Alexander Demandt
DIE KELTEN
C.H.Beck 2021
In dieser Einführung findet sich etwas mehr, als man über die Kelten wissen sollte, und erheblich weniger, als man über sie wissen könnte. Alexander Demandt vermittelt anschaulich und allgemeinverständlich Grundkenntnisse über Ursprung, Gesellschaft, Staatsform, Kultur, Religion und Mythologie eines der vier bedeutendsten Völker der europäischen Geschichte in der Antike. Es ist nicht spurlos verschwunden.
Alexander Demandt lehrte bis zu seiner Emeritierung als Professor für Alte Geschichte an der Freien Universität Berlin. Von ihm sind folgende Werke im Verlag C.H.Beck lieferbar: Sternstunden der Geschichte (22004); Theodor Mommsen, Römische Kaisergeschichte (22005); Geschichte der Spätantike (22008, Beck’s Historische Bibliothek); Plutarch, Alexander. Der Eroberer (2008); Alexander der Große (2009); Das Privatleben der römischen Kaiser (22012); Pontius Pilatus (2012); Der Fall Roms (22014) und Marc Aurel. Der Kaiser und seine Welt (32020).
Bildnachweis
Vorwort zur ersten Auflage
Vorwort zur neunten Auflage
1. Name
2. Ursprung und Quellen
3. Ausbreitung im Westen
4. Züge in den Osten
5. Die Wirtschaft
6. Die Religion
7. Die Gesellschaft
8. Das Stammeswesen
9. Fürstensitze und Städte
10. Könige
11. Adelsherrschaft
12. Der politische Niedergang
13. Caesar in Gallien
14. Die Kelten in der Kaiserzeit
15. Die iroschottische Mission
16. Keltische Mythen
17. Kelten im Humanismus
18. Keltenromantik
Literatur
Register
Für Melusine de La Roche Aymon geb. Demandt
© Keltenwelt am Glauberg/P. Odvody: Abb. 1
Berlin, Pergamon-Museum, © akg-images: Abb. 2
© akg-images: Abb. 3
A. Demandt, Diasammlung zu Lehrzwecken, Abb. 4, 5, 8, 16, S. 117
Nach Atlas der spätkeltischen Viereckschanzen Bayerns, bearbeitet von Klaus Schwarz, Pläne und Karten, München 1959, S. 152–155: Abb. 6
Photo: CC-BY-SA, Roberto Fortuna & Kira Ursem, Dänisches Nationalmuseum, Kopenhagen: Abb. 7
Photo: Conseil départemental des Côtes d’Armor; Aufbewahrungsort: La résidence aristocratique gauloise de Saint-Symphorien à Paule (Côte d’Armor, Bretagne): Abb. 9
Museum für Vor- und Frühgeschichte, Saarbrücken: Abb. 10
© akg-images/De Agostini Picture Library: Abb. 11
C.H.Beck/Entwurf A. Demandt: Abb. 12
Römisch-Germanische Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts, Frankfurt am Main: Abb. 13
Nach Bayerische Vorgeschichtsblätter, München 1942, S. 14, Abb. 2 (Zeichnung K. H. Wagner): Abb. 14
Paris, Musée nationale du Moyen Âge – Thermes de Cluny, © bpk/RMN-Grand Palais/Jean-Gilles Berizzi/Gérard Blot: Abb. 15
Aus L. Bieler, Irland. Wegbereiter des Mittelalters, Basel 1961, S. 28: Abb. 17
© Hervé Champollion/akg-images: Abb. 18
Aus T. G. E. Powell, The Celts, London 1958 Abb. S. 117a.b. c: Abb. 19
© Peter Palm, Berlin: vordere Umschlaginnenseite
Nach Westermann. Großer Atlas zur Weltgeschichte, Braunschweig 1997, S. 29, 5 © Peter Palm, Berlin: hintere Umschlaginnenseite
Es war dem Verlag C.H.Beck nicht in allen Fällen möglich, die Inhaber des Copyrights ausfindig zu machen. Der Verlag ist selbstverständlich bereit, berechtigte Ansprüche abzugelten.
Am Fuße des hessischen Glaubergs zwischen Vogelsberg und Wetterau liegt das Dorf Lindheim, in dem ich aufgewachsen bin. Als Primaner hat mich der Ausgräber des Glaubergs, Heinrich Richter, für die Alte Geschichte gewonnen. Eine der zahlreichen Besiedlungsphasen jener Höhenburg fällt in die Keltenzeit. Dies haben die aufsehenerregenden Grabfunde bestätigt, die seit 1994 ans Licht gekommen sind. Als Student habe ich 1959 unter Wolfgang Kimmig auf der Heuneburg bei Hundersingen graben dürfen; 1960 hat mich Josef Weisweiler in Marburg in die irisch-keltische Sprache eingeführt. Im gleichen Jahre brachte mir Wolfgang Dehn die keltischen Denkmäler in Burgund und Südfrankreich nahe; 1964 besuchte ich als Reisestipendiat des Deutschen Archäologischen Institutes Galatien und Pergamon, eine Exkursion 1981 mit Studenten der Freien Universität Berlin galt dem keltisch-römischen Noricum. So waren mir die Kelten stets nahe und haben 1995 in meinem Buch «Antike Staatsformen» ihren gebührenden Platz gefunden.
Auf Bitten meines Lektors Dr. Stefan von der Lahr habe ich auf dieser Grundlage das vorliegende Büchlein verfaßt. Ich habe versucht, die historischen, archäologischen und philologischen Aspekte ausgewogen zu berücksichtigen und auch die Wirkungsgeschichte der Kelten zu skizzieren. Sehr nützlich waren mir der monumentale Katalog der Ausstellung «I Celti» im Palazzo Grassi zu Venedig 1991, herausgegeben von Sabatino Moscati, und die umfassende Darstellung von Helmut Birkhan, Kelten, 21997. Dort suche der Leser alles, was er hier vermißt.
Danken muß ich für Hinweise und Hilfen Karl Feld, Thomas Gerhardt, Renate Meincke, Uwe Puschner und meiner Frau Barbara, deren kritische Geduld auch dieser Schrift zugute gekommen ist. Meine Absicht ist: neugierig (oder in diesem Falle: altgierig) zu machen. Ich folge Augustinus (De vera religione 94): «Alles, was man so Neugier nennt, was sucht sie anderes, als aus der Kenntnis der Dinge Freude zu gewinnen?»
Die Kelten erfreuen sich einer ungebrochenen, ja wachsenden Beliebtheit. Liegt es am Mitgefühl für ein Volk, das aus der Geschichte verschwunden ist? Oder am Reiz einer Kultur, die geheimnisvoll und rätselhaft im Schatten der Griechen und Römer ihr Wesen entfaltete und dann den Germanen weichen mußte? Oder an der Tatsache, daß die Kelten, einst über ganz Europa einschließlich der Türkei verbreitet, von keiner einzelnen Nation als Vorfahren in Anspruch genommen werden können, somit gleichsam Gemeinbesitz des zusammenwachsenden Europa sind? Vielleicht bieten sie auch nur den ersehnten Ersatz für die vielstrapazierten Germanen?
Ich habe die Neuauflage genutzt, einiges zu berichtigen, das Ganze zu überarbeiten und zu erweitern. Anregungen und Hilfe verdanke ich Gerhard Dobesch, Franz Fischer, Johannes Heinrichs, Bernhard Maier, Renate Meincke, Stefan von der Lahr, Karl Strobel, Kurt Tomaschitz und, allen voran, Dir, Duchessa von Heiligensee!
Bedauern muß ich, daß der Charakter der Reihe von «C.H.Beck Wissen» es verbietet, alle Belege zu liefern und Streitpunkte anzumerken. Dafür bleibt auf das Keltenkapitel (XIV) meiner «Antiken Staatsformen» von 1995 hinzuweisen; sie sind vollständig aus den Quellen erarbeitet. Das Literaturverzeichnis wurde wiederum erheblich erweitert. Über den Sinn meiner Arbeit belehrt mich der baierische Hofhistoricus Johannes Aventinus (†1534): «Was mag doch größer und wichtiger sein, denn so viel Toten das Leben, dem Vergessenen das ewige Gedächtnis, dem Verfinsterten das Licht wieder schaffen und geben?»
Lindheim im Herbst 2020 |
Alexander Demandt |
Töne indessen fort, du Nebelharfe Ossians!
Glücklich in allen Zeiten ist,
wer deinen sanften Tönen gehorchet.
Herder 1791
Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum unam incolunt Belgae, aliam Aquitani, tertiam, qui ipsorum lingua Celtae, nostra Galli appellantur. «Ganz Gallien besteht aus drei Teilen, deren einen die Belgen, deren anderen die Aquitanier bewohnen, während im dritten Teil das Volk lebt, das sich selbst Kelten nennt, in unserer Sprache aber Gallier heißt.» Mit diesem Satz eröffnet Caesar sein autobiographisches Werk (commentarii) über den Gallischen Krieg 58 bis 51 v. Chr., das Generationen von Schülern als Lehrbuch des Lateinischen gedient hat. Wer waren diese Kelten?
Im gesamten Raume nördlich der Alpen sind die Kelten das älteste namentlich bekannte Volk. Die Vorbewohner können wir nur mit modernen Kunstwörtern vom Typus «Urnenfelder-Kultur» oder «Schnurkeramiker» bezeichnen. Die griechischen Autoren verwenden die Formen Keltoi (so Herodot), Keltai (so Strabon) und Galatai (so Pausanias), die Lateiner Celtae (so Livius) oder Galli (so Caesar). Alle diese Namensformen bezeichnen dasselbe, im Deutschen «Kelten» genannte Volk. Es handelt sich bei diesem Namen um eine Selbstbezeichnung, sie wird vermutungsweise mit «die Kühnen» übersetzt. Heute werden die Kelten in Gallien als Gallier und die in Galatien als Galater unterschieden, während der Name «Kelten» als Oberbegriff dient. Die Germanen haben die Kelten die «Welschen» genannt, indem sie den Stammesnamen der ihnen südlich benachbarten keltischen Volcae, die noch zu Caesars Zeit in Mitteldeutschland lebten, auf die Kelten insgesamt ausdehnten und später sogar die Romanen damit bezeichneten. Das Wort «welsch» steckt in zahlreichen deutschen Namen und Begriffen: Wallis, Wallonen, Wales, Cornwall, aber auch in Wallach und Walnuß.
Das in der Selbstbezeichnung der Kelten zum Ausdruck kommende Zusammengehörigkeitsgefühl schlägt sich in einem Abstammungsmythos nieder. Caesar (VI 18,1) berichtet, alle Kelten hielten sich für Nachkommen des Gottes Dispater, zu deutsch «Gottvater». Der Name Dispater ist wortgeschichtlich mit Juppiter und Zeus verwandt; der gemeinte Gott aber wurde von den Römern mit dem Gott der Unterwelt, Hades/Pluton gleichgesetzt. Die Vorstellung, vom Gott der Unterwelt abzustammen, entspricht einem Glauben an Bodenständigkeit, an Autochthonie. Die Athener waren stolz darauf, nicht «hergelaufen», sondern «erdgeboren» zu sein, so Herodot (I 56).
Daneben entstand unter griechischem Einfluß die Sage, der Urvater der Kelten sei der Heros Galates. Solche namengebenden (eponymen) Heroen begegnen in der antiken Mythologie häufig. Galates soll ein Sohn des Herakles gewesen sein. Herakles zählte zu den großen Wanderheroen der Antike. Während Dionysos im Osten bis Indien gezogen sein soll, Odysseus ziemlich alle zu Wasser erreichbaren Orte besucht hatte, fabulierte man von der Reise des Herakles zu den Hesperiden im Westen, wobei er überall die Frauen verführt und seine Nachkommen hinterlassen habe. So wie später die Burgunder mit ihrem Anspruch auf Verwandtschaft mit Rom, die Franken mit ihrer angeblichen Abstammung von den Trojanern und die Sachsen mit ihrer Herleitung von den aus Babylon nach Holstein gesegelten Makedonen Alexanders, haben schon gebildete Kelten der römischen Kaiserzeit versucht, durch eine etymologisch-genealogische Abstammungslegende ihre Zugehörigkeit zur griechisch geprägten mediterranen Kulturwelt zu erweisen.
Über ein halbes Jahrtausend wurde die Geschichte Westeuropas von den Kelten bestimmt. Ihre Stämme fassen wir als politische Gebilde in der Zeit vom 6. Jahrhundert vor bis zum 1. Jahrhundert n. Chr. Für Griechen und Römer waren die Kelten Barbaren, entsprachen dem damit verbundenen Bild und haben zu dessen Prägung beigetragen. Als nördliche Nachbarn der mediterranen Poliswelt (Welt der Stadtstaaten) gehören sie zu den antiken Randkulturen. Dieser Begriff darf nicht in abwertendem Sinne verstanden werden. Er entspringt der ethnologischen Beobachtung, daß der kulturelle Austausch nicht immer von gleich zu gleich erfolgt: Oft besteht ein «kulturelles Gefälle», denn stets gab es «Entwicklungsvölker», die von ihren weiter fortgeschrittenen Nachbarn mehr gelernt als diesen vermittelt haben, die mehr Einflüsse aufgenommen als ausgestrahlt haben.
Caesar (VII 22) nennt die Gallier ein Volk, das höchst geschickt darin sei, Anregungen und Erfindungen von anderen aufzugreifen und auszunutzen. So haben die Kelten von den Griechen und Römern Schrift- und Geldwirtschaft übernommen, beides aber nie völlig ausgebildet. So wie die Völker der übrigen antiken Randkulturen, waren auch die Kelten den Römern im Felde nicht gewachsen; die Legionen waren stets besser bewaffnet, besser diszipliniert und besser organisiert. Gleichwohl hatten die Kelten den Römern auf dem technischen Sektor manches zu bieten (s.u.).
Trotz ihrer hohen historischen Bedeutung sind die ursprünglichen Kelten von der politischen und ethnischen Landkarte Europas verschwunden. Nach ihrer durch Reiterei und Eisenwaffen erleichterten großen Expansion, die von Irland bis Zentralanatolien reicht, und den engen Berührungen mit den Völkern des Mittelmeerraums ist das Keltentum im Zuge der Hellenisierung im Osten und der Romanisierung und dann der Germanisierung im Westen bis auf geringe Reste im Celtic Fringe, zumal in Irland, untergegangen, genauer: in den nachfolgenden Völkern aufgegangen. Im Mittelalter jedoch treten die christlichen Kelten wieder in Erscheinung und haben im Zuge dreier Renaissancen das Kulturleben Europas befruchtet. Diese Renaissancen bis in die jüngste Zeit verbinden sich mit dem Namen Artus und den Gralsrittern seiner Tafelrunde, mit den schwermütigen Gesängen Ossians und – man verzeihe! – mit dem noch immer munteren Asterix.
Unser Wissen über die Kelten beziehen wir in erster Linie aus den griechischen und römischen Schriftstellern. Anlaß für die Berichterstattung sind in der Regel kriegerische Begegnungen. Die ältesten Nachrichten stammen von zwei Historikern aus dem griechischen Kleinasien, Hekataios von Milet und Herodot von Halikarnassos. Hekataios schrieb in der Zeit um 500 v. Chr., er nennt das Hinterland der ligurischen Küste und von Marseille – griechisch Massalia, lateinisch Massilia – Keltikê (gê), «keltisches Land», wo auch die Stadt Nyrax liege. Mit einiger Wahrscheinlichkeit läßt sich Nyrax mit dem Königreich Noricum in Kärnten und Steiermark gleichsetzen, so daß damals der Alpenraum und das Rhônetal als keltisch angesprochen werden dürfen.
Herodot (II 33; IV 49) überliefert aus der Zeit um 450, der Istros, d.h. die Donau, entspringe im Lande der Kelten, bei der Stadt Pyrene. Meint er hier die Pyrenäen? Sie wären dann aus seiner Perspektive mit dem Schwarzwald verschmolzen. Die Kelten lebten, so schreibt er, wohl nach karthagischen Quellen, außerhalb der Säulen des Herakles – wenn man sie nämlich zu Schiff erreichen wollte, denn das Hinterland von Marseille war von Ligurern bewohnt. Das waren dann die keltisch geprägten Lusitanier in Portugal. Demnach besiedelten die Kelten um 500 v. Chr. das Voralpenland, das mittlere Frankreich und das Küstengebiet am Atlantik.
Unter den späteren Autoren griechischer Zunge berichten über die Kelten insonderheit Polybios in seinem um 150 v. Chr. abgefaßten, großenteils verlorenen Geschichtswerk; der Stoiker Poseidonios, der um 90 v. Chr. Gallien und Spanien bereist hat, dessen griechisch verfaßte Völkerkunde von Diodor benutzt wurde, sonst jedoch nur in Zitaten erhalten ist; weiterhin der unter Augustus schreibende Geograph Strabon, der Reiseschriftsteller Pausanias aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. und die Enzyklopädie antiker Tafelkultur des Athenaios aus Naukratis in Ägypten, verfaßt um 200 n. Chr.
Die lateinischen Literaten überragt Caesar, der uns in seinen eingangs erwähnten sieben Büchern «De bello Gallico» ausführlich und verläßlich über das keltische Stammeswesen unterrichtet, vor allem in seinem Gallier-Exkurs (VI 11–20). Dieses Werk ist gemeint, wenn, wie hier, hinter Caesars Namen Buchnummer und Paragraph in Klammern zitiert werden. Caesar hat als Prokonsul 58 bis 51 v. Chr. Gallien erobert und Land und Leute dabei gründlicher kennengelernt als irgend jemand vor ihm. Trotz des immer wieder erhobenen und stellenweise begründeten Vorwurfs einer déformation historique (Rambaud 1966) einer prorömischen Tendenz bleibt Caesar als Quelle unersetzbar. Einzelne Meldungen aus zweiter Hand verdanken wir weiterhin den unter Augustus entstandenen lateinischen Geschichtswerken von Livius, Pompeius Trogus beziehungsweise Justin, Tacitus (um 100) und Ammianus Marcellinus (um 400).
Caesar ist der erste antike Autor, der zwischen Kelten und Germanen unterschieden hat. Seinem Exkurs über die Gallier folgt ein solcher über die Germanen. Vor der Zeit Caesars herrschte die Ansicht, daß West-, Mittel- und Nordeuropa ausschließlich von keltischen Stämmen bewohnt seien. Es ist möglich, daß bereits Poseidonios den Unterschied erkannt hat, da er die Sprache der germanischen Teutonen anscheinend nicht als gallisch betrachtete. Die ursprüngliche Gleichsetzung der beiden Völker beruhte auf der weitgehenden Übereinstimmung in Wesensart und Lebensform, auf ihrer Nachbarschaft und darauf, daß der Name Germani höchstwahrscheinlich eine keltische Fremdbenennung für die sich selbst als Sweben bezeichnenden Völker rechts des Rheins darstellt. Der Name Germani findet sich für zwei rein keltische Stämme an der oberen Rhône und in Spanien. Obschon die Verschiedenheit von Kelten und Germanen seit Caesar und erst recht seit der «Germania» des Tacitus jedem Römer bekannt sein konnte, haben einzelne Autoren bis in die byzantinische Zeit die Germanen als «Barbaren des Nordens» zu den Kelten gerechnet, so Appian, Cassius Dio und das große byzantinische Lexikon aus dem 10. Jahrhundert, die Suda.
Der nach antiker wie moderner Ansicht entscheidende Grund für die Verschiedenheit von Kelten und Germanen liegt in der Sprache. Das Keltische, das in ganz Gallien gesprochen wurde, ebenso in Britannien und Galatien, gehört zu den 1810 von dem Dänen Conrad Malte Brun so benannten indogermanischen Sprachen. Wir besitzen aus der Antike keine längeren keltischen Texte, nur etwa 60 Inschriften der vorchristlichen Zeit. Dazu kommen Namen auf Münzen und Glossen antiker Autoren sowie Personen- und Ortsnamen. Keltische Namen für Flüsse, Berge, zuweilen auch Siedlungen begegnen in einem Gebiet, dessen Nordgrenze vom Niederrhein über das keltische «Eisenach» bis nach Böhmen verläuft. Keltisch oder vorkeltisch sind die Namen vieler deutscher Flüsse, so die von Rhein, Lippe, Ruhr, Lahn, Main, Nidda, Neckar und Tauber. Auch Donau, Isar und Lech tragen keltische Namen. Der Gesamtraum keltischer Ortsnamen greift dann aus über ganz Frankreich, nach Mittelspanien und Britannien.
Die Sprachwissenschaft unterscheidet zwischen zwei Formen des Keltischen, dem Q-Keltischen und dem P-Keltischen. Q-Keltisch hat beispielsweise die Form equos für Pferd, P-Keltisch die Form epos. Wir finden im Kernraum, das heißt in Gallien und England mit Wales und Cornwall, aber auch in Galatien das P-Keltische, durchsetzt mit wenigen Resten von Q-keltischen Ortsnamen (Sequana – Seine), während in Irland, Schottland und in Spanien das Q-Keltische herrschte, das als Gälisch oder Goidelisch bis in die Gegenwart in Irland mehr gepflegt als gesprochen wird. Das Q-Keltische zeigt engere Verwandtschaft zum Lateinischen (equus), und das erlaubt den Schluß, daß das Q-Keltische die ältere Variante ist, die aus dem späten 2. Jahrtausend stammt, als Urkelten und Uritaliker noch Nachbarn in Mitteleuropa waren. Im Zentralraum hat sich die Sprache zum P-Keltischen fortgebildet, ohne daß die konservativen Randzonen dieser Entwicklung gefolgt wären. Eine verwandte Erscheinung zeigt das kanadische Französisch, wo sich Eigenarten gehalten haben, die im Mutterland verschwunden sind.
Aus der Zeit und dem Raum, für welche eine keltische Besiedlung bezeugt ist, stammt ein geschlossener Komplex gleichartiger Bodenfunde, der seit 1872 nach einer fundreichen Sandbank im Neuenburger See in der Westschweiz als Latène-Kultur bezeichnet wird. Es ist die jüngere, von 450 v. Chr. bis zur Römerzeit gerechnete Eisenzeit. Sie bildet den Abschluß der Urgeschichte in Mitteleuropa. Da die Latène-Kultur sich kontinuierlich aus der Hallstatt-Kultur, benannt nach dem wichtigsten Ort des keltischen Salzbergbaus im Salzkammergut, d.h. aus der älteren Phase der Eisenzeit, heraus entwickelt hat, werden auch bereits deren Träger als Kelten angesprochen. Die Hallstatt-Kultur umspannt in Süddeutschland die Zeit von etwa 800 bis 450 v. Chr.
Die Kelten der Hallstatt- und Latène-Zeit sind archäologisch sehr gut bezeugt. Wir kennen zahlreiche Höhensiedlungen (oppida), denken wir an den Mont Auxois (das antike Alesia), den Mont Beuvray (das antike Bibracte), an die Heuneburg bei Hundersingen an der oberen Donau oder den Glauberg in der hessischen Wetterau. Die wichtigsten Funde lieferten unberaubte Fürstengräber, darunter das um 480 v. Chr. angelegte, 1953 aufgedeckte Hügelgrab von Vix beim oppidum Mont Lassois mit reichstem Inventar, ausgestellt in Châtillon-sur-Seine, weiterhin der 1977 entdeckte Tumulus von Hochdorf beim oppidum Hohenasperg aus der Zeit um 540 v. Chr. mit kostbaren Beigaben, heute im Landesmuseum Stuttgart, sowie das Grab vom Glauberg mit der berühmten Statue, entdeckt 1994, aus dem 5. Jahrhundert. Die Zahl der hallstattzeitlichen Grabhügel allein in Württemberg wird auf fast 7000 geschätzt.
Für die weiter zurückliegenden Perioden werden die Annahmen über das, was «keltisch» heißen darf, ungewisser. Ob die der Hallstatt-Zeit vorausgegangene Urnenfelder-Bronzezeit (1200 bis 800 v. Chr.) oder gar die davor anzusetzende Hügelgräber-Bronzezeit (1500 bis 1200 v. Chr.) bereits von keltisch Sprechenden getragen wurde, bleibt umstritten. Der Begriff «Protokelten» ist eine Verlegenheitslösung. Nach der herrschenden Ansicht ist die Ausbreitung der Urnenfelder um 1100 v. Chr. mit der Wanderung der Indogermanen nach Westen gleichzusetzen.
Der Historiker steht bei den Kelten vor demselben Problem, das mit der Herkunft der Griechen, Germanen und Slawen verbunden ist: Die Anfänge sind dunkel. Letztlich läuft die Frage nach dem Ursprung der Kelten auf einen Streit um Worte hinaus: Da wir niemals wissen werden, seit wann sich Menschen selbst als Kelten betrachtet haben, bleibt es uns überlassen, welche Fundgruppen wir als keltisch bezeichnen. Und wüßten wir, wie lange es die Selbstbezeichnung der Kelten schon gibt, so wäre daraus für deren ethnische Identität ebensowenig zu folgern wie aus der Namensgleichheit der Indios, Indianer und Inder oder aus der nominellen Kontinuität der «Preußen». Was haben die alemannischen Hohenzollern auf dem deutschen Kaiserthron außer dem Namen mit den Pruzzen an den masowischen Seen gemein? So wie Völker wandern auch Namen ohne die Menschen oder überdauern deren Ortswechsel. Die Griechen nannten die nördlichen Barbaren unterschiedslos «Skythen», deren Name haftete am Land.
Tierfibel vom Glauberg, 5. Jh. v. Chr.
alienigenae