Über das Buch:
Drei Jahre Abwesenheit sind eine lange Zeit – das stellt
Melissa fest, als sie mit ihrer chaotischen Familie zurück nach Anna Maria, Florida, zieht. Plötzlich wird sie nicht mehr wie früher gemobbt, sondern sie ist beliebt und Teil der angesagtesten Clique der Schule. Doch es gibt nicht nur den umschwärmten Sam, der Melissas Leben aufmischt. Da ist noch Robby, ihr verpeilter Außenseiter-Bruder; Josh, ihr geheimnisvoller Nachbar – und dieser Jesus, der im Leben von Josh offenbar eine nicht ganz unwichtige Rolle spielt …
Auf wen kann Melissa sich verlassen, als es hart auf hart kommt?
Über die Autorin:
Nicole Quigley wuchs auf der Insel Anna Maria, Florida, auf. Dort spielt auch die Handlung ihres ersten Buches „Hell wie der Mond“ und tief wie der Ozean, für das sie den ACFW Carol Award für den besten Jugendroman erhielt. Nicole Quigley studierte Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit und hat viele Jahre in Washington, D.C., gearbeitet. Mittlerweile lebt und schreibt sie wieder auf ihrer Heimatinsel Anna Maria.
Kapitel 8
Auch wenn ich Tanya Maldonados Zorn wieder auf mich ziehen sollte, so war mir doch jetzt wenigstens bewusst, dass Sam kein wirkliches Interesse mehr an mir hatte.
Nach der letzten Stunde schwirrte ein ganzes Hornissennest von Schülern durch die Gänge, es war ein einziges Gewirr aus T-Shirts und Kaugummis. Als Julie mich fand, versteckte ich mich gerade in der Nähe meines Schließfaches. Sie nickte mir mit einem Ausdruck wilder Entschlossenheit zu. „Nachhilfe. Sportplatz. Bumm.“
Ich hob ungläubig die Augenbrauen. „Bumm?“
„Bumm“, wiederholte sie nachdrücklich. „Er wird dich da sehen und dann wird ihm klar werden, wie sehr er dich mag, und das ist dann das Ende der Geschichte. Bumm.“
Ich biss mir unsicher auf die Lippe.
„Du magst ihn doch immer noch, oder?“
Mein Magen krampfte sich zusammen. „Mehr als mir lieb ist.“
„Na also, bringen wir’s hinter uns.“
„Julie, mir kommt es inzwischen eher vor wie bei einem Film, wo die Frau rausfindet, dass der Typ doch nicht so sehr in sie verliebt ist. Sam hätte schon vor drei Tagen mit mir in der Klasse reden können, aber seitdem geht er mir praktisch nur noch aus dem Weg. Vielleicht hat Tanya doch die Wahrheit gesagt.“
Julie schüttelte den Kopf, um mich zum Schweigen zu bringen. „Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.“
Stimmt. Aber ich war mir gar nicht sicher, ob ich es wirklich herausfinden wollte. Nach der Nachhilfe arbeiteten wir uns zum Sportplatz vor, legten eine neue Schicht Lippenstift auf und stiegen auf die Zuschauertribüne. Die Metallstufen schepperten bei jedem Schritt, als wollten sie laut verkündigen, dass ich nun „offiziell bereit“ war, von Sam entdeckt zu werden.
Wir sahen zu, wie die Läufer ihre Runden drehten, Dehnübungen machten und sich gegenseitig die Zeit nahmen. Die Sonne brachte den schwarzen Asphalt zum Glühen und ich gab mein Bestes, um Sam nicht zu lange anzustarren.
„Oh!“ Julie stieß mir ihren Ellenbogen in die Seite. „Er hat gerade zu dir hinaufgeschaut. Hast du das gesehen?“
„Das ist wirklich eine blöde Idee. Wir sollten von hier verschwinden.“ Ich hatte die Beine übereinandergeschlagen und wippte mit dem Fuß hin und her. Ich wollte gar nicht wissen, ob er zu mir hinaufsah. Wenn er mich sah und nicht herüberkam, um mich zu begrüßen, wäre das noch schlimmer, als wenn er mich gar nicht gesehen hätte.
„Warte mal ab. Sie packen langsam zusammen. Er wird mit Sicherheit hier hochkommen und Tschüss sagen oder winken oder so etwas.“
Ich wandte mich Julie zu. „Habe ich dir je gesagt, was du für eine tolle Freundin bist? Niemand sonst würde so wie du hier mit mir sitzen. Ich muss es ganz schön nötig haben.“
„Nicht nötig haben. Strategisch angehen.“
Wir sackten in die Zuschauerbank und lachten besonders laut in der Hoffnung, unser Gekicher würde bis zum Spielfeld durchdringen. Manchmal hasste ich es, ein Mädchen zu sein.
Schließlich blies der Trainer in seine Pfeife, das Training war beendet. Sam ging zur Bank und trank einen Schluck Wasser. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und legte den Kopf in den Nacken, um den letzten Schluck zu trinken. Er sah mich direkt an.
„Da“, flüsterte Julie durch ihre zusammengepressten Zähne.
Ich hielt die Luft an und erwiderte Sams Blick. Um ihn herum schwirrten andere Jungen, holten sich etwas zu trinken, trockneten sich mit Handtüchern ab und riefen sich Dinge zu, die eigentlich nur schmutzige Witze und üble Kommentare sein konnten. Sam rieb sich den Hals trocken, um sich dann – mit kaum mehr als einem kurzen Blinzeln – abzuwenden. Er folgte seiner Mannschaft in die Umkleidekabine und sah nicht ein einziges Mal zu mir hin.
Julie und ich saßen schweigend da, bis in der Ferne Möwen zu hören waren. Hatten sie sich verflogen, weil sie so nah an der Stadt waren? Ich konnte es kaum abwarten, wieder auf die Insel zu kommen.
„Mach dir darüber keine Gedanken.“ Ich hob die Hände, um zu zeigen, dass ich aufgab. „Ich meine, ist doch egal. Er muss mich ja nicht mögen. Das ist nicht das Ende der Welt.“
Julies Augen füllten sich mit Mitgefühl, sodass ich wegschauen musste.
„Lass uns nicht darüber reden, okay? Es ist einfach vorbei.“
Sie nickte, als versuchte sie sich selbst zu überzeugen. „In Ordnung. Na gut, am besten vergessen wir es, indem wir nächstes Wochenende gemeinsam ganz viel Spaß haben.“
Ich spuckte ein Lachen aus. „Nächstes Wochenende?“
„Ja, in etwas über einer Woche eröffnet Club B. JP will uns dahin mitnehmen.“ Sie reckte ihren Hals würdevoll. „Also, fang an, dem entgegenzufiebern.“
* * *
„Rauchst du auf einmal?“ Ich stemmte die Hände in die Hüften.
Robby reagierte nicht. Seine Kopfhörer plärrten in seine Ohrmuscheln. Es war gegen neun Uhr abends und JP und Julie waren spät dran. Sie wollten mich zu meinem ersten Besuch in einem Tanzclub abholen. Dass Sam mich auf der Couch seiner Eltern geküsst hatte, lag nun schon zwei Wochen zurück, und meinen Bruder zu nerven, war das, was mir einfiel, um mich vom schlichten Zählen der Tage abzulenken.
„Warum hängst du überhaupt mit diesen Losern herum?“ Es gelang mir nicht, diesen herumkommandierenden Tonfall aus der Stimme zu bekommen.
Er zog sich die Kopfhörer herunter und sah mich wie im Halbschlaf an. „Hä?“
Ich saß auf seinem Bett und hopste herum, bis er vor Ärger laut schnaubte. Crystal schlich sich ins Zimmer und krabbelte auf meinen Schoß. Uns beiden zu widerstehen, war unmöglich.
„Tut mir leid, dass ich mich in letzter Zeit so rar gemacht habe“, murmelte er. „Ich hatte am Boot zu tun und habe dann mit meinen Freunden rumgehangen. Ihr wisst schon.“
Ich lehnte meinen Kopf an die Glasscheiben seiner improvisierten Schlafzimmerwand und betrachtete die Bleistiftzeichnungen, die über der Kommode angeklebt waren. Robby zog einen Zeichenblock an seine Brust, als wollte er ihn vor unseren neugierigen Blicken verbergen.
„Was ist das?“ Crystal schaute hinüber.
„Nichts.“
„Zeig es mir!“
Sie versuchte ihm den Zeichenblock zu entwenden, indem sie ihn kitzelte.
„Was wollt ihr überhaupt von mir?“, jammerte er, verriet sich jedoch durch ein Lächeln.
„Was hast du gerade gezeichnet?“, bohrte sie weiter.
Ich lächelte beim Anblick der beiden. Es machte keinen Sinn, gegen unsere kleine Schwester anzukämpfen, und das wussten wir beide. Schließlich senkte er das Papier. Zu sehen war die Skizze eines Bootes, seines Bootes, das glänzend und gut zurechtgemacht am Hafen lag.
„Ist das das Boot, an dem du gerade arbeitest?“, fragte ich.
Er zuckte mit den Schultern, als würde alles verschwinden, wenn er es zugab.
„Das sieht wirklich gut aus! Hast du das alles mit dem Bleistift gezeichnet?“
„Ist schon okay.“ Robby nickte zögernd. „Ich probiere immer noch herum, damit das Wasser realistisch aussieht.“
„Es ist wunderschön!“ Crystal berührte ehrfurchtsvoll den Rand des Papiers.
Es war gut. Mein Bruder war in künstlerischer Hinsicht ein Genie und die Wände seines Zimmers waren der Beweis dafür. Sie waren über und über mit Bildern von Mädchen aus der Nachbarschaft und Surfern und Fantasiekreaturen bepflastert, die er irgendwie real aussehen ließ.
Ich beugte mich über seine Schulter. „Und was ist das für ein Gekritzel unten auf dem Bild? Ist das deine Signatur oder was?“
Ich zeigte auf zwei Buchstaben:
RK
Robby schlug seine Fingerknöchel gegeneinander. „So was in der Art. Also, die Initialen sind meine. Aber die Wellenlinie darüber ist ein Symbol für das Wasser. Das kommt von den Stämmen der amerikanischen Ureinwohner. Ich habe es im Internet entdeckt.“
Ich betrachtete die geheimnisvolle Signatur meines Bruders.
Robbys Augen wurden groß, während er weitererklärte: „Yeah, also, ihr wisst ja, dass unser Vater ein Cherokee-Halbblut war und wir so etwas wie ein Fünftel Cherokee sind. Ich meine, das ist so ungefähr das Einzige, was ich wirklich über ihn weiß, nämlich, wo wir von dieser Seite herkommen. Und ich liebe das Wasser so sehr. Deshalb wollte ich es zu einem Teil dessen machen, wie ich unterschreibe. So wie bei einem Stempel.“
Es war nur eine Linie in Form einer Welle. Einfach und rudimentär, und dennoch hatte mein Bruder eine Weise gefunden, sie elegant und kräftig aussehen zu lassen. Das Symbol hing über den Initialen und warf einen Schatten über die Buchstaben darunter, nicht anders als unser Vater – eine mysteriöse, dunkle Frage, die für den Rest unseres Lebens über uns schweben würde. Aber zusammengenommen waren die Initialen und das Symbol wunderschön. Robby klammerte sich an einem kleinen Teil unserer Identität fest, den einzigen Teil, von dem wir wussten. Ob das Internet das Symbol richtig wiedergegeben hatte oder nicht, war egal. Alles, was zählte, war, dass er sich an ihm festhielt.
Auf meinem Unterarm bildete sich eine Gänsehaut, als mir die Leidenschaft meines Bruders für seine Kunst und sein Boot und die Art und Weise, wie er seinen Namen schrieb, deutlich wurde. „Das ist wirklich großartig, Robby.“
Er stand vom Bett auf und fand einen kleinen Fußball, den er zwischen seinen Füßen hin und her kickte. Er hatte genug über sich selbst gesprochen. „Was hast du denn heute Abend vor?“
„JP und Julie nehmen mich in den Club B mit.“
Er lachte ungläubig. „Du machst Witze, oder?“
„Nein.“
Er schüttelte den Kopf. „Na gut, du brauchst dir über mich keine Gedanken zu machen. Ich sollte mir eher Sorgen um dich machen. Das Ding ist ein Loch.“
Ich verschränkte die Arme. „Ist doch egal. Es ist einfach ein Club.“
„Yeah, in Bradenton. Wie cool kann das schon sein? Da sind doch auch nur ein paar andere Teens von anderen Schulen, die ein bisschen auf Rockstar machen. Und alle sehen sie ungefähr eine halbe Sekunde wild und geheimnisvoll aus, jedenfalls bis du näher hinsiehst und merkst, dass sie genauso sind wie du. Oh yeah, weil wir nämlich in einem Teenagerclub in Bradenton sind.“
Ich warf ihm ein Kissen an den Kopf. „Du bist so ein Neidhammel. Für mich hört sich das gut genug an! Schließlich kann nicht jeder so obercool sein wie du.“
Er zuckte mit den Schultern. „Ja. Ich gehe da sicher nächstes Wochenende auch hin.“
Der Gedanke an andere Teens war tatsächlich erleichternd, wenn man an die zwei Wochen Highschoolhölle dachte, die ich seit Sams Party durchgestanden hatte. Wenigstens wusste im Club B keiner, dass er mich eigentlich ignorieren oder auslachen müsste.
„Ich schaue es mir nur einmal an.“ Ich hob die Hände, als wollte ich mich ergeben.
Robby grinste. „Ich verstehe bloß nicht, warum du da abhängen willst, wo du doch auch mit Josh herumhängen könntest. Der wird mit Sicherheit nicht da sein.“
Als der Name unseres Nachbarn fiel, sprang Crystal vor Aufregung auf und ab.
„Mit Josh?“ Ich war so verwirrt, dass ich zu schielen begann.
Robby machte mit seinem Zeigefinger kleine Kreise in meine Richtung. „Ich sage es ja nur.“
Ich schnappte bei dieser Andeutung nach Luft. „Wow. Du bist so daneben. Ich gehe jetzt.“
Ich schüttelte die Bemerkung heraus, während Robby im Hintergrund dramatisch loslachte. Ich zwang mich dazu, im Wohnzimmer weiterzuwarten, wo Denise mit Bruce auf der Couch herumschmuste.
Julie hatte mich davon überzeugt, dass ich eine gute Zeit haben würde, wenn ich zum Tanzen ging, und jeder weiß, dass beste Freundinnen mit so etwas nur selten falschliegen. Ich könnte Tanya vergessen. Und wie Sam mich geschnitten hatte. Und wie ich Josh enttäuscht hatte, der aber nie einen echten Schritt gemacht hatte. Ich könnte auch die Theorie austesten, die ich so gern geglaubt hätte, nämlich die, dass ich so aufgeblüht war, wie Julie behauptete. Im Club B würde mich niemand kennen.
Das B stand für Bradenton, vermuteten wir, aber für Julie und mich stand es für Boys. Für die Clubbesitzer war es eine Gelegenheit, jedem Jugendlichen unter einundzwanzig fünf Dollar Eintritt abzuknöpfen, um ihm dann Cola für zwei Dollar pro Glas zu verkaufen, was dazu führte, dass ein Abend dort teurer war, als es sich die meisten von uns leisten konnten. Die Idee dahinter war simpel: Biete den Highschoolkindern und den Jugendlichen aus dem Junior College die Möglichkeit, einen Club zu besuchen, obwohl sie noch nicht volljährig sind. Dekoriere ihn innen mit billigem Plastikkram, dreh die Beleuchtung runter und die Musik so laut rauf, dass ihre Köpfe beinahe vor Aufregung explodieren. Selbstverständlich durfte kein Mädchen, das ich kannte, dort hingehen, selbst Julie nicht. Und deshalb hatten wir auch verabredet, dass sie heute bei mir übernachten würde. Denise würde es nicht merken, wenn wir uns später ins Haus schlichen.
„Die meisten hier habe ich noch nie gesehen“, flüsterte Julie mir ins Ohr, während wir in der Schlange anstanden.
Leigh und ein paar von ihren Freundinnen rannten an der Schlange entlang, bis sie neben uns standen. Jede von ihnen war für die späten Februartemperaturen viel zu leicht bekleidet. „Da drinnen wird es heiß werden. Deshalb habe ich den Pullover im Auto gelassen“, erläuterte Leigh. „Schau dir das an. Die müssen alle von anderen Schulen kommen. Ich kann an dem Lidschatten der Mädels sehen, dass die nicht aus der Stadt sind.“
Julie lachte. „Sei ruhig. Sie könnten uns hören.“
Ich hatte mich darauf gefreut, einen Abend in einer Traube von Menschen zu verbringen, die ich nicht aus der Schule kannte. Doch als ich ihre fremden Gesichter sah, wollte ich nur meine eigene Gruppe finden und bei ihr bleiben.
Der Türsteher, der aussah, als wäre er früher Kampfschwimmer gewesen, stempelte unsere Handrücken und schob uns hinein, wo das laute Wummern der Bässe aus den Lautsprechern in allen Winkeln des Clubs dröhnte. Julie, Leigh und ich arbeiteten uns zur Tanzfläche vor, während JP bei den Jungs an der Bar blieb. Innerhalb weniger Momente strömten mehr und mehr Menschen auf die Tanzfläche und es war klar, dass die Klimaanlage keine Chance hatte, sobald wir die Arme hoben und im Rhythmus zu tanzen anfingen.
Wir wurden von Jungs umgeben, die wir nicht kannten. Der Schweiß floss ihnen von der Stirn und durch die T-Shirts, bis die Tanzfläche eher wie ein Fitnessstudio aussah, nicht wie ein Nachtclub. Schon bald wurde Schweiß so etwas wie eine Auszeichnung, die besagte, dass wir ausgelassen und bis lange nach Mitternacht tanzten und vermutlich auch mit Leuten aus einer konkurrierenden Schule redeten.
Während Julie und ich im Rhythmus der Musik schwangen, arbeitete sich ein Junge mit einer Baseballkappe an mich heran. Er tanzte sehr nahe neben mir, bis ich schließlich in seine Richtung sah. Wir bekamen Augenkontakt und er hielt meinem Blick stand.
Ich lächelte. Er lächelte. Und unsere beiden Grüppchen wurden plötzlich eine, als hätten wir uns schon seit Jahren gekannt. Es war berauschend. Ich bemerkte, dass JP schnell an Julies Seite war, bevor sie zu viel Aufmerksamkeit von ein paar anderen Jungs bekam.
Als ich schließlich aufschaute, sah ich, dass Sam mich von der anderen Seite des Raumes aus anstarrte. Er war von seiner üblichen Truppe umgeben, tanzte aber nicht mit ihnen. Sein Mund war leicht geöffnet, seine Augen fokussierten mich sehr intensiv. Er beobachtete mich.
JP trat vor mich und nahm mir die Sicht. „Schon gut, Lady Gaga. Ich denke mal, wir sollten jetzt alle nach Hause gehen.“ Er führte Julie und mich aus dem Club und zurück zu seinem Pick-up.
„Ich habe dich noch nie so erlebt!“, kreischte Julie. „Ich meine, du warst da drinnen voll angesagt und dieser Typ hatte ja nur noch Augen für dich!“
Ich lachte über das komische Gefühl des Triumphs, dass mir die Aufmerksamkeit gegolten hatte. „Nein, das stimmt nicht.“
„Er war wie in Trance! Und denk bloß nicht, dass ich Sam auf der anderen Seite des Clubs nicht gesehen habe. Er war da, ganz am Ende, und war wie versteinert, als er dich gesehen hat.“
Meine Wangen wurden rot und heiß. „Ich war vorher noch nie tanzen.“
Julie kicherte. „Glaub mir, das hat keiner gemerkt. Du hast es ihnen gezeigt! Und dieser Typ war ja so süß!“
JP äffte sie nach und begann seine Nummer mit einem Schmollmund. „Dieser Typ war ja so süß!“
Julie küsste ihn auf die Wange und erklärte mir: „JP war nicht so begeistert.“
„Die Hütte war ziemlich öde“, grunzte er. „Das ist okay, wenn du es toll findest, dass andere deine Freundin anstarren. Dieser eine Typ kann von Glück sagen, dass ich ihn nicht vor die Tür gezerrt habe.“
Julie und ich verdrehten die Augen, doch in meiner Brust stach mich ein Schmerz. Wie musste es sein, wenn sich ein Junge um einen kümmerte, wenn es einen gäbe, der sich für mich mit einem anderen anlegen würde? Wenn ich das nicht haben konnte, war vielleicht Ausgehen ein netter Ersatz. An so einem Abend schien ich mitten im Zentrum von allem sein zu können. Ich konnte jemand anders werden. Ich konnte in eine Welt fliehen, in der es Jungs gab, die mich mochten und keine Angst hatten, das zu zeigen, weil sie mich nicht kannten. Wenn die Sonne unterging, konnte ich neu anfangen.
Julie und ich schlichen uns ins Haus und machten uns schlaffertig. Ich zog mir die Haare aus dem Nacken und kuschelte mich ins warme Kissen. Während ich einatmete, kam die Luft in kurzen, ängstlichen Stößen. Einige Stimmen in mir sagten mir, dass ich nicht in Frieden schlafen würde. Ich wurde am helllichten Tag nicht genug geliebt, egal, was ich mir einbildete.
* * *
Als ich am Montag auf dem Weg zum Geschichtsunterricht war, bereitete ich mich innerlich darauf vor, dass mich Sam King wieder ignorieren würde. Lange bevor er im Klassenraum erschien, setzte ich mich auf meinen Platz, und als er schließlich den Gang hinunterkam, um sich hinter mich zu setzen, sah ich, dass sein Blick ins Leere ging, irgendwohin weit hinter mir. Ich konnte einfach der Versuchung nicht widerstehen, ihn anzuschauen. Mein Blick traf seinen. Er blinzelte.
Nach Unterrichtsschluss ging ich am Sportplatz vorbei zur Bushaltestelle, um zur Insel zurückzufahren. Da hörte ich hinter mir eine Stimme: „Missy!“
Ich warf einen Blick aus den Augenwinkeln. Sam?
„Missy, warte! Mann, bist du schnell!“
Ich blieb stehen, und während die anderen mir verwunderte Blicke zuwarfen, drehte ich mich um, um auf Sam zu warten. Sein dunkles Marinehemd betonte die Farbe seiner Augen und ich konnte nicht anders als darüber zu lächeln, dass ich einen Footballstar geangelt hatte.
„Hey.“ Ich schob meine Bücher im Arm hin und her und spürte die Blicke all derer auf meinem Hinterkopf, die gerade in den Bus zur Insel einstiegen.
„Selber hey.“ Er holte mehrmals tief Luft und legte sich die Handflächen auf die Oberschenkel, als müsse er verschnaufen. „Ich versuche schon dich einzuholen, seit du auf der anderen Seite der Schule losgelaufen bist. Du bist ganz schön schnell, weißt du das?“
Ich nickte nur, weil ich Angst hatte, jedes Wort würde übereifrig wirken.
„Also, hör zu, wenn du möchtest, kann ich dich nach Hause fahren.“
„Mich heimfahren. Wirklich?“ Vielleicht hat ihm Tanya diesen Floh ins Ohr gesetzt. „Du wohnst doch gar nicht in der Nähe der Insel.“
Er kratzte sich am Kopf zwischen seinen weizenfarbigen Haaren und blinzelte in die Sonne. „Stimmt.“
Tanya Maldonado ging an uns vorbei zum Bus. Als sie uns bemerkte, fiel ihr die Kinnlade herunter, aber gerade nur so viel, dass ich es bemerkte. Sie sagte kein Wort zu Sam. Sie sah mich die ganze Zeit an.
Ein Gefühl der Befriedigung wischte den misstrauischen Ausdruck von meinem Gesicht. „Klar. Du kannst mich gern nach Hause bringen“, sagte ich extra laut.
Sam blinzelte. „Also gut. Dann haben wir eine Verabredung.“
Ich lachte. „Eine Verabredung?“
„Na ja, wenn ich dich auf einen Milchshake einladen will, dann ist das eine Verabredung.“
Bei dem Wort blieb mir die Luft weg. Er lud mich ein. Wie sich das gehörte. Am helllichten Tag. „Okay.“ Ich brachte das Wort kaum über die Lippen. Reiß dich zusammen, Missy. „Da hätte ich Lust zu, aber nur, wenn ich einen Schokoladenshake bekomme.“
„Gib es noch andere?“ Er nahm mir die Bücher aus dem Arm und ging mit mir zu seinem Geländewagen. Als er mir die Tür aufhielt, damit ich auf der Beifahrerseite einsteigen konnte, versuchte ich nicht allzu beeindruckt zu wirken, sondern eher so, als würde mir so etwas jeden Tag passieren.
Schließlich kamen wir an der Eisdiele an und setzten uns auf die Terrasse. Die Kellnerin stellte vor jeden von uns einen Schokoladenmilchshake, in dessen Mitte jeweils ein Löffel steckte. Aus ihrer Schürze drang der Geruch von Fett und Cheeseburgern, als sie sich wieder auf den Weg in die kleine Küche machte.
Sam neigte den Kopf. „Es tut mir leid, dass ich mich so rar gemacht habe. Ich hatte zu tun.“
„Zu tun. Wirklich?“
Er zuckte mit den Schultern. „So in der Art.“
Ich konnte nur die Autos anstarren, die die Hauptstraße hinunterrasten und dabei jedes Mal einen Windstoß über die Terrasse bliesen.
„Schau mal, ich habe mich blöd verhalten und das tut mir leid. Du bist mir hoffentlich deswegen nicht böse. Du hast dich seit damals sehr verändert. Wirklich ziemlich …“ Er machte eine Pause, als stünde er kurz davor, mich zu beleidigen. „Und dann habe ich dich an dem Wochenende gesehen, und, naja, du siehst ziemlich gut aus.“ Die Grübchen erschienen wieder. Seine schärfste Waffe.
„Ich bin dir nicht böse.“
„Gut.“
Die letzten beiden Wochen wurden nicht erwähnt. Es gab keine Erklärung dafür, warum er mich im Geschichtsunterricht so offensichtlich ignoriert hatte. Es gab auch keine bohrenden Fragen, ob es ihm wirklich peinlich gewesen war, sich mit mir einzulassen, wie Tanya gesagt hatte. Es gab keine Fragen, weil ich keine stellte. Sam streckte seinen Arm über den Tisch und nahm meine Hand in seine. Das war eine echte Verabredung, meine allererste, und ich hatte nicht vor, sie zu ruinieren.
Als ich am nächsten Tag den Raum betrat, in dem wir Geschichtsunterricht hatten, wurde es darin plötzlich still. Ich zog den Bauch ein, schob mir das Haar verstohlen zur Seite, um gut auszusehen, und versuchte das nervöse Lächeln zu unterdrücken, das mir in den Lippen kitzelte. Ian und Mike versuchten nicht einmal ihr offensichtliches Starren in meine Richtung zu verbergen, während ich den Gang hinunterging.
„Du siehst heute unglaublich gut aus, Missy.“ Sam zupfte mich am Rock, als ich mich vor ihn setzen wollte. „Komm her.“
„Was?“ Ich lachte leise und nervös.
„Komm her.“ Er blinzelte mich an, als wäre ich die Sonne, und zog mich an der Hand, bis ich ihm auf den Schoß fiel. Er legte seine Arme um mich wie ein Bär. Und in diesem Augenblick war die Frage beantwortet, wie er „uns“ öffentlich machen wollte. Die Klasse schien zu erstarren. Und Ian und Mike blieb nichts anderes als ein anerkennendes Nicken.
Ich bekam kaum noch Luft, so sehr stand ich plötzlich im Zentrum des Interesses. Alle sahen mich an, was normalerweise das Schlimmste war, was passieren konnte. Doch mit Sams Kinn auf meiner Schulter fühlte ich mich sicher. Er hatte mir Unantastbarkeit gegeben.
Ich setzte mich auf meinen Platz, bevor Mr Miller sich über die Szene beschweren konnte, die wir geschaffen hatten. Sam spielte von hinten mit meinen Haaren, und während ich so tat, als schriebe ich mit, staute sich in mir ein Kichern auf. Und ich, Melissa Anne Keiser, war hin und weg.
Nach dem Unterricht hielt Sam auf dem Weg zum Mittagessen meine Hand. Pferdeschwänze wippten, als sich die Köpfe drehten. Die Jungs hörten auf, sich gegenseitig zu necken. Es war, als würde die ganze Schule in der Bewegung stillstehen, um zu sehen, wie Sam King meine Hand hielt. Wenn Julie das mitbekam, würden wir eine gemeinsame Übernachtung planen müssen, damit ich ihr jedes kleinste Detail erzählen konnte.
Wenn man mich fragt, gibt es in einer neuen Beziehung ein paar Dinge, die wichtiger sind als die Tatsache, dass der Junge deine Hand hält. Der erste Kuss und die erste Verabredung sind wichtige Augenblicke, die man sich vorher in allen Regenbogenfarben ausmalt. Aber wenn der Junge sich zum ersten Mal mit dir an der Hand bei seinen Freunden blicken lässt, ist das ein Bekenntnis. Damit ist keine besondere Absicht verbunden, keine Funktion. Es ist einfach so. Und im elften Schuljahr, nur zwei Monate vor dem Abschlussball, ist das so etwas wie eine Revolution.
Tanya Maldonado wusste es. Sie hörte mit dem Kauen auf, als ich Hand in Hand mit Sam zu dem Speisesaaltisch schlenderte, an dem sie saß. Niemand tauschte schockierte und ungläubige Blicke mit ihr aus, während ich unantastbar durch die Cafeteria schritt. Sie sahen sie noch nicht einmal an. Sie starrte mich an und ich strahlte.
„Hey, macht alle Platz für Missy“, sagte Sam.
Tanya war die Letzte, die zur Seite rutschte, aber sie tat es schließlich doch. Und wir beide trafen damit so etwas wie eine unausgesprochene Abmachung. Man kann sie auch kalter Krieg nennen.
Von diesem Augenblick an war es egal, wer am Tisch saß oder was sie mir im siebten Schuljahr hinterhergerufen hatten. Es war egal, ob ich neben Tanya oder Ian oder irgendeinem anderen saß, der sich daran erinnerte, dass ich früher einmal „Messy“ genannt worden war. Solange ich stolz Sams Arm um meine Schultern spüren konnte, waren sie nett und ich hatte meine Ruhe. Ich hatte die Macht, Julie zu uns hinüberzuwinken und sie in Sams inneren Kreis einzuführen. Was ich zu sagen hatte, wollten die Leute auf einmal hören. Die Musik, die ich mir zusammengestellt hatte, wollten sie auf einmal ausleihen. Bei Sam zu sein war so wie das „Frei“ beim Versteckspielen: Solange ich dort war, war ich sicher.
Josh saß nur ein paar Plätze weiter in unserer Nähe, aber er hatte nicht viel zu sagen. Er schob sein Essen weg, spannte die Kieferknochen an und redete mit allen in dem tiefen, ruhigen Tonfall, den ich am Pool des Ferienhauses kennengelernt hatte, einem Pool, von dem niemand an diesem Tisch etwas wusste außer uns beiden.