«ICH WILL DICH
AN DER HAND FÜHREN,
UM DIR DIE WUNDER DER WELT
ZU ZEIGEN …»
Briefe von Franz und Maria Marc
Herausgegeben und kommentiert
von Annegret Hoberg
C.H.BECK textura
Maria und Franz Marc mit Russi in Sindelsdorf, 1911
Franz und Maria Marcs Briefe, viele davon bisher unveröffentlicht, sind ein berührendes Zeugnis ihrer Liebesgeschichte. Von 1905 bis zu Franz Marcs frühem Tod 1916 schrieb sich das Künstlerpaar Hunderte von Briefen voller Sehnsucht und Zärtlichkeit, von denen die schönsten für das vorliegende Buch ausgewählt wurden. Sie ermöglichen einen unverstellten Einblick in das alltägliche Leben, die Kunstszene und das Kriegsgeschehen der damaligen Zeit.
Franz Marc, geboren 1880 in München, 1916 in der Nähe von Verdun gefallen, war einer der wichtigsten Maler der Künstlergruppe Der Blaue Reiter.
Maria Marc, geboren 1876 in Berlin, gestorben 1955 in Ried, war für eine kurze, aber wichtige Zeit ihres Lebens selbst Malerin. Nach dem Tod von Franz Marc nahm sie sich intensiv der Pflege seines Nachlasses an.
Annegret Hoberg ist Kuratorin an der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München und betreut dort die Abteilung Blauer Reiter sowie das Kubin-Archiv
BRIEFE VON FRANZ UND MARIA MARC
1905–1911
1914–1916
NACHWORT
DOPPELBIOGRAPHIE
AUSGEWÄHLTE LITERATUR
BILDNACHWEIS
Dem Andenken des Erben von Maria Marc
in Dankbarkeit gewidmet
Franz Marc und Maria Franck lernten sich im Dezember 1905 auf einem Bauernball in Schwabing näher kennen und wurden bald schon ein Liebespaar. Marc litt damals an der Trennung von seiner Geliebten Annette von Eckardt, Maria hatte zu diesem Zeitpunkt gerade eine tiefe Enttäuschung nach einer Bindung an einen anderen Mann hinter sich.
Franz an Maria, Pasing, 15. Dezember 1905
Liebe, gute Maria,
ich bin ein schlechter Arzt, ein wirklich schlechter; (ich gestehe nämlich, daß ich bei Dir Arzt sein zu können mir eingebildet habe.) Überrascht es Dich, daß ich Dir dies schreibe? Liebste, ich kann nicht anders, – ich schäme mich doch, wenn ich mich hingegeben; Du hast mit dem Wort von Geist und Fleisch ja doch nur zu recht. Ich schäme mich gerade deswegen, weil ich in der That etwas den Arzt und Deine Heilung stets dabei im Sinne hatte und dann doch so jämmerlich und schnell am Eros, an der Liebe zergehe! Das darf kein Mann, der eine liebe Frau retten und stärken will. Es gibt einen alten apokryphen Ausspruch Jesu, der lautet: Ein Arzt heilt niemals den, welchen er zu gut kennt. Vergiß, daß ich Arzt habe sein wollen, vergiß es, Liebste. Wenn Du meine Hand in der Deinen fühlst, so fühle, daß Du mich hast, Deinen Franz, der gibt was er geben kann und geben will, und dies dann ganz gibt, – ohne Rücksicht auf gut oder bös, auf gesund und ungesund; ich weiß nicht, ob Du diese Zeilen verstehst, – ob sie Dich freuen oder schmerzen; ich fühlte das Bedürfnis, Dir dies alles kurz und gut zu schreiben. Nimm’s aber nicht zu pathetisch; wo ich die eine Hand fahren lasse, küsse ich die andere; ich wollte Dich nur beruhigen, daß ich nicht mehr an Deiner guten, armen Seele kurpfuschen werde, – als trauriger Kurpfuscher bin ich mir nämlich heute wirklich erschienen.
Laß Dir Deine heiße Wange küssen und streicheln von Deinem
Fz. M.
Maria Franck, um 1900
Um sich von den Liebeswirren der folgenden Monate zu befreien, entschließt sich Marc im Frühjahr, seinen Bruder Paul auf eine Reise nach Griechenland/zu den Athos-Klöstern zu begleiten.
Franz Marc, um 1913/4
Franz an Maria, Saloniki, 2. April 1906
Meine liebe gute Maria, wie geht es Dir? Ich denke so oft und mit so herzlichen Gedanken an Dich und wäre froh, wenn ich nur wüßte, daß Du etwas ruhiger und lebenssicherer geworden bist. Deine Thränen brennen mir noch auf der Seele; auch mir erscheint das Leben meiner und anderer Seelen jetzt oft so verworren, geheimnisvoll und schauerlich; wir armen Menschen haben hieraus keine andere Rettung als das Vertrauen zu einander. Und wenn Du siehst, welches Vertrauen ich rückhaltlos entgegenbringe, so darf ich schon hoffen, daß Du es auch mir schenkst, das volle, tiefe. In allem übrigen entscheidet das – Fatum. Du siehst, ich bin schon ganz orientalisch gestimmt. […] Die von Dir gefürchteten Türkinnen hüllen sich auf der Straße vom Scheitel bis zur Sohle in tiefschwarze Gewänder, die auch das Gesicht durch einen tiefen, vornübergelegten schwarzen Schleier vollkommen verdecken. […] – Nun laß Dich küssen und umarmen, mein gutes Lieb, arbeite und sei etwas fröhlich. Paul läßt Dich freundschaftlich grüßen.
Dein Franz.
Maria an Franz, München, 5. April 1906
Ich lebe nun still für mich in fleißiger Arbeit. Mein neues Stübchen ist mir sehr behaglich und Dein Atelier liebe ich so sehr, daß ich wohl garnicht wieder herausgehen mag. Dort lebe ich bis nachmittags ½ 4 Uhr – male und zeichne alles mögliche – Du wirst schauen! Mir behagt die völlige Einsamkeit einesteils ganz gut; ich werde wieder mehr zu mir selbst kommen und das wird gut sein – auch für Dich, mein Lieb! Mache Dir nicht so viele Sorge um meine Thränen und glaube mir, daß ich zu Dir so großes Vertrauen habe wie zu keinem andern Menschen sonst. Ist es ein Wunder, daß ich das Vertrauen zu den Menschen verloren habe? ich bin sehr ernst geworden in dem letzten Jahre und viel verschlossener – und kann so schnell noch nicht heraus. Die letzten Wochen sind nur kurz und brachten doch unendlich viel – mehr, als ich imstande war, zu verdauen, wie man sagt – zumal doch auch ein Verhältnis, wie das unsrige, eigentlich gegen meinen Vorsatz gekommen ist. Du darfst mir schon glauben, daß bei mir eine sehr tiefe Liebe dazu gehört hat, nicht allein dazu, mich nach alledem einem Menschen so ganz zu geben – als auch – zu fast gleicher Zeit mit der Ruhe einen anderen Menschen ganz und gar zu verlieren, an den mich bisher eine Zuneigung fesselte, die doch mehr als Freundschaft war. Ich habe furchtbar darunter gelitten, mehr, als ich Dich wollte merken lassen – und das alles hat meine Energie und meine Nerven arg beansprucht.
Wenn mich nur allein meine Liebe und mein Leid mit Dir erfüllt hätten – wäre mir auch dies allein zu begreifen und zu tragen leichter gefallen. So mußte ich ja ganz verworren werden. Ich hoffe, daß meine Einsamkeit mir helfen wird – sie tut mir wohl – trotz meiner Sehnsucht nach Dir, die so groß ist, daß ich sie Dir nicht beschreiben kann. Doch bin ich ganz vernünftig – ich freue mich unendlich, daß es Dir vergönnt ist all’ das Neue und Fremdartige zu sehen und zu erleben und glaube, daß es Dir gut tun wird.
In ihrem Brief vom folgenden Gründonnerstag erwähnt Maria Franck erstmals Marie Schnür, die Lehrerin an der Damenakademie, bei der sie die Stilllebenklasse besucht, ohne zu ahnen, dass diese wenig später ebenfalls eine Geliebte von Franz Marc wird.
Maria an Franz, München, 12. April 1906
Mein Franz – mein lieber Guter –
mir ist heute garnicht arbeitsam zu mute – vielmehr verträumt und sehnsüchtig gestimmt. Darum schriebe ich heute in den Morgenstunden an Dich, trotzdem sie eigentlich der Arbeit gehören. In der ganzen Zeit habe ich recht fleißig gearbeitet – namentlich die letzten Abende im Akt furchtbar geschuftet und kann mir’s gönnen, mich meiner Stimmung hinzugeben. Mir stecken auch die bösen Tage in den Gliedern und die himmlische Frühlingsluft tut das ihre, um mich so verträumt zu stimmen. Ich bin aber nicht eben traurig, mein Lieb’ – es kommt allmählich mehr Ruhe über mich und ich bin auch zuversichtlicher. Behalte Du selbst nur rechtes Vertrauen zu Dir, mein Liebster und zweifele nicht selbst an dem, was Du tust – dann wird auch mein Vertrauen immer stärker werden. Du weißt es ja, daß meine Zweifel, die mir in traurigen Stunden kamen, eine Folge meiner trüben Erlebnisse gewesen sind. Mache Dir keine Sorgen über die Thränen, die ich weinte; sie sind nun geweint. Denke mitunter an die Zeit, wenn wir uns wiedersehen und daß wir dann lachen wollen. Ich wünsche und sehne ja so glühend Dir Freude und Glück in Dein Leben zu bringen und liebe Dich grenzenlos.
Wie freue ich mich auf die Zeit gemeinsamer Arbeit! Und wenn ich Dir wirklich durch meine treue Liebe und Hingabe Lust und Freude zur Arbeit und dadurch zum Leben geben kann, hoffe ich selbst wieder glücklicher zu sein. Du sollst ein guter Maler werden – ich habe so viel Vertrauen und Liebe zu Deiner Kunst. […]
Es scheinen übrigens unter denen meines sonstigen «Freundeskreises» sehr liebevolle Äußerungen über mich zu fallen. Schnür deutete mir etwas an. Es gehört schon wirklich ein Teil Selbstgefühl dazu, um nicht ganz irre an den Menschen zu werden. Mit Schnür war es gestern sehr freundschaftlich, was mich auch ruhiger gemacht hat; ich habe sie wirklich furchtbar lieb und wir beide – Du und ich – wollen recht freundschaftlich und liebvoll mit ihr sein.
[…]
So gehen mir meine Tage ruhig dahin; ich habe garnichts besonderes unternommen, nicht einmal Zeit gefunden, in’s Freie zu fahren und draußen zu arbeiten. Vor allem nahm mich der Abendakt in Anspruch – Feldb. sitzt mächtig dahinter und korrigiert sehr viel.
Maria an Franz, München, am 2.ten Ostertag 1906
– Was für ein furchtbares Geschick hat Dein armer Vater [der seit Jahren im Rollstuhl sitzt] zu tragen, mein Lieb. Und Deine liebe Mutter! wie ist sie zu bewundern! Mir hat der Besuch draußen einen tiefen Eindruck gemacht! Es hat mich lange nichts so tief berührt wie der Einblick in das Leben Deiner Eltern. […]
Übrigens hoffe ich, daß die Schnür gut Freund mit uns sein wird – sie urteilt doch ziemlich richtig und klar und ich denke mir, je mehr man sie fühlen läßt, daß man sie gern hat und ihre Freundschaft wünscht, umso froher wird sie darüber werden. Namentlich Deinetwegen und hoffentlich auch mit der Zeit ein wenig um meinetwillen, wenn ich erst mal mit ihr in ruhiger Stimmung öfter zusammen bin und sie mich mehr kennenlernt. Wir waren zusammen in der Stadt, um Hüte zu kaufen – Du wirst schauen, was für eine leichtsinnige Frau Du hast! Heute kommt Schnür ins Atelier, wir wollen musizieren.
Seit einigen Tagen habe ich aus Berlin die Malsachen hier – auch Ölstudien von früher. Hoffentlich ist uns eine stille Stunde dafür beschieden. Viel solche wird es wohl nicht geben, wenn Du vielleicht bald wieder fort mußt. Ich bin nun einmal pessimistisch obgleich ich wirklich viel ruhiger geworden bin. Mir hat die Zeit des Alleinseins wirklich gut getan, ich bin mir über vieles klarer geworden und denke ich sogar manchmal, daß mir vielleicht mit der Zeit der Glaube an eine glückliche Zukunft kommen wird. […] Ich fühle es, wie viel von meiner früheren Lebenskraft und Lust doch noch in mir steckt – viel mehr, als ich in den Wintermonaten glaubte – ich bin nur zaghaft und halte damit zurück; denn wenn das noch einmal durchbricht, mein ganzes lebensfrohes Temperament, verbunden mit dieser großen, tiefen, innigsten Liebe zu Dir – wird es eine Gewalt über mich haben, die ich fürchte, wiel ich mir vorläufig die Kraft nicht zutrauen kann, alle Folgen zu tragen. […]
Sieh, mein Liebster, – ich liebe Dich ja um Deiner Liebe willen – Du bist ein Mensch, bei dem ich die Liebe fand, nach der ich mein Leben lang suchte, – so wie Du Liebe giebst und nimmst, – war es meine Sehnsucht.
Das darfst Du nie vergessen – und wirst auch ermessen können, was Du mir geworden bist. Und nur das war imstande, mich Dir so schnell und ganz ergeben zu machen.
In den Briefen Franz Marcs dieses und der nächsten beiden Jahre spielt er noch öfter auf den Trennungsschmerz von seiner Freundin Annette von Eckardt an.
Franz an Maria, Kloster Dionzsiou, 22. April 1906
Liebste Maria,
recht vielen Dank für Deine ausführlichen Briefchen. Sie haben mich über Dich tief beruhigt. Auf die Einzelheiten kann ich nichts antworten – das machen wir lieber mündlich. Von mir kann ich nicht sagen, daß mich diese Reise beruhigt hat. Angesichts der wunderbaren Schönheiten dieses Landes fühle ich so oft meine Augen, die doch so schönheitsdurstig, schönheitstrunken waren, sich verschleiern. Die Wunde, die mir das Schicksal geschlagen, blutet und blutet; ich fühle es, ich werde noch viele Thränen zwischen Deinen treuen guten Brüsten weinen und Du wirst sie mir vergeben müssen, Du Gute. […]
Ich liege die halben Nächte wach und träume von meinem und Eurem Leben und horche auf die leidenschaftliche Musik der großen Natur; wie sie einen lockt, ach wie sie einen lockt, hinaus auf’s Meer, im Singen der Wellen soweit hinaus zu schwimmen, daß man nie wiederkehrt. Aber ich komme Dir ja wieder; ich bin ja auch nicht allein hier. Ich sehne mich dann so oft nach meinem, nach unserm Atelier, nach einem Sommer voll Duft von Dir, von Rosen – und von Terpentin (reichlich zu gebrauchen!). Nun adieu, laß Dich herzlich küssen und Dir danken. Dein Fz. M.
Den Sommer 1906 verbringen Franz Marc, Maria Franck und Marie Schnür zum Malen in Kochel.
Marie Schnür auf den Schultern von Franz Marcs Bruder Paul, Maria Franck am Ufer sitzend, Kochel, Sommer 1906
Franz an Maria, 6. Juli 1906
Liebste Maria, kaum war ich im Zuge, so bekam ich einen ganz mächtigen «Schluchzer» oder «Aufstoß», wie Du es glaub’ ich nennst, und spürte deutlich dass Du an mich dachtest, und ich hab immer immer über Dich und über mich nachgedacht, bis mir die Gedanken geradezu körperlich weh thaten. An Dich konnte ich nur mit Liebe und Streicheln denken, aber mich und mein Frühjahr mußte ich verfluchen. Nun hab Geduld; ich muß mich wiederfinden und wieder der werden, der ich gewesen. So oft Du mich still und zurückhaltend finden wirst, so denke, daß ich dann meine Seele suche und ihre Stimmung. Es muß ja anders werden zwischen uns beiden; und besser, vornehmer. Ich weiß, daß es nur an mir liegt, Du gutes, reines Weib. Du sollst noch einmal sagen können: er war doch ein Glück in meinem Leben. –
Maria an Franz, 7. Juli 1906
Mein lieber lieber Franz –
ich danke Dir herzlich für Deinen lieben Brief, der mir sehr wohlgetan hat. Es ist mir oft so furchtbar schwer um’s Herz gewesen – mir war, als ob ich wieder den Boden unter den Füßen verlieren könnte.
Habe auch Du ein wenig Geduld mit mir und denke manchmal daran, welche Stürme meine Seele noch vor einem Jahre zu bestehen hatte und daß ich kaum davon erholt in Deine Hände kam. Noch jetzt bin ich nicht «ich selber» – und gehe oft umher wie im Traum und lasse mich verwirren durch Dein Wesen. Aber ich will zuversichtlich hoffen, daß wir uns beide wiederfinden und auch einander finden – Du mein Lieber Lieber. Ich glaube schon, daß auch ich nicht schuldlos bin – und daß ich Dich viel tiefer verstehen und begreifen könnte, wenn ich der Welt und dem Leben unbefangener gegenüberstände.
An Deiner Freundschaft und Zuneigung hoffte ich zu gesunden und jetzt, da Du Zweifel in mir wecktest, bin ich oft verstört und verzweifelt gewesen. Es waren aber nur solche Stunden, in denen mein Vertrauen etwas geschwankt hat – im Grunde ist es nicht erschüttert, mein Liebster. Weiß ich doch, wie Du leidest.
Nach dem Sommer zu dritt in Kochel schreibt Franz Marc aus seinem Elternhaus in Pasing.
Franz an Maria, Pasing, 24. Oktober 1906
Meine liebe Maria,
nun sitz ich wieder zwischen alten Möbeln, im alten Milieu und denke an all das Unwahrscheinliche, das ich erlebt habe, aber auch an vieles Liebe. An all dem «Unwahrscheinlichen» bin ich gewiß selbst am meisten schuld, – ich weiß ja, daß es so ist. Die Welt ist häßlich oder schön genau in dem Maße als wir es selber sind. Aber für alles Liebe will ich auch lieb und dankbar sein.[…]
Was machst Du, Liebe? Arbeiten? schreib mir auch mal; und sei bei hellen Sinnen und mutig. Wenn Du mich durchaus noch sehr lieb hast, so sei’s um meinetwillen. Lieber ist es mir aber, Du bist es zunächst um Deinetwillen.
Mit einem Kuß Dein Fz. M.
Ende Oktober 1906 zieht Maria Franck, um dem Gerede in der Stadt zu entgehen, aus Schwabing in eine kleine Wohnung in Planegg, die Franz Marc für sie gefunden hat. Während des Umzugs hält sie sich drei Tage allein in Kochel auf.
Maria an Franz, Kochel, 28. Oktober 1906
Heute wünsche ich mir, 8 Tage älter zu sein und dann frisch und froh bei meiner Arbeit zu sitzen – hoffentlich – hoffentlich! –
Maria an Franz, Planegg, 3. November 1906
Übrigens glaube ich, daß Du mir in Deinem Zürnen manchmal unrecht tust. Du hast doch wieder gemeint, meine Tränen am Freitag hätten in törichter Eifersucht und kleinlichem Gejammer ihren Grund. Das solltest Du wirklich nicht denken. So töricht werde ich auch nicht sein, mir die wenige Zeit, die wir beisammen sind, so mutwillig zu verbittern. Ich bin von einer alles beherrschenden und mich quälenden Traurigkeit erfüllt, die mir Stunden bringt, in denen ich mich der Tränen einfach nicht erwehren kann. Wenn Du es wüßtest, wie weh sie mir selbst tun, diese Tränen. – Ich selbst – nur ich selbst bin die Ursache für all’ das Leid, das weiß ich – wie ich auch weiß, daß ich anders werden muß und anders werden will. Ich kann nur die Zügel, die ich verloren hatte, noch immer nicht fest genug halten.
Ich fühle es, daß Du momentan nicht in Stimmung bist für mich – vielleicht kommt eine Zeit, in der Du es mehr sein kannst und mir auch mal ein williges Ohr leihst, wenn ich Dir sagen möchte, was mich bedrückt. Dein Wesen verschließt mir immer den Mund und meine ganze Niedergeschlagenheit kommt dann in den furchtbaren Tränen zum Ausdruck.
Glaube mir – auch die Gespanntheit mit Schnürchen [Marie Schnür] und das Gefühl, daß sie mich nicht leiden mag, macht mir nicht allein deshalb Schmerz, weil dies den freundschaftlichen Verkehr so erschwert; es hat ja auch dieser Schmerz für mich viel tiefere Gründe. […]
Habe ein wenig noch Geduld mit mir – und bleibe mir zur Seite auch in dieser Zeit, wo ich so unglücklich bin und Dir nichts sein kann. Auf Wiedersehen am Montag! wenn es Dir nicht zu langweilig ist, dann bleibe bei mir zum Abendessen – ich will auch nicht weinen, mein lieber Franzl.
Einen herzinnigen Gruß und Kuß
Deine getreue
Maria
Wenig später erfährt sie von dem Plan ihres Freundes, Marie Schnür zu heiraten, ‹aus Ritterlichkeit›, damit sie ihren aus einem anderen Verhältnis stammenden unehelichen Sohn Claus zu sich nehmen könne. An einem Sonntag schreibt Maria Franz Marc ebenso verzweifelt wie entsagungsvoll.
Maria an Franz, Planegg, 18. November 1906
Mein Franz, mein Liebster, Liebster, wie ist mir das Herz heute schwer und wie entsetzlich drückt mich diese Einsamkeit und Stille, die mich umgiebt. Ich stehe so friedlos im Leben und voller Unruhe und kann mich in diesem Leben nicht zurechtfinden, das mir nirgend und nirgend eine Erfüllung giebt.
Glaube mir, mein liebes Herz: nicht allein weil es mir versagt ist, mit Dir enger verbunden durch’s Leben zu gehen bin ich jetzt mutlos und verzweifelt. Es soll auch kein Hauch von Erbitterung meine Seele streifen bei dem Gedanken an das, was Du tun willst. Ich werde nur das Schöne darin sehen und Dich um so tiefer und inniger lieben. Behalte auch Du mich so lieb, wie Du mich jetzt hast, mein Franzl – es ist das einzige, woran ich tief innerlich hänge; ich habe Dich ja lieber als alles, alles, was bisher in mein Leben trat. – Und ich bin so krank am Leben und verzweifelt.
Wohin sollen mich diese Friedlosigkeit und Unruhe bringen? Sieh – ich weiß es, mein Liebster, daß ich nicht klagen darf über mein äußeres Schicksal, weil mein Hoffen auf Dich vergeblich war, wenn auch mein Schmerz darüber ein grenzenloser ist. Der Gedanke an Dein Schicksal und die Frau, die Du liebst, hält mir Sinn und Verstand fest und die Verzweiflung zurück. Aber seit diesem qualvollen Sommer ist die fürchterliche Unruhe und Friedlosigkeit wieder über mich gekommen, die mich nirgend inneren und äußeren Frieden finden läßt und in mir alles – Willen Energie und Stimmung zur Arbeit zerstört.
Franz an Maria, 20. November 1906
Meine liebe, gute Maria, Dein trauriger Blick, mit dem Du heute von mir schiedst, bedrückte mich den ganzen Abend: so formlos, wesenlos sahst Du mir nach, als wenn Du Dich schwindlig fühltest vor Trauer und einem erstickten Zorn ohne Ziel. Ich will Dir etwas hersetzen, was [Thomas] Carlyle einmal gesagt hat: «Hast Du der Drehscheibe des Töpfers zugesehen, einem der ehrwürdigsten Gegenstände, so alt als der Prophet Ezechiel u. noch viel älter? Wie spinnen sich unförmliche Tonklumpen durch das bloße rasche Umdrehen zu schönen kreisrunden Schüsseln empor.» Und nun denke man sich den fleißigsten Töpfer, aber ohne seine Scheibe, in die Notwendigkeit versetzt, seine Schüsseln durch bloßes Kneten und Backen herzustellen! Ein solcher Töpfer wäre auch das Schicksal gegenüber einer menschlichen Seele, welche ruhen und bequem liegen und nicht arbeiten und sich drehen wollte. Aus einem trägen, sich nicht drehenden Menschen kann das bestwollendste Schicksal, gleich dem Töpfer ohne Rad nichts anders backen und kneten als ein Pfuschwerk.
Setze statt «träge» und «bequem» Deine Unruhen, Deine «Arbeitsunmöglichkeiten», Deine müßigen Selbst- und Nächstenquälereien, und das geistreiche Bild bleibt genau so wahr, fast schreckhaft wahr. Verzeih mir den Freimut dieser Zeilen, und wenn Du mich nicht nur liebst sondern auch achtest, so nimm sie so ernst Du nur kannst. Sag auch beileibe nicht, daß Du nicht «kannst». Wir können, sofern wir überhaupt zu etwas taugen (und das tust Du!) in dieser Hinsicht alles, wenn wir nur den Instinkt in uns überwunden haben, der dieses Können nicht will, gar nicht wahr haben will. Lerne wieder das Licht zu lieben, den Flug der Vögel, die sinnlichen Formen der Blumen, den Geruch des Flusses, alles was Dich umringt und umschwebt. Denn wir sind stündlich umringt und umworben von tausend Schönheiten, – warum willst Du sie nicht sehen? Warum ziehst Du vor so zu sein wie Du bist? Es ist mein Ernst, Teure.
Mit einem Kuß Dein Fz. M
Maria an Franz, Freitag Abend (Anfang 1907)
Mein lieber lieber Franzl –
noch ein paar Worte will ich Dir heute schreiben! ich komme in diesen Tagen nicht von der Erinnerung an das vorige Jahr los – darum bin ich so gereizt. Es steigt in mir noch einmal die ganze Erbitterung auf und ich gestehe es Dir, daß ich in manchen Augenblicken nicht nur Schnür, sondern auch Dir gegenüber nicht ganz frei von Haß gewesen bin. Laß es Dich aber nicht traurig machen, sondern denke daran, wie groß und tief meine Liebe zu dir ist; so tief – tief, daß sie alle Erbitterung hat totschweigen lassen und auch wenn nur erst diese Tage vorbei sind, kein Fünkchen von Haß für Dich sich mehr rühren wird. Sei jetzt lieb zu mir – ich verspreche Dir, daß ich mich bemühen will, auch Dich keine Verstimmung fühlen zu lassen. Der Tag gestern hat mich natürlich auch in die Wiesen von Kochel versetzt. Laß mich schweigen – ich habe Dich zu lieb und werde Schnür nie verwinden. Sie ist nicht die Leidenschaft und neue Liebe, die Dein Leben beherrscht nach Annette. Darum verzeihe mir wenn mich in diesen, noch dazu arbeitslosen, Tagen die Erinnerung so übermannt. Ich komme erst wenn Du dies Brieflein gelesen hast – und dann komme ich mit all’ meiner Liebe wieder zu Dir und will versöhnlich an die Vergangenheit denken. Ich schaue Dich mit liebem Blick an – und küsse Dich herzlich innig. mein Lieb’
Deine getreue Maria
Franz an Maria, Pasing, 7. Januar 1907
Ich bin in einer gleichmäßig melancholisch ruhigen Stimmung, habe alle mögliche Arbeit unter der Hand, unentwegt suchend u. «die Kunst befragend». Ohne Kunst im Leibe und im Kopfe dieses ungespäßige, dumpfe, dumme Leben auszuhalten vermag ich heute weniger als je. […] Um eines bitte ich Dich: wenn Du mich wie in diesem Briefe indifferent und kalt siehst, – gib Schnürchen [Marie Schnür] nicht in irgend einem Sinne schuld. Im Gegenteil, wenn es jemand vermag, mich friedlich und ruhig zu stimmen, so ist es sie; allein schon der Gedanke an ihre ruhige Gestalt und dann an den Schönheitsreichtum, der hinter dieser stillen Stirne liegt, thut mir wohl. Nimm es bitte lieb und gut auf, daß ich Dir dies schreibe. Ich möchte und werde Dir noch manches in meinem Leben sagen und Dich dafür küssen, daß Du es bei Dir verschließen wirst.
Franz Marc und Marie Schnür heiraten am 22. März 1907. Noch am selben Abend übergibt Marc seine Ehefrau der Obhut seines Freundes Jean Bloé Niestlé und fährt allein mit dem Zug nach Paris.