image

Über die Autorin

Frauke Geyken, Dr. phil., Historikerin und Publizistin, stand seit 2008 mit Freya von Moltke in Kontakt und hatte einen exklusiven Zugang zu ihrem persönlichen Nachlass sowie zu zahlreichen anderen bisher unpublizierten Quellen. Frauke Geyken lebt in Göttingen und arbeitet für verschiedene Bibliotheken und Museen.

Zum Buch

„Was wichtig ist, kommt bei mir ja doch aus dem Herzen“, bekannte Freya von Moltke. Und ihr Herz war für sie ein sicherer Wegweiser durch die Katastrophen und Umbrüche des 20. Jahrhunderts. Freya von Moltke erlebte die Zeit des Ersten Weltkriegs und die liberale Aufbruchstimmung der Weimarer Jahre; sie kämpfte an der Seite ihres 1945 hingerichteten Mannes Helmuth James von Moltke gegen den Nationalsozialismus; sie litt unter dem südafrikanischen Apartheidsregime und der Geschichtsvergessenheit der frühen Bundesrepublik. Seit 1960 lebte sie in den USA mit dem Kulturphilosophen Eugen Rosenstock-Huessy zusammen und setzte sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs für die europäische Versöhnung ein. Frauke Geyken schildert auf der Grundlage bisher unbekannter Quellen und zahlreicher Gespräche ein unbeugsames Leben für Freiheit und Demokratie.

1
Eleganz und verfeinerte Lebensgewohnheiten

1911–1929

Kindheit am Rhein

Im Mai 1932 wurde der Besitz des Kölner Bankiers Carl Theodor Deichmann im Kunsthaus Lempertz versteigert. Der Auktionskatalog hatte den Umfang eines kleinen Buches und umfasste die Kategorien Meißner Porzellan der Frühzeit, europäisches Porzellan verschiedener Manufakturen, Gold, Silber, Bronze, Zinn, Email, Kristall, Orientteppiche, Möbel, Bücher, Graphik und Gemälde.[1]

Carl Theodor Deichmann (1866–1931) war der Vater von Freya Deichmann, die am 29. März 1911 in Köln geboren wurde. Ihr Geburtshaus, in dem auch ihre beiden älteren Brüder Carl (geboren 1906) und Hans (geboren 1907) auf die Welt gekommen waren, lag in der Trankgasse 7a direkt gegenüber dem Dom: ein großes, von den Kindern als düster erinnertes Palais, das 1868 im Stil des Historismus erbaut worden war. Hier lebten zwei Deichmann-Vettern, die in dritter Generation gemeinsam ein Bankhaus leiteten. Auf der dem Dom zugewandten Seite wohnte Carl Theodor Deichmann mit seiner Frau Ada und den drei Kindern. 1913 entschloss man sich, das Wohnhaus mit der Neorenaissance-Fassade abzureißen, um ein zweckmäßiges Geschäftsgebäude zu errichten. Heute beherbergt der Bau zwar keine Bank mehr, ist aber immer noch unter dem Namen Deichmann-Haus in Köln bekannt. Die Familie Carl Theodors zog um an den Georgsplatz 16, in das Haus einer Urgroßmutter, das elegant renoviert und mit den später versteigerten Luxusgegenständen reichhaltig ausgestattet wurde. Es sollte bis zum Untergang des Bankhauses Ende 1931 das Familiendomizil bleiben, in dem Freya, trotz Krieg und Inflation, eine behütete und – glaubt man den Memoiren ihres Bruders Hans – fröhliche Kindheit verlebte.

Die Sommer verbrachte man in dem 1908 erbauten Landsitz «Haus Hombusch» bei Mechernich in der Eifel, fünfzig Kilometer südlich von Köln. Während des Ersten Weltkriegs, bei dessen Ausbruch Freya drei Jahre alt war, konnte die Familie hier besser versorgt werden als in der Stadt.

image

Freya mit ihren beiden Brüdern Hans und Carl während des Ersten Weltkriegs

«Ich habe wunderschöne Kindheits-Sommerwochen auf dem Hombusch erlebt. Diese, mit ihren wunderbaren Gerüchen von Kiefern im Sonnenlicht und Phlox in Blumenbeeten, von Äpfeln und Brombeeren und von mir selbst auf einer der Steinkugeln am Einfahrtstor sitzend und singend, werden mir unvergesslich sein», schrieb Freya viele Jahrzehnte später an den heutigen Besitzer von Haus Hombusch.[2] Das Landhaus musste bereits 1928 im Zuge des Niedergangs der Bank verkauft werden.

Auch die Großeltern Schnitzler hatten ein großes Gut in der Eifel. Freya war oft zu Gast auf dem Giersberg, denn die Beziehungen zu ihren Verwandten mütterlicherseits waren gut und eng.

image

Haus Hombusch, der Sommersitz der Deichmanns in der Eifel

Das Bankhaus Deichmann

Die Deichmanns waren eine der reichsten Familien Kölns. Sie gehörten zur kleinen protestantischen Minderheit der Stadt, die lange unbedeutend gewesen war. Von den rund 40.000 Menschen, die 1794 hier lebten, waren lediglich 400 Protestanten.[3] Erst 1797 erhielten sie das volle Bürgerrecht in Köln, und damit begann der Aufstieg einiger evangelischer Familien, die sich im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts Ansehen, Macht und großen Reichtum erwarben. Viele von ihnen begannen als Handelshäuser und entwickelten sich zu Privatbanken. Die Firma Stein etwa war an einer Gerberei beteiligt, handelte später mit Getreide und war zeitweise im Weinhandel tätig. Mitglieder der Familien Joest, Herstatt und vom Rath importierten Zucker und betrieben bald eigene Zuckerraffinerien. Das erwirtschaftete Geld wurde zunehmend im Kreditwesen eingesetzt, und die genannten Familien etablierten sich in Köln als Bankiers neben dem bereits bestehenden Bankhaus Schaaffhausen. Freyas Urgroßvater, Wilhelm Ludwig Deichmann (1798–1876) aus Rodenberg am Deister, war dort 1818 als Lehrling eingetreten. Seine Heirat mit Elisabeth Schaaffhausen (1811–1888), der Tochter des Hauses, genannt Lilla, war für ihn ein wichtiger Karriereschritt. Er übernahm im selben Jahr, 1830, die Leitung der Bank und behielt sie, bis er 1858 zusammen mit Adolph vom Rath sein eigenes Bankhaus gründete. Deichmann & Co entwickelte sich zu einem der wichtigsten Finanziers der aufstrebenden Firma Krupp. Betrugen die eigenen Mittel des Hauses Deichmann im Jahr der Gründung noch 500.000 Taler, so war man 1871 in der Lage, Krupp drei Millionen Taler zu leihen, eine enorme Summe.[4] Deichmann, von Stein, Herstatt und Sal. Oppenheim jr. gehörten zu den Bankhäusern, die maßgeblich die rheinisch-westfälische Schwerindustrie finanzierten. Sie reihten sich ein in die Gruppe der familiengeführten Privatbanken im Deutschen Kaiserreich, die in der Frühphase der deutschen Industrialisierung eine führende, nahezu konkurrenzlose Rolle beim Aufbau wichtiger Industriebranchen spielten.[5]

image

Freya Deichmann um 1920

Als sich am Ende des neunzehnten Jahrhunderts moderne Kapitalgesellschaften entwickelten, konnten die Privatbanken im Konkurrenzkampf gegen Großbanken, Sparkassen und Kreditgenossenschaften jedoch immer weniger bestehen. Ihr Aktionsradius war durch das private Vermögen der Inhaber beschränkt, und dies reichte irgendwann nicht mehr aus, um den Geldbedarf industrieller Großbetriebe zu decken. Aber die Privatbankiers verschwanden damit keineswegs ganz von der wirtschaftlichen Bühne. Sie saßen weiterhin in den Aufsichtsräten bedeutender deutscher Kapitalgesellschaften. Spitzenreiter im Untersuchungsjahr 1927 war Louis Hagen vom Bankhaus Oppenheim. Er hatte achtundfünfzig Aufsichtsratsmandate inne, während Carl Theodor Deichmann, Freyas Vater, sich mit immerhin sechsundzwanzig Mandaten im oberen Mittelfeld bewegte.[6] Natürlich hatten sie die wirtschaftliche Kompetenz für diese Aufgabe, aber von mindestens ebenso großer Bedeutung waren die vielfältigen verwandtschaftlichen Verbindungen unter den Bankiers.

Die Deichmanns waren insbesondere mit den Familien Herstatt, von Stein und Schnitzler in einem engen Heiratsgeflecht verwoben. Von 1821 bis 1907 kam es zu elf direkten Eheschließungen zwischen den Familien. Hinzu kam eine Vielzahl von Verschwägerungen und entfernteren Verbindungen, die die familiäre Verflechtung nahezu undurchdringlich erscheinen lassen.[7] Interessanterweise blieben die christlichen und die jüdischen Heiratskreise streng getrennt. Interkonfessionelle Vorbehalte scheint es indessen nicht gegeben zu haben. Der Gründer des Bankhauses Deichmann, Wilhelm Ludwig, konnte als Protestant 1830 die katholische Lilla Schaaffhausen heiraten und sich damit die Leitung des Schaaffhausen’schen Bankvereins sichern. Zwar war dies eine der ersten, aber bei weitem nicht die letzte Mischehe in dem genannten Kölner Heiratszirkel. Die vier Söhne des Paares wurden evangelisch, die sieben Töchter katholisch erzogen.

Verwandtschaftliche Beziehungen sicherten auch die Geschäftskontakte ins Ausland. Der Bruder des Gründers, Adolf Deichmann (1811–1882), eröffnete eine Bank in Amsterdam. Die Heirat der Enkelin des Gründers, Emma Deichmann (1870–1944), mit Bruno von Schröder (1867–1940) im Jahr 1894 begründete gute geschäftliche Beziehungen nach London und New York. Die Schröders waren eine weltweit verzweigte Kaufmannsfamilie mit Ursprung in Quakenbrück, deren Aufstieg um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts begann. 1804 gründete Johann Heinrich Schröder das Bankhaus «J. Henry & Co.». Sein Sohn gleichen Namens (1825–1910) holte seinen Hamburger Neffen Bruno ins Geschäft, der 1904 in den preußischen Freiherrenstand erhoben wurde. Baron Bruno war in London ein höchst erfolgreicher Handelsbankier mit einem untadeligen Ruf, der sich sehr für die dortige deutsche Gemeinde engagierte. Er wurde bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs auf Anordnung des Innenministers quasi über Nacht naturalisiert, denn sonst wäre sein Vermögen als Feindvermögen eingezogen worden. Das hätte die Schließung der Schröder-Bank bedeutet, was als eine ernsthafte Bedrohung für den britischen und internationalen Finanzmarkt angesehen wurde.[8] Bruno von Schröder unterstützte die Kölner Deichmanns in den schwierigen Jahren nach der Liquidation der Bank. Und Freya sollte in den vierziger Jahren von Tante Emma in ihrem Testament bedacht werden. Helmuth James und Freya von Moltke waren bei ihren Besuchen in England oft zu Gast in Dell Park, dem Anwesen der Schröders in der Nähe von Windsor.

Kölner Verwandtschaften

Freyas Mutter Ada Deichmann (1886–1975) war eine geborene Schnitzler. Ihr Vater Paul von Schnitzler (1856–1932) war ein preußischer Landgerichtsrat und Gutsbesitzer. Der Kaiser erhob ihn 1913 in den Adelsstand. Paul von Schnitzler heiratete 1883 Fanny Emilie Joest (1861–1948). Die beiden Familien Joest und von Schnitzler lebten in Köln, eng bei- und miteinander. Als Fannys Mutter 1919 starb, verfasste Ada einen Lebenslauf ihrer Großmutter Joest, in dem es heißt: «Grossmama blieb nicht lange im Elternhaus, mit 21 Jahren heiratete sie am 20. Januar 1856 August Joest, den jüngsten der fünf Söhne des alten Carl Joest, die damals zu den wenigen Menschen in Köln gehörten, die durch Beziehungen nach London und Paris Gefühl und Verständnis für Eleganz und verfeinerte Lebensgewohnheiten hatten.»[9] Offensichtlich war die Verfasserin froh, dass die «Eleganz» ihren Weg nach Köln gefunden hatte; und «verfeinerte Lebensgewohnheiten» bestimmten zweifellos auch Freyas Kindheit und Jugend.

Die Deichmanns gehörten nicht nur in Köln, sondern im ganzen Deutschen Reich zu den Spitzen der Gesellschaft. Dies belegen auch ihre guten Beziehungen zum Kaiserhaus: Nicht nur war Paul von Schnitzler ein Freund Kaiser Wilhelms II., schon in der Generation davor hatte Lilla Deichmann gute Beziehungen zur Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach, die später die Frau Kaiser Wilhelms I. wurde. Beide hatten zur gleichen Zeit ein Mädchenpensionat in Weimar besucht, und das Kronprinzenpaar war oft zu Gast im Hause Deichmann. Zwei Generationen später waren Ella von Guilleaume (1875–1972), ebenfalls eine geborene Deichmann, und ihr Mann Arnold mit den Söhnen Kaiser Wilhelms II. befreundet, die in Bonn studiert hatten.

Ada, Lilla, Ella und andere Angehörige der genannten Familien engagierten sich in Kirche, Kultur und im vielfältigen Vereinswesen der Stadt. Ella und ihr Mann gründeten den Förderverein des Ostasiatischen Museums, dem auch der Cousin Carl Theodor Deichmann angehörte. Und Ella überliefert uns, im Ton ganz wie Ada, dass ihr Ehemann den ersten Tennisclub gegründet habe, «als in Köln sonst noch niemand wußte, was für ein Spiel das überhaupt war».[10] Aus der Familie von Adas Mutter ging das Rautenstrauch-Joest-Museum hervor, das auf der umfangreichen völkerkundlichen Sammlung von Carl Joest basierte. Lilla Deichmanns Interesse galt der Musik. Sie führte einen Salon, in dem Robert Schumann und Clara Wieck, Franz Liszt und Johannes Brahms verkehrten.

Die berühmteste Salonière ihrer Zeit im Rheinland war eine Halbschwester von Lilla Deichmann, Sibylle Mertens-Schaaffhausen (1797–1857).[11] Annette von Droste-Hülshoff zählte ebenso zu ihren Gästen wie Johanna und Adele Schopenhauer. Sibylle war aber vor allen Dingen eine anerkannte Archäologin, deren ausgedehnte Sammlungen von Münzen, Gemmen und Antiken berühmt waren. Nach ihrem Tod wurden sie in demselben Auktionshaus versteigert wie gut siebzig Jahre später der Besitz ihres Großneffen Carl Theodor Deichmann.[12] Von den Zeitgenossen als «Rheingräfin» tituliert, war Sibylle als Mäzenin aktiv. Sie förderte die Musik und unterstützte zum Beispiel die Errichtung des Bonner Beethovendenkmals. Außerdem war sie eine Mitbegründerin des Kölner Dombauvereins und förderte die Wiederbelebung des Karnevals in Köln. Ihre Urgroßnichte Freya dagegen war keine Anhängerin des Karnevals und hat ihn später an den verschiedenen Stationen ihres Lebens fern von Köln nicht vermisst.

Georgsplatz 16

Hans Deichmann, das mittlere der drei Deichmann-Kinder, beschreibt in seinen Memoiren Szenen aus dem Leben am Georgsplatz.[13] Nach dem Umbau des Deichmann-Hauses am Dom zu einem reinen Geschäftshaus lebte man seit 1913 am Georgsplatz in einem dreistöckigen «palastartigen Haus», das sich mit «wohlüberlegt bescheidener Vornehmheit» präsentierte und den vor ihm liegenden Altstadtplatz «unaufdringlich dominierte».

Im Erdgeschoss des Hauses lagen neben der Eingangshalle mit ihrer imponierenden Freitreppe auch das Esszimmer sowie ein Tanzsaal, «reich verziert mit Fresken und Spiegeln an Wänden und Decke, mit goldenen Stühlen und tiefen rosaseidenen Sofas». Im ersten Stock, in der Belétage, befanden sich die Wohnräume der Familie, während das zweite Stockwerk fast ausschließlich den Kindern vorbehalten war. Jedes der Kinder hatte ein eigenes Zimmer. Es war ein großes Spielzimmer eingerichtet worden, und auch die Kindermädchen hatten hier ihre Kammer.

Ein Kapitel seiner Erinnerungen widmete Hans Deichmann der Schilderung der großen Diners, die bis in die zwanziger Jahre im Hause Deichmann stattfanden. Die Kinder versteckten sich dann hinter einem großen Vorhang in der Halle und sahen die vornehmen Gäste zur Tafel schreiten. Diese war mit dem Wedgwood-Geschirr gedeckt, das die Initialen des Hausherrn trug: CTD für Carl Theodor Deichmann. Mit den goldenen Gabeln der Urgroßmutter speiste man das Dessert. Raffinierte Küche war natürlich «ebenso wichtig für den nie ausbleibenden Erfolg» wie die «absichtsvolle Tischordnung – hierarchisch, politisch und erotisch musste alles stimmen». Nicht umsonst sprach Hans Deichmann noch gut achtzig Jahre später von den «Empfänge[n] bei Hof», wenn er diese Festessen beschrieb, und sah die «königliche Mutter», die ihre Rolle als eine wichtige Gastgeberin in Köln formvollendet ausfüllte. Hans selbst setzte diese Begriffe in Anführungszeichen, aber bei aller Ironie schwingt auch Stolz mit auf sein «erfolgreiches» Elternhaus.

image

Georgsplatz 16: Im Zentrum von Köln, nur wenige Minuten vom Rhein entfernt, verbrachte Freya ihre Kindheit und Jugend.

Im Jahrbuch der Millionäre in der Rheinprovinz, in dem sich auch ein Großteil seiner Verwandtschaft wiederfindet, belegte Carl Theodor Deichmann 1913 einen der Plätze oberhalb des Durchschnitts. Zwar hatte er mit 13–14 Millionen Mark Vermögen nicht so viel wie der Mann seiner Kusine Ella (Arnold von Guilleaume mit 34 Millionen Mark), aber er lag weit vor den zahlreichen rheinischen Millionären, die «nur» 3–4 Millionen Mark vorweisen konnten.[14] Der gesamte Besitz des Vaters ging allerdings beim Zusammenbruch der Bank 1931 verloren. Freya kokettierte mit diesem Umstand, wenn sie sagte: «Ich heiratete als armes Mädchen.»[15]

image

Freya (links) mit ihrer Kusine Lilo von Schnitzler, 1917

Aber sie war als sehr reiches Mädchen aufgewachsen! Sie hatte eine von materiellen Sorgen freie, unbeschwerte Kindheit und musste wohl auch während des Ersten Weltkriegs und in den schwierigen Jahren danach nicht oder kaum hungern. Als junges Mädchen lernte Freya früh, sich in der Gesellschaft zu bewegen. Sie war in Europa zu Hause, wenn sie Tante Emma in London besuchte oder immer wieder Verwandte im nicht allzu fernen Paris, wo sie jeweils fließend Englisch oder Französisch parlierte. Ihre Herkunft vermittelte ihr eine Selbstsicherheit im Auftreten, die von ihrem Selbstbewusstsein als Person ergänzt wurde. Und dies gepaart mit der Gewissheit, in ihrer Familie gut aufgehoben und fest verankert zu sein. Freya war und blieb zeit ihres Lebens eingebettet in das Geflecht der engeren und weiteren Familie, und dies war ihr als Privileg bewusst: «Mein ganzes Leben war mir das immer klar, dass ich unter sehr günstigen Umständen lebte.»[16]

In Interviews erzählte sie, dass sie von ihren beiden Brüdern als kleine Schwester reichlich gepiesackt worden sei. Mit zunehmendem Alter wurde das Verhältnis der Geschwister jedoch immer besser, und es waren Carl und Hans, die Freya unterstützten, als sie 1945 als mittelloser Flüchtling aus Schlesien im Westen ankam. Freilich hatte sie später ihr Auskommen, aber sie hat für den Rest ihres Lebens nie wieder mit «goldenen Gabeln» gegessen. Darüber hat sie sich nie beklagt. Sie pflegte sogar einen betont schlichten Lebensstil. Einen bemerkenswerten Gegensatz dazu stellt die Kusine ihres Vaters, Ella von Guilleaume dar, die sich in ihren Memoiren sehr bewusst als Angehörige der Kölner High Society präsentierte. Das Buch, das ausgerechnet 1968 erschien, wirkt völlig aus der Zeit gefallen. Er beschreibt eine Lebenswelt von Chippendale und Steinway über das Luxuskaufhaus Liberty in London bis hin zu Unmengen von Personal, zum eleganten Morgenausritt und zum Diplomaten, der «dégoutiert von den ‹KZ› und den furchtbaren Greueltaten, die dort verübt wurden», erzählte.[17] Ella war immer ein Geschöpf des neunzehnten Jahrhunderts geblieben. Auch Freya war noch im Kaiserreich geboren worden, doch hatten Kindheit und Jugend eine auffällig geringe Bedeutung für sie. Ihre Mutter und ihre Brüder haben sie ihr Leben lang begleitet; sie waren ihr lebendiger Anknüpfungspunkt an diese Zeit. Der Verlust ihres Elternhauses aber wurde von ihr kaum je thematisiert, was nicht nur an ihrer Geringschätzung materieller Besitztümer lag. Es war Ausdruck ihrer Haltung, dass ihr eigentliches Leben begann, als sie Helmuth James von Moltke kennenlernte.

image

Carl Theodor Deichmann, Freyas Vater

image

Freyas Mutter Ada Deichmann

Der Vater spielte für Freya eine seltsam unbedeutende Rolle. Er war ein Außenseiter in der eigenen Familie. Später wird sie sogar Mitleid mit ihm äußern und vermuten, er sei einsam gewesen.[18] Carl Theodor Deichmann war zwanzig Jahre älter als Ada Schnitzler, die er 1905, fast vierzigjährig, heiratete. Es erwies sich bald, dass das Paar mehr trennte als verband. Carl Theodor soll schweigsam und verschlossen gewesen sein. «He was definitely not a man who was good at communication», berichtete Freya später ihrem Enkel James. Ihre Mutter hingegen sei sehr offen gewesen, «she was very open-minded».[19] Ihr Vater war Monarchist und blieb es auch in der Zeit der Weimarer Republik. Ada war bekennende Republikanerin und hatte die Kinder in ihrem Sinne erzogen. Hans erinnert sich, dass der Vater 1921 anlässlich des Todes der Kaiserin Auguste Viktoria im niederländischen Exil kaiserliches Schwarz-Weiß-Rot halbmast flaggen ließ – gegen den Protest der restlichen Familie. Er starb 1931, drei Tage nach Freyas Hochzeit, im Alter von fünfundsechzig Jahren.

Nach Freyas Ansicht war ihre Mutter «sehr viel stärker»[20] als ihr Vater. Wohl auch aus diesem Grund war die Ehe der Eltern nicht glücklich, weil sich die junge Frau von Anfang an als eine sehr selbständige Person zeigte. Zwar erfüllte sie die Erwartungen, die an sie gestellt wurden, war Mutter und repräsentative Gattin. Sie füllte die ihr in der Kölner Gesellschaft zugewiesene Rolle bravourös aus. Sie stellte diese Rolle auch nicht grundsätzlich in Frage. Und doch ging sie ihre eigenen Wege, indem sie sich vielfältige karitative und kulturelle Aufgaben in der Stadt suchte. Ada war die bestimmende Figur in der Familie. Die Kinder liebten und bewunderten sie sehr. «Sie war sehr unabhängig und machte uns unabhängig», sagte Freya im Rückblick auf ihre Kindheit.[21] Ada Deichmann lebte nach dem Tod ihres Mannes für einige Zeit in Paris. Später zog sie nach Bad Godesberg, wo sie ein Haus geerbt hatte. Sie verbrachte aber immer wieder längere Zeit im Haushalt ihrer Tochter in Südafrika und in den USA.

Vorbilder

Die unabhängige Mutter Ada, die musikalische Mäzenin Lilla und die archäologisch interessierte «Rheingräfin» Sibylle mögen für Freya Vorbilder gewesen sein. Ihre Schwiegermutter Dorothy von Moltke, die sie 1930 kennenlernen wird, muss dieser Aufzählung hinzugefügt werden. Sie alle waren starke und eigenständige Frauen. Hat Freya überhaupt Vorbilder gesucht? Brauchte sie welche? Sie selbst scheint über diese Frage gar nicht nachgedacht zu haben. Als sie im Jahre 2004 in einer amerikanischen Highschool als Zeitzeugin auftrat, stellte einer der Schüler die folgende Frage, die er mit dem bemerkenswerten Satz einleitete: «Wir wissen, dass Sie eine starke Frau sind. Wer war die einflussreichste Frau in Ihrem Leben und warum?» In der Aufzeichnung des Gesprächs sehen wir Freya überrascht: «Darüber habe ich noch nie nachgedacht.» Sie ließ sich Zeit mit der Antwort und sagte dann: «Ich denke, es war meine Mutter. Sie war ein sehr starker Mensch. Meine Mutter übte in beiderlei Richtung Einfluss auf mich aus, in positiver und in negativer Richtung. Ich hatte über viele Jahre eine sehr gute Beziehung zu ihr. Dann war ich sehr kritisch. Und dann war es ausgeglichen.»[22]

Die Mutter, die Brüder und das sichere Fundament einer sorglosen Kindheit sind ebenso gemeint wie die gemeinsame Zeit mit Helmuth James von Moltke, wenn Freya sich an das Jahr 1945 erinnert: «Ich hatte unendlich» – sie wiederholte und betonte bewusst – «unendlich viel im Rücken, um mit dem Leben neu anzufangen.»[23]

Wirtschaftliche Frauenschule Löbichau

«Ich hatte die Schule schon mit 16, eigentlich aus Faulheit, verlassen. Ich dachte: Ach, so lange in die Schule gehen! Was soll ich damit anfangen?» Freya beendete die Schule 1927 mit der Mittleren Reife, ohne zu wissen, was sie eigentlich tun sollte. «So sehr zielbewußt, karrierebewußt bin ich nie gewesen. Heute darf man das gar nicht laut sagen mit all den Frauen, die das so vorzüglich machen», sagte sie 1992 rückblickend in einem Fernsehinterview.[24] «Es kam mir überhaupt nicht in den Sinn, zu überlegen, was ich mit meinem Leben anfangen könnte.»[25] Auch ihre Mutter scheint keine besonderen Pläne für die Ausbildung ihrer Tochter gehabt zu haben.

Ada Deichmann selbst hatte nie eine öffentliche Schule besucht, war nur von Privatlehrern erzogen worden und hatte mit zwanzig geheiratet. Freya betonte verschiedentlich, dass ihre Mutter sicher in einem Beruf erfolgreich gewesen wäre, wenn sie eine gute Ausbildung bekommen hätte. Doch die sei ihr nicht zuteil geworden, «wegen ihrer Eltern, die diese sehr intelligente Tochter hatten und sie nicht gefördert haben» – «[they] did not push her on». Freya indessen scheint es ihren Eltern nicht übelgenommen zu haben, dass sie sie nicht «angetrieben» haben. Obwohl die erwachsene Freya von ihrer Mutter sagte, diese hätte sich selbst um eine Berufsausbildung kümmern müssen,[26] machte es das Mädchen Freya nicht anders als ihre Mutter: «I spent a whole year doing odd things», bekannte sie 1987 gegenüber ihrem Enkel James. In einem Fernsehinterview von 1992 formulierte sie etwas neutraler: «Ich hab kurz verschiedene Sachen gemacht.» Was genau? Sie habe ihrer Mutter geholfen, sagte sie. Möglicherweise hat sie diese bei ihren karitativen und kulturellen Aktivitäten unterstützt. «Dann hatte meine Mutter mir zugeredet, eine landwirtschaftliche Frauenschule zu besuchen.»[27]

image

Schloss Löbichau in Thüringen: Das um 1800 gebaute Rittergut beherbergte seit 1908 eine landwirtschaftliche Frauenschule.

Ab April 1928 besuchte Freya für ein Jahr die Wirtschaftliche Frauenschule Löbichau, die zwischen Gera und Altenburg liegt. Löbichau wurde 1908 gegründet und war dem Reifensteiner Verband angeschlossen. Dies war eine Vereinigung von Schulen, die auf Ida von Kortzfleisch (1850–1915) zurückging. Ida von Kortzfleisch war die Tochter eines preußischen Offiziers. Sie wuchs wohlbehütet und standesgemäß auf, den Vorstellungen ihrer Umgebung entsprechend, sollte die Ehe das Ziel ihres Daseins sein. Diesem Lebensweg widersetzte sie sich: «Da ein unbezähmbarer Bildungstrieb und bedeutende körperliche und geistige Kräfte mir innewohnten, denen nicht im mindesten die entsprechende Arbeit geboten wurde, so fühlte ich mich grenzenlos unglücklich. […] Ich wußte nur, wie grausam die liebevollsten Eltern mein Recht an Bildung und Arbeit kürzten, indem sie mich daheim sitzen ließen, bis etwas käme und mich mitnähme.»[28] Im März 1894 veröffentlichte Ida in der Täglichen Rundschau, einer Zeitung für die Gebildeten aller Stände, den Artikel: «Die allgemeine Dienstpflicht in der wirtschaftlichen Frauen-Hochschule», in dem sie die Frage stellte: «Wo sollen besorgte Eltern der höheren und Mittelstände ihre erwachsene Tochter zur weiblichen Berufsausbildung hinschicken?»[29] Denn im Grunde war Berufstätigkeit für höhere Töchter nicht vorgesehen, Mädchen konnten zu diesem Zeitpunkt kein Abitur machen, Frauen wurden in Preußen erst 1908 zum Studium zugelassen. Der Artikel löste eine ungeheure Resonanz aus, positive wie negative. Tatsächlich erfuhr Ida von Kortzfleisch so große Unterstützung von Gleichgesinnten, dass sie in den Stand versetzt wurde, 1897 bei Marburg eine erste wirtschaftliche Frauenschule nach ihren Vorstellungen zu gründen. 1900 folgte die Gründung der Schule in Reifenstein im Eichsfeld, die den später insgesamt zweiundfünfzig Einrichtungen ihren Namen gab. Die «Reifensteiner Schule» entwickelte sich zu einem Markennamen. Auch Freya benutzte in einem Interview diese Wendung, um zu erklären, was sie 1928 gemacht habe: Sie war in «Löwichau [sic], eine Reifensteiner Schule».[30] Damit war alles gesagt.

Töchter aus adligen Familien und aus der gehobenen bürgerlichen Schicht besuchten diese Internatsschulen, um dort zu lernen, zu arbeiten und gemeinsam zu leben. Es gab nur wenige Dienstmädchen für die gröbsten Arbeiten. Alles andere musste von den jungen Damen getan werden, die bisher in ihrem Leben weder gekocht, geputzt noch Feuer gemacht hatten, geschweige denn, es gewohnt waren, im Garten oder im Stall zu arbeiten. Denn die meisten von ihnen, in Löbichau waren es sechsunddreißig «Maiden», kamen aus der Stadt. Nun lernten sie kochen und backen, einmachen, schlachten, waschen, bügeln, handarbeiten, schneidern und saubermachen. Das Programm reichte vom Karpfenschlachten bis zur Tortenherstellung, erinnerte sich eine Schülerin des Jahrgangs 1928.[31] Es gab Schulfächer wie Obst- und Gemüseanbau, Geflügelzucht, wahlweise Schweinehaltung, Imkerei oder Molkerei. Die Schulen sollten sich zugleich auf diese Weise selbst versorgen. Ausgangspunkt dieses Konzepts war die Erfahrung Ida von Kortzfleischs, die sie zu Hause und bei Verwandten auf Gütern in Ostpreußen gemacht hatte: Es wurde von den Frauen erwartet, dass sie sich selbst beibrachten, einen großen Haushalt mit allem, was dazu gehört, zu führen – ohne dass es einen «geordneten Lehrbetrieb» für diese Frauen gegeben hätte.[32]

image

Freya in Löbichau

Ida von Kortzfleisch wollte die Frauen aber nicht nur auf eine professionellere Haushaltsführung festlegen. Ihr ging es auch darum, neue Berufe für Frauen zu erschließen. Viele Absolventinnen wurden Lehrerinnen an oder gar Leiterinnen von Reifensteiner Schulen. Sie konnten auch Gutssekretärin, Haushalts- oder Landpflegerin werden, einen Geflügelzucht- oder einen Gartenbaubetrieb leiten. Die Hausbeamtin – der Beruf wurde in den zwanziger Jahren staatlich anerkannt – sollte im Falle der Krankheit der Hausfrau deren Position im Haushalt einnehmen. Außerdem war vorgesehen, dass Reifensteinerinnen ländliche Sozialarbeit leisteten. Ida von Kortzfleisch legte Wert darauf, dass ihre Schülerinnen Kontakt zur bäuerlichen Umgebung herstellten. Sie sollten die Bauernfamilien aufsuchen und ihnen gegebenenfalls helfen. Ausbildungsberufe in Löbichau waren daher auch Kindergärtnerin oder Sozialbeamtin.

image

Moderne Einrichtung, häusliches Ambiente: Eine Postkarte aus den zwanziger Jahren wirbt für die Wirtschaftliche Frauenschule Löbichau.

Die Reifensteiner Schulen hatten den Anspruch, ihre Schülerinnen wissenschaftlich auszubilden. Neueste Erkenntnisse, die in der Molkerei, auf der Geflügelfarm, im Schweine- oder Ziegenstall, bei der Bienenzucht, beim Obst- und Gemüseanbau oder in der Küche von Bedeutung waren, fanden Eingang in den theoretischen Unterricht. Ernährungslehre war ebenso Bestandteil des Unterrichts wie Bürgerkunde oder einfache hauswirtschaftliche Buchführung. Wenn man sich ansieht, wie Kortzfleisch die Zielgruppe ihrer Schulen definiert, dann wird klar, warum sich Freya – oder wahrscheinlich eher ihre Mutter Ada – für eine Reifensteiner Schule entschieden hatte: «Die wirtschaftlichen Frauenschulen sollen vielen Mädchen, die nicht wissen ihre Zeit und ihre Kräfte zu verwerten, Gelegenheit geben, sich körperlich und wirtschaftlich auszubilden und durch Stärkung ihrer Willenskraft, Zuverlässigkeit und Pflichttreue zur Uebernahme eines Vertrauenspostens vorzubereiten.»[33]

Es war eine nützliche Ausbildung, die zugleich das Heiraten nicht behinderte. Warum Freya ausgerechnet in das weit entfernte Thüringen ging, kann heute nicht mehr geklärt werden.[34] Einiges spricht dafür, dass sie sich mit Freundinnen für dieses Schuljahr zusammengetan hat, denn auch eine Ruth Deichmann und ein Fräulein vom Rath finden sich im Löbichauer Jahrgang von 1928.[35] Freya erinnerte sich an die Schule in der für sie typischen lapidaren Art: «Da habe ich allerlei gelernt. Aber dort merkte ich eigentlich erst, wie leicht ich lernte. Da habe ich mir gedacht: Das hat doch keinen Sinn. Ich muß ein bißchen mehr lernen.»[36]

2
Eine große Liebe – erster Teil

1929–1931

Fraudoktor Eugenie Schwarzwald

Eine besondere Bedeutung in Freyas Leben sollte Dr. Eugenie – Genia – Schwarzwald erlangen. Die österreichische Reformpädagogin wurde von allen ihren Schülern und Schülerinnen fast ausschließlich «Fraudoktor» genannt. Denn sie war eine promovierte Germanistin, und eine Frau mit Doktortitel war zu dieser Zeit eine Ausnahme. 1873 in Galizien als Eugenie Nußbaum geboren, hatte sie in Zürich Germanistik, Anglistik, Philosophie und Pädagogik studiert. Die Schweiz war das erste Land in Europa, in dem Frauen studieren durften.

1901, mit nur siebenundzwanzig Jahren, übernahm sie ein bereits bestehendes Mädchen-Lyceum in Wien. Da ihr Doktortitel in Österreich nicht anerkannt wurde und sie keine österreichische Lehramtsprüfung abgelegt hatte, musste sie immer eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter nominell an die Spitze der Schule setzen, die sie de facto leitete. Auch sonst waren die fortschrittlichen Ideen der Frau Dr. Schwarzwald den Behörden im kaiserlichen Wien nicht ganz geheuer. Ihre Lieblingsidee, die Koedukation von Mädchen und Jungen, ließ sich erst in der österreichischen Republik vollständig verwirklichen. Unter den Nazis wurde das Lebenswerk der Jüdin zerstört, die Schule geschlossen, ihr Besitz konfisziert. Helmuth James von Moltke sollte ihr Anwalt werden, konnte allerdings auf juristischem Wege kaum noch etwas für sie tun. Sie starb 1940 in Zürich.

Eugenie Schwarzwalds Credo war, dass «Langeweile ein Gift ist, welches Kindern nicht einmal in kleinsten Dosen gereicht werden darf».[1] Sie selbst hatte keine guten Erinnerungen an ihre Schulzeit. Die zeitgenössische Literatur ist voll von Beschreibungen einer nicht nur phantasielosen, geisttötenden, sondern auch qualvollen Schulzeit, denken wir an Hermann Hesses Unterm Rad oder Robert Musils Verwirrungen des Zöglings Törleß. Stefan Zweig schrieb über seine Wiener Schulzeit: «Schule war für uns Zwang, Öde, Langeweile.»[2] Über die Lehrer äußerte er: «Sie liebten uns nicht, sie haßten uns nicht, und warum auch, denn sie wußten von uns nichts; noch nach ein paar Jahren kannten sie die wenigsten von uns mit Namen, nichts anderes hatte im Sinn der damaligen Lehrmethode sie zu bekümmern als festzustellen, wie viele Fehler ‹der Schüler› in der letzten Aufgabe gemacht hatte. Sie saßen oben auf dem Katheder und wir unten, […] zwischen Katheder und Schulbank, dem sichtbaren Oben und sichtbaren Unten stand die unsichtbare Barriere der ‹Autorität›, die jeden Kontakt verhinderte.»[3] Ganz anders Eugenie Schwarzwald: «Die Reform in dieser neuen Schule – nennen wir sie kurzweg die fröhliche Schule – beginnt beim Lehrer.»[4] Das Verhältnis von Lehrern und Schülern sollte von Vertrauen und gegenseitiger Anerkennung getragen sein. Die Erziehung war gewaltfrei – was noch bis weit in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts keine Selbstverständlichkeit an deutschen und österreichischen Schulen war. Die freie Entfaltung eines jeden Kindes sollte gewährleistet werden. Die Förderung der Phantasie war dabei ebenso wichtig wie der Turnunterricht auf dem Dachgarten der Schule mitten in der Großstadt Wien.

image

Freya und Helmuth James mit Eugenie Schwarzwald am Grundlsee, 1930

Während die Knaben bis zum achtzehnten Lebensjahr aufs Gymnasium gingen, um dann sofort mit dem Studium zu beginnen, endete die Lyceumsausbildung für Mädchen mit sechzehn. Daher bot das Schwarzwald-Institut zusätzlich zweijährige wissenschaftliche Fortbildungskurse an. Diese sollten den «jungen Mädchen nicht äußerlichen Gedächtnisstoff bieten, sondern vornehmlich zu selbständigem Denken, Arbeiten, und Lesen anregen».[5] Dies sei das « allerinteressanteste Schuljahr»[6] gewesen, erinnerte sich die ehemalige Schülerin Alice Herdan-Zuckmayer.

Eugenie Schwarzwald setzte mit der Auswahl ihres Lehrpersonals deutliche Zeichen. Adolf Loos unterrichtete Architektur. Ihm wird der Ausspruch «Ornament ist Verbrechen» zugeschrieben, was vor der Kulisse zeitgenössischer Gründerzeitzimmer ein revolutionärer Satz war. Er hatte nicht nur das Büro von Genia Schwarzwald gestaltet, sondern auch den Festsaal der Schule entworfen. Arnold Schönberg, Erfinder der Zwölftonmusik, gab Musikunterricht. Oskar Kokoschka, dessen Bilder von den Nazis später als «entartet» diffamiert wurden, war Kunstlehrer im Schwarzwald-Institut. Im Deutschunterricht las man Henrik Ibsen und August Strindberg, deren Theaterstücke das moderne Drama begründeten.

Ähnlich wie Ida von Kortzfleisch hatte Fraudoktor erbitterte Feinde und begeisterte Anhänger. Wohlhabende Eltern unterstützten sie mit Geld oder finanzierten Stipendien für Schüler und Schülerinnen aus ärmeren Familien, was dem philanthropischen Geist der Schule entsprach. Genia Schwarzwald gelang es tatsächlich, vielen ihrer Schülerinnen und Schülern eine vertraute Freundin zu werden. Nicht nur mit der oben zitierten Frau von Carl Zuckmayer verband sie enge Freundschaft, sondern auch mit der Schriftstellerin Hilde Spiel, der dänischen Autorin Karin Michaelis oder der Schauspielerin und Regisseurin Helene Weigel blieb sie zeitlebens in Kontakt.

Zahlreiche lebenslange Freundschaften entstanden auch im «Haus Seeblick» am Grundlsee. 1920 kaufte das Ehepaar Schwarzwald dies alte Hotel im Salzkammergut, um hier ein Ferienheim zu eröffnen. Hermann Schwarzwald war ein vermögendes Mitglied der österreichischen Finanzbürokratie und unterstützte die Ideen und zahlreichen Pläne seiner Frau. Im «Seeblick» konnten Schüler, Freunde und Gäste zum Selbstkostenpreis den Sommer verbringen. Es entstand ein internationaler Kreis, zu dem bald auch die Deichmanns und die Moltkes gehörten. Helmuth James von Moltke traf hier die einflussreiche amerikanische Journalistin Dorothy Thompson, die ihm eine enge Freundin wurde. Freya traf sie später in Vermont wieder, wo auch andere Schwarzwald-Freunde Zuflucht gefunden hatten, darunter der Pianist Rudolf Serkin. Noch Freyas Sohn Helmuth Caspar von Moltke wurde gleichsam Teil des Schwarzwald-Kreises, als er sich auf dem von Serkin gegründeten Marlboro Music Festival in Vermont ein Taschengeld verdiente.

image

Joachim Wolfgang von Moltke, Eugenie Schwarzwald, Helmuth James von Moltke (oben, von links), Jackie Vlielander-Hein, Daisy Freyberg und Dickie Vlielander-Hein (unten, von links) am Grundlsee

Neben ihrer schulischen Arbeit betrieb Eugenie Schwarzwald ein Wohlfahrtswerk.[7] Sie schickte mitten im Ersten Weltkrieg «Wiener Kinder aufs Land», richtete Kinder- und Ferienheime ein und betrieb Gemeinschaftsküchen – eine davon von 1923 bis 1927 auch in Berlin. Hier traf sie 1926 den jungen Studenten Moltke und lud ihn ein, den Sommer bei ihr am Grundlsee zu verbringen. Moltke kam und war so begeistert, dass er vom Oktober 1926 an für zwei Semester in Wien studierte, um vom Schwarzwald-Kreis profitieren zu können.

In der Berliner Suppenküche lernte Helmuth James auch den späteren Maler Rolf Brandt kennen. Er wie sein Bruder, der als Bill Brandt ein bekannter Fotograf werden sollte, wurden ebenfalls enthusiastische Anhänger der Schwarzwalds. Beide Brandt-Brüder waren wiederum mit den Deichmann-Jungen in die Schule gegangen. Carl Deichmann und Helmuth James von Moltke hatten 1922 gemeinsam ein unglückliches Schuljahr in einem Internat in Schondorf am Ammersee verbracht. Kurzum, man kannte sich und traf sich von nun an regelmäßig bei Fraudoktor.

«Ich sah ihn und mein Herz stand still»

Freyas Bruder, Hans Deichmann, studierte in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre ebenfalls in Wien. Das Verhältnis der Geschwister untereinander war mittlerweile ein enges und gutes geworden, und Hans wollte seiner Schwester zeigen, wovon er so angetan war: die Persönlichkeit von Genia Schwarzwald, ihren internationalen Kreis, die offene Atmosphäre, das heitere Miteinander am Grundlsee. Hans Deichmann und seine spätere Frau Senta, genannt Dickie, die sich ebenfalls über Fraudoktor kennengelernt hatten, waren beide begeisterte Schwarzwald-Anhänger.

Der Besuch im Sommer 1929 versprach also für Freya eine angenehme Abwechslung zum täglichen Lernen für das Abitur. Die Begegnung mit interessanten Menschen konnte für sie zugleich nützlich und anregend sein, denn Freya wusste immer noch nicht genau, was sie nach dem Abitur tun sollte: «Ich hatte kein Ziel im Leben»,[8] erklärte sie Jahrzehnte später ihrem Enkel James. Es gab eine Reihe von Dingen, die sie hätte tun wollen: studieren, die Welt sehen – ihr fehlte jedoch die Richtung, sie hatte keine rechte Orientierung. Ihre Mutter stimmte der Reise an den Grundlsee zu. Aber sie legte Wert darauf, dass ihre unverheiratete Tochter nicht ohne Anstandsdame fuhr – und fuhr mit.

image

Hans Deichmann und seine Frau Senta, genannt Dickie, in Paris, 1934

Vergeblich, wie sich bald herausstellen sollte. Freya sah Helmuth – und wich fortan nicht mehr von seiner Seite: «Ich sah ihn und mein Herz stand still.»[9] Noch mit neunzig Jahren würde sie rot werden wie ein junges Mädchen, als sie Freunden Helmuths ersten Liebesbrief zeigte und mit Emphase und großer Bestimmtheit erklärte, «sofort, sofort, sofort» habe sie gewusst: den Mann oder keinen.[10]

Sie war allerdings nicht die einzige, die von dem großen, gutaussehenden jungen Mann beeindruckt war. Daisy Freiin von Freyberg zu Eisenberg, zwei Jahre jünger als Freya, fand ebenfalls Gefallen an Helmuth, und so war man überwiegend zu dritt unterwegs. Helmuth seinerseits war der hübschen Daisy, die als Daisy d’Ora ein Stummfilmsternchen war und 1931 eine der ersten «Miss Germany» werden sollte, durchaus zugetan. In seinem ersten Brief an Freya im September 1929 von Berlin nach Köln bekannte er: «Seit einem halben Jahr war ich geradezu krank nach Daisy. […] Ich weiss jetzt, wie unglückliche Ehen zustande kommen; der eine Teil sagt sich ‹wenn man jemanden so liebt wie ich, so muss man ihn sich ziehen können›; und das ist falsch. […] Ich weiss nicht, ob mir das klar geworden wäre, wenn Sie nicht dagewesen wären. Ich glaube, dass ich das ohne Ihre Wärme, Liebe, Zärtlichkeit nicht so stark bemerkt hätte.» Wann genau sich Helmuth Freya zuwandte, ist nicht überliefert. Er fährt fort: «Seit ich Sie auf dem Bahnhof Aussee aus den Augen verlor, habe ich mich auf diesen Brief gefreut», und gesteht ihr, «dass dieser Sommer ein unerhörter Höhepunkt meiner Existenz gewesen ist; ein Höhepunkt nur im Verhältnis zur Vergangenheit; so ein Höhepunkt, bei dem man sich atemlos vor Staunen umdreht, um festzustellen, was einem bisher alles gefehlt hat: – um dann weiterzusteigen.» Den Mut, einen solchen Brief zu schreiben, habe er «nur aus der Überzeugung, dass Sie alles, was ich Ihnen sagen könnte, schon wissen und daher verstehen».[11]

image

Helmuth James von Moltke als Student in Wien, um 1928

Und so liest sich das, was Freya im November 1944 an Helmuth ins Gefängnis schrieb, fast wie eine Replik auf diesen ersten Brief: «Mein Jäm, ich liebe Dich sehr. Schon lange liebe ich Dich mit großer Inbrunst. Ich verstehe noch immer meine Tränen, die Mami und Asta nicht verstanden, wenn ich mich vor unserer Hochzeit von Dir trennen musste. Mir erschien alles Leben sinnlos, was nicht neben Dir war. Inzwischen habe ich gelernt, dass es auf die physische Nähe nicht so sehr ankommt – es kommt auf sie auch an, weil wir eben so schwache Kreaturen sind, aber nicht nur auf sie –, aber mein Leben erscheint mir immer noch sinnlos, wenn es nicht mit dem Deinen verbunden ist. Ich habe mich schon in Grundlsee als für Dich da seiend empfunden, sofort.»[12] Ihrem Enkel James sagte Freya 1987: «Ich kam in Helmuths Leben gerade in dem Moment, als er mich brauchte.»[13] Moltke hatte 1925 sein Studium der Rechtswissenschaften aufgenommen und war 1929 im Begriff, sein erstes juristisches Examen zu machen, als sein Vater ihn nach Kreisau zurückrief. Der Gutsverwalter Mau war gestorben, und es zeigte sich, dass dieser den Betrieb in einem desolaten Zustand hinterlassen hatte. Der Vater sah sich überfordert und beauftragte kurzerhand seinen noch in der Ausbildung befindlichen zweiundzwanzigjährigen Sohn, einen Ausweg aus der existenzbedrohenden Katastrophe zu finden. Helmuth James, der sehr an Kreisau hing, sah keine andere Möglichkeit, als der Aufforderung seines Vaters zu folgen. Er berichtete Freya regelmäßig über den Fortgang der Verhandlungen mit den Banken und den Gläubigern: «Aber wenn dann jede Unterredung damit anfängt, dass mir gesagt wird: Ihr Vorschlag ist lächerlich und unannehmbar, so kostet es unsinnige Nerven, die Pose des Uninteressierten beizubehalten, während man weiss, was auf dem Spiele steht, nicht nur für uns, sondern für eine Menge abhängiger Existenzen. Und gestern war ich gelegentlich ganz verzweifelt; denn ich bin doch vollkommen allein; jeder sagt mir: ich kann Ihnen gar nicht helfen, Sie machen es ja viel besser. Und wenn das auch sehr schmeichelhaft ist, so verzehnfacht, verhundertfacht es doch die Verantwortung. […] Liebe Freya, wenn ich die Sache erfolgreich überstehen sollte, so haben Sie daran den gleichen Anteil wie ich.»[14]

Trotz dieser schwierigen Lage und der großen Verantwortung, die auf seinen Schultern lastete, tritt uns Helmuth James in den Briefen aus dem ersten Jahr meistens heiter entgegen. Er plaudert aus seinem Alltag, schreibt auf, was es zum Mittagessen gab, und fasst dann zusammen: «Ich bin entzückt von dem, was ich bisher geschrieben habe. Ich finde es natürlich nicht etwa gut, sondern eher töricht, aber ich fühle mich so ausserordentlich wohl dabei.»[15] Ein paar Monate später schreibt er ganz verliebt: «Liebe Freya, ich habe Sie ganz ungeheuer lieb und ich wünschte mir, ich könnte Ihnen das immerzu sagen.»[16] Da Freyas Briefe ganz überwiegend nicht erhalten sind, können wir ihre Haltung nur in Helmuths Antworten erkennen: «Es ist der fröhlichste Brief, den ich je von Ihnen bekam; nicht so fröhlich, dass Sie sich über etwas gefreut hätten, sondern so, dass man das Gefühl hat, Sie sind froh, angefüllt, durchleuchtet. Und das hat mich ungeheuer gefreut.»[17]

«Ich küsse Dich so sehr ich kann»[18]

Helmuth und Freya wohnten sehr weit voneinander entfernt. Helmuth seufzte: «Liebe Freya, wenn Du Deine Entfernung doch wenigstens auf 5–6 Bahnstunden reduzieren könntest.»[19] Die Entfernung von Köln nach Kreisau beträgt fast 900 Kilometer. Fünfzehn Stunden dauerte die Zugfahrt (heute sind es immerhin noch etwa zwölf Stunden bis Krzyżowa). Man konnte schon damals mit dem Zug direkt bis nach Kreisau gelangen (auch heute noch hat Krzyżowa diesen Bahnhof). Helmuth war mittlerweile Referendar in Schweidnitz und nicht so leicht abkömmlich, zumal die Konsolidierungsprozesse in Kreisau immer noch von ihm begleitet wurden. Zwar hatten sich die beiden im Oktober 1929 in Berlin getroffen, als Freyas Vater eine Geschäftsreise dorthin machte. Doch das nächste Wiedersehen konnte erst im April 1930 stattfinden, in Wien bei Fraudoktor: «Diese eine Woche in Wien ist so sehr ein Teil von mir geworden, dass diese Zeit für mich garkeine Erinnerung, keine Vergangenheit bedeutet»,[20] schrieb Helmuth an Freya. Noch im selben Monat war Freyas erster Besuch in Kreisau geplant. Diesmal schickte Mutter Deichmann Hans als Anstandsbegleiter mit, was Freya mit «Da hat sie aber den Bock zum Gärtner gemacht!»[21] kommentierte. «Du kannst Dir nicht vorstellen, wie schön es dort war!», berichtete sie später ihrem Enkel James. «Ich liebte alles dort. Sie hatten kein Geld, aber das habe ich gar nicht bemerkt»,[22] ließ sich Freya noch im Rückblick von ihrer eigenen Begeisterung anstecken.

image

Das Kreisauer Berghaus heute

Die Familie von Moltke lebte auf dem Gut Kreisau in Schlesien, das der Urgroßonkel von Helmuth James, der Feldmarschall Helmuth von Moltke (1800–1891), gekauft hatte. Der General war derjenige, der durch seine militärischen Siege die faktischen Voraussetzungen für die Gründung des Deutschen Kaiserreichs geschaffen hatte. Mit der finanziellen Anerkennung, die er dafür vom Kaiser erhielt, kaufte der aus Mecklenburg stammende Moltke das Gut Kreisau. Er lebte hier in einem «Schloss» genannten Herrenhaus mit seiner englischstämmigen Frau Marie Burt (1826–1868).[23] Die Moltkes der dreißiger Jahre wohnten jedoch, als Freya sie besuchte, seit etwa einem Jahr im Berghaus, weil sie die Unterhaltskosten für das Schloss nicht länger aufbringen konnten.

Das Berghaus war ein einzeln stehendes, geräumiges Einfamilienhaus etwas abseits auf einem Hügel, oberhalb des Schlosses und der Gutsanlage. Der Feldmarschall hatte es für eine seiner Schwestern erbaut.

Als Freya im April 1930 zum ersten Mal nach Schlesien kam, waren auch die Großeltern aus Südafrika da, James und Jessie Rose Innes, die Eltern von Helmuths Mutter Dorothy, sodass Freya die gesamte Familie kennenlernte. Außer einem kurzen «We played Bridge»[24] ist aus jenem Jahr über diesen Besuch nichts weiter überliefert. Aber die Beschreibungen, die Dorothy über die Jahre aus Kreisau an ihre Eltern schickte, geben uns eine Vorstellung davon, wie er ausgesehen haben könnte. Gemeinsame Spaziergänge gehörten zum Tagesprogramm. Auch Granny, die südafrikanische Großmutter, die nie anders genannt wurde, liebte «exercise» ebenso wie Besuche bei Nachbarn oder Verwandten. Abgesehen von Konzert- oder Theaterbesuchen im nahe gelegenen Schweidnitz vertrieb man sich die Zeit an den Abenden mit Spielen, Lesen oder Vorlesen.

Nach dem Besuch bedankte sich Helmuth höflich bei Ada Deichmann und schrieb nach Köln: «Freya war reizend, froh, frei, voller Wärme, voller Schwung, voll liebenswürdigsten Interesses für alles, was geschah und vieles Andere noch.»[25] Wieder vergingen drei Monate, bevor sich das Paar erneut treffen konnte. Im August 1930 verbrachten sie drei Wochen gemeinsam am Grundlsee.

«Was macht Ihr Abitur?»

Freya bereitete sich unterdessen zu Hause auf die Abiturprüfung vor. Eine Lehrerin hatte ihr empfohlen, sie solle Privatstunden nehmen, anstatt wieder auf eine staatliche Schule zurückzukehren. Auf diese Weise könne sie viel Zeit sparen, ein Plan, der von den Eltern gebilligt wurde. So kamen etwa vom April 1929 bis zum September 1930 Lehrer für Deutsch, Geschichte und Mathematik für «ein paar Stunden die Woche»[26] ins Haus am Georgsplatz. Für die Sprachen wurde niemand zusätzlich engagiert, denn Englisch und Französisch hatte Freya schon früh zu Hause gelernt. Vermutlich hatte sie französische Gouvernanten, denn Freya erinnerte sich insbesondere daran, dass diese ihr vorgelesen haben, wenn sie krank war. Sie litt schon als Kind oft unter Kopfschmerzen. Eine junge Schottin, die die Musikhochschule in Köln besuchte, wohnte im Hause Deichmann und stand als Konversationspartnerin zur Verfügung.

image

Freya (sitzend, links) mit ihren Eltern in Italien