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Heike Bungert

Die Indianer

Geschichte der indigenen
Nationen in den USA

C.H.Beck


Heike Bungert schildert in dieser Gesamtdarstellung die Geschichte der indigenen Kulturen Nordamerikas, die Begegnung der Indianer mit den Euroamerikanern, die Vertreibung und den Versuch der Zerstörung indigener Gesellschaften, aber auch den Widerstand der Indianer. Ein besonderes Augenmerk richtet ihre kenntnisreiche Darstellung auf die bis heute schwierige Koexistenz zwischen dem Staat der USA und den Angehörigen der indigenen Nationen.

Heike Bungert ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Nordamerikanischen Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und eine ausgewiesene Expertin für indianische Geschichte.

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1: Ursprünge –» (14.000 v. Chr.–ca. 1400 n. Chr.)

Kapitel 2: Kultur, Sprache und Lebensweise vor der Ankunft der Euroamerikaner –» (1400–​1513)

Kapitel 3: Formen des Kontaktes und Auswirkungen –» (1513–​1689)

Kapitel 4: Von der Teilnahme an europäischen Kriegen zur Indianerpolitik der jungen USA –» (1689–​ca. 1820)

Kapitel 5: Indianische Erneuerungsbewegungen und der Widerstand gegen die Euroamerikaner –» (1762–​ca. 1820)

Kapitel 6: Die US-amerikanische Vertreibungspolitik und die Reaktion der Indigenen –» (1820–​ca. 1860)

Kapitel 7: Die Besiedlung des Westens und die Auswirkungen für die Indigenen –» (ca. 1840–​1890)

Kapitel 8: Versuche zur «Zivilisierung» der Indianer –» (1870–​ca. 1910)

Kapitel 9: Widerstand und panindianische Bewegungen –» (1870/1911–​ca. 1920)

Kapitel 10: Indigene und die neue Politik des Indian New Deal –» (1917–​1944)

Kapitel 11: Indianische Migration in US-amerikanische Großstädte und die «Terminations»-Politik –» (1944–​1970)

Kapitel 12: Die Red-Power-Bewegung –» (1961–​1978)

Kapitel 13: Eine neue Beziehung zwischen den USA und indigenen Nationen? –» (1968–​2019)

Karten

Anmerkungen

Literaturhinweise

Bildnachweise

Register

Vorwort

Das Interesse an «Indianern» in Deutschland, das seit dem 19. Jahrhundert besteht, ist ungebrochen. Nach wie vor sehen viele «die Indianer» jedoch nur als passive Opfer, die friedlich und glücklich im Einklang mit der Natur lebten und von imperialistischen, kolonialistischen, rassistischen, kapitalistischen Euroamerikanern verdrängt und ermordet wurden. Das ist aber nicht die ganze Geschichte. Zudem beschränkt sich das Wissen oft auf einzelne «berühmte» Indianer wie Pocahontas, Geronimo oder Sitting Bull. Schließlich enden viele historische Bücher oder Radiosendungen mit dem «Untergang» des «edlen» Indianers um 1900; moderne Indianer gibt es höchstens in Form des «Opfers» von Wounded Knee, des inhaftierten Leonard Peltier; sie scheinen nur noch ein Schatten ihrer selbst zu sein und eine «triste Existenz» zu führen.[1]

Das vorliegende Buch möchte diese Defizite überwinden und der interessierten Öffentlichkeit wie auch Studierenden ein Werk in deutscher Sprache bieten, das auf der Höhe der Forschung steht und die Erstbesiedler des nordamerikanischen Kontinents als aktive Individuen sieht.[2] Das Buch will der historischen Faszination, die von den Indianern ausgeht (auch ich habe als Kind «Sachbücher» und Abenteuergeschichten über Indianer gelesen), Rechnung tragen, dieses Interesse aber zugleich in wissenschaftlich fundierte Bahnen lenken.

Seit den 1980er Jahren hat sich in der New Indian History die Erkenntnis durchgesetzt, dass indianische Geschichte nicht nur die Geschichte der Beziehungen zwischen Euroamerikanern und Indianern beinhaltet. Außerdem haben HistorikerInnen und EthnologInnen – nicht zuletzt als Reaktion auf die indianische Bürgerrechtsbewegung oder Red-Power-Bewegung – festgestellt, dass Indianer keine passiven Opfer der Euroamerikaner oder Objekte der Geschichte waren. Vielmehr erscheint indianische Geschichte – trotz des Todes von potenziell 90 % der Indigenen aufgrund des Kontaktes mit Euroamerikanern und trotz der Vertreibungen und der Unterdrückung – als Interaktion verschiedener indianischer und euroamerikanischer Kulturen mit daraus resultierender Transformation aller Beteiligten. Indigene Gruppen waren und sind aktive kulturelle Gemeinschaften, die euroamerikanische Praktiken selektiv übernahmen, flexibel auf ihre Bedürfnisse zuschnitten und zugleich die euroamerikanische Gesellschaft beeinflussten. «Die» indianische Kultur gab und gibt es nicht, Indigene adaptier(t)en sich stets flexibel an ihre Umwelt und historische Veränderungen. Zudem sollte man nicht euroamerikanische, «westliche» Kulturen zum Maßstab machen, auch wenn zur Erklärung indigener Kulturen, insbesondere vor der Invasion der Euroamerikaner, gelegentlich westliche Marker wie Siedlungsgröße, soziale Stratifizierung oder Landwirtschaft hilfreich sein können.

Dementsprechend verfolgt das vorliegende Buch vier Hauptziele. Erstens soll die aktive Rolle indianischer Gruppen aufgezeigt werden. Hier geht es um Adaptationen euroamerikanischer Produkte, Lebensweisen und Kulturpraktiken, aber auch um das Erlernen indigener Anbaumethoden, -produkte und Lebensweisen durch die Euroamerikaner. Gezeigt werden soll auch, wie indianische Gruppen die Konkurrenz zwischen verschiedenen europäischen Nationen nutzten, um diese gegeneinander auszuspielen und aus einer Opferrolle herauszutreten. Daneben liegt ein Schwerpunkt auf indigenen Widerstands- und Revitalisierungsbewegungen. Zweitens soll ein Überblick über die gesamte indianische Geschichte gegeben werden, von der Besiedlung Nordamerikas durch die Vorfahren der Indigenen bis zur Situation der Indianer in den Vereinigten Staaten unter der Trump-Regierung. Dabei können natürlich nicht alle der über sechshundert Indianergruppen berücksichtigt werden, sondern der Schwerpunkt wird auf Gruppen liegen, die für die jeweilige Zeit als beispielhaft angesehen werden können. Drittens liegt ein Augenmerk auf indigenen Frauen und ihrer sich wandelnden Stellung innerhalb der indianischen Gruppen. Viertens sollen die gegenseitige Perzeption und insbesondere das jeweilige euroamerikanische Indianerbild einbezogen werden, das häufig die euroamerikanische Indianerpolitik wesentlich beeinflusste.

Wie aber steht es mit der Bezeichnung «Indianer»? Der Ausdruck «Indianer» stammt von Christopher Columbus, der glaubte, er sei in Indien angekommen. Während als deutsche Bezeichnung weiterhin «Indianer» gängig ist, herrschte in den USA lange der Begriff «Native Americans» vor. Viele Indigene bevorzugen jedoch mittlerweile «American Indians», weil sich theoretisch jeder in den USA Geborene als «Native American» bezeichnen kann. Dennoch wird sowohl «Native American» als auch «Native» und insbesondere «Native people» weiterhin gebraucht; «Indigenous» ist weniger üblich. Da im Deutschen keine Entsprechung für «Native» existiert, wird im Folgenden, wenn Sammelbegriffe nötig sind, von «Indianern» oder «Indigenen» gesprochen. «Euroamerikaner» wird als Sammelbezeichnung für Europäer, die schon länger auf dem Gebiet der späteren USA siedelten, sowie für «weiße», d.h. europäischstämmige US-Amerikaner benutzt. Die weibliche Bezeichnung ist jeweils mitgedacht, außer wenn explizit von Frauen die Rede ist.

Indianergruppen bezeichnen sich normalerweise mit ihrem jeweiligen Gruppennamen (z.B. Apachen), oft weiter unterteilt in Untergruppen (z.B. die Chiricahua-Apachen) oder Klans (z.B. Bitter Water Clan der Navajos) oder weiter untergliedert in Bands (z.B. Bedonkohe Band der Chiricahua-Apachen). Außerdem gibt es Gruppen, die durch Kooperation und Leben in derselben Umgebung ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt haben, wie die Columbia River Indians. Nicht alle indigenen Stammesgruppen sind als Stämme organisiert, alle wollen aber als souveräne Nationen anerkannt werden, weshalb der Begriff «Stamm» in diesem Buch nur bei feststehenden Begriffen benutzt wird.

Da die euroamerikanischen Namen vieler Indianergruppen entweder auf europäische Begriffe oder auf die Transkriptionen, meist negativer, Bezeichnungen zurückgehen, die benachbarte, rivalisierende Indianergruppen den «fremden» Gruppen gegeben hatten, insistieren viele indigene Nationen mittlerweile auf ihren eigenen Namen. Diese bezeichnen die eigene Gruppe häufig als «das Volk», «die Menschen», gelegentlich verbunden mit einer positiven Qualität. So nennen sich die Navajos heute «Diné» («das Volk/die Menschen»), die Delawares «Lenapes» («das Volk/die Menschen»), die Irokesen («Schlangen») bezeichnen sich als Haudenosaunee («Volk des Langhauses») oder der Winnebago Wisconsin Tribe statt als «Winnebagos» («Volk am stinkenden Wasser») als «Ho-Chunk Nation» («das Volk der Großen Stimme»).[3]

«Der Indianer» existiert ebenso wenig wie «der Weiße». Es gibt momentan 565 von der US-amerikanischen Regierung anerkannte Gruppen (davon ca. zweihundert in Alaska). Indigene Gruppen entscheiden als souveräne Nationen über ihre Mitgliedskriterien. In einigen Gruppen muss die Mitgliedschaft durch weibliche, in anderen Gruppen durch männliche Abstammung nachgewiesen werden. In vielen Gruppen muss man einen bestimmten Prozentsatz «indianischen Bluts» vorweisen, der von der Hälfte bis zu einem Zweiunddreißigstel variieren kann. Indigene sind auch nicht immer über ihre «Kultur» zu definieren. Viele «Indianer» haben indigene Traditionen aufgegeben oder mussten ohne ihre Kenntnis aufwachsen; andere sind in den ca. 320 US-amerikanischen Reservaten beheimatet, sprechen eine indianische Sprache und bemühen sich, indigene Kulturen und Lebensweisen zu erhalten.

Schließlich ist eine Selbstdefinition möglich, wie sich an den Zahlen der alle zehn Jahre stattfindenden Volkszählung zeigen lässt. Gaben bei der Frage nach der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe im Jahr 2000 noch 2,3 Millionen US-Amerikaner eine indianische Abstammung an, waren es 2010 schon 5,2 Millionen oder 1,7 % der Bevölkerung, wovon 2,3 Millionen gemischt-ethnischer Herkunft waren. Dies dürfte einerseits auf natürliches Bevölkerungswachstum zurückzuführen sein, auf eine gestiegene Lebenserwartung, auf neues indianisches Selbstbewusstsein, auf die Anerkennung neuer Gruppen, auf die Einwanderung Indigener aus Lateinamerika, insbesondere Mexiko, und auf die Möglichkeit von Mehrfachnennungen. Andererseits spielt sicher auch eine Rolle, dass es attraktiv geworden ist, sich auch bei mehrheitlich euroamerikanischen Vorfahren als indianischer Herkunft zu bezeichnen, auch wenn damit nicht automatisch Privilegien einhergehen; so hat Russell Thornton geschätzt, dass ein Viertel des Zuwachses zwischen 1970 und 1980 auf Wechsel in der Selbstidentifizierung zurückzuführen sei. In diese Richtung weist auch die fehlende Angabe der Zugehörigkeit zu einer bestimmten indigenen Stammesgruppe bei über der Hälfte der Nennungen, was allerdings auch daran liegen mag, dass 60 % US-amerikanischer Indianer mittlerweile mit Nicht-Indigenen verheiratet sind und damit die Kriterien für Gruppenzugehörigkeit oft nicht mehr erfüllen.[4]

Ein Wort noch zu den Quellen: Indianergruppen waren mündliche Kulturen. Daher bedient sich die sog. Ethnohistory sowohl Methoden der Geschichtswissenschaft als auch der Ethnologie. Mittlerweile kommen auch Soziologie, Archäologie, Linguistik, Ökologie, für die Ur- und Frühgeschichte Dendrochronologie (die Zeitrechnungen anhand von Baumrinden erstellt), Paläontologie oder Genetik hinzu. Aus der Geschichtswissenschaft stammen vor allem die Quellenkritik und die Untersuchung der historischen Umstände und Sichtweisen, aus der Ethnologie Feldstudien der Sprachen und Kulturen von Nachfahren indianischer Gruppen (Upstreaming) und die Nutzung mündlicher Erzählungen. Erzählungen änderten sich dabei mit den Umständen, so dass indigene Kulturen ebenso wenig als statisch betrachtet werden dürfen wie euroamerikanische.

Erste schriftliche Quellen aus indigener Hand stammen aus dem späten 18. Jahrhundert. Neben religiösen Texten entstanden Geschichten von Stammesgruppen, Reise- und Lebensberichte, die zwar meist die Anpassung an die euroamerikanische Gesellschaft als Überlebensstrategie akzeptierten, gleichzeitig aber indigene Kultur bewahren wollten. Im 19. Jahrhundert kamen – oft mit Hilfe von Euroamerikanern verfasste – Autobiographien hinzu sowie indianische Zeitschriften, von denen allein zwischen 1826 und 1924 mindestens fünfzig gegründet wurden.[5] Seit dem späten 19. Jahrhundert hatten genügend Indianer (englische) Schriftkenntnisse, um ihre Situation darzulegen. Seit den 1960er Jahren wurden zudem in Interviews Geschichten verschiedenster Indianergruppen gesammelt. Hauptquelle für indianische Geschichte des 15. bis 19. Jahrhunderts bleiben jedoch Quellen von Euroamerikanern, die sozusagen gegen den Strich gelesen werden müssen. Insbesondere französische Jesuiten, aber auch deutsche mährische Brüder oder Herrnhuter beschrieben indigene Gesellschaften und Kulturen dabei durchaus relativistisch und neutral statt kritisierend, solange sie nicht über Religion schrieben.

Insgesamt ist die indianische Sichtweise von Geschichte zeitloser, weniger telelogisch auf Entwicklungen bedacht als zyklisch, lokal statt global, auf Gemeinschaft und nicht auf Individuen ausgerichtet, auf mündliche Wiederholungen in Gruppensituationen angelegt, wobei häufig mnemotechnische Mittel wie Erzählstöcke oder Knoten genutzt wurden. «Schriftliche» Fixierungen der Geschichte einer Indianergruppe, z.B. durch Felszeichnungen, Wampums oder Zeichnungen auf Ledershirts, die sog. Winter Counts, enthalten die wichtigsten Ereignisse im Leben der Gruppe oder eines Individuums, wozu übernatürliche Ereignisse wie Kometenschauer, Wetterkatastrophen und Kriegsheldentaten gehörten, aber nicht unbedingt (feindliche) Begegnungen mit Euroamerikanern. Indianische Geschichte muss daher auch indigene Perspektiven und Sichtweisen mit einbeziehen. Insgesamt gilt, dass numerische Größen und Jahreszahlen oft unzuverlässig und widersprüchlich sind, so dass auf ungefähre Angaben zurückgegriffen wird.

Das vorliegende Buch beschränkt sich weitgehend auf die USA bzw. die Kolonien, die im Laufe der Zeit Teil der USA wurden. Die indigenen Bevölkerungen Alaskas und Hawaiis werden dabei nicht berücksichtigt, da die beiden Gebiete erst nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der USA wurden. Zu beachten ist, dass indianische Gruppen oft über von Euroamerikanern gezogene Staatsgrenzen hinweg siedelten, was jeweils mit einbezogen wird. Das Buch geht sowohl chronologisch als auch thematisch vor, so dass sich gelegentlich Kapitel zeitlich überschneiden.

Kapitel 1

Ursprünge

» (14.000 v. Chr.–ca. 1400 n. Chr.)

Datierung und Ursprünge der Besiedlung des nordamerikanischen Kontinents bleiben eine der großen Forschungsfragen. Archäologen streiten, welche der ständig neuen Funde nicht verunreinigt sind, Linguisten schlagen widersprüchliche Theorien vor, Anthropologen führen unterschiedliche Daten an. Auch Genetik oder Untersuchungen des Radiokarbongehalts konnten die Frage nicht zweifelsfrei klären bzw. kamen zu wieder anderen Schlüssen. Indianische Gruppen haben wiederum andere Vorstellungen und wehren sich teils gegen kolonisierende, angeblich wissenschaftliche Erkenntnisse, die auch sie zu Einwanderern in Nordamerika machen und ihnen damit ihren speziellen Status absprechen. Das Einzige, was sich sicher sagen lässt, ist, dass wir vieles nicht wissen und vermutlich vieles auch nie wissen werden.

Laut den neuesten Theorien wanderten die Vorfahren der heutigen Indianer 14.000 bis 11.000 v. Chr. nach Nordamerika, wenn Forscher auch vereinzelt von 50.000 bis 25.000 v. Chr. sprechen. Schon lange geht man davon aus, dass die ersten «Indianer» mit Hilfe einer zwischen neunzig und tausend Kilometer breiten Landbrücke über die Beringstraße aus Nordsibirien ins heutige Alaska kamen. Diese Brücke (Beringia) bestand aufgrund des abgesenkten Meeresspiegels während der Eiszeit als zumindest enger Isthmus von ca. 30.000/25.000 bis 11.000 v. Chr. Alternativ wird neuerdings das etappenweise Übersetzen in kleinen Booten an den Rändern von Gletschern und von Insel zu Insel vorgeschlagen. In jedem Fall folgten die Menschen ihrer Jagdbeute, d.h. Mammuts, Moschusochsen, Urpferden, Karibus, Bisons und Urelefanten oder Mastodonen, wobei es in Beringia erst ab ca. 14.000 v. Chr. größere Tiere gegeben haben dürfte.

Mittlerweile gehen viele Forscher von einem längeren Aufenthalt in Beringia aus. Menschen aus Nordostasien und Eurasien wanderten wohl ab 30.000 v. Chr. in möglicherweise mehreren Wellen zuerst in den westlichen Teil von Beringia und lebten dort ab ca. 23.000/21.000 v. Chr. bis ca. 15.000 v. Chr. relativ isoliert. Während dieser Zeit mutierte die DNA dieser Bevölkerung und entwickelte sich in verschiedene Varianten. Wenn man sich auf die statistisch noch nicht verlässliche Zahl von zwei ca. 13.000 Jahre alten Skeletten verlassen will, die in den letzten Jahren in den heutigen USA bzw. Mexiko gefunden wurden, entspräche die DNA dieser beiden Paläoamerikaner den genetischen Spezifika der heutigen Indianer.

Möglicherweise 14.000 v. Chr., eventuell auch schon früher, wanderten die ersten Menschen entlang der Küste von Beringia ins heutige Alaska. Sicher nicht mehr als 5000 Menschen bewegten sich potenziell in kleinen, mobilen Gruppen in Booten entlang der pazifischen Küste nach Süden. Da die Küsten früher bis zu hundert Kilometer weiter landauswärts lagen und eventuelle Lager- oder Wohnstätten der frühen Siedler damit heute im Schlamm am Meeresgrund liegen, gibt es jedoch nur wenig Beweise für diese Hypothese. Teilweise wanderten die Paläoamerikaner auch landeinwärts, so in Oregon. Eine größere Migration erfolgte tausend Jahre später und erreichte spätestens 12.000 v. Chr. Chile. Migrationsströme bewegten sich 12.000 bis 11.000 v. Chr. auch innerhalb des amerikanischen Kontinents über einen eisfreien Korridor in der Mitte des Kontinents.

Viele Wissenschaftler glauben, dass dieser ersten Migrationswelle der «AmerInd» zwei weitere folgten, die der Na-Dené oder Athabasken (10.000 oder 7000 v. Chr.) aus dem nordöstlichen Asien, die in den Nordwesten zogen, und die der Aleut-Eskimo-Gruppen (2500 bis 2000 v. Chr.)[6] aus Sibirien. Die Vielfalt indianischer Sprachgruppen spricht für die These multipler Migrationsströme, von denen der erste vielleicht nicht zur permanenten Besiedlung Nordamerikas führte, was die spärlichen Funde erklären könnte. Basierend auf Funden u.a. in Mexiko, besagt die neueste Theorie allerdings, dass es nur eine Ursprungsgruppe gab, die sich erst in Nordamerika auseinanderentwickelte. Die These mehrerer Migrationswellen, auch über Wasser, stünde ebenfalls im Einklang mit indianischen Schöpfungserzählungen, die oft von Wasser und haarigen Monstern (möglicherweise Mammuts) berichten oder Migrationen in Form verschiedener Stadien der Erschaffung andeuten.

Was den Ursprung der Bevölkerung Nordamerikas angeht, so weisen genetische, archäologische, biologische und linguistische Untersuchungen auf Ähnlichkeiten zu den Bewohnern (Nordost)Asiens hin. Waffenfunde legen potenziell eine Ähnlichkeit zu Kulturen in Japan und Korea nahe. Der Spirit Cave Man, der ca. 8400 v. Chr. lebte und seit den 1990er Jahren genauer untersucht wurde, weist Ähnlichkeiten mit den Ainu im modernen Japan auf, ist aber am nächsten verwandt mit heutigen Indianern. Auch die Buhl Woman aus Idaho, die ca. 9000 v. Chr. lebte, erhärtet die These einer Abkunft von Nordostasiaten und Eurasiern. Die Pioniere der Besiedlung waren nach Rekonstruktionen relativ große, kräftige Männer und sehr viel kleinere Frauen. Einige Linguisten postulieren, dass die Na-Dené-Sprachen chinesisch-tibetischen Sprachen ähneln, Inuktitut, die Sprache der Eskimos/Inupiat und Inuit, eher kaukasischen bzw. indoeuropäischen Sprachen.

Eine angebliche Ähnlichkeit zu Kaukasiern ist weitestgehend ad acta gelegt. Der Kennewick Man, gefunden 1996 im Staat Washington und ca. 9000 Jahre alt, erschien ersten Forschern des Innenministeriums kaukasoid. Daher glaubten viele Journalisten, dass sie nun einen Vorfahren der Europäer in Nordamerika nachweisen könnten, der beweise, dass Europäer vor den Indianern in Nordamerika gewesen und von den Vorfahren der Indianer ausgerottet worden seien. Das Ingenieurkorps des Heeres, das für das öffentliche Land, auf dem man das Skelett gefunden hatte, verantwortlich war, füllte 1998 die Ausgrabungsstätte, so dass keine weiteren Artefakte oder Skelette geborgen werden konnten. Die Motive sind bis heute unklar, vermutlich wollte man Streitigkeiten mit indigenen Gruppen oder die Entdeckung von Atommüll vermeiden.

Ein großer Streit entzündete sich daran, ob das Skelett des Kennewick Man, von Indianern «The Ancient One» genannt, direkt an eine Koalition aus Indianergruppen der Region übergeben werden müsse, um wieder begraben zu werden. Einige Wissenschaftler klagten dagegen, weil sie dies als eine Verletzung ihrer Bürgerrechte als Forscher betrachteten und weil die kaukasoide Skelettähnlichkeit eine Behandlung nach dem indigenen Grabschutz- und Rückgabegesetz verbiete. Ein Gericht entschied 2004, dass eine genetische Abstammung der klagenden Indianergruppen vom Skelett nicht bewiesen werden könne, und erlaubte eine wissenschaftliche Untersuchung. Diese ergab vor kurzem, dass der Kennewick Man hauptsächlich von Fisch lebte und vom Skelett her zwar den Vorfahren der Ainu oder Polynesier (genauer den Moriori östlich von Neuseeland) ähnelt, genetisch aber eng verwandt ist mit den Colville-Indianern in der Nähe seines Fundortes; diese begruben das Skelett Anfang 2017. Einige wenige Forscher behaupten weiterhin, dass Pfeilspitzen und Begräbnispraktiken sowie die Haplogruppe X im Genom an Europäer erinnerten, insbesondere aus dem Gebiet des heutigen Frankreich und Spanien.

Nachweisbar ist menschliche Besiedlung für das sog. Paläoindianische Zeitalter 14.000 bis 10.000/8000 v. Chr. Funde in Oregon und Texas legen nahe (u.a. Debra L. Friedkin Site), dass es bereits 12.000 v. Chr. bzw. 13.500 v. Chr. jagende und sammelnde Menschen gab, die auch im Boden nach Wurzeln gruben. Im westlichen Montana wurde ebenfalls ein Skelett auf 13.500 v. Chr. datiert.

Das Paläoindianische Zeitalter wird nach den Fundorten in verschiedene Phasen eingeteilt. Die Clovis-Kultur, 11.500 bis 9500 v. Chr., stellte die erste durchgängige Besiedlung Nordamerikas dar. Sie ist benannt nach Clovis, New Mexico, wo eine bestimmte Art von – sehr effizienten – Speerspitzen erstmals gefunden wurde. Großwildjäger suchten nach Mammuts, Elefantiden und Altbisons, die sie mit Messer, Speer oder Wurfspeer, dem sog. Atlatl, töteten. Die Clovis-Speerspitzen finden sich in vielen Regionen der USA. Sie hatten, meist beidseitig, in der Mitte eine Rinne, durch die das Blut der Jagdbeute abfließen und wo ein Schaft befestigt werden konnte, wodurch der Speer besser in der Beute steckenblieb. Sie bestanden aus Gestein mit scharfen Bruchkanten, das teilweise wohl gehandelt wurde. Die Jäger und Sammler lebten in kleinen Gruppen von vermutlich nicht mehr als 25 Menschen, hatten aber Kontakt zu benachbarten Gruppen. Die Kultur verschwand spätestens 9000 v. Chr., vermutlich mit dem Aussterben vieler Großwildarten, was auf Klimaveränderungen, vielleicht zu einem geringen Teil auch auf Jagddruck zurückzuführen ist. Zeitgleich gab es nach neuesten Erkenntnissen auch maritime Kulturen an der Westküste. Die Genom-Analyse eines Babys der Clovis-Kultur, des Anzick-1, das ca. 10.600 v. Chr. lebte, weist auf die Abstammung aller Indigenen der westlichen Hemisphäre – mit Ausnahme der Arktis – von den Clovis-Menschen hin.

Es folgte eine stärkere geographische Aufteilung. Die am weitesten verbreitete und bekannteste Kultur ist die Folsom-Kultur, ca. 10.500 bis 8000 v. Chr., benannt wiederum nach einem Fundort in New Mexico. Jetzt gab es mehr Gruppenaktivitäten, wie das Umzingeln von Karibus und Bisons, um die Herden über Felsvorsprünge in den Tod zu treiben; diese erforderten zeitweise stärkere Organisation mit Anführern für die Jagd. Man bearbeitete Nahrung und begann mit Vorratshaltung. Außerdem fand Austausch von Waren und Ideen über einen Radius von mehreren hundert Kilometern statt. Die Folsom-Funde beschränken sich auf die (Great) Plains/Großen Ebenen, den Südwesten und den Westen. Andere paläoindianische Gruppen siedelten im Nordosten, Südosten und Mittleren Westen. Insgesamt lebten 100.000 Paläoindianer in Nordamerika, die sich durch eine zunehmende kulturelle Diversität auszeichneten.

Im Archaischen Zeitalter, das regional unterschiedlich ca. ​8000 v. Chr. begann und zwischen 1000 v. Chr. und 500 n. Chr. endete, nutzten die Vorfahren der heutigen Indianer ihre Umwelt stärker aus. Die Menschen schwenkten auf kleinere Jagdbeute wie Bison oder Hirsch um und spezialisierten sich auf die in der jeweiligen Region nach der langsamen Erwärmung vorhandenen Nahrungsmittel. Sie pflegten z.B. Eichenwälder, damit sie mehr Eicheln produzierten, oder trockneten Fleisch wie das spätere Pemmikan. Essen wurde aufwändiger vorbereitet, wodurch neue Nahrungsmittel wie Eicheln nutzbar wurden. Bessere Mahlgeräte wurden konzipiert, Kupfer aus dem Gebiet der Großen Seen für Äxte, Beile und Speerspitzen genutzt. Schwere (Stein)Werkzeuge wurden hergestellt, die nicht über weite Strecken mitgenommen werden konnten. Da die Bevölkerung wuchs und die einzelne Gruppe sich auf einen kleineren Radius beschränkte, wurden in Bestattungsriten und Grabbeigaben zunehmend soziale Grenzen etabliert und zugleich das Territorium gegenüber benachbarten Gruppen abgesteckt.

Auch die klimatischen Bedingungen wirkten sich differenzierend aus. Von der Wüstenkultur im Gebiet des heutigen Utah bis Arizona (9000 bis 5000 v. Chr.) sind aufgrund des trockenen Klimas nicht nur Werkzeuge aus Stein oder Knochen, sondern auch Federn, Netze, Matten und Korbwaren erhalten. Die Bewohner sammelten Samen, Beeren, Nüsse, Wurzeln und Blätter, jagten aber auch Kaninchen und Erdhörnchen. Im Gebiet des Großen Beckens fand man Überreste von Erdhütten von 2100 v. Chr. und Dörfer an den großen Flüssen. Hier ernährten sich die Menschen auch von Fisch.

Im Osten machte die Natur es den dort lebenden Gruppen einfacher. Daher gab es eine größere Zahl auch kleiner Siedlungen und ausgedehntere Handelsnetzwerke. In Indian Knoll, Kentucky, fanden Archäologen Besiedlungsreste von ca. 3000 bis 2000 v. Chr. Es gab eine in Geschlechter unterteilte Arbeit und eine Elite von ca. 4 %, welche die Gesellschaft kontrollierte und ein Handelsnetzwerk zwischen Florida und den Großen Seen aufgebaut hatte.

Ab 3000 bis 2000 v. Chr. nutzten die Menschen Pflanzen in einer ersten Form von Gartenbau. Sie verwerteten beispielsweise Sonnenblumenkerne. Im östlichen Waldland wurden seit 2300 v. Chr. erste Kürbissorten aus örtlichen Arten gezüchtet. Für Lagerung und Transport wurden größere Gefäße hergestellt.

Bekannt und ungewöhnlich ist Poverty Point am Unterlauf des Mississippi (im heutigen Mississippi und Louisiana). Insgesamt fand man in einem Gebiet von ca. 1800 Quadratkilometern hundert Siedlungen mit zehn Schwerpunkten, die zwischen ca. 1800 v. Chr. und 1000 v. Chr. wohl als Metropolen existierten. Die Hauptsiedlung nahm zwei Quadratkilometer ein, mit sechs Erdwällen in einem Halbrund um einen Mittelhügel von 22 Meter Höhe, der sehr schnell errichtet wurde, möglicherweise als Teil einer rituellen Imitation der Schöpfung der Erde. Der Hügel befand sich am Punkt der Tag-und-Nacht-Gleiche. Der Zweck der Erdhügel ist bis heute unklar: Es kann sich um eine Siedlung, um einen Handelsknotenpunkt, um ein Verteidigungswerk oder, was am wahrscheinlichsten ist, um ein (wenig bewohntes) religiöses Zentrum gehandelt haben. Interessanterweise gab es jedoch keine Gräber. Derartig große Anlagen sind für eine Kultur von Jägern und Sammlern einmalig. Vermutlich nahmen die Anlagen Menschen unterschiedlicher ethnischer und sozialer Herkunft auf. Direkte Nachfolger finden sich nicht. Hügel gab es auch in Kalifornien 5000 bis 1000 v. Chr., teilweise als (religiöse) Treffpunkte, teilweise als Begräbnishügel, teilweise als Abfallhügel, die auf regelmäßige Wiederkehr an diese Orte deuten.

Das Archaische Zeitalter, in dem auch Athabasken und Aleuten/Eskimos nach Nordamerika kamen, ging im Südwesten in die Basketmaker/Korbmacher‑Zeit über, im heutigen Mittleren Westen bis Osten in die Woodland-Kulturen. Nun kam es zur Domestizierung von Pflanzen. Nach einer «Experimentierphase» und Klimawandel begann 100 v. Chr. bis 500 n. Chr. im Südwesten der Anbau von Mais, der sich langsam nach Norden und Osten verbreitete. Während Samen und Informationen über den Anbau aus dem Gebiet des heutigen Mexiko übernommen wurden, entwickelte man im Nordosten und im Gebiet der Großen Seen um 800 n. Chr. neue Maisvarianten, die mit kurzen Sommern auskamen. Insgesamt gab es bis zu 700 verschiedene Maissorten in Nordamerika. 800 bis 1000 n. Chr. kam es zu intensiverer Anpflanzung, und Mais wurde zu einem der Hauptnahrungsmittel. Auch die beiden anderen landwirtschaftlichen «Schwestern», wie die Irokesen/Haudenosaunee sie nannten, Kürbis und Bohnen, die als Düngemittel, Sonnen- und Unkrautschutz um den Mais herum angepflanzt wurden und gemeinsam mit diesem zu einer ausgewogenen Ernährung führten, wurden langsam eingeführt, Bohnen im Südosten ca. 1000 n. Chr.

Nun bildeten sich größere landwirtschaftliche Gesellschaften mit permanenten oder semipermanenten Siedlungen. Vorratshaltung konnte eine größere Bevölkerung ernähren, und zugleich waren mehr helfende Hände in der Landwirtschaft von Nutzen. Die Bedeutung von Frauen nahm zu. Mit dem Bevölkerungswachstum erfolgte eine politische, religiöse und wirtschaftliche Spezialisierung. Wissenschaftler sprechen von Management des Ökosystems, da Wälder für Jagd- oder Landwirtschaftszwecke brandgerodet wurden. Truthähne wurden gezüchtet. Viele Gruppen nutzten Hunde für die Jagd, in geringerem Ausmaß auch als Tragetiere. Gejagt wurde seit etwa 500 n. Chr. mit Pfeil und Bogen, die vermutlich von Na-Dené-Einwanderern aus dem Gebiet des heutigen Kanada mitgebracht wurden. Im Südwesten wurden auch Tabak, Agave, Fuchsschwanz und Baumwolle angepflanzt. Gegenstände wurden aus religiösen und wohl auch aus ästhetischen Gründen dekoriert, was wir heute als Kunst bezeichnen würden.

An landwirtschaftlichen Gesellschaften zu Zeiten der Korbmacher bzw. der Woodland-Perioden sind für den Südwesten die Kulturen der Hohokam und der Anasazi zu nennen, für den Osten und heutigen Mittleren Westen die Adena- und Hopewell-Kulturen. Die Hohokam («Die Verschwundenen») in Arizona und im Norden des heutigen Mexiko konnten seit dem 6. bis 8. Jahrhundert n.Chr. mit Hilfe von Bewässerungstechnik zweimal im Jahr Mais, Kürbis und Bohnen ernten. Sie bauten auch Baumwolle an, deren Fasern sie für Kleidung und deren Samen sie als Nahrung nutzten. Ihre Kanäle erstreckten sich über achthundert Kilometer und bewässerten ca. 30.000 Hektar. Die Hohokam lebten in größeren Siedlungen/Dörfern von hundert und mehr Einwohnern. Sie hatten Ballspielplätze und Erdhügel, die sie entweder aus Nordmexiko übernahmen oder selbst entwickelten, und importierten Papageien aus dem heutigen Mexiko. Spätestens um 1400 – die Blütezeit endete schon viel früher – zerstörten Dürren und zeitgleiche Überschwemmungen ihre Bewässerungssysteme, ihre Ernten und ihr regionales Netzwerk. Die Hohokam waren vermutlich Vorläufer der Pimas/Akimel O’odham und der Papagos/Tohono O’odham.

Die Anasazi (auf Diné «die Alten (Feinde)») bzw. Ancestral Pueblo Peoples oder Ancestral Puebloans dominierten 750 bis 1300 n. Chr. nördlich von den Hohokam in Arizona, New Mexico und Colorado und erreichten ihre größte geographische Ausdehnung um 1150. Die Ancestral Puebloans sind bekannt für ihre großen, mehrstöckigen Gebäude, die sie mit vermehrter Nahrungsmittelkonkurrenz seit spätestens 1250 auch in Felsen bauten. Während das Durchschnittshaus aus sechs Räumen bestand, gab es große Häuser/Dörfer wie Pueblo Bonito mit bis zu fünf Stockwerken, achthundert Räumen und 23 (unterirdischen) sog. Kivas für die Religionsausübung; die Häuser wurden wahrscheinlich von politischen Anführern, Priestern oder Verwandtschaftsgruppen in Auftrag gegeben. Ein Teil der Räume diente der Vorratshaltung, andere wurden wohl für Gäste bei großen religiösen Zeremonien freigehalten. Kulturell-religiöses Zentrum war lange der Chaco Canyon mit mehreren großen «Städten», vielen Streusiedlungen und ca. 5500 Einwohnern in einem Gebiet von ca. 65.000 Quadratkilometern. Ein System hoher Türme im Chaco Canyon diente der Kommunikation. Türkis wurde zu Schmuck verarbeitet. Um 1100 umfasste das Gebiet der Kulturen der Ancestral Puebloans ungefähr 5400 kleinere Siedlungen/Dörfer und 80 größere Siedlungen/Städte mit insgesamt 15.000 Einwohnern. Sie waren teilweise verbunden durch ein Straßennetz von bis zu 2000 Kilometern Länge mit einer Straßenbreite bis zu zwölf Metern. Vermutlich dienten die Straßen Pilgern auf dem Weg zum religiösen Zentrum Chaco Canyon. Ab 1150 bildeten sich neue Siedlungsschwerpunkte mit intensiverer Landwirtschaft, so in Richtung Mesa Verde im Norden.

Die Ancestral Pueblo Peoples betrieben Bewässerungsfeldbau, bauten seit 850 Baumwolle für Kleidung an und errichteten ein großes Handelsnetzwerk, das vom Pazifik bis nach Zentralamerika reichte. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts zerstreuten sich die Ancestral Pueblo Peoples. Hauptgrund ist eine Periode langer Dürre mit verstärkter Konkurrenz um Nahrungsmittel, kriegsartigen Zuständen und einer religiösen Krise. Hinzu kamen Raubbau an der Natur wegen zu schnellen Bevölkerungswachstums und die Migration nomadischer Athabasken-Dené-Gruppen aus dem Norden (Vorfahren der Apachen und Diné). Spätestens 1425 sah der Südwesten so aus, wie ihn die Europäer vorfanden. Die heutigen Pueblos entwickelten sich aus Nachfahren der Ancestral Puebloans.

Die Adena-Kultur ist eine frühe sog. Woodland-Kultur, benannt nach einem Fundort bei Chilicothe, Ohio. Sie bestand von ca. 900/700 v. Chr. bis 100/400 n. Chr. im Tal des Ohio, d.h. im heutigen Indiana, Kentucky, Ohio und West Virginia. Bekannt ist sie für ihre über dreihundert kreisrunden (Massengrab)Erdhügel. Die Adenas jagten, fischten, sammelten und betrieben etwas Gartenbau. Sie lebten meist in kleinen, verstreuten Siedlungen von nicht mehr als zwölf meist runden Hütten. Gefunden wurden Steinäxte und Speerspitzen, aber auch Schmuck aus Holz, Kupfer und Knochen. Austausch fand über eine größere Entfernung statt und wurde von Anführern von Verwandtschaftssippen organisiert.

Die Hopewell-Kultur, die von 200 v. Chr./100 bis 500 n. Chr. als mittlere Woodland-Kultur florierte, entwickelte sich in Illinois und kann als Weiterentwicklung der Adena-Kultur gesehen werden. Nun bauten die Menschen größere Grab- und teilweise Zeremonialhügel, meist noch rund, gelegentlich schon oben abgeflacht, ebenfalls innerhalb von wohl heiligen Erdwerken. Die Hopewell-Kultur breitete sich – in örtlichen Varianten – in einem größeren Gebiet aus, an Flussläufen von Louisiana im Süden bis Wisconsin im Norden, von Pennsylvania im Osten bis Missouri im Westen. Benannt wurde die Hopewell-Kultur nach einem Hügel in Ohio. Die Menschen lebten in kleinen, dorfähnlichen, möglicherweise mobilen Siedlungen in Sichtweite voneinander und waren vermutlich in größeren Gebilden zusammengeschlossen. Sie unterhielten ein großes Handelsnetzwerk. In Gräbern von politischen oder religiösen Anführern lassen sich Obsidian aus dem Gebiet des Yellowstone Flusses, Grizzlybärzähne aus den Rocky Mountains, Quarz aus North Dakota, Kupfer vom Lake Superior, Galenit oder Bleiglanz vom Oberlauf des Mississippi, Chlorit aus den südlichen Appalachen, Glimmerplatten aus North Carolina und Alligatorenzähne aus Florida finden. Dabei scheint es Importmonopole einzelner Familien gegeben zu haben, die wiederum bearbeitete Produkte zurücktauschten. Da das Klima sich erwärmt hatte, betrieben die Menschen einen intensiveren Gartenbau. Als es wieder kühler wurde, kam es zu Rivalitäten zwischen den Gruppen, von denen der Bau von Verteidigungsanlagen Zeugnis ablegt.

Heute noch sichtbar sind die abseits der Siedlungen gelegenen Grabhügel, die sich aus der Hopewell-Tradition in den späten Woodland-Kulturen, z.B. in der Fort Ancient-Kultur, entwickelten. Die Hügel im Gebiet des heutigen Illinois, Wisconsin und Iowa haben die Form von Tieren, so einer Schlange mit einem Ei im Maul. Sie waren durchschnittlich sechs Meter breit und konnten bis zu vierhundert Meter lang sein. Es scheint sich um Symbole spiritueller Kräfte gehandelt zu haben, aber auch um Begräbniszentren als Übergang zu einer anderen Welt bzw. Rückkehr zur Unterwelt.

Zu intensiverer Landwirtschaft kam es im Südosten zwischen 800/1000 und 1250 bzw. 1600 n. Chr. in den Mississippi-Kulturen, welche die Woodland-Kulturen ablösten. Neben Mais wurden auch Tabak, Sonnenblumen, Samenpflanzen und Knollenfrüchte angebaut. Schon in der späten Woodland-Kultur waren die Gemeinschaften größer, zentralisierter und hierarchischer geworden. Lange glaubte man, die Mississippi-Kulturen hätten sich aus dem Gebiet zwischen dem heutigen Peru und Mexiko ins südöstliche Nordamerika ausgebreitet. Mittlerweile geht man davon aus, dass sich die Kulturen aus einer regionalen Anpassung an die Umwelt aus dem Gebiet der Hopewell-Kulturen kombiniert mit dem Einfluss von Migranten entwickelten. Eventuell nahm man später religiöse und architektonische Symbole aus Mesoamerika auf und adaptierte sie, wie Adler, Schlangen, Unterwasserkreaturen oder die heldenhaften Zwillinge.

Mitglieder der Mississippi-Kulturen bauten große Erdhügel, die oben abgeflacht und nicht mehr rund, sondern rechteckig waren. Die Hügel wurden immer wieder erneuert, was auf Fruchtbarkeits- und Reinheitsrituale und mögliche Verbindungen zur späteren Green Corn Ceremony/Grünmaiszeremonie hinweist, zumal der Wohlstand auf eine neue Art von Mais zurückzuführen war. Die Zentren waren also nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch religiöser und politischer Natur. Während die Handelsnetzwerke wohl etwas weniger ausgedehnt waren als zuvor und sich vor allem auf Prestigeobjekte bezogen, war die Gesellschaft stärker hierarchisiert. Einfache Arbeiter bauten die Hügel, spezialisierte Handwerker fertigten Gerätschaften und elaborierte, verzierte Gegenstände an, eine Art Managerschicht war einerseits für Koordination, andererseits für Austausch und Verteidigung zuständig, erbliche Anführer, denen Tribut zu zahlen war, dienten als sakralisierte Mediatoren zwischen dem Fruchtbarkeitsgott und den Menschen, während Priester die symbolische Einheit aller Klassen betonten. Die Menschen siedelten in mit Palisaden befestigten Dörfern. Die Zentren der Mississippi-Kulturen waren größere Städte oder Verwaltungseinheiten von tausend bis fünftausend Menschen mit umliegenden Dörfern und Jagdgebieten. Archäologen sprechen teils von sekundären Staaten,[7] teils von Chiefdoms oder Complex Chiefdoms,[8] teils wehren sie sich gegen beide Bezeichnungen.[9]

Bekanntestes und offenbar beherrschendes Chiefdom war die Stadt Cahokia nahe dem heutigen St. Louis. Sie entwickelte sich ca. 1000 n. Chr. und hatte zu ihrer Blütezeit 1050 bis 1200 auf 14 Quadratkilometern sechs- bis fünfzigtausend, am wahrscheinlichsten aber zehn- bis fünfzehntausend Einwohner. Cahokia war bis Ende des 18. Jahrhunderts die größte Stadt nördlich des Rio Grande, mit so vielen Einwohnern wie London um die Zeit.[10] Hinzu kamen mindestens ebenso viele Menschen, die in einem Umkreis von 25 Quadratkilometern wohnten. Die Stadt hatte mehr als hundert oben abgeflachte, künstliche Hügel. Der Monk’s Mound bestand aus vier Terrassen, war über 30 Meter hoch, 290 Meter lang und 230 Meter breit; 622.000 bis 731.000 Quadratmeter Erde waren bewegt worden.[11] Die Hügel dienten als Unterbau für Tempel und als Wohnorte für die Elite, denen bei ihrem Tod sowohl weniger hochstehende Mitglieder der Elite als Menschenopfer beigegeben wurden, die dadurch auf ein besseres Leben nach dem Tod hoffen konnten, als auch Sklaven, die ihnen dienen sollten. Grabungen haben gezeigt, dass in Cahokia bis zu 53 junge Frauen auf einmal geopfert wurden, vermutlich aus religiösen Gründen. Dennoch blieben Menschenopfer, anders als in Mesoamerika, relativ selten.

Modell von Cahokia

Durch Migration entstanden kleinere Zentren in Aztalan, Wisconsin, Spiro, Oklahoma, oder Moundville, Alabama, das mit 29 Erdhügeln und 130 Hektar ein regionales Zentrum in einer Gesellschaft darstellte, die von Fischfang, Jagd und Maisanbau in Brandwirtschaft lebte. Daneben existierten Streusiedlungen oder Sekundär- bzw. Tertiärzentren, bei denen unklar ist, ob es sich um eigene kleine Fürstentümer handelte, oder ob Cahokia Kontrolle über ein Gebiet von 9300 Quadratkilometern ausübte. In jedem Fall gab es kulturelle Diversität: So fielen die Keramiken der verschiedenen Zentren sehr unterschiedlich aus, und die Menschen kommunizierten in Sprachen aus mindestens drei verschiedenen Sprachgruppen.

Mit Ausnahme kleinerer Zentren brachen die Mississippi-Kulturen kurz vor Ankunft der ersten Europäer zusammen. Cahokia war um 1350 nur noch ein Schatten seiner selbst. Große Zentren und Kultsymbole wurden vermutlich aufgrund von Dürren, von klimatischer Erwärmung zwischen 900 und 1200, aber auch von steigendem Grundwasserspiegel, von Raubbau an der Natur, insbesondere Bodenauslaugung und Kahlschlag, von Vermüllung, von Überbevölkerung, von Streitigkeiten innerhalb der Elite und von Migrationen feindlicher Gruppen aus dem Norden aufgegeben. Auch die Übertragung europäischer Krankheiten durch erste spanische Eroberer dürfte zu dem raschen Bevölkerungsrückgang und dem Zusammenbruch der Kulturen über zweihundert Jahre hinweg beigetragen haben.

Heutzutage gilt der Südosten aufgrund des Zusammenbruchs der Mississippi-Kulturen und der frühen und folgenreichen Kontakte mit den Spaniern als «Mississippi Bruchzone» oder Mississippi Shatter Zone.[12] Spanier stießen um 1540 und Franzosen 1673 noch auf kleinere Zentren der Mississippi-Kulturen, insbesondere die Natchez, die eine stark stratifizierte Gesellschaft mit dem Anführer «Große Sonne» und seinen Verwandten «kleine Sonnen» hatten, bei deren Tod auch die Ehepartner mit sterben mussten. Andere Nachfahren waren die Timucuas in Florida mit Kaziken, bei deren Tod ihre Besitztümer verbrannt wurden; die Chicazas im heutigen nordöstlichen Mississippi, aus denen sich die Chickasaws entwickelten; die Cherokees, die ähnliche Monster in ihrer Vorstellungswelt kannten wie Cahokia (Uktena, eine Mischung aus Schlange, Wild und Vogel); oder die Ho-Chunks, die Erzählungen übernahmen (so von Menschen mit menschlichen Schädeln als Ohrringen).

Kapitel 2

Kultur, Sprache und Lebensweise vor der Ankunft der Euroamerikaner

» (1400–​1513)

Um 1500 lebten fünf bis sieben Millionen Indianer[13] im Gebiet der heutigen USA, in 600 bis 700 Stammesgruppen. Sie verständigten sich in 300 bis 400 einzelnen Sprachen und – je nach Einteilung – acht bis 29 großen Sprachgruppen mit mindestens dreißig Einzelsprachen, für die es keine verwandten Sprachen gibt.[14]

Die indigenen Nationen unterschieden sich stark in Gesellschaftsstruktur, Politik, Religion, Kultur und Lebensweise. Indianische Gruppen hatten meist keine starke politische Führung. Sie lebten von Subsistenzwirtschaft in Form von Fischfang, Jagd, Landwirtschaft und Sammeln von Pflanzen, Beeren, Nüssen, Pilzen, Samen und Knollen. Bei der Jagd wurde die Beute maximal genutzt; so konnte man aus Häuten Kleidung und Behausung gewinnen, aus Knochen Werkzeuge, Nadeln und Waffen, aus Sehnen Bänder, aus Geweihen Projektile, aus Hufen und Hörnern Klebstoff.