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Zum Buch

Von Arznei bis Zypernwein, von Doppelkinn bis Haushund: Eva Gesine Baur eröffnet mit diesem ABC kleine Einblicke ins Alltagsleben des großen Mozart. Sie verrät, warum er sich in Mailand Leberknödel und Sauerkraut wünschte, mit fünfundzwanzig keine Perücke mehr tragen wollte, Zahnstocherbüchserl aus Gold nicht mochte, aber die Glasharmonika liebte.

Über die Autorin

Eva Gesine Baur studierte Literaturwissenschaft, Psychologie, Kunstgeschichte und Musikwissenschaften. Sie hat zahlreiche Bücher über kulturgeschichtliche Themen und unter dem Namen Lea Singer mehrere Romane veröffentlicht. 2010 wurde ihr der Hannelore-Greve-Literaturpreis für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der deutschsprachigen Literatur verliehen.

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Niemand kam je auf die Idee, Beethoven Ludovicus zu nennen oder Wagner Ricardus. Wer ist also daran schuld, dass Mozart den Vornamen Amadeus verpasst bekam? In das Taufbuch der Salzburger Dompfarre wurde er am 28. Januar 1756, einen Tag nach seiner Geburt, als Joannes Chrysost[omus] Wolfgangus Theophilus eingetragen. Theophilus ist der gräzisierte Gottlieb. So hieß er nach seinem Taufpaten Johann Gottlieb/Theophil Pergmayr. Als Falco 1985 mit Amadeus rockte, war der Name längst zementiert. Nur: von wem und seit wann? Weder Peter Shaffers Theaterstück Amadeus (1979) noch Miloš Formans darauf basierendem Film (1984) ist es anzulasten, dass Mozart unter diesem Etikett vertrieben wird, wenngleich sie sonst mit wirklichkeitsfernen Einfällen nicht geizten. Familie und Freunde nannten den Komponisten Wolfgang. Er selbst unterschrieb anfangs zuweilen mit Wolfgang Gottlieb, seit Jahresbeginn 1770 mit Amadeo, ab 1777 Amadé, gern auch in den Varianten Amadée, Amade oder Amadè, meist schlicht Mozart. Nur ganze drei Mal nannte er sich in einem Brief Amadeus, 1774, 1777 und 1779. Das erste Mal in einem der nicht eben von Ernst durchtränkten Briefe an das Bäsle und in lateinischem Kontext: ich habe zanwehe. Johannes Amadeus Sigismundus Mozartus mariae annae Mozartae matri et sorori, ac amicis omnibus, praesertimque pulchris virginibus, ac freillibus, gratiosisque freillibus.

Sigismundus war sein Firmname, den er wie üblich nach dem Firmpaten erhielt; möglicherweise hatte Sigismund Graf von Schrattenbach, Fürsterzbischof von Beruf, persönlich diese Aufgabe übernommen.

Das zweite Mal nannte sich Mozart Amadeus, wiederum sprachblödelnd, in einem Brief an den Vater. Auch dort garniert mit einem lateinischen et: der nähmliche narr bleibe ich, Wolfgang et Amadeus Mozartich. augspurg den 25 octobrich, 1700 Siebenzigich. Das dritte Mal heißt er sich Amadeus erneut in lateinischem Zusammenhang: Ob ich Jannes Chrisostomus Sigismundus Amadeus Wolfgangus Mozartus wohl im stande seyn werde, den ihre reizende Schönheit/: visibilia und invisibilia/: gewis um einen guten Pantofel=absatz erhöhenden zorn zu stillen, zu lindern, zu besänftigen … Sonst aber verwendet er die Endung -eus niemals und sie wird auch von den Zeitgenossen nicht für ihn benutzt. Auf keinem Theaterzettel, in keiner Rezension, auf keinem Notendruck findet sich zu Mozarts Lebzeiten der Vorname Amadeus.

Hat sein erster Biograph den fehlerhaften Markennamen ins Spiel gebracht? Sicher ist: Jener Biograph war ein Lügner. Ich kannte Mozart, hieß das schmale Werk von Franz Xaver Niemetschek, erschienen 1798. Nachweislich hat er Mozart kein einziges Mal getroffen. Aber immerhin stand darunter korrekt: Leben des KK Kapellmeisters Wolfgang Gottlieb Mozart. Zehn Jahre später kam die zweite Auflage von Niemetscheks Biographie heraus unter dem Titel: Lebensbeschreibung des KK Kapellmeisters Wolfgang Amadeus Mozart. Was war in der Zwischenzeit passiert?

Es war eine weitere Biographie Mozarts erschienen, verfasst von Ignaz Ferdinand Arnold: Mozarts Geist. Eine kurze Biographie und ästhetische Beschreibung seiner Werke. Dort wurde er bereits zu Beginn als Wolfgang Amadeus eingeführt und der Vorname Gottlieb nur noch in Klammern beigefügt. Der Erfurter Arnold war zwar eigentlich ein braver Advokat, der auch Orgel spielte und Romane schrieb. Aber was er außer der Galerie berühmter Tonkünstler verfasste, zu der Mozart gehörte, lässt Ahnungen aufkommen: Das Bildnis mit dem Blutflecken, Mirakulosos oder der Schreckensbund der Illuminaten, Die Nachtwandlerin oder die schrecklichen Bundesgenossen der Finsternis. Bevor er sich mit diesen Werken für die Weltliteratur unverzichtbar machte, hatte Arnold an die zwei Jahre in einer psychiatrischen Anstalt verbracht. Dass er dort nach seiner Hochzeit im Jahr 1800 mit einem Nervenzusammenbruch eingeliefert worden war, sollte nicht zu falschen Schlüssen führen. Dass er kurz danach sein Buch über Mozart veröffentlichte, gibt jedoch zu denken. Vielleicht hatte der Mann einfach zu viel Phantasie – oder als Jurist und Kirchenorganist eine zu große Affinität zur lateinischen Sprache.

Dass Amadeus allerdings nicht, wie so gerne behauptet, «von Gott geliebt» heißt, weiß jeder nach einem Latein-Grundkurs. Den hat wohl auch der Wiener Kirchenbuchschreiber nicht besucht, der Mozart am 6. Dezember 1791 ins Totenregister der Pfarre von St. Stephan eintrug: als Wolfgang Amandeus. Amandus wäre der zu Liebende. Nur irgendwie musste Gott noch rein, wenn Mozart schon ohne kirchliche Sakramente gestorben war. Also Amandeus.

Doch um Arnold zu entlasten: Er kannte zwar sicher nicht die Nachlassakten Mozarts, wo schon das latinisierte Amadeus verwendet worden war. Stattdessen kannte er wohl die Werkausgabe von Breitkopf und Härtel in Leipzig, Œuvres Complettes de Wolfgang Amadeus Mozart, mit der vier Jahre vor dem Erscheinen von Arnolds Biographie begonnen worden war.

Da Mozart selbst alles Verdrehte liebte, so auch die Namensversion Gnagflow Trazom, hätte ihm wohl Suedama besser als Amadeus gefallen.

Wäre Suedama nicht eine Lösung? Doch Name ist nur Schall und Rauch. Nichts wie Lermen und Scheissen, hätte Mozart wohl gesagt.

 

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Vater Mozart dilettierte als Reisebegleiter seines Sohnes notgedrungen in vielen Disziplinen: Er war Manager, PR-Agentur, Reisebüro, Kontaktanbahner, Hauslehrer seiner Kinder, Dolmetscher, aber auch Arzt und Apotheker. Einen kleinen Arztkoffer mit dem, was sich heute Naturheilmittel nennt, führte er immer mit sich. Auch später hörte er nicht auf, seinem Sohn Diät- und Therapievorschriften zu machen, was er zu essen, zu trinken, zu schlucken, zu schmieren, zu reiben und vor allem zu unterlassen habe. Nur bitte ich dich mein lieber Wolfgang keinen Exceß zu machen, schrieb er dem Sohn im September 1777 aus Salzburg nach München. Er habe sich vor hitzigem Getränk zu hütten, weil sein Geblüth zu Hitze geneigt sei und gleich in Wallung kommt. Die starken Weine, und vieles Weintrincken ist dir also schädlich. In Wallung brachte den lieben Wolfgang, damals bereits einundzwanzig Jahre alt, vor allem die väterliche Bevormunderei. Erst recht, wenn der Vater meinte, mit Diäten die Liebesglut seines Sohnes abkühlen zu können. Dass der auf dem Weg nach Paris in Mannheim für Aloisia Weber entbrannte, machte Leopold nervös. Aloisias Abfuhr bei seiner Heimreise machte Mozart krank. Sein Vater reagierte wie immer mit Maßregeln. Die Hauptsache ist die dieta. Wenig essen. Suppen so viel du willst: aber kein Rindfleisch, Ein wenig gut zusamm=gesotttnes lindes Kalbfleisch oder Lammfleisch. – am besten versottnes Lüngen. Recht zum Schleim versottnen Reiß. Gerstenschleim; aber nicht den zucker, sondern den Schleim von den zusammengestottnen, und durch ein reines Tuch gedrückt, gersten. Dieß erhält die Brust bei Kräften, da es solche anfeichtet. Ziemlich unwahrscheinlich, dass Mozart solche Briefe zu Ende las. Was ihm auf den Magen schlug, war mit Hausmitteln nicht zu beheben. Gegen Liebeskummer ist kein Kraut gewachsen.

Kaum war er in Wien, reagierte er auf die väterlichen Behandlungstipps nicht mehr als dessen gehorsamster Sohn, als der er gerne unterschrieb. Er revanchierte sich mit Empfehlungen, die den Vater verquacksalberten. – nehmen sie auch das kayserbeinl von einem kalbsschlegel, und für einen kreutzer schindlwurzel [Arnikawurzel] in einen Papier und tragen es bey sich im sack. – ich hoffe dass es ihnen gewis helfen wird.

Mozart selbst entdeckte angenehmere Arzneimittel als die vom Vater empfohlenen Kräutertees oder Extrakte aus Hölzern, Rinden, Wurzeln und Insektenhüllen. 1790 bedankte er sich aus Prag bei einem Gönner für eine offenbar nützliche Gabe, vermutlich Bargeld statt eines der von Mozart wenig geschätzten goldenen Zahnstocherbüchserl: Und was soll ich denn sagen von Ihrem Präsent, mein allerbester Herr Baron? Das kam wie ein Stern in dunkler Nacht, oder wie eine Blume im Winter, oder wie ein Glas Madeira bey verdorbnem Magen …

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Leopold Mozart scheint für die Bierwerbung nicht verwertbar. Sein Sohn durchaus. Dafür hätte der Vater gute Aussichten, als Steuerberater ein Geheimtipp zu werden; was die Argumente für Steuernachlässe anging, zeigte er eine beachtliche Kreativität. So schrieb Leopold Mozart an seinen Arbeitgeber, Fürsterzbischof Sigismund Graf von Schrattenbach, er vertrage kein Bier. Wegen seines Ischias. Er müsse also Wein trinken. Nachdem aber seine Lebenshaltungskosten bei gleichbleibender Besoldung um die Hälfte gestiegen seien, könne er sich das nötige Quantum nicht leisten. Selbst sein Hauswein aus Lambach, der Eimer mit neun Litern zu nur 4 Gulden 30 Kreuzer, sei nicht mehr drin im Etat. Sein offizielles monatliches Einkommen belief sich auf 25 Gulden, Zulagen nicht mitgerechnet. Daher ersuche er um Steuerentlastung. Wie groß Leopolds Tagesdosis an Wein war, wissen aufmerksame Leser aus den Briefen, die Leopold aus London an seinen Salzburger Hauswirt, den Spezereywaren-Händler Hagenauer schrieb (siehe Marzemino): zusammen mit seiner Frau konsumierte er am Tag zwei Liter. Nachdem Biergenuss seine Ischias-Entzündung angeblich dramatisch verschlimmerte, musste es Leopold beunruhigen, was er 1764 in England erlebte. Bereits Kinder wurden mit Bier gestillt oder zumindest ruhiggestellt. Die Kinder und die Magd trinken leichtes Bier, und haben die Freyheit nach belieben zu dem fässe zu gehen den ganzen Tag hindurch; denn hier trinkt niemand Wasser, Herr und Frau trincken Starckbier. Sein Sohn jedoch entwickelte sich spätestens in Wien zu einem Bierliebhaber und erbettelte von seinen Gönnern, gerne zusammen mit Bargeld, einen Blutzer Bier. Von Elisabeth Baronin von Waldstätten ebenso wie von seinem Dauergläubiger Johann Michael Puchberg; wenn ich gewusst hätte, dass Sie mit dem Biere fast zu Ende sind, so würde ich mich gewis nie unterstanden haben Sie davon zu berauben, ich nehme mir also die Freyheit Ihnen damit den anderen Blutzer wieder zurück zu schicken, da ich heute schon mit Wein versehen bin; ich danke Ihnen herzlich für den ersten und wenn Sie wieder mit Bier versehen seyn werden, so bitte ich mir ein Blutzerchen aus; Sie wissen wie gern ich es trinke; – auch bitte Sie, bester Freund, schicken Sie mir nur auf ein paar Tage etliche Ducaten, wenn Sie können, weil es eine Sache betrifft, die sich nicht verschieben lässt, sondern augenblicklich geschehen muss.

Blutzer wurde der dickwandig bauchige Krug genannt, wie der Kürbis, dem er ähnlich sah. Michael Puchberg war in zweiter Ehe mit der Tochter eines Bierwirts verheiratet und kam daher gut an den Stoff heran. Zum Verdruss der Brauereien hinterließ Mozart keinen Hinweis auf sein Lieblingsbier. Gewöhnt war er von Kindesbeinen an das frisch gezapfte Märzen. Vater Leopold aber gab klammheimlich doch einen Tipp. Auf dem Weg nach Italien vermeldete er seiner Frau aus Tirol: In Waidring assen wir eine Suppe und tranken ein gar nicht übles St: Johanser=bier dazu. Entweder weiß das die Familie Huber in St. Johann nicht, oder sie ist zu dezent. Jedenfalls gibt es dort kein Mozartbier. Die Brauerei, die die Hubers seit 1883 führen, existierte aber schon im Jahr 1727. Es gibt dort den Zwickel, ein ungefiltertes und damit naturtrübes Bier, das erklären würde, warum Leopold das Bier hier besser bekam: Es ist bis heute ungespundet, wird also ohne Spund im Loch vergoren, so dass die Kohlesäure sich verflüchtigt. Nur seinen Blutzer sollte der Mozartwallfahrer selbst mitbringen.

 

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Dafür wird Mozart von den wenigsten gehalten. Er selbst gab sich aber dafür aus. Es kann sein, dass er damit nur den begründeten Verdacht seines Vaters ausräumen wollte, er treibe es, erstmals ohne dessen Aufsicht unterwegs, zu wild. Leopold war bekannt, dass die Mannheimer Musiker gerne Nächte durchzechten, erst recht in der Vorweihnachtszeit. Er dachte sich also wohl das Richtige, als sein Sohn am 20. Dezember 1777 aus Mannheim vermeldete: um 6 uhr gehe ich zum Cannabich und lehre die Mad: selle Rose; dort bleibe ich beym nacht essen, dann wird discutirt – – oder bisweilen gespiellt, da ziehe ich aber allzeit ein buch aus meiner tasche, und lese – – wie ich es auch in salzburg zu machen pflegte.

Schwer vorstellbar: Mozart in der Ecke lesend, während die Cannabichs samt der angebeteten Tochter Rose Karten klopften, lachten, obszöne Reime schmiedeten, Witze rissen und Wein tranken.

Sicher ist, dass Mozart für damalige Verhältnisse viele Bücher besaß. Den Beweis lieferte der Buchschatzmeister-adjunkt Johann Georg Binz, der zwischen dem 6. und 9. Dezember 1791, also direkt nach Mozarts Tod, in dessen Wohnung auftauchte. Er erstellte auftragsgemäß ein Verzeichniß und Schätzung der Bücher des verstorbenen Tl. Herrn W.A. Mozart Kays: Kapellmeister. Der gesamte Schätzwert wurde auf 23 Gulden und 41 Kreuzer angegeben, umgerechnet heute an die 1000 Euro.

Als aufgrund dieses Verzeichnisses Mozarts Bibliothek in seinem 200. Todesjahr 1991 für eine Ausstellung in Wolfenbüttel rekonstruiert wurde, waren sich die Experten allerdings rasch einig, dass es sich hier nur um ein Fragment handelte. Es klafften zu offensichtlich Lücken im Bestand. So war von der Gesamtausgabe der Molière-Komödien, die ihm Fridolin Weber, der Vater seiner späteren Frau Constanze, zum Abschied aus Mannheim geschenkt hatte, nur noch ein einziger Band vorhanden. Von Johann Jacob Mascovs zehnbändiger Ausgabe mit Geschichten des Römisch= Teutschen Reichs bis zum Absterben Kaiser Karls des Sechsten fand sich nur noch die Einleitung. Eine Bibel und ein Gebetbuch fehlten, auch vieles andere, was Mozart auf der Suche nach Libretti konsultiert hatte, ebenso die klassische Lektüre der Freimaurer. Die Aussteller waren überzeugt, dass sie in ihrer Rekonstruktion nur einen Teil von Mozarts tatsächlichem Bücher- und Musikalienbesitz erfasst hatten. Dennoch zeigt sie, dass Mozart nicht nur der vielseitigste Komponist aller Zeiten war, der sich in jeder Gattung versuchte und in jeder Meisterwerke schuf. Vielmehr verfolgte er auch als Leser enorm vielseitige Interessen.

Da findet sich Literatur englischer Autoren (siehe England) und ein Venedig-Reiseführer. Vier Bände der Werke Friedrichs II König von Preußen standen neben dem polemischen Roman Faustin oder das philosophische Jahrhundert, verfasst von dem scharfzüngigen Wiener Johann Pezzl. Mozart hatte die Trauerlieder des Publius Ovidius Naso in deutscher Übersetzung ebenso gelesen wie eine Anekdotensammlung mit dem Titel Der Gesellschafter. Wenig erstaunlich, dass zu Mozarts Bibliothek Bücher gehörten, aus denen er sich auf der Suche nach Liedtexten bedient hatte. Die Vorlage für sein Traumbild fand er in den Gedichten Ludwig Christoph Heinrich Höltys. Bei Christian Felix Weiße lieferten dessen Kleine lyrische Gedichte Vorlagen für fünf Lieder, von der Zufriedenheit KV 473 bis zur Verschweigung KV 518.