MICHAEL SHELLENBERGER
APOKALYPSE, NIEMALS!
WARUM UNS DER
KLIMA-
ALARMISMUS KRANK MACHT
Aus dem Amerikanischen
von Pascale Mayer
„Distanzierungserklärung:
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»Das Originalmanuskript dieses Buches wurde in der ersten Jahreshälfte 2020 abgeschlossen und entspricht dem damaligen Informationsstand.«
„Das Originalmanuskript dieses Buches wurde in der ersten Jahreshälfte 2020 abgeschlossen und entspricht dem damaligen Informationsstand.«
Titel der Originalausgabe »Apocalypse never: why environmental alarmism hurts us all«
© 2020 by Michael Shellenberger, published by Harper,
an Imprint of HarperCollins Publishers, LLC,
195 Broadway, 24th floor, New York, NY 10007, U.S.A.
Deutsche Ausgabe
© 2022 LMV, ein Imprint der Langen Müller Verlag GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Sabine Schröder
Umschlagmotiv: getty images
Satz und Ebook-Konvertierung: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-7844-8425-9
www.langenmueller.de
Für Joaquin und Kestrel
INHALT
Vorwort zur deutschen Übersetzung von »Apocalypse Never«
Einleitung
1. Das ist doch nicht das Ende der Welt
2. Die grüne Lunge der Erde brennt nicht
3. Schluss mit den Plastikstrohhalmen
4. Das sechste Massensterben ist abgesagt
5. Sweatshops retten den Planeten
6. Die Walhelfer
7. Dann sollen sie doch Fleisch essen …
8. Die Natur retten – das ist Bombe!
9. Die Umwelt zerstören, um sie zu retten
10. Es dreht sich alles um Kohle
11. Das Leugnen der Macht
12. Falsche Götter für verlorene Seelen
Nachwort
Danke
Anmerkungen
Personenregister
Vorwort zur deutschen Übersetzung von »Apocalypse Never«
Die Tatsache, dass mein Buch seit seinem Erscheinen auf dem amerikanischen Markt im Sommer 2020 in mehr als ein Dutzend Fremdsprachen übersetzt wurde, macht mich natürlich sehr glücklich. Dabei ist die deutsche Ausgabe von »Apocalypse Never« für mich von ganz besonderer Bedeutung. Und das nicht nur, weil Deutschland die größte Wirtschaftsmacht Europas ist. In den letzten sechs Jahren habe ich das Land öfter besucht und viele deutsche Freunde und Verbündete gewonnen, die mir sehr wichtig sind. Während dieser Reisen habe ich Deutschland für seine Kompetenz, Intelligenz und Vernunft schätzen gelernt und daher betrachte ich mich heute als Freund der deutschen Nation.
Allerdings hat mir in den letzten sechs Jahren manches auch Kopfzerbrechen bereitet: Während sich dieses intelligente und vernünftige Land von der Kernkraft verabschiedet und somit seine Abhängigkeit von Erdgas und Kohle weiter vergrößert, fällt es mir sehr schwer, die deutschen Verhaltensweisen zu verstehen, die so ganz und gar nicht vernünftig sind. Die Stromerzeugung aus Windkraft ging 2021 in Deutschland stärker zurück als jemals zuvor, wohingegen Kohle der wichtigste Energieträger zur Stromerzeugung blieb und sogar ein Rekordplus gegenüber dem Vorjahr verzeichnen konnte. Der Anteil erneuerbarer Energien an der gesamten Stromeinspeisung ging im selben Zeitraum von 44 auf 41 Prozent zurück, weil 2021 mehr Windflauten auftraten als 2020. Kohlestrom legte um etwa ein Fünftel zu und brachte es auf einen Anteil von 28 Prozent des deutschen Energiemix. Folglich stieg der CO2-Ausstoß um fünf Prozent, was wiederum bedeutet, dass Deutschland seine selbstgesteckten Klimaziele für 2030 zu verfehlen droht.1
Aber die Stilllegung von Atomkraftwerken ist nicht der einzige Grund, weshalb die Kohlendioxidemissionen in Deutschland 2021 angestiegen sind. Ein Wiederaufschwung der Wirtschaft nach einem, in vielerlei Hinsicht verheerenden, Jahr Corona-Pandemie spielte ebenso eine Rolle wie steigende Erdgaspreise, die zur Folge hatten, dass mehr Kohle verbrannt wurde. Dabei war einer der Hauptgründe für den Anstieg der Erdgaspreise der Druck der Klimaaktivisten. Auch in Deutschland gingen viele von ihnen auf die Straße, um gegen den weltweiten Ausbau der Erdgas-Infrastruktur zu demonstrieren. Das Resultat war ein Mangel an Erdgas und die Verbrennung von mehr Kohle, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, und auch in Nordamerika und Asien.
Mit steigenden CO2-Emissionen und Stromkosten – den gegenwärtig höchsten in Europa – veranschaulicht Deutschland auf dramatische Art und Weise, dass erneuerbare Energien nicht in der Lage sind, hochenergetische Wirtschaftssysteme mit ausreichend Strom zu versorgen. Deutsche Wissenschaftler sind sich darüber bereits seit Jahrzehnten im Klaren. 1982 erschien das Buch »Der unterirdische Wald – Energiekrise und industrielle Revolution« von Rolf Peter Sieferle. Der Historiker bewies anhand von physikalischen Hitzemessungen, dass die industrielle Revolution im 17. und 18. Jahrhundert in Europa nicht ohne Kohle hätte stattfinden können. Holz lieferte einfach nicht genügend Energie, um die Maschinen anzutreiben, es hatte eine zu niedrige Energiedichte und war zudem ein knapper Rohstoff. 2010 reproduzierte ein Historiker der Universität Oxford Sieferles Ergebnisse, indem er dieselbe Methode anwandte und belegte, dass es die industrielle Revolution in England zwischen 1760 und 1840 ohne Kohle ebenfalls nicht gegeben hätte.
In Deutschland will man das allerdings nicht so recht glauben. Viele geben sich lieber der Illusion hin, dass sich das ganze Land zu hundert Prozent mit erneuerbaren Energien versorgen ließe.
Die Anti-Atomstrom-Pro-Erneuerbare-Energien-Klimawandelbewegung bekam durch Greta Thunberg enormen Auftrieb. 2019 bezeichnete sie Atomkraft als »sehr gefährlich, teuer und zeitaufwendig« und sprach sich klar gegen ihre erweiterte Nutzung aus. Thunberg genießt vor allem in Deutschland großen Einfluss, von dort stammen viele ihrer engsten Mitstreiter. 2019 sagte sie auch: »Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid. Ich will, dass ihr in Panik verfallt.« Das Wort Panik wird definiert als eine »durch eine plötzliche Bedrohung hervorgerufene, übermächtige Angst, die das Denken lähmt und zu kopflosen Reaktionen führt«. Anders ausgedrückt: Thunberg forderte die Menschen dazu auf, sich kopflos, also unvernünftig zu verhalten, und Deutschland, die sonst so vernünftige Nation, tat genau das. Für Thunberg, die Grünen und andere Befürworter eines Niedrigenergie-Lebensstils stellt der vormoderne Charakter der erneuerbaren Energien lediglich ein Merkmal dar, keinen Makel.
Es gibt Menschen, die vertreten die Meinung, dass die eigentliche Motivation, die dem deutschen Experiment mit den erneuerbaren Energien zugrunde liegt, mit Schuld und Vergangenheitsbewältigung zu tun hat: »Die Deutschen würden dann endlich das Gefühl haben, im 20. Jahrhundert nicht mehr Weltzerstörer, sondern Weltretter zu sein«, stellte das Handelsblatt 2017 fest. Deutschland hat sich zunächst auf Energiequellen gestützt, die im 20. Jahrhundert entstanden sind, wie zum Beispiel die Kernkraft, und ist später dann zu solchen Energiequellen zurückgekehrt, die vor der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert genutzt wurden, nämlich den erneuerbaren Energien. So entstand der Traum von einer Rückkehr in die Zeit bevor der Mensch sich von der Natur abwandte. Und tatsächlich ist dieser Traum in der Parteipropaganda der Grünen und in anderen Formen der Werbung für erneuerbare Energien deutlich zu erkennen.
Das alles könnte man als Naturromantik, als linke Plattitüden in Deutschland und dem Rest der Welt abtun, hätte es nicht solche außerordentlich negativen Auswirkungen auf die Sicherheit Deutschlands und Europas. Der Ausstieg aus der Kernkraft bedeutet ja nicht nur einen Anstieg der CO2-Emissionen und eine zunehmende Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Der Ausstieg aus der Kernkraft bedeutet auch, dass Deutschland – und mit ihm ganz Europa – in eine immer größere Abhängigkeit von importiertem russischem Erdgas gerät. In der Folge verhält man sich immer zurückhaltender, wenn es darum geht, klar gegen Russlands Drohgebärden und die Kriegsgefahr an der ukrainischen Grenze Stellung zu beziehen.
In Zeiten einer gesamteuropäischen Energiekrise, die gleichzeitig auch eine Sicherheitskrise ist, hoffe ich, dass »Apokalypse, niemals!« zu einer längst überfälligen Debatte in Deutschland beiträgt – der Debatte nämlich, ob es wirklich sinnvoll und vernünftig ist, Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen und sich damit abhängig von russischem Erdgas zu machen. In gewissem Maße ist eine solche Diskussion bereits im Gange und die deutsche Presse scheint inzwischen auch mutiger geworden zu sein, sich kritisch zur Energiewende zu äußern.
Die Deutschen sind kompetent, intelligent und vernünftig, ja. Aber die Deutschen sind eben auch nur Menschen. Um es mit den Worten Nietzsches zu sagen: »Wir bleiben uns eben notwendig fremd, wir verstehen uns nicht (…)«. Wenn uns unser blinder Fleck in Schwierigkeiten bringt, dann verlassen wir uns auf unsere Freunde, dass sie uns vor uns selber schützen mögen. Ich hoffe, die deutschen Leser werden »Apokalypse, niemals!« so aufnehmen, wie ich es beabsichtigt habe: als eine freundschaftliche Geste in immer dunkler werdenden Zeiten.
Michael Shellenberger, im Februar 2022
1 Agora Energiewende, »Deutschland entfernt sich 2021 vom Klimaziel,« 07. Januar 2022
EINLEITUNG
Anfang Oktober 2019 interviewte eine Fernsehjournalistin in der britischen Nachrichtensendung Sky News zwei Klimaaktivistinnen. Sie gehörten der internationalen gesellschaftspolitischen Bewegung Extinction Rebellion an (»Aufstand gegen das Aussterben«), die weltweit Aktionen gewaltfreien zivilen Widerstands organisiert, um gegen klimapolitische Untätigkeit zu protestieren.
Extinction Rebellion wurde im Frühjahr 2018 in Großbritannien unter anderem von den Umweltaktivisten Gail Bradbrook, Simon Bramwell und Roger Hallam gegründet. Die Bewegung ging aus verschiedenen Vorläufergruppen hervor. Im Herbst 2018 sorgte der erste von Extinction Rebellion ausgerufene Rebellion Day in London nicht nur für Aufsehen, sondern auch für etliche Festnahmen wegen Verkehrsbehinderung: Über 6000 Demonstranten blockierten die fünf wichtigsten Brücken über die Themse und hielten so viele Menschen davon ab, zur Arbeit oder nach Hause zu kommen.1
Sprecher der Bewegung stellten besorgniserregende Behauptungen auf: »Milliarden von Menschen werden sterben.« – »Das Leben auf Erden erlischt.« Und: »Regierungen kümmern sich nicht darum.«2
2019 konnte Extinction Rebellion bereits auf die Unterstützung zahlreicher Prominenter zählen, unter ihnen die Schauspieler Benedict Cumberbatch und Stephen Fry, die Popstars Ellie Goulding und Thom Yorke, die Oscar-Gewinnerin Olivia Colman, der Live-Aid-Produzent Bob Geldof und das Spice Girl Mel B.
Auch wenn Extinction Rebellion nicht unbedingt repräsentativ für alle Umweltschützer gewesen sein mag, so berichteten Meinungsforscher, dass doch fast die Hälfte aller befragten Briten die Bewegung unterstützen würden.3
Und die Briten waren nicht die Einzigen. Im September 2019 ergab eine Umfrage von 30.000 Menschen weltweit, dass 48 Prozent von ihnen glaubten, der Klimawandel würde die Menschheit auslöschen.4
Doch kurz darauf stürzten die Beliebtheitswerte der Bewegung in den Keller, die öffentliche Unterstützung schwand, und auch bei Journalisten fand Extinction Rebellion kaum noch Sympathie. Was war geschehen? Eine Blockade der Londoner U-Bahn war aus dem Ruder gelaufen und hatte für ein großes Verkehrschaos gesorgt.
Die Sky-News-Journalistin Sophy Ridge fühlte sich an eine ähnliche Aktion erinnert, die im Sommer in Bristol stattgefunden hatte. »Und die Familien?«, fragte sie die beiden Extinction-Rebellion-Mitglieder im Fernsehstudio. »Ich weiß noch, wie jemand erzählte, dass er nicht mehr rechtzeitig nach Hause kam zu seinem Vater, der im Sterben lag.«5
»Und das ist wirklich, wirklich sehr bedauerlich«, erwiderte Sarah Lunnon, eine Sprecherin von Extinction Rebellion. Dann legte sie ihre Hand aufs Herz und fuhr fort: »Es bricht mir das Herz.«
Man konnte sofort verstehen, warum Sarah Lunnon zur Sprecherin der Bewegung erkoren worden war. Als ich mir den Mitschnitt dieses Interviews ansah, hatte ich keinen Zweifel, dass sie es ernst meinte und ihre Entschuldigung tatsächlich von Herzen kam. »Wenn man sich das vorstellt, dann fühlt man sich einfach nur absolut furchtbar«, sagte Lunnon bei Sky News. Schließlich wandte sie sich dem eigentlichen Gesprächsthema zu. »Der Schmerz und die Verzweiflung, die dieser Mann erleiden musste, weil er sich von seinem Vater nicht mehr verabschieden konnte, das sind der Schmerz und die Verzweiflung, die wir alle gerade durchleben, wenn wir auf die Zukunft unserer Kinder schauen, denn die sieht sehr, sehr schlecht aus.«
Drei Tage vor diesem Interview waren Extinction-Rebellion-Aktivisten im Londoner Regierungsviertel mit einem ausgemusterten Feuerwehrauto angerückt, an dem ein Banner mit der Aufschrift »Hört auf, den Klima-Tod zu finanzieren« angebracht war. Dann hatten die Aktivisten einen Feuerwehrschlauch auf das Finanzministerium gerichtet und Rote-Bete-Saft auf das Gebäude gespritzt. Dabei verloren sie jedoch schnell die Kontrolle über den Schlauch und spritzten den Bürgersteig und mindestens einen Passanten mit dem selbst gemachten Kunstblut voll.6
Elf Tage nach dem Interview war Sarah Lunnon in »This Morning« zu Gast, einer der beliebtesten Sendungen des britischen Frühstücksfernsehens.
An diesem Morgen wurden etwa 2.000 Extinction-Rebellion-Aktivisten festgenommen: Wenige Stunden zuvor war an einer U-Bahn-Haltestelle Gewalt ausgebrochen, nachdem Demonstranten auf das Dach eines Zuges geklettert waren und den Schaffner gezwungen hatten, die Passagiere zu evakuieren.
»Warum die Tube?«, fragte der Moderator Phillip Schofield irritiert. »Warum die U-Bahn? Warum ausgerechnet das Verkehrsmittel, das einen am saubersten quer durch die Stadt transportiert?« Denn die elektrisch betriebene Londoner Tube (»Röhre«) fährt mit Strom, der in Großbritannien zu diesem Zeitpunkt weniger als die Hälfte der Menge an Kohlenstoffdioxid emittiert als im Jahr 2000.7
In einem Einspieler konnte man zwei Extinction-Rebellion-Demonstranten sehen, die auf das Dach eines Wagons kletterten und ein Banner auseinanderfalteten. Auf schwarzem Hintergrund stand in weißen Buchstaben zu lesen: »Business as Usual = DEATH.«8
»Etwas, das wir mit dieser gezielten Aktion erreichen wollten«, sagte Lunnon, »war, zu identifizieren, wie zerbrechlich, wie anfällig die Systeme sind, mit denen wir momentan arbeiten. Unsere Transportsysteme …«
»Aber das wissen wir doch alle, wir erleben es doch täglich«, unterbrach der Moderator Lunnon. »Wenn der Strom ausfällt, wissen wir doch, wie anfällig das System für einen Kollaps ist. Wir wissen das. Sie müssen’s uns nicht erst beweisen. Was Sie getan haben, ist Folgendes: Sie haben ganz normale Menschen daran gehindert, zur Arbeit zu gehen. Das sind Arbeiter, die darauf angewiesen sind, Geld zu verdienen, ihre Familien sind auf diesen Lohn angewiesen.«
Der Einspieler zeigte Hunderte von aufgebrachten Menschen auf dem Bahnsteig. Zur morgendlichen Hauptverkehrszeit hatten die beiden Demonstranten die Jubilee Line lahmgelegt. Wütende Pendler schrien die Aktivisten an und forderten sie auf, vom Dach der U-Bahn zu steigen. »Ich will doch nur zur Arbeit«, rief einer der Pendler, »ich will nur meine Familie ernähren.«
Schnell eskalierte die Situation, Chaos brach aus. Kaffeebecher flogen aus der wütenden Pendlergruppe in Richtung der Aktivisten. »Es flog auch Glas, wahrscheinlich eine Flasche. Eine Frau weinte«, berichtete ein Reporter, der vor Ort war. »Menschen versuchten, sich einen Weg aus dem Chaos zu bahnen, sich in Sicherheit zu bringen. Es war eine bedrohliche Situation, ich habe Menschen gesehen, die ziemlich große Angst hatten.«
Zurück im Studio des Frühstücksfernsehens, zitierte der Moderator eine Umfrage zum Thema Extinction Rebellion und erklärte, dass 95 Prozent der Befragten meinten, die Bewegung sei mittlerweile ihr eigener größter Feind und stünde dem Umweltschutz eher im Wege. Was, fragte er, hätten sich die Aktivisten nur bei dieser Aktion gedacht?
In einem Einspieler war zu sehen, wie ein Pendler versuchte, den Zug hinaufzuklettern, um einen Demonstranten herunterzuziehen. Der wehrte sich, indem er dem Pendler ins Gesicht und vor die Brust trat. Doch der Mann packte den Demonstranten am Bein und zog ihn vom Dach der U-Bahn auf den Bahnsteig, wo ein wütender Mob begann, auf den Aktivisten einzutreten.
Im Fernsehstudio erklärte Sarah Lunnon, dass die Aktion auf die katastrophalen Folgen des Klimawandels aufmerksam machen sollte und wie davon auch das Transportwesen betroffen sei. »Stromversorgungssysteme werden vom Netz gehen, wir werden vor leeren Supermarktregalen stehen, und die öffentlichen Verkehrsmittel werden auch betroffen sein.«
Wütende Menschen versanken im Gewirr der Gewalt. In einem weiteren Video, das jemand an diesem Tag aufgenommen hatte, konnte man sehen, wie ein Mann einen anderen, der die Aktion filmte, zu Boden stieß und gezielt auf ihn eintrat. »Später«, erzählte ein Augenzeuge einem Fernsehreporter, »habe ich vor der U-Bahn-Station einen Mann gesehen, der einer Frau heftig ins Gesicht schlug, dabei hatte sie dazu aufgerufen, die Gewalt zu beenden.«
Gegen Ende der Fernsehshow sagten die beiden Moderatoren von This Morning etwas Bemerkenswertes: Sie schienen Sarah Lunnon beim Thema Klimawandel zuzustimmen. »Wir machen uns alle große Sorgen und möchten Sie gerne unterstützen«, meinten sie, und »zweifellos stecken wir mitten in einer enormen Krise.«
Moment mal. Wie bitte?! Was hatten die beiden da gerade gesagt? Ich begriff es nicht. Wenn die Fernsehmoderatoren zustimmten, dass wir uns in einer enormen Krise befänden, in der »Milliarden von Menschen sterben« würden, wie konnten sie sich dann darüber aufregen, dass ein paar Pendler zu spät zur Arbeit kämen?
Die Journalistin der Sky News reagierte ähnlich. »Ich sage ja nicht, dass es keine Tragödie ist, also der Zustand der Umwelt.« Sie fuhr jedoch fort: »Aber der sehr persönliche Schmerz, seinen sterbenden Vater nicht mehr sehen zu können, weil die Züge nicht fahren … dieser Mann in Bristol denkt wahrscheinlich, dass sich das eine mit dem anderen nicht vergleichen lässt.«
In der Tat, wie lässt sich die Enttäuschung eines einzelnen Mannes vergleichen mit »Massensterben, Hungersnot und Hungertod»?
Wenn »das Leben auf Erden erlischt«, warum sollte man sich dann aufregen, weil jemand mit ein bisschen Rote-Bete-Saft bespritzt wurde?
Selbst wenn der Klimawandel »nur« ein paar Millionen von Menschenleben fordert, anstatt von Milliarden, ist der einzige vernünftige Schluss, den man aus den Aktionen von Extinction Rebellion ziehen kann, der, dass ihre Maßnahmen nicht radikal genug sind.
Fairerweise soll erwähnt sein, dass die Moderatoren von ITV und Sky News Sarah Lunnons extremen Äußerungen nicht zustimmten. Sie sagten lediglich, dass sie ihre Sorge um den Klimawandel teilten.
Aber was meinten sie dann, wenn sie sagten, der Klimawandel sei eine »enorme Krise»? Wenn es sich dabei nicht um eine existenzielle Krise handelte, also wortgetreu eine Bedrohung für die menschliche Existenz oder zumindest für die Zivilisation, um welche Art Krise handelte es sich dann?
In diesem Moment, infolge einer Protestaktion, die unversehens den Tod eines Aktivisten und eines Videofilmers hätte bedeuten können, wurde mir klar, dass niemand auch nur eine halbwegs kluge Antwort auf diese Fragen hatte.
Ich habe dieses Buch geschrieben, weil die Diskussion über Klimawandel und Umweltschutz in den letzten Jahren außer Kontrolle geraten ist – ein wenig wie der Feuerwehrschlauch, mit dem Extinction-Rebellion-Aktivisten Kunstblut auf das Londoner Finanzministerium gespritzt hatten.
Seit 30 Jahren bin ich selbst Umweltaktivist. Seit 20 Jahren forsche und schreibe ich über Umweltthemen, auch über den Klimawandel. Ich tue das, weil ich es als meine Berufung empfinde. Es liegt mir nicht nur zutiefst am Herzen, unseren natürlichen Lebensraum zu erhalten, sondern auch nachhaltigen Wohlstand für alle Menschen auf der Erde zu erreichen.
Weiterhin ist es mir wichtig, die Fakten und die Wissenschaft richtig zu verstehen. Meiner Meinung nach haben Umweltwissenschaftler, Journalisten und Aktivisten die Pflicht, Probleme, die unsere Umwelt angehen, ehrlich und zutreffend zu beschreiben, selbst wenn sie befürchten müssen, dass man sie dann nicht mehr in Talkshows einlädt.
Ich habe beschlossen, dieses Buch zu schreiben, weil ich den Alarmismus satthatte, den Extremismus, die Übertreibungen. Sie sind die Feinde eines positiven, humanistischen und rationalen Umweltbewusstseins. Jeder Fakt, jede Behauptung, jedes Argument in diesem Buch basieren auf den am besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dazu gehören auch die Einschätzungen des renommierten Weltklimarats (IPCC), der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und anderer wissenschaftlicher Gremien. Dieses Buch verteidigt die Mainstream-Wissenschaft gegen politisch rechte wie linke Leugner.
Es erforscht, wie und warum viele von uns zu dem Schluss gekommen sind, dass bedeutende, aber beherrschbare Umweltprobleme das Ende der Welt verheißen und weshalb die Verbreiter der apokalyptischsten Ansichten dazu neigen, die besten und nächstliegenden Lösungen abzulehnen.
Nebenbei werden wir auch einiges darüber lernen, wie der Mensch die Natur tatsächlich schützt, nicht nur, wie er sie zerstört. Geschichten aus der ganzen Welt über Umwelt- und Artenschutz werden zeigen, wie ökologischer, ökonomischer und energetischer Fortschritt im wahren Leben einen einzigen zusammenhängenden Prozess darstellen.
Zu guter Letzt versteht sich dieses Buch als Verteidiger der Mainstream-Ethik. Aus moralischer Sicht wird für einen Humanismus säkularen und religiösen Ursprungs und gegen einen Antihumanismus plädiert, wie er von apokalyptischen Umweltschützern propagiert wird.
Meine große Hoffnung ist, dass irgendwo zwischen den oftmals chaotischen und verwirrenden Debatten über Klimawandel und andere Umweltprobleme doch das Verlangen brennt, wissenschaftliche Fakten von Science-Fiction zu unterscheiden, und das positive Potenzial unserer Menschheit zu erkennen. Ich habe dieses Buch geschrieben, um dieses Verlangen weiter anzufachen.