Gedichte
C.H.Beck
Sich einer Bewegung anzuvertrauen, mit dem Unbestimmten und Fließenden, mit einer Welt voller Verschiedenheit Ernst zu machen und gleichzeitig den Gefühls- und Formenreichtum der Vergangenheit spielerisch und gekonnt aufzugreifen, ohne dass irgendeine weltanschauliche Verbindlichkeit daraus abgeleitet wird – so könnte man die Welthaltung der Lyrik Dirk von Petersdorffs beschreiben. In den fünf Kapiteln seines neuen Gedichtbandes widmet sich der Lyriker, Essayist und Literaturwissenschaftler der Erfahrung des Verschwindens, schreibt „Lieder“, die zeigen, dass auch unsere nachromantische Welt welche besitzt, folgt in einer Art stoischem Programm den Jahreszeiten und Szenen aus dem Innenhof eines Hauses und zeigt „Paare“: vom Kennenlernen über Emphase, Zweifel, Abstand bis zum Festhalten oder Loslassen. Eine Gruppe von Liebesgedichten beschließt den Band, die noch einmal die Formenvielfalt der Petersdorffschen Dichtkunst zeigen. „Erzähl die Mythen auch zu Ende“ – zwischen Flirren, Gleißen, Kirke und einer Ausziehcouch in Hannover sind diese Gedichte angesiedelt, die aus ihrer Nähe zur Musik leben. Sie erkunden eine Welt der Rätsel und der intensiven Berührungen, eine Postmoderne, die sich durchaus nach Urzeit sehnt, sie im Jetzt sogar erahnt und sich ihr doch nicht mehr ausliefern kann, zum Preis fortdauernder, aber auch produktiver Unsicherheit.
Dirk von Petersdorff, geboren 1966, lebt in Jena, wo er an der Friedrich-Schiller-Universität unterrichtet. Er veröffentlichte u.a. Essays und mehrere Gedichtbände, zuletzt „Nimm den langen Weg nach Haus“ und die Erzählung „Lebensanfang“(beide C.H.Beck, 2010 und 2007). Er erhielt u.a. den Kleist-Preis (1998) und den Preis der LiteraTour Nord (2000), hatte die Tübinger Poetikdozentur (2013) inne und war Writer-in-Residence an der Washington University in St. Louis (2013).
wie ein Strom, wie ein Schlaf, wie ein Gras
In der WG-Zeit, nachts
Potsdam
Von Jena
Nike Air
Zurück im Job
Biobauernhof, Steiermark
Zauberwürfel
Hochhausbanden
Am Nord-Ostsee-Kanal
Strandgang
Stadt aus Glas
Ringelstulpen
Abendbalkon
Paare
Sägebock und Sekt
Auf dem Rad
Blüten- und Benzingemisch
Ränder verlaufen
Pergamonmuseum
Umzugskisten
Aufgewacht
Panoramafenster
Grüner Tee
Gang ins Wattenmeer
Ein Jahr im Hof
Januar, Spuren im Schnee
Februar, «Himmel und Hölle»
März, über ein Brett laufen
April, Widersprüche
Mai, Modelle zerspringen
Juni, mit der Russin
Juli, «kommst du raus?»
August, Identität kommt später
September, Wahrheit oder Pflicht?
Oktober, hör auf den Wind
November, Johanniskraut
Dezember, Drehpyramide
Röhrenhosendandy
Lieder
Röhrenhosendandy
Berghain
Vor der Mensa
(Luhmann und Carla)
Drei Freunde, wir,
Huschen, kneten, pressen
Rasenmähen
Vor dem Einschlafen denkt sie
Sanssouci
Moskau, Mai 2013
Sirenenpop
Er, sie, 10 Schritte
1. Nebeneinander, Asphaltweg
2. Im Kanu
3. So sieht es aus
4. Zustände
5. Slalom durch Stimmen
6. Süden
7. Er weit weg
8. Sie in der Tür
9. Haarband
10. Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum?
auf Spielplatzpferden, diesen mit Spiralen,
so wippend unterm Wehen hoher Eichen,
mit Harry sich das Hirn zu Sand zermahlen,
zu deuten waren wieder viele Zeichen.
Im Altbauflur nur Wärme durch den Föhn,
als man am Morgen Lederjacken tauschte,
das war fast Kommunismus, aber schön,
die Jalousie, von selbst hinaufgerauschte,
zeigt Straßenbäume ganz vom Reif beschrieben,
das Fahrrad immer in die Sonne schieben.
Wir treffen uns, du bist der frisch Getrennte,
da blickt man auf den See und kaut Salat,
Spaghetti drehen sich wie Argumente,
ich seh dich noch vorm ersten Referat.
Zwei Kanufahrer, die das Wasser stechen,
natürlich kurvt ein Liebeskahn vorbei,
und überm Wasser hängen die Versprechen,
Geräusche, unverständlich für uns zwei,
die früher Bälle traumhaft in die Gassen,
nun zögernd Worte durch den Abend passen.
hoch zur Ebene, ins große Wehn
der Gräser, Heben, Sinken, immerzu,
die Russenpanzerrampe ließ man stehn,
«und diese Orchidee heißt Frauenschuh».
Aus Truppenübungsplatz jetzt Biotop,
die helle Gräserinnenseite, Wind –
auch niemals wissen, was uns zog und schob,
so wie Erkennungstakte, Song beginnt,
zum Tanzflur schnell im losen, weißen Hemd,
im Sog, wir Gräser, die vom Wind gekämmt.
Nach meiner Strecke müde seh ich euch:
verschlammter Neonschweif, der bei mir blieb