Cover

CYPRIAN BROODBANK

DIE GEBURT DER MEDITERRANEN WELT

VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUM KLASSISCHEN ZEITALTER

Aus dem Englischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber

C.H.BECK

ZUM BUCH

Die Mittelmeerwelt war gleichsam das Treibhaus für die kulturelle Entwicklung unserer Vorfahren. Dort wagten sich in der Frühzeit erstmals Menschen in Einbäumen auf See. Später eilten Handelsschiffe und Kriegsflotten dem Horizont entgegen – vorbei an den Machtzentren der Alten Welt, deren Herrscher einer Verheißung verfallen waren: den Schätzen aus Übersee, namentlich Edelmetallen, seltenen Steinen, Weihrauch, Sklaven und technischen Errungenschaften.

Cyprian Broodbank umrundet das Meer der Mitte ein ums andere Mal. Er beschreibt mit großer erzählerischer Kraft und Anschaulichkeit die angrenzenden Kulturräume und blickt mit der liebevollen Kennerschaft eines Archäologen auf Flora, Fauna und Bevölkerung. Er entwirft ein atemberaubendes historisches Panorama des Mittelmeers, das von den Säulen des Herakles im Westen (der Straße von Gibraltar) bis nach Tyros im Osten und von Etrurien im Norden bis Alexandria im Süden reicht. Aber auch dem Hinterland der Hochkulturen schenkt er Beachtung und stellt uns in Hunderten von Abbildungen die eindrucksvollen archäologischen Zeugnisse der Vergangenheit vor Augen. Zugleich entwickelt er eine völlig neue Perspektive für die Geschichte der Mittelmeergesellschaften von den Anfängen der Menschheit bis zur Morgenröte der griechischen Welt.

ÜBER DEN AUTOR

Cyprian Broodbank lehrt als Professor für Klassische Archäologie an der University of Cambridge; die Mittelmeerwelt bildet seit langem einen Schwerpunkt seiner Forschungsinteressen. Für das vorliegende Werk wurde er 2014 mit dem Wolfson-History-Prize ausgezeichnet – dem Preis für das historische Buch des Jahres in Großbritannien.

INHALT

BILDTEIL

CHRONOLOGISCHE ÜBERSICHT

CHRONOLOGIE

KAPITEL EINS: EINE GESCHICHTE VON BARBAREN

Vorspiel: ein mediterraner Mikrokosmos

Umbruch und Veränderung: Was dieses Meer bewirkt

Verwirrung durch Reichtum

Nordafrika, die große Überlieferungslücke

Neue Bezugssysteme: Zeit und Klimawandel

Die aktuelle Gefahr

KAPITEL ZWEI: ANREGENDE ORTE

Zentren und Ränder des Mittelmeers

Mediterrane und Mediterranoide

Ein Becken entsteht

Fünf Folgen der mediterranen Tektonik

Periplous: Das Meer erkunden

Was nun vor uns liegt

KAPITEL DREI: DAS MEER, DAS ZWEI MENSCHENARTEN SCHUF – (1,8 MILLIONEN BIS 50.000 JAHRE VOR HEUTE)

In der Tiefe der Zeit, ein Anfang

Das paleo-mediterrane Meer

Erste Menschen im nördlichen Mittelmeerraum

Zwei Arten gleicher Würde

Neandertaler auf der Sonnenseite?

KAPITEL VIER: EINEN KALTEN WEG HATTEN WIR … – (50.000 JAHRE VOR HEUTE BIS 10.000 V. CHR.)

Anatomisch moderne Menschen am Mittelmeer

Auf dem Weg zu einer Kultur der Jäger und Sammler

Das Letzte Eiszeitmaximum überstehen

Meeresfischerei und Korsardinien

Trügerische Dämmerung

Ein bitteres Ende

KAPITEL FÜNF: SCHÖNE NEUE WELTEN – (10.000 BIS 5500 V. CHR.)

Zwergflusspferde und die Insel des schwarzen Glases

Ein wiedergewonnenes Paradies?

Eine Kernexplosion: das Neolithikum der Levante

Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft der Levante

Jenseits der Berge und übers Meer

Die letzten Jäger und Sammler im nördlichen Mittelmeerraum

Das mediterrane Europa wird neolithisch

Inselspringen rund um den Teich

Superattraktion in der Sahara und das Delta als Damm

KAPITEL SECHS: SO KÖNNTE ES GEWESEN SEIN – (5500 BIS 3500 V. CHR.)

Hundert mediterrane Blumen blühen

Pastorale ohne Rauschen

Die Inselbewohner werden mehr

Mediterrane Kurzsichtigkeit

Fernverkehr

Eine Ahnung dessen, was dem mediterranen Europa bevorstand

Verwirrende Levante

KAPITEL SIEBEN: ZWISCHEN TEUFEL UND TIEFEM BLAUEN MEER – (3500–2200 V. CHR.)

Höhenflüge

Die Umwelt wird «mediterran»

Die Rückkehr der Sahara

Die ersten Supermächte: Ägypten und Mesopotamien

Zivilisierende Prozesse

Erste Rückwirkungen auf den Mittelmeerraum

Esel und Segel

Die Levante am Scheideweg

Die maritime Levante wird erwachsen

Stachliger Lorbeer und eherne Männer

Liliputanische Herren

Ferne Horizonte und Signal zum Aufbruch

Die Inseln der Kalypso

KAPITEL ACHT: PRUNK UND POMP – (2200 BIS 1300 V. CHR.)

Alles, was glitzert

Probeläufe

Der Palaststaat des östlichen Mittelmeerraums – eine Skizze

Rund um den Teich: Paläste

Ein ostmediterranes Handelssystem kristallisiert sich heraus

Alle Wege führen nach Auaris

Wandel und Kontinuität im Osten

Vier Fenster zur Welt des Handels

Imperien und Händler

Im Westen doch Neues

Eine Insel der Türme

Aufruhr im Zentrum

Die Leute vom Mittelmeer finden zusammen

KAPITEL NEUN: VON UFER ZU UFER – (1300 BIS 800 V. CHR.)

Ein Saal mit Ausblick

Raues und Weiches im östlichen Mittelmeerraum

Katastrophe oder Umbruch … ein Übergang zu etwas Reichem und Fremden?

Die Mitte wird zum Zentrum

Von Mäusen und Melkart

Das übrige Mittelmeer

KAPITEL ZEHN: DAS ENDE VOM ANFANG – (800 BIS 500 V. CHR.)

Achte Symphonie («Die Unvollendete»)

Geschäfte auf der Affeninsel

Heimat fern der Heimat

Von Göttern und Griechen: der Aufstieg heiliger Orte und ethnische Zugehörigkeit

Was als archaisch gilt: das Aufblühen von Städten und stadtbürgerlichem Leben

Handel, gewiss nicht archaisch

Tempel und Triremen

Die letzten großen Zuwächse

Der Big Bang des Mittelmeers

Ankunft in der vertrauten Welt

KAPITL ELF: AUS DER TIEFE DER ZEIT

Zum Charakter der mediterranen Frühgeschichte

Die fundamentale Dreiheit, nochmals betrachtet

Beschleunigung hin zum Meer in der Mitte

Vier Fragen zur weiteren Geschichte des Mittelmeers

Blickpunkt Salamis

DANK

ANHANG

ANMERKUNGEN

KAPITEL EINS: EINE GESCHICHTE VON BARBAREN

KAPITEL ZWEI: ANREGENDE ORTE

KAPITEL DREI: DAS MEER, DAS ZWEI MENSCHENARTEN SCHUF

KAPITEL VIER: EINEN KALTEN WEG HATTEN WIR …

KAPITEL FÜNF: SCHÖNE NEUE WELTEN

KAPITEL SECHS: SO KÖNNTE ES GEWESEN SEIN

KAPITEL SIEBEN: ZWISCHEN TEUFEL UND TIEFEM BLAUEN MEER

KAPITEL ACHT: PRUNK UND POMP

KAPITEL NEUN: VON UFER ZU UFER

KAPITEL ZEHN: DAS ENDE VOM ANFANG

KAPITEL ELF: AUS DER TIEFE DER ZEIT

BIBLIOGRAPHIE

Abkürzungen

BILDNACHWEIS

Tafelteil

REGISTER DER PERSONEN, VOLKSGRUPPEN UND MYTHISCHEN GESTALTEN

REGISTER GEOGRAPHISCHER BEGRIFFE, REGIONEN UND ARCHÄOLOGISCHER KULTUREN

Fußnoten

Für Lindsay Spencer,
stella maris mea

BILDTEIL

I  Die häufig spektakulär übereinander getürmten Lebenswelten resultieren aus der ungestümen tektonischen Geschichte des Beckens. Hier, in der Mitte Kretas, erheben sich die schneebedeckten Gipfel des Ida-Gebirges über bewaldete Vorgebirge, die zur Küste auslaufende fruchtbare Messara-Ebene und die Südküste der Insel, in der Nähe des bronze- und eisenzeitlichen Hafens Kommos.

II  Von Bergen umringte, zellenartig abgeschlossene Tieflandebenen, häufig mit einem Abfluss ins Meer, waren jahrtausendelang Keimstätten für Siedlungen. Dieses Luftbild aus Kreta zeigt die bronzezeitliche Palastanlage von Knossos, ausgerichtet auf den heiligen Berg Iouktas. Unter den Feldern jenseits des Palastes liegt eine große, noch weitgehend nicht ausgegrabene Stadt.

III  Königliche Inschriften von Ägyptern und Mesopotamiern, nebeneinander an der Mündung des Nahr al-Kalb («Hundefluss») im Libanon; Berge und Meer machen es schwer, dort zu Fuß voranzukommen; ein Landweg musste angelegt werden, der dann lange genutzt wurde.

IV  Ein Satellitenfoto mit Kykladen, Dodekanesischen Inseln, Kreta, Samos, Chios, Lesbos und weiteren Inseln der nördlichen Ägäis, zeigt die – mit Blick auf Größe, Gestalt, Lage zueinander und zur oft selbst insularen Küstenlinie –enorme Vielfalt der mediterranen Inseln.

V  Das größte Delta am Mittelmeer: Hier, an der sonst ariden Küste Nordafrikas, hat der Nil eine riesige, grüne, dreieckige Oase geschaffen, zu sehen in ihrer heutigen Gestalt. Jenseits davon schwingt die Küste in einem Bogen hinauf zur Levante, während der Golf von Suez die Verbindung zum Roten Meer herstellt; ganz im Hintergrund das wilde Marschland der Sinaihalbinsel.

VI  Archäologen arbeiten an einer der größten Ausgrabungen paläolithischer Schichten im Höhlensystem von Atapuerca, Nordspanien; es wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts, beim Bau einer Bergbaubahn, entdeckt.

VII  Der Felsen von Gibraltar in seiner heutigen Gestalt – und wie er in Phasen niedriger Wasserspiegel auch auf die Neandertaler gewirkt haben mag, die die großen Höhlen an seinem Fuß besiedelten.

VIII  Zwei weibliche Figuren aus dem Jungpaläolithikum, ausgegraben in den Höhlen von Balzi Rossi bei Menton, Frankreich; die Figuren sind kürzlich in Kanada wiederaufgetaucht: links ein kleiner zweiköpfiger Anhänger aus Serpentinit, rechts eine typischere Figurine aus Mammutelfenbein.

IX   Unter den Tieren, die Menschen des Jungpaläolithikums während des Letzten Eiszeitmaximums auf die Wände der Cosquer-Grotte gemalt haben, deren Eingang heute unter Wasser liegt, ist ein Riesenalk, ein flugunfähiger, dem Pinguin ähnlicher Vogel, der in historischer Zeit im Nordatlantik endgültig ausgerottet wurde. Einst war er Vorbote eiszeitlicher Bedingungen und des Zuflusses von kaltem Ozeanwasser ins Mittelmeer.

X  Ein Sichelschaft aus dem Natufien, gefunden in der ha-Nahal-Höhle im Karmel-Gebirge, im Norden des heutigen Israel. Aus der Spitze des Knochens wurde ein als junge Gazelle zu erkennendes Tier herausgeschnitzt – ein faszinierendes Nebeneinander der Sphären des Pflanzensammelns und des Jagens.

XI  Diese schweren Mörser und Stößel stammen aus der Siedlung Wadi Hammeh 27, einer Fundstelle aus dem frühen Natufien im heutigen Jordanien. Mit ihrer außergewöhnlich kunstvoll gestalteten und ausgeführten Form zeigen sie die zunehmende Sorgfalt, die in verschiedenen Teilen des Mittelmeerraums nach dem Letzten Eiszeitmaximum in Gerätschaften investiert wurde, mit denen Samen von Gräsern und anderen ursprünglich wildwachsenden Getreidearten gemahlen und zerrieben wurden.

XII  Grabungsstätte am Tell von Jericho; man sieht die verfallenen Grabungsschnitte aus den 1950er Jahren sowie, im Vordergrund, den kreisrunden Steinturm mit rätselhafter Funktion, aus dem Präkeramischen Neolithikum A (PPNA); im Hintergrund ein Stück der grünen Oase und deren Übergang in den Jordangraben.

XIII  Eine der vielen großen Statuen aus dem Vorkeramischen Neolithikum A (PPNA), wie sie im Megafundort ’Ain Ghaza, heutiges Jordanien, ausgegraben wurden; Gips auf einem Unterbau aus Schilfstroh, die Augen sind mit bituminösem Mastix nachgezeichnet.

XIV  Steinmaske mit Spuren grüner und roter Farbe und des Asphaltklebers, mit dem Haare befestigt waren – einer der vielen, bemerkenswert gut erhaltenen Funde aus dem Vorkeramischen Neolithikum B (PPNB), gefunden in einem Depot ritueller Geräte in der trockenen Höhle von Nahal Hemar, südwestlich des Toten Meers.

XV  Unter den berühmten Wandmalereien in Çatalhöyük, dem neolithischen Megafundort in der anatolischen Hochebene, stechen Darstellungen noch wilder Auerochsen hervor, der Vorfahren domestizierter Rinder; sie sind umgeben von fieberhaft aktiven menschlichen Gestalten.

XVI  Die gen Afrika gerichteten, hochragenden Südklippen der kleinen Insel Pantelleria in der Straße von Sizilien; sie enthalten Adern eines besonderen grünen Obsidians, wie er im Süden des zentralen Mittelmeerraums verbreitet genutzt wurde. Die darüber zu sehende Terrassierung von Feldern, typisch für zahlreiche Mittelmeerinseln, hat viele archäologische Belege aus der Frühgeschichte der Insel unlesbar gemacht.

XVII  Frühe Felsgravierung, die das Melken von Kühen zeigt, aus Tiksatin, libysche Sahara.

XVIII  Restauriertes Muster leuchtend bunter Wandmalereien, gefunden in Tuleilat Ghassul, direkt im Norden des Toten Meers. In der Südlevantinischen Kupferzeit entstanden, ermöglichen sie Einblicke in damalige Rituale und Symbole und belegen zugleich, dass es dort nun auch aufwändig gewebte, mehrfarbige Stoffe gab.

XIX  Acht Ringe aus Gold und Elektron, Durchmesser bis zu fünf Zentimeter. Aus der kupferzeitlichen Schicht in der Höhle von Nahal Qana, heute Nordisrael. Das Metall stammt vermutlich aus Ägypten, die nahezu standardisierte Form könnte auf eine frühe Barrenform verweisen.

XX  Der kupferzeitliche Tempelkomplex von Ein Gedi, angelegt auf einem hohen Felsen nahe einer reichlich fließenden Quelle, direkt westlich des Toten Meers. Deutlich zu erkennen sind die Umrisse einer Umfassung, ein Torgebäude, Gebäude für die Rituale und eine kreisrunde Struktur in der Mitte. Derart prominente Orte fungierten als Magneten für den regionalen Austausch, vermutlich waren sie auch Ziel von «Pilgerfahrten».

XXI  Eine außergewöhnliche Figurine aus Gilat, einem kupferzeitlichen Heiligtum am Rand der Trockenzone im Süden Israels: eine sitzende Frau mit deutlich dargestellten Geschlechtsmerkmalen und Tätowierungen, die ein großes Milchgefäß oder Butterfass auf dem Kopf balanciert, wie sie um diese Zeit typisch waren in der südlichen Levante.

XXII  Eine Auswahl aus einigen hundert Stücken aus einem ungewöhnlich reichen kupferzeitlichen Depotfund, versteckt in der Höhle von Nachal Mischmar, in den hohen Felswänden von Judäa, hier im Zustand nach der Restaurierung: sogenannte Kronen, Feldzeichen, Keulenköpfe und diverse Kessel, alle aus reinem Kupfer oder Kupferlegierungen, dazu ein durchlöchertes Artefakt aus Nilpferd-Elfenbein.

XXIII  Die knapp 43 Meter lange Sonnenbarke von Chufu (Cheops), dem Pharao des Alten Reichs, zusammengesetzt aus 1224 Einzelteilen. In sie zerlegt wurde die Barke südlich der großen Cheops-Pyramide bei Gizeh begraben. Sie war ein Flussschiff, zeigt aber eine robuste Konstruktion, zumeist aus massiven Planken aus importiertem libanesischem Zedernholz, und lange wirkungsvolle Ruder.

XXIV  Eine der beiden Figurinen aus dem 4. Jahrtausend, vor kurzem in Tell el-Farcha im Nildelta gefunden. Sie besteht aus Goldblech, das über einen verlorenen Holzkern gezogen wurde, hatte ursprünglich Augen aus Lapislazuli und ein Halsband aus seltenen Steinen. Diese Verbindung kostbarer Materialien ist typisch für die aufstrebenden Staaten Ägypten und Mesopotamien – mit Blick auf spätere ästhetische Normen Ägyptens allerdings ungewohnt, doch gerade darin vielleicht spezifisch für die frühe Delta-Kultur.

XXV  Luftaufnahme von Ebla, in der fruchtbaren, gut vernetzten Nordlevante, heute Nordwestsyrien, gelegen. Man sieht die Akropolis und den Palast, die Größe und die Befestigungswälle dieses bronzezeitlichen Zentrums aus dem 3. und 2. Jahrtausend.

XXVI  Hoch oben am Mont Bego, Seealpen, zeugen zahlreiche Bilder, im 3. Jahrtausend in die Felsen geschlagen, von der zunehmenden Beschäftigung mit Hochlandzonen, in diesem Fall von saisonalen Besuchen, hier wohl der Männer, deren rituelle und andere Beschäftigungen lebendig wiedergegeben sind.

XXVII  Diese Aufnahme einer experimentellen Rekonstruktion des Abbaus von Kupfererzen im Wadi Feinan, Südjordanien, zeigt, wie leicht zugänglich Erzadern für frühe Prospektoren waren; gezeigt wird auch der Einsatz von Eseln für den Abtransport der Erze über weite Strecken; seit der Frühen Bronzezeit auch von Barren und fertigen Artefakten.

XXVIII  Dieses Cluster von «Tempeln» mit Kleeblattgrundrissen in der Landschaft von Mnajdra, Malta, zeigt den Zusammenhang zwischen diesen Monumentalbauten und dem Zugang zum Meer. Wer immer die Rituale an solchen Orten leitete, hatte auch den Schlüssel in der Hand, um auswärtige Kontakte zu manipulieren. Der Bau wurde, wie man sieht, aus großen Blöcken des lokalen Sandsteins errichtet.

XXIX  Teil des Depots aus dem frühen Mittleren Reich, bekannt als Schatz von el-Tôd, gefunden in Tempelfundamenten der gleichnamigen alten Stadt bei Theben in Oberägypten. Mehrere Kupferschachteln enthielten über 150 meist aus Silber gefertigte Schalen und Becher, deren Wirbelmuster an bemalte Keramik aus dem ägäischen Raum dieser Zeit erinnern, dazu Silberbarren und Mengen von rohem und geschliffenem Lapislazuli. Exotische Funde wie diese belegen starke Handelsbeziehungen, nicht zuletzt zur See, in den östlichen Mittelmeerraum.

XXX  Eine festliche Schiffsprozession, ein Boot mit gehisstem Segel, die anderen, ganz archaisch, angetrieben durch eine große Zahl von Ruderern, nähert sich einem natürlichen Hafen einer geschäftigen Küstenstadt; Fresko aus dem Westhaus von Akrotiri auf der Kykladeninsel Thera, das durch den Vulkanausbruch konserviert wurde; Mitte des 2. Jahrtausends. Man sieht zahlreiche Küstenschiffe, diverse Bauten entlang der Küste, aber weder Kaimauern noch andere Hafenanlagen.

XXXI  Die wuchtige, uralte, archäologisch gleichwohl nur teilweise erforschte Zitadelle von Aleppo (dem bronzezeitlichen Jamchad), gekrönt vom riesigen arabischen Kastell. Noch sieht man beide über der mittelalterlichen und der modernen Stadt, bevor sie von einem tragischen Bürgerkrieg zerstört wurden, der auch, als ich diese Zeilen schrieb, weiter tobte.

XXXII  Rekonstruktion eines von mehreren Wandgemälden, die Paläste aus dem frühen Neuen Königreich in Auaris, Nildelta, schmückten. Die Szenen des Stiersprungs, das Motiv des Labyrinths und der Fries aus geteilten Rosetten erinnern, ebenso wie Stil und Technik der Ausführung, an kretische Malerei.

XXXIII  Hinter dem Zyklopenmauerwerk und dem berühmten Löwentor des Palasts von Mykene liegen ältere Schachtgräber; als Schliemann sie ungeplündert fand, enthielten sie ein bemerkenswert vielfältiges Sortiment von Luxusgütern. Dieser alte Bestattungsplatz wurde von späteren Herrschern übernommen, wie sich sowohl am nachgebauten Gräberrund zeigt wie daran, dass die Umfassungsmauer an dieser Stelle nach außen gebeult ist.

XXXIV  Zu den reichen Funden aus dem Schiffswrack von Uluburun, geborgen vor der kleinasiatischen Küste, gehört die Bronzefigurine einer Göttin, deren Kopf, Arme und Beine mit Blattgold überzogen sind. Analoge, etwas jüngere Funde legen nahe, dass dies die Schutzgottheit des Schiffs gewesen sein könnte. Wenn sie das war, war sie wohl recht unachtsam an jenem Tag im 14. Jahrhundert v. Chr., an dem das Schiff sank.

XXXV  Sardinien, die Landschaft der Nuraghen, jener enorm zahlreichen Türme, die im 2. Jahrtausend v. Chr. architektonisch noch recht schlicht gestaltet waren und erst später, in einigen größeren Siedlungen, zunehmend komplexer wurden. Dieser Turm aus Su Nuraxi ist entwickelter, doch in der Art, wie er das umliegende Ackerland beherrscht, noch immer typisch für die meisten Nuraghen.

XXXVI  Der befestigte Tell von Hisarlık, dem bronzezeitlichen Troja, dominiert die noch weitgehend unerforschte Unterstadt und die Ebene, im Altertum eine langsam versandende Bucht; weit hinten die Dardanellen. Die Stätte, ein Ort mythischer Bedeutung, seit der Bronzezeit wiederholt zerstört, spätestens seit Schliemann kontinuierlich ergraben, ist eines der wenigen gründlich erforschten Zentren an dieser Schnittstelle von Ägäis und Anatolien.

XXXVII  Die Kalksteinschlucht um die Siedlung Pantalica, Südostsizilien, durchsiebt von Grabhöhlen, die im 2. und frühen 1. Jahrtausend v. Chr. in den Fels geschlagen wurden. Solche Orte im zerklüfteten Inselinneren dienten lange als Rückzugsorte, an denen die Urbevölkerung ihre Lebensweise bewahren konnte; Funde dort zeugen aber auch von ausgedehnten Kontakten mit der weiteren mediterranen Welt.

XXXVIII  In der Blütezeit italischer Metallarbeiten, Ende des 2., Anfang des 1. Jahrtausends, kommen reiche lokale Quellen, technische Kenntnisse aus dem östlichen Mittelmeerraum und transalpine Verbindungen zusammen. Diese besondere Helmform aus Tarquinia im erzreichen Etrurien wird bestimmt von östlichen Metalltreibtechniken und lokalen Kampfstilen.

XXXIX  Die befestigte Stadt Tyros auf ihrer Felseninsel vor der Küste, dargestellt während der Regentschaft des kriegerischen Königs Salmanassar III. (858–824 v. Chr.) von Assyrien auf den Bronzetoren von Balawat, Nordmesopotamien. Schiffe mit Pferdeköpfen und eine Prozession von Trägern bringen einen Tribut aus Metallkesseln, Barren, Stoffballen, vermutlich auch Walrosszahn aus Tyros heraus. Auf der Insel vollziehen ein Mann und eine Frau mit Metallgefäßen offenbar ein Opferritual.

XL  Schiffsmodell aus Bronze, Sardinien, Anfang 1. Jahrtausend v. Chr. Mit bauchigem Rumpf, Mast und Segelvorrichtung zeigt es die verbreitete mediterrane Grundform, mit geweihgeschmücktem Bug und durchbrochen dargestellter Kabine lokale Einflüsse. Die meisten dieser Modelle stammen aus dem Kontext nuraghischer Rituale oder vom italienischen Festland, aus einer Zeit lebhaften Seeverkehrs der sardischen Küstenstädte.

XLI  Königliche Gräber in Tanis, einer der Hauptstädte im Delta, Anfang 1. Jahrtausend v. Chr. Sie wirken, im Vergleich zu früheren pharaonischen Bestattungen, architektonisch bescheiden und wurden, wie die Stadt insgesamt, weitgehend mit Steinen aus dem nahegelegenen, aufgegebenen Pi-Ramesse erbaut. Einst war Tanis ein nahe der See gelegener Flusshafen, der Nilarm versandete und die Stätte liegt nun in trockenem Hochland.

XLII  Vergoldete Silberschale aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. mit verschiedenen ostmediterranen Bildmotiven; gefunden in der Tomba Bernardini, einem Steingrab bei Praeneste, dem heutigen Palestrina, östlich von Rom.

XLIII  Luftbild von Cádiz, noch immer vom Meer umgeben, aber keine Insel mehr. Die moderne Stadt überdeckt vollständig die Teile der phönizischen und antiken Stadt, die nicht überflutet wurden. Der Kern der phönizischen Siedlung besetzte die heute halb unter Wasser liegenden Felsen im Vordergrund und zog sich bis zu den höher liegenden Teilen der Hauptinsel; ein Kanal, der als Tiefwasser schwach zu sehen ist, teilte die Stadt.

XLIV  Replik einer attischen Grabkore aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., etwas überlebensgroß. Sie sollte, wie eine Inschrift sagt, an eine gewisse Phrasikleia erinnern. Die Bemalung folgt den Farbresten auf der Original-Marmorstatue. Sichtbar wird so die weitgehend verlorene Welt reich dekorierter Stoffe und der hohe Status von Frauen aus der damaligen Elite.

XLV  Die Verwandtschaft zwischen ägäischen und italischen Töpferwaren und weitgehend verlorenen Metallamphoren ist an diesen zwei Gefäßen aus dem 6. Jahrhundert deutlich zu erkennen: (links) Ein etruskischer Bucchero versucht mit glänzender Oberfläche, modellierten Wülsten und bandförmigen Henkeln Metallarbeiten nachzuahmen; (rechts) eine Variante aus der Töpferwerkstatt des Nikosthenes in Athen, gefertigt für den etruskischen Markt. Die (der griechischen Tradition fremde) Grundform des Bucchero wurde beibehalten, die Oberfläche erhält ihren Reiz durch die vielfigurige Bemalung.

XLVI  Tempel C in der sizilianischen Stadt Selinunt. Der wuchtige Bau wurde 550 v. Chr. im dorischen Stil mit einer Flut solcher Bauwerke errichtet; er charakterisiert in besonders grandioser Weise die Sakralarchitektur, wie sie die städtischen Zentren im gesamten Mittelmeerraum dominierte.

XLVII  Drei Schrifttafeln aus Gold stammen aus Pyrgi, dem Küstenhafen der etruskischen Stadt Caere; in Phönizisch und in Etruskisch halten sie eine Weihegabe fest, die um 500 v. Chr. dediziert wurde.

XLVIII  Ein Kopf aus Gold und Elfenbein, womöglich eine Darstellung Apollos, eine Weihegabe vermutlich aus Korinth oder aus Ostgriechenland an das Orakel von Delphi. Artefakte in dieser Größe und aus so wertvollen Materialien sind nur selten erhalten, dieses überlebte von Brandschutt bedeckt mit anderen Fragmenten, darunter auch die eines vergoldeten, fast lebensgroßen Stiers aus Silber: ein deutliches Zeugnis für den damals wachsenden Reichtum einiger griechischer Städte.

XLIX  Kyrene, inmitten einer durch und durch mediterranen Umwelt im Hochland des Dschebel Akhdar (Grüner Berg) zwischen Bengasi und Tobruk, im Nordosten des heutigen Libyen. Die klassischen Ruinen überdecken die Relikte der ersten ägäischen Besiedlung aus dem späten 7. Jahrhundert v. Chr.

CHRONOLOGISCHE ÜBERSICHT

Die folgenden chronologischen Tabellen zeigen die großen Zeitabschnitte, die Phasen der Kulturen, weitere archäologische Daten und Umweltbedingungen. Die erste Tabelle (auf den beiden folgenden Seiten) reicht von 2 Millionen bis 10.000 Jahre vor heute, umfasst also das Pleistozän, (Kapitel 3 und 4); die zweite (S. 10–13) reicht von 12.000 bis 1 v. Chr., zeigt vor allem das Holozän, (Kapitel 5 bis 10); noch detailliertere Daten zur Periode von 2500 bis 1 v. Chr. bietet Tabelle 3 (S. 14–15), sie entspricht dem letzten Teil von Kapitel 7 und der gesamten Zeitspanne, die in Kapitel 8 bis 10 vorgestellt wird.

CHRONOLOGIE

KAPITEL EINS

EINE GESCHICHTE VON BARBAREN

Vorspiel: ein mediterraner Mikrokosmos

Das einzige Geräusch hier draußen ist ein Klirren und Klimpern, wie es entsteht, wenn vom Wind geformte Kalksteinsplitter auf andere geweht werden, die halb begraben sind in der roten Erde. Die Sonne ist erst vor wenigen Stunden aufgegangen, die Luft aber flimmert bereits vor Hitze; jeder Schatten, der etwas Größerem als einer Maus Schutz bieten könnte, ist verschwunden, der endlose Himmel bleich geworden, ein gleißendes Weiß, das auf der Netzhaut schmerzt. Auf Augenhöhe (höher kann ich, ohne zu blinzeln, den Blick nicht heben) ein Streifen Meer, ein festes Blau, gleichwohl leicht bewegt wie die Farben eines Rothko, so bildet es den Halbkreis des Horizonts. Weit draußen schwebt, als blasse Silhouette, wiederum festes Land. Im Raum dazwischen lässt ein altes russisches Containerschiff die Meerenge schäumen, entleert im Ausfahren heimlich seine Tanks.

Eine Skizze, die an Küstenstreifen denken ließe, wie sie zahllos sind rund um die Erde, wären da nicht weitere Einzelheiten, die diese Szene fest verankern, an der Ostküste nämlich der Ägäisinsel Kythera im August 2001.[1] Ich bin auf dem Weg zu einem Team, das seit dem Morgengrauen in dieser wüsten Gegend 3500 Jahre alte Keramikscherben sammelt: an der Oberfläche sichtbare Hinweise auf einen archäologischen Fundort, auf den ein anderes Team vor einem Jahr gestoßen ist, als es die ganze Halbinsel nach Spuren ihrer ereignisreichen Vergangenheit durchkämmte.

Spuren einer ereignisreichen Vergangenheit

Überreste aus modernen Zeiten oder dem Mittelalter gibt es kaum in diesem kahlen Gelände, allenfalls um den alten Hafen Avlemonas, zwanzig Fußminuten hinter mir. Auch aus jener Zeit, in der die Spartaner, voller Furcht vor einer Eroberung durch die übermächtige Flotte der Athener, am liebsten gesehen hätten, dass diese ihnen benachbarte Insel in den Wellen versinken würde, sind die Funde spärlich; einige römische Scherben allerdings, gefunden in den Spalten zwischen den meerumspülten Felsen, erzählen vom kleinräumigen Hin und Her der Schiffe, die hier Jahrhunderte später verkehrten. Was uns jedoch interessiert, was uns zu diesem, auf den ersten Blick nicht sehr vielversprechenden Ort zurückgebracht hat, ist die Tatsache, dass die Signale stärker werden, sobald wir weiter zurückgehen in der Zeit, bis in die Bronzezeit und noch weiter; dann nämlich strotzt die Landschaft hier vor Leben.

Inzwischen kann ich das Team ausmachen, kleine dunkle Figuren, die im Stehen ihre Funde zählen und verpacken, sehe auch, wie sich die größere Gestalt des Teamleiters hin und her bewegt; die Gestalten flimmern bizarr in der Hitze, die vom Land herkommt, Luftspiegelungen überziehen sie mit silbrigen horizontalen Streifen. Im Näherkommen kann ich erkennen, was da geschieht und wie es vorangeht. Die Feldforschung an diesem Platz nähert sich ihrem Abschluss, obwohl wir diese vielsagenden Brocken und Krümel aus Ton wohl noch ein paar Tage lang untersuchen müssen, irgendwo im Schatten, bis wir uns einigermaßen vorstellen können, was einst hier geschah. Klar ist bereits jetzt, dass die meisten Fundstücke auf die Phase der Bronzezeit zurückgehen, in der die minoischen Gesellschaften auf Kreta die mächtigsten und einflussreichsten in der Ägäis waren. Kythera war Teil des minoischen Beziehungsgeflechts, und diese Fundstätte ist nur eine von vielen aus der gleichen Zeit, gelegen auf einer Insel, die allgemein als ein kretischer Außenposten gilt. Was genau der hier sollte, wie die Menschen in dieser Landschaft lebten, wenn sie denn hier lebten, und was sie vorhatten, wenn sie nicht hier lebten, sind Fragen für später; doch aus den Relikten, die uns bei diesem Besuch einen ersten Eindruck gegeben haben, geht bereits jetzt hervor, dass sie ihr Essen gekocht haben und auch Nahrungsmittel gelagert: Beides lässt sich aus der Dichte der Überreste ziemlich gut beurteilen. Boden- und Pollenproben, die einem Bohrkern aus einem passend gelegenen Feuchtgebiet bei Avlemonas entnommen wurden, zeigen, dass dieser Ort vor 3500 Jahren, genauer: in einem Zeitraum von rund 2000 Jahren vor und nach diesem Datum, nicht sehr viel anders aussah als heute. Vielleicht aber ist es den Menschen damals doch gelungen, dieses karge Land zu bearbeiten, indem sie über den flachen Bodenfalten Terrassen anlegten, um Erde und Feuchtigkeit zu halten, was sie, wie wir wissen, anderswo auf Kythera getan haben. Vielleicht aber waren sie auch mit ganz anderem beschäftigt. Denn auf dem schroffen Kamm des Hügels, der sich hinter unserem Fundort erhebt, an einem prominenten Platz, der später durch die weiße Kirche von Agios Georgios zum zweiten Mal geweiht wurde, haben griechische Archäologen gerade ein Heiligtum ausgegraben, das in derselben Zeit unter freiem Himmel angelegt wurde, dazu Opfergaben wie Figurinen, Gefäße und anderes Ritualgerät aus Metall, Stein und Ton gefunden, das zum Teil übers Meer herangeschafft wurde.[2] Dieses Heiligtum war über eine Sichtachse verbunden mit dem eigentlichen Angelpunkt der Macht auf Kythera, der Hafenstadt Kastri weiter im Süden, einem Ort, an dem Namen wie «Knossos», «Mykene», vielleicht auch Namen noch weiter entfernter Plätze, zur kulturellen Geographie ihrer mehr nach außerhalb orientierten Bewohner gehörten.[3]

Damit allerdings sind wir noch nicht bei den ältesten Spuren an dieser Stelle. Winzige Keramikscherben deuten hin auf mehrere Zentren, vermutlich Weiler aus der Zeit vor etwa 6500 bis 4000 Jahren, die sich jeweils an ein Stück Land klammerten. Unter diesen Funden befinden sich schwarz glänzende Splitter von Obsidian, einem rasiermesserscharfen vulkanischen Glas, dessen nächste Fundstätte 130 Kilometer entfernt auf der Kykladeninsel Melos liegt. Auch diese Menschen also unterhielten bescheidene Beziehungen zu Orten jenseits des Meeres; es fragt sich allerdings, aus welchen, heute dunklen Gründen ihnen daran lag, hier draußen zu leben. Ein noch älterer Fund, nämlich aus dem Neolithikum, erscheint unserer Wahrnehmung dieser nebelhaft frühen Zeit verständlicher: Vor etwa 7000 Jahren ließ ein hier draußen jagender oder fischender Besucher eine kleine Pfeilspitze zurück, auf genau der kleinen Insel, die rechts von mir vor der Küste liegt und die heute auf den schönen Namen Antidragonera hört.[4] Und von diesem Aussichtspunkt in die tiefe Vergangenheit bringt uns ein spekulativer Sprung nochmals tiefer zurück in der Zeit. Denn die Meerenge zwischen Kythera und dem Land im Dunst dahinter (Kap Maleas, der südöstlichen Spitze der Peloponnes) ist nur ein Abschnitt eines Korridors aus Meer und Land, der Richtung Süden weist, auf Kreta zu, das gelegentlich (aber nicht heute, nicht im Hochsommer) unter einer langen weißen Wolke zu sehen ist. Wer oder was immer in ferner Vergangenheit auf Kreta auch gelebt haben mag, ob archäologisch schwer fassbare Jäger und Sammler, wie manche meinen, oder nur die bizarren Kreaturen, denen wir in späteren Kapiteln begegnen werden, irgendwie mussten sie dorthin gekommen sein, und Kythera liegt quer auf einem der plausibelsten Wege dorthin.

1.1   Rundblick über die Ostküste von Kythera und den kleinen Hafen von Avlemonas, von der Höhe des Agios Georgios herab. Verschiedene Stellen der großen Bucht wurden vom Neolithikum bis in die Gegenwart als Ankerplätze genutzt.

Dieses Stück

Netzwerke einer Ökumene

Kythera und das Netzwerk, durch das Menschen die Insel immer wieder neu mit anderen Orten jenseits des Meeres verbunden haben, sind Beispiele für die vielfältigen Orte und Aktivitäten, wie sie die frühe Vergangenheit des Mittelmeers ausmachen, dieses Beckens aus Meer und Land, dessen für die Region selbst und welthistorisch folgenreiche Fülle an Geschichte und Kultur in einem so eklatanten Missverhältnis steht zu dem kleinen Anteil, den es an den Meeren und Ländern unseres Planeten ausmacht. Seine frühe Vergangenheit ist Gegenstand dieses Buchs – von deren Anfängen, lange bevor unsere eigene Spezies auftrat, bis hin zur Entstehung der klassischen Welt; und dabei geht es um die Frage, wie sich aus zahllosen Fragmenten eine Ökumene mit diesem Meer als ihrer Mitte herausbildete, wie auf diese Weise eine Blaupause für einen blauen Planeten geschaffen wurde. Wie eine Reihe kürzlich erschienener historischer Werke ist auch dieses Buch in der Überzeugung geschrieben, dass wir, sofern wir die tiefere Vergangenheit und deren Verläufe nicht bis in die Gegenwart verstehen, weder die Bedingungen unseres Mensch-Seins noch unsere gegenwärtig missliche Lage noch die bevorstehende Zukunft verstehen können.[5] Trotz einiger mutiger Ansätze und älterer Studien gibt es, wie wir sehen werden, keine derart ganzheitliche Erforschung des frühen Mittelmeerraums, die sich auf neuestem Stand befindet, weswegen uns allen, seinen Bewohnern (im körperlichen wie im geistigen Sinn), aber auch anderen, etwas Entscheidendes fehlt. Aber bevor wir der Frage nachgehen, warum beide, diese immense Zeitspanne und dieser bemerkenswerte Schauplatz, von derart bleibendem Interesse sind, ganz zu schweigen von der Frage, wie man sich beiden wohl erfolgreich nähern kann, sollten wir noch ein wenig länger auf Kythera verweilen, dort noch ein paar erste Erkenntnisse gewinnen über Netzwerke anderer Art, deren Einfluss wir unnachgiebig werden abwehren müssen: Netze des Geistes nämlich, Netze voller Sirenen und Lockvögel, mit denen wir das Mittelmeer und seine Vergangenheit umgarnen.

Drei ungewollte

Besucher

Besuche der nahegelegenen Küste sind es, die bildhaft veranschaulichen können, vor welchen Gefahren wir uns hüten müssen. Da war zuerst, im Jahr 1802, die Mentor, das Schiff, das vor Avlemonas Schiffbruch erlitt; an Bord hatte sie die «Elgin-Marbles», Friesfragmente und Skulpturen, die Lord Elgin von der Akropolis in Athen abmontiert und fortgeschafft hat. Schwammtaucher holten die berühmte Fracht wieder nach oben und vergruben sie am Strand, wo sie einige Jahre blieb, bis sie ihre Reise doch noch vollendete. Der zweite Besuch fand 1843 statt: Es landete der Dichter Gérard de Nerval, der wohl ein Bett aus Rosen erwartete, denn er kam eingestimmt durch die Geschichte von der Geburt der Aphrodite vor Kythera, eingestimmt durch ein mit Blumen übersätes Gemälde von Watteau (der jede Andeutung der weniger erbaulichen mythischen Ursprünge der Liebesgöttin vermied: Sie war den blutig schäumenden Genitalien entsprungen, die Kronos ins Meer warf, nachdem er seinen Vater kastriert hatte).Was Nerval nun als Erstes sah, waren schwarze Felsen auf der Landspitze und dort einen Mann, der an einem Galgen hing; und diese trübe Erfahrung, diesen spleen, gab er an Baudelaire weiter, der die Szene in den Fleurs du Mal noch einmal aufleben ließ. Der dritte Besuch ereignete sich vor einigen Jahren, und, bezeichnend genug, weiß ich nicht, wer die illegalen Passagiere waren und was aus ihnen geworden ist; ich weiß nur, dass sie aus Libyen kamen, unter Begleitschutz auf einem türkisfarbenen Fischerboot, das beschlagnahmt wurde; heute liegt es weiter die Küste hinauf an einem Kai und wird von den Touristen und Einheimischen, die von der Fähre aus Piräus auf die Insel strömen, leichten Herzens übersehen. Alle drei Besuche werfen ein Licht auf Sehnsüchte eines allzu westlich-abendländischen Wunschdenkens, das sich einmischt, sobald es ums Mittelmeer geht. Der erste Besuch zeigt den Wunsch, uns mediterrane Altertümer und Vergangenheit für unsere aktuellen Zwecke anzueignen; der zweite Besucher will romantisieren und verfälscht dabei Bedeutungen dieses Meeres; und im Angesicht des dritten schließlich wollen wir das unbehagliche Gefühl verdrängen, dass wir nichts verstehen oder nichts wissen, womöglich auch nichts wissen wollen, besonders wenn es um das westlich von Ägypten gelegene Nordafrika geht.

Umbruch und Veränderung: Was dieses Meer bewirkt

Alle neuen Texte zur Geschichte des Mittelmeers erscheinen im Schatten von Riesen. Unter diesen wiederum gebührt zweifellos dem französischen Historiker Fernand Braudel die größte Verehrung, war er doch der Erste, der die Einheit des Mittelmeers und dessen Besonderheit als Forschungsobjekt erkannt hat. In seinem Monumentalwerk Das

Fernand Braudels Grundlagenwerk zur Geschichte des Mittelmeers

Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. (zuerst 1949 auf Französisch erschienen) nahm er eine neue Raumordnung vor: Er stellte nämlich das geographische Becken in den Mittelpunkt und nicht die das Meer umgebenden Kontinente.[6] Braudel, Spiritus Rector der Annales-Bewegung, vertrat auch mit Blick auf die Ziele historischer Forschung revolutionäre Ideen: Diese müsse sich mehr den geographischen, kulturellen und wirtschaftlichen Dynamiken zuwenden als der Politik. Nicht zuletzt untersuchte er gründlich die Kategorie der Zeit selbst, begriff Zeit als in eine Vielzahl von Wellenlängen gebrochen: in die starken Oszillationen von Ereignissen, in mittelfristige Konjunkturen wie gesellschaftliche und ökonomische Strukturen und in die longue durée von Umweltrhythmen; mit diesem Begriff wurde er am bekanntesten. Nebenbei noch erweiterte er unser Wissen über den spanischen König des 16. Jahrhunderts, dessen Namen er, in bewusster Umkehrung dessen, was man erwarten würde, an den Schluss des Titels setzt.

Wohl wegen des beeindruckend weiten Blicks seines Autors und weil das Buch rasch in der Forschung den Status einer Ikone erlangte, hat Braudels Meisterwerk, und das ist nicht frei von Ironie, Historiker viele Jahre lang von weiteren vergleichbar ganzheitlichen Untersuchungen über das Mittelmeer abgehalten. Erst etwa in den letzten zehn Jahren nahm das Interesse am Mittelmeer als einer Einheit wieder zu, wie viele neuere Spezialuntersuchungen[7] zeigen, darunter auch mehrere historische Gesamtdarstellungen[8] – so die bissig erzählte «Grand Tour» von Paul Theroux oder die Schwärmereien des kroatischen Schriftstellers Predrag Matvejević, dessen Der Mediterran das verführerische Spektakel eines «von Walt Whitman neu geschriebenen Braudel» bietet.[9] Dieses wiederauflebende Interesse ist nicht zuletzt zurückzuführen auf den nach dem Kalten Krieg veränderten Status des Mittelmeers als einer geopolitischen Arena. Auch mit dem betrüblichen aktuellen Zustand seiner Umwelt und Anliegergesellschaften hat dies Interesse zu tun. Offenbar ist die Zeit gekommen, bestimmte Themen wieder aufzugreifen, Fragen, die Braudel vor über sechzig Jahren aufgeworfen hat, und zu untersuchen, ob sich seine synoptische Sichtweise auch auf frühere Perioden des Mittelmeerraums und seiner Vergangenheit übertragen lässt.

Dieser Aufgabe, und zwar in Braudel’scher Breite und Tiefe, hat sich kürzlich ein Team angenommen – zwei Historiker, einer Spezialist für das Mittelalter, der andere für die Antike. Peregrine Hordens und Nicholas Purcells Buch The Corrupting Sea: A Study of Mediterranean

Peregrine Horden/Nicholas Purcell – The Corrupting Sea

History markiert einen grundlegenden Wandel unseres Wissens, so etwas wie einen Paradigmenwechsel, um einen oft missbrauchten, in diesem Fall jedoch tatsächlich treffenden Begriff zu verwenden.[10] Die Autoren der thematisch ausgerichteten Untersuchung, die mit Vignetten arbeitet, deren Material im Wesentlichen dem Jahrtausend vor und nach Christi Geburt entstammt, identifizieren auf weniger romantische Weise als Braudel die gemeinsamen Faktoren, die der besonderen Art und Weise zugrunde liegen, in der die Dinge im Mittelmeerraum geschehen sind; sie sind es, die der Geschichte des Beckens ihren ganz eigenen Charakter geben, die es zudem rechtfertigen, gerade diesen Raum als robusten und lohnenden Rahmen für historische Forschung zu wählen.

FragmentierungUngewissheitKonnektivität11