Eric H. Cline

WARUM DIE ARCHE
NIE GEFUNDEN WIRD

Biblische Geschichten
archäologisch entschlüsselt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

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INHALTSVERZEICHNIS

Einführung

1 Der Garten Eden

2 Die Arche Noah

3 Sodom und Gomorra

4 Mose und der Exodus

5 Josua und die Schlacht um Jericho

6 Die Bundeslade

7 Die Zehn Verlorenen Stämme Israels

Epilog

Nachwort
Biblische Mysterien und der Kampf gegen die Pseudoarchäologie

Danksagung

Anmerkungen

Abbildungsverzeichnis

Weiterführende Literatur

EINFÜHRUNG

„Die größte Herausforderung für jeden, der ein biblisches Rätsel »lösen« möchte, ist, dass in der Bibel Historisches, Theologisches, Mystisches und Belegbares ineinander verflochten sind – oft in einem Satz.“

Molly Dewsnap Meinhardt, Biblical Archaeological Society1

Die Bibel steckt voller Geheimnisse. Einige lassen sich nicht erklären und bleiben Geheimnisse oder gar Wunder – vorläufig, wenn nicht für immer. Andere Rätsel kann man vor historischem und archäologischem Hintergrund diskutieren. Manche davon, etwa der Garten Eden, die Arche Noah, Sodom und Gomorra, Mose und der Exodus, Josua und die Schlacht um Jericho, die Bundeslade und die Zehn Verlorenen Stämme, stoßen auf großes Interesse. Auf diese sieben wollen wir uns hier konzentrieren.

Während der Recherchen zu diesem Buch war ich verblüfft und, ehrlich gesagt, entsetzt über das Ausmaß an pseudowissenschaftlichem Unsinn, der zu diesen Themen geschrieben worden ist, vor allem im Internet, aber auch in Büchern. Der größte Teil dieser Arbeiten stammt nicht von professionellen Gelehrten, sondern eher von schwärmerischen Laien. Einige von ihnen werden wir in den folgenden Kapiteln kennenlernen. Sie haben sich ihr Wissen meist selbst anstudiert, forschen in eigenem Auftrag, veröffentlichen oft nur oder vorwiegend im Internet und arbeiten außerhalb der akademischen Welt. Daher gelten für sie nicht die an Universitäten und anderen Institutionen höherer Bildung üblichen Regeln bezüglich Sorgfalt, gegenseitiger Begutachtung und Prüfung. Oft erfüllen ihre Arbeiten alle Kriterien sogenannter „Junk Science“ (Minderwissenschaft), insbesondere wenn sie, um Ron W. Pritchett zu zitieren, „eine Sache befürworten, wenig Augenmerk auf den investigativen Prozess richten, widersprüchliche Belege ignorieren und für ein erhabenes moralisches Ziel werben“.2

Solche Schwärmer genießen häufig große öffentliche Aufmerksamkeit, weil sie meist unterhaltsam und leidenschaftlich sind. Und leider sticht eine gute, aber abwegige Geschichte im Zweifelsfall gute, aber langweilige Daten immer aus: Der Laie mag komplett daneben liegen, er oder sie ist aber meistens ein charismatischer Erzähler, der sich eine schöne Geschichte von Fakten nicht verderben lässt. Daher finden solche Publikationen regelmäßig größeren Anklang als die detailliertere und oft staubtrockene Arbeit von Archäologen, Althistorikern und Bibelkundlern. Im Fernsehen und anderen Medien sehen sich echte Gelehrte nicht selten auf die Rolle bloßer Kommentatoren und „quasselnder Moguln des Negativismus“ zurückgestutzt, um den ehemaligen US-Vizepräsidenten Spiro Agnew und seinen Redenschreiber William Safire in anderem Zusammenhang zu zitieren.3 Solche Experten kommen regelmäßig als Spielverderber rüber – als „verweichlichter Trupp vorlauter Wichtigtuer“ –, die den aufregenden Unfug jener anfechten, die keine ordentliche Ausbildung in Geschichte oder Archäologie vorzuweisen haben und, wie sie sagen, sich mit dem Establishment anlegen.

Das heißt nicht, dass die Arbeit dieser Laien generell fehlerhaft und wertlos ist. Manche von ihnen verfügen über gute Belege und logische Anhaltspunkte, aus denen sie dann aber falsche oder irrige Schlüsse ziehen. Bisweilen machen sie den Fehler, bei ihren Untersuchungen von vorab gesetzten Annahmen auszugehen, etwa der Unfehlbarkeit der Bibel, was ihre Unbefangenheit fragwürdig macht. Häufig scheinen sie nicht zu wissen oder sich nicht darum zu scheren, dass es auf dem Gebiet der biblischen Forschung umfassendere Debatten gibt, von Bibelkritik und Quellentheorie bis hin zur Validität und Genauigkeit der Radiokarbondatierung.

Auch was Gelehrte zu diesen Themen schreiben, kann hin und wieder problematisch sein, insbesondere die Arbeit evangelikaler Maximalisten, die die Bibel für unfehlbar halten, und biblischer Minimalisten, die die hebräische Bibel als spätes (persisches oder hellenistisches) Kunstprodukt betrachten. Manche Maximalisten – vor allem, wenn sie außerhalb des akademischen Mainstreams arbeiten – stehen den Schwärmern durchaus nahe. Sie gehen von festgefügten Annahmen aus, die sie oft unverblümt in den Leitlinien auf ihren Websites verkünden. Andere verwässern ihre guten, sorgfältigen Analysen mit unkritischem Denken oder unverhohlenem missionarischem Eifer. Zudem gibt es unter Maximalisten wie Minimalisten Einzelne, die Informationen missbrauchen und gelegentlich auch verzerren.

Mein Anliegen mit diesem Buch ist daher unter anderem auch, zu warnen und zur Besinnung aufzurufen, weil ich überzeugt bin, dass die allgemeine Öffentlichkeit Besseres verdient – und will. Es ist höchste Zeit für professionelle Archäologen, Althistoriker und etablierte Bibelkundler, ihr von Laien, Pseudowissenschaftlern, uninformierten Dokufilmern sowie übereifrigen Maximalisten und Minimalisten besetztes Terrain zurückzuerobern, damit diese dort nicht mehr nach Belieben und ohne Rücksicht auf wissenschaftliche Methoden und unvoreingenommene Forschung schalten und walten können. Umgekehrt indes sind wir Akademiker es der Öffentlichkeit schuldig, uns diesen Mysterien ernsthaft zu widmen und unsere Erkenntnisse zu publizieren. Selbst wenn unsere Untersuchungen nichts ergeben, ist doch meist der Weg dorthin – etwa die gesetzten Maßstäbe und vermittelten Informationen – wertvoll und manchmal sogar interessanter als das Endergebnis.

Ich muss jedoch gleich zu Beginn darauf hinweisen, dass es mir nicht möglich ist, all die genannten Rätsel zu lösen – niemand, der sich an die Fakten hält, kann das. Ich kann lediglich einige der Knoten entwirren, auf denen die Mysterien beruhen, den aktuellen Stand unserer Indizien darlegen und berichten, was Gelehrte heute zu diesen Themen denken, die wahrscheinlichste Erklärung hervorheben und genug Informationen liefern, damit der Leser zukünftige Hypothesen anderer Autoren oder aus Fernsehsendungen besser prüfen kann. Ich bezweifle jedoch, dass dies für irgendjemanden Grund genug ist, weiterzulesen. Gibt es also noch andere Gründe, diesen Themenbereich zu erkunden? Die Antwort, davon bin ich überzeugt, ist ein lautes Ja.

Zum einen sind diese Geheimnisse nicht Teil der antiken Geschichte, sondern nach wie vor ziemlich aktuell. Alle paar Wochen oder Monate tauchen sie in Schlagzeilen auf oder werden in Berichten zu ganz anderen Ereignissen erwähnt. Sodom und Gomorra, Armageddon, die Mauern von Jericho, Adam und Eva, der Garten Eden, der Turm zu Babel – Anspielungen auf diese Themen finden sich regelmäßig in den Medien der ganzen Welt, und zwar nicht nur in der Boulevardpresse. Ein bisschen Ahnung darüber gehört zur Grundbildung; mehr zu wissen befähigt zu einem sachkundigen Urteil.

Zudem wirken diese Rätsel bis heute nach und werden in Verbindung mit aktuellen Ereignissen ge- und missbraucht. Eine Menge Leute lesen die Bibel als Geschichtsbuch – obwohl wir die spezifischen Daten vor dem 1. Jahrhundert n. Chr. weder miteinander in Verbindung bringen noch bekräftigen können (wie wir in Kapitel 7 sehen werden) – und benutzen biblische Motive in heutigen Schlagzeilen, insbesondere wenn es um den Nahen Osten geht. Kämpfte Josua wirklich in der Schlacht um Jericho und vertrieb die Kanaaniter aus dem Land, wie die biblische Erzählung von der Eroberung Kanaans durch die Israeliten behauptet? Und wenn, wer war zuerst da und wem steht das Land heute tatsächlich zu? Den Palästinensern wegen ihrer angeblichen Vorfahren, der Kanaaniter und Jebusiter, oder den Israelis, die sich auf ihre Abstammung von den israelitischen Eroberern berufen?4 Die Debatte um das Vorrecht auf das Heilige Land könnte gänzlich irrelevant sein, wenn Professor Israel Finkelstein von der Universität Tel Aviv mit seinen Thesen über die ursprünglichen Israeliten und ihre Rolle in Kanaan Recht hat. Sein Modell der „Unsichtbaren Israeliten“, auf das wir in Kapitel 5 eingehen, geht davon aus, dass vor langer Zeit Israeliten und Kanaaniter das Land gleichzeitig bewohnten, weil sie ein und dasselbe Volk waren. Das würde bedeuten, dass es nie eine israelitische Eroberung Kanaans gab – was wiederum hieße, dass der heutige Kreislauf der Gewalt im modernen Israel und Palästina eher ein Bruderzwist oder eine verunglückte Familienzusammenführung ist als der Krieg zweier Völker.5

Ebenso könnte man sich fragen, welche Rolle es spielt, ob die Bundeslade in einer Berghöhle in Jordanien liegt, unter dem Tempelberg im heutigen Jerusalem oder gar in der Schatzkammer einer Kirche im äthiopischen Aksum. Für politische und religiöse Autoritäten ist das von enormer Bedeutung. Und die Zehn Verlorenen Stämme – ist es wichtig, dass die Lemba in Afrika und die Bnei Menashe in Indien behaupten, sie seien Mitglieder der Verlorenen Stämme Israels? Ja, das ist mit Sicherheit wichtig, vor allem wenn man bedenkt, dass die Auswanderung und der Transport der äthiopischen Falasha-Juden auf dem Luftweg nach Israel von 1977 bis 1991 teilweise ähnlich begründet wurden. Biblische Geschichten werden real, wenn Menschen sie sich aneignen und auf sich beziehen, unabhängig von historischen Tatsachen.

Deshalb werde ich auf den folgenden Seiten die oben genannten sieben faszinierenden biblischen Mysterien untersuchen, jedes in den richtigen historischen und archäologischen Kontext stellen und berichten, was Archäologen, Althistoriker und Bibelkundler derzeit darüber denken. Ich spreche dabei in erster Linie als Archäologe und Althistoriker. Ich bin kein Theologe, daher lasse ich die mit einigen dieser Mysterien verbundenen theologischen Fragen außer Acht. Ich bin auch kein wirklicher Experte für Textkritik und Textanalyse. Als Althistoriker greife ich oft auf die gleichen Werkzeuge zurück, allerdings nicht in dem Ausmaß wie die Spezialisten dieser Fächer. Ich sage meinen Studenten oft, Alte Geschichte sei im Grunde „Text plus Archäologie“. Die Texte treffend auszulegen bedeutet, die Mittel der Textkritik und Textanalyse zu benutzen.

Meine eigene Methodologie ist daher die gängige historische Methode, der die meisten Historiker folgen.6 Ich hoffe in der Regel, mehrere – vorzugsweise mindestens drei – unabhängige Belege zur Verfügung zu haben, wenn ich eine Frage zur Antike zu beantworten oder eine Tatsache zu bekräftigen versuche. Im Falle der meisten Mysterien, die wir in diesem Buch erkunden werden, stammen die Daten aus den biblischen Berichten, aus nichtbiblischen literarischen Texten und aus der Archäologie.

In jedem der folgenden Kapitel werde ich zunächst einen kurzen Überblick über die jeweilige Darstellung in der Bibel liefern. Im anschließenden Diskussionsabschnitt führe ich die zusätzlichen vorhandenen textlichen und archäologischen Belege an und bewerte kurz einige Vorschläge zur Erklärung des Rätsels. Darüber hinaus werde ich mich dem vermutlichen (oder definitiven) Kontext des jeweiligen biblischen Mysteriums widmen, da wir auf diese Weise sehen können, ob es dafür eine logische Erklärung geben kann.

Zum Abschluss jedes Kapitels versuche ich das Für und Wider des jeweiligen Themas abzuwägen und zu ergründen, ob das Mysterium möglicherweise auf einem historischen Kern von Wahrheit beruht. Am Ende erläutere ich dann, welche Lösung des Rätsels – wenn es eine gibt – ich für die wahrscheinlichste halte. Dabei müssen wir jedoch stets bedenken, dass die Bandbreite der Interpretationen auch unter Archäologen, Althistorikern und selbst Bibelforschern sehr groß ist: Sie reicht von jenen, die sagen, die Bibel lasse sich beweisen, bis zu denen, die meinen, es sei nicht ein einziges Wort wahr. Meine Vorschläge sind daher nur Vorschläge, nicht mehr und nicht weniger.

Außerdem muss ich betonen, dass sich jedes Kapitel in diesem Buch ohne Weiteres zu einem eigenen Buch erweitern ließe – oder ein Kapitel mit anderer Überschrift und Ausrichtung sein könnte. So könnte etwa das Kapitel zu Sodom und Gomorra auch „Abraham und Ur“ heißen, wie es tatsächlich ursprünglich geplant war. Außerdem ist mir deutlich bewusst, dass ich in jedem Kapitel nur die grundlegenden Fakten aufzeigen kann. Wir könnten in jedem einzelnen Fall Dutzende weitere Seiten füllen und etwa diskutieren, mit welchem literaturwissenschaftlichen Ansatz man Bibeltexte am besten analysiert oder wieso eine bestimmte archäologische Theorie nicht mehr für gültig gehalten wird. Wir könnten uns auch auf weite Abwege begeben und die Unzahl weiterer Themen behandeln, die auf praktisch jeder Seite ins Spiel kommen. Eine wirklich umfassende Diskussion jedes Themas in diesem Buch nähme Jahre in Anspruch, Dutzende von Bänden und die Zusammenarbeit zahlreicher Gelehrter. Was am Ende herauskäme, würde wahrscheinlich höchstens eine Handvoll Leute lesen wollen.

Zudem sind zu jedem dieser Phänomene buchstäblich bereits Hunderte, wenn nicht Tausende von Büchern und Aufsätzen geschrieben worden. Leser, insbesondere Studenten, ganz zu schweigen von meinen geschätzten akademischen Kollegen und gelehrten Buchrezensenten, sollten wissen, dass es für jedes Buch, jeden Artikel, jedes Argument, das ich hier zitiere, Dutzende weitere gibt, die ich aus Platzgründen nicht erwähnen kann oder aus anderen Gründen zu vernachlässigen beschlossen habe. Ich bitte im Voraus um Verständnis, falls jemand seine favorisierte Meinung hier nicht vertreten findet.

Ich bin weder biblischer Maximalist noch Minimalist. Als Humanist glaube ich nicht, dass die biblischen Berichte immer akkurat und unfehlbar sind. Ich sehe jedoch auch keinen Grund, sie gänzlich zu verwerfen. Stattdessen behandle ich die Bibel wie jede andere antike literarische Quelle: als einen Text, der geprüft, abgeklopft, verglichen, analysiert und regelrecht ausgewrungen werden muss, um zu belastbaren Ergebnissen zu kommen. Ich lasse die Informationen, Beobachtungen und Interpretationen aus Archäologie, Geschichtswissenschaft und Bibelforschung so weit wie möglich aufeinander – und bisweilen gegeneinander – wirken und setze mit Hilfe des gesunden Menschenverstands die Daten aus diesen Fachrichtungen zu einem stimmigen Bild der antiken Welt zusammen, ohne die verfügbaren Fakten über- oder unterzuinterpretieren.

Nach einem Vierteljahrhundert als Althistoriker weiß ich, dass sichere Schlüsse nur selten zu ziehen sind. Ich musste mich an Mehrdeutigkeiten und an die Notwendigkeit gewöhnen, einander scheinbar und manchmal tatsächlich widersprechende Daten vorzulegen. Da das Studium biblischer Texte zudem eine lange Geschichte hat und sich auch in Zukunft weiterentwickeln wird, muss ich davon ausgehen, dass manche Belege, mit denen sich die Probleme und Rätsel elegant lösen ließen, möglicherweise noch nicht entdeckt sind. Ich kann nur auf das zurückgreifen, was wir heute wissen. Wenn das bedeutet, dass wir uns vorläufig mit nicht gänzlich schlüssigen Antworten zufriedengeben müssen, weil wir nicht über alle Belege verfügen, dann ist das eben so. Zumindest erwartet uns eine hochinteressante Entdeckungsreise.

1 DER GARTEN EDEN

Wo war der Garten Eden?

Ist es möglich, ihn wiederzufinden?

Wenn wir feststellen wollen, wo der Garten Eden möglicherweise lag, stoßen wir unmittelbar auf ein Problem, weil die biblische Beschreibung zwar recht detailliert, aber auch ziemlich knapp ist. Wir erfahren nur dies:

Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen. Der eine heißt Pischon; er ist es, der das ganze Land Hawila umfließt, wo es Gold gibt. Das Gold jenes Landes ist gut; dort gibt es auch Bdelliumharz und Karneolsteine. Der zweite Strom heißt Gihon; er ist es, der das ganze Land Kusch umfließt. Der dritte Strom heißt Tigris; er ist es, der östlich an Assur vorbeifließt. Der vierte Strom ist der Eufrat. (Genesis 2,8–14)1

Wir können die biblische Darstellung kaum untermauern, weil es keine anderen unabhängigen Textquellen zum Garten Eden gibt. Wie in der Einführung betont, verlangen die meisten Althistoriker und Archäologen generell mehrere eigenständige Belege, um etwas als faktisch anzuerkennen, und das ist im Fall des Gartens Eden schlicht nicht möglich.

Diesem Problem werden wir noch öfter begegnen, besonders wenn es um die ersten elf Kapitel des Buchs Genesis geht. Diese Berichte – etwa über die Schöpfung, den Garten Eden, Adam und Eva und die Sintflut – unterscheiden sich stark von den folgenden, vor allem im Hinblick auf die Belege zu den Geschichten. Es ist immer schwer zu beurteilen, bis zu welchem Grad biblisches Material in unserem heutigen Sinn als wahr betrachtet werden kann und was davon vielmehr dazu dient, ein ethisches oder moralisches Argument zu veranschaulichen.

Viele Gelehrte sind sich einig, dass wir erst für die Zeit nach der Erfindung der Schrift (d.h. nach 3000 v. Chr.) darauf hoffen dürfen, die biblischen Berichte bestätigen zu können. Das heißt, dass die Geschichten in den ersten Kapiteln der Genesis schwerer zu untermauern sein dürften als spätere Berichte in diesem und mit Sicherheit in den anderen Büchern des Alten Testaments.

Wir müssen die biblische Beschreibung des Gartens Eden daher für sich allein betrachten und das Beste daraus machen. Glücklicherweise sind zwei der erwähnten Flüsse wohlbekannt: der Tigris und der Euphrat in Mesopotamien (dem heutigen Irak).2 Anzumerken ist, dass der ursprüngliche biblische Text den dritten Fluss nicht „Tigris“ nennt, sondern „Hiddekel“. Wir wissen jedoch aus anderen Stellen der Bibel (etwa Daniel 10,4), dass es sich dabei um den Tigris handelt, daher bezeichnen die meisten modernen Bibelübersetzungen den Fluss als „Tigris“, um nicht für Verwirrung zu sorgen. Ebenso heißt der Euphrat im ursprünglichen Bibeltext „Prat“; dies ist die hebräische Übertragung der babylonischen und assyrischen Bezeichnungen für den Fluss nahe der Stadt Babylon (eben den Euphrat). Auch hier ist in modernen Bibelübersetzungen ohne nähere Erläuterung vom „Eufrat“ die Rede.

Diese Darstellung aus der Zeit der Renaissance hat wahrscheinlich wenig Ähnlichkeit mit der tatsächlichen Vegetation im Garten Eden.

Die beiden anderen Flüsse sind weniger bekannt, und das macht es so problematisch, die Lage des Gartens Eden festzustellen. Die Bibel sagt, der Gihon umfließe das Land Kusch, der Pischon das Land Hawila. Manche Forscher setzen Hawila mit Südarabien gleich, aber das ist nur eine Hypothese. Vom Land Kusch wissen wir zwar, dass es tatsächlich in Afrika lag, die Bibel scheint es jedoch mit Mesopotamien in Verbindung zu bringen (Genesis 10,8).3 Alessandro Scafi stellt indes in Mapping Paradise. A History of Heaven on Earth (deutsch: Die Vermessung des Paradieses. Eine Kartographie des Himmels auf Erden) fest: „Von der Zeit des Augustinus (5. Jhdt. n. Chr.) bis zur Renaissance waren sich die meisten Gelehrten in ganz Europa, Afrika und Asien einig, dass es sich bei den Flüssen Gihon und Pischon, wie von dem jüdischen Historiker Flavius Josephus im 1. Jhdt. n. Chr. vorgeschlagen, um den Nil und den Ganges handelt.“ Nach der Renaissance begannen die Spekulationen von Neuem.

Kurz gesagt: Der biblische Bericht ist mehrdeutig und offen für Interpretationen. Deshalb haben antike und moderne Autoren den Garten Eden in den verschiedensten Gegenden verortet, vom Iran und der Mongolei bis nach Südamerika und sogar in Jackson County, Missouri (Joseph Smith Jr. zufolge, dem Gründer der Kirche Jesu Christi und der Heiligen der Letzten Tage und Prophet der Mormonen).4

Die meisten jüngeren Arbeiten zum Garten Eden gehen jedoch davon aus, dass er in der Gegend des antiken Mesopotamien lag – irgendwo zwischen dem persischen Golf und der Südtürkei. In textlicher Hinsicht scheint dies sinnvoll, weil der biblische Bericht nicht nur sagt, der Garten habe „im Osten“ gelegen (d.h. östlich von Israel), sondern auch die Flüsse Euphrat und Tigris erwähnt. Tatsächlich bedeutet das Wort „Mesopotamien“ auf Griechisch „Land zwischen den (zwei) Strömen“, was sich ebenfalls auf Euphrat und Tigris bezieht.

Ältere Erzählungen aus dem antiken Mesopotamien liefern keine exakten Parallelen zur Geschichte des Gartens Eden, aber die Sumerer, die im 3. Jahrtausend v. Chr. dort lebten, verwendeten in ihrer Sprache offenbar das Wort „Eden“.5 Forscher vermuten, dass die Sumerer den Begriff von noch früheren Völkern übernahmen – den Ubaidianern, die etwa von 5500 bis 3500 v. Chr. in der Region lebten –, und viele meinen, das Wort lasse sich als „fruchtbare Ebene“ übersetzen. Zudem berichtet ein sumerischer Paradiesmythos von einem Land des Überflusses namens „Dilmun“, bei dem es sich neueren Forschungen zufolge um das moderne Bahrain am persischen Golf handeln könnte. Der als „Enki und Ninhursag“ bekannte Mythos erzählt, Dilmun habe sich in ein Paradies verwandelt, nachdem ihm der sumerische Gott Enki die Gabe des Wassers geschenkt habe:

Rein ist das Dilmun-Land. Rein ist Sumer (…). Jungfräulich ist das Dilmun-Land. Unberührt ist das Dilmun-Land.

Wahrlich wurden ihre (Ninhursags) Teiche von Salzwasser zu Teichen von Süßwasser. Wahrlich brachten ihre Felder, Grasländer und Äcker Getreide für sie hervor. Wahrlich wurde ihre Stadt, wurde Dilmun zum Lagerhaus am Kai für das Land.

Es gibt zudem Schöpfungsgeschichten aus dieser Gegend, die der Erzählung in der Genesis verblüffend ähnlich sind.6 Die berühmteste ist die Sage „Enuma elisch“ („Als droben …“), die seit Langem für ihre Parallelen zur Bibel bekannt ist. Sie beginnt wie folgt:

Als droben der Himmel noch nicht genannt
und drunten die Erde noch nicht war,
war nur Apsu, der Erste, ihr Erzeuger,
(und) Mummu-Tiamat, die sie alle gebar,
ihre Wasser vermengt zu einem Ganzen;
ehe Weiden entstanden und Röhricht sich fand,
als noch keiner der Götter erschaffen war,
nicht mit Namen benannt, kein Schicksal bestimmt –
da wurden die Götter in ihnen geformt.

Dieser Mythos wird wegen der offensichtlichen Parallelen zum Bericht der hebräischen Bibel manchmal als babylonische Genesis bezeichnet, er ist jedoch um Jahrhunderte älter.7 Die Forschung ist sich weitgehend einig, dass das Alte Testament, wie wir es heute kennen, aus vielerlei Quellen kompiliert wurde, von denen die ältesten auf das 9. oder 10. und die jüngsten auf das 6. oder 5. Jahrhundert v. Chr. zurückgehen.8 Selbst die frühesten Stücke der Bibel, etwa die von Bibelkundlern als J bezeichnete Quelle, entstanden erst im 9. oder 10. Jahrhundert v. Chr., Jahrhunderte nach der Niederschrift des „Enuma elisch“.

Manch einen mag es überraschen, welch ungeheure Wirkung Mesopotamien auf das spätere biblische Israel hatte – in dieser Region entstanden im Laufe von mehr als 9000 Jahren, von 10.000 bis 1500 v. Chr., Erfindungen, Techniken, Ideen, Geschichten und sogar Gesetze, die Jahrhunderte später in Israel und Judäa nach wie vor in Umlauf waren. So finden wir beispielsweise in Mesopotamien den Gesetzeskodex des Hammurabi, in dem Jahrhunderte vor der Bibel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ stand. Aus Mesopotamien stammten Abraham und die Patriarchen. Und in Mesopotamien finden wir ältere – sumerische, babylonische und akkadische – Berichte über die Sintflut und die Arche Noah. Noah heißt dort Ziusudra, Atrahasis beziehungsweise Utnapischtim, und die Flut ist nicht Strafe für Schlechtigkeit und Sünden der Menschen, sondern wird ausgelöst, weil die Menschheit solchen Lärm macht, dass die Götter nicht schlafen können.

Speziell „Enuma elisch“ ist ein gutes Beispiel für das, was man eine vererbte Erzählung nennen könnte: eine Geschichte, die im antiken Nahen Osten von Generation zu Generation und von Kultur zu Kultur weitergegeben wurde. Am besten erklären lassen sich die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen dieser Sage und der Erzählung in der biblischen Genesis mit der Hypothese, dass die ursprüngliche mesopotamische Geschichte (oder die darin enthaltenen Motive) von den Sumerern im 3. Jahrtausend v. Chr. an Babylonier und Assyrer und im 2. Jahrtausend v. Chr. an die Völker von Ugarit und Kanaan und dann an die Israeliten überliefert wurde und so im 1. Jahrtausend v. Chr. Eingang ins Alte Testament fand. Weitere Beispiele solcher vererbten Erzählungen enthalten Teile des Gilgamesch-Epos und von Hammurabis Kodex, die sich, wie wir noch sehen werden, ebenfalls in der Bibel niedergeschlagen haben.

Der mesopotamische Baum des Lebens diente möglicherweise als Vorlage für den berühmten Baum in der Geschichte des Gartens Eden.

Wenn wir versuchen, die Lage des Gartens Eden anhand archäologischer Belege zu ergründen, ist in erster Linie wichtig, dass die ersten Pflanzen und Tiere vor etwa 10.000 bis 12.000 Jahren in einer weiten Landschneise domestiziert wurden, die sich über den heutigen Irak, Nordsyrien und die Südtürkei erstreckt, und zwar zur Zeit der sogenannten Neolithischen Revolution (in der die Ursprünge der Landwirtschaft entstanden).9

Diese Region – die Mesopotamien und Gebiete jenseits davon umfasst – nennen Archäologen den Fruchtbaren Halbmond. Hier wurden die ersten Schafe, Ziegen und Rinder domestiziert und Hunde gehalten, und hier wurden auch erstmals Weizen, Gerste, Einkorn und andere Getreide tatsächlich angebaut, anstatt alljährlich wahllos wildwachsende Sorten zu ernten.

Zu einer Art landwirtschaftlichem Paradies für die Bewohner wurde diese Gegend wohl auch durch die Einführung der Bewässerung im 4. Jahrtausend v. Chr. Archäologen stellten bereits vor langer Zeit fest, dass die Städte und Dörfer dieser Region zwischen 4000 und 3000 v. Chr. schrittweise zur Bewässerungsfeldwirtschaft übergingen. Voraussetzung für die Entstehung der ersten Stadtstaaten, später Königreiche und schließlich Imperien war wohl die Notwendigkeit der Zusammenarbeit bei solchen umfangreichen Projekten. Ob diese Hypothese zutrifft oder nicht, klar ist jedenfalls, dass die Region in den Jahrhunderten vor dem Aufstieg der sumerischen Zivilisation gegen Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. buchstäblich zum Erblühen gebracht wurde.

Da sowohl die Landwirtschaft als auch die Bewässerung in der Region von Mesopotamien „erfunden“ wurden, überrascht es nicht, dass manche Forscher den Garten Eden hier oder in näherer Umgebung vermuten.

Persischer Golf – Juris Zarins, Professor für Anthropologie an der Southwest Missouri State University, geht aufgrund von ökologischen, geologischen und archäologischen Daten davon aus, dass der ursprüngliche Standort des Gartens Eden an der Spitze des persischen Golfs nahe Bahrain heute vom Meer überflutet ist.10 In diesen Golf mündeten Euphrat und Tigris in der Antike. Der nahegelegene Fluss Karun – dessen Name dem des biblischen Gihon ähnelt – fließt südwestlich durch den Iran zum persischen Golf. Satellitenbilder lassen weitere, längst versiegte Flüsse in der Gegend vermuten.

Zarins zufolge deuten geologische und archäologische Indizien darauf hin, dass sich in dieser Gegend der Wasserspiegel verändert hat, wodurch sich die Küstenlinie des persischen Golfs im Lauf der Zeit ausdehnte und wieder verkürzte. Der südlichste Teil von Mesopotamien wurde schließlich im Zuge der weltweit wirksamen sogenannten Flandrischen Transgression zwischen 5000 und 4000 v. Chr. endgültig überflutet. Durch diese Klimaveränderung stieg der Wasserspiegel im Golf an und bedeckte weite Teile einst trockenen Landes in Mesopotamien. Diese Region bildete den südöstlichen Abschnitt des Fruchtbaren Halbmonds, und hier finden wir im 4. und 3. Jahrtausend v. Chr. die Sumerer.

Mehrere Jahrzehnte vor Zarins entwickelte der angesehene Archäologe und Bibelkundler Ephraim A. Speiser, damals Professor und Vorstand des Instituts für Orientalistik an der Universität von Pennsylvania, eine ähnliche Theorie. In seinem kurzen Artikel „The Rivers of Paradise“ vermutet Speiser den Garten Eden an der Spitze des persischen Golfs, wo Euphrat und Tigris ineinanderflossen. Er geht jedoch nicht davon aus, dass der Garten heute unter Wasser liegt.11 Nach einer detaillierten Untersuchung der biblischen Texte und anderer Faktoren, etwa der örtlichen Geographie in Mesopotamien, kam Speiser zu dem Schluss, dass „die biblischen Texte, die Überlieferungen des antiken Mesopotamiens, die geographische Geschichte des Landes an der Spitze des persischen Golfs und die erhaltenen Baupraktiken in diesem Land auf ein älteres Gartenland hindeuten, reich bewässert und von Religion wie Literatur bevorzugt – kurz gesagt, die Art von Paradies, die die örtliche Überlieferung bis heute am Zusammenfluss von Eufrat und Tigris ansiedelt“.

Arabische Halbinsel – Ein zweiter möglicher, aufgrund wissenschaftlicher Daten vermuteter Standort des Gartens Eden ist die arabische Halbinsel.12 Der verstorbene James Sauer, Professor an den Universitäten von Pennsylvania und Harvard, schrieb: „Unter Einsatz von Fernerkundungstechnologie konnte der Geologe Farouk E-Baz von der Universität Boston einen großen, teilweise unterirdischen Sandflusskanal von den Bergen des Hedschas nach Kuwait ausfindig machen, den er Kuwait-Fluss nannte.“ Mit Bedacht wagt Sauer die These, dieser irgendwann zwischen 3500 und 2000 v. Chr. ausgetrocknete Fluss könne mit dem biblischen Fluss Pischon in Verbindung gebracht werden, da in dem Bericht auch von Bdellium (einem aromatischen Harz) und Karneol (einem Schmuckstein) die Rede ist, die man beide im Jemen auf der arabischen Halbinsel findet.

Entscheidend ist für Sauer jedoch die Bibelstelle „Das Gold jenes Landes ist gut“, weil es größere Goldvorkommen in der gesamten Region nur in Mahd adh-Dhahab („Wiege des Goldes“) nahe dem Quellgebiet dieses Flusses gibt. „Kein anderer Fluss“, schließt er, „passt zu der biblischen Beschreibung“, und: „Der Kuwait-Fluss könnte der Pischon der Bibel sein.“ Anzumerken ist jedoch, dass es sich offenbar um denselben „fossilen Fluss“ handelt, in dem auch Zarins den Pischon vermutet. Er zieht daraus jedoch den Schluss, den Garten Eden nicht auf der arabischen Halbinsel, sondern unter Wasser im persischen Golf zu suchen.

Iran – Der britische Archäologe David Rohl meinte in jüngerer Zeit, den Garten Eden im Iran verorten zu können, nahe der heutigen Stadt Tabriz.13 Rohl hat einen Abschluss als Althistoriker und Ägyptologe vom University College London und geht davon aus, dass die Forschung Teile der antiken Geschichte bislang falsch datiert. Seine früheren Arbeiten widmeten sich dem 2. und 1. Jahrtausend v. Chr., inzwischen geht Rohl jedoch weiter zurück und beschäftigt sich nun mit Material zur Genesis und den Büchern des Alten Testaments.

Unter Rückgriff auf Arbeiten des Forschers Reginald Walker identifiziert Rohl die biblischen Flüsse Gihon und Pischon mit dem Aras (oder Araxes) – der Berichten zufolge einst Gyhun hieß – beziehungsweise dem Qezel Uzan im Iran. Rohl postuliert, wenn man diese beiden Flüsse mit Euphrat und Tigris kombiniere, lägen die Oberläufe aller vier Ströme in der ungefähren Gegend des Gartens Eden. Zudem bringt Rohl „Nochdi“, eine Region östlich von Eden, in Verbindung mit dem biblischen Land Nod, in das Kain verbannt wurde, nachdem er seinen Bruder Abel getötet hatte.

Rohl stellte diese Hypothese erstmals 1998 in seinem Buch Legend. The Genesis of Civilisation (deutsch: Pharaonen und Propheten. Das Alte Testament auf dem Prüfstand) vor, seine Ideen fanden jedoch kaum Anklang in der akademischen Welt. Wenig hilfreich war, dass seine Argumente auf Spekulationen bezüglich der Übertragung von Ortsbezeichnungen für die diversen Flüsse und angrenzenden Gebiete aus der Antike in die Neuzeit beruhen. Zwar sind Rohls Annahmen nicht gänzlich ausgeschlossen, jedoch nicht wahrscheinlicher als irgendeine andere Hypothese und weniger glaubhaft als die von Speiser, Zarins und Sauer.

Ägypten – Zwei Jahre nach der Veröffentlichung von Rohls Hypothese schlug der New Yorker Strafverteidiger Gary Greenberg in seinem Buch 101 Myths of the Bible vor, den Garten Eden nach Ägypten zu verlegen.14 Dies scheint auf den ersten Blick recht sinnvoll, da Ägypten zu Afrika gehört und die meisten physischen Anthropologen und andere Wissenschaftler glauben, der Mensch komme ursprünglich aus Afrika und habe sich von dort aus verbreitet, lange vor den Sumerern und ihren Legenden.15

Greenberg meint, den Garten Eden bei Heliopolis verorten zu können, am Ufer des Nils in Ägypten, ägyptischer Überlieferung zufolge der Ort des heiligen Lebensbaums. Er vermutet, die Geschichte des Gartens Eden gehe auf die ägyptischen (heliopolitanischen) Schöpfungsmythen zurück. Eden, schreibt er, sei ursprünglich die „Insel der Flammen“ – das erste in diesen Mythen erwähnte Land – bei Heliopolis gewesen.

Greenbergs Hypothese beruht jedoch zu weiten Teilen auf der Annahme, die vier Flüsse des biblischen Berichts seien allesamt ursprünglich Nebenflüsse des Nils gewesen und die Namen für zwei davon seien erst später, als die Juden im 6. Jahrhundert v. Chr. nach Babylonien verschleppt wurden, in die Bezeichnungen der beiden mesopotamischen Ströme (Euphrat und Tigris) geändert worden. Greenberg glaubt, wer auch immer diese Umbenennung durchgeführt habe, sei „mit der babylonischen Überlieferung, nicht aber mit der Geographie Afrikas vertraut“ gewesen und habe „die mit der ursprünglichen Insel assoziierten Flammen in von Cheruben geschwungene feurige Schwerter“ verwandelt.

Wie Rohls Hypothese ist auch die von Greenberg nicht von vornherein auszuschließen. Die Behauptung, antike Autoren oder Bearbeiter hätten die Namen von Flüssen und Nebenflüssen geändert und diese Gewässer und andere Einzelheiten von Ägypten nach Mesopotamien verlegt, wirkt jedoch etwas weit hergeholt. Greenbergs Vorschlag fand daher kaum Widerhall in der akademischen Welt. Betrachtet man die übrigen textlichen und archäologischen Belege, scheint mehr für Mesopotamien zu sprechen, ungeachtet der afrikanischen Wurzeln der Menschheit.

Lag der Garten Eden in Ägypten, möglicherweise in oder bei dem hier gezeigten Heliopolis? Jüngere Forschungen nehmen dies an.

Türkei – 2001 verkündete Michael S. Sanders, Autodidakt und „Bibelgelehrter der Archäologie, Ägyptologie und Assyriologie“, er habe den Garten Eden in der Türkei entdeckt.16 Im Januar 2001 wurde Sanders in der kanadischen National Post, der Chicago Sun-Times und der Daily Mail dahingehend zitiert, seine Forschungen zeigten, dass sich alle frühesten biblischen Erzählungen auf dem Gebiet der heutigen Türkei abgespielt hätten, und nicht etwa am persischen Golf, wie man bis dahin vermutete. „Der Garten Eden, die Sintflut, der Turmbau zu Babel, die Geschichte von Abraham – sie alle ereigneten sich in einer relativ kleinen Region zwischen dem Schwarzen Meer im Norden und den Ararat-Bergen im Osten“, sagte er.

Anhand von NASA-Satellitenfotos identifizierte Sanders die vier Ströme Edens als Murat, Tigris, Euphrat und dessen nördliche Abzweigung. „Es ist einfach bemerkenswert, dass es in dieser Region der Türkei tatsächlich vier Flüsse gibt“, sagte er. „Das beweist, dass die biblische Beschreibung gänzlich und wortwörtlich zutrifft.“ Wie wir noch sehen werden, behauptet Sanders seit 1998 auch, den Ort der Arche Noah, der Zehn Gebote, des Tempels von Salomon, des Turms von Babel sowie Sodom und Gomorra zu kennen. Solche zusätzlichen Hypothesen mögen unsere Einschätzungen seiner Theorien zum Garten Eden beeinflussen oder nicht, ebenso wie die Feststellung, dass Sanders seine Schlüsse in erster Linie aus NASA-Bildern zieht und a priori davon ausgeht, die Bibel sei „gänzlich und wortwörtlich zutreffend“. Selbst wenn er Recht hätte, bräuchten wir mehr Fakten, um zu entscheiden, ob seine These stichhaltig ist.

Es fällt schwer, den Garten Eden in einen historischen Kontext zu stellen, weil er in den Bereich der Vorgeschichte, wenn nicht der Mythen und Legenden fällt. Ein Großteil der ersten elf Kapitel der Genesis – vor allem die Geschichten – wirkt eher literarisch als historisch. Selbst Bibelkundler bezeichnen Genesis 1–11 als Urgeschichte und trennen sie von den Kapiteln 12–50, den Patriarchenerzählungen.17 Robert Alter, Übersetzer der fünf Bücher Moses, stellt fest: „Im Unterschied zu dem, was folgt, kultiviert die Urgeschichte eine Art der Erzählung, die sagenhaft oder legendär und manchmal in Bestandteilen mythisch ist.“ Beachten sollten wir zudem die Worte des angesehenen Gelehrten Ephraim Speiser, der in seinem Kommentar zur Genesis schreibt, man solle „stets bedenken, dass die Urgeschichte lediglich ein Vorwort zu einem viel umfangreicheren Werk ist, ein Vorwort über ein fernes Zeitalter, das in Mesopotamien zum Leben erwacht und für das dieses Land allein den notwendigen historischen und kulturellen Hintergrund liefert“.

Dennoch könnte in der Geschichte vom Garten Eden ein Kern historischer Wahrheit stecken, denn, so Speiser: „Für den Autor des Berichts in Genesis 2:8 … war der Garten Eden offenbar geographische Realität.“18 Wenn der Bericht etwas historisch Wahres enthält, dann wohl die Tatsache, dass in der Region von Mesopotamien der Fruchtbare Halbmond lag, der sich als Bogen vom persischen Golf bis zur Südtürkei erstreckte und in dem etwa vom Jahr 10.000 v. Chr. an Ackerbau und Viehzucht entstanden. Gut möglich, dass die diversen mesopotamischen Mythen und die Geschichten des Alten Testaments ihren Ursprung in der schlichten Tatsache haben, dass in dieser Region die Landwirtschaft ihre erste Blüte erlebte, während der neolithischen Revolution um 10.000 v. Chr. und erneut mit der Einführung der Bewässerung im 4. Jahrtausend v. Chr.

Wo also liegt oder lag der Garten Eden? Die verfügbaren Indizien sind eher karg, daher könnte dies die unbefriedigendste unserer Suchen sein. Allerdings steht – oder stand zumindest bis zum Beginn des zweiten Golfkriegs 2003 – im irakischen Querna, wo Euphrat und Tigris bei den modernen (und antiken) Städten Basra und Ur zusammenfließen, ein verbeultes Schild, das Besucher im „originalen Garten Eden“ willkommen heißt.19 Ist das nur Wunschdenken? Reiner Zufall, dass Speiser den Garten Eden in etwa derselben Region vermutete?

Ohne zu vergessen, dass alle bis heute gemachten Vorschläge Hypothesen sind, denke ich, dass diejenigen Theorien am ehesten in die richtige Richtung gehen, die sowohl die textlichen Belege der älteren mesopotamischen Literatur als auch die archäologischen Daten zur Entstehung von Ackerbau und Viehzucht im Fruchtbaren Halbmond und zur Einführung der Bewässerung in Betracht ziehen. Ich würde daher Speiser folgen und vermuten, dass der Garten Eden, so es ihn denn gab, am ehesten irgendwo in der Region von Mesopotamien und dem Fruchtbaren Halbmond lag, vielleicht sogar bei Querna, wie das zerbeulte Schild behauptet.

Wenn Zarins Recht hat und Teile von Mesopotamien irgendwann überflutet waren, ist seine Vermutung, der Garten Eden liege versunken in den Oberläufen des persischen Golfs, ziemlich plausibel. Sauers Verortung des Gartens Eden auf der arabischen Halbinsel ist ebenfalls vorstellbar, die Vorschläge von Rohl (Iran), Sanders (Türkei) und Greenberg (Ägypten) folgen in absteigender Reihenfolge der Plausibilität. Joseph Smith hinkt mit seiner Idee von Jackson County in Missouri weit hinterher, ebenso wie zahlreiche andere, ähnlich abwegige Theorien.

Am Ende bleibt eine zwingende letzte Frage: Wie kann irgendjemand tatsächlich hoffen, den Garten Eden aufzuspüren, vor allem nach dem, was das Buch Genesis über die Urgeschichte sagt? Selbst wenn der Garten einst ein realer Ort war und wir ungefähr wüssten, wo er lag: Wie könnten wir seine physischen Parameter erkennen, wo es doch keine antiken Zeichen oder Inschriften am Eingang gab (weil die Schrift noch nicht erfunden war)?

Wie wollen wir also wissen, ob wir ihn wirklich gefunden haben? Die Antwort lautet: Das können wir nicht. Wie Victor Hurowitz, Professor für Bibelforschung und Studien zum antiken Nahen Osten, einmal sagte: „Ich bezweifle, dass wir je ein Eden außerhalb der Bibel finden werden.“20

2 DIE ARCHE NOAH

Spielte sich die Sintflut so ab wie in der Bibel dargestellt?
Kann die Arche Noah gefunden werden?

Die Erzählung von der Sintflut und der Arche Noah ist den meisten Lesern in der westlichen Welt und darüber hinaus vertraut. Dem Alten Testament zufolge befahl Gott Noah, eine Arche zu bauen, weil die Welt zur Strafe für die Sünden und Missetaten der Menschen überflutet werde:

Die Erde aber war in Gottes Augen verdorben, sie war voller Gewalttat. Gott sah sich die Erde an: Sie war verdorben, denn alle Wesen aus Fleisch auf der Erde lebten verdorben. Da sprach Gott zu Noah: Ich sehe, das Ende aller Wesen aus Fleisch ist da; denn durch sie ist die Erde voller Gewalttat. Nun will ich sie zugleich mit der Erde verderben. (Genesis 6,11–13)

Noah indes war ein rechtschaffener Mann, und so beschloss Gott, ihn und seine Familie zu verschonen, zusammen mit je einem Paar von jeder Tierart. Daher befahl Gott Noah, die Arche zu bauen, deren Ausmaße und die Zahl der Decks er ihm ebenso beschrieb, wie wer an Bord kommen sollte:

Mach dir eine Arche aus Zypressenholz! Statte sie mit Kammern aus, und dichte sie innen und außen mit Pech ab! So sollst du die Arche bauen: Dreihundert Ellen lang, fünfzig Ellen breit und dreißig Ellen hoch soll sie sein. Mach der Arche ein Dach und hebe es genau um eine Elle nach oben an! Den Eingang der Arche bring an der Seite an! Richte ein unteres, ein zweites und ein drittes Stockwerk ein! Ich will nämlich die Flut über die Erde bringen, um alle Wesen aus Fleisch unter dem Himmel, alles, was Lebensgeist in sich hat, zu verderben. Alles auf Erden soll verenden. Mit dir aber schließe ich meinen Bund. Geh in die Arche, du, deine Söhne, deine Frau und die Frauen deiner Söhne! Von allem, was lebt, von allen Wesen aus Fleisch, führe je zwei in die Arche, damit sie mit dir am Leben bleiben; je ein Männchen und ein Weibchen sollen es sein. (Genesis 6,14–19)

Wir erfahren, die Regenflut habe 40 Tage und 40 Nächte angehalten (6,17) und ihre Wasser hätten die Erde 150 Tage lang bedeckt. Alles Leben ertrank, außer Noah und den Menschen und Tieren, die mit ihm auf der Arche waren. (Genesis 7,11–24)

Weiter erzählt die biblische Geschichte, die Arche sei „im Gebirge Ararat auf(gesetzt)“ (Genesis 8,4). Wir stellen fest, dass die Bibel nicht sagt, sie sei am Gipfel des Berges Ararat gelandet, wie viele annehmen, sondern „im Gebirge Ararat“. Diese Berge liegen höchstwahrscheinlich in der Gegend des antiken Urartu nahe dem heutigen Armenien. Der Berg Ararat in der Türkei – wo man seit 100 Jahren immer wieder nach der Arche gesucht hat – trägt diesen Namen der Forschung zufolge offenbar erst seit höchstens ein paar Jahrhunderten. Daher bringen Schwärmer und Entdecker immer mal wieder andere mögliche Orte für die Arche ins Spiel, etwa den Iran, wie wir noch sehen werden.

Der biblische Bericht fährt fort, nachdem die Arche am Berggipfel gelandet sei, habe Noah mehrere Vögel hinausgelassen, um festzustellen, ob die Flut zurückgegangen und trockenes Land aufgetaucht sei. So erfahren wir, er habe einen Raben losgeschickt, der aus und ein flog, bis das Wasser vertrocknet sei. Zudem habe er dreimal eine Taube entsandt, jeweils im Abstand von einer Woche. Beim dritten Mal kehrte die Taube nicht zurück, woraus Noah schloss, dass das Land getrocknet war. Er öffnete die Arche, und er, seine Familie und alle Tiere gingen von Bord. (Genesis 8,1–20)

In dieser Darstellung aus dem 13. Jahrhundert gehen die Tiere Paar für Paar an Bord der Arche. Aber waren es von jeder Art ein Paar oder sieben Paare?

Dann brachte er zum Dank für die Rettung ein Opfer dar, und die Geschichte nimmt ein gutes Ende, zumindest für Noah und seine Familie:

Dann baute Noah dem Herrn einen Altar, nahm von allen reinen Tieren und von allen reinen Vögeln und brachte auf dem Altar Brandopfer dar. … Dann segnete Gott Noah und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, vermehrt euch und bevölkert die Erde! (Genesis 8,20/9,1)

Schon vor längerer Zeit wiesen Bibelkundler nach, dass es mindestens zwei Versionen der Schöpfungsgeschichte im Buch Genesis gibt. Ebenso weisen Gelehrte seit Langem darauf hin, dass der biblische Bericht von Noah und seiner Arche aus zwei unterschiedlichen Geschichten besteht, die ineinander verwoben sind.1 Daher widersprechen sich gewisse Einzelheiten des Berichts, wie viele Forscher betonen, so etwa Richard Elliott Friedman, Professor für hebräische Literatur und Komparatistik an der University of California in San Diego und Autor von Who Wrote the Bible? (deutsch: Wer schrieb die Bibel?).

So heißt es etwa, der Regen habe 40 Tage angehalten (Genesis 7,17), aber auch, dass die Flut die Erde 150 Tage lang bedeckt habe (7,24). Was nun – 40 oder 150 Tage? Oder regnete es 40 Tage lang, dauerte dann aber noch einmal 110 Tage, bis das Land trocknete? Und wie viele Tiere sollte Noah mit auf die Arche nehmen? Ein Paar von jeder Art (6,19)? Oder sieben Paare von allen reinen Tieren und je ein Paar von den unreinen (7,2)? Und ließ er einen Raben hinaus, der „aus und ein (flog), bis das Wasser auf der Erde vertrocknet war“ (8,7), oder schickte er dreimal eine Taube, bis sie „nicht mehr zu ihm zurück(kehrte)“ (8,8–12)? Oder beides?

Wie andere Forscher sehr genau nachgewiesen haben, zeigen weitere Beispiele, dass wer auch immer das Alte Testament in der Form zusammenstellte, die wir kennen, mindestens auf zwei Versionen der Flutgeschichte zurückgegriffen hat. Indes bleiben zahlreiche Fragen offen. Wann entstanden die beiden Versionen ursprünglich? Und wer schrieb sie? Das ist schwer zu sagen, wir verfügen jedoch bereits über einige der Daten, die eines Tages eine Antwort ermöglichen werden.

1872 arbeitete George Smith im Keller des Britischen Museums.2 Tagsüber war er Bankbeamter, nachts klassifizierte und übersetzte er als Assistent in der assyriologischen Abteilung des Museums Tontafeln, die im antiken Ninive ausgegraben worden waren. Eines Abends machte er sich an die Übersetzung einer Tafel und stellte zu seiner Überraschung fest, dass sie von einer großen Flut berichtete – und von einem Mann, der sie überlebte, indem er ein Schiff baute und seine Familie und ausgewählte Tiere an Bord brachte. Das Schiff des Mannes sei jedoch nicht im Ararat-Gebirge gelandet, sondern an einem Berg namens Nisir.

Smith durchsuchte die übrigen Tafelfragmente im Keller, fand weitere Stücke und stellte fest, dass es sich tatsächlich um einen Bericht über die Flut handelte, in dem jedoch kein Mann namens Noah vorkam. Zudem fehlte ihm genau in der Mitte der Geschichte ein großes Stück der ursprünglichen Tafel. Als er seine Entdeckung bekanntgab, standen die britischen Medien Kopf, und der Londoner Daily Telegraph