Ottmar Edenhofer/Michael Jakob
KLIMAPOLITIK
Ziele, Konflikte, Lösungen
C.H.Beck
Das Ziel von Klimapolitik besteht darin, die Folgen des Klimawandels zu begrenzen. Kaum ein Politikbereich ist so sehr abhängig von der Wissenschaft. Das hat auch einen Vorteil: Wissenschaftliche Erkenntnisse kann man nicht mit einem bloßen Machtwort manipulieren. Regierungen können in der Debatte mit der Wissenschaft nicht mehr ausschließlich auf Macht und Interesse rekurrieren, sondern müssen sich auf Wahrheit, Objektivität, Fakten und Werte beziehen. Noch hat die Menschheit wenig Erfahrung mit der gerechten und effizienten Nutzung globaler Gemeinschaftsgüter. Daher kommt der Klimapolitik eine besondere Bedeutung zu, denn sie hat für die internationale Kooperation auf vielen Feldern eine Vorbildfunktion.
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer ist Lehrstuhlinhaber für die Ökonomie des Klimawandels an der TU Berlin, Direktor und Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). Von 2008 bis 2015 war er einer der Vorsitzenden des Weltklimarates (IPCC). Unter seiner Leitung entstand der IPCC-Sonderbericht zu erneuerbaren Energien und der Vermeidung des Klimawandels (SRREN) sowie der Fünfte Sachstandsbericht «Climate Change 2014: Mitigation of Climate Change» des Weltklimarates. Bei C.H.Beck ist von ihm als Mitherausgeber lieferbar: Global, aber gerecht. Klimawandel bekämpfen, Entwicklung ermöglichen (2000).
Dr. Michael Jakob arbeitet am Mercator Research Institute for Global Commons and Climate Change (MCC) mit den Forschungsschwerpunkten Klimapolitik in Entwicklungsländern, Infrastrukturpolitik sowie Wirtschaftswachstum.
Vorwort
Vorwort zur 2. Auflage
Wie dieses Buch aufgebaut ist
1. Das Klimaproblem und die Klimapolitik
Welche Risiken birgt der Klimawandel?
Was ist mit der Vermeidung gefährlichen Klimawandels gemeint?
Internationale Klimapolitik als Wette
2. Die Bestandsaufnahme der Klimapolitik
Die Entwicklung der Emissionen
Das Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum
Die Renaissance der Kohle und das Angebot fossiler Energieträger
Abholzung und Landnutzung
Energieeffizienz und erneuerbare Energien
3. Ziele und Wege der Klimapolitik
Das 2 °C-Ziel als langfristige Klimapolitik
Die Pfade der Transformation
Dem technischen Fortschritt eine neue Richtung geben
Der Stromsektor
Der Transportsektor
Industrie- und Agrarsektor
Die Notwendigkeit negativer Emissionen
Die Kosten und Risiken des Klimaschutzes
Wachstumsverzicht und Klimaschutz
Anpassung – auch bei erfolgreicher Klimapolitik unvermeidlich
Solar Radiation Management – der letzte Pfeil im Köcher?
4. Instrumente und Institutionen der Klimapolitik
Ein Preis für Emissionen und andere Politikinstrumente
Warum wir internationale Klimapolitik benötigen
Die Hoffnung auf den technischen Fortschritt
Divestment und globale Zivilgesellschaft
Die sanfte Macht der Moral
Was wäre dann die Lösung?
Das Paradoxon internationaler Vereinbarungen
Die internationalen Verhandlungen
Nach Paris: Vorschläge für die Ausgestaltung der internationalen Klimapolitik
Verhandlungen über CO2-Preise
Internationale Wettbewerbsfähigkeit
Strategische Klimafinanzierung
Die Klimapolitik der Europäischen Union
2011 bis 2017: Preisverfall aufgrund von Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der EU-Klimapolitik
2017 bis 2019 – Reform des EU ETS
Der Europäische Emissionshandel und die nationale Klimapolitik
Sektorale Erweiterung des Europäischen Emissionshandels
Versteigerung oder kostenlose Zuteilung
Weitere Instrumente europäischer Klima- und Energiepolitik
Die deutsche Energiewende und der Klimaschutz
Die Wiederkehr der Kohle bis 2015
Die Vorschläge der «Kohlekommission» zum deutschen Kohleausstieg
Die Förderung der erneuerbaren Energien
Von der Strom- zur Energiewende
Herausforderung Verkehrswende
Gebäudesektor
Landwirtschaft
Der Entwurf des deutschen Klimaschutzgesetzes vom Februar 2019
Klimapolitik, Ungleichheit und Armutsbekämpfung
5. Die Rolle der Wissenschaft in der Klimapolitik
Der Weltklimarat (IPCC)
Die Entstehungsgeschichte und das Mandat des IPCC
Die Struktur des IPCC
Die Reform des IPCC
Der IPCC und die Modelle der wissenschaftlichen Politikberatung
Die künftigen Herausforderungen für den IPCC
Exploration des gesamten Lösungsraumes
Ex-Post-Evaluierung internationaler, nationaler und subnationaler Klimapolitik
Stärkere Fokussierung auf Nachhaltigkeit, Ungleichheit und Armut
Narrative der Klimapolitik
Ausblick
Weiterführende Literatur
Kapitel 1:
Kapitel 2:
Kapitel 3:
Kapitel 4:
Kapitel 5:
Quellen für Daten und Grafiken
Register
Für Annette, Sarah und Jacob (OE)
Für Evelyn, Hans, Rike und Milo (MJ)
Dieses Buch bietet eine knappe Übersicht über die Klimapolitik. Es will den Leser in die daraus erwachsenden Konflikte und die Möglichkeiten ihrer Überwindung einführen. Unser Ziel ist es, den aktuellen Stand der Forschung in allgemein verständlicher Sprache darzustellen, ohne dabei die komplexen Zusammenhänge, die es zur Vermeidung des Klimawandels zu berücksichtigen gilt, so zu vereinfachen, dass sie den Eindruck falscher Sicherheit erwecken. Die Kolleginnen und Kollegen am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) haben uns durch ihre Forschungen und in vielen produktiven Diskussionen geholfen, das Problem der Klimapolitik besser zu verstehen. Die Arbeit mit vielen Forschern weltweit, vor allem mit den Autorinnen und Autoren des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), haben unsere Argumente geschärft und uns ermöglicht, die Grenzen unserer eigenen Expertise zu überschreiten. Die Fehler des Buches gehen zu unseren Lasten. Die Begegnung mit Menschen, die schon heute an den Folgen des Klimawandels, unter schlechten Regierungen und unter wuchernder Korruption leiden, hat uns motiviert, dieses Buch zu schreiben.
Zur Entstehung dieses Buchs haben zahlreiche Kollegen durch inhaltliche und stilistische Vorschläge beigetragen. Hierfür danken wir Annette und Jacob Edenhofer, Christian Flachsland, Sabine Fuss, Lion Hirth, Brigitte Knopf, Nicolas Koch, Ulrike Kornek, Fabian Löhe, Jan Minx, Michael Pahle und Rike Schweizer. Wir danken Susanne Stundner für gründliches Korrekturlesen und Kay Schröder für die Erstellung der Abbildungen.
Die 2. Auflage musste angesichts der Entwicklungen der vergangenen beiden Jahre erweitert werden: Der Weltklimarat veröffentlichte seinen Sonderbericht zur 1,5 °C-Grenze im Oktober 2018. Die EU unternahm den Versuch, den europäischen Emissionshandel zu reformieren, und hat ambitionierte Maßnahmen für die Verkehrs-, Landwirtschafts- und Gebäudesektoren beschlossen. Diese Entscheidungen der EU beeinflussen die Debatte um das Klimaschutzgesetz in Deutschland; man wird sehen, welche Dynamik die europäischen Beschlüsse in Deutschland entfalten werden. Die Klimakonferenz in Polen verfasste im Dezember 2018 ein sicherlich notwendiges Regelbuch. Angesichts der steigenden weltweiten Emissionen nährt dies jedoch kaum die Hoffnung, die Weltgemeinschaft könnte die klimapolitische Wende bald herbeiführen. Im Januar 2019 hat die «Kohlekommission» ihre Empfehlungen für die Bundesregierung verabschiedet, die das Erreichen der klimapolitischen Ziele bis 2030 ebenso sichern sollten wie einen sozial abgefederten Ausstieg aus der Kohlenutzung. Der vorgelegte Kompromiss der Kommission ist umstritten, und die Frage, ob damit ein klimapolitischer Fortschritt erzielt wurde, bleibt offen. Für die Menschen in Deutschland ist durch den Sommer 2018 die «Heißzeit» greifbar und erfahrbar geworden. Die Freitagsproteste der Schüler legen ein beredtes Zeugnis für die Ungeduld derer ab, deren Zukunft auf dem Spiel steht. Die Demonstrationen in Frankreich, ausgelöst durch steigende Benzinpreise, zeigen, welches Protestpotential eine ehrgeizige Klimapolitik birgt, die die Fragen des sozialen Ausgleichs vernachlässigt. Man mag diese Konflikte als bedrohlich empfinden. In jedem Fall zeigen sie jedoch, dass um die Umsetzung ambitionierter Klimapolitik gerungen wird. Insofern sind diese Konflikte ein gutes Zeichen: Die leidenschaftliche Debatte um den richtigen Weg ist allemal besser als das unproduktive und gefährliche Verharren im Status quo. Wieder haben uns Kollegen geholfen, diese Auflage fertigzustellen. Gemeinsam mit Brigitte Knopf, Christian Flachsland und Michael Pahle haben wir die Diskussion über die Instrumente der Klimapolitik vorangetrieben; Martin Kowarsch lieferte hilfreiche Anregungen zu unterschiedlichen klimapolitischen Narrativen; Gunnar Luderer unterstützte uns mit Szenario-Daten; Kay Schröder hat neue Abbildungen erstellt, und Susanne Stundner hat das Manuskript korrigiert, redigiert und um Fehler bereinigt. Wir widmen das Buch unseren Familien, vor allem unseren Kindern, die uns heute schon fragen, warum wir unserer Verantwortung so wenig gerecht werden.
Hitzetote in Pakistan, Überschwemmungen in Russland, verheerende Waldbrände in Kalifornien, schmelzende Gletscher, Ernteverluste und der Jahrhundertsommer im Jahr 2018, einem der wärmsten Jahre seit dem Beginn der Klimaaufzeichnungen: Das sind schon heute erste Anzeichen des Klimawandels. Selbst wenn sich kein einzelnes dieser Ereignisse mit Sicherheit auf die globale Klimaveränderung zurückführen lässt, wird doch ihr Auftreten mit dem Anstieg der globalen Mitteltemperatur sehr viel wahrscheinlicher. Die globale Erwärmung ist zu einem großen Teil auf die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas zurückzuführen. Das Ziel der Klimapolitik lässt sich daher klar formulieren: Die Nutzung der fossilen Energieträger muss begrenzt werden, um die Folgen des Klimawandels abzumildern. Der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) hat in einem dreißigjährigen Indizienprozess nachgewiesen, dass wir durch die Verbrennung der fossilen Energieträger, andere Treibhausgasemissionen und durch die Abholzung der Wälder bereits heute für einen Temperaturanstieg von ungefähr 1°C verantwortlich sind. Die Menschheit muss sich daher Rechenschaft darüber ablegen, in welchem Umfang sie den zukünftigen Klimawandel begrenzen kann und will.
Dieser Frage widmet sich unser Buch. Es bietet eine Übersicht über die Ziele der Klimapolitik, zeigt Konfliktlinien in der wissenschaftlichen Analyse auf und diskutiert Lösungsansätze. Es unterscheidet sich damit von den naturwissenschaftlichen Einführungen in den Klimawandel. Wir zeigen, nach welchen Kriterien man entscheiden kann, wie viel Klimaschutz betrieben wird, welche Technologien dabei zum Zuge kommen und welcher Politiken es bedarf. Daher sprechen wir in diesem Buch nicht nur von Fakten, sondern gleichermaßen von Werten.
In Kapitel 1 wird erklärt, warum es einer ambitionierten Klimapolitik bedarf und wie sie gerechtfertigt werden kann. Was ist unter gefährlichem Klimawandel zu verstehen, und welche Optionen stehen uns zur Verfügung, um diesen abzuwenden? In der Klimapolitik muss das Risiko gefährlichen Klimawandels abgewogen werden gegen die Risiken der Emissionsvermeidung. Das Konzept der klimapolitischen Wette zeigt, dass Klimapolitik Risikomanagement ist und gerade aus diesen Gründen eine ambitionierte Klimapolitik gerechtfertigt werden kann. Das erste Kapitel will in dieses Entscheidungsproblem der Klimapolitik einführen.
Eine Bestandsaufnahme der Klimapolitik wird in Kapitel 2 vorgelegt. Diesen Status quo vergleichen wir mit den klimapolitischen Zielen, wie sie in Paris vereinbart wurden, um daraus den zukünftigen Handlungsbedarf abzuleiten. Zur Überbrückung der Kluft zwischen einem Szenario ohne Klimaschutzmaßnahmen und dem, was geschehen müsste, um gefährlichen Klimawandel abzuwenden, bedarf es eines grundlegenden Umbaus des Energiesystems und der Landnutzung.
Dieser Umbau kann jedoch nur gelingen, wenn auch die Fundamente von Wirtschaft und Gesellschaft erneuert werden. Damit setzen wir uns in Kapitel 3 auseinander. Dabei geht es vor allem um Technologien, Risiken und Kosten der Emissionsvermeidung. Wir zeigen, dass es nicht die Welt kostet, den Planeten zu retten, und sich daher eine ambitionierte Klimapolitik begründen lässt. Auch wenn die Kosten des Klimaschutzes tragbar sind, sind die politischen Herausforderungen dennoch gewaltig.
Kapitel 4 skizziert, wie die internationale und die nationale Klimapolitik ausgestaltet werden kann. Wir erklären, warum es so schwierig ist, ein internationales Abkommen abzuschließen, und welchen klimapolitischen Handlungsspielraum Nationalstaaten haben. Zusätzlich werden Wege aus der Sackgasse aufgezeigt, in die sich die europäische und die deutsche Klimapolitik manövriert hat.
Die internationale Klimapolitik hat sich im Weltklimarat ein einzigartiges Gremium geschaffen, das für ihre Agenda von fundamentaler Bedeutung ist. Das ist Grund genug, diese Institution und die Rolle der Wissenschaft in der Politikberatung im letzten Kapitel darzustellen.
Wir verzichten im Text auf Literaturangaben, da die wissenschaftliche Literatur in den letzten Jahren explosionsartig gewachsen ist. Eine Diskussion der relevanten Literatur ist daher in diesem Überblick nicht möglich und soll auch gar nicht versucht werden. Der Leser findet im Literaturanhang Angaben zu weiteren Einführungen in die Thematik, zu Überblicksaufsätzen, aber auch zu wichtigen Aufsätzen der Fachliteratur, die eine weitere Orientierung ermöglichen sollen.
Die Ozeane, die Atmosphäre, die Böden und die Wälder sind Lagerstätten für Treibhausgase – man nennt sie auch globale Senken. Treibhausgase, die in die Atmosphäre abgelagert werden, haben dort eine Verweildauer von Tausenden von Jahren. Daher füllen sich diese Lagerstätten von Jahr zu Jahr, weil der Bestand der Treibhausgase zunimmt. Je höher dieser Lagerbestand ist, desto höher ist auch die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Vor der Industriellen Revolution lag die Treibhausgaskonzentration noch bei etwa 280 ppm. Die Abkürzung «ppm» steht für «parts per million», also die Anzahl an Treibhausgasmolekülen in einer Million Moleküle in der Atmosphäre. Diese Konzentration ist durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe, Entwaldung, Landnutzung und industrielle Prozesse stetig gestiegen, derzeit beträgt sie etwa 400 ppm.
Die erhöhte Konzentration der Treibhausgase verändert den Strahlungshaushalt der Erde. Das von der Erde reflektierte Sonnenlicht verbleibt verstärkt in Form von Wärme in der Atmosphäre, so dass sich die globale Mitteltemperatur erhöht. Auch lokale klimatische Bedingungen sind von diesem Anstieg betroffen, ebenso der Wärmetransport über die Zirkulation von Luft und Wasser.
Der Anstieg der globalen Mitteltemperatur birgt beträchtliche Risiken für die Lebensbedingungen auf der Erde. Da die zukünftigen Folgen des Klimawandels nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden können, hat der Weltklimarat die Klimafolgen in Risikoklassen eingeteilt, genannt «reasons for concern». Abbildung 1 zeigt die mit dem Anstieg der globalen Mitteltemperatur verbundenen Risiken. In die erste Klasse fallen Risiken etwa für Korallenriffe und die Ökosysteme der Arktis, die bereits bei einem Temperaturanstieg von 1,5°C bedroht sind. Die Häufigkeit und Intensität von Hitzewellen und tropischen Stürmen wird in einer zweiten Risikoklasse analysiert. Die Verteilung der Risiken über Regionen und Einkommensklassen werden in der dritten, die ökonomischen Schäden für die Weltwirtschaft in der vierten Klasse zusammengefasst. Großskalige singuläre Ereignisse für den gesamten Planeten sind etwa der Verlust der polaren Eisschilde. Ihre Wahrscheinlichkeit mag vielleicht gering sein, kann aber mit irreversiblen und drastischen Auswirkungen einhergehen. Es ist bislang unklar, bei welchem Temperaturanstieg mit großskaligen, abrupten und irreversiblen Änderungen im Erdsystem zu rechnen ist. Aber bereits ein Temperaturanstieg von 1,5 °C könnte zum praktisch vollständigen Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes führen. Die Freisetzung von Methan, das im Permafrost gebunden ist, würde den Klimawandel womöglich weiter beschleunigen. Korallenriffe in warmen Regionen und das arktische Ökosystem zeigen bereits deutliche Beeinträchtigungen und könnten bereits bei einem Anstieg von 1,5 °C vollständig verschwinden. Der 1,5 °C-Bericht des IPCC hat deutlich gemacht, dass angesichts dieser Klimafolgen eine Begrenzung des Anstiegs der globalen Mitteltemperatur dringend geboten wäre.
Die Risikoeinschätzungen in Abbildung 1 beruhen auf Expertenmeinungen. Sie gründen sowohl auf der Kenntnis der bio-physikalischen Folgen des Klimawandels als auch auf der subjektiven Einschätzung der damit einhergehenden Gefahren und Schäden. Diese Übersetzung von biophysikalischen Wirkungen in Schäden ist unvermeidbar, wenn die Klimafolgen für politische Entscheidungssituationen aufbereitet werden sollen. Entscheidungsträger können sich nur dann mit der Abwehr von Gefahren beschäftigen, wenn diese als solche beschrieben und grundsätzlich vermieden werden können.
So illustriert Abbildung 1, welche Risiken der bereits beobachtete Temperaturanstieg von ca. 1°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau mit sich bringen könnte: Veränderte Niederschläge schmälern in vielen Regionen die landwirtschaftlichen Erträge. Die zunehmende Erwärmung und Versauerung der Ozeane beeinträchtigt Meeresorganismen und bedroht damit die Lebensgrundlage vieler Menschen (z.B. die Fischerei). Die Störung des Wasserkreislaufes vermindert die Qualität und Quantität der verfügbaren Wasserressourcen.
Findet die globale Gemeinschaft keinen Weg in eine weltweite, gemeinsame Klimapolitik, ist ein Anstieg der globalen Mitteltemperatur bis 2100 um 3,5°C bis 5°C wahrscheinlich. Diese Abschätzung beruht auf mehr als 400 computergestützten Szenarien internationaler Forschergruppen, die der Weltklimarat zusammengestellt hat. Diese Szenarien gehen davon aus, dass es zu keiner ausreichend ambitionierten Klimapolitik kommt. Sie treffen zugleich unterschiedliche Annahmen über Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Technologieentwicklungen, die es erlauben, eine Zukunft ohne Klimapolitik auszuloten.
Mit welchen Gefahren ist in einer Welt zu rechnen, in der die globale Mitteltemperatur 4°C oder mehr über dem vorindustriellen Niveau liegen wird? Die Zerstörung von Ökosystemen, Artensterben, ein Einbruch der weltweiten Nahrungsmittelproduktion sowie sinkende Arbeitsproduktivität aufgrund hoher Temperaturen und zunehmender Luftfeuchtigkeit in tropischen Ländern werden wahrscheinlicher. Der Klimawandel dürfte auch unmittelbare Folgen für den Menschen haben. So zeigt eine aktuelle Untersuchung, dass der medizinisch-technische Fortschritt durch den Klimawandel teilweise zunichtegemacht werden könnte. Dieser führt demnach nicht nur zu mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie etwa Herzinfarkten, sondern erschwert den Zugang zu sauberem Wasser, verknappt Nahrungsmittel und fördert die Ausbreitung von Krankheitsüberträgern, die vor allem Menschen in armen Ländern schädigen werden. Die Begrenzung des Klimawandels wird daher von vielen Experten als die größte Herausforderung für die Gesundheitspolitik im 21. Jahrhundert bezeichnet.
Welcher Temperaturanstieg für die Menschheit verkraftbar ist, kann nicht allein aufgrund der naturwissenschaftlichen Klimafolgenforschung entschieden werden, denn Menschen und Gesellschaften können sich bis zu einem gewissen Grad an den Klimawandel anpassen. Anpassungsstrategien sind vor allem kurz- und mittelfristig wirksam: Bewässerungssysteme, höhere Deiche, Küstenschutz und eine widerstandsfähigere Infrastruktur sind nur einige Beispiele dafür. Die Wirksamkeit solcher Maßnahmen lässt sich nur schwer voraussagen, da die Folgen des Klimawandels diese Anpassungsleistungen zunichtemachen können. Es ist daher plausibel, dass bei einem ungebremsten Klimawandel in vielen Regionen der Welt zunächst die Kosten der Anpassung steigen und schließlich deren Grenzen erreicht werden.
Für kleine Inselstaaten oder für die Bewohner der Arktis könnte der Handlungsspielraum schnell erschöpft sein. In heißen Regionen könnte die Arbeit auf dem Bau oder in der Landwirtschaft so unerträglich werden, dass die betroffenen Menschen in die gemäßigteren Zonen überzusiedeln versuchen, um dort eine einträglichere Beschäftigung zu finden. Zwar wird immer wieder behauptet, dass sich beispielsweise Bauern an den Klimawandel auch ohne staatliche Intervention anpassen können, indem sie sich gegen Ernteausfälle versichern oder auf resistentes Saatgut setzen. Auch mag es noch relativ einfach sein, einen Meeresspiegelanstieg von 20 oder 30 cm zu verkraften. Steigt dieser aber um mehrere Meter, helfen wohl keine Dämme mehr; dann müssten ganze Städte umgesiedelt werden. Gerade für viele Megastädte, die am Meer liegen, besteht diese Option jedoch nicht. Es ist auch unwahrscheinlich, dass Pflanzen wie Reis, Mais oder Weizen, die für die Welternährung entscheidend sind, noch ausreichende Erträge liefern, wenn die globale Mitteltemperatur um mehr als 4°C steigt. Diese Beispiele zeigen, dass die Grenzen der Anpassung selbst für effiziente Stadtregierungen, findige Bauern und kluge Versicherungsunternehmen schnell erreicht sein können. Es wäre daher fahrlässig, würde die Weltgemeinschaft eine ambitionierte Klimapolitik unterlassen, weil sie glaubte, Anpassung sei einfacher und billiger als Vermeidung. Anpassung wird Vermeidung ergänzen müssen – ein Ersatz kann sie nicht sein.
Da sich die Grenzen konventioneller Anpassungsmaßnahmen nicht eindeutig bestimmen lassen, wird über Alternativen dazu diskutiert. Denkbar wäre etwa bei fortschreitender globaler Erwärmung der Einsatz von Technologien, mit deren Hilfe der Strahlungshaushalt der Erde durch Abschirmung einfallenden Lichts direkt gesteuert und der Planet damit abgekühlt werden kann. Ein Beispiel hierfür ist das Einbringen von Rußpartikeln in obere Schichten der Atmosphäre. Ganz zu schweigen davon, dass sich derartige Technologien bislang noch nicht in großem Maßstab anwenden lassen, sind sie auch mit beträchtlichen Risiken behaftet, die wir in Kapitel 3 ausführlicher diskutieren. Es wäre daher unvernünftig, sich lediglich auf «Geo-Engineering» zu verlassen und auf die Verminderung von Emissionen zur Reduktion der Erderwärmung zu verzichten.
Selbst eine starke Verminderung der Treibhausgasemissionen kann das Risiko gefährlichen Klimawandels nicht auf null reduzieren – sie kann jedoch die Risiken entscheidend vermindern. Daher hat sich die internationale Gemeinschaft in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) darauf verständigt, den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf maximal 2°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Das im Dezember 2015 in Paris formulierte UNFCCC-Klimaabkommen geht sogar über dieses Ziel hinaus, indem es die Möglichkeit anstrebt, die Schranke bei 1,5°C zu schließen.
Eine ambitionierte Politik der Emissionsvermeidung bringt allerdings auch Kosten mit sich, da emissionsarme Energiequellen meist teurer sind als herkömmliche fossile Energieträger. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob und wie sich Emissionsminderungen ökonomisch rechtfertigen lassen.
Wie im vorherigen Abschnitt diskutiert, lassen sich die langfristigen Auswirkungen des Klimawandels nicht genau vorhersagen. Vielmehr spricht man von möglichen Risiken und der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens. Eine rationale Klimapolitik wird also die möglichen Auswirkungen des gefährlichen Klimawandels den Kosten der Emissionsreduktion gegenüberstellen müssen. Wie soll diesen in einem vernünftigen Entscheidungskalkül Rechnung getragen werden? Die politischen Entscheidungsträger gehen eine Wette ein, wenn sie sich für eine ambitionierte Klimapolitik entscheiden. Die explizite Formulierung dieser Wette zeigt, was die Befürworter und die Gegner einer Klimapolitik voraussetzen müssen, damit ihre Politik vernünftig ist. Die gegenwärtige Debatte und vor allem die wissenschaftlichen Fakten lassen sich damit besser einschätzen und bewerten.
Wir gehen davon aus, dass die Menschheit zwei Handlungsoptionen hat: entweder eine ambitionierte Klimapolitik oder aber keine Klimapolitik zu betreiben. Die Menschheit ist mit zwei möglichen Zuständen des Klimasystems konfrontiert – entweder würde ungebremster Klimawandel gefährliche Auswirkungen haben, oder aber er wäre harmlos. Diesen beiden Zuständen ordnen wir die Wahrscheinlichkeiten p und 1–p zu (siehe Abbildung 2).
Gefährlicher Klimawandel Wahrscheinlichkeit p |
Harmloser Klimawandel Wahrscheinlichkeit 1–p |
|
Ambitionierte Klimapolitik |
Geringe Schäden (E) + Minderungskosten (C) |
Minderungskosten (C) |
Keine Klimapolitik |
Hohe Schäden (V) |
Weder Kosten noch Schäden (0) |
Abb. 2: Die klimapolitische Wette anhand gesellschaftlicher Kosten unter verschiedenen Handlungsoptionen und Auswirkungen des Klimawandels.
Im ersten Fall entstehen ohne Klimapolitik langfristige und irreversible Schäden (V), selbst mit optimalen Anpassungsmaßnahmen. Mit einer ambitionierten Klimapolitik werden die Schäden des Klimawandels hingegen auf das Niveau E begrenzt. Im zweiten Fall würde es selbst ohne Klimapolitik nur zu einem harmlosen Klimawandel kommen, ohne dass dabei nennenswerte Schäden auftreten. In beiden Fällen führt Klimapolitik zu kurzfristigen Kosten (C). Wenn die Vermeidung von Emissionen Kosten verursacht, dann ist das Vorzeichen positiv. Es ist sogar denkbar, dass das Vorzeichen negativ ist und ein Netto-nutzen durch Emissionsminderung entsteht (also negative Kosten). Letzteres wäre der Fall, wenn beispielsweise die Kosten des Umbaus des Energiesystems durch die Verringerung der lokalen Luftverschmutzung aufgewogen würden. In diesem Fall ließe sich das Klimaproblem wahrscheinlich relativ einfach lösen. Diese Hoffnung hat sich allerdings bislang nicht erfüllt, und wir müssen davon ausgehen, dass der Umbau des Energiesystems Kosten verursacht.
Die Entscheidungsträger wählen vernünftigerweise jene Option, die die geringsten zu erwartenden Kosten mit sich bringt. Die Wahrscheinlichkeit für gefährlichen Klimawandel ist zunächst eine Einschätzung der Entscheidungsträger. Nichthandeln würde zu erwarteten Kosten von p·V führen, Klimaschutz hingegen zu Kosten von C+p·E. Der risikoneutrale Entscheidungsträger würde sich also genau dann für einen ambitionierten Klimaschutz entscheiden, wenn p > C / (V–E).[1] Diese Formel zeigt, dass ein ambitionierter Klimaschutz umso eher unternommen wird, je größer die Wahrscheinlichkeit des gefährlichen Klimawandels ist, je schwerwiegender die verursachten Schäden des Klimawandels sind, je mehr Schäden durch eine Verminderung der Emissionen vermieden werden können und je geringer die Kosten des Klimaschutzes sind. Selbst bei geringer Wahrscheinlichkeit des gefährlichen Klimawandels wäre eine ambitionierte Klimapolitik auch dann rational, wenn die Kosten niedrig sind oder die Schäden des Klimawandels durch eine ambitionierte Klimapolitik deutlich vermindert werden können.
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