New Work: Knigge reloaded
Umgang und Netiquette
in einer agilen Arbeitswelt
Saskia Eversloh und Isabel Schürmann
Illustriert von Jacek Jankowski
Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Kristina Sinemus, Hessische Staatsministerin für Digitale Strategie und Entwicklung sowie Vorsitzende des Rats für Digitalethik
Die folgenden Elemente erleichtern Ihnen die Orientierung im Buch:
Kapiteleinstiege
Beispiele, Zitate oder auch Alltagsszenen, die in das Kapitel einführen und die Inhalte auf den Punkt bringen.
Unsere Definitionen
Hier werden Begriffe kurz und prägnant erläutert, um ein einheitliches Verständnis sicherzustellen.
Stimmen aus der Praxis
Hier finden Sie gute Beispiele von Unternehmerinnen und Unternehmern, die ihre Erfahrungen mit uns teilen.
Info-Kästen
Interessante Studien, Hintergründe und Erläuterungen zu neueren gesellschaftlichen Entwicklungen.
Checklisten mit Tipps, Dos and Don`ts
Quiz
Hier können Sie Ihr neues „Knigge reloaded“-Wissen testen.
Prof. Dr. Kristina Sinemus ist seit 2019 erste Hessische Staatsministerin für Digitale Strategie und Entwicklung sowie Vorsitzende des Rats für Digitalethik. Zuvor war sie Geschäftsführerin und Gründerin einer auf Wissenschaftskommunikation spezialisierten Beratungsagentur. Zudem war sie bis zu ihrem Amtsantritt seit 2014 Präsidentin der IHK Darmstadt Rhein Main Neckar und hielt einen Lehrstuhl für Public Affairs an der Quadriga Hochschule Berlin inne.
(Foto: Staatskanzlei/Salome Roessler)
„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ – diese Aussage des deutschen Philosophen Immanuel Kant ist zwar über 200 Jahre alt, im Zeitalter der Digitalisierung aber so aktuell wie nie zuvor. Die Digitalisierung zwingt uns gerade förmlich, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen: Ist ein digitalisiertes Verfahren positiv? Bringt es Nutzen für den Menschen oder Risiken? Kann ich sorglos Bilder in soziale Netzwerke einstellen und Daten preisgeben oder birgt das Gefahren? Manche Menschen stellen sich diese Fragen, andere gehen eher leichtsinnig mit den digitalen Medien um.
Die digitale Transformation der Gesellschaft ist in vielen Bereichen nicht nur eine Evolution, sondern eine Revolution: Ein grundlegender, struktureller Wandel, der rasant an Fahrt aufgenommen hat und unser aller Berufs- und Privatleben nicht nur beschleunigt, sondern auch massiv verändert. Ethische Fragestellungen können bei solchen Entwicklungen schnell auf der Strecke bleiben. Dann braucht es Menschen und Institutionen, die sich der Verantwortung annehmen, eine digitale Ethik und eine Digitalkultur zu entwickeln.
In digital vernetzten Lebenswelten ist es Aufgabe der Politik, Rahmenbedingungen zu schaffen und die Menschen auf dem Weg der digitalen Transformation mitzunehmen. In Hessen tun wir dies seit 2018 mit dem Rat für Digitalethik. Zudem werden wir ein Institut für verantwortungsvolle Digitalisierung einrichten. Denn wir brauchen Orientierung und klare Regeln, wie wir in der digitalen Welt miteinander umgehen.
Ethische Fragen spielen aus meiner Sicht auch beim täglichen Arbeiten eine wichtige Rolle: Die Digitalisierung hat das Arbeiten flexibler, aber auch schneller und unkalkulierbarer gemacht. Nicht nur zu Hause, auch im Zug, im Flugzeug oder an jedem beliebigen Ort kann das Notebook in Betrieb genommen werden. Das persönliche Miteinander darf dabei aber nicht zu kurz kommen. Moral, Menschlichkeit und ein wertschätzender Umgang miteinander lassen sich nicht digitalisieren. Und die Produktivität eines Menschen hängt auch immer von dessen Arbeitsumfeld und von den Kollegen und Vorgesetzten ab.
Für mich ist Digitalisierung gleich Zukunft. Wie wir diese gestalten, sollten wir nicht der Technologie überlassen! Wir müssen den Mut haben, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen. Und hier sind wir wieder bei Kant: „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.“
Dafür zu sensibilisieren, dazu leistet dieses Buch – immer wieder mit einem Augenzwinkern – einen wertvollen Beitrag, den ich gern unterstütze.
Ihre
Prof. Dr. Kristina Sinemus
Wer die Gesellschaft nicht entbehren kann, soll sich ihren Gebräuchen unterwerfen, weil sie mächtiger sind als er.
Adolph Freiherr (von) Knigge, geb. 1752–1796
Warum dieses Buch? Das wurden wir so manches Mal gefragt. Nicht ohne ein Quäntchen Protest in der Stimme: Wie kann sich nur jemand anmaßen, mir vorschreiben zu wollen, wie ich mich zu verhalten habe?! Knigge ist out, der Freiherr im 18. Jahrhundert verblichen. Wie können uns also die Ratschläge aus einer Adelswelt ohne Autos, Flugzeuge, Telefon und Internet in der neuen Arbeitswelt (neudeutsch: New Work) Orientierung geben?
Aber „Come as you are“, wie es heute bei Einladungen so schön heißt, meint eben noch lange nicht „Do what you want“. Und nicht von ungefähr steht Adolph Freiherr von Knigge, der seinen Adelstitel später ablegte, mit seinen soziologischen Beobachtungen „Über den Umgang mit Menschen“ bis heute für Benimm und Takt wie „Tempo“ für Papiertaschentuch.
Mit Internationalisierung, Digitalisierung, Arbeit 4.0, kurz: im Zeitalter der allgegenwärtigen Vernetzung (neudeutsch: Konnektivität) und einer durch und durch individualisierten Lebens- und Konsumwelt, scheinen allgemein gültige Verhaltensregeln und alte Tugenden passé. Auch im Berufsleben wurden sie – zusammen mit Krawattenzwang und Seidenstrümpfen vielerorts abgelegt. Dagegen salonfähig geworden sind alterscoole Vorstände im Sneakerhype.
Fragt man Soziologen heute, so heißt es: Karriere macht, wer den Habitus hat. Und zwar den der Mächtigen, der Aufsichtsräte und Vorstände. Zum Habitus zählen laut Elitenforscher Michael Hartmann vier Merkmale: Allgemeinwissen, dessen Relevanz mit zunehmender Digitalisierung abnimmt, persönliche Souveränität im Umgang mit anderen, eine optimistische Lebenseinstellung und – man höre und staune – weiterhin der Dress- und Benimmcode.
Auch, wer keine klassische Konzernkarriere anstrebt, sollte im Umgang mit Vorgesetzten, Kollegen, Kunden und Dienstleistern umsichtig sein. Schließlich treffen wir uns in der neuen Arbeitswelt mit immer schnelleren Umstrukturierungen, Arbeitgeber-, Positions- und Rollenwechseln manches Mal öfter wieder, als es uns vielleicht lieb ist.
Doch welcher Benimm- und Dresscode gilt heute? Wann wirken wir noch souverän und wann schon überheblich oder nachlässig? Die neue Arbeitswelt hat ihre eigenen Regeln, wovon viele noch ungeschrieben sind. Gesellschaftliche Veränderungen und neue digitale Möglichkeiten haben auch neue Unhöflichkeiten hervorgebracht. Oft sind wir uns derer gar nicht bewusst – oder einfach zu sehr mit unserem Smartphone beschäftigt, um sie zu bemerken oder darüber nachzudenken. Schließlich gilt es, immer schneller zu reagieren in der digitalen Arbeitswelt.
Diese ungeschriebenen Konventionen nicht rechtzeitig zu erkennen oder je nach Kontext nicht zu antizipieren, kann uns das berufliche Fortkommen, die bevorzugten Projekte oder den neuen Kunden kosten. Und damit ist Knigge aktueller denn je. Denn im Kapitel „Über den Umgang mit Leuten von verschiedenen Gemütsarten, Temperamenten und Stimmungen des Geistes und Herzens“, appellierte er an die Vernunft des Menschen, den Umgang mit anderen mit Wertschätzung und Achtsamkeit zu gestalten – im Privaten wie im Geschäftsleben.
Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und im höflichen Umgang miteinander – und rufen auf, Erfahrungen und Anmerkungen mit uns zu teilen.
Saskia Eversloh |
Isabel Schürmann |
(saskia@eversloh.com) |
(info@personality-consult.de) |
Das Zeitalter der Kreativökonomie ist angebrochen – und es gilt, Abschied zu nehmen von der rationalen Leistungsgesellschaft. New Work stellt die Potenzialentfaltung eines jeden einzelnen Menschen in den Mittelpunkt. Denn Arbeit steht im Dienst des Menschen: Wir arbeiten nicht mehr, um zu leben, und wir leben nicht mehr, um zu arbeiten. In Zukunft geht es um die gelungene Symbiose von Leben und Arbeiten.
Zukunftsinstitut, Dossier „Megatrend New Work“
New Work (neue Arbeit, neues Arbeiten) ist mehr als ein Buzz Word, ein Mega-Trend unseres Jahrhunderts. Nicht nur bei Deutschlands meist genutztem Business Netzwerk Xing mit seinen über 15 Millionen Mitgliedern, auch bei vielen anderen Unternehmen und Organisationen in der Berater-, Dozenten- und Speaker-Szene steht das Schlagwort hoch im Kurs. Denn neben der digitalen Vernetzung boomt auch die Vernetzung im Echtleben: Business Awards, HR-Failure-Nights, Rednernächte, Barcamps, Meetups und andere neue Event-Formate bieten Austausch zu Beruf und Karriere im neuen Arbeitsleben.
Bei New Work haben wir alle Bilder im Kopf, meist von Loftbüros mit bunten Designermöbeln wie dem Googleplex im Silicon Valley. Oder von Typen in T-Shirts und Sneakern, die davon träumen, mit ihrer Idee zum Milliardär zu werden – wie Kevin Systrom und Mike Krieger, die Instagram an Facebook verkauft haben. Oder junge Talente hierzulande, die nur noch arbeiten, wann und wo sie wollen – sofern ihr Gehalt oder der familiäre Zuschuss es zulassen. Hauptsache, es macht Spaß und ist scheinbar sinnvoll, nachhaltig, ökologisch.
New Work als Potenzialentfaltung und sinnstiftende Arbeit? Der Philosoph Frithjof Bergmann, Begründer des ersten Zentrums für Neue Arbeit übt Kritik an der heutigen New-Work-Interpretation: „Für viele ist New Work etwas, was Arbeit ein bisschen reizvoller macht, quasi Lohnarbeit im Minirock“. Sein erstes „Center for New Work“ in den 80er Jahren in der Autostadt Flint bei Detroit (Michigan, USA) hatte einen wesentlich radikaleren Ansatz: Auslöser war die digitale Automatisierungswelle in der Automobilindustrie. Die von Arbeitszeit- und Lohnkürzung betroffenen Arbeiter sollten nun in der freien Zeit nach ihrer Berufung forschen und dabei auch auf Selbsthilfe durch Selbstversorgung setzen.
New Work steht für neue Organisationsstrukturen und Arbeitsprozesse, die sich mit Internationalisierung, Digitalisierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarkts entwickelt haben oder bewusst eingeführt wurden, um schneller, produktiver und innovationsfähiger zu arbeiten. Neben örtlich und zeitlich flexiblem Arbeiten, agilen Methoden und flachen Hierarchien sind auch a-typische Beschäftigungsverhältnisse (Befristungen, Leih- und Zeitarbeit u. a.) sowie neue Großraumbüros (Open Space, Open Office) Teil der neuen Arbeitswelt.
Noch gibt es trotz des Publikations-Hypes der letzten Jahre bisher keine allgemeingültige Definition von New Work in den Wissenschaften. Doch haben sich die folgenden Trends für die Arbeit der Zukunft herausgebildet, die u. a. auch das Fraunhofer Institut bestätigt:
Die Funktionsweisen von Kreativökonomie und Start-up-Szene haben auch Konzerne und Mittelständler erfasst: Laut einer Kienbaum-Befragung steht bei 74 Prozent der deutschen Firmen das Thema „New Work“ auf der Agenda. Aber viele begnügen sich mit Homeoffice-Regelungen (70 Prozent) und neuen Bürolandschaften (47 Prozent), statt die Unternehmenskultur weiterzuentwickeln oder die Organisationsstruktur anzutasten: 34 Prozent der befragten Unternehmen haben bislang flachere Hierarchien und 19 Prozent haben Maßnahmen zur Führung auf Augenhöhe eingeführt. Schlusslicht mit nur 17 Prozent ist die von Digitalromantikern oft genannte Demokratisierung von Gesellschaft und Organisationen.
Plädoyer für mehr Höflichkeit in der Unternehmensführung
Nils Hubert, Geschäftsführer eines Unternehmens der weltweit agierenden Heitkamp & Thumann Group, zuvor Human Ressource & Public Affairs Director (Foto: Saskia Eversloh)
Ich hatte schon einige Jahre berufliche Erfahrung gesammelt, als mein damaliger Vorgesetzter, ein gestandener Unternehmer, einmal zu mir sagte: „Sie sind zu höflich, Herr Hubert“.
Jahre später erlebte ich dann in meinen ersten Wochen als Geschäftsführer eines amerikanischen Unternehmens Meinungsäußerungen und Kritik so höflich verpackt, dass ich zu Beginn drei Mal nachhakte, um sie – ganz deutsch – auf den Punkt zu bringen. Daneben herrschte im täglichen Miteinander ein geradezu verschwenderischer Umgang mit Lob, Dank und dem Austausch von Nettigkeiten. Selbst in einem Trennungsgespräch hörte ich vom betroffenen Mitarbeiter ein aufrichtiges Dankeschön dafür, dass er die Gelegenheit hatte, im Unternehmen arbeiten zu dürfen.
Warum nicht einfach mal die Tür aufhalten?
Höflichkeit ist auch in Deutschland eine bestechende Eigenschaft – wenn man einen Job bekommen möchte. Aber auf dem Weg nach Oben gerät sie leider oft in Vergessenheit, weil sie hierzulande als Widerspruch zu Durchsetzungsstärke gilt. Auch einige Bewerber zeigten sich sichtlich erstaunt, dass ich ihnen im Auswahlverfahren gegenüber saß – nachdem ich ihnen die Tür aufgehalten und einen Kaffee serviert hatte, schienen sie mich für den Assistenten gehalten zu haben.
Für mich ist Höflichkeit mehr als eine Tugend. Sie ist zentraler Bestandteil erfolgreicher Führung, indem sie hilft, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das Akzeptanz für Kritik schafft – und damit wesentlich besser zu Verhaltensänderungen führt.
Noch möchte niemand fundamental an alten Machtstrukturen rütteln und New Work wird nach wie vor eher in der Start-up-Szene und Kreativökonomie gelebt – oder von etablierten Unternehmen als Pilotprojekt in Hubs, Labs oder Innovation Centern ausprobiert. Auch der Öffentliche Dienst mischt fleißig mit, vor allem mit befristeter „Projektitis“, Kettenbefristungen und immer neuen, nachgeordneten „Agenturen“ und gGmbHs als verlängertem, agilerem Arm des Staates.
Nur noch vier Jahre sind wir im Schnitt in Deutschland bei einem Arbeitgeber beschäftigt. Die Gründe sind vielfältig: Ob Job-Hopping und Aufstiegsorientierung oder unsichere Beschäftigungsverhältnisse – die Lebzeitstelle und lückenlose Biografie gibt es nicht mehr.