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Hans-Dieter Gelfert

SHAKESPEARE

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Hans-Dieter Gelfert gibt in diesem Buch eine Einführung in Leben und Werk des wohl größten englischen Dichters. Er deutet Shakespeares Werke als Ausdruck eines ambivalenten gesellschaftlichen Bewußtseins, das sich für kurze Zeit an der Bruchlinie zwischen Mittelalter und Neuzeit ausbildete und dessen Spannungen in Shakespeares Dichtung entweder tragisch aufbrechen oder komisch vermittelt werden. Das Buch beginnt mit einem Aufriß der Shakespeare-Zeit, des elisabethanischen Weltbildes sowie des Theaters der Zeit. Dann folgt eine Zusammenstellung der gesicherten Daten über den Dichter und die Überlieferung seiner Werke. Nach einem zusammenfassenden Kapitel über die Grundthemen des Gesamtwerkes werden die einzelnen Werkgruppen nacheinander betrachtet. Zuletzt folgt eine zusammenfassende Deutung und eine Betrachtung über Shakespeares spezifische Größe.

Über den Autor

Hans-Dieter Gelfert war bis zu seiner Emeritierung Professor für englische Literatur an der Freien Universität Berlin und ist seither freier Autor kulturwissenschaftlicher Werke und Übersetzer englischer Gedichte. Bei C.H.Beck ist von ihm zuletzt erschienen: Edgar Allan Poe. Am Rande des Malstroms (2008), Charles Dickens der Unnachahmliche (2012) und William Shakespeare in seiner Zeit (2014).

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Inhalt

Vorwort

Die Shakespearezeit

Das Zeitalter Elisabeths I. – Das Zeitalter Jakobs I.

Das elisabethanische Weltbild

Das Theater

Lebenszeugnisse

Der Shakespeare-Kanon

Shakespeares Weltsicht

Ordnung – Vernunft und Leidenschaft – Ehre – Natur – Schein und Sein – Fortuna – Mann und Frau – Gerechtigkeit und Gnade – Glauben und Skepsis – Tragik

Die Versepen

Die Sonette

Shakespeares dramatische Kunst

Die Historien

Die Komödien

Die Problemstücke

Die Tragödien

Die Sonderstellung des Hamlet

Die Romanzen

Shakespeares Sprache

Shakespeare und die englische Frühaufklärung

Shakespeares Größe

 

Daten und Fakten zur Überlieferung der Stücke

Ausgewählte Bibliographie

Personenregister

Vorwort

Shakespeare (Will), ein englischer Dramaticus, geb. zu Stratford 1564, ward schlecht auferzogen und verstand kein Latein, jedoch brachte er es in der Poesie sehr hoch. Er hatte ein scherzhaftes Gemüthe, kunte aber auch sehr ernsthaft sein und excellierte in Tragödien.

Der Dichter, den das deutsche Gelehrtenlexikon von 1715 mit diesen Worten wie eine ethnologische Kuriosität beschreibt, wurde 1759 von Lessing bereits zum Vorbild für die zeitgenössische Dramatik erhoben und gegen Ende des Jahrhunderts ohne jede Einschränkung als Abgott verehrt. Seitdem betrachten die Deutschen ihn als einen der Ihren. Die 1865 gegründete, mitgliederstarke Deutsche Shakespeare-Gesellschaft widmet ihm eine alljährliche Tagung sowie die Herausgabe eines Jahrbuchs. Auf der Bühne ist er jahraus, jahrein der meistgespielte Autor; und gespielt wird er dank immer neuen aktualisierten Übersetzungen so, als sei er unser Zeitgenosse. Nicht anders sieht es im englischen Sprachraum aus. Entgegen der hierzulande oft vertretenen Ansicht, dass die Deutschen ihn wiederentdeckt hätten, war er im eigenen Land nie in Vergessenheit geraten, wenngleich seine Wertschätzung im 17. und frühen 18. Jahrhundert gewissen Einschränkungen unterlag. Dass er einer der Großen der englischen Dichtung war, stand aber nie in Zweifel. Dichter wie Milton, die Erhabenheit anstrebten, spürten in ihm einen Wesensverwandten; und selbst Klassizisten wie Alexander Pope sahen in ihm einen Rohdiamanten von einmaliger Größe, dem nur der letzte Schliff fehlte.

Mit dem Aufblühen der neuphilologischen Fächer an den Universitäten wurde aus dem Idol der Leser und Dichterkollegen der Gegenstand einer methodischen Beschäftigung, die sich inzwischen zu einer Shakespeare-Industrie ausgewachsen hat. Längst ist die Flut von Sekundärliteratur so uferlos geworden, dass niemand sie mehr überschaut. Vielleicht ist dies der Grund, weshalb die Abkehr von der historisch-philologischen Literaturwissenschaft und die Hinwendung zu einem new historicism gerade bei Shakespeare ansetzten. Nur wenn man die ältere Forschung verwirft, so scheint es, lässt sich überhaupt noch etwas Neues über einen so restlos aufgearbeiteten Gegenstand sagen. Das vorliegende Büchlein maßt sich nicht an, alles Wissenswerte über den Dichter auf dem neuesten Stand der Forschung zusammenzufassen. Es teilt auch nicht den Ehrgeiz der new historicists vom Range Stephen Greenblatts, die den Dichter aus kulturwissenschaftlicher Sicht neu zu entdecken versuchen. So verdienstvoll alles sein mag, was cultural studies, gender studies, Feminismus, cultural materialism und new historicism zum Verständnis Shakespeares beitragen mögen, sie fußen doch alle auf dem Fundament, das die Forscher des old historicism gelegt haben. Deshalb ist es nicht eben fair, wenn die Neuerer sich einen Sport daraus machen, dem großen Shakespeareforscher E.M.W. Tillyard am Zeug zu flicken. Dieser hat Sachverhalte beschrieben, die das Grundmuster des elisabethanischen Schrifttums zutreffend wiedergeben. Wenn jetzt nachgewiesen wird, dass es daneben andere „Diskurse“ und „subversive“ Tendenzen gab, ist das nur zu begrüßen, entwertet aber nicht, was Forscher wie Tillyard aufgezeigt haben.

Auf den hier angedeuteten Methodenstreit kann im vorliegenden Buch nicht eingegangen werden. Auch auf die Auseinandersetzung mit einzelnen Forschungsergebnissen muss verzichtet werden. Leser, die tiefer in den Gegenstand eindringen wollen, seien auf die chronologisch angelegten Literaturhinweise verwiesen. Das Buch selber will dem Leser eine guided tour durch Leben, Zeit und Werk des großen Dichters bieten und dabei neben der Beschreibung dessen, was war und ist, auch Erklärungen dafür geben, warum es so war und ist. Um Shakespeares dichterische Leistung wahrhaft zu verstehen, muss man sie an ihrem historischen Ort aufsuchen. Den Weg dorthin will das vorliegende Buch weisen.

P. S. Zitiert wird nach The Norton Shakespeare. Die deutschen Übersetzungen stammen vom Verfasser.

Die Shakespearezeit

Die Zeit Shakespeares wird meist mit dem elisabethanischen Zeitalter gleichgesetzt, was den Blick auf den zeitlichen Hintergrund unzulässig verkürzt, da die zweite und wohl gewichtigere Hälfte seines Werkes unter der Regierung Jakobs I. entstanden ist. Das Charakteristische an seiner Schaffenszeit ist gerade, dass sie in zwei sehr unterschiedliche Epochen fällt und damit auf einer sozialgeschichtlichen Bruchzone liegt, deren Spannungen in seinem Werk virulent werden. In englischen Literaturgeschichten werden beide Epochen als Renaissance bezeichnet, wobei man diese oft erst mit der Restauration der Stuartmonarchie im Jahre 1660 zu Ende gehen lässt. Das mutet sonderbar an, wenn man bedenkt, dass Kunsthistoriker das Ende der italienischen Renaissance auf den sacco di Roma, die Verwüstung Roms durch die kaiserlichen Truppen 1527, datieren. Da aber England das große Jahrhundert der italienischen Renaissance, das quattrocento, mit Kriegführen verbrachte, setzte die kulturelle Wiedergeburt hier mit einem Jahrhundert Verspätung ein. Während die englische Architektur unter Elisabeth noch Reste des spätgotischen Tudorbogens aufweist und in der Malerei die Renaissance nur durch den Immigranten Hans Holbein vertreten ist, fand die Literatur so schnell Anschluss an die kontinentale Entwicklung, dass es eigentlich sinnvoller wäre, die Shakespearezeit so zu nennen wie die entsprechende Epoche auf dem Kontinent, nämlich Manierismus. Dieser Begriff hat sich für jene Stilepoche durchgesetzt, die nicht mehr Renaissance, aber auch noch nicht Barock genannt werden kann. Shakespeares Werk wie das seiner Zeitgenossen trägt eher manieristische als renaissancehafte Züge, sein Spätwerk weist sogar schon solche des Barock auf, auch wenn es einen durchgängigen Barockstil auf der Insel nicht gab; denn dieser war Ausdruck des Absolutismus und der Gegenreformation, was ihn für das protestantisch-parlamentarische England inakzeptabel machte.

Das Zeitalter Elisabeths I.

Das elisabethanische Zeitalter wird meist so gesehen, wie es sich selber darstellte, als ein Goldenes. Tatsächlich war das Gold aber nur eine hauchdünne Blattgoldauflage auf einer eisernen Wirklichkeit. Das erste Regierungsjahrzehnt der Königin blieb von der Ungewissheit überschattet, ob ihre zweifelhafte Legitimität auf Dauer anerkannt würde oder ob ihre Gegner sich womöglich hinter Maria Stuart und deren katholische Verbündete scharen würden. Nach Marias Exekution im Jahre 1587 war zumindest diese Gefahr gebannt, doch mit der spanischen Armada zog im Jahr darauf eine neue Gefahr herauf. Als die englische Flotte mit ihren wendigeren Schiffen und der klügeren Taktik den Spaniern eine schwere Niederlage beibrachten, wurde dieser Sieg als epochaler Triumph gefeiert, der als solcher noch heute in den Geschichtsbüchern figuriert. In Wirklichkeit aber war der Krieg noch längst nicht entschieden. Der größte Teil der spanischen Flotte war intakt geblieben, auch wenn er vom Sturm zerstreut und zur Umseglung der britischen Inseln gezwungen wurde. Danach schleppte sich der Krieg für England verlustreich hin. Elisabeths Kasse war so leer, dass sie nicht einmal ihren Seehelden den versprochenen Lohn zahlen konnte. Hinzu kamen 1592 eine Pestepidemie und von 1594 bis 1596 eine Serie von Missernten mit entsprechenden Hungersnöten. Über der wirtschaftlichen Misere und der außenpolitischen Bedrohung schwebte zudem das Damoklesschwert der ungeklärten Nachfolge für die jungfräuliche Königin, die zur Zeit des Triumphs über die Armada bereits 55 Jahre alt und damit über das gebärfähige Alter hinaus war. So kann es nicht verwundern, dass sich in den 90er Jahren in England allenthalben eine düstere Stimmung breit machte, die nichts von einem goldenen Zeitalter spüren ließ.

So prekär die Entwicklung im politischen Bereich auch war, so fortschrittlich war sie auf gesellschaftlichem Gebiet. Elisabeth hatte frühzeitig gelernt, dass sie nur im Bunde mit dem Unterhaus den Hochadel in Schach halten konnte. So verzichtete sie klugerweise darauf, neue Adelstitel zu kreieren, und besetzte so gut wie alle Schlüsselpositionen in der Regierung mit Vertretern der Gentry. Ihr erster Staatssekretär William Cecil, der später zum Grafen Burghley geadelt wurde, ihr zweiter Staatssekretär Sir Francis Walsingham, ihr Lordkanzler Sir Christopher Hatton, ihr Finanzberater Sir Thomas Gresham und ihr Marineminister Sir John Hawkins entstammten allesamt dieser Schicht. Dass auch der unerschrockenste Führer ihrer Opposition, Sir Peter Wentworth, aus dem niederen Adel kam, versteht sich von selbst.

Ökonomisch war das ganze 16. Jahrhundert durch eine schleichende Inflation geprägt, was dazu führte, dass die Preise im Verlauf des Jahrhunderts um das Vierfache stiegen, während sich die Löhne nur verdoppelten. Der Grund dafür war die Zunahme des umlaufenden Geldes durch das spanische Gold und Silber aus den amerikanischen Kolonien. Hinzu kamen Silberfunde in Mitteleuropa und die unkluge Münzverschlechterung durch Heinrich VIII., der seinen Krieg gegen Frankreich damit finanzierte, dass er den Silbergehalt der Münzen bei gleich bleibendem Nominalwert verringerte. Die verschiedenen Gesellschaftsschichten waren von der Inflation unterschiedlich hart betroffen. Die Freibauern (yeomen) und diejenigen Landadligen, die ihre Güter selber bewirtschafteten, konnten dank höherer Markterlöse mit der Geldentwertung Schritt halten, während der Hochadel, der seine Ländereien langfristig zu niedrigem Zins verpachtet hatte, eine Minderung seiner Einkünfte zu spüren bekam. Unter Historikern ist umstritten, in welchem Umfang von einem „Aufstieg der Gentry“ und einer „Krise der Aristokratie“ gesprochen werden kann. Dass aber die Gentry relativ zum Hochadel an Einfluss gewann, ist offensichtlich, zumal ihre Reihen dadurch verstärkt worden waren, dass reiche Kaufleute aus den Städten Landgüter erworben hatten, die durch die von Heinrich VIII. vorgenommene Auflösung der Klöster auf den Markt gekommen waren. Wirklich hart traf die Inflation nur die Unterschicht auf dem Lande. Da die Großgrundbesitzer an niedrigen Löhnen für Landarbeiter interessiert waren, setzten sie immer wieder Gesetze durch, die das Zahlen höherer Löhne unter Strafe stellten. Stattdessen wälzten sie die Fürsorgepflicht für die Armen auf die Gemeinden ab, die eine Armensteuer aufbringen mussten.

Von Expansion und wirtschaftlichem Fortschritt war in dieser Zeit wenig zu spüren. Auch die koloniale Expansion warf noch keinen Gewinn ab. Der erste, von Sir Walter Raleigh unternommene Versuch, in Virginia eine Kolonie zu gründen, endete mit deren mysteriösem Verschwinden. Dass mit der Gründung der East India Company 1599 bereits der Grundstein für das zweite britische Empire mit dem Zentrum Indien gelegt wurde, konnte damals niemand ahnen; denn die Briten waren zunächst nur an den ostindischen Gewürzinseln interessiert, wo die Holländer ihnen zuvorgekommen waren. Da England keinen Zugang zu Gold- und Silberminen hatte und da auch die landwirtschaftliche Nutzung Nordamerikas noch nicht begonnen hatte, suchte es seine Chance im weltweiten Handel. Das sollte sich in den nächsten zwei Jahrhunderten als Trumpfkarte erweisen. Doch zur Zeit Elisabeths konnte allein schon wegen des andauernden Krieges gegen Spanien von regulärem Handel keine Rede sein. Vielmehr betätigten sich die englischen Seefahrer hauptsächlich als Piraten, die spanische Galeonen kaperten, was stets mit Kriegsgefahr verbunden war und deshalb von Elisabeth nur halbherzig und ohne offizielle Genehmigung geduldet wurde.

Während die Landbevölkerung im Lauf des Jahrhunderts verarmte, bahnte sich in den Städten der Aufstieg der Mittelschicht an. Da das Handel und Gewerbe treibende Bürgertum einer permanenten Konkurrenz ausgesetzt war, war es empfänglich für die neue Leistungsethik des Puritanismus, der einerseits „innerweltliche Askese“ predigte – wie Max Weber es nannte – und andererseits im Rahmen der Prädestinationslehre wirtschaftlichen Erfolg als göttliches Zeichen für die Erwähltheit ansah. So boten diese Bürger alle Kräfte auf, um möglichst erfolgreich zu wirtschaften. Da sie aber den Profit nicht als Luxus konsumieren durften, reinvestierten sie ihn als Kapital, was zu einer weiteren Vermehrung ihrer Gewinne führte. Max Weber, der diesen Mechanismus als Erster aufzeigte, vermied eine monokausale Deutung, ließ aber dennoch die puritanische Ethik als die Ursache des Kapitalismus erscheinen. Da aber kapitalistische Tendenzen schon vorher in katholischen Gebieten – z.B. in Norditalien – zu beobachten waren, scheint der Kausalzusammenhang eher andersherum gewirkt zu haben. Nicht der Puritanismus hat den Kapitalismus hervorgebracht, sondern ein schon kapitalistisch wirtschaftendes Bürgertum spürte, dass der Puritanismus die Religion war, die sein ökonomisches Tun am besten legitimierte. Trotzdem darf man den Puritanismus der Shakespearezeit nicht überschätzen. In London und anderen größeren Städten gewann er zwar zunehmend an Einfluss, doch blieben die Puritaner bis ins 17. Jahrhundert hinein eine Minderheit, die anfangs viel Spott seitens der Mehrheit auf sich zog und erst unter Jakob I. zur Speerspitze der Mittelschicht und des Unterhauses wurde.

Das Zeitalter Jakobs I.

Als Jakob den englischen Thron bestieg, musste er erst einmal einen neuen Hofstaat um sich scharen, wofür er Geld brauchte, das er in Elisabeths leerer Staatskasse nicht vorfand. Da für Steuern die Zustimmung des Unterhauses erforderlich war, suchte er nach anderen Einnahmequellen und entdeckte eine solche im Verkauf von Adelstiteln. Zu diesem Zweck schuf er 1611 den neuen Titel des baronet als höchsten Rang innerhalb der Gentry, den er in so großer Zahl auf den Markt warf, dass der Preis innerhalb von 11 Jahren von 1095 auf 220 Pfund fiel. Ab 1615 verkaufte er auch die Peerswürde und zog sich damit den Zorn des Hochadels zu. Unzufrieden waren auch die Puritaner, die anfangs große Hoffnungen auf den König aus dem kalvinistisch-presbyterianischen Schottland gesetzt hatten. Doch auf der 1604 einberufenen Konferenz von Hampton Court wurden sie bitter enttäuscht. Da Jakob auf das Wohlwollen der anglikanischen Staatskirche angewiesen war, konnte er den Puritanern keine Zugeständnisse machen.

Anfangs hatte es noch geschienen, als würde sich unter Jakob das alte Muster der elisabethanischen Balance fortsetzen, doch schon bald drifteten Krone und Parlament auseinander. Der erste deutlich sichtbare Riss markiert zugleich das Ende der Shakespearezeit; denn in Shakespeares Todesjahr entließ Jakob den obersten Richter und Sachwalter des Common Law Edward Coke aus dem Amt, weil dieser sich weigerte, einen gewissen Peacham zu verurteilen, der das Finanzgebaren des Königs öffentlich kritisiert hatte. Die nächsten Risse folgten 1621, als das Parlament den König zwang, den Lordkanzler Francis Bacon zu entlassen, und 1628, als Karl I. vom Parlament zur Anerkennung der Petition of Rights genötigt wurde. Dies waren drei Signale, die wie Klopfzeichen des Schicksals den späteren Bürgerkrieg ankündigten.

Unter Jakob nahm die englische Kultur immer stärker barocke Züge an. Er selbst nahm für sich das divine right of the king, das Gottesgnadentum, in Anspruch, womit er sich dem kontinentalen Absolutismus annäherte. Die an seinem Hof beliebten Maskenspiele, für die Ben Jonson die Libretti schrieb und Inigo Jones die Ausstattung entwarf, entsprachen unverkennbar der Ästhetik des barocken Illusionstheaters. Auch in der Malerei bewies Jakob einen eher barocken Geschmack. So erteilte er Anton van Dyck Aufträge, als dieser 1620 zum ersten Mal für kurze Zeit in London weilte, bevor er unter Karl I. auf Dauer dorthin zurückkehrte. In den öffentlichen Theatern nahmen die barockisierenden Tendenzen ebenfalls zu. Zwar fehlte das religiöse Element, das für den kontinentalen Barock charakteristisch war, doch Stücke wie Shakespeares Wintermärchen, wo die Handlung sich über sechzehn Jahre und weit entfernte Schauplätze erstreckt und am Schluss eine vermeintliche Statue plötzlich ins Leben tritt, sind eher dem Barock als der Renaissance zuzurechnen. Andererseits verkündete Francis Bacon bereits 1605 in The Advancement of Learning ein Programm des Empirismus und lenkte die englische Philosophie damit auf einen Weg, der dem bald darauf von Descartes eingeschlagenen Weg des Rationalismus entgegengesetzt war. Wie sich im deduktiven Denken des kontinentalen Rationalismus das absolutistische Prinzip des L’état c’est moi widerspiegelt, so im induktiven Denken Bacons der Beginn der politischen und gesellschaftlichen Horizontalisierung in England.

Das elisabethanische Weltbild

Die Verspätung der englischen Renaissance um gut ein Jahrhundert führte dazu, dass hier das mittelalterliche Denken länger nachwirkte als auf dem nachreformatorischen Kontinent. Das steht in einem paradox anmutenden Widerspruch zu der Tatsache, dass England auf dem Weg zur bürgerlichen Gesellschaft bereits weiter fortgeschritten war als das übrige Europa. Das Mittelalter war durch ein vertikales Ordnungsdenken geprägt, das neuzeitliche Bürgertum hingegen verlangte nach Freiheit und Egalität. Das Widerspiel dieser beiden Ideologien stellt die bewusstseinsgeschichtliche Grunddynamik der elisabethanischen Gesellschaft dar. An Ordnung mussten alle Gesellschaftsschichten interessiert sein, da die Zeit des dreimaligen Religionswechsels und die blutige Unterdrückung des Protestantismus unter Maria dem ganzen Volk noch frisch in Erinnerung waren. Deshalb zieht sich durch das elisabethanische Schrifttum ein geradezu obsessives Festhalten am mittelalterlichen Ordo-Begriff. Shakespeare, der in diesem Punkt eindeutig im konservativen Lager stand, gab diesem Denken immer wieder Ausdruck, am nachdrücklichsten in der Rede, die Odysseus in Troilus und Cressida an das vor Troja liegende Heer der Griechen richtet und die wegen ihres beispielhaften Charakters hier in ganzer Länge wiedergegeben werden soll.

Dies Troja, das dort steht, wär längst gefallen

Und Hektors Schwert entbehrte seines Herrn,

Wenn Folgendes nicht wär:

Das Wesen jeder Herrschaft ward vergessen;

Seht doch, wie viele Zelte bei uns leer stehn,

So hohl und leer wie der Parteien Hader.

Wenn nicht Soldaten ihrem General

Wie Bienen ihrem Bienenstock gehorchen,

Wie will man Honig da erwarten? Rang,

Der sich maskiert, lässt jeden würdig scheinen.

Der Himmel, die Planeten und dies Zentrum,

Sie reihn nach Abstand sich, nach Rang und Status,

Nach Umlauf, Jahreszeit, Verhältnis, Form,

Nach Amt und Brauch in angestammter Ordnung.

Und darum ward als edelster Planet

Den anderen die Sonne vorgesetzt.

Ihr Auge heilt und wendet hin zum Rechten

Den Einfluss unheilvoller Wandelsterne

Und spricht mit königlicher Allmacht Recht

Nach Gut und Böse. Doch – wenn die Planeten

In schlimmer Wirrnis aus der Ordnung streben,

Welch Schrecken, Pest und Meuterei bricht los;

Welch Stürme auf dem Meer! Wie bebt die Erde!

Wie rast der Wind! Aufruhr und Gräueltaten

Zerreißen, sprengen, treten und entwurzeln

Die Eintracht und vermählte Ruh der Staaten

Bis auf den Grund! Oh, ist der Rang erschüttert,

Die Leiter hin zu allen großen Taten,

So ist das Unternehmen krank. Wie können

Gemeinden, Schulen, Gilden, Bruderschaften,

Friedlicher Handel zwischen fernen Küsten,

Das Recht des Erstgeborenen und Erben,

Vorrang des Alters, Kronen, Zepter, Orden,

Wenn nicht durch Rang authentisch fortbestehn?

Nehmt nur den Rang hinweg, verstimmt die Saite,

Und horcht, welch Missklang folgt! Ein jedes Ding

Ist nur noch Widerstand! Gedämmte Fluten

Erheben sich hoch über alles Land

Und machen zum Morast die feste Erde.

Kraft würd’ zum Herrscher über alles Schwache,

Der rüde Sohn erschlüge seinen Vater,

Macht würde Recht – nein, Recht und Unrecht, deren

Endlosen Streit Gerechtigkeit vermittelt,

Verlören, wie Gerechtigkeit, den Namen.

Dann löst sich alles auf in der Gewalt,

Gewalt in Willkür, Willkür in Begier.

Und die Begier, ein allgemeiner Wolf,

Zweifach gestärkt durch Willkür und Gewalt,

Macht sich die ganze Welt zur Beute und

Verschlingt zuletzt sich selbst. Oh Agamemnon,

Dies Chaos, wenn der Rang erdrosselt ist,

Folgt dem Ersticken.

Und dies Missachten allen Ranges ist’s,

Was jeden Schritt, der aufwärts steigen will,

Nach unten lenkt. Der General verachtet

Vom Untergebnen, der von seinem und

So fort – das wächst sich aus mit jedem Schritt,

Dem Beispiel des vorangegangnen folgend,

Zur Krankheit der Verachtung seines Obren

Und wird zu einem neidgebornen Fieber

Von blutlos-blasser Eifersüchtelei.

Dies ist’s, was die Trojaner hält: sie stehn

– um mit der langen Rede Schluss zu machen –

Nicht weil sie stark sind, sondern wir die Schwachen.

(I, 3; 74–137)

Was hier in emphatischen Versen ausgedrückt ist, findet man in trockener Prosa, oft in fast gleichlautenden Formulierungen, allenthalben im Schrifttum des 16. Jahrhunderts, so bei Sir Thomas Elyot in seinem Buch The Governour, bei Richard Hooker, dem bedeutendsten Theologen der englischen Reformation, bei dem Juristen John Fortescue und in den historischen Quellen, denen Shakespeare die Stoffe zu seinen Königsdramen entnahm.

Vier hierarchische Stufenleitern prägten das mittelalterliche wie das elisabethanische Denken. Die erste war die politische, die vom König als dem Stellvertreter Gottes auf Erden über den Hochadel und den niederen Adel bis hinab zum gemeinen Volk reichte. Dies war die Feudalhierarchie, die aus einer weltlichen und einer kirchlichen bestand. In elisabethanischer Zeit hatte sich dafür die Bezeichnung body politique eingebürgert. Analog dazu stellte man sich die kosmologische Hierarchie vor, die vom ewigen Feuer, dem Empyreum, über die Fixsterne, die Sonne und die Planeten hinab zur sublunaren Welt auf der Erde reichte. Ihre ontologische Entsprechung erstreckte sich von Gott über die Erzengel, die Engel, den Menschen, die Tiere und Pflanzen hinab zum Mineralreich. Diesem Makrokosmos entsprach im Innern des Menschen der Mikrokosmos, der durch die Hierarchie von Hirn, Herz und Leber bestimmt war.

Bei Shakespeare und seinen Zeitgenossen findet man überall noch die Humoralpsychologie der Antike und des Mittelalters. Sie ging davon aus, dass Charakter, Temperament und seelische Befindlichkeit des Menschen durch das Mischungsverhältnis der vier Körpersäfte (humores) bestimmt wurden. Je nachdem ob Lymphe (phlegmasanguischolemelaina cholemelancholy adust