Daniel Schulz

Verborgene Spuren in Schloss Ludwigsburg

Graffiti und Depotfunde als Zeugnisse der Baugeschichte, Ausstattung und Nutzung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Daniel Schulz

Verborgene Spuren in Schloss Ludwigsburg

Graffiti und Depotfunde als Zeugnisse der Baugeschichte, Ausstattung und Nutzung

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Forschungsmethode und Forschungsstand

1. Zeitschichten: Aspekte zur Geschichte des Ludwigsburger Schlossbaus

1.1 Wie ein Phönix aus der Asche: Ein kurzer Überblick über die Geschichte des Ludwigsburger Schlosses

1.2 Am Anfang waren ein Jagdschloss, ein Wirtshaus und ein Krawattendörfle – Italiener, „Kroaten“ und andere Migranten am Ludwigsburger Schlossbau

1.2.1 Migranten am Ludwigsburger Schlossbau

1.2.1.1 Konflikte: Katholiken – Protestanten

1.2.1.2 Des Herzogs Zahlungsmoral und die Kosten des Schlossbaus

1.2.2 Das Krawattendörfle und die Unterkunft der Arbeiter am Schlossbau

1.2.2.1 Schafhof und Fuchshof

1.2.2.2 Das Krawattendörfle

1.2.3 Kroaten – Krawatten

1.2.3.1 Krawatten

2. „Was andre vor euch zahlten/Die ihren Nahm aufs Scheis Haus mahlten“ – Graffiti in Baudenkmälern und in der bildenden Kunst

2.1 Definition des Begriffs „Graffito“

2.2 Von Graffiti gezeichnete Baudenkmäler

2.3 Graffiti als Motiv in der bildenden Kunst

3. Sprechende Wände – Graffiti im Ludwigsburger Schloss

3.1 Typologie der Graffiti

3.1.1 Funktion und Intention der Graffiti

3.1.2 Statistische Auswertung der Graffiti

3.2 Erinnerungskultur: Namen, Initialen und Jahreszahlen

3.3 Karikaturen und Figurengraffiti

3.3.1 Karikaturen auf Herzog Eberhard Ludwig u.a. herrschaftliche Personen

3.3.2 Figurengraffiti

3.3.3 Smoking – No Smoking: Pfeifenraucher und Rauchgenuss

3.3.3.1 Fundstücke rund um den Rauchgenuss

3.4 Graffiti von Häusern, herrschaftlichen Gebäuden und Kirchen

3.4.1 „Unsere kleine Stadt“: Graffiti von Häusern

3.4.2 Graffiti von herrschaftlichen Gebäuden

3.4.3 Graffiti von Kirchen

3.5 Bautechnische Zeichen, Graffiti als Entwürfe und Werkskizzen

3.5.1 Bautechnische Zeichen: Versatzmarken und Steinmetzzeichen

3.5.2 Der Drache, der Akanthus speit: Entwürfe und Werkskizzen

3.5.2.1 Ganymed – Entwurf oder Persiflage?

3.5.2.2 Übungsentwürfe und Werkskizzen zur Ausstattung

3.6 Apotropäische Graffiti und Funde

3.6.1 Apotropäische Graffiti: Pentagramme, Hexagramme und Knoten

3.6.2 Apotropäische Funde aus den Fehlböden

3.6.2.1 Aberglauben: Deponierte Schuhe

3.6.2.2 Schuhe aus dem Ludwigsburger Schloss

3.6.2.3 Schuhe aus einem Haus in Neckarweihingen

4. Der „Eberhard-Ludwig-Code“: Die ikonografische und ikonologische Bedeutung des Ludwigsburger Schlosses als Ausdruck barocker Hochkunst

4.1 Die Inszenierung des Fürsten

4.2 Ludwigsburger Topografie

4.3 Das ikonographische und ikonologische Programm des Alten Corps de logis, der Galerien und Pavillons

4.3.1 Das Äußere des Alten Corps de logis

4.3.2 Treppenhaus und Gardesaal

4.3.3 Die Zimmer der Beletage

4.3.4 Die Zimmer im Erdgeschoss

4.3.5 Die Bildergalerie im zweiten Stock

4.3.6 Die östliche Galerie und der Spielpavillon

4.3.7 Die westliche Galerie und der Jagdpavillon

4.3.8 Die Gesamt-Ikonologie des Alten Corps de logis, der Galerien und Pavillons

4.4 Der Ordensbau, der ehemalige Ritterovalsaal (Ordenskapelle), der Riesenbau und die Schlosskirche

4.4.1 Der Ordensbau

4.4.2 Der ehemalige Ritterovalsaal (Ordenskapelle)

4.4.3 Der Riesenbau

4.4.4 Die Schlosskirche

4.4.5 Die Gesamt-Ikonologie der Flügelbauten

4.5 Das ikonographische und ikonologische Programm des Neuen Corps de logis und der Verbindungsgalerien

4.5.1 Das Äußere des Neuen Corps de logis, der Grottenhof, der Sommersalon und das Vestibül

4.5.2 Die Treppenhäuser

4.5.2.1 Das östliche Treppenhaus

4.5.2.2 Das Westliche Treppenhaus

4.5.3 Die Galerien in der Beletage

4.5.4 Der Garde- und Marmorsaal

4.5.5 Das Appartement des Herzogs

4.5.6 Das Appartement der Herzogin

4.5.7 Das Appartement des Erbprinzen und der Erbprinzessin

4.5.8 Die Ahnengalerie

4.5.9 Die Bildergalerie

4.5.10 Die Gesamt-Ikonologie des Neuen Corps de logis

4.6 Die ikonographischen und ikonologischen Themen im Ludwigsburger Schloss

4.6.1 Zeit, Ruhm, Ehre und Geschichte; Ewigkeit und Unsterblichkeit im Kreislauf der Elemente

4.6.2 Kriegsfürst – Friedensfürst

4.6.3 Huldigung an den Herzog und an das Land Württemberg, Verehrung der Ahnen

4.6.4 Huldigung Württembergs an den Kaiser – zwischen Reichstreue, Konflikt und der Forderung nach Rangerhöhung

4.6.5 Helden: Herkules & Co.

4.6.6 Der tugendhafte Fürst und die Abkehr vom Laster

4.6.7 Apoll, Aurora und Flora – Lichtgestalten vertreiben die Nacht

4.6.8 Das gute fürstliche Regiment, die Freigiebigkeit und die Förderung der Künste und Wissenschaften

4.6.9 Diana und Flora – das Jagd- und Lustschloss, Jagdorden

4.6.10 Liebe: Sinnliche Liebe – unglückliche Liebe

5. Unterm Boden verborgen – Depotfunde aus den Fehl- und Zwischenböden des Ludwigsburger Schlosses

5.1 Die Befundkomplexe aus dem Ludwigsburger Schloss

5.2 Typologie und statistische Auswertung der Ludwigsburger Depotfunde

6. „Bei Königs unterm Fußboden“ – Funde erzählen aus der Schlossgeschichte des frühen 19. Jahrhunderts

6.1 Apropos Regierungsgeschäfte: Schreiben an den König und die Königin Apropos Steuern

6.2 Apropos la Reine Douairière: Briefe an die verwitwete Königin

6.3 Apropos „Der todte Neffe“: Theater, Lektüre und andere höfische Vergnügungen

Apropos Lektüre

Apropos Spielkarten

Apropos Lotterie und Glück

Apropos Spazieren

6.4 Apropos Enkelinnen: Die Prinzessinnen Charlotte und Pauline

Apropos Unterricht

Apropos Schuhe

Apropos Parfüm

Apropos Bäder

Apropos Klosett

Apropos Krankheiten und Arznei

6.5 Apropos Hofdienst: Hofstaat und Dienerschaft

Apropos Reise

Apropos Schneiderei

Apropos Hofwäscherei

Apropos Hofküche

Apropos Geschirr und Essen

6.6 Apropos Naschen: Die „süße“ Mathilde

7. „Ich war hier“: Schrift- und Bildgraffiti als Zeugnisse der Erinnerungskultur

7.1 Graffiti von Wachen, Liebespaaren und Reisenden am Alten und im Neuen Corps de logis

7.2 Handwerker-Graffiti im Alten Corps de logis, im Treppenhaus der Ordenskapelle und im Ordensbau

7.3 Graffiti der Archivangestellten im Riesenbau

7.4 Graffiti der Kirchgänger in der Schlosskirche

7.5 Sexuelle Graffiti und Witzzeichnungen

8. Zwischen Trauerflor, Hakenkreuz und Milky Way: Das Ludwigsburger Schloss im 19. und 20. Jahrhundert

8.1 Vom Residenz- zum Apanageschloss 1816 – 1919

8.2 Das Schloss im Dritten Reich

8.2.1 Das Technische Landesamt in der Wohnung der Prinzessin Max und andere Behörden

8.2.2 Luftschutz, Bergung, Angriffe und Kriegsschäden

8.3 Die amerikanische Militärregierung

8.4 Die Nachkriegszeit

9. Zusammenfassung

9.1 Ergebnisse

9.2 Abstract

Bibliographie

Abbildungsverzeichnis

Verborgene Spuren in Schloss Ludwigsburg

Graffiti und Depotfunde als Zeugnisse der Baugeschichte, Ausstattung und Nutzung

Vorwort

Seit Jahren verfolgte ich die Restaurierungsarbeiten im Ludwigsburger Schloss. Mein Interesse gilt allerdings nicht nur der „hohen Kunst“ der Architekten, Bildhauer und Maler, sondern auch den scheinbar beiläufigen Spuren, welche Menschen, die das Bauwerk errichteten, nutzten und abnutzten, auf den Wänden und unter den Fußböden der einstigen Residenz hinterlassen haben. Auf den Wänden finden sich unzählige Graffiti: Von der Häuserskizze bis zur sexuell gefärbten Darstellung, Sprüche, Namen, oder ein Datum. In den Fehl- und Zwischenböden dämmerte eine bunte Welt vor sich hin, in die sich allerhand Alltagsgegenstände verirrten: vom Knopf bis zum Schuh, vom Brief der Königin bis zur Abonnement-Quittung für den Schlossportier. Bei den Graffiti interessieren mich – so zusagen „bei Herzogs an der Wand“ – vor allem jene aus der Bauzeit im 18. Jahrhundert. Die Fundobjekte illustrieren unter dem Motto „bei Königs unterm Fußboden“ – die Alltagsgeschichte des frühen 19. Jahrhunderts.

Zum Ludwigsburger Schloss habe ich eine sehr persönliche Verbindung. Seit 1986 führte ich Touristengruppen durch das Schlossmuseum. Auch in zahlreichen thematischen Sonderführungen, und in den Pausen erkundete ich vom Dach bis zum Keller das ganze Gebäude und steckte überall meine Nase rein. So wurde das Schloss im Lauf der Zeit zu „meinem Schloss“. Zuerst sind mir die Graffiti im zweiten Stock des Neuen Hauptbaus aufgefallen: Die Pfeifenraucher, der Herzog und der Fechter. Jahrelang lag hier eine Baustelle brach, jetzt ist dort das Keramikmuseum untergebracht. Zunächst bezweifelte ich, dass es sich um historische Graffiti handelte. Waren das nicht ganz moderne Kritzeleien? Als ich dann mit der Restauratorin Iris Henke die Wände genauer betrachtete, stellte sich heraus, dass diese Spuren überwiegend auf der untersten Putzschicht des Rohbaus lagen und die historischen grenzten sich deutlich von den zeitgenössischen Graffiti ab. Mit den Funden aus den Fehl- und Zwischenböden hatte ich eine reine Zufallsbegegnung. Ich sah die Ausbeute vom Ausräumen eines Zwischenbodens am westlichen Flügelbau stehen. Briefe, Zeitungen und anderes schlummerten in einem Eimer. So kam es schließlich zu der thematischen Verknüpfung der Graffiti und Funde unter dem Oberbegriff „Spuren“.

Mein herzlicher Dank gebührt Frau Prof. Dr. Ursula Panhans-Bühler, die die Betreuung meiner Dissertation übernahm und mich in allem stets unermüdlich unterstützte. Bedanken möchte ich mich ebenso bei Herrn Prof. Dr. Kai-Uwe Hemken für die Bereitschaft, die Aufgabe des Nebenberichters zu übernehmen. Besonderer Dank gebührt Frau Prof. Dorothee von Windheim, die mich stets bei der Bemühung unterstützte, Kunst und Wissenschaft miteinander zu verknüpfen.

Mein Dank für Anregungen, Hinweise und Hilfestellungen gilt: Herrn Ulrich Krüger (Schlossverwaltung Ludwigsburg), Herrn Prof. Dr. Hans-Joachim Scholderer, Herrn Thomas Gauckler, Frau Mechtild Stratmann, Herrn Thomas Aydt, Herrn Janzen, Frau Walder, Frau Lächele, Herrn Schreiber, Herrn Schmautz, Herrn Pantle, Frau Iris Henke, Frau Elke Jacoby (Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Ludwigsburg), Herrn Dr. Klaus Merten und Frau Dr. Saskia Esser (Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg), Herrn Dr. Felix Muhle, Frau Afroditi Karagiannidou, Frau Anja Klün (Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Restaurierung für Gemälde, Textilien und Möbel), Herrn Dr. Eberhard Fritz (Archiv des Hauses Württemberg Altshausen), Herrn Wolfgang Läpple, Frau Margaret Galaske und Frau Regina Witzmann (Stadtarchiv Ludwigsburg), Frau Dr. Petra Schad (Stadtarchiv Markgröningen), Herrn Dr. Peter Müller (Staatsarchiv Ludwigsburg), Herrn Alexander Morlock (Stadtarchiv Stuttgart), Herrn Rolf Bidlingmaier (Stadtarchiv Metzingen), Frau Laurence Perry (Directrice Archives Strasbourg), Frau Gina Klank (Bestandsreferentin Stadtarchiv Leipzig), Frau Marion Bähr (Sächsisches Staatsarchiv Leipzig), Herrn Stefan Rahner (Reemtsma-Archive, Museum der Arbeit Hamburg), Frau Dr. Andrea Fix und Frau Alke Hollwedel (Stadtmuseum Ludwigsburg), Herrn Dr. Rainald Grosshans (Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie), Frau Dr. Corinna Höper (Konservatorin für italienische und französische Zeichnungen und Druckgraphik vor 1800, Graphische Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart), Frau Dr. Friederike Woog und Frau Dr. Doris Mörike (Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart), Herrn Thomas Bechmann (Naturkundemuseum Bamberg), Herrn Otto Harrer (Häfnermuseum Neuenhaus), Frau Dr. Annette Köger (Leiterin Deutsches Spielkartenmuseum Leinfelden-Echterdingen (DSM, Landesmuseum Württemberg), Frau Dr. Marion Faber (Museen der Stadt Nürnberg, Spielzeugmuseum), Frau Dipl. hist. Sonja Gürtler (Deutsches Spielzeugmuseum Sonneberg), Herrn Hans-Georg Böcher (Deutsches Verpackungs-Museum Heidelberg), Herrn Walter Schweiger (Volkskundemuseum in Graz), Herrn Dr. Rainer Y und Frau Bettina Beisenkötter (Modemuseum des Landesmuseums Stuttgart), Frau Elisabeth Huwer M.A. (Deutsches Apotheken-Museum Heidelberg), Frau Susanne Arnold und Herrn Uwe Gross (Archäologische Denkmalpflege, Landesdenkmalamt Stuttgart), Herrn Dr. Norbert Bongartz (Landesdenkmalamt Stuttgart), Herrn Dr. Gustav Schöck (Landesstelle für Volkskunde), Herrn Dr. Frank Thomas Lang (Staatsanzeiger Verlag), Frau Prof. Dr. Barbara Dölemeyer (Universität Frankfurt), Herrn Dr. Martin Kügler (Arbeitskreis zur Erforschung der Tonpfeifen), Frau June Swann, M.B.E., Northampton; Frau Lic. phil. Marquita Volken (Gentle Craft – Center for Calceology and Historical Leather Lausanne), Herrn Bachmann (Kastellan in Schloss Monrepos), Herrn Dr. Hans Dieter Flach, Wenzenbach; Frau Dr. Annegret Kotzurek, Stuttgart; Frau Schupp, Ludwigsburg; Herrn Dr. Albert Sting, Löchgau; Herrn Gejus van Diggele; Jana Petrová, Zamek Jaroměřice nad Rokytnou und Eduard Vales, Zámek Bílovec.

Auch allen Mitarbeitern der Schlossverwaltung Ludwigsburg und der Schlosswache, der Staatlichen Schlösser und Gärten, des Staatsarchivs Ludwigsburg und des Hauptstaatsarchivs Stuttgart, die mir im Rahmen meiner Arbeit behilflich waren, sei an dieser Stelle gedankt.

Mein Dank gilt auch Herrn Thomas Rigg, Bamberg, für zahlreiche Übersetzungen und Andrea Mehringer für das Korrekturlesen meiner Arbeit.

Ganz besonderer Dank gilt meiner Familie, die geduldig meine jahrelangen Recherchen ertragen hat.

Schließlich danke ich besonders allen, die meine Forschungsarbeit finanziell und ideell unterstützten:

Bürgerstiftung Ludwigsburg

Stiftung der Württembergischen Hypothekenbank für Kunst und Wissenschaft

Firma Getrag (Getriebe- und Zahnradfabrik, Hermann Hagenmeyer GmbH & Cie)

Staatsanzeiger Verlag

Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Ludwigsburg

Die Heinrich-Böll-Stiftung Berlin förderte diese Arbeit mit einem dreijährigen Promotionsstipendium, wofür ich mich besonders bedanke.

Das Forschungsprojekt wurde 2002 mit dem Karl-Mommer-Preis des SPD-Kreisverbands Ludwigsburg und der SPD-Kreistagsfraktion ausgezeichnet.

Besonderer Dank für einen Zuschuss zu den Druckkosten dieser Publikation gilt SKH Herzog Carl von Württemberg.

 

 

 

Einleitung

In der vorliegenden Studie befasse ich mich eingehend mit der Ikonographie und Ikonologie des Barockschlosses, mit einzelnen Aspekten der Baugeschichte und stelle im Kontext und Kontrast dazu erstmals die Spuren, bzw. Hinterlassenschaften der Schlosshandwerker, Schlossbewohner, Nutzer und Besucher vor. Die Spuren denen ich folge sind zum einen Graffiti, zum anderen Fundstücke aus den Fehl- und Zwischenböden.

Zunächst stelle ich im Folgenden den Forschungsstand zu Graffiti, Depotfunden und zum Ludwigsburger Schloss dar. Das erste Kapitel bildet die Einleitung, mit einer Einführung in die Geschichte Ludwigsburgs. Das zweite Kapitel befasst sich dann mit einer historischen Spurensuche, mit verschiedenen Aspekten zum Ludwigsburger Schlossbau. Ich gebe einen kurzen Überblick über die Entstehungsgeschichte des Schlosses, beleuchte vertiefend die Rolle der Arbeiter und Handwerker, vor allem der Migranten am Schlossbau.

Das dritte Kapitel „300 Jahre Graffiti im Ludwigsburger Schloss“ bildet einen ersten Hauptteil dieser Studie. Auf die Definition des Graffiti-Begriffs, der typologischen Einteilung und der Darstellung von Funktion und Intention der Graffiti folgt die Vorstellung der Graffiti des 18. Jahrhunderts im Ludwigsburger Schloss: Graffiti der Erinnerungskultur, Figurengraffiti, Graffiti von Häusern und Kirchen, bautechnische Spuren, Entwürfe und Werkskizzen, Apotropäische Graffiti und Funde.

Der Hauptteil im vierten Kapitel befasst sich dann ausführlich mit der Ausstattung des Schlosses unter Herzog Eberhard Ludwig, mit der barocken Ikonographie. Zunächst befasse ich mich der Gesamtanlage des Schlosses und der Stadt und deren Einbettung in die Topographie. Dann werden die einzelnen Schlossgebäude gemäß dem Bauablauf ausführlich besprochen. Das Kapitel endet mit einem zusammenfassenden Überblick über die ikonografischen und ikonologischen Themen im Ludwigsburger Schloss.

Das fünfte Kapitel befasst sich mit den Depotfunden, den Hinterlassenschaften der Schlossbewohner aus den Fußböden. Eine Einleitung gibt einen Überblick über die Typologie der Fundobjekte, statistische Aspekte und die verschiedenen Befundkomplexe. In einem dritten Hauptteil wechselt die Perspektive von einer kunst- zu einer kulturhistorischen Sichtweise: Die Geschichte des Schlosses unter König Friedrich I. und Königin Charlotte Mathilde wird anhand der Fundobjekte ausgebreitet. „Apropos“-Einwürfe erzählen vom höfischen Leben, von den Schlossbewohnern und verschiedenen Lebensbereichen.

Das sechste und letzte Kapitel berichtet vom weiteren Verlauf der Schlossgeschichte im späteren 19. und 20. Jahrhundert und endet schließlich mit einer Übersicht der Graffiti dieser Zeiten.

Ziel meiner Dissertation ist nicht nur die Spurensuche, sondern auch die Spurensicherung. Ich will die Ludwigsburger Spuren – Graffiti und Depotfunde – dokumentieren und so auf ein Präsentationskonzept hinarbeiten. Spurensicherung meint hier, das Sichtbarmachen der Spuren neben der „barocken Hochkunst“. Graffiti und Fundobjekte wurden oftmals als etwas Skurriles belustigend zur Kenntnis genommen und fanden kaum Eingang in den wissenschaftlichen Diskurs. In manchem wurde zwar ein kulturgeschichtlicher Wert erkannt, aber in der Regel stören gerade die Graffiti die Einheit oder Stilreinheit eines Kulturdenkmals. Funde wurden oft aus ihrem Zusammenhang gerissen und in verschiedene Sammlungen verstreut. In meinem denkmalpflegerischen Konzept spielen die Spuren in ihrer ganzen Vielfalt ihre ihnen zukommende Rolle als wichtiges Detail des Denkmals, denn alle Elemente zusammen bilden die über Jahrhunderte gewachsene Einheit des Schlosses. Die Spuren sind lebendige Zeichen, Zeugen des Alltagslebens, die in allen Zeitschichten des Schlosses ihren Niederschlag finden. Umso erfreulicher ist es, dass in Ludwigsburg viele Graffiti erhalten werden konnten und die Depotfunde archiviert sind. Im Einzelnen sind die Graffiti weniger bedeutend und geben selten neue Erkenntnisse zur Bau- und Kunstgeschichte des Schlosses. Aber zusammen gesehen, ergeben sie eine bisher nicht bekannte Alltagssicht, einen gerade zu intimen Blick auf die Menschen, die das Schloss letztlich geschaffen haben. Zu den Graffiti gesellen sich die Funde, die ein buntes Panorama vom Leben in der Residenz bieten.

Die nun folgende Dokumentation soll ein Beitrag zur Entschlüsselung der barocken Ikonographie und der Spuren sein, will den Blick auf diese ungewöhnlichen Quellengattungen lenken, so dass die Spuren als Denkmal wahrgenommen werden. Die Hoffnung, die ich damit verknüpfe, ist, dass künftig ähnliche Spuren in anderen Objekten in derselben Weise gewürdigt werden, wie die Ludwigsburger Graffiti und Funde. Das Denkmal muss als Dokument, als historische Urkunde begriffen werden, die nicht verfälscht werden darf. Denn wer Vergangenheit verfälscht, indem er aus dem Denkmal bestimmte Zeiten ausblendet und nur einige ausgewählte Zeitpunkte als historisch bedeutsam anerkennt, kann keinen scharfen Blick auf seine Gegenwart haben und begreift den geschichtlichen Prozess nicht.

Meine Studie wirft daher auch einen kritischen Blick auf die Praxis der Denkmalpflege, denn was unter dem Etikett „Instandsetzung“ passiert, ist im Detail oft eine Teilzerstörung und letztlich sind denkmalpflegerische und restauratorische Maßnahmen immer eine Interpretation bestimmter vergangener historischer Zustände und erzeugen ein spezifisches Geschichtsbild, das es zu hinterfragen gilt.

Forschungsmethode und Forschungsstand

Meine Arbeit behandelt einerseits die barocke Hochkunst, die Ikonographie des Gebäudes und seiner Ausstattung. Anderseits befasst sie sich mit den Spuren, die Künstler und Handwerker als Graffiti an die Wände gekritzelt haben und mit den Hinterlassenschaften der Schlossbewohner, die als Depotfunde ihren Weg unter den Fussboden fanden. Darauf spielt der Titel der Dissertation an: Die Graffiti entstammen mehrheitlich der Schlossbauzeit Herzog Eberhard Ludwigs, während die Fundstücke überwiegend aus der Zeit König Friedrichs I. von Württemberg stammen, aus dem frühen 19. Jahrhundert.

Mein Forschungsvorhaben habe ich unter folgenden Fragestellungen betrieben:

- Lässt sich die (Bau-)Geschichte des Schlosses aus der Perspektive der Arbeiter, Handwerker und Künstler anhand der überlieferten Quellen darstellen?

- Welcher Code steht hinter den Skulpturen, Gemälden und Fresken und schlagen sich biographische Ereignisse aus dem Leben des Schlossbauherrn Eberhard Ludwig in der Ikonographie nieder? Was ziehen wir heute für Erkenntnisse aus der barocken Ikonographie?

- Warum sind Graffiti für Historiker/Kunsthistoriker/Empirische Kulturwissenschaftler von Interesse? Welche Einblicke bekommt man durch sie, die andere Quellen nicht vermitteln?

- Lässt sich anhand der Fundobjekte die Alltagsgeschichte im Schloss darstellen oder illustrieren?

- In was für einem Verhältnis stehen „High & Low“? Spiegelt sich darin eine Sozialgeschichte und gibt es eine Parallelwelt in einem Schloss?

Dabei ignoriere ich die „klassische“ Baugeschichte, die mobile Ausstattungsgeschichte des Schlosses und die Umbauphase unter König Friedrich, da dies bereits umfangreich erforscht und dargestellt wurde.

Ich betreibe meine Forschungen nicht nach einer bestimmten Methodik, sondern nach einer Kombination aus Methoden der Kunstwissenschaft, Soziologie, Geschichte, Ethnologie, Philosophie und Denkmalpflege.

Aby Warburg und Erwin Panofsky entwickelten die Ikonographie und die ikonologische Methode als ein Analyseinstrument zur Untersuchung von Kunstobjekten und visueller Phänomene in der Bildenden Kunst. Diese Methode bildet die Grundlage zur Entschlüsselung des „Eberhard-Ludwig-Code“, der hinter der Schlossausstattung mit Fresken und Skulpturen steht. Während sich die Ikonographie mit der Bestimmung und Deutung von Motiven und Attributen, Inhalt und Symbolik der Bildgegenstände befasst, berücksichtigt die Ikonologie zusätzlich zeitgenössische literarische und bildliche Quellen, die auf die jeweiligen Motive und ihre Darstellungsweise Einfluss hatten. Für die Motive barocker Allegorien gab es Musterbücher, von denen die „Iconologia“ des Cesare Ripa am einflussreichsten war.

Die Ikonologie untersucht nationale, epochale, religiöse oder philosophische Prinzipien, die über das Kunstwerk hinausweisen, es in einen größeren kulturgeschichtlichen Zusammenhang stellen und so zu einem Zeitdokument machen. Damit bedingt die ikonologische Methode einen interdisziplinären Forschungsansatz. Dabei spielt zunächst die Kunstsoziologie nach Martin Warnke eine Rolle, die Erforschung der politischen und sozialen Bedingungen unter denen Kunstwerke entstanden, sowie deren politische Wirkung.

Im geschichtlichen Bereich beeinflusst meine Forschungen die Figuration, bzw. das Interdependenzgeflecht, ein von Norbert Elias in die Soziologie eingeführter Begriff, der das soziale Zusammensein von Individuen, deren wechselseitige Abhängigkeit und die Verteilung von Machtquellen untersucht. Verschiedene untereinander abhängige Individuen (Spieler) treffen sich in einer Figuration, einem dynamischen sozialen Netzwerk. In seiner bahnbrechenden Studie „Die höfische Gesellschaft“ untersuchte Elias ein solches Geflecht am Bespiel des französischen Hofs Ludwigs XIV. Sybille Oßwald-Bargende nutze die Methode der Figuration in ihrer Studie „Die Mätresse, der Fürst und die Macht“ über Wilhelmina von Grävenitz. Ihr Forschungsansatz gab meiner Arbeit wichtige Impulse.

Daran knüpft die Spurensicherung nach Carlo Ginzburg an, die nach einer Sherlock-Holmes-Methode vorhandene Spuren analysiert, kombiniert und auch nebensächliche Indizien auswertet. Diese Methode geht auf den Kunstanalytiker Morelli zurück. Morelli erschloss die individuelle Handschrift eines Künstlers aus der Gestaltung von Details wie Ohrläppchen, Händen, der Form von Fingern, Fingernägeln oder Füßen. Ginzburg vergleicht diese Methode mit der Technik Sherlock Holmes, der tatsächlich ein literarischer Zeitgenosse Morellis war. So konnte Holmes durch die anatomische Analyse eines abgeschnittenen Ohres Verwandtschaftsverhältnisse aufdecken. In diesem Zusammenhang ist die Mikrogeschichte bedeutend, eine geschichtswissenschaftliche Forschungsrichtung, die ihre Erkenntnisse durch detaillierte Analysen von relativ überschaubaren Forschungseinheiten erzielt. Das historische Detail liefert bei der kleinräumigen Betrachtung wieder Aussagen über größere geschichtliche Zusammenhänge. Daran knüpft die „dichte Beschreibung“ des Ethnologen Clifford Geertz an, der Gesellschaften aus der Perspektive der handelnden Personen untersucht, nicht vom Standpunkt des außenstehenden Betrachters. Geertz verwendet seit 1973 einen „semiotischen“ Kulturbegriff, der auf zeichenhaften Bedeutungen beruht. Er bezieht sich auf Max Weber und dessen Bild von einem „selbstgesponnenen Bedeutungsgewebe“ in dem der Mensch verstrickt ist. Kultur ist ein ständig in Herstellung und Wandlung befindliches Gewebe, das immer wieder neue Interpretationen und Bedeutungen erfährt. Geertz spricht auch von einem Code, dessen symbolischer Gehalt entschlüsselt werden muss. Dabei bezieht der Forscher seine eigene Rolle und Herangehensweise in die Beschreibung mit ein, denn unsere Erwartungen und unser Hintergrundwissen fließen immer in jede Interpretation mit ein.

Eine weitere wichtige Rolle in meinen Forschungen spielt die Spurensicherung als Form der Konzeptkunst, die Günter Metken definierte, eine Kunstrichtung, die sich seit den späten 60er Jahren mit äußerlich wahrnehmbaren zeitlichen Ablagerungen und mit inneren Tiefenschichten befasst. Die Spurensicherung betreibenden Künstler beschäftigen sich mit in Vergessenheit geratenen Kulturen, versuchen künstlerisch Spuren aller Art festzuhalten, entwerfen individuelle Mythologien und entwickeln aus Relikten realer oder erfundener Kulturen Aussagen über das Menschsein. Einige Künstler betreiben eine regelrechte Feldforschung indem sie ihr persönliches Umfeld oder ihre eigenen Gefühle untersuchen. Dieses künstlerische Vorgehen ähnelt der archäologischen Methode des Aufdeckens von Strukturen in Schichten (Schichtengrabung).

Spurensuche und Spurensicherung ist aber nicht nur ein Thema in Kunst und Geschichte, sondern auch relevant für die Denkmalpflege. Deshalb versuche ich das Thema Spurensuche mit einem kunstwissenschaftlichen und denkmalpflegerischen Ansatz zu verbinden.

Hierbei sind Theorien der Denkmalpflege von Bedeutung, insbesondere von Georg Dehio und Alois Riegl. Dehio wandte sich um 1900 gegen den damals üblichen purifizierenden Weiterbau alter Baudenkmäler, gegen die praktizierte Regotisierung von Kirchen (bei der alle anderen Stilrichtungen ausgeblendet wurden) und geißelte die mit dieser propagierten Stilreinheit verbundenen Zerstörungen als restauratorischen Vandalismus an. Sein Wahlspruch lautete „Konservieren, nicht Restaurieren!“ Dehio wirkte damit maßgeblich auf den sich damals neuformierenden und positionierenden Denkmalschutz ein. Alois Riegl ordnete dem Denkmal Gegenwartswerte und Erinnerungswerte zu, dessen Kern der Alterswert darstellt. Viele von Dehios und Riegls Forderungen und Thesen flossen in die 1964 aufgestellte Charta von Venedig ein, die internationale Richtlinie der Denkmalpflege.

Schließlich sind im Zusammenhang mit meinen Forschungen Theorien zu Gedächtnis und Erinnerungskultur relevant, z.B. von Paul Ricoeur, der das Problem des Erinnerns und den Zusammenhang mit dem kulturellen Gedächtnis erforscht.

Forschungsstand zu Schloss Ludwigsburg

Karl Weiß bearbeitete 1914 die Schlossbauten Nettes, während Walter Baumgärtner 1939 die finanziellen Aspekte des Ludwigsburger Schlossbaus darstellte. Christian Belschner veröffentlichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die erste Darstellung der Stadtgeschichte, Otto Lossen und Ernst Fiechter 1924 einen ersten Bildband des Schlosses, der den Zustand der Räume vor den zahlreichen Restaurierungen der Nachkriegszeit vermittelt.1 Richard Schmidt veröffentlichte 1954 eine erste umfassende Darstellung des Schlosses.2

Wesentlich detailierter ist aber die Studie von Werner Fleischhauer zum Barock im Herzogtum Württemberg von 1958, die der Ludwigsburger Baugeschichte umfassend Raum gibt und nach wie vor ihre Gültigkeit hat.3 Hans-Joachim Scholderer bearbeitete in seiner Dissertation 1994 das Schlosstheater, Ute Esbach 1991 die Schlosskirche.4 Einzelne Aufsätze erschienen zu herausragenden Raumensembles: dem Ordenssaal, der Ordenskapelle, der Bildergalerie, der ehemaligen Bildergalerie im alten Corps de logis, der Ahnengalerie und den Treppenhäusern im neuen Corps de logis. Annegret Kotzurek befasste sich in ihrer Dissertation 2001 mit der Funktion und Ausstattung der Schlösser Herzog Carl Eugens, Eberhard Fritz veröffentlichte 2004 Studien zum Leben am Hofe König Friedrichs und 2000 veröffentlichte Albert Sting die neu verfasste Geschichte der Stadt Ludwigsburg.5

Ich selbst befasste mich in meiner Magisterarbeit 1999 mit den Bewohnern und Nutzungen des Schlosses von 1797 bis zur Gegenwart.6 Anlässlich des 300jährigen Schlossjubiläums erschien ein Sonderband der Ludwigsburger Geschichtsblätter der zahlreiche Aspekte von Schloss und Stadt Ludwigsburg beleuchtet und hier stellte ich erstmals Graffiti aus der Schlossbauzeit vor.7 Unter dem Titel „Ludwigsburg 2004“ veröffentlichte das Staatliche Vermögens- und Hochbauamt drei Bände zur Restaurierung des Schlosses, ein unterhaltsamer Band berichtete 2004 über „Hofgeschichten“ und ebenfalls 2004 erschien erstmals eine umfassende Monographie zum Ludwigsburger Schloss, die alle Epochen aus kunsthistorischer Sicht und die Baugeschichte ausführlich behandelt.8 2008 beleuchtet Rolf Bidlingmaier die Umbauten des 19. Jahrhunderts.9 Franziska Diek untersuchte 2011 die beiden Kommunikationsgalerien und Catharina Raible 2015 die Neuausstattung des Appartements König Friedrichs.10

Forschungsstand zu Graffiti

Im Zusammenhang mit der Generalsanierung der Schlossanlage anlässlich des 300jährigen Bestehens 2004, wurden umfangreiche Spuren aufgedeckt. Durch meine Beschäftigung mit den Graffiti, gelang es mir gemeinsam mit dem Staatlichen Hochbauamt an einigen Stellen gezielt Graffiti freizulegen, die dann auch in das neue Nutzungskonzept integriert wurden. Zahlreiche Graffiti wurden allerdings auch wieder verdeckt, so blieb im Bereich des Keramikmuseums im zweiten Stock des Neuen Corps de logis kein einziges sichtbar. Die bei den Restaurierungen gefundenen Depotfunde sichtete und dokumentierte ich im Auftrag des Staatlichen Vermögens- und Hochbauamts. In der Ausstellung „Ludwigsburg 2004 Pflegen & Bewahren – Restaurierungsarbeiten Schloss Ludwigsburg“ wurden in einem Fundwürfel erstmals ausgewählte Stücke öffentlich gezeigt.

Die Arbeiten der Baubehörde selbst wurden in Raumbüchern dokumentiert und zum Abschluss der Generalinstandsetzung erschienen unter dem Titel „Ludwigsburg 2004“ vier Bände, die die Restaurierung der Fassaden, der Innenräume und die Neueinrichtung der Museen in knappen Artikeln beschreiben. Das Thema „Spuren“ wird in diesen Publikationen allerdings nur kurz im Sinne von Veränderungen und Umgestaltungen der Innenräume gestreift. Graffiti und Depotfunde wurden ausgeklammert. Lediglich Hans-Joachim Scholderer berührte in seiner Dissertation zur Restaurierung des Schlosstheaters das Thema „Spuren und Funde“ am Rande.

Im Blickpunkt meiner Magisterarbeit „Schloss Ludwigsburg – Zeitspuren eines barocken Gebäudes“ standen 1999 die Veränderungen der Innenräume sowie ein Inventar der Schlossbewohner und der im Schloss untergebrachten Behörden zwischen 1797 und 1999. Zudem stellte ich einige ausgewählte Spuren vor.

Zum Thema „Spur als Schlüsselbegriff reflektierter Geschichtsschreibung“ sind „Zeit und Erzählung“ von Paul Ricoeur sowie diverse Arbeiten von Carlo Ginzburg wesentlich.11 Es sind vor allem Denkmalpfleger, die sich mit dem Begriff der Spur befassen. Bereits 1916 hatte Max Dvorák in seinem „Katechismus der Denkmalpflege“ die Öffentlichkeit auf die größten Restaurierungssünden aufmerksam gemacht.12 In einem Bildkatalog stellte er unmittelbar die Zustände vor und nach einer Restaurierung gegenüber und sensibilisierte auf diese Weise den Blick eines breiten Publikums für das Verschwinden bestimmter Spuren und historischer Zustände. Dabei schließt er allerdings, wie viele Denkmalpfleger nach ihm auch noch, Zeugnisse seiner eigenen Epoche und der nächsten Gegenwart aus und spricht diesen jeglichen Wert ab. Seine Arbeiten sind durch einen tiefen Hass auf alle Erzeugnisse des 19. und frühen 20. Jahrhunderts geprägt.

Die Veröffentlichungen von Alois Riegl, vor allem in Bezug auf den Alterswert und den relativen Kunstwert eines Denkmals, haben heute nach wie vor ihre Gültigkeit, ebenso wie Dehio‘s Aufsatz gegen den geplanten Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses. Friedrich Mielke etablierte 1975 eine Erweiterung des Denkmalbegriffs und 20 Jahre später zeigten Michael Petzet und Gert T. Mader 1995 zahlreiche neue Ansätze in der denkmalpflegerischen Praxis. Norbert Huse gibt 1996 einen Überblick über die verschiedensten Ansätze und Methoden, wie vielfältig Denkmalpflege betrieben werden kann.13

Nicht auf Ludwigsburg bezogen, finden sich zahlreiche Studien zu Graffiti, wenngleich das Interesse an antiken, vor allem an römischen Graffiti, deutlich überwiegt. Martin Langer legte 2001 die umfangreiche Studie über „Antike Graffitizeichnungen“ vor und Markus Scholz veröffentlichte zusammen mit Marcus Reuter im Limesmuseum Aalen 2004 den Ausstellungskatalog „Geritzt und entziffert“. Dann finden sich zahlreiche Studien zu mittelalterlichen Graffiti, vor allem in England und Detlev Kraack bearbeitete 1997 Inschriften und Graffiti von Reisenden und Pilgern des 14.-16. Jahrhunderts auf dem Weg ins „Heilige Land“.14 Umfassend veröffentlicht sind die Inschriften des 16. Jahrhunderts auf der Burg Pernstein in Tschechien.15 Das Verzeichnis „Die deutschen Inschriften“, auch zum Landkreis Ludwigsburg erschienen16, führt vereinzelt zwar auch Graffiti auf, endet aber in der Regel aus unverständlichen Gründen im 17. Jahrhundert. Die Forschungslücke liegt vor allem in der Neuzeit.

Diese Lücke einigermaßen auszufüllen, ist Ziel der 2001 erschienenen „Bibliographie zu historischen Graffiti zwischen Antike und Moderne“ von Detlev Kraack und Peter Lingens.17 Beispiele des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts sind allerdings auch hier in geringerem Umfang vertreten, was natürlich daran liegt, dass dieser Zeitraum generell selten untersucht wurde. Das Wiener Graffiti Archiv befasst sich mit zeitgenössischen Graffiti, Graffiti als Kunstform (American Graffiti) und Graffiti als Vandalismus. Abgesehen von wenigen Einzelbeiträgen zum Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, hat die Graffiti-Forschung in Deutschland erst in den 70er Jahren eingesetzt, vor allem Volkskundler und Wallfahrtsforscher hatten Graffiti als Quelle entdeckt.

G. Schober untersuchte als erster in größerem Rahmen das Phänomen der Votivgraffiti.18 Bereits 1976/77 beklagt er den Verlust von Graffiti und weist darauf hin, „dass sie bei Renovierungen oft nur als interessante historische Kuriositäten gesehen und schließlich mit einem neuen Verputz oder einem frischen Anstrich wieder beseitigt wurden.“19 Nach knapp 30 Jahren hat sich teilweise an dieser Situation nicht viel geändert. „Der deutschsprachige Forscher […] steht dem einzelnen, lokalen Graffitifund in der Regel geradezu ratlos gegenüber und vermutet, […] dass Graffiti eine bislang kaum beachtete und noch völlig unerforschte Randerscheinung der Wandmalerei seien.“20

Das zeigt sich in der 2001 publizierten umfassenden Gesamtdarstellung des Klosters Alpirsbach mit seinen zahlreichen Graffiti der Klosterschüler im Dorment. Diese werden tatsächlich nie als Graffiti bezeichnet, sondern als „gemalte Inschriften innerhalb der Wanddekoration der Klausurbauten“.21

Nach längerer Pause brachten 2017 zwei Tagungen neuen Schub in die Graffiti-Forschung. Polly Lohmann – sie selbst promovierte über pompejische Graffiti – organisierte die Münchner Tagung an der Ludwig-Maximilians-Universität „Historische Graffiti als Quellen – Methoden und Perspektiven eines jungen Forschungsbereichs“. An der Universität Urbino erforschte Raffaella Sarti die Graffiti im Palazzo Ducale, stellte ihre Ergebnisse in einer sehr sehenswerten Ausstellung dar und organisierte die Tagung „Stones, Castles and Palaces to be read in medieval and early modern Europe“.22 An beiden Tagungen konnte ich die Graffiti aus Ludwigsburg vorstellen.

 

 

 

     1 Vgl.: Weiß 1914, Schloß Ludwigsburg; Baumgärtner 1939, Die Erbauung des Ludwigsburger Schlosses; Belschner 1904, Ludwigsburg in zwei Jahrhunderten; Fiechter/Lossen 1924, Schloß Ludwigsburg in 60 Aufnahmen.

     2 Vgl. Schmidt 1954, Schloß Ludwigsburg.

     3 Vgl. Fleischhauer 1958, Barock im Herzogtum Württemberg.

     4 Vgl.: Scholderer 1994, Schloßtheater Ludwigsburg; Esbach 1991, Die erste Ludwigsburger Schloßkapelle.

     5 Vgl.: Kotzurek 2001, „Von den Zimmern bey Hof“; Fritz 2004, Schloss Ludwigsburg als Sommerresidenz; Sting 2000, Geschichte der Stadt Ludwigsburg, Band 1.

     6 Vgl. Schulz 1999, Schloss Ludwigsburg – Zeitspuren.

     7 Vgl. 300 Jahre Schloss Ludwigsburg 2004.

     8 Vgl.: Ludwigsburg 2004; Hofgeschichten 2004; Schloss Ludwigsburg 2004, Geschichte einer barocken Residenz.

     9 Vgl. Bidlingmaier 2008: Klassizismus und Empire in Schloss Ludwigsburg.

   10 Vgl.: Diek 2001, …solche so Kostbahr ornirten Gallerien…; Raible 2015, Rangerhöhung und Ausstattung,

   11 Vgl.: Ricoeur 1991, Zeit und Erzählung; Ginzburg 1983, Spurensicherungen.

   12 Vgl. Dvorák 1916, Katechismus der Denkmalpflege.

   13 Vgl.: Riegl 1996, Gesammelte Aufsätze; Dehio/Riegl 1988, Konservieren, nicht restaurieren; Mielke 1975, Die Zukunft der Vergangenheit; Petzet/Mader 1995, Praktische Denkmalpflege; Huse 1996, Denkmalpflege, deutsche Texte aus drei Jahrhunderten.

   14 Vgl.: Langer 2001, Antike Graffitizeichnungen; Scholz/Reuter 2004, Geritzt und entziffert; Pritchard 1967, English medieval graffiti; Kraack 1997, Monumentale Zeugnisse der spätmittelalterlichen Adelsreise.

   15 Vgl. Jeřábek 2000, Zpravy Statniho pamatkoveho ustavu u Brne. In drei Artikeln wird über die Restaurierung der Graffiti berichtet, einzelne vorgestellt und transkribiert. Auf den Fotos sieht man auch immer wieder Zeichnungen (oft nur angeschnitten), auf die allerdings nicht näher eingegangen wird.

   16 Vgl. Die Inschriften des Landkreises Ludwigsburg 1986.

   17 Vgl. Kraack/Lingens 2001, Bibliographie zu historischen Graffiti.

   18 Vgl. Schober 1976/77, Die Votiv- und Graffitifunde.

   19 Schober, 1976/77, S. 234f.

   20 Kraack, Lingens 2001, S. 16.

   21 Seeliger-Zeiss 2001, Die Inschriften Alpirsbach, S. 576ff. Zum Rötel-Graffito einer Kirche in einer der Zellen des Dorments heißt es, es handle sich um „Überreste einer laienhaften Raumausstattung, die jedoch kein durchgängiges Ordnungsprinzip erkennen lässt“ (Wilhelm 2001, Die Wandmalereien in Alpirsbach, S. 510). Das vereinzelte Graffito eines Reiters wird absurderweise zur „nicht fertig gestellten Vorzeichnung“ einer Raumdekoration (Ebd. S. 507).

   22 Vgl. Sarti u.a. 2017.

 

 

 

Forschungsstand zu Depotfunden

Zum Thema Depotfunde wurden unzählige Einzelbeobachtungen in Heimatblättern, Tageszeitungen oder Fachzeitschriften veröffentlicht. In den ehemaligen Gebäuden der Ludwigsburger Porzellanmanufaktur wurde ein großer Fundkomplex im Dachboden geborgen und 1990 von Kurt A. Schupp veröffentlicht.23

Umfassende Auswertungen von Fundkomplexen gibt es dagegen wenige. Hier sind in erster Linie die Funde aus der Überschüttung der Kreuzganggewölbe im Kloster Alpirsbach zu nennen, 2001 unter Federführung von Ilse Fingerlin veröffentlicht, und die Funde aus der so gennannten Turris Parva auf Schloss Tirol. 1998 wurde hier eine Fehlbodenfüllung erstmals kontrolliert in einer geordneten Ausgrabung geborgen.24 In diesen Schub intensiver Auseinandersetzung mit Depotfunden fiel die Entdeckung der Funde aus dem Mühlberg-Ensemble in Kempten (Allgäu) 1996/97.

2003/04 sichtete ich im Auftrag des Staatlichen Vermögens- und Hochbauamts die umfangreichen Fundkomplexe aus den Fehl- und Zwischenböden des Ludwigsburger Schlosses. 2003 fand in Bamberg eine Tagung zum Thema Depotfunde statt und die Veröffentlichung der Beiträge 2005 stellt die erste umfassende Darstellung dieser Fundgattung dar.25 Hier war ich mit einem Vorbericht über die Fundstücke aus der Ahnengalerie beteiligt.26

 

 

 

   23 Vgl. Schupp 1990, Geschichtsquelle Dachboden.

   24 Vgl.: Alpirsbach 2001, Zur Geschichte von Kloster und Stadt; Stangl/Lang 1995, Mönche und Scholaren; Stadler 1998, Die Turris Parva in Schloß Tirol.

   25 Vgl. Ericsson/Atzbach 2005, Depotfunde aus Gebäuden in Zentraleuropa.

   26 Vgl. Schulz 2005, Neuzeitliche Funde in Schloss Ludwigsburg.

1. Zeitschichten: Aspekte zur Geschichte des Ludwigsburger Schlossbaus

1.1 Wie ein Phönix aus der Asche: Ein kurzer Überblick über die Geschichte des Ludwigsburger Schlosses

1634 brannten im 30jährigen Krieg kaiserliche Truppen den Erlachhof bei Eglosheim nieder. Herzog Eberhard III. ließ die Gebäude ab 1650 wiederaufbauen. Die Ansichten von Andreas Kieser (Forstlagerbuch) zeigen eine von einer Ringmauer mit Turm umwehrte Hofanlage (Tafel 1/3). Innerhalb der hohen Mauer stehen mehrere Fachwerkgebäude: Das Amtshaus mit der Wohnung für den Hofmeister, eine Kelter, zwei Meiereien, Scheunen, Pferde- und Viehstallungen, das Jägerhaus, eine Kapelle, ein Back- und Waschhaus, eine Eisgrube und ein Gefängnis.1 1693 wurde der Erlachhof während des Pfälzischen Erbfolgekrieges durch französische Truppen erneut abgebrannt.

Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg (1676-1733, Tafel 1/5) plante zunächst nur den Wiederaufbau des Erlachhofes, ließ dann aber 1704 auf dem Ruinengelände den Grundstein zu einem neuen Jagdschloss legen, dem heutigen Alten Corps de logis (Tafel 1/4). Angrenzende Flügelbauten, Galerien und Pavillons bildeten bald eine großzügige Dreiflügelanlage, die der Herzog stolz „Ludwigsburg“ nannte.

Am alten Corps de logis symbolisiert der Vogel Phönix die Wiederauferstehung des Schlosses aus der Asche des niedergebrannten Erlachhofes (Tafel 1/6). Doch damit erwachte die Baulust des Herzogs erst richtig, Ludwigsburg sollte zur Residenz werden. Der Raumbedarf war dafür aber nicht ausgelegt. Weder gab es genug Zimmer um den Hofstaat unterbringen zu können, noch waren die Räume des Herzogs und seiner Familie für ein höfisches Zeremoniell angelegt, das in einer Residenz üblich war. Die Appartements im Alten Corps de logis waren nur für den kurzweiligen Aufenthalt anlässlich von Jagden oder Festen gedacht.

Immer wieder wurden Pläne geändert und verworfen, mit der Landschaft, der Vertretung der Landstände, über die Finanzierung gestritten und es kam öfters zu finanziellen Engpässen. So zogen sich die Bauarbeiten seit der Grundsteinlegung schließlich über 29 Jahre hin und als Eberhard Ludwig 1733 starb war der Innenausbau des Neuen Corps de logis vermutlich noch nicht fertig gestellt (Tafel 1/1, 2).2

Der heimische Baumeister Philipp Joseph Jenisch (1671-1736) leitete zunächst das Bauwesen, wurde aber bald durch den künstlerisch wesentlich ausdrucksstärkeren Johann Friedrich Nette (1672-1714) ersetzt, der im österreichisch-böhmischen Raum geschult war. Nette plante das Alte Corps de logis mit den daran anschließenden Galerien, dem Jagd- und Spielpavillon, sowie die das Corps de logis flankierenden Gebäude, den Riesen- und Ordensbau. Nach Nettes Tod übernahm der Italiener Donato Giuseppe Frisoni (1683-1735) die Bauleitung (Tafel 2/1). Frisoni war 1705-1707 in Wien, vermutlich bei Santino Bussi beschäftigt, 1707-1708 in Prag und kam im Frühjahr 1709 als Stuckateur nach Ludwigsburg.3

Im Lauf der Jahre hatte Frisoni den Schlossbau zu einer gewaltigen Vierflügelanlage verändert, deren letzter Baukörper das 1725 begonnene Neue Corps de logis war. Dieses bot in der Beletage vier großzügige Appartements für den Herzog, seine Mätresse Wilhelmina von Grävenitz, bzw. die Herzogin, den Erbprinzen und dessen Gemahlin. Das Jagdschloss mutierte zum prunkvollen Residenzschloss, denn schließlich war in der „grandseigneuralen Gesellschaft Größe und Pracht des Hauses nicht primär Ausdruck des Reichtums, sondern primär Ausdruck des Ranges und Standes “.4

Zum einen trat der Herzog in Konkurrenz zu anderen bauenden Fürsten (Rastatt, Mannheim, Karlsruhe waren Neugründungen im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts), zum anderen stieg sein Bedürfnis nach Repräsentation parallel zu seiner zunehmenden politischen und militärischen Bedeutung: 1702 wurde der Herzog zum Generalfeldmarschalleutenant ernannt, 1703 zum Kavalleriegeneral, 1704 hatte er Anteil am Sieg in der Schlacht von Höchstadt, 1707 wurde er Generalfeldmarschall des Schwäbischen Kreises, 1711 erhielt er das Oberkommando über die Reichsarmee am Oberrhein und 1713 verleiht der Reichstag ihm die Würde eines evangelischen Reichsgeneralfeldmarschalls.

Die Überhäufung mit klang- wie ehrenvollen Titeln durch das Habsburger Kaiserhaus war ein strategischer Zug, um Württemberg reichstreu zu halten und sich so der Gefolgschaft württembergischer Truppen in allen militärischen Konflikten zu sichern. Eine wirkliche politische Macht stellten diese Titel kaum dar und die Erlangung der Kurwürde blieb Eberhard Ludwig zeitlebens versagt. Ihm ist es nie wirklich gelungen, in die erste Reihe der Reichsfürsten aufzusteigen.5 Die gewaltigen Ausmaße des Ludwigsburger Schlosses sollen darüber hinwegtäuschen. Der Herzog träumte sogar von der Gründung eines Königreichs Franken Vielleicht soll die Vierflügelanlage Ludwigsburgs diesen königlichen Anspruch bekräftigen. Eberhard Ludwigs Regentschaft war überschattet durch seine Beziehung zu seiner Mätresse Wilhelmina von Grävenitz (1686-1744, Tafel 2/5, 6), traditionell die „Landverderberin“ genannt, habe sie doch den Herzog zu dem kostspieligen Schlossbau getrieben und die Landespolitik mehr bestimmt als der Herzog selbst. In der Tat waren die Grävenitz, ihr Bruder (von Eberhard Ludwig zum Premierminister ernannt) und deren Anhänger die bestimmenden politischen Kräfte im Herzogtum. Der Herzog selbst hatte scheinbar mehr Interesse für seinen Schlossbau als für die Landespolitik. An der unmittelbaren täglichen Regierungsarbeit nahm er keinen Anteil.6 Dagegen nahm der tägliche Gang über die Baustelle seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

Tafel 1: 1 Luftbild – mit Drohne; 2 Luftbild der Ludwigsburger Schlossanlage von 1924; 3 Der Erlachhof 1683 aus dem Forstlagerbuch des Andreas Kieser; 4 Das Alte Corps de logis, 1704-1709 an Stelle des zerstörten Erlachhofs erbaut; 5 Schlossgründer Herzog Eberhard Ludwig, Portrait von Ferdinand Stenglin nach 1707; 6 Phönix symbolisiert, dass die Ludwigsburg aus den Ruinen des Erlachhofs auferstanden ist.

Eberhard Ludwig war in seiner Ehe mit Johanna Elisabetha (1680-1757, Tafel 2/2, 3) nicht sonderlich glücklich. Kurz auf den Nenner gebracht: Er lernte die junge Christina Wilhelmina von Grävenitz kennen, verliebte sich unsterblich und heiratete sie 1707. Die Doppelehe war der Skandal schlechthin. Die Ehe wurde geschieden und Wilhelmina musste das Land verlassen. Der Herzog folgte ihr ins Exil und fand dort die Lösung: Die Geliebte wurde verheiratet, der Ehemann, der böhmische Graf Franz Ferdinand von Würben (ca. 1647-1720, tschechisch Wrbna und Bruntál) wurde mit Geld und Titel abgespeist. 1711 kehrt die nunmehrige Gräfin Würben als Frau Landhofmeisterin, als Gräfin von Würben nach Württemberg zurück (Tafel 2/4, 5, 6). Ihre Beziehung zum Herzog währte nun über 20 Jahre.7

Ist es tatsächlich denkbar, die Liaison zwischen Herzog Eberhard Ludwig und der Grävenitz als romantische Liebesbeziehung zu interpretieren? Tatsächlich verwarf Eberhard Ludwig die Konzeption der traditionellen Fürstenehe: „Allein die auf der Basis von Gefühlen und Gemeinsamkeiten geschlossene Ehe versprach für Eberhard Ludwig glücklich zu werden.“8