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EDWARD O. WILSON

  DIE HÄLFTE  
DER ERDE

Ein Planet kämpft um sein Leben

Aus dem Englischen
von Elsbeth Ranke

C.H.BECK

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Bienen, Hummeln und Blumen. Alfred Edmund Brehm, 1883–1884.

Zum Buch

Warum wir die Hälfte der Erde der Natur überlassen müssen – das radikale Vermächtnis des berühmtesten Biologen unserer Zeit

Nur wenn wir den halben Planeten zum Naturschutzgebiet erklären, wird es uns gelingen, das für unser eigenes Überleben notwendige Gleichgewicht herzustellen.

„Sollte die Menschheit tatsächlich einen Weg finden, in Frieden und in Harmonie mit der Natur zu leben, wird Wilson eine singuläre Rolle in dieser Geschichte der Befreiung zukommen.“ Jeffrey Sachs

Über den Autor

Edward O. Wilson (geb. 1929) forscht und lehrt über Umwelt, Tierverhalten, Evolution und Biodiversität. Unter seinen vielen wissenschaftlichen Auszeichnungen finden sich die amerikanische National Medal of Science und der Crafoord-Preis der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften – der weltweit renommierteste Preis für Ökologie. Für seine Veröffentlichungen erhielt er zweimal den Pulitzer-Preis, für Biologie als Schicksal. Die soziobiologischen Grundlagen menschlichen Verhaltens (1978, dt. 1980) sowie (mit Bert Hölldobler) für Die Ameisen (1990, dt. 1995). Im Verlag C.H.Beck sind von ihm lieferbar: Ameisenroman. Raff Codys Abenteuer (2011); Die soziale Eroberung der Erde. Eine biologische Geschichte des Menschen (2013); Der Sinn des menschlichen Lebens (2015).

Inhalt

Vorwort

TEIL I: Das Problem

1.: Die Welt geht zweimal unter

2.: Die Menschheit braucht eine Biosphäre

3.: Über wie viel Biodiversität verfügen wir noch?

4.: Nachruf auf das Nashorn

5.: Apocalypses now

6.: Gleichen wir Göttern?

7.: Die Beschleunigung des Artensterbens

8.: Die Auswirkungen des Klimawandels: Land, Meer und Luft

9.: Die gefährlichste Weltanschauung

TEIL II: Die wahre lebende Welt

10.: Umweltwissenschaft

11.: Die Herrgott-Spezies

12.: Die unbekannten Netze des Lebens

13.: Die völlig fremde Wasserwelt

14.: Das unsichtbare Reich

15.: «Best Places» der Biosphäre

UNSERE «BEST PLACES»

Nordamerika

Westindische Inseln

Süd- und Mittelamerika

Europa

Afrika und Madagaskar

Asien

Australien und Melanesien

Antarktis

Polynesien

16.: Umdeutung der Geschichte

TEIL III: Die Lösung

17.: Das Erwachen

18.: Renaturierung

19.: Die Hälfte der Erde: So retten wir die Biosphäre

20.: Der Weg durch den Engpass

21.: Was zu tun ist

Die Hälfte der Erde

Kleines Glossar

Danksagung

Zitierte Literatur und Literaturhinweise

1. Die Welt geht zweimal unter

2. Die Menschheit braucht eine Biosphäre

3. Über wie viel Biodiversität verfügen wir noch?

4. Nachruf auf das Nashorn

5. Apocalypses now

6. Gleichen wir Göttern?

7. Die Beschleunigung des Artensterbens

8. Die Auswirkungen des Klimawandels: Land, Meer und Luft

9. Die gefährlichste Weltanschauung

10. Umweltwissenschaft

11. Die Herrgott-Spezies

12. Die unbekannten Netze des Lebens

13. Die völlig fremde Wasserwelt

14. Das unsichtbare Reich

15. «Best Places» der Biosphäre

16. Umdeutung der Geschichte

17. Das Erwachen

18. Renaturierung

19. Die Hälfte der Erde: So retten wir die Biosphäre

20. Der Weg durch den Engpass

21. Was zu tun ist

Bildnachweis

Register

Fußnoten

Viel unermesslichen Raum haben wir auf der Reise bewältigt;
dampfend stehen die Pferde, es ist Zeit, sie vom Joch zu befreien.
Vergil, Georgica 2

Vorwort

Was ist der Mensch?

Geschichtenerzähler, Mythenschmied und Zerstörer der lebendigen Welt. Ein denkendes Wesen, sprudelnd von Vernunft, Emotion und Religion. Ein glücklicher Zufall der Primatenevolution im späten Pleistozän. Der vernünftige Kopf der Biosphäre. Ein Ausbund von Vorstellungskraft und Forscherdrang, allerdings mit der Tendenz, den kränkelnden Planeten eher beherrschen als umsorgen zu wollen. Geboren mit dem Potenzial, dauerhaft weiterzuleben und sich fortzuentwickeln, und der Fähigkeit, auch die Biosphäre unsterblich zu machen. Dabei aber arrogant, fahrlässig und tödlich dazu veranlagt, sich selbst, seine Sippe und seine kurzfristigen Ziele vornan zu stellen. Eingebildeten höheren Wesen unterworfen, und voller Verachtung gegenüber niederen Formen des Lebens.

Wer in der Lage ist, mehr als ein Jahrzehnt in die Zukunft zu denken, ist erstmals in der Geschichte der Überzeugung, dass es jetzt ums Ganze geht. Besonders großen Einfluss auf den Planeten hat die Menschheit nicht, und er nimmt weiter ab. Unsere Bevölkerung ist zu groß, um in Sicherheit und Wohlstand leben zu können. Allmählich wird das Trinkwasser knapp, und unsere Aktivitäten zu Lande verschmutzen zunehmend Atmosphäre und Meere. Das Klima verändert sich zu Ungunsten des Lebens, mit Ausnahme von Bakterien, Quallen und Pilzen. Für viele Arten hat das letzte Stündlein bereits geschlagen.

Die menschengemachten Probleme sind global und greifen immer weiter um sich, denn der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, kommt unaufhaltsam näher – Flickschusterei hilft da nicht weiter. Das Wasser für das Fracking, der Regenwald für Sojabohnen- und Palmölplantagen, die Kapazität der Atmosphäre, überschüssiges CO2 aufzunehmen, sind klar begrenzt.

Unterdessen leben wir auf schockierende Weise willenlos vor uns hin und haben kein anderes Ziel im Kopf als Wirtschaftswachstum, ungehemmten Konsum, Gesundheit und persönliches Glück. Die Umweltbilanz all dieser Aktivitäten ist freilich negativ, die Biosphäre wird labil und weniger freundlich, unsere langfristige Zukunft immer ungewisser.

Die Hälfte der Erde ist der letzte Teil einer Trilogie, in der ich beschreibe, wie unsere Spezies zum Architekten und Beherrscher des Anthropozäns wurde – mit Folgen für alles Leben, für unseres genauso wie für die natürliche Welt, und das bis weit in die geologische Zukunft hinein. In Die soziale Eroberung der Erde habe ich aufgezeigt, warum es im Tierreich nur selten zu fortgeschrittener sozialer Organisation gekommen ist, und das auch erst so spät in der 3,8 Milliarden Jahre alten Geschichte des irdischen Lebens. Zusätzlich habe ich einen Überblick über die wissenschaftlich belegten Kenntnisse darüber gegeben, was sich genau ereignet hat, als sich dieses Phänomen bei einer bestimmten großwüchsigen afrikanischen Primatenart herausbildete.

In Der Sinn des menschlichen Lebens habe ich dargestellt, was die Wissenschaft uns über unser (erstaunlich leistungsschwaches) Sinnessystem und über unser (konfliktreiches und wankendes) Moralempfinden zu sagen hat und warum beide, das System und das moralische Denken, den Zielen der modernen Menschheit nicht angemessen sind. Ob wir es wollen oder nicht, wir sind und bleiben eine biologische Spezies in einer biologischen Welt, sind den früheren Lebensbedingungen auf unserem Planeten verblüffend gut angepasst, nur leider nicht dieser Umwelt beziehungsweise der Umwelt, die wir gerade erschaffen. Wir sind mit Leib und Seele Kinder des Holozäns, des Erdzeitalters, in dem wir entstanden sind – und so fehlen uns ganz entscheidende Adaptionen für dessen Nachfolger, das Anthropozän.

In Die Hälfte der Erde möchte ich vermitteln, dass wir nur dann hoffen können, die unermessliche Vielfalt der Lebensformen auf unserem Planeten zu retten, wenn wir die Hälfte der Erdoberfläche der Natur überlassen. Dazu stelle ich die einzigartige Mischung von tierischem Instinkt und sozialer und kultureller Genialität heraus, die bei unserer Spezies und dem übrigen Leben diese möglicherweise fatale Entwicklung in Gang gesetzt hat. Wir brauchen ein sehr viel tieferes Verständnis von uns selbst und dem übrigen Leben, als Geistes- und Naturwissenschaften es uns bisher bieten. Wir täten gut daran, uns so bald wie möglich aus dem Sumpf dogmatischer Religiosität und unangemessener philosophischer Ansichten zu befreien, in dem wir immer noch herumirren. Wenn die Menschheit sich nicht sehr viel mehr Wissen über die globale Biodiversität aneignet und sich nicht schnell dazu entschließt, sie zu schützen, dann werden wir schon bald die meisten Arten, aus denen sich das Leben auf der Erde zusammensetzt, unwiederbringlich verlieren. Der hier beschriebene Ansatz ist eine erste Notlösung, die der Größe des Problems angemessen ist: Ich bin überzeugt, dass wir nur dann den lebendigen Anteil unserer Umwelt retten und die für unser eigenes Überleben nötige Stabilität herstellen können, wenn wir den halben Planeten zum Naturschutzgebiet erklären.

Warum die Hälfte und nicht ein Viertel oder ein Drittel? Weil große Flächen, die entweder bereits existieren oder durch Korridore geschaffen werden können, die mehrere kleinere Flächen verbinden, sehr viel mehr nachhaltige Ökosysteme mit den dazugehörigen Arten umfassen. Mit zunehmender Größe der Reservate steigt auch die Vielfalt des dort geretteten Lebens. Reduziert man die Fläche von Naturschutzgebieten, so sinkt deren Artenvielfalt in einem mathematisch bestimmbaren Ausmaß rasch ab – häufig unmittelbar und für viele Betroffene unumkehrbar. Biogeografische Darstellungen der wichtigsten Habitate auf der Erde zeigen, dass ihre sämtlichen Ökosysteme und die große Mehrheit ihrer Arten zu retten sind, wenn ihnen die halbe Erdoberfläche zur Verfügung steht. Mit der Hälfte als Untergrenze kommt das irdische Leben auf die sichere Seite. Mit dieser Hälfte, so zeigen Berechnungen ausgehend von existierenden Ökosystemen, ließen sich über achtzig Prozent der Arten stabilisieren.

Ein zweites Argument für den Schutz der Hälfte der Erde ist psychologischer Natur. Die heutige Umweltschutzbewegung konnte diesen großen Schritt bisher nicht gehen, weil sie progressiv arbeitet. Im Fokus stehen die am stärksten gefährdeten Lebensräume und Arten, und von dort aus soll die Arbeit immer weiter ausgreifen. Angesichts der Erkenntnis, dass ihnen die Zeit davonläuft, versuchen die Umweltschützer, immer schneller immer mehr geschützten Raum zu schaffen und damit so viel zu retten, wie Zeit und Möglichkeiten es zulassen.

Die Hälfte der Erde folgt einem anderen Ansatz: Es ist ein Ziel. Ziele sind leichter zu begreifen und haben mehr Anhänger. Die Leute wollen den Sieg, nicht nur die Information, dass es vorangeht. Es liegt im Wesen des Menschen, eine Endgültigkeit herbeizusehnen, die Ängste und Befürchtungen ausschaltet. Die Angst bleibt, solange der Feind immer noch vor den Toren steht, die Pleite immer noch möglich ist, ein neuer Krebstest doch die fatale Diagnose bringen könnte. Es entspricht uns mehr, uns hohe Ziele zu setzen, die zwar schwer zu erreichen sein mögen, deren Verwirklichung aber tatsächlich etwas bewirken und allen nutzen kann. Sich gegen alle Wahrscheinlichkeiten für das gesamte Leben einzusetzen, wäre Menschlichkeit in ihrem edelsten Sinn.