
Konrad Schmid
DIE BIBEL
Entstehung, Geschichte, Auslegung
C.H.Beck

Kein anderes Buch ist so intensiv erforscht worden wie die Bibel, und zugleich gibt keines bis heute so viele Rätsel auf. Wann sind die frühesten Texte entstanden? Welche historische Wirklichkeit spiegelt sich in den Überlieferungen? Und warum enthält die Bibel gerade diese und keine anderen Schriften? Konrad Schmid rekonstruiert auf dem neuesten Forschungsstand und im Kontext der altorientalischen und antiken Geschichte, wann und zu welchem Zweck Lieder und Erzählungen, Rechtssammlungen und Weisheitslehren, prophetische Verkündigungen, Evangelien und Apostelbriefe entstanden. Er erläutert, wie diese Texte allmählich zu Büchern komponiert und diese schließlich von Juden und Christen zu festen Einheiten zusammengefügt wurden. Nicht zuletzt zeigt die konzise und klare Einführung, warum das «Buch der Bücher» die Welt religiös, kulturell und politisch so stark geprägt hat wie kein zweites Buch.
Konrad Schmid ist Professor für Alttestamentliche Wissenschaft und Frühjüdische Religionsgeschichte an der Universität Zürich. Er hat u.a. in Heidelberg, Princeton und Jerusalem gelehrt und ist Mitherausgeber international einschlägiger Buchreihen und Zeitschriften. Bei C.H.Beck ist von ihm erschienen: «Die Entstehung der Bibel» (mit Jens Schröter, 3. Auflage 2020).
1. Was ist die Bibel?
Bibel und Bibeln
Die biblische und die historische Sicht auf die Entstehung der Bibel
2. Die Schriften der Hebräischen Bibel
Kultreligion und Buchreligion
Die Anfänge der Schriftkultur
Frühe Psalmen und Weisheitssprüche
Die prophetische Überlieferung
Ursprungsmythen: Erzeltern- und Exodusüberlieferung
Rechtssammlungen
Der Kern des späteren Kanons: Das Deuteronomium
Die Zerstörung des Jerusalemer Tempels und ihre Folgen
Die Entstehung des Judentums
Das babylonische Exil und seine Literatur
Die Literatur des Zweiten Tempels: Theokratie und Eschatologie
Ein neues Menschenbild
Das Buch Hiob
Die Formierung der Tora
Reaktionen auf die Heilsverzögerung
Die Begegnung mit dem Hellenismus
Das Aufkommen der Apokalyptik
3. Die Schriften des frühen Christentums
Die Jesusbewegung im antiken Judentum
Paulus und seine Briefe
Die Evangelien und die Apostelgeschichte
Die übrigen Briefe
Die Offenbarung des Johannes
Weitere christliche Schriften außerhalb der Bibel
4. Die Formierung der jüdischen und der christlichen Bibel
Der Abschluss der Ketuvim
Die Herausbildung einer abgeschlossenen Bücherliste
Die Entstehung des Neuen Testaments
5. Ausbreitung, Auslegung und Wirkung der Bibel
Übersetzungen der Bibel und ihre Verbreitung
Die Auslegung der Bibel
Die Wirkung der Bibel
Zeittafel
Literatur
Bibelausgaben
Kommentierte Bibeln und Kommentarreihen
Weiterführende Literatur
Bildnachweis
Register


Die Bibel ist das bekannteste und das mit Abstand am weitesten verbreitete Buch der Weltliteratur: Bis in das 21. Jahrhundert hinein sind etwa fünf Milliarden Exemplare produziert worden. Allerdings ist die Bibel eher eine Bibliothek als ein Buch, denn sie ist eine Sammlung von unterschiedlichen Schriften, die über einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren entstanden sind. Das Judentum sowie das Christentum mit seinen unterschiedlichen Konfessionen kennen jeweils ihre eigenen Bibeln, und entsprechend sehen diese Sammlungen unterschiedlich aus.
Die Heilige Schrift des Judentums, die Hebräische Bibel, ist in drei Teile gegliedert. Die «Tora» («Weisung» oder «Gesetz») besteht aus den fünf Büchern des Mose, die «Neviʾim» («Propheten») umfassen die Bücher von Josua bis Maleachi, und die «Ketuvim» («Schriften») sind eine Sammlung verschiedener Literaturgattungen, darin finden sich etwa die Psalmen, die Sprüche, das Hiobbuch, das Hohelied, die Chronik oder das Danielbuch.
Das frühe Christentum, dessen Ursprünge als kleine Sekte im Judentum liegen, kannte und benutzte fraglos diese Bibel, auch wenn diese damals noch nicht abgeschlossen war. Auch Jesus von Nazareth las ihre Bücher (vgl. Lukas 4,16–17), die Schriften des Neuen Testaments gab es damals noch nicht. Erst seit dem 2. Jahrhundert bildete sich eine christliche Schriftensammlung aus Evangelien, der Apostelgeschichte, Briefen sowie der Offenbarung des Johannes als Neues Testament heraus, die die Hebräische Bibel nun innerhalb des Christentums zum Alten Testament werden ließ, das im antiken Christentum vor allem auf Griechisch gelesen wurde. Die Bezeichnung «Altes Testament» für die Schriftensammlung der Hebräischen Bibel findet sich erstmals in einem Brief des Bischofs Melito von Sardes aus dem Jahr 170, der von Eusebius von Caesarea in seiner Kirchengeschichte zitiert wird (4,26,13–14).
Allerdings sind Hebräische Bibeln nicht einfach mit einem christlichen «Alten Testament» identisch, denn in einem «Alten Testament» sind die Schriften anders angeordnet als in jüdischen Bibeln: Die Prophetenbücher finden sich im Alten Testament am Schluss, da man deren Prophezeiungen als Verweise auf das Neue Testament verstand.