Vorwort

Im Mittelalter glaubten die Seher, unheilvolle Voraussagen anhand der Konstellation der Sterne treffen zu können. Will man heute eine Prognose abgeben, wie stark der Staat künftig versuchen wird, seine Ausgaben für Pflegekosten von unterhaltspflichtigen Kindern zurückzufordern, gibt es eine Anzahl von Faktoren, die nichts Gutes erahnen lassen.

Eigentlich sollte die im Jahr 1995 eingeführte gesetzliche Pflegeversicherung es vermeiden, dass Kinder für ihre Eltern im Pflegefall zur Kasse gebeten werden. Heute spricht die Politik von einem „Abfedern“ des Risikos und erklärt, dass die Pflegeversicherung nie als „Vollkaskoversicherung“ gedacht war. Die Furcht vor Forderungen der pflegebedürftigen Eltern steigt. Deutlich erkennbar wird ein Trend der Sozialämter, bei Kindern (oder Schwiegerkindern) von pflegebedürftigen älteren Menschen nachzuforschen, ob dort etwas zu holen ist. Auslösende Faktoren sind:

Der Staat muss dafür Sorge tragen, dass die Etats für Sozialausgaben nicht überstrapaziert werden – auf der anderen Seite hat er die unterhaltspflichtigen Kinder und deren Familien davor zu schützen, selbst in eine Notlage zu geraten.

Wenn ein Elternteil in eine Pflegeeinrichtung kommt, sind die Kosten dafür hoch. In vielen Fällen reichen Rente und Pflegeversicherung nicht aus, diese zu decken. Auch wenn bei den Eltern noch ein „Notgroschen“ vorhanden ist, ist dieser bei den hohen Pflegekosten sehr schnell aufgebraucht. Das Sozialamt springt ein und schließt die finanzielle Lücke. Im Rahmen des Unterhalts, den Eltern von ihren Kindern fordern können, verlangt es geleistete Zahlungen von den Kindern zurück. Daher hat man es in den meisten Fällen nicht unmittelbar mit den Eltern, sondern mit dem Sozialamt zu tun. Die Eltern selbst wollen die Kinder gar nicht belasten – ihnen ist es oft sogar unangenehm.

Dieser Ratgeber stellt Ihnen die derzeitige rechtliche Situation vor und gibt Tipps, wie Sie die Belastung durch den Elternunterhalt minimieren oder ganz auszuschließen können. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, die Berechnungen des Sozialamtes auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, um sich erfolgreich gegen zu hohe Forderungen wehren zu können. Schließlich lernen Sie auch vorbeugende Strategien kennen, die es Ihnen ermöglichen, sich abzusichern, bevor sich das Sozialamt meldet.

Unterhaltsforderung – ein psychologisches Dilemma

Wenn der Staat von Ihnen Unterhalt für Ihre Eltern fordert, befinden Sie sich emotional in einem erheblichen Zwiespalt: Zum einen sehen Sie Ihre gesamte Lebensplanung gefährdet, zum anderen plagt Sie das ungute Gefühl, die Eltern im Stich zu lassen. Es ist keine Seltenheit, dass Behörden und auch Gerichte mit dieser Argumentation die Betroffenen „bei der Ehre packen“, um sie zu Zugeständnissen zu bewegen.

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Machen Sie sich bewusst, dass sich der Lebensstandard Ihrer Eltern durch Zahlungen an das Sozialamt in keiner Weise verändert, sondern lediglich eine Haushaltsstelle wieder aufgefüllt wird – den Eltern geht es dadurch weder besser noch schlechter.

In einer solchen Situation wird deutlich, dass bestimmte Vorsorgemaßnahmen des Staates versagt haben – sei es bei der Absicherung im Alter durch Renten- und Pflegeversicherung, sei es durch staatliche Förderung von Pflegeeinrichtungen. Da die Altersvorsorge auf dem sogenannten Generationenvertrag beruht, bedeutet eine übermäßige Inanspruchnahme der Kinder, dass dieser Vertrag einseitig nicht eingehalten wird. Man sieht sich durch die eigene Altersvorsorge, die Vorsorge für die Kinder und dann noch den Unterhalt für die Eltern gleich dreifach zur Kasse gebeten.

Hinzu kommt die Unsicherheit über die Rechtslage. Die Gerichte haben einige Eckpunkte der Rechte und Pflichten festgelegt, vieles jedoch ist noch ungeklärt. Eine einheitliche Handhabung zur Berechnung, welche Abzüge anerkannt werden und wie viel Vermögen man haben darf, gibt es nicht. Die Auseinandersetzung mit dem Sozialamt ist somit immer eine Argumentation im Einzelfall. Gerade darin liegt Chance für denjenigen, der seine Rechte kennt und sie entsprechend vorbringen kann.

Auf den Punkt gebracht

Sie müssen kein schlechtes Gewissen haben, wenn Sie sich gegen die Forderung des Sozialamtes wehren und den eigenen Lebensstandard schützen wollen. Sie fallen Ihren Eltern damit nicht in den Rücken. Bewahren Sie einen kühlen Kopf und analysieren Sie die Situation erst einmal!

Lassen Sie sich auch nicht von Fristen aus der Ruhe bringen. Solange sich die Angelegenheit noch nicht vor Gericht befindet, können diese auf Antrag von der Behörde verlängert werden. Diese Verlängerung sollten Sie jedoch rechtzeitig schriftlich beantragen. Da in der Regel auch Unterlagen gefordert werden, können Sie Ihren Antrag damit begründen, dass diese erst noch zusammengestellt werden müssen.

Warum haften Kinder für ihre Eltern? – Rechtliche Grundlagen

Die Pflicht, Unterhalt für die eigenen Eltern zu zahlen, ist in der Tat eine Besonderheit im System des Unterhaltsrechts. Während es jedem einleuchtet, dass er für die Kinder, für deren Existenz er schließlich verantwortlich ist, auch die finanzielle Verantwortung übernehmen muss, ist die Einsicht schon weniger ausgeprägt, wenn es um den Unterhalt des geschiedenen Ehepartners geht. Während jedoch auch dort ein eigener Beitrag durch das Ja-Wort und eine gewisse Verantwortung durch die gemeinsame Lebensführung eine Rolle spielen, fehlen die Elemente dieser Unterhaltsansprüche beim Elternunterhalt völlig.

Bei Kindern oder bei der Trennung vom Ehepartner rechnet man schon damit, diese Personen für eine bestimmte Zeit finanziell unterstützen zu müssen – bei den Eltern hingegen, die ihre eigene Lebensstellung erreicht haben, drängt sich dieser Gedanke nicht unbedingt auf. Daraus folgt auch die schwächere Stellung des Elternunterhalts gegenüber den sonstigen familienrechtlichen Unterhaltsansprüchen. Seine Rechtfertigung liegt noch in dem Gedanken der großfamiliären Verantwortung, der das Bürgerliche Gesetzbuch bei seinem Inkrafttreten im Jahr 1900 beeinflusst hat.

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Der Elternunterhalt hat die schwächste Stellung gegenüber anderen familienrechtlichen Unterhaltsansprüchen.

Die genannten Unterhaltsansprüche unterscheiden sich stark voneinander: Für seine minderjährigen Kinder muss man unterhaltsrechtlich „das letzte Hemd hergeben“ und für den Ehepartner seine Lebensführung so weit einschränken, dass auch dieser noch angemessen existieren kann. Bei den Eltern hingegen will der Gesetzgeber bewusst, dass zuerst der eigene Lebensstandard gewahrt bleibt. In einer grundlegenden Entscheidung hat der Bundesgerichtshof es so formuliert:

„Niemand muss seine Lebensführung wegen der Zahlung von Elternunterhalt spürbar und dauerhaft einschränken, es sei denn er lebt im Luxus.“

(BGH Urteil vom 23.10.2002, Az. XII ZR 266/99)

Entsprechend ist auch die Pflicht, Elternunterhalt zu zahlen, in der gesetzlichen Rangfolge deutlich abgeschwächt gegenüber den sonstigen Unterhaltspflichten.

Welche gesetzlichen Unterhaltspflichten gibt es?

Im Gesetz steht:

„Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.“ (§ 1601 BGB)

Die Unterhaltspflicht führt also dazu, dass Eltern gegenüber ihren Kindern und Kinder gegenüber den Eltern zu Unterhaltszahlungen verpflichtet werden können. Obwohl dies durch denselben Paragrafen geregelt wird, sind die Unterschiede doch erheblich.

Neben dem Unterhalt für Verwandte kennt das Gesetz noch eine Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehe- oder Lebenspartner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft.

Sind die Unterhaltsansprüche gleich stark?

In Bezug auf den Unterhaltsanspruch wird z. B. unterschieden zwischen

Jedem Berechtigten kommt ein bestimmter Rang zu. An erster Stelle stehen die minderjährigen Kinder – sie haben demzufolge die stärksten Rechte. Die Eltern stehen an sechster Stelle. Entsprechend gering sind auch deren Ansprüche.

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Bei der Diskussion um Elternunterhalt sollte daher stets auf die gewollt nachrangige Stellung der Eltern hingewiesen werden, damit der Ehepartner oder die eigenen Kinder nicht benachteiligt werden (siehe Musterformulierung auf Seite 48).

Bedarf – Bedürftigkeit – Leistungsfähigkeit

Alle Unterhaltsansprüche unterliegen einem bestimmten Schema. Drei zentrale Begriffe spielen dabei eine Rolle:

Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit müssen immer zum selben Zeitpunkt vorliegen. Wer nicht bedürftig ist, erhält genauso wenig Unterhalt wie derjenige, der bedürftig ist, dessen Kinder aber den Unterhalt mangels Leistungsfähigkeit nicht aufbringen können.

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Für Zeiten, in denen beide Faktoren nicht gleichzeitig vorhanden sind, besteht keine Pflicht, Unterhalt zu zahlen. Behörden versuchen häufig, vorübergehende Phasen der Leistungsunfähigkeit, z. B. durch Verlust des Arbeitsplatzes, erst einmal festzuschreiben und die Rückstände später einzufordern. Dies ist unzulässig, weil gar keine Rückstände entstehen können, wenn jemand nicht verpflichtet ist, Zahlungen zu leisten.

Wenn ein Familiengericht Unterhalt zusprechen soll, müssen alle Voraussetzungen geprüft werden und erfüllt sein. Das Sozialamt kennt in der Regel die Antwort auf die beiden ersten Fragen, nicht aber Ihre Leistungsfähigkeit. Aus diesem Grund erhalten Sie Post.

Auf den Punkt gebracht

Nach dem Gesetz müssen Kinder ihren Eltern Unterhalt zahlen, wenn sie dazu in der Lage sind. Diese Pflicht wird durch die Gerichte aber sehr eingeschränkt. Die eigene und die finanzielle Absicherung der Familie gehen vor. Für Unterhaltszahlungen muss sich niemand verschulden. Andere Berechtigte, wie Kinder oder der Ehepartner, gehen grundsätzlich vor.

Wegen der ausdrücklich schwachen Stellung des Elternunterhalts gibt es viele Möglichkeiten, sich gegen Forderungen zu wehren. Allein die Tatsache, dass das Geld der Eltern nicht ausreicht, um die Heimkosten zu decken, besagt noch nicht, dass die Kinder auch tatsächlich zahlen müssen. Entscheidend ist die Frage, wie viel Geld sie für Elternunterhalt abzweigen können, ohne den eigenen Lebensstandard wesentlich zu gefährden. Hier besteht erheblicher Argumentationsspielraum.

Der gefürchtete Brief vom Sozialamt

Eltern im Pflegeheim

Frau Heuers Eltern leben in einer Pflegeeinrichtung. Ihre eigenen Einkünfte und ihr Vermögen reichen nicht aus, um die Kosten zu decken. Das Sozialamt zahlt die nicht gedeckten Ausgaben, möchte sich das Geld aber von Frau Heuer, die in diesem Fall unterhaltspflichtig ist, zurückholen. Die Eltern haben die Entscheidung hierüber nicht mehr in der Hand, weil kraft Gesetzes der Anspruch auf Unterhalt auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen ist. Damit hat dieser auch das Recht, seine Leistungen bis zur Höhe des bestehenden Unterhaltsanspruchs zurückzufordern und künftige Zahlungen festzulegen.

Damit Unterhaltsansprüche, die grundsätzlich nur zwischen Privatpersonen bestehen, auf den Staat übergehen können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu greifen zwei sehr unterschiedliche Rechtsgebiete, nämlich das Sozial- und das Familienrecht, ineinander.

Achtung: Unterschied zwischen Sozial- und Familienrecht

Der Abschnitt „Familienrecht“ des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) regelt die Unterhaltsansprüche zwischen Privatpersonen. Das Sozialgesetzbuch (SGB) regelt die Aufgaben des Staates bei der Gewährung von Sozialhilfe.

Bei der Thematik „Unterhalt“ gibt es zum einen den zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch auf der Grundlage des BGB. Die Pflicht des Staates, bedürftige Menschen durch Sozialhilfe vor Armut und Not zu bewahren, und die Voraussetzungen für deren Gewährung regelt unter anderem das Sozialgesetzbuch. Teilweise decken sich die Regelungen, sie unterscheiden sich aber auch erheblich. Naturgemäß denken die Sozialämter eher „sozialrechtlich“. Sind dann die angewandten Grundsätze vorteilhafter, sollte man sich dagegen nicht wehren, sind die Bestimmungen des BGB günstiger, muss das Sozialamt auf die Anwendung des richtigen Rechts hingewiesen werden.

Sozialamtsrechnung

Sozialämter rechnen meist mit pauschalen Sätzen. Sie nehmen dabei oft die unterhaltsrechtlichen Leitlinien der verschiedenen Oberlandesgerichte zu Hilfe. Dort werden bestimmte Freibeträge genannt, in denen pauschal ein Anteil für die zu zahlende Warmmiete enthalten ist. Für einen Alleinstehenden sind dies 450 €, für den im Haushalt lebenden Ehepartner kommen noch 350 € dazu. Wenn Sie eine höhere Miete zahlen, erhöht sich auch Ihr Freibetrag. Achten Sie daher darauf, dass Ihre tatsächlichen Kosten nicht mit geringeren Pauschalbeträgen abgegolten werden. Wenn Ihre Warmmiete aber geringer ist als der Pauschalbetrag, sollten Sie die Berechnung nicht beanstanden.

Die sozialhilferechtlichen Berechnungen gehen typischerweise davon aus, dass der Bedarf eines Sozialhilfeempfängers nicht höher ist als die festgelegten Sätze. Das Unterhaltsrecht nach dem BGB sieht dagegen in der Regel sehr viel großzügigere Sätze vor. Achten Sie also darauf, dass Sie nicht durch die Anwendung der falschen rechtlichen Grundlagen benachteiligt werden. Lassen Sie sich im Zweifel durch die Behörde erläutern, welche Berechnungsgrundlagen angewandt wurden. Prüfen Sie auch nach, ob die angewendeten Pauschalen Ihre tatsächliche wirtschaftliche Situation zutreffend wiedergeben.

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Lassen Sie – bevor Sie Elternunterhalt an den Sozialhilfeträger zahlen – prüfen, ob die Bedürftigkeit des Elternteils nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen ermittelt wurde. Ist dies der Fall, so sind die Unterhaltsforderungen zu hoch, während nach geltendem Unterhaltsrecht eigentlich nur geringere oder keine Ansprüche gerechtfertigt sind. Diese Prüfung muss für jeden Monat gesondert erfolgen, da insbesondere die öffentlichen Leistungen und im Einzelfall auch das Einkommen des Elternteils von Monat zu Monat schwanken können. Dem Sozialhilfeträger steht Unterhalt nur so weit zu, wie sich Sozialhilfeleistungen und Unterhaltsanspruch zeitgleich der Höhe nach decken.

Wenn der Sozialhilfeträger aus übergegangenem Recht Elternunterhalt geltend macht, sollten Sie Einsicht in die Verwaltungsanweisungen verlangen. Nur so können Sie überprüfen, ob diese Sie im Rahmen des Einkommens, der zu berücksichtigenden Abzüge oder hinsichtlich der Verwertung von Vermögen günstiger stellen als das Unterhaltsrecht. Hat der Sozialhilfeträger Verwaltungsanweisungen zur Ausführung des SGB XII erlassen, ist er nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung grundsätzlich verpflichtet, diese auch für alle gleichgelagerten Fälle anzuwenden. Als Betroffener haben Sie ein Recht auf Kenntnis dieser Vorschriften.

Auf den Punkt gebracht

Beim Thema „Elternunterhalt“ treffen Regelungen des Sozial- und des zivilrechtlichen Unterhaltsrechts aufeinander. Die beteiligten Behörden sind überwiegend sozialrechtlich orientiert und wenden die Rechenweise des Sozialrechts an, obwohl die richtige Berechnung auf der Grundlage des BGB erfolgen sollte. Prüfen Sie daher, ob in Ihrem Fall das richtige Recht angewandt wurde.

Die Rechtswahrungsanzeige

Um berechnen zu können, ob und wie viel Unterhalt Sie zahlen müssen, fordert das Sozialamt Sie mit einem Schreiben, der Rechtswahrungsanzeige, auf, unter Verwendung eines beigefügten Formulars umfassend Auskunft über Ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse und die Ihres Ehe- bzw. eingetragenen Lebenspartners zu erteilen. Sie erhalten dieses Schreiben mit einer Postzustellungsurkunde, das heißt, es wird ein Nachweis erstellt, dass Sie den Brief mit allen Anlagen auch erhalten haben. Das Schreiben enthält meist