem der König mit ganz unterschiedlichen Personengruppen zu einer Verantwortungsgemeinschaft verklammert war. Die Ausübung politischer Macht war das Ergebnis sozialer Verflechtung.
Strukturierendes Element der politisch-sozialen Ordnung war der Rang – wobei ‹Rang› die soziale Identität des Einzelnen in hierarchischen Gesellschaften bezeichnet. Weil das Reich noch keine geschriebene Verfassung kannte, war die Rangordnung dynamisch und einem Wettstreit der bedeutendsten Adligen um Einfluss und Ansehen unterworfen. Die übliche konsensuale Entscheidung war gerahmt vom Rangstreit zwischen den Großen untereinander, der auf die Netzwerke in ihrem Herrschaftsverband ausstrahlte, und von ihrer Konkurrenz um Barbarossas Gunsterweise: Das Zeichen größter Huld des Herrschers war, Zugang zu ihm zu haben und ihm direkt Anliegen vortragen zu dürfen. So konnte man die Entscheidungsfindung am Hof zum eigenen Vorteil beeinflussen. Sie geschah in Beratungen bei Zusammenkünften mit den Großen des Reiches, wurde aber üblicherweise durch vertrauliche Gespräche vorgeklärt, um öffentliche Kontroversen zu vermeiden, die alle Beteiligten der Gefahr einer Beschädigung ihres Rangs aussetzten (Althoff 2016).
Sichtbar wurde die mit dem Rang beanspruchte Stellung seines Trägers durch dessen Platz in der Vielzahl öffentlicher symbolischer Handlungen, die die politischen Versammlungen am Hof begleiteten und das Reich erst eigentlich sichtbar machten. Das geschah bei Krönungen, Investituren, Herrscher- und Gesandtenempfängen, Friedensschlüssen und Unterwerfungen, und spiegelte sich in Prozessions- und Sitzordnungen. Die damit verbundenen ritualisierten Handlungen stabilisierten die politischen Machtverhältnisse durch ihre immer erneuerte Vergegenwärtigung. Als König stand Barbarossa dabei buchstäblich im Zentrum, und die räumliche Nähe eines Großen zu ihm war eine Aussage über dessen Stellung im Ranggefüge.
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