Thomas Schauerte
ALBRECHT DÜRER
C.H.Beck
Albrecht Dürer (1471–1528) galt bereits zu Lebzeiten als großes Universalgenie. Heute ist er einer der bekanntesten deutschen Künstler überhaupt, versiert wie kaum ein anderer in den verschiedensten Medien und Techniken, sei es Zeichnung, Malerei oder Druckgraphik. Darüber hinaus ist Dürer in seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen seines Schaffens seiner Zeit immer wieder um Jahrhunderte voraus. Thomas Schauerte, einer der besten Dürer-Kenner, zeichnet in diesem Band anschaulich das Leben dieses einflussreichen Künstlers nach und führt kompetent in sein bedeutendes Werk ein. Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf Dürers intellektuellem Umfeld und seiner geistigen Entwicklung. Sie beruht vor allem auf den schicksalhaften Begegnungen mit zwei großen Denkern seiner Zeit: Konrad Celtis und Willibald Pirckheimer.
Thomas Schauerte leitete von 2009 bis 2019 unter anderem das Albrecht-Dürer-Haus in Nürnberg und ist seither Direktor der Museen der Stadt Aschaffenburg. Seit 1997 hat er sich in zahlreichen Büchern, Aufsätzen und Vorträgen mit Dürer und seiner Zeit auseinandergesetzt.
1. Dürers Nürnberg – Wiege des deutschen Humanismus
2. Intellektuelle Impulse: Dürer und Konrad Celtis
3. All’antica: die großen Kupferstiche
4. Dürer – der neue Apelles
5. Der Mentor: Willibald Pirckheimer
6. Eine Frage der Ehre: Dürer arbeitet für Kaiser Maximilian
7. In Bildern denken: Melencolia
8. Zwischen Ruhm und Reformation: die Reise in die Niederlande
9. Was bleibt?
Literatur
Überblicke und Werkverzeichnisse
Monografien und Ausstellungskataloge
Weiterführende Literatur
Bildnachweis
Personenregister
Das meiste, was Albrecht Dürers Nürnberger Lebenswelt einst ausgemacht hat, ist kurz vor Kriegsende zugrunde gegangen. Darunter befand sich etwa sein mutmaßliches Geburtshaus beim Hauptmarkt, das zum Anwesen der Familie seines nachmals engsten Freundes Willibald Pirckheimer gehörte. Hier wohl kam er am 21. Mai 1471 als Sohn des angesehenen Goldschmieds Albrecht Dürer d. Ä. (ca. 1427–1502) und der Goldschmiedstochter Barbara Holper (1452–1514) zur Welt. Auch das mittelgroße Eckhaus am Burgberg, Stätte seiner Kindheit und von 1481 bis 1486 der Goldschmiedelehre beim Vater, ist untergegangen, und dies gilt schließlich wohl ebenso für die Malerwerkstatt des Michael Wolgemut (1434–1519), bei dem er bis 1490 seine zweite, entscheidende Lehre absolvierte.
Auch wenn der Wiederaufbau Nürnbergs große Rücksicht auf die Vorkriegsgestalt nahm und viele stadtprägende Bauten rekonstruiert wurden, ist seit dem Januar 1945 eines der bedeutendsten und geschlossensten europäischen Stadtensembles des Spätmittelalters unwiederbringlich verloren gegangen. Die Jahrzehnte um 1500, die auch Dürers Leben umschließen, gelten dabei bis heute als besondere Blütezeit der Reichsstadt. Sie befand sich zudem im Zenit ihrer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht. Ein relativ geschlossenes Staatsgebiet, größer als so manches Fürstentum im Heiligen Römischen Reich, umgab die stark befestigte Stadt, und die Wege ihres Fernhandels und Geldes durchzogen die halbe Welt. Doch mit der Einführung des neuen Glaubens 1525 war das seit dem Hochmittelalter so enge Treueverhältnis zu Kaiser und Reich empfindlich gestört, und im Dreißigjährigen Krieg büßte die Stadt dafür schwer: Ohne je auch nur beschossen worden zu sein, waren doch das Umland verwüstet, die Staatsfinanzen desolat und die alten Handelswege unterbrochen. Bis zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert setzte ein allmählicher Niedergang ein, und als das Reich 1806 aufgelöst wurde, konnte das einst so stolze Nürnberg der Annexion durch das neue Königreich Bayern keinen nennenswerten Widerstand mehr entgegensetzen – ein Tiefpunkt war erreicht. Dass er aber zugleich ein Wendepunkt wurde, hat nicht zuletzt mit der Person Albrecht Dürers zu tun: Die beiden romantisch gesinnten Erlanger Studenten Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck hatten 1796 Nürnberg besucht, und ihre Begeisterung für die «altfränkische» Stadt und ihren bedeutendsten Sohn kulminierte in der kleinen Schrift «Ehrengedächtnis unseres ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers». Damit gehörte Nürnberg von Beginn an zu den Sehnsuchtsorten der – nicht nur deutschen – Romantiker mit ihrer schwärmerischen Mittelalter-Begeisterung.
Wie durch ein Wunder hat Dürers stattliches Haus am Burgberg, das ihm von 1509 bis zu seinem Tod am 6. April 1528 Wohn- und Arbeitsstätte gewesen ist, das Inferno 1945 überstanden (Abb. 1). Doch obwohl es schon 1828 als Künstlergedenkstätte eröffnet wurde, ist einzig die Küche noch in ihrer authentischen Funktion erkennbar geblieben. Wo Dürer also geschlafen, gegessen und vor allem: gearbeitet hat, ist heute kaum mehr nachvollziehbar.
1 Dürer-Haus in Nürnberg
Dabei hat es bis ins 18. Jahrhundert hinein kaum einen zweiten deutschen Künstler gegeben, dessen Leben so dicht von schriftlichen Quellen aus eigener und fremder Feder begleitet wird. Doch nimmt man die niederländischen Reisenotizen von 1520/21 (s. Kap. 8) aus, dann berichtet so gut wie kein Dokument von Dürers Alltagsleben, und auch der sonst so ergiebige Fundus historischer Gerichtsakten gibt bei ihm kaum etwas her. So darf man all den lateinischen Lobeshymnen von 1528 aus Anlass von Dürers Tod wohl Glauben schenken, wenn sie von seinem tadellosen Charakter und seiner entsprechenden Beliebtheit berichten. Dies wird umso plausibler, wenn man bedenkt, wie glatt und – zumindest äußerlich – konfliktarm sein Leben im Grunde verlaufen ist. Ernsthafte Künstler-Konkurrenten, die er mit allen Mitteln aus dem Wettbewerb hätte drängen müssen, gab es weder in Nürnberg noch anderswo, und der größte Schmerz, von dem er selbst berichtet, war der Tod seiner Eltern 1502 und 1514, die zudem beide ein relativ hohes Alter erreicht hatten. Auch verzeichnet er sorgsam, dass von seinen insgesamt 17 Geschwistern 15 im frühen Kindesalter verstorben waren. Überlebt hatten nur seine beiden Brüder Endres (1484–1555) und Hans (1490–1534), die aber – wie Dürer selbst – kinderlos starben, der eine als Goldschmied, der andere als Maler im fernen Krakau. Wenn Dürer seine Eltern also als fromm und rechtschaffen, aber streng und wohl auch ein wenig grämlich charakterisiert, überrascht das angesichts all dieser Schicksalsschläge kaum.
Doch wird in Dürers Kindheit auch die Basis für einen schwerwiegenderen Konflikt gelegt, der ihn sein ganzes Leben lang belasten sollte, der zugleich aber auch kreative Kräfte freisetzte. Denn so dürftig wie die einzige, knappe Nachricht darüber ist auch seine Schulbildung gewesen: Lesen und Schreiben, vielleicht noch die Grundrechenarten waren das, was für den Sohn eines Handwerkers, der ja seinerzeit selbst nicht mehr gelernt hatte, als ausreichend angesehen wurde. Zudem waren die vier Nürnberger Lateinschulen alle in kirchlicher Hand, und selbst für einen so frommen Mann wie Dürer senior dürfte das Risiko zu groß gewesen sein, seinen talentierten Ältesten in eine Klerikerlaufbahn entschwinden zu sehen. So deutet nichts darauf hin, dass der Knabe, der in seinen Lehrbüchern einmal Perspektivik und die menschliche Proportion, Geometrie, Algebra und sogar Festungsbaukunde behandeln sollte, der Astronomie und das Lautenspiel betrieb, mehr als eine schulische Grundausbildung genossen hatte. Doch blieb ihm dabei vor allem die lateinische Sprache als universaler Zugang zu jeder geistigen Verfeinerung und als Basis der humanistischen Bewegung zeitlebens verschlossen. Umso verblüffender also, wie Dürer auf dieser schmalen Bildungsgrundlage zu einem der bedeutendsten Stilisten der frühen deutschsprachigen Wissenschaftsprosa werden konnte.
All diese Bemerkungen müssen aber hinter der Feststellung zurückstehen, dass es in Dürers Jugend auch viele äußerst glückliche Weichenstellungen gegeben hat, die so in kaum einer anderen Stadt denkbar gewesen wären. Sie sollten ihm alsbald helfen, die Grenzen vom Handwerk zur Hochkultur auf seine Weise – mit seinen Werken nämlich – zu überwinden. Da war zunächst der Umstand, dass Nürnberg einer der Hauptorte des deutschen Frühdrucks war und dass bei seiner Taufe mit dem ehemaligen Goldschmied Anton Koberger (1440–1513) ein Mann Pate gestanden hatte, der ab den 1480er Jahren zu einem der größten Druckunternehmer Europas werden sollte und mit Blick auf Dürers Karriere kaum zu überschätzen ist. Für seine meist lateinischen Bücher pflegte Koberger Kontakte und Vertriebswege über den gesamten Kontinent hinweg – zu den gleichen gebildeten und wohlhabenden Kunden, die sich wenig später auch für Dürers Druckgrafik interessieren sollten. Bemerkenswert ist ferner, dass der junge Dürer die Goldschmiedelehre beim Vater 1486 nach immerhin fünf Jahren zugunsten einer erneuten Ausbildung abbrechen konnte, was diesen nach Dürers eigenem Bericht wegen der verlorenen Zeit auch zutiefst verdross. Wie sich hier der unmündige Sohn hatte durchsetzen können, der seinem Vater eigentlich absoluten Gehorsam schuldig gewesen wäre, bleibt ein Rätsel, so dass gewichtige Fürsprecher – Michael Wolgemut selbst, Pate Koberger oder der einflussreiche Sebalder Kirchenpfleger Sebald Schreyer – in Erwägung gezogen werden müssen. Immerhin gab es ein starkes Argument für den Wechsel in die Werkstatt Wolgemuts: Die Buchillustration schickte sich soeben an, von einem vernachlässigten Randbezirk der grafischen Künste zu einer echten Innovations- und Wachstumsbranche zu werden, und seine Malerlehre bei Wolgemut brachte für Dürer bedeutende Impulse in genau diese Richtung. Dort nämlich wurden zwei herausragende Werke des frühen Buchdrucks, der Schatzbehalter und die berühmte Schedelsche Weltchronik, mit Hunderten von Holzschnitten höchst aufwendig, vielfach ganz- oder sogar doppelseitig illustriert und 1489 und 1493 bei Koberger gedruckt. Deren neuartige Qualität bedeutete einen Quantensprung in der Ausstattung teurer Bücher; doch vor allem eröffnete sich hier für den Künstler neben der Malerei und dem bereits blühenden Kupferstich ein neues, unabsehbar weites Betätigungsfeld, das keinen Beschränkungen durch strenge Zunftordnungen unterlag. Es ist naheliegend, dass der junge Dürer, der die Gattung Holzschnitt schon wenige Jahre später revolutionieren sollte, an diesen so umfangreichen Arbeiten in irgendeiner Form beteiligt gewesen sein dürfte, ja vielleicht waren die beiden Großaufträge und der entsprechende Personalbedarf sogar ein gewichtiges Argument für Dürers Wechsel in Wolgemuts Malerwerkstatt gewesen.
Damit aber ist zugleich ein altes Problem der Dürer-Forschung angesprochen: die nur punktuelle Überlieferung eines druckgrafischen oder malerischen Frühwerks und die kaum schlüssig zu beendende Diskussion um Nürnberger Buchholzschnitte, die Dürers Autorschaft oder zumindest seine Beteiligung daran erkennen lassen. Dies muss ebenso für Tafelbilder und Altäre aus dem Umkreis der Wolgemut-Werkstatt gelten. Immerhin lassen sich auf dem Wege der Stilkritik im Schatzbehalter eine Reihe von Merkmalen benennen, die später auch auf sicher zuschreibbaren Dürer-Holzschnitten zutage treten: die reduzierte und dennoch charakteristische Schilderung von Landschaften, das Gefühl für Perspektivität und die räumliche Verortung der Figuren, für die dramatischen Momente der Handlung und die deutlichen Ansätze zu einer Individualisierung menschlicher Gesichter selbst in kleinstem Format. Die Höllensturz-Szene des Schatzbehalters (Abb. 2) zeugt hier nicht nur von blühender Fantastik und Dramatik, sondern besticht nicht zuletzt durch eine sichere und geschmeidige Linienführung, wobei die Physiognomien der Engel auch in gesicherten Werken Dürers auftauchen. Vieles weist hier zudem auf die zweigeteilten Bildräume der Apokalypse voraus (Abb. 20, 21) und hallt noch in einer von Dürers frühesten Buchillustrationen nach, die 1489 als Titelholzschnitt eines lateinischen Lobgedichts der jungen venezianischen Humanistin Cassandra Fedele bei Konrad Danhauser in Nürnberg erschien. Nicht nur hatte es Dürers Mentor Sebald Schreyer herausgebracht, sondern das Büchlein enthält auch die programmatische Ode an Apoll des Humanisten, Dichters, Philologen und Kulturpolitikers Konrad Celtis (1459–1508), mit dem Dürer alsbald in engsten Kontakt kommen sollte.
2 Albrecht Dürer (?), Höllensturz, Buchholzschnitt aus: Stephan Fridolin, Der Schatzbehalter, Nürnberg 1491, fol. 13r, München, Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Rar. 293b
1490 jedenfalls hatte Dürer bei Wolgemut ausgelernt und begab sich nun auf die vorgeschriebene mehrjährige Wanderschaft. Ihr Schwerpunkt lag in der reichen Kulturlandschaft des Oberrheins – doch eines ihrer mutmaßlichen Hauptziele hat sie verfehlt: einen Besuch, vielleicht sogar längeren Aufenthalt beim Großmeister des Kupferstichs, Martin Schongauer (ca. 1445–1491), in der Reichsstadt Colmar. Immerhin scheinen die Brüder des Verstorbenen Dürer Einsicht in dessen künstlerische Hinterlassenschaft gewährt zu haben. Vermutlich aus dem Todesjahr Schongauers stammt auch eines der bemerkenswertesten Selbstporträts Dürers (Abb. 3): Auf der Rückseite einer Darstellung der Heiligen Familie gibt sich der damals Zwanzigjährige mit wenigen, schnellen Strichen auf eine Weise wieder, die mit den Konventionen gemalter Bildnisse nicht das mindeste zu tun hat und damit schlichtweg einzigartig ist: Schwer ruht der Kopf in der aufgestützten Rechten, und entsprechend düster blickt der junge Mann beim Zeichnen in den Spiegel vor sich. Auch wenn man sich nach einem halben Jahrtausend vor psychologisierenden Interpretationen hüten muss, spricht es für sich, dass sich der Künstler ausgerechnet in einer solchen Verfassung porträtiert. Man denkt an einen persönlichen Rückschlag und die entsprechende jugendliche Skepsis. Jedenfalls erscheint 1514 die Wiederkehr dieser Kopfhaltung im Kupferstich Melencolia I (Abb. 43) aus dieser Perspektive als folgerichtig.
3 Albrecht Dürer, Selbstporträt, 1491, Federzeichnung, 20,4 × 20,8 cm, Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. B 155 v
Doch haben sich aus jenen Jahren keine Altäre oder Epitaphien erhalten, bei denen sich Dürers Mitarbeit als Malergeselle in einer oberrheinischen Werkstatt mit hinreichender Sicherheit nachweisen ließe. Bilder wie das anrührende kleine Pergamentblatt Jesuskind mit der Weltkugel, dessen zartes Inkarnat effektvoll mit Weißhöhungen versehen wurde, als mutmaßlicher Neujahrsgruß auf das Jahr 1493 (Abb. 15) legen den Schluss nahe, dass es sich hier um eine Gelegenheitsarbeit im Bereich der Privatfrömmigkeit handelte, mit der sich die strenge Aufsicht städtischer Zunftordnungen wohl leicht unterlaufen ließ. Letzteres gilt sicher auch für das erneut auf Pergament gemalte und ebenfalls 1493 datierte Selbstporträt, das als das wohl früheste vollwertige und autonome Künstlerselbstbildnis überhaupt gelten kann (Abb. 16). Die reiche Gewandung mit golddurchwirkten Borten und Nesteln passt so wenig zu einem Wandergesellen, dass der Zweck am ehesten in der – dann offenbar wenig erfolgreichen – Einwerbung von Porträtaufträgen zu sehen ist. Auch die Bildnisse der Eltern müssen wohl unter diesem Blickwinkel gesehen werden. Die stachlige Silberdistel, die der junge Dürer in der Rechten hält, ließe sich als Verweis auf das Leiden Christi gut mit dem alemannisch eingefärbten Motto neben der Jahreszahl in Einklang bringen, das sinngemäß besagt: Mein Schicksal ruht in Gottes Hand. Man fühlt sich angesichts der noch ungewissen Zukunft des jungen Mannes, der ja die Übernahme der väterlichen Werkstatt abgelehnt hatte, unweigerlich an die tiefe Skepsis erinnert, von der die Erlanger Federzeichnung geprägt ist (Abb. 3).
4 Albrecht Dürer, Der hl. Hieronymus in der Stube, Titelholzschnitt zu: Epistolare beati Hieronymi, Basel 1492, 19 × 13,3 cm, Freiburg, Universitätsbibliothek, Sign. Ink. 4° K2621 fe
Wenn also die Ausbeute auf malerischem Gebiet quantitativ so dürftig ausfällt, bleibt für Dürers Wanderjahre eigentlich nur ein Schluss: Er muss sein Auskommen vor allem im jungen und stark expandierenden Metier der Buchillustration gesucht und gefunden haben. Und in der Tat betritt man erst hier wieder hinreichend gesichertes Terrain – wenn auch nur durch einen glücklichen Zufall. Denn für den Titelholzschnitt einer Ausgabe der Briefe des hl. Hieronymus (Abb. 4), die 1492 bei Nikolaus Kessler in Basel erschien, hat sich der Druckstock erhalten, und in einer Auszeichnungsschrift, wie sie Dürer damals verwendete, steht auf der Rückseite zu lesen: Albrecht dürer von nörmergk. Dies ist zunächst Beleg für Aufenthalt und Tätigkeit in Basel, sodann aber vor allem der Versuch, die Anonymität der Buchillustration gleichsam durch die Hintertür aufzubrechen. Und genau das sollte für Dürer zu einer Lebensaufgabe werden: zu zeigen, dass der Buchholzschnitt ebenso viel künstlerische Hingabe und Individualität verlangen durfte wie alle anderen Formen der Druckgrafik.
5 Albrecht Dürer, Von dantzen, Buchholzschnitt aus: Sebastian Brant, Daß Narren schyff, Basel 1494, fol. K iiiv, München, Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Rar. 121
Werke wie dieses und vielleicht auch die Empfehlungen seines Paten Koberger brachten Dürer dann schließlich die Beteiligung an einem der größten Bucherfolge der Inkunabelzeit: Dr. Sebastian Brants Narrenschiff, das 1494 auf Deutsch bei Johann Bergmann erschien (Abb. 5). Der Basler Rechtsdozent und Humanist war einer der produktivsten Publizisten seiner Zeit und vereinigte klassische Bildung und tiefe Frömmigkeit mit einem hohen moraldidaktischen Anspruch. So stellt die berühmte Satire menschliche Dummheit und Eitelkeit auf ebenso geistreiche wie witzige Weise bloß und verschont dabei auch Adel und Geistlichkeit nicht. Doch steht dahinter ein tiefer Ernst, der sich erst dann erschließt, wenn man sich vom heute eher harmlosen Narrenbegriff entfernt. Denn damals war der Narr Sinnbild des verstockten Sünders, dem die ewige Verdammnis sicher war – und je mehr man von den geschilderten Torheiten lachend bei sich selbst entdeckte, desto mehr lag darin die Notwendigkeit innerer Ein- und Umkehr. Die hier gezeigte Illustration zum Kapitel Vom Tanzen(Abb. 6)(Abb. 7)