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Jürgen Osterhammel

Die Flughöhe der Adler

Historische Essays zur globalen Gegenwart

C.H.Beck

Zum Buch

Die «Globalisierung» führt heute jeder im Munde, aber was genau darunter zu verstehen ist, darüber herrscht vielfach Unklarheit. Jürgen Osterhammel, der seit seinem Bestseller «Die Verwandlung der Welt» zu den angesehensten Historikern unserer Zeit gehört, geht in diesem Band einer ubiquitären «Denkfigur» des 21. Jahrhunderts genauer auf den Grund und stellt die grundsätzliche Frage nach den Themen und Maßstäben einer Vorgeschichte der globalen Gegenwart. Wer die Vergangenheit verstehen will, der bedarf – wie die Essays dieser Sammlung eindrucksvoll zeigen – der Flughöhe des Adlers: In seiner großen Höhe hat er den weiten Überblick und behält dennoch die Details am Boden fest im Auge.

«Historiker haben das Glück, dass sie in ganz unterschiedlichen Formaten arbeiten können. Die Darstellung langer Verläufe, das Porträt einer ganzen Epoche oder die ins Detail gehende Biographie verlangen das dicke Buch, (…) auf jeden Fall eine Form, deren Umfang nicht von außen diktiert wird. Ganz anders die kleinen und lakonischen Textgattungen. Der wissenschaftliche Normalaufsatz hat seinen konventionellen Rahmen, auf dem die Herausgeber von Zeitschriften und Aufsatzsammlungen bestehen. Noch präziser muss gearbeitet werden, wenn die Redezeit für einen Vortrag vorgegeben ist oder eine genau umgrenzte Zeitungsseite oder Kolumne gefüllt werden soll. Kurze Texte sind deshalb schwieriger zu schreiben als lange.» Dass Jürgen Osterhammel auch im Genre von Aufsatz, Rede und Essay der drohenden Gefahr von Konventionalität und Langeweile zu entgehen weiß, davon zeugt dieser Band. Kenntnisreich, anregend und nicht selten mit funkelndem Witz umkreist der international renommierte Historiker darin Grundfragen der Globalgeschichte und der Geschichtswissenschaft überhaupt.

Über den Autor

Jürgen Osterhammel ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Konstanz. Bei C.H.Beck sind von ihm u.a. erschienen: Die Verwandlung der Welt (52010) und Die Entzauberung Asiens (Beck Paperback 22013). Er ist zusammen mit Akira Iriye Herausgeber der Geschichte der Welt, in der er zuletzt gemeinsam mit Sebastian Conrad den Band Wege zur modernen Welt 1750 – 1870 (2016) veröffentlicht hat. Für seine Arbeiten wurde er vielfach ausgezeichnet: 2010 erhielt er den Leibniz-Preis, 2012 den Gerda Henkel Preis und 2014 den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa.

Inhalt

Vorwort

Konzepte von Globalität

Globalisierungen

Ein sozialwissenschaftliches Konzept für Historiker

Globalisierung und Globalgeschichte

Expansion und Kontraktion als Wiederholungsstrukturen

Moderne Globalisierung

Globalisierung in der Gegenwart

Sieben Thesen zum Schluss

Globalifizierung – Denkfiguren der neuen Welt

Der Initialschub der neunziger Jahre

Globalifizierungspfade

Darstellungsweisen

Sechs Denkfiguren

Ideenordnungen?

Die Weltöffentlichkeit im 20. Jahrhundert

Georg Forster, Kapitän Cook und die Weltöffentlichkeit der Spätaufklärung

Drei Pfade zur Weltöffentlichkeit

Politische und konsumtive Weltöffentlichkeit

Die globale Unterhaltungsöffentlichkeit

Weltöffentlichkeit als Wettbewerbsraum und appellative Fiktion

Öffentlichkeit als Prozess

Politisierte Konsumkritik

Kosmopolis und Imperium – Von Anerkennung zu Verantwortung

Orte und Räume

Grenzen und Brücken

Grenzüberschreitung

Georg Simmel und das Wesen der Brücke

Logik und Ästhetik der Brücke

Brücken in der Geschichte

Für Brückengeschichte

Brücken, wiederum metaphorisch

Was war und ist «der Westen»? – Zur Mehrdeutigkeit eines Konfrontationsbegriffs

«Europa» und «der Westen»: Grade der Anfeindung

«Der Westen» als Figur der Asymmetrie

Der Westen, von außen gesehen

Offene Fragen

Der «Aufstieg Asiens» – Ideengeschichtliche Voraussetzungen heutiger Ungewissheit

Heutige Aktualität und Popularität des «Aufstiegs»-Themas

Ältere Grundlagen des europäischen Asienbildes

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs

Vier Prognoselinien nach dem Ersten Weltkrieg

Jan Romein und die Bündelung des Aufstiegsdiskurses im Zeitalter der beginnenden Dekolonisation

Vier Modelle des europäisch-asiatischen Verhältnisses

Historische Stichworte

Bürgerkrieg – Revolution – Krieg – Die Trias kollektiver Gewalt

Dieter Langewiesche zum 70.Geburtstag

Die Begriffstrias

Bürgerkrieg und zwischenstaatlicher Krieg

Bürgerkrieg und Revolution

Staatsbildung und Bürgerkrieg

Zum Schluss

Schutz, Macht und Verantwortung – Protektion im Zeitalter der Imperien und danach

Zur Semantik von «Schutz»

Schutzbedürfnisse

Schutzverantwortung in der internationalen Politik: Die Rückkehr des Protektorats

Humanitäre Interventionen

Epochen von Intervention und Protektion

Aporien des Schutzes

Vergangenheiten – Über die Zeithorizonte der Geschichte

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

Von einem hohen Turm? – Weltgeschichte und Gegenwartsdiagnose

«Der Zusammenhang der Begebenheiten»

Zeitgeschichte

Kalter Krieg global

Migrationen

Ausklänge

Entscheidungen und Anfänge

Die Flughöhe der Adler – Räume und Sehepunkte zu Friedrich Hölderlins Zeit

Innen- und Außenräume

Vernetzte und wohlinformierte Deutsche

Deutsche und orientalische Fragen, Militär, Geopolitik, Raumordnung

Geographisches Wissen

Menschenfresser und Bettvorleger – Der Tiger in einer kolonialen Welt

Liebe Tiger, böse Tiger

Menschenfresser

Die Jagd

Tigerschutz

Tigerrituale

Anmerkungen

Konzepte von Globalität

Globalisierungen

Globalifizierung. Denkfiguren der neuen Welt

Die Weltöffentlichkeit im 20. Jahrhundert

Kosmopolis und Imperium. Von Anerkennung zu Verantwortung

Orte und Räume

Grenzen und Brücken

Was war und ist «der Westen»? Zur Mehrdeutigkeit eines Konfrontationsbegriffs

Der «Aufstieg Asiens». Ideengeschichtliche Voraussetzungen heutiger Ungewissheit

Historische Stichworte

Bürgerkrieg – Revolution – Krieg. Die Trias kollektiver Gewalt

Schutz, Macht und Verantwortung. Protektion im Zeitalter der Imperien und danach

Vergangenheiten. Über die Zeithorizonte der Geschichte

Von einem hohen Turm? Weltgeschichte und Gegenwartsdiagnose

Ausklänge

Entscheidungen und Anfänge

Die Flughöhe der Adler. Räume und Sehepunkte zu Friedrich Hölderlins Zeit

Menschenfresser und Bettvorleger. Der Tiger in einer kolonialen Welt

Personenregister

Vorwort

Die Flughöhe der Adler ist kein ornithologisches Buch. Aber im Zeichen einer Beschäftigung mit dem Verhältnis zwischen Tier und Mensch (animal history oder animate history), die unter Historikern und ihren Lesern immer beliebter wird, ist ein solcher Titel nicht aus der Luft gegriffen. Er ist sogar eine Art von Lufttitel, der die Überschrift des vorletzten Kapitels in diesem Buch zitiert. Dort geht es, angeregt durch den Dichter Friedrich Hölderlin, um Höhenlagen der Beobachtung: Wie hoch «in die Luft» muss man sich erheben, um welche Übersicht zu erlangen? Zweifellos eine wichtige methodische Frage auch für Historiker. Am Ende des 18. Jahrhunderts riet der Historiker und Geschichtstheoretiker August Ludwig von Schlözer den Welthistorikern seiner Zeit, sie sollten mental «auf einen hohen Turm» steigen (siehe in diesem Buch das Kapitel zu Weltgeschichte und Gegenwartsdiagnose). Heute werden Bücher zu Weltgeschichte und Globalisierung fast schon klischeehaft mit Ansichten der blauen Erdkugel aus dem Weltall verziert – für den Historiker eine unrealistisch ferne Perspektive. Näher kommt dem idealen «Sehepunkt» der von Hölderlin – und von Goethe in einer seiner letzten überlieferten Äußerungen – beschworene Adler: Er hat in seiner luftigen Höhe den weiten Überblick und behält dennoch die Details am Boden fest im Auge; mit Hölderlin schwebt er über den Gebirgen, mit Goethe sichtet er den sächsischen Hasen. In seiner Fähigkeit zu Makro- wie Mikroskopie ist er ein Vorbild für heutige Historiker, die dabei auch das Schicksal des Ikarus nicht vergessen dürfen.

Historiker haben das Glück, dass sie in ganz unterschiedlichen Formaten arbeiten können. Die Darstellung langer Verläufe, das Porträt einer ganzen Epoche oder die ins Detail gehende Biographie verlangen das dicke Buch, manchmal sogar das mehrbändige Werk, auf jeden Fall eine Form, deren Umfang nicht von außen diktiert wird. Ganz anders die kleinen und lakonischen Textgattungen. Der wissenschaftliche Normalaufsatz hat seinen konventionellen Rahmen, auf dem die Herausgeber von Zeitschriften und Aufsatzsammlungen bestehen. Noch präziser muss gearbeitet werden, wenn die Redezeit für einen Vortrag vorgegeben ist oder eine genau umgrenzte Zeitungsseite oder Kolumne gefüllt werden soll. Kurze Texte sind deshalb schwieriger zu schreiben als lange. Die Vorgaben, an die sich der Autor halten muss, sind aber nicht nur lästige Zwänge, sondern auch – und mehr noch – reizvolle Aufforderungen zu Kürze und Prägnanz.

In diesem Band lege ich kurze Texte vor, die seit 2004 aus unterschiedlichen Anlässen entstanden sind. Etwa die Hälfte davon sind bisher nicht veröffentlicht worden, die bereits publizierten wurden allesamt gründlich überarbeitet. Die einzelnen Beiträge waren nicht von vornherein als Teile eines Ganzen gedacht. Ihre Auswahl aus einer umfangreicheren Textreserve – einige meiner Arbeitsfelder bleiben in diesem Band unberücksichtigt – und ihre Anordnung wurden erst im Nachhinein vorgenommen. Die thematische Einheit stellt sich durch ein Umkreisen des Globalen her. Was gelegentlich vollmundig als «Globalität» bezeichnet wird, lässt sich am besten durch solche Annäherungen von verschiedenen Standpunkten aus erfassen. Ein Bändchen wie Geschichte der Globalisierung. Dimensionen – Prozesse – Epochen, das Niels P. Petersson und ich 2003 im Verlag C.H.Beck veröffentlicht haben (5. Auflage 2015), kann ein Fundament legen. Auf dieser Grundlage muss dann aber die Arbeit an spezielleren Aspekten beginnen.

Die Kürze des Essays und des Vortrags verlangt Beschränkung auf das Wesentliche; vieles an wichtiger Literatur muss unerwähnt bleiben. Zugleich verbietet sie den Anspruch des Abgeschlossenen oder gar Endgültigen. Wenn Leserinnen und Leser zum Weiterdenken angeregt (und dabei auch ein wenig unterhalten) werden, wenn jüngere Kolleginnen und Kollegen Inspiration für die eigene Arbeit finden, ist der Zweck dieses Buches erreicht.

Ich danke dem Cheflektor des Verlages C.H.Beck, Dr. Detlef Felken, der unsere bewährte Zusammenarbeit mit einem etwas aus der Reihe fallenden Band fortsetzt. Wie immer waren alle beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verlages von höchster Professionalität und Hilfsbereitschaft. Alexandre Bischofberger danke ich für vielfältige Hilfe bei der Überarbeitung der Texte. Der Diskussionskreis um die Konstanzer Forschungsstelle «Globale Prozesse», die ihre Existenz der Großzügigkeit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Gottfried Wilhelm Leibniz-Programm) verdankt, hat mir seit 2011 in unschätzbarer Weise geholfen. Heidi Engelmann hat bei der Korrektur assistiert und das Register angefertigt.

Wer wenig Interesse an dem wissenschaftlichen Konzept der «Globalisierung» hat, kann getrost die beiden ersten Kapitel des Buches überspringen oder für eine spätere Lektüre zurückstellen.

Konstanz und Freiburg i.Br., im Herbst 2016

Jürgen Osterhammel

Konzepte von Globalität