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Yvonne Schymura

Käthe Kollwitz

Die Liebe,
der Krieg
und die
Kunst

Eine Biographie

C.H.Beck

Zum Buch

Käthe Kollwitz lebte ein Leben gegen die Konvention – selbstbewusst, leidenschaftlich und unerschrocken. Sie war eine Ausnahmekünstlerin und politische Kämpferin, führte eine unbürgerliche Ehe und ging in der Liebe zu ihren Söhnen auf. Yvonne Schymura erzählt das aufregende Leben einer Frau zwischen Kaiserreich und Zweitem Weltkrieg, die nach ihrem Tod zu einer deutschen Ikone wurde.

Als Käthe Kollwitz (1867–1945) zur Welt kam, zogen noch Pferde die Ziegelkarren vom elterlichen Bauhof. Als sie starb, lag das Deutsche Reich in Trümmern. Als Mädchen erkämpfte sie sich eine künstlerische Ausbildung, und als sie sich endlich durchgesetzt hatte, widersetzte sie sich den allgemeinen Erwartungen an eine Künstlerin, indem sie heiratete und Kinder bekam. Das Schlüsselereignis ihres Lebens, der Tod des jüngeren Sohnes in den Anfangswochen des Ersten Weltkriegs, ließ sie zur Pazifistin werden und beherrschte auf Jahre ihr Leben wie ihre Kunst. Als erste Frau rückte sie in die vorderste Reihe der deutschen Künstlerschaft auf und kam in der Preußischen Akademie der Künste zu Amt und Würden, bis sie 1933 durch die Nationalsozialisten kaltgestellt wurde. Yvonne Schymura räumt mit gängigen biographischen Mythen auf und thematisiert auch die rätselhaften Umstände von Kollwitz’ Tod. Ihre lebhaft erzählte Biographie zeichnet ein bewegendes Bild der berühmtesten deutschen Künstlerin.

Über die Autorin

Yvonne Schymura ist promovierte Historikerin und forscht seit vielen Jahren über Käthe Kollwitz. Seit 2013 arbeitet sie für «Zeit und Wort. Agentur für Geschichtskommunikation» und schreibt als freie Journalistin für «ZEIT Online», «Spiegel Online» und die Deutsche Welle.

Inhalt

Vorwort

1. Mädchenjahre

Der Aufbruch

Grundsätze und Geist – die Königsberger Herkunft

Kindheit in Königsberg

Künstlerin auf Probe

München – ein Fest

2. Das Leben und die Kunst

Inspiration

Die Familie als Fundament

Talent und Glück

Künstlerinnenhimmel

Entwicklungswege

3. Der bittere Weg

Das Opfer

Die neue Zeit

Festhalten

Ein Denkmal setzen

Langsame Abkehr

4. Ganz oben

Revolutionstage

Zwischen Hoffnung und Angst

Neubeginn

Familienzuwachs

Gipfelstürmerin

5. «Das Dritte Reich bricht an»

Der Rauswurf

Bei den Gemaßregelten stehen

«Als ob mein Herz tot ist»

Wieder Krieg

«Der Krieg begleitet mich bis zum Ende»

6. Nachleben

Sozialistische Kampfkunst

Die große Mutter

Im wiedervereinten Deutschland

7. Zeittafel

Anhang

Anmerkungen

Vorwort

1. Mädchenjahre

2. Das Leben und die Kunst

3. Der bittere Weg

4. Ganz oben

5. «Das Dritte Reich bricht an»

6. Nachleben

Literaturverzeichnis

Selbstzeugnisse von Käthe Kollwitz

Schriften von Käthe Kollwitz

Œuvre-Kataloge

Sonstige Literatur

Bildnachweis

Personenregister

Vorwort

Käthe Kollwitz starb an einem kühlen, regnerischen Frühlingstag in Moritzburg bei Dresden.[1] Es war der 22. April 1945. Das Ende des Zweiten Weltkriegs stand unmittelbar bevor. Das Ruhrgebiet hatte sich bereits ergeben. Die Rote Armee übertrat gerade die Stadtgrenze von Berlin, und im ganzen Land fürchteten sich Menschen vor einer ungewissen Zukunft.

Käthe Kollwitz allerdings fürchtete sich nicht. Sie wartete auf den Tod. In den letzten Monaten hatte sie vollkommen zurückgezogen gelebt, betreut von ihrer Enkelin Jutta und weit weg von ihrem Sohn Hans, deren Besuche sie stets sehnsüchtig erwartete. Immer öfter war sie morgens verstimmt aufgewacht, weil der Tod sie noch immer nicht geholt hatte, weil sie noch einen weiteren Tag würde leben müssen.[2] Das Eckzimmer im verwinkelten Rüdenhof war ihre letzte Zuflucht (Abb. 1). Dort starb sie.

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1  Sterbezimmer von Käthe Kollwitz im Rüdenhof, Moritzburg, 1945

Trotz des allgemeinen Elends der letzten Kriegswochen zeichnete Hans Kollwitz ein recht idyllisches Bild vom Lebensende seiner Mutter: «Mein letzter Besuch war am Karfreitag 1945. Ich las ihr die Ostergeschichte aus dem Matthäusevangelium, die sie früher so oft als Oratorium gehört hatte, und den Osterspaziergang aus ihrem geliebten Faust vor. Wie eine Königin im Exil wirkte sie, trotz aller Zerstörungen von einer bezwingenden Güte und Würde. Das ist das letzte Bild, das ich von ihr habe. Meine Tochter erlebte ihren Tod am 22. April 1945. Ihre letzten Worte waren: ‹Grüßt alle›.»[3]

Mit letzten Worten ist es so eine Sache und mit idyllischen Sterbeszenen auch, denn seit gut zwei Jahren ist bekannt: Käthe Kollwitz starb nicht im Kreise ihrer Lieben. Sie starb allein. Jutta und ihre Zwillingsschwester Jördis hatten an diesem 22. April 1945 den Rüdenhof schweren Herzens verlassen, aus Angst vor der näherrückenden Roten Armee.[4] Ein einzelner Absatz in einem Brief von Kollwitz’ Freundin Beate Bonus-Jeep brachte ans Licht, was die Enkelin Jutta Bohnke-Kollwitz mittlerweile in einem Interview bestätigt hat.[5] Hans Kollwitz wusste davon, als er die kleine Sterbeszene inszenierte. Seine Entscheidung, die Ereignisse zu verschleiern, mag auf menschlicher Ebene verständlich sein, für die historische Betrachtung ist sie wenig förderlich gewesen. Wo gesicherte Überlieferungen fehlen, ist der Weg frei für Legenden und Verklärungen. Um dem entgegenzuwirken, bedarf es eines besonders kritischen Umgangs mit den Quellen, und daran hat es gerade im Fall von Käthe Kollwitz zuweilen gefehlt.

Die Lebensgeschichte von Käthe Kollwitz ist in den hundertfünfzig Jahren seit ihrer Geburt unzählige Male erzählt worden. Zu ihren Lebzeiten achtete die Künstlerin selbst darauf, was an die Öffentlichkeit drang, und verhinderte zuweilen eine Veröffentlichung, wenn es ihr notwendig erschien.[6] Nach ihrem Tod übernahm die Familie die Aufgabe, das öffentliche Bild von Käthe Kollwitz zu pflegen.

Durch die Publikation von Tagebuchauszügen, Briefen und autobiographischen Texten bemühte sich erst der Sohn, dann die Erbengemeinschaft, das Andenken der Künstlerin lebendig zu halten und ein vielschichtiges Lebensbild zu zeigen.[7] Insbesondere die Tagebücher erweisen sich als wertvolle und reichhaltige Chronik des frühen 20. Jahrhunderts und geben darüber hinaus einen intimen Einblick in das Leben und Arbeiten einer herausragenden Künstlerin. Dass Käthe Kollwitz in den siebzig Jahren seit ihrem Tod nicht in Vergessenheit geriet, verdankt sie nicht zuletzt diesen Publikationen.

Gleichzeitig griffen Akteure mit ganz unterschiedlicher Motivation die Lebensgeschichte der Künstlerin auf und benutzten sie für ihre eigenen Zwecke. Das Material war so reich, dass sich gegensätzliche Geschichten erzählen ließen. Die einen sahen in Käthe Kollwitz eine überzeugte Sozialistin, die anderen konzentrierten sich auf die religiöse Sozialisation. Sie galt als große Mutter, als Trösterin, als Kämpferin, als Vorreiter und moralische Instanz. Für jede dieser Annahmen finden sich in den Tagebüchern Belege. Sie einzeln herauszugreifen macht sie nicht wahr.

Was lange fehlte, war eine quellenkritische biographische Erzählung, die nicht ein bestimmtes, politisch gewolltes Kollwitz-Bild zu bestätigen suchte und sich auch nicht von der Künstlerin selbst auf eine falsche Fährte führen ließ. Denn Käthe Kollwitz kannte die Schwächen ihres Journals sehr genau: «Fing neulich an in den alten Tagebüchern zu lesen. Bis zurück vor den Krieg. Allmählich wurd mir beklommen zumut. Das kommt wohl daher, daß ich nur schrieb, wenn Hemmungen und Stauungen im Lebenslauf da waren. Selten wenn alles glatt und eben war. (…) Gerade hierin hatt ich beim Lesen recht das Gefühl der Halbwahrheit eines Tagebuchs. Sicher, was ich schrieb hatte seinen Grund, aber nur eine Seite des Lebens nämlich die, in der es hapert und heddert, wird festgehalten.»[8]

Die Künstlerin brachte hier auf den Punkt, was die Kollwitz-Biographik lange Zeit ignorierte: Auch eine scheinbar authentische Quelle entsteht unter bestimmten Bedingungen; diese zu kennen und zu durchschauen ist eine wesentliche Voraussetzung für eine schlüssige Argumentation. Bei der Betrachtung der Lebensgeschichte von Käthe Kollwitz arrangierten Kulturpolitiker, Journalisten und Autoren viel zu oft ein gefälliges Bild, das in den gesellschaftlichen Rahmen der beiden konkurrierenden deutschen Staaten passte. Die Vielschichtigkeit, die Gegensätze, die Brüche und Umschwünge in der Biographie interessierten nicht so sehr wie eine hochrangige Künstlerin, die sich im Sinne des Systemkonflikts des Kalten Krieges instrumentalisieren ließ. Und während die schematischen Biographien die Runde machten, wuchs die Künstlerin zur nationalen Heldenfigur heran.

Heute ist Käthe Kollwitz in der kulturellen Inszenierung allgegenwärtig. Berlin und Köln sind die Zentren der Kollwitz-Verehrung und auch die Standorte der beiden Museen, die sich dem Leben und Schaffen der Künstlerin widmen.[9] Am Rhein erinnert ihr Denkmal «Die trauernden Eltern» schon seit 1959 an die Toten des Zweiten Weltkriegs. In der Hauptstadt steht ihre «Mutter mit totem Sohn» in der Neuen Wache und damit im Zentrum der bundesrepublikanischen Gedenkpolitik. Dazwischen haben viele Städte zumindest eine Straße nach Käthe Kollwitz benannt, und über hundert Schulen tragen ihren Namen. Es gibt Fernsehdokumentationen zu Kollwitz, Romane, Filme und Theaterstücke.[10] Die Anzahl an Büchern, Ausstellungskatalogen und Zeitungsartikeln ist unüberschaubar.

Das Andenken von Käthe Kollwitz ist 2017, im Jahr ihres hundertfünfzigsten Geburtstags, lebendiger denn je. Auch die vorliegende Biographie, die sich darum bemüht, Käthe Kollwitz frei von politischen und persönlichen Verbindlichkeiten zu betrachten, möchte ihren Teil dazu beitragen, indem sie bisher vernachlässigte Seiten im Leben dieser Künstlerin sichtbar macht.

Bochum, im April 2016

Yvonne Schymura