Claus Leitzmann
VEGANISMUS
Grundlagen, Vorteile, Risiken
Unter Mitarbeit von Markus Keller und Stine Weder
Verlag C.H.Beck
Die rein pflanzliche Ernährung findet zunehmend ein stärkeres öffentliches und ein beginnendes politisches Interesse. Einige Experten sind sogar davon überzeugt, dass der Veganismus bereits vor Ende dieses Jahrhunderts aus gesundheitlichen Gründen, gesellschaftlichen Überlegungen sowie aus ökologischen Erfordernissen und ethischen Anliegen die einzig vertretbare und daher dominierende Ernährung sein wird.
Der renommierte Ernährungswissenschaftler Claus Leitzmann stellt Entwicklung und Formen des Veganismus dar und untersucht die Motive von Veganern. Detailliert setzt er sich mit den dokumentierten Vorteilen und den potenziellen Risiken des Veganismus auseinander und liefert so allen, die mit dem Gedanken spielen, sich vegan zu ernähren, eine fundierte Basis für eine vernünftige Entscheidung über das zukünftige Ernährungsverhalten. Dabei berücksichtigt er auch den Einfluss veganer Ernährung auf ernährungsmitbedingte Erkrankungen. Abschließende Ausführungen gelten der praktischen Umsetzung einer veganen Ernährungsweise.
Prof. Dr. Claus Leitzmann ist Biochemiker und Ernährungswissenschaftler und leitete zuletzt das Institut für Ernährungswissenschaft der Universität Gießen. Seine langjährigen Tätigkeiten an Universitäten in den USA, Thailand und China sowie eine Vielzahl von Veröffentlichungen begründeten sein internationales Renommee. Leitzmann erhielt den Zabelpreis für Krebsprävention und den Preis der Broermann Stiftung für präventive Ernährung. Bei C.H.Beck sind von ihm lieferbar: Vegetarismus. Grundlage, Vorteile, Risiken (42012); Die 101 wichtigsten Fragen: Gesunde Ernährung (22013).
Vorwort
I. Einführung
II. Kennzeichen veganer Ernährungs- und Lebensweisen
1. Begriffe und Definitionen
2. Formen veganer Ernährung
3. Soziodemographische Merkmale
III. Motive von Veganern
1. Der ethisch-philosophische Hintergrund
2. Religion und Glaube
3. Gesundheitliche Motive
4. Soziale, ökologische und ökonomische Anliegen
IV. Historische Entwicklung des Veganismus
1. Anfänge
2. Das Zeitalter der Industrialisierung
3. Von 1933 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts
4. Gegenwart
V. Die Evolution der Ernährung des Menschen
1. Urzeit
2. Neolithische Revolution
3. Die Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion
4. Die artgerechte Ernährung des Menschen
VI. Ernährungsphysiologische Bewertung des Veganismus
1. Von der Risiko- zur Nutzenbewertung
2. Gesundheitsverhalten
3. Ermittlung der Nährstoffversorgung
4. Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr
5. Nahrungsenergie- und Nährstoffversorgung
5.1 Nahrungsenergieversorgung
5.2 Nährstoffversorgung
5.2.1 Proteine
5.2.2 Kohlenhydrate
5.2.3 Fette
5.2.4 Vitamine
5.2.5 Mineralstoffe (Mengen- und Spurenelemente)
Mengenelemente
Spurenelemente
5.3 Ballaststoffe
5.4 Bioaktive Substanzen
Sekundäre Pflanzenstoffe
Substanzen in fermentierten Lebensmitteln
6. Bioverfügbarkeit einzelner Nährstoffe
7. Fremdstoff- und Schadstoffbelastung
VII. Veganismus in verschiedenen Lebensphasen
1. Schwangerschaft und Stillzeit
Schwangerschaft
Vitamine
Mineralstoffe
Stillzeit
2. Säuglinge, Kinder und Jugendliche
3. Senioren
VIII. Der Einfluss veganer Ernährung auf ernährungsmitbedingte Erkrankungen
1. Übergewicht
2. Atherosklerose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen
3. Bluthochdruck
4. Diabetes mellitus
5. Osteoporose
6. Zahnkaries
7. Krebs
IX. Praktische Umsetzung einer veganen Ernährungsweise
1. Wissenschaftlich begründete Ernährungsempfehlungen für Veganer
2. Besondere Lebensmittel für Veganer
3. Praxis der veganen Ernährung
X. Risiken veganer Ernährung
XI. Schlussbemerkungen
Danksagung
Literaturverzeichnis
Die derzeitige Situation unseres Planeten und seiner Bewohner ist durch eine Reihe von Problemen gekennzeichnet, zu deren Lösung ein grundsätzliches Umdenken und Umlenken erforderlich ist. Ein maßgeblicher Teil dieser Probleme hängt mit unserer Ernährung zusammen. Neben der kritischen Gesundheitssituation in Wohlstandgesellschaften, dem Widerspruch von Nahrungsverschwendung einerseits und fast einer Milliarde Menschen, die Hunger leiden, andererseits, finden dramatische ökologische Veränderungen statt, wie Klimawandel, Regenwaldabholzung, Monokulturen und Massentierhaltung. Dadurch findet das Thema pflanzliche Ernährung zunehmend ein stärkeres öffentliches und ein beginnendes politisches Interesse. Bereits seit mehreren Jahrzehnten werden pflanzlich betonte Ernährungsformen nicht nur in wissenschaftlichen Fachgremien diskutiert, sondern auch in zunehmendem Maße in Form vegetarischer und veganer Ernährung praktiziert. In den letzten Jahren gibt es ein stetig wachsendes Interesse an der veganen Ernährung.
Die berechtigte Frage, ob eine vegane Ernährung mit Risiken verbunden ist, kann heute in differenzierter Weise anhand der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse beantwortet werden. Aufgrund fehlender Daten basierten früher die Antworten meistens auf Einzelfällen sowie auf einer Mischung aus Spekulationen, Vorurteilen und theoretischen Überlegungen.
Inzwischen gibt es vielfältige wissenschaftliche Daten, die belegen, dass bereits eine pflanzlich betonte, besonders aber eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise günstige Wirkungen auf die Gesundheit ausüben. Fundierte Aussagen auf Basis der wissenschaftlichen Fakten können bestehende Vorbehalte beseitigen. Die potentiellen Vorteile einer veganen Ernährung machen diese Kostform für immer mehr bewusst lebende Menschen zur Ernährungsweise ihrer Wahl. Die häufig auftretenden Lebensmittelskandale, die zu über 90 % mit Produkten vom Tier verbunden sind, beunruhigen die Menschen und tragen ebenfalls dazu bei, sich pflanzlich zu ernähren. Auch die Ratlosigkeit der modernen Medizin bei bestimmten Gesundheitsstörungen sowie der unbefriedigende Zustand unseres Gesundheitssystems begünstigen den Trend zum Veganismus.
Es liegen wenige Fachbücher, viele Ratgeber und eine inzwischen unüberschaubare Anzahl von Kochbüchern zum Veganismus vor. In dem vorliegenden Buch sollen unter anderem die teilweise widersprüchlichen Aussagen zum Veganismus geklärt werden. Die dokumentierten Vorteile und die potentiellen Risiken des Veganismus werden auf einer wissenschaftlichen Basis dargestellt, die eine fundierte Entscheidung für das zukünftige Ernährungsverhalten erlaubt.
Einige Experten sind davon überzeugt, dass der Veganismus bereits vor Ende dieses Jahrhunderts aus gesundheitlichen Gründen, gesellschaftlichen Überlegungen sowie aus ökologischen Erfordernissen und ethischen Anliegen die einzig vertretbare und daher dominierende Ernährung sein wird.
Im Text gelten viele Aussagen für Vegetarier und Veganer gleichermaßen. In manchen Fällen wird dafür zusammenfassend der Begriff «Pflanzenesser» und für deren Kost «pflanzliche Kost/pflanzliche Ernährung» verwendet.
Menschen, die Fleisch essen, werden als «Mischköstler» bezeichnet oder als Menschen die eine «konventionelle Kost» verzehren.
Der Begriff «vollwertig» steht im Sinne der Gießener Konzeption der Vollwert-Ernährung für eine zeitgemäße, abwechslungsreiche, nährstoffreiche, präventive, gesunderhaltende, regional, saisonal und kulturell orientierte, bezahlbare, umweltfreundliche und damit nachhaltige, zukunftsfähige Kost/Ernährung.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird für die Bezeichnung weiblicher und männlicher Formen nur die männliche Form verwendet, wobei selbstverständlich Männer und Frauen gleichermaßen einbezogen sind.
Den Begriff «Veganismus» gibt es erst seit 1944. Davor wurden Menschen, die sich rein pflanzlich ernährten, meist den Vegetariern zugeordnet. Besonders der Hinduismus und der Buddhismus lehnten den Verzehr von Produkten getöteter Tiere ab. Die entscheidenden Beweggründe waren das Prinzip, anderen Lebewesen keinen Schaden zuzufügen, sowie der Glaube an die Seelenwanderung und/oder eine Wiedergeburt.
Der Veganismus ist ein Lebensstilkonzept, das mehr als die Auswahl und Zubereitung von Lebensmitteln umfasst. So werden in der Regel alle Produkte gemieden, für die Tiere herangezogen oder gar getötet werden, wie Leder, Wolle oder Daunen. Veganismus befasst sich darüber hinaus mit weiteren Aspekten wie körperliche Aktivität, Umgang mit Suchtgiften, die Welternährungslage, Umweltanliegen und vor allem Tierrechten. Früher wurden Vegetarier und besonders Veganer nicht nur belächelt, sondern verspottet. Sie galten als kränkliche, schwache, mangelernährte und irregeleitete Sektierer, die sich aus scheinbar sentimentaler Tierliebe heraus den Zwang auferlegen, auf tierische Produkte zu verzichten. Kurz, sie erweckten Misstrauen. Eine Ernährung ohne tierisches Protein wurde gerade von der Wissenschaft als undurchführbar erachtet.
In der Blüte der Vollwert-Ernährung in den 1980er und 1990er Jahren hat sich in Deutschland der Fleischkonsum um etwa 10 % reduziert und ist bis heute relativ konstant bei etwa 60 kg pro Person und Jahr geblieben. Insbesondere der jüngere, überwiegend weibliche Anteil der Bevölkerung trägt zur weiter steigenden Verbreitung der pflanzlichen Lebensweise bei. Immer mehr Prominente aus Sport, Kunst, der Unterhaltungsindustrie und Politik praktizieren eine vegane Lebensweise.
In der Bevölkerung gab und gibt es immer noch die Befürchtung, dass der Veganismus zu einer Unterversorgung mit verschiedenen Nährstoffen führt. Dieser Glaube speist sich aus verschiedenen Quellen, nicht zuletzt aus Verlautbarungen der Wissenschaft, die eine Ernährung ohne tierische Lebensmittel als Lieferanten von beispielsweise Protein, Eisen und Vitamin B12 als Mangelernährung erachten.
In der Vergangenheit beruhten diese Aussagen nur teilweise auf Daten aus wissenschaftlichen Studien, oft hingegen auf Vermutungen, Vorurteilen oder Einzelfällen. Den wenigen Wissenschaftlern, die sich für eine pflanzliche Ernährung aussprachen, wurde Unwissenschaftlichkeit und Dogmatismus oder eine fehlgeleitete Weltanschauung nachgesagt. Außerdem wurde diesen eher störenden Querdenkern unterstellt, dass sie mit ihren Ansichten und Überzeugungen zur Verunsicherung der Bevölkerung beitragen. Tatsächlich zeigten die wenigen existierenden Studien zum Veganismus aber nur, dass schwere Mangelerscheinungen, insbesondere aufgrund von Vitamin-B12-Mangel, lediglich in Ausnahmefällen oder bei extremer und einseitiger veganer Ernährung auftraten.
Inzwischen hat sich auch hier das Bild stark verändert. Zunehmend wuchs das Interesse der Wissenschaftler an dieser in westlichen Ländern ungewöhnlichen Ernährungsweise. Die zunehmende Zahl an Untersuchungen mit Veganern lieferte dann den wissenschaftlichen Beweis dafür, dass sich in fast allen Fällen das Gegenteil dessen zeigte, was zunächst vermutet oder auch befürchtet wurde.
Die Wissenschaft konnte in einer Reihe von teilweise groß angelegten Studien überzeugend nachweisen, dass eine gut zusammengestellte vegane Ernährung – zumindest bei Erwachsenen – eine bedarfsdeckende bis optimale Versorgung mit allen Nährstoffen sichern kann. Eine Ausnahme bildet Vitamin B12, das in Form angereicherter Lebensmittel, als Supplement oder als Vitamin-B12-haltige Zahnpasta zugeführt werden muss.
Der am häufigsten genannte Grund, keine von Tieren stammenden Produkte zu verzehren, hat sich in den letzten Jahren geändert. Früher waren es eher gesundheitliche Beweggründe, heute sind es ethische Anliegen, die bei der Entscheidung für Veganismus im Vordergrund stehen. Wer konsequent über die Zusammenhänge unserer Lebensgrundlagen nachdenkt, kommt häufig zu dem Ergebnis, dass aus ethischen Gründen der Veganismus die einzig verantwortbare Ernährungsweise ist.
Aus gesundheitspolitischer Sicht bleibt der wichtigste Faktor bei veganer Kost das präventive Potential gegenüber Krankheiten. So wird auch von der etablierten Medizin inzwischen erkannt, das eine pflanzliche Ernährung in erheblichem Maße dazu beitragen kann, ernährungsmitbedingten Erkrankungen wie Übergewicht, Diabetes mellitus Typ 2, Fettstoffwechselstörungen, Atherosklerose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck und einzelne Krebskrankheiten vorzubeugen. Diese Erkenntnisse haben dazu geführt, dass inzwischen von einigen Medizinern und Krankenkassen aus gesundheitsprophylaktischen Gründen eine vegane Ernährung ausdrücklich empfohlen wird. Auch in therapeutischer Sicht zeigen Studien Erfolge durch eine pflanzliche Ernährung, etwa bei Übergewicht, Diabetes mellitus Typ 2, Fettstoffwechselstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Die besorgniserregende Zunahme vieler Zivilisationskrankheiten belastet nicht nur den einzelnen Menschen und seine Angehörigen, sondern unser gesamtes Gesundheitssystem in erheblichem Ausmaß. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen haben die Zusammenhänge zwischen diesen Erkrankungen und der Lebensweise des bewegungsarmen Wohlstandsbürgers weltweit aufgezeigt. Dabei spielt die Ernährung eine entscheidende Rolle, denn die Behandlung ernährungsmitbedingter Krankheiten erfordert in Deutschland mit etwa 80 Milliarden Euro fast ein Drittel des gesamten Gesundheitsbudgets. Hier könnte durch eine vegane Ernährungsweise deutlich mehr als die Hälfte dieser Ausgaben eingespart werden.
Es bedarf keiner weiteren Ursachenforschung, um unsere derzeitigen Erkenntnisse gezielt umzusetzen. Durch Prävention lassen sich gesundheitliche Schädigungen verhindern oder verzögern sowie das Risiko des Auftretens einer Krankheit vermindern. Prävention leistet einen entscheidenden Beitrag zur Senkung von Krankheitshäufigkeit, Behinderungen und vorzeitigem Tod.
Die von vielen Experten und Organisationen geführte gesellschaftliche Diskussion über einen nachhaltigen oder zukunftsfähigen Umgang mit unseren Ressourcen und der bereits in Mitleidenschaft gezogenen Umwelt findet inzwischen weltweit statt. Es sind besonders die wohlhabenden Menschen, die ihren Lebensstil ändern müssen, bevor durch ein zu spätes Handeln wesentlich schmerzhaftere Kurskorrekturen erforderlich werden. Die konstant bleibende Anzahl an Hungernden, die allgemeinen Umweltbelastungen, die von Menschen verursachten Klimaveränderungen und die ernsthaften Auseinandersetzungen um die Ressourcen der Erde, inklusive Lebensmittel und Wasser, sind die eigentlich drängenden Herausforderungen der Menschheit.
So ist immer deutlicher zu erkennen, dass die Situation vieler Menschen in materiell armen Ländern, die zu mittellos sind, um sich die vorhandenen Lebensmittel zu kaufen, auch mit unserem Lebensstil und besonders mit unserer Ernährungsweise sowie den derzeitigen Bedingungen der Weltwirtschaft zusammenhängt. Unsere Nutztiere werden mit Ackerfrüchten aus diesen Ländern gefüttert, die den Menschen dort als Grundnahrungsmittel dienen könnten, etwa Sojabohnen, Getreide oder Hülsenfrüchte. Veganer sind an diesen unverantwortlichen Praktiken kaum beteiligt.
Die Umweltbelastungen der Landwirtschaft stammen überwiegend aus der Tierproduktion. Neben dem Einsatz von Tierarzneimitteln, die teilweise in die Umwelt gelangen, führt die Entsorgung der Tierexkremente zu erheblichen Belastungen des Grundwassers. Der Ausstoß von Klimagasen aufgrund von Tierhaltung, vor allem von Methan durch Wiederkäuer sowie von Lachgas, trägt weltweit mehr zur Schädigung des Klimas bei als der gesamte Verkehrssektor.
Das Potential der Erde ist mehr als ausreichend, um alle Menschen derzeit und in Zukunft bedarfsgerecht zu ernähren. Durch den Anbau von Futtermitteln wird etwa ein Drittel der Weltackerfläche in Anspruch genommen. Diese Fläche könnte für den Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln für den Menschen genutzt werden und einen entscheidenden Beitrag zur weltweiten Nahrungssicherheit leisten.
Der Einsatz von Ressourcen wie Energie für die Produktion und Verarbeitung tierischer Nahrungsmittel liegt um ein Vielfaches höher als für pflanzliche Lebensmittel. Gleiches gilt für den Wasserbedarf. Schon heute gibt es ernste Auseinandersetzungen bei den Nutzungsrechten der vorhandenen Wasservorräte. Zukunftsforscher sehen in diesen Entwicklungen eine wachsende Ursache für Bürgerkriege und militärische Konflikte, die wiederum zu noch größeren Flüchtlingsbewegungen führen.
Durch eine vegane Ernährung können diese gravierenden Probleme zumindest teilweise deutlich entschärft werden. Studien belegen mit überzeugenden Daten, dass sich in allen Problembereichen Verbesserungen durch einen veganen Lebensstil erreichen lassen.
Der Veganismus ist für viele Mischköstler oftmals nicht klar abgrenzbar vom Vegetarismus und nur teilweise in allen seinen Ausprägungen bekannt. Auch Anhänger des Veganismus haben unterschiedliche Auffassungen, was die konkrete Ausgestaltung ihrer Ernährungsweise betrifft. Nicht jeder, der sich als Veganer bezeichnet, ist dies auch aus naturwissenschaftlicher oder philosophischer Sicht.
Um die Entstehung des Begriffs «vegan» zu erklären, muss zunächst der Ursprung der Bezeichnung «vegetarisch» beschrieben werden. Der Ausdruck «Vegetarismus» taucht erstmals etwa um 1850 im Sprachgebrauch auf, obwohl vegetarische Gemeinschaften bereits in der Antike existierten.
Mehrheitlich wird angenommen, dass der Begriff «Vegetarier» vom lateinischen vegetare (= beleben) bzw. vegetus (= frisch, lebendig, belebt) abgeleitet wurde. Somit kennzeichnet den Vegetarismus im ursprünglichen Sinne eine lebendige und belebende Ernährungs- und Lebensweise, in der neben pflanzlichen Lebensmitteln nur solche Produkte verzehrt werden, die vom lebenden Tier stammen, wie Eier, Milch und Honig. In diesem Sinne verstand der Philosoph Pythagoras (Griechenland, 570–510 v. Chr.), der Begründer des ethischen Vegetarismus, die fleischlose Kostform.
Als weiteren Ursprung von «Vegetarier» wird auch das englische Wort «vegetable» (= pflanzlich, Gemüse) genannt, doch dieses lässt sich ebenfalls auf das lateinische Wort vegetare zurückführen. Seit etwa 1880 setzte sich der Begriff «Vegetarismus» auch im deutschen Sprachraum als Bezeichnung für die fleischlose Kostform durch.
Der Begriff «vegan» entstand im Jahre 1944. Der «milchfreie Vegetarier» Donald Watson (Großbritannien, 1910–2005) organisierte ein Treffen mit fünf Gleichgesinnten in London. Er schlug den Ausdruck «vegan» vor, eine Zusammenziehung aus der Bezeichnung «vegetarian». Zusammen mit Elsie Shrigley (1899–1978) gründete Donald Watson im selben Jahr in seiner Heimatstadt Leicester die Vegan Society und veröffentlichte erstmals die Quartalszeitschrift The Vegan News.
Der Veganismus ist prinzipiell eine homogene Ernährungsweise, aber es gibt Abweichungen. Diese zeigen sich vornehmlich in der Auswahl und Zubereitung der Lebensmittel sowie in den zugrunde liegenden Motiven. So werden einige der alternativen Ernährungsweisen (z.B. die Ernährung im Ayurveda und in der Traditionellen Chinesischen Medizin, die Mazdaznan-Ernährung) ebenfalls als vegane oder fast vegane Varianten praktiziert, auch wenn diese sich aus ihrem Selbstverständnis heraus nicht dem Veganismus zuordnen.
Konsequente Veganer, die auch als strenge, strikte oder traditionelle Veganer bezeichnet werden, praktizieren die definitionsgemäße Umsetzung der veganen Lebensweise. Dabei wird ausschließlich pflanzliche Nahrung verzehrt, sämtliche Nahrungsmittel tierischer Herkunft werden hingegen gemieden. Außerdem verwenden konsequente Veganer keine von Tieren stammenden Produkte sowie keine Erzeugnisse, die tierische Produkte enthalten oder bei ihrer Herstellung damit in Kontakt kamen. Die Liste der betroffenen Artikel ist lang, trotzdem aber nicht vollständig (Tab. 1).
Tabelle 1: Produkte und Erzeugnisse von Tieren, die von konsequenten Veganern nicht verwendet werden (Auszug)
Honig Bienenwachs Felle Leder Hornprodukte Wolle Federn Daunen Perlen Perlmutt Seide Seidenextrakt (in Kosmetika aller Art) |
Gelatine Kollagen L-Cystein Aromen Farbstoff E120 Chitin (zur Herstellung von Glucosamin) Vitamin D |
Des Weiteren sind viele der konsequenten Veganer gegen Handlungen und Einrichtungen, die in ihren Augen die Ausbeutung oder gar den Missbrauch von Tieren bedeuten, in allen entsprechenden Handlungen und Einrichtungen (Tab. 2).
Tabelle 2: Handlungen und Einrichtungen, die konsequente Veganer als Ausbeutung von Tieren einordnen und deshalb ablehnen
Tierversuche aller Art Jagd Haltung von Nutztieren Tiere im Zirkus Pferdesport Hunderennen |
Hahnenkämpfe Zoos Vivarien Delphinarien Aquarien |
Schließlich setzen sich viele konsequente Veganer, wie andere vernünftige Menschen auch, für verschiedene globale Anliegen und Erfordernisse ein, die direkt mit dem Ernährungssystem verbunden sind. Diese Anliegen betrachten Veganer als globale gesellschaftliche Verantwortung aller Menschen (Tab. 3).
Tabelle 3: Globale gesellschaftliche Anliegen, für die sich konsequente Veganer einsetzen
Gesundheit fördern Tierrechte umsetzen Massentierhaltung abschaffen Ökologische Landwirtschaft fördern Regionale und saisonale Erzeugnisse Welthungerproblem lösen |
Fairen Handel praktizieren Importe von Futtermitteln begrenzen Agrarsubventionen abschaffen Rodung von Regenwäldern beenden Umweltschutz praktizieren Wasser sparen Natürliche Ressourcen schonen |
Im wirklichen Leben gibt es Menschen, die sich als Veganer bezeichnen, aber vom typischen konsequenten Veganismus teilweise deutlich abweichen. Einige praktizierte Varianten sind durchaus konsequent vegan, aber nicht vollwertig, andere beziehen bestimmte tierische Produkte mit ein. Im Folgenden werden die wichtigsten Ausprägungen des Veganismus kurz dargestellt. Einige der manchmal auch als Veganer bezeichneten Gruppen wie LOHAS (Lifestyles of Health and Sustainability) und Clean Eaters sind bestenfalls Teilzeit-Veganer und daher eigentlich Flexitarier.
Pudding-Veganer ernähren sich wie konsequente Veganer, aber überwiegend von stark verarbeiteten pflanzlichen Lebensmitteln. Durch die Verarbeitung der Lebensmittel wird eine hohe Nahrungsenergiedichte erreicht, die für bewegungsarme und zum Übergewicht neigende Wohlstandsbürger eher unerwünscht ist. Diese Lebensmittelauswahl erfüllt nicht den Anspruch einer abwechslungsreichen, nährstoffreichen und gesunderhaltenden, das heißt vollwertigen Ernährung. Der Anteil an Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen und sekundären Pflanzenstoffen ist durch die Verarbeitung reduziert. Besonders die Pudding-Veganer haben der veganen Ernährung einen schlechten Ruf eingebracht, denn die unzureichende Zufuhr von lebenswichtigen Nährstoffen hat langfristig latente Nährstoffmängel zur Folge.
Fruganer, die auch als Frutarier oder Fruitarier bezeichnet werden, sind konsequente Veganer, die ihre Nahrungsauswahl bewusst einschränken. Sie essen nur das, was die Natur zum Verzehr vorgesehen hat bzw. was ohne Beschädigung der Pflanzen geerntet werden kann. Dazu zählen primär Obst, Beeren, Nüsse, Samen und Saaten, aber auch bestimmte Gemüse, Hülsenfrüchte, Blätter und Blüten. Gemieden werden Früchte, die bei der Ernte zerstört werden können, wie Kartoffeln, Möhren, Schwarzwurzeln, Rote Bete und Steckrüben.
Roh-Veganer sind ebenfalls konsequente Veganer, die ausschließlich unerhitzte pflanzliche Lebensmittel verzehren. Teilweise werden auch Lebensmittel einbezogen, die verfahrensbedingt erhöhten Temperaturen ausgesetzt sind (z.B. kaltgepresste Öle), ebenso Lebensmittel, bei deren Herstellung eine gewisse Hitzezufuhr erforderlich ist (z.B. Trockenfrüchte und bestimmte Nussarten). Außerdem können essig- und milchsaure Gemüse Bestandteil der Kost sein. Die Roh-Veganer werden unterteilt in solche, die den Verzehr von Getreide entweder zulassen oder meiden.
Roh-Veganer sind Teil der größeren Gruppe der Rohköstler, die überwiegend Lebensmittel pflanzlicher Herkunft essen, aber auch rohes Fleisch, rohen Fisch, rohe Milch und teilweise auch rohe Insekten in den Speiseplan mit einbeziehen. Die meisten Formen der Rohkost wurden von Personen eingeführt, die sich durch ihre Rohkost von einer Krankheit selbst heilen konnten, aber nur in Ausnahmefällen Mediziner waren. Von den vielen veganen Varianten sind heute nur noch einige bekannt (Tab. 4).