Cover

THOMAS FISCHER

GLADIUS

Roms Legionen in Germanien
Eine Geschichte von Caesar bis Chlodwig

C.H.BECK

ZUM BUCH

Dieses Buch beschreibt die über 500 Jahre andauernden Auseinandersetzungen zwischen Römern und Germanen, die sich immer wieder beiderseits der Nordgrenzen des römischen Reiches an Rhein und Donau abspielten. Mit den freien, nicht unterworfenen Germanen verband Rom seit den Völkerwanderungen der Kimbern und Teutonen im ausgehenden 2. Jahrhundert v. Chr. ein wechselvolles Verhältnis, in dem sich kriegerische Konfrontationen nur für kürzere Zeit mit friedlicher Koexistenz ablösten. Dieses ambivalente Verhältnis war von Anfang an durch den Widerspruch gekennzeichnet, dass Germanen seit Caesars Zeiten in der römischen Armee dienten. Als sich die römisch-germanischen Konflikte ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. ganz erheblich verschärften, nahm auch der Anteil von Germanen, die in der römischen Armee kämpften, in großem Umfang zu. Rom sah zu Recht an seinen Grenzen die Germanen im Norden noch vor den Parthern bzw. Persern im Osten als seine gefährlichsten äußeren Gegner an. Kein Wunder, dass an der Germanengrenze am Rhein und später an der Donau die zahlenmäßig stärksten römischen Truppen stationiert waren – paradoxerweise stets unter germanischer Beteiligung.

Der vorliegende Band informiert sachlich und anschaulich darüber, wie die Truppen auf beiden Seiten ausgestattet waren, auf welche militärische Infrastruktur sie sich stützen konnten, in welchen Konflikten sie aufeinandertrafen und auf welchen Schriftzeugnissen und archäologischen Quellen unser Wissen über diese Themen beruht.

ÜBER DEN AUTOR

Thomas Fischer lehrt als Professor für die Archäologie der römischen Provinzen am Archäologischen Institut der Universität zu Köln.

INHALT

EINFÜHRUNG

Germania/Germanien

I.: ROM UND DIE GERMANEN – EINE SCHICKSALSGEMEINSCHAFT

1. Von Marius bis Caesar: Erste Kontakte Roms mit den Germanen

Kimbern und Teutonen

Poseidonios

Als Iulius Caesar die Germanen erfand

Ariovist und seine Sueben

Die Sueben in der Zeit nach Caesar

Caesar und die Usipeter und Tencterer

Caesar und die Ubier

Archäologische Spuren von Caesars Gallischem Krieg in Deutschland

2. Weitere antike Berichte über die Germanen in der frühen und mittleren Kaiserzeit

3. Die Germanen: Sprache, Herkunft und die archäologische Gliederung der germanischen Kulturgruppen in der frühen und mittleren Kaiserzeit bis zu den Markomannenkriegen

Germanen und Sprachwissenschaft

Archäologische Quellen zu den Germanen

Siedlungen

Grabfunde

Zur Herkunft der Germanen

4. Archäologische Gliederung der germanischen Kulturgruppen in der frühen Kaiserzeit

5. Konfrontation und Okkupation Entwicklung der römisch-germanischen Beziehungen an der Germanengrenze unter Augustus (27 v. Chr.–14 n. Chr.)

Die Römer unter Augustus in Germanien

Trier-Petrisberg (30/29 v. Chr.)

Die Drususoffensive im Jahre 12 v. Chr.

Nijmegen/Batavodurum

Xanten/Vetera

Neuss/Novaesium

Oberaden (11–8 v. Chr.)

Beckinghausen (11–8 v. Chr.)

Rödgen

Kriege in Germanien nach dem Tod des Drusus 9 v. Chr.

Wilkenburg

Anreppen (4–6 n. Chr.)

Die Offensive gegen Marbod im Jahre 6 n. Chr.

Marktbreit

Großprovinz Germanien?

Archäologische Zeugnisse für den Aufbau einer zivilen Verwaltungsstruktur im augusteischen Germanien rechts des Rheins

Haltern/Aliso (?) (ca. 8/7 v. Chr.–9 n. Chr.)

Lahnau-Waldgirmes

6. Die Katastrophe im Teutoburger Wald 9 n. Chr.

Publius Quinctilius Varus (47/46 v. Chr.–9 n. Chr.)

Arminius (17/16 v. Chr.–21 n. Chr.)

Die Schlacht

Der Grabstein des Centurio Marcus Caelius

Kalkriese

II.: VON DER GESCHEITERTEN OKKUPATION ZUR FRIEDLICHEN KOEXISTENZ: ENTWICKLUNG DER RÖMISCH-GERMANISCHEN BEZIEHUNGEN AN DER GRENZE ZU GERMANIEN IN DER FRÜHEN UND MITTLEREN KAISERZEIT VON TIBERIUS (14–37 N. CHR.) BIS ANTONINUS PIUS (138–161 N. CHR.)

1. Die Grenze zu Germanien in der frühen und mittleren Kaiserzeit

Rachefeldzüge des Germanicus 14–16 n. Chr.

16 n. Chr.: Tiberius beruft Germanicus ab

Zum römischen Grenzbegriff

Die Begriffe «limes» und «ripa»

Funktionsweise der römischen Grenzsicherung

2. Die Entwicklung der Germaniengrenze bis zur Gründung der germanischen Provinzen unter Domitian (81–96 n. Chr.)

Militärische und diplomatische Sicherung der Germanengrenze an Rhein und Donau

Bataveraufstand

Archäologische Zeugnisse der Wirren nach Neros Tod

Krefeld-Gellep/Gelduba

Xanten-Wardt

Schlacht bei Riol/Rigodulum

Hofheim

Reorganisation der Grenzverteidigung durch Vespasian

Ausbau der Germanengrenze unter den Flaviern

Rottweil/Arae Flaviae

Domitian: Gründung der Provinzen Ober- und Niedergermanien, Kriege an der mittleren Donau

Das römische Reich in seiner größten territorialen Ausdehnung – die Dakerkriege Trajans

Ab Hadrian – Das römische Reich in der Defensive

Letzte Vorverlegung des obergermanisch-raetischen Limes unter Antoninus Pius

III.: DIE KONTRAHENTEN – RÖMISCHE ARMEE UND GERMANISCHE STAMMESKRIEGER IN DER FRÜHEN UND MITTLEREN RÖMISCHEN KAISERZEIT VOR DEN MARKOMANNENKRIEGEN

Die römische Armee

1. Die Truppen

Legionen

Alltag in der Legion

Offizierscorps der Legion

Centurionen

«Gefreite» – immunes und principales

Spezialkommandos

Sold

Dienstzeit und Altersversorgung

Hilfstruppen (auxilia)

Auxiliarinfanterie

Auxiliarkavallerie

Aushebung, Herkunft und Einsatz

Sold und soziale Absicherung

numeri

Garden

Kaiserliche Garden

Statthaltergarden in den Provinzen

Milizen

Die römische Kriegsmarine an der Germanengrenze

2. Lager und Kastelle

Marschlager

Standlager (Legionslager und Hilfstruppenkastelle)

Wehrmauern

Türme

Tore

Wehrgräben

Innenbauten von Legionslagern und Auxiliarkastellen (Abb. 16)

Straßen

Stabsgebäude (principia)

Wohngebäude des Lager- bzw. Kastellkommandanten (praetorium)

Tribunenhäuser

Kasernen

Mehrzweckbauten (tabernae)

Bäder

Getreidespeicher (horrea)

Lazarette (valetudinaria)

Werkstätten (fabricae)

Vorratsräume und sonstige Bauten

Wasserversorgung und Latrinen

Zivile Siedlungen im Umfeld der Lager und Kastelle

Lager- und Kastelle der frühen und mittleren Kaiserzeit

Vexillationslager

Hilfstruppenkastelle

Numerus- und Kleinkastelle

Nachschubbasen

3. Bewaffnung und militärische Ausrüstung in der frühen und mittleren Kaiserzeit von Augustus bis Antoninus Pius

Herkunft der römischen Bewaffnung

Wandel in der römischen Bewaffnung

Besitz und Beschaffung von Waffen und militärischer Ausrüstung

4. Ausrüstung und Bewaffnung – Infanterie

Kleidung

Schuhe

cingula/Militärgürtel

Schutzwaffen

Helme

Körperpanzer

manica

Beinschienen

Schilde

Angriffswaffen

Schwerter

gladii vom Typ «Mainz»

gladii vom Typ «Pompeji»

Weiterentwicklung der Schwertbewaffnung

Dolche

Stangenwaffen

pilum

Pfeil und Bogen

Schleudern

Artillerie

Pionierwerkzeug

Marschgepäck

Ausrüstung und Bewaffnung der Kavallerie

Schutzwaffen

Kavalleriehelme

Körperpanzer

Schilde

Angriffswaffen

Pferdegeschirr und Sättel

5. Die germanischen Stammeskrieger in der frühen und mittleren Kaiserzeit

Gefolgschaften

Zeugnisse des germanischen Adels im 1. und 2. Jh. – Die Lübsow-Gräber

Die Adelsgräber von Hagenow

Gliederung und Kampfesweise der germanischen Heere

Zur germanischen Bewaffnung

Herstellung und Herkunft der Waffen

Kleidung

Infanterie

Reiterei

IV.: DIE RÖMISCHEN PROVINZEN AN DER GERMANENGRENZE UND IHR GERMANISCH BESIEDELTES VORLAND IN DER FRÜHEN UND MITTLEREN KAISERZEIT BIS ZUR KRISE DES 3. JH.S

1. Die römische Provinz Niedergermanien (Germania inferior) in der frühen und mittleren Kaiserzeit

2. Das germanische Siedlungsgebiet östlich der niedergermanischen Rheingrenze in der frühen und mittleren Kaiserzeit bis zu den Markomannenkriegen

Friesen

Chauken

Bataver

Brukterer

Angrivarier

Cherusker

Langobarden

3. Die römische Provinz Obergermanien (Germania superior) in der frühen und mittleren Kaiserzeit

Dangstetten

Der obergermanische Limes

Kohortenkastell Saalburg

4. Das germanische Siedlungsgebiet jenseits des obergermanischen Limes in der frühen und mittleren Kaiserzeit bis zu den Markomannenkriegen

Chatten

Hermunduren

5. Die römische Provinz Raetien (Raetia) in der frühen und mittleren Kaiserzeit

Der raetische Limes

Raetien nach den Markomannenkriegen

6. Das germanische Siedlungsgebiet nördlich des raetischen Limes und der raetischen Donaugrenze in der frühen und mittleren Kaiserzeit bis zu den Markomannenkriegen

7. Die römische Provinz Noricum in der frühen und mittleren Kaiserzeit

8. Die römische Provinz Pannonien (Pannonia) in der frühen und mittleren Kaiserzeit

9. Das germanische Siedlungsgebiet nördlich der Donaugrenze von Noricum und Pannonien

Markomannen

Quaden

V.: KONFRONTATION UND REICHSKRISE: ENTWICKLUNG DER RÖMISCH-GERMANISCHEN BEZIEHUNGEN AN DER GERMANENGRENZE IN DER MITTLEREN KAISERZEIT VON MARC AUREL (161–180 N. CHR.) BIS CARINUS (283–285 N. CHR.)

1. Die Markomannenkriege – Vorboten der Völkerwanderung

Archäologische Zeugnisse der Markomannenkriege nördlich der Donau

Inschrift von Trenčín

Römische Marschlager

Sonstige römische Stützpunkte im Barbaricum

Das Königsgrab von Mušov

2. Die Zeit der Severer

Harzhorn

3. Die Krise des römischen Reiches im 3. Jh.

Klimaverschlechterung?

Kämpfe an allen Fronten

Abrittus

4. Thronwirren, Barbareneinfälle und der «Limesfall»

5. Bewaffnung und militärische Ausrüstungder römischen Armee in der mittleren Kaiserzeit von Marc Aurel (161–180 n. Chr.) bis zum Beginn der Spätantike

Infanterie

Kleidung

Helme

Panzer

Schilde

Schwerter

Dolch

pila/Lanzen

Reiterei

Gürtel

Helme

Panzer

Angriffswaffen

cataphractarii

6. Die germanischen Krieger ab der Zeit der Markomannenkriege

Funde aus germanischen Opfermooren

Vimose

Nydam

Illerup Ådal

Thorsberg

Gräber der Gruppe Leuna-Haßleben

Das Kammergrab von Gommern

Römischer Import

Germanisches Plünderungsgut aus dem Rhein

Hagenbach

Neupotz

7. Neue Stammesbildungen bei den Germanen in späten 2. und im 3. Jh.

8. Germanische Bewaffnung zwischen Markomannenkriegen und Spätantike

Helme

Schilde

Panzer

Äxte

Schwerter

Pfeil und Bogen

Gürtel

VI.: DIE SPÄTANTIKE

1. Militärreform unter Diocletian und Constantin I.

Aufteilung der römischen Armee

limitanei/riparienses

comitatenses

Truppenstärke

2. Das römische Militär in der Spätantike

foederati

Spätrömische Kastelle und burgi

Bewaffnung und Ausrüstung

Kleidung

Fibeln

Gürtel

Helme

Panzer

Schilde

Schwerter

Kampfäxte

Stangenwaffen

Reiterei

3. Die Germanen in der Spätantike

Goten

Vandalen

Bewaffnung der Germanen in der Spätantike

Gürtel

Fibeln

Helme

Schwerter

VII.: DAUERKONFLIKT UND ZUSAMMENWACHSEN: ENTWICKLUNG DER RÖMISCH-GERMANISCHEN BEZIEHUNGEN AN DER GERMANENGRENZE IN DER SPÄTANTIKE VON DIOCLETIAN (284–305 N. CHR.) BIS ROMULUS AUGUSTULUS (475–476 N. CHR.)

VIII.: DIE RÖMISCHEN PROVINZEN AN DER GERMANENGRENZE IN DER SPÄTANTIKE

1. Niedergermanien (Germania secunda)

Kastell Köln-Deutz

2. Das germanische Siedlungsgebiet östlich der Rheingrenze der Germania secunda in der Spätantike

Franken

Sachsen

3. Obergermanien (Germania prima)

4. Maxima Sequanorum

5. Die spätantiken Provinzen Raetia prima und secunda

Kellmünz/Caelius Mons

Eining/Abusina

6. Das germanische Siedlungsgebiet östlich der Rhein- und nördlich der Donaugrenze zwischen der Germania prima und Raetien in der Spätantike

Burgunder

Alamannen und Juthungen

Berching-Pollanten

Höhensiedlungen

Runder Berg bei Urach

Flachlandsiedlungen

7. Noricum in der Spätantike

Donaugrenze in der spätantiken Provinz Noricum ripense

Passau-Innstadt/Boiotro

Zeiselmauer/Cannabiaca

8. Pannonien (Pannonia) in der Spätantike

Binnenkastelle

Keszthely-Fenékpuszta

IX.: GERMANENREICHE AUF RÖMISCHEM REICHSGEBIET UND DAS ENDE DES WESTRÖMISCHEN REICHES

Frankenreich

Grab des Childerich in Tournai

DANKSAGUNG

LITERATUR MIT KURZTITELN

LITERATUR

REGISTER

EINFÜHRUNG

Dieses Buch beschreibt die über 500 Jahre andauernde Auseinandersetzung zwischen Römern und Germanen, die sich immer wieder beiderseits der Nordgrenzen des römischen Reiches an Rhein und Donau abspielten. Die Hauptwaffe der Römer bis zur Zeit um 200 n. Chr. ist im Titel genannt: Der schwer gerüstete römische Legionär kämpfte in dichter Formation mit den Kurzschwert, dem gladius. Der nur leicht bewaffnete germanische Krieger dagegen setzte in seiner beweglichen Kriegsführung vor allem die Framea, die Lanze, ein.

Der Dauerkonflikt begann, als um die Mitte des 1. Jh.s v. Chr. die Völker im Gallischen Krieg Caesars am Rhein zu Nachbarn und zugleich zu Kontrahenten geworden waren. Seither versuchte Rom am Rhein und dann auch an der Donau energisch und erfolgreich, der West- und Südwanderung der Germanen Einhalt zu gebieten und seine Nordgrenzen militärisch abzusichern. Der erbitterte Konflikt zwischen diesen beiden Völkern sollte dann mehr als fünf Jahrhunderte währen.

Die Darstellung der römisch-germanischen Auseinandersetzungen bietet eine große Verlockung: nämlich die Ausweitung des Themas zu einer allgemeinen Kulturgeschichte der römischen Nordprovinzen und des germanischen Siedlungsgebietes. Dieser zu widerstehen und sich ausschließlich auf den militärischen Aspekt der Kontakte und Auseinandersetzungen zu konzentrieren, war nicht immer ganz leicht.

Was eine Darstellung der römisch-germanischen Beziehungen ebenfalls nicht einfacher macht, ist die Tatsache, dass alles, was uns an schriftlichen Informationen erhalten ist, aus der Feder griechischer und römischer Autoren stammt. Aber auch diese einseitige Beschreibung ist nur lückenhaft überliefert – und dabei wird es wohl auch bleiben: Die Hoffnung, noch weitere antike Schriftzeugnisse zu finden, ist denkbar gering. Bis zu einem gewissen Grad kann diese Lücke jedoch durch einen stetigen Zugewinn in Gestalt von Bodenfunden und archäologischen Forschungen gefüllt werden. Um ein tragfähiges, wenn auch weitgehend provisorisches und unvollständiges Bild von den wechselnden römisch-germanischen Beziehungen zu erlangen, muss man beide Überlieferungsstränge, Schriftquellen und Ergebnisse der Archäologie, immer wieder auf dem neuesten Stand zusammenfassen. Dass der Erkenntnisstand infolge dessen immer etwas Transitorisches hat, liegt in der Natur der Sache. Eine solche Darstellung, wie sie hier geboten wird, wird sich mit dem Fortschreiten der Forschung in ihren Details immer wieder ändern. Dessen sollten sich Leserinnen und Leser stets bewusst sein.

Germania/Germanien

Um es gleich vorweg zu betonen: Der Begriff «Germanien» wird sowohl in der historisch-archäologischen Forschung als auch in diesem Buch mehrdeutig verwendet: Zum einen bezeichnet «Germanien» mit den seit Kaiser Domitian (81–96) zwischen 82 und 90 n. Chr. eingerichteten römischen Provinzen Ober- und Niedergermanien (Germania superior bzw. inferior) nur ein relativ kleines Gebiet. Diese Provinzen an der Rheingrenze im Nordwesten des römischen Reiches leiteten ihre Namen von den Germanen (Germani) ab – und dies, obwohl dort ursprünglich in vorrömischer Zeit neben einigen von der rechten Rheinseite übergewechselten Germanenstämmen vor allem Kelten ansässig waren.

Zum anderen wird mit «Germanien» auch ein wesentlich größerer Raum bezeichnet, nämlich das komplette Siedlungsgebiet derjenigen Völkerschaften, die schon in der Antike als «Germani» bezeichnet wurden. Dabei war der Name «Germani» ursprünglich eine seit Caesar populäre Fremdbezeichnung der Römer und lediglich ein Sammelbegriff für verschiedene Volksstämme nördlich bzw. östlich des Siedlungsgebietes der Kelten, die man so von diesen unterscheiden wollte. Die Germanen lebten also zur Zeit der Provinzgründung unter Domitian gegen Ende des 1. Jh.s n. Chr. vor allem nördlich und östlich außerhalb der Grenzen des römischen Reiches. Sie selbst allerdings dürften sich bis weit in die Kaiserzeit hinein gar nicht als Germani gesehen haben, sondern als Angehörige kleinerer Stämme, wie der Sueben, Langobarden, Cherusker, Markomannen usw. Nur ein geringer Teil dieser Germanen war also auf dem Boden des römischen Reiches links des Rheins angesiedelt, der Großteil dieser Völkergruppe wohnte im 1. Jh. im rechtsrheinischen Gebiet, das sich über Skandinavien, Polen, die Westukraine bis nach Niederösterreich, Böhmen, Mähren und die Slowakei erstreckte.

Dieses riesige Gebiet, für die Römer «terra incognita», hieß daher bereits in der Antike «Germania» oder nach Ptolemaios «Germania Magna», in der Spätantike sprach man gelegentlich abschätzig sogar vom «Barbaricum». Der lateinische Begriff «Germania libera» hingegen, den man manchmal lesen kann, entstammt nicht der Antike, sondern ist eine Konstruktion der Frühen Neuzeit.

I.

ROM UND DIE GERMANEN – EINE SCHICKSALSGEMEINSCHAFT

Wie aber konnte es dazu kommen, dass die beiden römischen Provinzen Ober- und Niedergermanien (Germania superior bzw. inferior) nach einer Bevölkerungsgruppe benannt wurden, die größtenteils außerhalb dieser Provinzen in einem zumeist spannungsreichen Verhältnis zum römischen Reich lebte? Dazu ist es nötig, die römisch-germanischen Beziehungen weit vor der Zeit der Provinzgründung beider «Germaniae» im ausgehenden 1. Jh. n. Chr. zu betrachten.

Mit den freien, nicht unterworfenen Germanen verband Rom seit den Völkerwanderungen der Kimbern und Teutonen im ausgehenden 2. Jh. v. Chr. ein wechselvolles Verhältnis, in dem sich kriegerische Konfrontationen nur für kürzere Zeit mit friedlicher Koexistenz ablösten. Dieses ambivalente Verhältnis war außerdem von Anfang an durch den Widerspruch gekennzeichnet, dass Germanen seit Caesars Zeiten in der römischen Armee dienten, auch zur Abwehr extraterritorialer germanischer Stämme. Als sich die römisch-germanischen Konflikte dann ab dem 3. Jh. ganz erheblich verschärften, nahm somit auch der Anteil von Germanen, die in der römischen Armee kämpften, in großem Umfang zu.

Rom sah zu Recht an seinen Grenzen die Germanen im Norden noch vor den Parthern bzw. Persern im Osten als seine gefährlichsten äußeren Gegner an. Kein Wunder, dass an der Germanengrenze am Rhein und später an der Donau die zahlenmäßig stärksten römischen Truppen stationiert waren (paradoxerweise stets unter germanischer Beteiligung). Diese hielten dem steten Druck der Germanen nach den im Westen und Süden gelegenen reichen römischen Provinzen, ja nach Italien und Rom selber, lange Zeit erfolgreich stand.

Dennoch war all diesen Bemühungen kein dauerhafter Erfolg beschieden: Die Germanen sollten das Schicksal des spätantiken Westreiches ganz entscheidend prägen und zu dem beitragen, was man zusammenfassend als den «Untergang des römischen Reiches» bezeichnet. Hierunter versteht man das Erlöschen der Eigenstaatlichkeit Westroms im Jahre 476 und die Entstehung der frühmittelalterlichen Staaten Europas unter der maßgeblichen Beteiligung germanischer Stämme, wie der Ost- und Westgoten, Alamannen und vor allem der Franken. Doch auch diese neuen Staaten besaßen, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, längst keine unvermischt germanische kulturelle Identität mehr.