„Bilanzen richtig lesen“ ist ein aktueller Wegweiser für die Rechnungslegung von Unternehmen und Konzernen. Die 10. Auflage berücksichtigt vor allem das Bilanzrichtlinien-Umsetzungs-Gesetz vom 17.7.2015 und weitere gesetzliche und standardmäßige Neuerungen. Im Mittelpunkt der weitgehenden Überarbeitung stehen umfangreichere Angaben und Erläuterungen im Anhang und im Lagebericht, die auch nichtfinanzielle Erklärungen umfassen. Die Rechnungslegung wird zunehmend zu einem Instrument der Rechenschaftslegung und zur Überwachung des Unternehmens.
Unverändert geblieben ist die Zielsetzung des Buches. Es soll vor allem dem interessierten Nichtfachmann die Rechnungslegung von Unternehmen und Konzernen verständlich erklären, der er sich damit beruflich, studienhalber oder aus anderen Gründen befassen muss oder will.
Hamburg, im Mai 2016 |
Eberhard Scheffler |
Nicht nur der bilanzierende Kaufmann oder der Bilanzexperte muss Bilanzen richtig lesen können. Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspraxis verlangen dies auch von nicht speziell ausgebildeten Personen. Jeder Unternehmensleiter, jeder Geschäftsführer einer GmbH oder jedes Vorstandsmitglied einer AG ist unabhängig von einer speziellen Verantwortung des Fachkollegen mitverantwortlich für die Bilanz bzw. den Jahresabschluss des Unternehmens. Der Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft hat die Aufgabe, den Jahresabschluss zu prüfen; das bedeutet, dass sich seine Mitglieder kritisch mit dem Jahresabschluss auseinandersetzen müssen.
VIDarüber hinaus interessieren sich Kapitalanleger (Aktionäre u. a.), Mitarbeiter, Kreditgeber, Lieferanten sowie weitere Institutionen und Personen für den Jahresabschluss eines Unternehmens. Schließlich gehört die Kenntnis des Inhalts und der Aussagekraft eines Jahresabschlusses zum unabdingbaren Rüstzeug für Studenten der Wirtschaftswissenschaften und für alle Nachwuchsführungskräfte in einem Unternehmen.
Das vorliegende Buch will die dafür notwendigen Grundkenntnisse vermitteln. Dazu werden der Inhalt des Jahresabschlusses, die anzuwendenden Grundsätze für die Bilanzierung und Bewertung, die Wahlrechte und die Gliederung des Jahresabschlusses ausführlich erläutert. Auf dieser Grundlage werden dann die Bilanzanalyse und Bilanzpolitik behandelt. Auch der Konzernabschluss wird in knapper Form dargestellt.
Zur Erläuterung der betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge dienen einfache Beispiele. Die unvermeidbaren Fachwörter werden erklärt. Ein umfangreiches Stichwortverzeichnis soll bei der Lösung spezieller Fragen helfen.
Hamburg, im Dezember 1992 |
Eberhard Scheffler |
Jeder Kaufmann bzw. jedes kaufmännische Unternehmen hat zu Beginn seiner Geschäftstätigkeit eine Eröffnungsbilanz aufzustellen und muss jeweils zum Ende seines Geschäftsjahres „Bilanz ziehen“, d. h. in Form eines Jahresabschlusses über Stand und Entwicklung seines Geschäfts und dessen Erfolg Rechnung legen. Bestandteile des Jahresabschlusses sind die Bilanz, die den Stand des betrieblichen Vermögens sowie der Schulden und des Eigenkapitals des Unternehmens darstellt, und die Gewinn- und Verlustrechnung (G+V), die das im abgelaufenen Geschäftsjahr erzielte Ergebnis und seine Komponenten ausweist.
Der Begriff „Bilanz “ wird oft als verkürzende Bezeichnung für den gesamten Jahresabschluss verwendet, der neben der Bilanz und der G+V weitere Bestandteile (z. B. einen Anhang oder einen Geschäftsbericht) umfassen kann. Der Titel „Bilanzen richtig lesen“ ist in diesem weiten Sinn gemeint und erfasst alle Elemente der Finanzberichterstattung eines Unternehmens. „Bilanzen richtig lesen“ heißt also, die Finanzberichte von Unternehmen verständig zu lesen und zutreffend zu interpretieren. Das setzt voraus, dass der Leser mit 2den wesentlichen Regeln und Grundsätzen vertraut ist, die bei der Aufstellung von Jahresabschlüssen anzuwenden sind.
Verantwortlich für die Aufstellung des Jahresabschlusses sind die gesetzlichen Vertreter des Unternehmens. Jeder Unternehmensleiter, jeder Geschäftsführer einer GmbH oder jedes Vorstandsmitglied einer AG ist unabhängig von seiner Ressortverantwortung und von der speziellen Zuständigkeit eines sachkundigen Kollegen mitverantwortlich für die Aufstellung und den Inhalt des Jahresabschlusses und für die darauf beruhende Rechnungslegung des Unternehmens. Jedes Mitglied eines Aufsichtsrates oder Beirates muss sich kritisch mit der Rechnungslegung des Unternehmens auseinandersetzen. Darüber hinaus interessieren sich Kapitalanleger (Aktionäre, Gesellschafter), Kreditgeber, potenziellen Investoren, Arbeitnehmer, Lieferanten, Kunden sowie staatliche Stellen und andere Institutionen für die Rechnungslegung des Unternehmens.
Wenn eine kritische Situation des Unternehmens in seinem Finanzbericht nicht klar dargestellt oder nicht erkannt wurde, können dafür folgende Gründe maßgeblich sein:
Das vorliegende Buch soll helfen, die unter (1) und (2) genannten Fehler zu vermeiden bzw. zu erkennen. Mangelhafte Ansätze oder Einschätzungen (3) können häufig durch eine kritische Analyse des Abschlusses sowie durch gezielte Nachfragen aufgedeckt werden, auf die im 7. Teil des Buches eingegangen wird.
In der Bilanz werden die Vermögensgegenstände des Unternehmens den dafür eingesetzten finanziellen Mitteln (Schulden und Eigenkapital) wertmäßig gegenübergestellt. Die Bilanz ist eine Momentaufnahme zum Bilanzstichtag.
Der Begriff „Bilanz“ leitet sich aus dem lateinischen Begriff „bi-lanx“, d. h. „zwei Waagschalen habend“, und dem daraus entstandenen italienischen Begriff „bilancio“, d. h. „Gleichgewicht der Waage“, ab. Die zwei „Waagschalen“ bezeichnet man mit Aktiva für die Vermögensseite und mit Passiva für die Kapitalseite. Am besten lässt sich die Bilanz in der T- oder Kontoform darstellen:
Aktiva |
Passiva |
|
|
Aktiva oder Aktivposten sind die Vermögensgegenstände des Unternehmens wie Gebäude, Maschinen oder Vorräte, aber auch Forderungen und Bankguthaben. Die Passiva oder Passivposten betreffen die dem Unternehmen zur Verfügung gestellten Finanzmittel wie Eigenkapital, Bank- und Lieferantenkredite. Zur besseren Einsicht in die Vermögens- und Finanzlage des Unternehmens werden die Aktiva und Passiva in weitere Posten aufgegliedert.
In einer ersten groben Gliederung teilt man die Aktiva in das zur längerfristigen Nutzung bestimmte Anlagevermögen und in das zum Verbrauch oder zur Veräußerung vorgesehene Umlaufvermögen. Zum Anlagevermögen gehören z. B. Gebäude, Maschinen, aber auch Patente oder langfristige Darlehen an Dritte. Das Umlaufvermögen umfasst die Vorräte an Einsatzmaterialien, unfertigen Produkten und zum Verkauf bestimmten Waren und Erzeugnissen sowie die kurzfristig fälligen Forderungen und die Geldbestände in Form von Bankguthaben und Bargeld.
Auf der Passivseite trennt man zwischen Eigenkapital und Fremdkapital. Das Eigenkapital stammt vor allem aus den Kapitaleinlagen der Eigentümer, die Mitgliedschaftsrechte am Unternehmen beinhalten 4wie Stimm- und andere Mitwirkungsrechte sowie anteilige Gewinnansprüche. Zum Eigenkapital gehören außerdem die Rücklagen und die vom Unternehmen erwirtschafteten, aber nicht ausgeschütteten Gewinne des Unternehmens oder als Abzugsposten etwaige Verluste.
Das Eigenkapital steht dem Unternehmen i. d. R. auf Dauer zur Verfügung und bildet die wesentliche Haftungsgrundlage gegenüber seinen Gläubigern. Die Ansprüche der Eigenkapitalgeber sind gegenüber denen der Gläubiger des Unternehmens nachrangig. Das Eigenkapital wird nicht fest verzinst; die Eigenkapitalgeber sind stattdessen am Ergebnis des Unternehmens (Gewinn oder Verlust) beteiligt.
Fremdkapital sind die Schulden eines Unternehmens. Es setzt sich aus den vom Unternehmen aufgenommenen, i. d. R. verzinslichen Darlehen oder Krediten (= sog. Finanzschulden) sowie aus meist unverzinslichen und kurzfristig zu tilgenden Lieferanten- und sonstigen Schulden zusammen. Hinzu kommen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste. Das Fremdkapital steht dem Unternehmen nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung; es ist lang- oder kurzfristig zurückzuzahlen.
Die Bilanz erhält damit folgendes Aussehen:
Aktiva |
Passiva |
Anlagevermögen |
Eigenkapital |
Umlaufvermögen |
Fremdkapital |
Die Bilanz als Stichtagsrechnung wird durch die Gewinn- und Verlustrechnung (nachfolgend als G+V bezeichnet) als Zeitraumrechnung ergänzt. Die G+V enthält die in einer Periode (= i. d. R. das Geschäftsjahr) angefallenen Erträge und Aufwendungen und weist als deren Differenz das Periodenergebnis (Gewinn oder Verlust) aus.
5Das Geschäftsjahr darf höchstens 12 Monate umfassen. Nach der Geschäftseröffnung oder zur Anpassung an einen geänderten Abschlussstichtag kann es kürzere sog. Rumpfgeschäftsjahre geben.
Um ein zutreffendes Periodenergebnis auszuweisen, werden die Erträge und Aufwendungen unabhängig vom Zahlungszeitpunkt im Zeitpunkt ihrer wirtschaftlichen Entstehung oder Verursachung erfasst (Periodenabgrenzung).
Als Erträge werden vor allem die Erlöse für die verkauften Produkte, Waren und Dienstleistungen (Umsatzerlöse) gezeigt. Hinzu kommen weitere Wertzuwächse, die insbesondere auf produzierten, aber noch nicht verkauften Erzeugnissen und Leistungen beruhen oder die sich durch den Wegfall von Wertminderungen oder Risiken ergeben.
Gegen die Erträge werden die Aufwendungen gerechnet. Sie stellen den bewerteten Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen im Geschäftsjahr dar. Im Einzelnen betreffen sie
Außerdem sind Wertminderungen oder Verluste zu berücksichtigen, die sich z. B. durch Beschädigungen von Anlagegütern, Schadensfälle, Preis- oder Kursverluste, Forderungsausfälle oder durch Markt- und Natureinflüsse ergeben haben.
Die Differenz zwischen Erträgen und Aufwendungen ergibt das in der Periode erzielte Ergebnis. Übersteigen die Erträge die Aufwendungen, wurde in der Periode ein Gewinn erzielt; sind die Aufwendungen höher als die Erträge, so hat das Unternehmen einen Verlust erlitten.
6Eine Gewinn- und Verlustrechnung stellt sich in einfacher Form so dar:
Umsatzerlöse |
|
+ |
Sonstige Erträge |
./. |
Materialaufwendungen |
./. |
Personalaufwendungen |
./. |
Abschreibungen |
./. |
sonstige Aufwendungen |
= |
Gewinn oder Verlust |
BEISPIEL 1:
Der Kaufmann Hase beginnt mit einem Startkapital in Form eines Bankguthabens von 2.000 € einen Eierhandel. Seine Eröffnungsbilanz sieht wie folgt aus:
Aktiva |
Passiva |
Bankguthaben 2.000 € |
Eigenkapital 2.000 € |
Hase mietet einen Verkaufsstand mit einer Monatsmiete von 50 € und kauft eine Registrierkasse zum Preis von 1.200 €. Da in der Gewinn- und Verlustrechnung nur der Wertverzehr des Geschäftsjahres gezeigt werden soll, werden die Ausgaben für die Registrierkasse entsprechend der voraussichtlichen Nutzungsdauer auf drei Geschäftsjahre verteilt. Mit anderen Worten: Die Anschaffungskosten der Registrierkasse werden in drei Jahren mit jeweils 400 € abgeschrieben.
Vom Bauer Gockel kauft Hase Eier zum Preis von 0,25 € pro Stück. Seinen Verkaufspreis setzt er mit 0,35 € je Ei fest. Kaufmann Hase kauft und verkauft nur gegen bar.
Am Ende des ersten Geschäftsjahres hat er 22.000 Eier gekauft und 21.500 Eier verkauft, so dass er noch 500 Eier im Bestand hat. Diesen Bestand bewertet er mit den Anschaffungskosten von 0,25 € je Stück = 125 €.
Die Gewinn- und Verlustrechnung für das erste Geschäftsjahr stellt sich wie folgt dar:
€ |
|
Verkaufserlös (21.500 · –,35) |
7.525 |
Wareneinsatz (21.500 · –,25) |
– 5.375 |
Mietaufwand (12 · 50,–) |
– 600 |
Abschreibung Registrierkasse (1/3 von 1200) |
– 400 |
Gewinn vor Steuern |
1.150 |
7Die Bilanz zum Ende des Geschäftsjahres ergibt sich wie folgt:
Aktiva |
in € |
Passiva |
|
Registrierkasse |
800 |
Eigenkapital |
2.000 |
(1200 – 400) |
Gewinn |
1.150 |
|
Eierbestand (500 · –,25) |
125 |
||
Bankguthaben |
2.225 |
||
3.150 |
3.150 |
Das Bankguthaben hat sich durch die im Geschäftsjahr erfolgten Zahlungen wie folgt verändert:
€ |
||
Guthaben am 1.1. |
2.000 |
|
Anschaffung Registrierkasse |
– |
1.200 |
Einkauf von Eiern |
– |
5.500 |
Verkaufseinnahmen |
+ |
7.525 |
Mietzahlungen |
– |
600 |
Guthaben am 31.12. |
2.225 |
Die Aufstellung lässt nicht erkennen, zu welchem Zeitpunkt die Ein- und Auszahlungen erfolgt sind. Da Hase mit den Zahlungen für die Anschaffung der Registrierkasse und für den Einkauf der Eier in Vorlage tritt, weil erst danach die Erlöse aus dem Verkauf der Eier zufließen, muss er den Eiereinkauf so steuern, dass Bankguthaben und Verkaufseinnahmen ausreichen, um die Zahlungen für Einkauf und Miete zu decken. Andernfalls muss er zwischenzeitlich einen Kredit aufnehmen, und zwar entweder bei Bauer Gockel (Lieferantenkredit) oder bei der Bank. Ohne diese Maßnahmen wäre Hase zahlungsunfähig.
Das Beispiel zeigt, dass bei der Steuerung eines Unternehmens und bei der Beurteilung der Finanzlage des Unternehmens die Zahlungsströme nicht vernachlässigt werden dürfen.
Zur Vollständigkeit sei noch erwähnt, dass in den Aufstellungen von Hase keine Mittel angesetzt wurden, die er zum laufenden Lebensunterhalt benötigt.
Mit Jahresabschluss bezeichnet man die Abrechnung des Kaufmanns für ein Geschäftsjahr. Der Jahresabschluss besteht aus der Bilanz zum Schluss des Geschäftsjahres und der Gewinn- und Verlustrechnung (Erfolgsrechnung) für das abgelaufene Geschäftsjahr. Die Bilanz dient zur Ermittlung des Reinvermögen s (= Vermögen abzüglich Schulden) zum Bilanzstichtag. Die Gewinn- und Verlustrechnung (G+V) weist das Ergebnis des abgelaufenen Geschäftsjahrs (= Jahresüberschuss oder Jahresfehlbetrag = Jahresgewinn oder Jahresverlust) aus.
Kapitalgesellschaften müssen ihren Jahresabschluss um einen Anhang ergänzen, der zusätzliche Erläuterungen zur Bilanz und zur G+V sowie weitere Angaben enthält.
Größere Kapitalgesellschaften haben zusätzlich zum Jahresabschluss einen Lagebericht zu erstellen, in dem auf den Geschäftsverlauf und die Situation des Unternehmens sowie auf die Risiken seiner künftigen Entwicklung einzugehen ist.
Börsennotierte Unternehmen veröffentlichen i. d. R. einen Geschäftsbericht, der neben dem Jahresabschluss und dem Lagebericht weitere für den Investor nützliche Informationen, aber auch Image fördernde Angaben zum Unternehmen und seiner Entwicklung enthält.
Unternehmen, die gegenüber einem oder mehreren anderen Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausüben können (= Mutterunternehmen ), haben einen Jahresabschluss des Konzerns (= Konzernabschluss) aufzustellen, in den das Mutterunternehmen und die von ihm beherrschten Unternehmen (= Tochterunternehmen) einbezogen und wie ein einheitliches Unternehmens dargestellt werden (s. 4. Teil).
Die Rechnungslegung kaufmännischer Unternehmen umfasst die Aufstellung, Prüfung und Offenlegung von (Jahres-)Abschlüssen und Lageberichten. Sie ist hauptsächlich in den §§ 242 ff. HGB gesetzlich geregelt. Eigenart und Zweck der Rechnungslegung haben in den anzuwendenden Vorschriften und Grundsätzen ihren Niederschlag gefunden. Ihre Kenntnis ist Voraussetzung für das richtige Verständnis der Rechnungslegung.
„Der Jahresabschluss hat unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft zu vermitteln“ (§ 264 Abs. 2 HGB). Dieser Grundsatz gilt auch für die Jahresabschlüsse von Unternehmen anderer Rechtsform.
Der handelsrechtliche Jahresabschluss dient (1) vor allem zur Ermittlung des ausschüttungsfähigen Gewinns, wobei dem Gläubigerschutz besonders Rechnung getragen wird. Im Interesse der Gläubiger soll sich der Kaufmann nicht „reicher rechnen als er tatsächlich ist“. Dem wird insbesondere durch das Vorsichtsprinzip und dem sog. Imparitätsprinzip (s. im 2. Teil Abschnitt II.7) Rechnung getragen. Im Interesse der Kapitalerhaltung soll verhindert werden, dass unrealisierte Gewinne ausgewiesen und womöglich ausgeschüttet werden. Der Jahresabschluss ist die Grundlage für die Beschlussfassung über die Gewinnverwendung (Ausschüttung oder Einbehalt von Gewinnen) und – mit Modifikationen – für die Besteuerung des Unternehmens.
Die durch den Jahresabschluss vermittelten Informationen über die Geschäftsentwicklung im abgelaufenen Geschäftsjahr und über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zum Bilanzstichtag dienen (2) der Rechenschaftslegung gegenüber den Eigentümern, etwaigen Aufsichtsorganen und den Gläubigern des Unternehmens sowie (3) zur Information der weiteren Bezugsgruppen wie Arbeitnehmer, Lieferanten und Kunden. (4) Schließlich dokumentiert der Jahresabschluss die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens zum Bilanzstichtag.
10Das steuerpflichtige Ergebnis wird als Unterschied zwischen dem Betriebsvermögen am Ende des Wirtschaftsjahres (= Geschäftsjahr) und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres ermittelt (§ 4 Abs. 1 EStG). Die dem Vermögensvergleich zugrundeliegende Bilanz nennt man Steuerbilanz. Sie wird aus der handelsrechtlichen Bilanz (= Handelsbilanz) unter Berücksichtigung zahlreicher steuerrechtlicher Korrekturen abgeleitet (§ 5 EStG).
Für die Bilanzierung der Vermögensgegenstände ist weniger das rechtliche Eigentum als die wirtschaftliche Zugehörigkeit zum Unternehmen entscheidend (§ 246 Abs. 1 Satz 2 HGB). Abweichende rechtliche Bindungen wie Sicherungsübereignung oder Eigentumsvorbehalt sind im Regelfall aus der Bilanz nicht ersichtlich. Miet- und Pachtverhältnisse werden als schwebende Geschäfte grundsätzlich nicht bilanziert, so dass dem Unternehmen dienende, aber gemietete oder gepachtete Gegenstände in der Bilanz nicht gezeigt werden.
Das private Vermögen und die privaten Schulden werden im Jahresabschluss des Kaufmanns nicht bilanziert, auch wenn er mit dem Privatvermögen für betriebliche Schulden haftet. Der Bilanzleser kann daher anhand der Geschäftsbilanz von Einzelkaufleuten oder Personengesellschaften nicht beurteilen, welches Privatvermögen als Haftungsgrundlage zur Verfügung steht oder ob private Schulden den Bestand des Unternehmens gefährden können.
Bei juristischen Personen (AG, GmbH, Stiftung usw.) ist grundsätzlich das gesamte Vermögen bilanzierungspflichtig. Sie besitzen kein Privatvermögen.
Die Gliederung der Aktivposten der Bilanz folgt prinzipiell der Dauer der Kapitalbindung. Es ist aber daran zu denken, dass das investierte Kapital nicht nur im Anlagevermögen, sondern auch in Teilen des Umlaufvermögens langfristig gebunden ist, die zur Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft dauerhaft erforderlich sind. Verkaufsfähige Erzeugnisse und Waren sowie Forderungen werden zwar 11verhältnismäßig rasch zu Geld, doch muss dieses wieder reinvestiert werden, um das Geschäft des Unternehmens in Gang zu halten.
Darüber hinaus enthalten die Bilanzposten oft Bestände mit unterschiedlichen Eigenschaften. So können z. B. als „Maschinen“ Aggregate mit sehr unterschiedlichem Alter und technischen Zuständen oder unter „Fertigfabrikaten und Waren“ sowohl gängige Erzeugnisse als auch Lagerhüter enthalten sein. Forderungen können überfällig und ausfallsbedroht sein.
Die Aussagefähigkeit der Bilanz wird weiterhin von der Bewertung der Bilanzposten beeinflusst. Vermögensgegenstände sind zu fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder zu niedrigeren Stichtagswerten (= beizulegender Zeitwert) zu bewerten. Bei fehlenden Marktpreisen beruht die Ermittlung von Zeitwerten weitgehend auf Einschätzungen der Bilanzierer, deren Annahmen, Widerspruchslosigkeit und Plausibilität von unternehmensexternen Bilanzlesern schwer zu beurteilen sind.
Über die (fortgeführten) Anschaffungs- oder Herstellungskosten hinaus, d.h. Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich planmäßiger Abschreibungen, dürfen keine höheren Zeitwerte angesetzt werden, denn zum Schutz der Gläubiger dürfen keine unrealisierten Erträge ausgewiesen werden.
Schulden sind mit ihrem Erfüllungsbetrag anzusetzen. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und drohende Verluste sind mit dem voraussichtlichen Erfüllungsbetrag anzusetzen, der bei einer Laufzeit von mehr als einem Jahr abzuzinsen ist.
Für Art und Umfang der in der Bilanz ausgewiesenen Bestände und für ihre Bewertung sind die Verhältnisse am Bilanzstichtag maßgeblich. Der Umfang der Vermögensgegenstände und Schulden kann während des Geschäftsjahrs davon erheblich abweichen. Er wird insbesondere in Bezug auf das Vorratsvermögens und die Forderungen und Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen davon beeinflusst, wie der Bilanzstichtag innerhalb des unternehmensspezifischen Saison- oder Konjunkturverlaufs oder des Produktionszyklus liegt. Nach dem Bilanzstichtag entstehende Zahlungsverpflichtungen oder eingehende Zahlungen sind der Bilanz nicht zu entnehmen.
12Die Gewinn- und Verlustrechnung (G+V) zeigt das Jahresergebnis und seine Komponenten. Wichtige Komponenten sind die Umsatzerlöse, die Aufwendungen zur Leistungserstellung (Produktion, Erbringung von Dienstleistungen), die Finanzerträge und Finanzaufwendungen sowie Wertveränderungen der Vermögens- und Schuldposten. Für den Bilanzleser sind vor allem auffällige Veränderungen der Aufwendungen und Erträge im Vergleich zum Vorjahr und zur branchenüblichen Struktur von Interesse.
Die Erfahrung lehrt, dass bei vergleichsweise schlechtem Jahresergebnis die Bilanzpolitik in der Tendenz auf Ergebnisverbesserungen zielt, um unerwünschte Reaktionen der Bilanzadressaten möglichst zu vermeiden. Die Einschätzungen künftiger Chancen werden oft „mutiger“ vorgenommen. Bei guter Ergebnisentwicklung werden dagegen die Risiken kritischer beurteilt und alle Abwertungswahlrechte ausgeübt; der Bilanzierer neigt dann dazu, das Vorsichtsprinzip zu überdehnen.
Wegen der Vielfalt der Gegebenheiten (Markt- und andere Umwelteinflüsse, kurzfristige Absatz- und Preisschwankungen u. Ä.) und der Unsicherheit bei der Einschätzung der künftigen Entwicklung wird dem bilanzierenden Kaufmann ein angemessener Ermessenspielraum zugestanden, der aber nicht willkürlich, sondern wirtschaftlich vernünftig auszunutzen ist.
Fehleinschätzungen künftiger Entwicklungen lassen sich trotz Sorgfalt und Vorsicht nicht ganz vermeiden. Kritisch ist, wenn konkrete Risiken oder drohende Verluste übersehen oder wegen zu optimistisch eingeschätzter Chancen oder Ergebniserwartungen unzureichend im Jahresabschluss berücksichtigt werden.
Eine große und zunehmende Zahl von Unternehmen ist Mitglied eines Konzerns, sei es als herrschendes oder als abhängiges Unternehmen. Das betrifft auch viele mittelständische Unternehmen.
Der Konzern ist betriebswirtschaftlich dadurch gekennzeichnet, dass zwei oder mehr rechtlich selbständige Unternehmen unter einer einheitlichen Leitung zusammengefasst werden. Diese Definition 13entspricht dem aktienrechtlichen Konzernbegriff in § 18 AktG. Die Konzernleitung übt dabei in unterschiedlichem Ausmaß Einfluss auf die Konzernunternehmen aus, um den Konzern wie eine wirtschaftliche Einheit zu führen und die Synergiemöglichkeiten des Konzernverbundes zu nutzen. Dabei ergeben sich wirtschaftliche, insbesondere finanzielle Verflechtungen und gegenseitige Abhängigkeiten der Konzernunternehmen, die aus den Einzelabschlüssen der Konzernunternehmen nur unzureichend ersichtlich sind.
Die besondere Problematik des Konzerns ergibt sich aus der rechtlichen Selbständigkeit der Konzernunternehmen einerseits und aus deren wirtschaftlichen Verflechtungen und Abhängigkeiten andererseits. Obwohl die Konzernunternehmen wirtschaftlich wie ein einheitliches Unternehmen geführt werden oder geführt werden können, haben nur die einzelnen Konzernunternehmen die Möglichkeit, rechtliche Beziehungen einzugehen. Deshalb knüpfen die gesetzlichen Vorschriften zum Mindestkapital, zur Kapitalaufbringung und -erhaltung, zur Gewinnermittlung und -verwendung sowie zur Haftung jeweils an das einzelne Konzernunternehmen an.
Hinzu kommt, dass die Interessen der Konzernobergesellschaft mit den Interessen der Tochterunternehmen und deren anderen Gesellschaftern und Gläubigern, nicht immer übereinstimmen. Hier ist die Interessenabwägung oder ein Interessenausgleich zu hinterfragen.
Die Grundlagen der Konzernbeziehungen können Verträge (z. B. ein Beherrschungsvertrag gemäß § 291 AktG) oder faktische Verhältnisse (i. d. R. Mehrheitsbeteiligung) sein. Die Konzernbeziehungen können mit einem Gewinnabführungsvertrag verbunden sein. Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge schließen die Verpflichtung des herrschenden Unternehmens zur Verlustübernahme ein. Aus der rechtlichen Grundlage der Konzernbeziehung ergeben sich für Mutter- und Tochterunternehmen spezifische Konsequenzen.
Bei faktischen, also nicht vertragsmäßig unterlegten Konzernverhältnissen darf die Einflussnahme des herrschenden Unternehmens auf das Tochterunternehmen nicht gegen dessen Eigeninteresse verstoßen. Abhängigen Aktiengesellschaften ist daher bei Maßnahmen 14auf Veranlassung oder im Interesse des herrschenden oder eines mit diesem verbundenen Unternehmens (§§ 15 ff. AktG) ein Ausgleich für etwaige Nachteile zu gewähren. Eine nachteilige Einflussnahme ohne Nachteilsausgleich ist nicht zulässig.
Das Ausmaß der „Konzernproblematik“ hängt ab von dem Umfang der konzerninternen Liefer- und Leistungsbeziehungen, den wirtschaftlichen Verflechtungen der Konzernunternehmen und von der Intensität der Konzernführung. Art und Ausmaß werden auch von den rechtlichen Grundlagen (vertragliches oder faktisches Konzernverhältnis, Rechtsform des abhängigen Unternehmens) und dem Umfang der tatsächlichen Einflussnahme (zentrale oder dezentrale Führung, Konzernstruktur) bestimmt.
Der Konzernverbund ermöglicht Synergien durch die Bündelung von Angebot und Nachfrage der Konzernunternehmen auf den Absatz- und Beschaffungsmärkten, durch Konzentration der Ressourcen sowie durch Zusammenfassung oder Koordinierung bestimmter betrieblicher Funktionen. Die finanzielle Verflechtung der Konzernunternehmen und der konzerninterne Leistungsaustausch können zu Vermögens-, Kapital- und Ergebnisverlagerungen zwischen den Konzernunternehmen führen.
Wirtschaftliche Gründe, insbesondere Kostenersparnis, sprechen dafür, durch ein zentrales Finanz- und Cash-Management den Konzern als Finanzierungs- und Liquiditätseinheit zu führen. Das Mutterunternehmen bestimmt damit die Kapital- und Liquiditätsausstattung der Tochterunternehmen nach Art, Konditionen und Gläubigern. Es beeinflusst die Liquidität der Konzernunternehmen, indem es Liquiditätsüberschüsse von den Konzernunternehmen abzieht oder bei Bedarf die Konzernunternehmen mit Liquidität versorgt und verbleibende Liquiditätsüberschüsse anlegt.
Probleme ergeben sich dann, wenn der Kapital- oder Liquiditätsbedarf der einzelnen Konzernunternehmen erheblich von den Planungen abweicht, die den Dispositionen zugrunde gelegen haben, und die Vorsorgepositionen (z. B. Kreditlinien, Kassenhaltung) den unerwarteten Kapital- oder Geldbedarf nicht decken können. Hauptursache etwaiger Schieflagen sind nicht (rechtzeitig) erkannte Verlustquellen, 15stark verschlechterte Geschäftsergebnisse, plötzliche Umsatz- oder Forderungsausfälle und größere Kapitalbindung im betrieblichen Umlaufvermögen (Vorräte und Außenstände). Problematisch ist ferner, wenn zweckgebundene Finanzmittel in das Cash-Management einbezogen werden.
Für den Bilanzleser ist wichtig zu wissen, wie das Unternehmen in welchen Konzern eingebunden ist. Es kann Mutterunternehmen des eigenen Konzerns, Tochterunternehmen in einem größeren Konzern und zugleich Mutterunternehmen eines Teilkonzerns oder nur Tochterunternehmen sein.
Für die Pflicht zur Konzernrechnungslegung genügt es, wenn das Unternehmen (= Mutterunternehmen) einen beherrschenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben kann (Beherrschungsmöglichkeit). Der Konzernabschluss soll die wirtschaftliche Lage und Entwicklung des Konzerns als ein einheitliches Unternehmen abbilden. Dazu werden die konzerninternen Vorgänge und ihre Auswirkungen eliminiert. Auf die Konzernrechnungslegung wird im Einzelnen im 4. Teil eingegangen.
Für das Verständnis der Rechnungslegung sind folgende Begriffspaare von Bedeutung:
Ein- und Auszahlungen sind Veränderungen der Zahlungsmittelbestände oder der flüssigen Mittel, also des Kassenbestandes und der jederzeit verfügbaren Bankguthaben. Einzahlungen und Auszahlungen sind die Maßstäbe für Liquiditätsrechnungen und für die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens. Sie bestimmen aber auch den Totalerfolg eines Unternehmens oder eines Investitionsprojektes und sind insoweit für die Unternehmensbewertung und Investitionsrechnungen heranzuziehen.
16Einnahmen und Ausgaben umfassen zusätzlich zu den Zahlungen die Veränderungen der Forderungen und Verbindlichkeiten. Flüssige Mittel, Forderungen und Verbindlichkeiten werden auch als (Netto-) Geldvermögen bezeichnet. Die Einnahmen und Ausgaben spielen bei der Finanzplanung und Finanzrechnung die dominierende Rolle.
Erträge und Aufwendungen sind zeitraumbezogene Wertzuwächse bzw. Wertverminderungen, also die Wertzugänge bzw. der Werteverzehr oder Werteverbrauch in einer Abrechnungsperiode. Wertzuwächse und Wertminderungen können auch durch Umformung von Werten entstehen, z. B. Verbrauch von Rohstoffen oder Verschleiß von Maschinen zur Herstellung von Produkten. Eine reine Wertminderung wird z. B. durch den Kursrückgang bei einer Währungsforderung ausgelöst. Aufwendungen und Erträge sind die Maßgrößen für die Gewinn- und Verlustrechnung.
Kosten und Leistungen spielen bei Kalkulationen sowie bei sonstigen Kosten- und Leistungsrechnungen eine Rolle. Leistungen sind das Ergebnis der betrieblichen Tätigkeit, die sich in Produkten und Dienstleistungen oder Forderungen niederschlägt. Sie sind Bestandteil der Erträge. Betriebsfremde, periodenfremde und außerordentliche Erträge sind als neutrale Erträge nicht Bestandteil der Leistungen. Kosten stellen den durch die betriebliche Leistungserstellung bedingten Werteverzehr in Form von Vermögens-, Material- und Personaleinsatz dar.
Aufwendungen und Kosten decken sich nur zum Teil. Soweit sie sich decken, spricht man von Zweckaufwand und Grundkosten. Daneben gibt es neutrale Aufwendungen, die nicht Kosten sind. Sie umfassen die betriebsfremden und außerordentlichen Aufwendungen sowie rein bewertungsbedingte Aufwendungen, wie z. B. über den Werteverzehr hinausgehende Abschreibungen. Auf der anderen Seite stellen die sog. kalkulatorischen Kosten keine Aufwendungen dar. Sie betreffen z. B. den kalkulatorischen Unternehmerlohn, die kalkulatorischen Abschreibungen, die von den bilanzmäßigen Abschreibungen abweichen, sowie kalkulatorische Wagnisse.
Jeder Kaufmann ist „verpflichtet, Bücher zu führen und in diesen seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ersichtlich zu machen“ (§ 238 HGB). Kaufmann im Sinn dieser Vorschrift ist jede Person oder Personenvereinigung, die selbständig und berufsmäßig in der Absicht dauernder Gewinnerzielung am Markt tätig ist und deren Betrieb nach Art und Umfang eine kaufmännische Organisation erfordert (vgl. §§ 1 bis 7 HGB).
Als Kaufmann gelten dementsprechend neben den Einzelkaufleuten die Personenhandelsgesellschaften (offene Handelsgesellschaft – oHG, Kommanditgesellschaft – KG), die Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaft – AG, Kommanditgesellschaft auf Aktien – KGaA, Gesellschaft mit beschränkter Haftung – GmbH, Europäische Gesellschaft 18– Societas Europaea, SE), die Genossenschaften und die Stiftungen, die kaufmännisch tätig sind.
Als Bücher bezeichnet man die systematische Dokumentation der Geschäftsvorfälle. In den Büchern sind die einzelnen Geschäftsvorfälle zeitnah und zutreffend so zu erfassen, dass sich ein sachverständiger Dritter innerhalb einer angemessenen Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und deren Auswirkungen auf die Lage und Entwicklung des Unternehmens verschaffen kann.
„Der Kaufmann hat zu Beginn seines Handelsgewerbes und für den Schluss jeden Geschäftsjahres einen das Verhältnis seines Vermögens und seiner Schulden darstellenden Abschluss (Eröffnungsbilanz, Bilanz) aufzustellen. … Er hat für den Schluss eines jeden Geschäftsjahrs eine Gegenüberstellung der Aufwendungen und Erträge aufzustellen (Gewinn- und Verlustrechnung). Die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung bilden den Jahresabschluss.“ (§ 242 HGB).
Einzelkaufleute, die an den Abschlussstichtagen von zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren jeweils nicht mehr als 500.000 € Umsatzerlöse und 50.000 € Jahresüberschuss ausweisen, brauchen die handelsrechtlichen Buchführungs- und Rechnungslegungsvorschriften (§§ 238 bis 241 HGB) nicht zu beachten (§ 241a HGB). Die Befreiung gilt für neu gegründete Unternehmen, wenn am ersten Abschlusstag nach der Neugründung die genannten Werte nicht überschritten werden.
Jeder Kaufmann hat zu Beginn seiner geschäftlichen Tätigkeit und für den Schluss jeden Geschäftsjahres ein Verzeichnis zu erstellen, in dem er die dem Betrieb dienenden Grundstücke, Forderungen, Bargeld, sonstige Gegenstände und Schulden aufzuführen und den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden anzugeben hat (§ 240 HGB).
In dem Bestandsverzeichnis oder Inventar sind alle bilanzierungsfähigen Vermögensgegenstände und Schulden zu verzeichnen, unabhängig davon, ob sie tatsächlich bilanziert werden oder nicht und 19wie sie zu bewerten sind. Zweck des Inventars ist es, für die Bilanzierung das Mengengerüst und Hinweise auf den Zustand und die Qualität der aufgenommenen Bestände zu dokumentieren, um für den Bilanzausweis zutreffende Werte ermitteln zu können.
Das Inventar setzt eine körperliche oder buchmäßige Erfassung der Bestände (= Inventur) voraus. Die körperliche Bestandsaufnahme geschieht durch Zählen, Wiegen und Messen der entsprechenden Sachgüter. Dabei ist im Inventar neben der Menge auch der Zustand und die Qualität der einzelnen Posten, z. B. verrostet oder beschädigt, zu vermerken.
Einer körperlichen Bestandsaufnahme bedarf es nicht, wenn die Bestände auf eine andere, den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) entsprechende Weise, mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden können (§ 241 Abs. 2 HGB). Dies gilt insbesondere für immaterielle Vermögensgegenstände sowie für Forderungen und Verbindlichkeiten, die nur buchmäßig erfasst werden können. Ihre Existenz ist jedoch nach Möglichkeit durch andere Nachweise, z. B. Patentschriften oder Saldenbestätigungen der Schuldner bzw. Gläubiger zu dokumentieren.
Für das Vorratsvermögen ist i. d. R. eine jährliche körperliche Bestandsaufnahme notwendig. Dieser Grundsatz findet dort seine Grenze, wo der mit der körperlichen Aufnahme verbundene Aufwand mit dem wirtschaftlichen Zweck oder Nutzen nicht mehr zu rechtfertigen ist und die Unterlagen der Buchführung die Wertermittlung mit ausreichender Zuverlässigkeit gestatten.
Beim Sachanlagevermögen genügt es, wenn der Bestand alle drei Jahre durch eine körperliche Bestandsaufnahme verifiziert wird und ein Bestandsverzeichnis (Anlagenkartei) geführt wird, das den Gegenstand, das Datum des Zu- und Abganges, die Anschaffungs- oder Herstellungskosten und den Buchwert am Bilanzstichtag genau bezeichnet, so dass der Bestand durch Fortschreibung ermittelt werden kann.
Die Bestandsaufnahme erfolgt im Regelfall zum Bilanzstichtag. Für die Stichtagsinventur genügt es, wenn die Bestandsaufnahme zeitnah, i. d. R. innerhalb von zehn Tagen vor oder nach dem Bilanzstichtag 20durchgeführt wird, vorausgesetzt, dass etwaige Mengenveränderungen zwischen Aufnahme- und Bilanzstichtag genau erfasst und berücksichtigt oder durch geeignete Maßnahme verhindert werden.
Zur Erleichterung der Bestandsaufnahme können unter bestimmten Voraussetzungen folgende vereinfachende Inventurverfahren angewendet werden (vgl. § 241 HGB): die permanente Inventur (Bestandsaufnahmen während des Geschäftsjahres und laufende buchmäßige Bestandsverfolgung nach Art, Menge und Wert), die vor- oder nachverlagerte Stichtagsinventur (innerhalb von drei Monaten vor oder der ersten beiden Monate nach dem Bilanzstichtag mit Fortschreibung oder Rückrechnung) oder die Inventur in Stichproben (unter Anwendung anerkannter Stichprobenverfahren).
Die handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften sind in Tab. 1 zusammengestellt. Sie werden ergänzt durch die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, auf die im nächsten Abschnitt eingegangen wird.
Thema |
HGB |
Sonstige Vorschriften |
Buchführung, Inventar |
§§ 238–241a |
§ 91 AktG,§ 33 GenG, § 41 GmbHG |
Eröffnungsbilanz, Jahresabschluss |
§§ 242–256a |
§§ 1–10 PublG |
Aufbewahrung und Vorlage der Rechnungs-Unterlagen |
§§ 257–263 |
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Ergänzende Vorschriften für Kapitalgesellschaften |
§§ 264–289a, § 315a |
§§ 150–174 AktG §§ 42–42 a GmbHG |
Konzernabschluss |
§§ 290–315 |
§§ 11–15 PublG, § 337 AktG |
Prüfung des Jahres- und Konzernabschlusses |
§§ 316–324a |
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Offenlegung |
§§ 325–330 |
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Strafvorschriften |
§§ 331–335a |
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21Ergänzende Vorschriften für Genossenschaften |
§§ 336–339 |
§§ 53–63b GenG |
– für Kreditinstitute |
§§ 340–340o |
RechKredV; §§ 26–29 KWG |
– für Versicherungen |
§§ 341–341p |
RechVersV; §§ 55–64 VAG |
Veröffentlichung von Finanzberichten |
§§ 37v f., 37y f. WpHG |
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Zahlungsberichte |
§§ 341q–341y |
§ 37x WpHG |
Rechnungslegungsgremium |
§ 342 |
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Prüfstelle für Rechnungslegung |
§§ 342b–342e |
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Überwachung von Unternehmens- abschlüssen |
§§ 37n-37u WpHG |
Tabelle 1: Die wichtigsten handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften
Der Umfang der Rechnungslegung der Unternehmen richtet sich nach
Unternehmen, bei denen mindestens eine natürliche Person unbeschränkt haftet, also Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften (oHG und KG; mit Ausnahme der nachstehend beschriebenen „Kapitalgesellschaften & Co.“), haben nach den für alle Kaufleute geltenden Vorschriften der §§ 238 bis 263 HGB Rechnung zu legen.
Große Einzelunternehmen und Personengesellschaften, die zwei der folgenden Größen überschreiten: Bilanzsumme von über 65 Mio. €, mehr als 130 Mio. € Umsatzerlöse und über 5.000 Mitarbeiter (§ 1 bzw. § 11 Publizitätsgesetz (PublG); Tab. 2 und Tab. 10), müssen in weitgehender Anlehnung an die strengeren Bestimmungen für Kapitalgesellschaften umfangreicher Rechnung legen (§§ 5 bzw. 11 PublG).
22Einzelkaufleute, die an zwei aufeinander folgenden Abschlussstichtagen nicht mehr als 500.000 Euro Umsatzerlöse und 50.000 Euro Jahresüberschuss aufweisen (Kleinstunternehmen), brauchen die §§ 238 – 241 HGB nicht anzuwenden. Sie sind von den Buchführungs- und Inventurpflichten befreit (§ 241a HGB).
Kapitalgesellschaften müssen zusätzlich zu den für alle Kaufleute geltenden Bestimmungen der §§ 238 bis 263 HGB die speziellen Vorschriften der §§ 264 bis 315a HGB beachten.
Personenhandelsgesellschaften, bei denen keine natürliche Person unbeschränkt haftet (§ 264a HGB; verkürzt als „Kapitalgesellschaften & Co.“ bezeichnet), müssen wie Kapitalgesellschaften die §§ 264 – 315a HGB anwenden. Am meisten verbreitet ist die GmbH & Co. KG, bei der die GmbH der alleinige Vollhafter oder Komplementär ist. Soweit nachfolgend auf Regelungen für die Kapitalgesellschaften hingewiesen wird, gelten diese grundsätzlich auch für die Kapitalgesellschaften & Co.
Über die für alle Kaufleute geltenden Rechnungslegungsvorschriften hinaus enthalten die §§ 264 ff. HGB ausdrückliche Regelungen zum Ausweis und zur Gliederung der Bilanz und G+V, zu detaillierten Angaben in einem Anhang sowie zur Aufstellung eines Lageberichts.
Soweit die genannten Unternehmen ein oder mehrere Tochterunternehmen kontrollieren, wird ihnen in den §§ 290 ff. HGB die Konzernrechnungslegung vorgeschrieben.
Grundlage der deutschen Vorschriften für die Rechnungslegung von Kapitalgesellschaften und Kapitalgesellschaften & Co. (§§ 264 ff. HGB) sowie für die von diesen Gesellschaften kontrollierten Konzerne (§§ 290 ff. HGB) ist die Bilanzrichtlinie der Europäischen Union vom 26.6.2013, die durch das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 17.7.2015 (BilRUG) in deutsches Recht umgesetzt wurde.
Die für den Umfang der Rechnungslegung entscheidenden Größenmerkmale der Kapitalgesellschaften sind in der Tab. 2 dargestellt. Es müssen jeweils zwei der drei aufgeführten Größenmerkmale an zwei aufeinanderfolgenden Bilanzstichtagen vorliegen, um die entsprechenden Rechnungslegungspflichten auszulösen. Die Größenmerkmale 23für Kapitalgesellschaften gelten auch für die Kapitalgesellschaften & Co.
Größenklasse |
Bilanzsumme |
Umsatzerlöse |
Arbeitnehmer |
(Mio. €) |
(Mio. €) |
ø Zahl |
|
Kleine Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 1 HGB) |
< 6,00 |
< 12,00 |
< 50 |
Mittelgroße Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 2 HGB) |
> 6,00 < 20,00 |
> 12,00 < 40,00 |
> 50 < 250 |
Große Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 3 HGB) |
> 20,00 |
> 40,00 |
> 250 |
Andere Großunternehmen (§§ 1 und 11 PublG) |
> 65 |
> 130 |
> 5.000 |
Tabelle 2: Umfang der Rechnungslegung in Abhängigkeit von Größenmerkmalen von Unternehmen
Für kleine und mittelgroße Kapitalgesellschaften gewährt das HGB gewisse Erleichterungen bei der Rechnungslegung. Kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften (s. unten) gelten stets als große Kapitalgesellschaften.
Zusätzliche Erleichterungen werden Kleinstkapitalgesellschaften eingeräumt (§ 267a HGB), die zwei der drei folgenden Größenmerkmale nicht überschreiten (Bilanzsumme 350 T€; Umsatzerlöse 700 T€; durchschnittlich 10 Arbeitnehmer).
Kapitalgesellschaften, die als Tochterunternehmen in den Konzernabschluss eines Mutterunternehmens mit Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR einbezogen werden, brauchen die strengeren Rechnungslegungsregeln für Kapitalgesellschaften nicht anzuwenden, wenn sich das Mutterunternehmen verpflichtet hat, für die vom Tochterunternehmen bis zum Abschlussstichtag eingegangen Verpflichtungen im folgenden Geschäftsjahr einzutreten und alle Gesellschafter der Befreiung zugestimmt haben. Zu weiteren Voraussetzungen siehe § 264 Abs. 3 HGB. Für Kapitalgesellschaften & Co. gibt es eine ähnliche Befreiung (§ 264b HGB).
Eine Kapitalgesellschaft ist kapitalmarktorientiert, wenn sie durch von ihr ausgegebene Wertpapiere einen organisierten Kapitalmarkt 24in Anspruch nimmt oder die Zulassung dieser Wertpapiere zum Handel beantragt hat (§ 264d HGB). Sie hat besondere Rechnungslegungspflichten zur beachten, auf die an zutreffender Stelle eingegangen wird.
Mutterunternehmen, die ein oder mehrere Tochterunternehmen beherrschen, haben einen Konzernabschluss aufzustellen (§§ 290 ff. HGB; siehe 4. Teil).
Kapitalmarktorientierte Mutterunternehmen sind nach der EU-Verordnung vom 19. Juli 2002 (IAS-Verordnung) verpflichtet, ihren Konzernabschluss nach den von der EU übernommenen Internationalen Rechnungslegungs-Standards (International Financial Reporting Standards; (IFRS) aufzustellen (§ 315a Abs. 1 HGB, siehe 4. Teil, Abschnitt II). Dasselbe gilt für Mutterunternehmen, welche die Zulassung eines von ihnen ausgegebenen Wertpapiers zum Handel an einem organisierten Markt beantragt haben (§ 315a Abs. 2 HGB).
Andere Mutterunternehmen haben ein Wahlrecht, anstelle des HGB-Konzernabschlusses einen IFRS-Konzernabschluss aufzustellen (§ 315a Abs. 3 HGB). Üben sie das Wahlrecht aus, müssen sie sämtliche von der EU übernommenen IFRS-Regeln anwenden.