Lukas Haffert
Stadt, Land, Frust
Eine politische Vermessung
C.H.Beck
1: Stadt, Land, Frust?
Drei Grundannahmen
Was sind «Stadt» und Land»?
Fahrplan
2: Von Trump bis Macron: Ein Konflikt kehrt zurück
Konjunkturen des Stadt-Land-Konflikts
Konflikte an der Wahlurne
Konflikte in der Gesellschaft
Komposition oder Kontext?
3: Polarisierung: Die politische Geografie der Bundestagswahl
Stadt-Land-Konflikte im Parteiensystem
Ist der Aufstieg der AfD ein ländliches Phänomen?
Der Aufstieg der Grünen als städtisches Phänomen
Stadt-Land-Konflikte und die Zukunft der Union
Eine Rückkehr, auch in Deutschland
4: Städte von heute: Wissensökonomie und kreative Klasse
Der Wandel zur postindustriellen Ökonomie
Kulturelle Quellen des Gegensatzes
5: Mobilisierungspotentiale: Wir und die Anderen
Stadt und Land als Identitätsquellen
Eine Markierung der Anderen
6: Berlin: Metropole und Metropolenkritik
Berlinkritik in Kaiserreich und Weimarer Republik
Berlinkritik heute
Berlins Wiederaufstieg zur Metropole
Politik
Medien
Kultur
Das fehlende Puzzlestück: die Wirtschaft
Berlin-Bilder in der Bevölkerung
7: Repräsentationsfragen: Wer in Berlin gehört wird
Repräsentationsfragen
Wie repräsentativ ist der Bundestag?
Politik in Berlin
8: Eine Normalisierung?
Danksagung
Tabellenanhang
Anmerkungen
Stadt, Land, Frust?
Von Trump bis Macron: Ein Konflikt kehrt zurück
Polarisierung: Die politische Geografie der Bundestagswahl
Städte von heute: Wissensökonomie und kreative Klasse
Mobilisierungspotentiale: Wir und die Anderen
Berlin: Metropole und Metropolenkritik
Repräsentationsfragen: Wer in Berlin gehört wird
Eine Normalisierung?
Register
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Die Rache der Dörfer.[1] Die ländliche Revolte.[2] Der Aufstand der Orte, die nicht zählen.[3] Die Rebellion der Abgehängten und Zurückgelassenen, der Globalisierungsverlierer, die sich fremd im eigenen Land fühlen. So oder so ähnlich lauten die Formeln, mit denen versucht wird, den gemeinsamen Kern verschiedener politischer Schocks der letzten Jahre zu beschreiben: von der Wahl Donald Trumps über den Brexit bis zu den Gelbwesten-Protesten in Frankreich. Der Angriff auf die liberale Demokratie scheint vor allem in ländlichen Regionen geführt zu werden, in Orten fern der Metropolen, in denen früher kleine Fabriken[4], der Bergbau[5] oder die Forstwirtschaft[6] für bescheidenen Wohlstand und sichere Jobs gesorgt hatten und die nun, nach dem Niedergang dieser Industrien, im postindustriellen Ressentiment versinken.
Eine wachsende Zahl sozialwissenschaftlicher Studien hat in den letzten Jahren begonnen, diese «Geografie der Unzufriedenheit»[7] zu vermessen. Der Gegensatz zwischen «urbanen Eliten» und abgehängten Dörfern ist inzwischen schon fast zum Klischee geworden, so oft wurde er in Reportagen beschrieben und in Leitartikeln analysiert. Wer sind diese wütenden Menschen auf dem Land, warum haben sie Trump, Le Pen oder Orbán gewählt – und was kann man tun, damit sie in Zukunft wieder damit aufhören? Verlangen diese Unzufriedenen vor allem wirtschaftliche Unterstützung, also schnelles Internet, eine bessere Infrastruktur und die Verlagerung von Arbeitsplätzen in die ländliche Peripherie? Oder geht es ihnen primär um symbolische Anerkennung, also um mehr Sendeminuten in den Abendnachrichten und häufigere Besuche des Ministerpräsidenten?
In Deutschland schien diese Meistererzählung allerdings lange nicht recht zu passen. Der Graben, der die Bundesrepublik politisch spaltet, scheint nicht zwischen Stadt und Land, sondern zwischen Ost und West zu verlaufen. Wer den Aufstieg der AfD erklären will, muss demzufolge vor allem die Kränkungen der Ostdeutschen verstehen. Dabei spielen Stadt-Land-Konflikte zwar eine Rolle, stehen aber keineswegs an erster Stelle.
Das gilt erst recht für den Westen, wo die AfD im Ruhrgebiet und in mittelgroßen Städten Süddeutschlands oft sehr viel besser abschneidet als in den ländlichen Räumen Niedersachsens oder Schleswig-Holsteins.[8] Wer wollte prosperierende ländliche Räume wie das Emsland, Niederbayern oder die schwäbische Alb als abgehängte Regionen bezeichnen, wenn gleichzeitig Westdeutschlands größter Ballungsraum auch sein größtes ökonomisches Sorgenkind ist? Natürlich gibt es in (West-)Deutschland boomende Metropolen, und auch im Westen gibt es kriselnde ländliche Räume – die Eifel, das Wendland, die Oberpfalz. Aber die deutsche Wirtschaftsstruktur ist viel dezentraler, viel heterogener als die französische oder britische.
Und dennoch: Auch in Deutschland häufen sich die Anzeichen für die Intensivierung eines Stadt-Land-Konflikts. So gehört es in Teilen des politischen Spektrums mittlerweile zum guten Ton, über die «urbanen Eliten» zu schimpfen, die in der «Berliner Blase» längst vom Latte Macchiato zum Flat White übergegangen sind, den sie dann auch noch auf Englisch bestellen. Über abgehobene großstädtische Kosmopoliten, deren Luxusprobleme für «die Menschen da draußen» wenig bis keine Relevanz haben. «Das ist hier nicht Berlin-Kreuzberg», erklärte Friedrich Merz seinem Publikum im thüringischen Apolda, «das ist mitten in Deutschland» – und klang damit tatsächlich ein wenig wie der deutsche Donald Trump, als der er gerne karikiert wurde.[9] Das Schreckensszenario, mit dem Jens Spahn 2021 in den Wahlkampfendspurt zog, lautete, eine SPD-geführte Regierung werde aus Deutschland «ein großes Berlin-Mitte machen»[10].
Natürlich, politische Rhetorik muss zuspitzen und vereinfachen. Doch es gibt auch handfestere Indizien für die wachsende Bedeutung des Stadt-Land-Konflikts als bloße Bierzeltparolen. So stehen hinter der kuriosen Wahlkampfdebatte über das Lastenfahrrad ja durchaus relevante Interessengegensätze in der Verkehrspolitik.[11] Auch in der Energiewende kollidieren die Interessen von Stadt und Land, beispielsweise beim Ausbau der Windenergie.[12] Sogar in der Pandemie wurden Stadt-Land-Unterschiede sichtbar. So ist die Impfskepsis in Deutschland, wie in vielen europäischen Ländern, auf dem Land deutlich höher.[13]
Am deutlichsten zeigt sich die wachsende politische Kluft aber in den Wahlergebnissen: Bei der Bundestagswahl 2021 war die Stadt-Land-Polarisierung so groß wie bei keiner Wahl zuvor. So verlor die AfD in Hamburg, München oder Köln mehr als ein Drittel ihrer Stimmen, während ihr Ergebnis in ländlichen Regionen relativ stabil blieb. Die Union, schon immer primär eine Partei der ländlichen Räume, kämpft in vielen Städten um ihre Existenz als Volkspartei. Vor allem aber ist der Aufstieg der Grünen primär ein großstädtisches und dort ein innenstädtisches Phänomen. So kamen sie bei der Bundestagswahl im ländlichen Erzgebirgskreis auf ganze 3,3 % der Zweitstimmen, während sie in großstädtischen Wahlkreisen oft um die 30 % der Stimmen erzielten. Wenn politische Polarisierung in Deutschland heute nicht mehr primär eine Polarisierung zwischen «Roten» und «Schwarzen» ist, sondern eine sehr viel schärfere Polarisierung zwischen AfD und Grünen, geht es also immer auch um Stadt und Land.
Warum kehrt dieser Konflikt gerade jetzt mit solcher Macht auf die politische Bühne zurück? Ökonomische und kulturelle Unterschiede zwischen Stadt und Land gab es schließlich immer – und Großstädter und Dorfbewohner haben auch schon immer unterschiedlich gewählt. Aber erst seit wenigen Jahren spitzt sich dieser Gegensatz auf eine Polarisierung zwischen Rechtspopulisten und Grünen zu, bei der es mindestens so sehr um Lebensstilfragen zu gehen scheint wie um handfeste materielle Interessen. Und erst heute wird dieser Konflikt symbolisch so stark zugespitzt wie in den zitierten Attacken auf Berlin. Woher kommt diese symbolische Aufladung, und warum macht sie sich so sehr an Berlin fest?
Dieses Buch versucht, eine Antwort auf diese Fragen zu geben. Dabei stützt es sich auf eine rasch wachsende Zahl sozialwissenschaftlicher Untersuchungen, die sich mit den ökonomischen und kulturellen Ursachen und den politischen Folgen der Stadt-Land-Spaltung beschäftigen. In den meisten dieser Analysen ist die Betrachtung von Stadt-Land-Konflikten allerdings nur ein Mittel zum Zweck. Ihr eigentliches Ziel besteht darin, den Aufstieg des Rechtspopulismus zu verstehen. Und das Interesse ist ja auch berechtigt: Ohne die Wähler in ländlichen Regionen wäre Trump nie Präsident geworden und Großbritannien noch Mitglied der EU.
Dieser Fokus auf den Rechtspopulismus sorgt aber dafür, dass Analysen eines sich vertiefenden Grabens zwischen Stadt und Land eine ganz bestimmte Perspektive einnehmen. Sie konzentrieren sich ganz überwiegend auf die ländliche Seite dieses Grabens, die, so der Ethnologe Wolfgang Kaschuba, ihr Veto gegen städtische Modernitätsvorstellungen einlege, indem sie Rechtspopulisten wähle.[14] Dagegen erscheinen die Städte als eine Art Standard- oder Normalfall, der keiner vertieften Analyse bedarf, was damit zu tun haben mag, dass die meisten Beobachter dieser Konflikte, ob Journalisten oder Wissenschaftler, selbst in Städten zuhause sind.
Vor diesem Hintergrund lädt gerade der deutsche Fall dazu ein, die Frage nach Stadt und Land noch einmal anders zu stellen und beide Seiten gleichermaßen in den Blick zu nehmen. Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist nur eines von mehreren Phänomenen, die gewinnbringend aus der Stadt-Land-Perspektive analysiert werden können. Die Wette, die dieses Buch eingeht, lautet deshalb, dass die Orte, die vorauseilen, ebenso zum Verständnis heutiger Polarisierung beitragen wie die Orte, die zurückbleiben.
Tatsächlich sind die Theorien, mit denen die politische Wiederkehr des Stadt-Land-Gegensatzes erklärt wird, ja ganz wesentlich Theorien über städtische Prozesse. Das gilt für die These von der Transformation zur «Wissensökonomie», in der der Austausch von Ideen zur zentralen Wachstumsquelle werde, wie für die Diagnose der Entstehung einer neuen akademischen Mittelschicht, die einem kosmopolitischen Lebensstil zur gesellschaftlichen Dominanz verhelfe.
In den Analysen des Rechtspopulismus erscheinen dessen Erfolge auf dem Land deshalb als «Backlash», der sich aus dem Frust über diese Prozesse speise. Das ist sicher nicht falsch, und auch das vorliegende Buch wird diese Perspektive einnehmen. Aber dadurch erübrigt sich nicht die Frage, welche politischen Reaktionen diese sozialstrukturellen Veränderungsprozesse in den Städten selbst auslösen. So wie zur Analyse des Globalisierungs-Backlashs die Analyse der Globalisierung gehört, gehört zur Analyse des Metropolen-Backlashs eine Analyse der Metropolen.
Wenn dieses Buch im Folgenden untersucht, warum der Gegensatz zwischen Stadt und Land im Begriff ist, eine der prägenden politischen Konfliktlinien unserer Zeit zu werden, dann wird es deshalb Stadt und Land gleichermaßen in den Blick nehmen. Es lassen sich ganz unterschiedliche politische Prozesse und Ereignisse besser verstehen, wenn man sie durch die Brille dieses Konflikts betrachtet. Das gilt für Wahlergebnisse, vor allem die der AfD und der Grünen, aber auch für die Fragmentierung des Parteiensystems insgesamt. Es gilt für die Qualität der demokratischen Repräsentation und die Frage, wer mit seinen Anliegen im politischen System Gehör findet. Und es gilt für Strategien der politischen Mobilisierung und deren mediale Resonanz.
Drei Grundannahmen prägen den analytischen Zugriff des Buches. Die erste Annahme lautet, dass die Rückkehr des Konflikts zwischen Stadt und Land Ausdruck einer grundlegenden Verschiebung des politischen Koordinatensystems in Deutschland und praktisch allen westlichen Demokratien ist. In all diesen Ländern ist der klassische ökonomische Konflikt zwischen Links und Rechts, der das Parteiensystem der Nachkriegszeit strukturiert hatte, in doppelter Hinsicht unter Druck geraten.
Zum einen verläuft dieser Konflikt zunehmend nicht mehr zwischen «Arbeit» und «Kapital», sondern zwischen Gewinnern und Verlierern ökonomischer Modernisierungsprozesse, die mit Globalisierung, technischem Wandel und der Entstehung einer Wissensökonomie zu tun haben.[15]
Zum anderen wird die Bedeutung des ökonomischen Konflikts zunehmend von einem kulturellen Konflikt zwischen liberalen und autoritären Wertvorstellungen überlagert.[16] Dabei gibt es eine starke geografische Korrelation zwischen beiden Phänomenen: Die Gewinner der globalisierten Wissensökonomie leben mehrheitlich dort, wo auch die Befürworter einer nach innen und außen möglichst offenen Gesellschaft leben: in großen Wirtschaftsmetropolen wie Hamburg und München ebenso wie in meist kleineren Universitätsstädten wie Münster, Heidelberg oder Freiburg. Umgekehrt leben die Verlierer des wirtschaftlichen Wandels oft dort, wo viele Menschen an Traditionen und Grenzen festhalten wollen: in ländlichen Regionen wie der Lausitz, der Pfalz oder dem Harz.
Eine Analyse der heutigen Politik, die den Stadt-Land-Gegensatz in den Mittelpunkt stellt, macht sich also zunutze, dass Stadt und Land die Pole sowohl der ökonomischen als auch der kulturellen Achse markieren. Damit vermeidet man müßige Debatten darüber, welche der Spaltungen die wichtigere, ob also etwa der Aufstieg populistischer Parteien primär als ökonomisches oder als kulturelles Phänomen zu deuten sei.[17]
Natürlich reihen sich nicht alle deutschen Kreise oder Gemeinden einfach auf einer Skala von Metropole zu Provinz auf. So haben sich viele alte Industriestädte zu Universitätsstandorten mit starken linksliberalen Milieus gewandelt, ohne dass sie den Strukturwandel zu einer wissensbasierten Ökonomie schon gemeistert hätten. Und zugleich gehören zum deutschen Wirtschaftsmodell ganz maßgeblich die sogenannten «Hidden Champions», die für eine enorme wirtschaftliche Prosperität relativ peripherer Regionen verantwortlich sind, ohne dass damit gleichzeitig die Durchsetzung postmaterieller Werte und Lebensstile verbunden wäre. In dieser Vielfalt liegt aber der besondere Reiz des Projekts, die gegenwärtigen politischen Konflikte in Deutschland durch die Brille des Stadt-Land-Gegensatzes zu betrachten: Gerade weil er in Deutschland komplexer ist als in den USA oder in Großbritannien, ist er hier auch interessanter.
Die zweite Grundannahme lautet, dass Wählerinnen und Wähler eine komplexe politische Welt nicht als reine Individuen navigieren, sondern sich an Gruppen orientieren, denen sie angehören und die sie als relevant wahrnehmen. Die Fragen, ob man wählen geht, welche Partei man wählt und welche Themen bei der Wahlentscheidung im Vordergrund stehen, beantworten die wenigsten Menschen völlig unabhängig und für sich. Die meisten orientieren sich dabei an ihrem Umfeld und den Gruppen, die für sie wichtig sind. Deshalb ist Politik wesentlich ein Konflikt zwischen Gruppen: den Gruppen, denen man sich zugehörig fühlt, und den Gruppen der anderen.
Damit Gegensätze politisch wirksam werden, müssen sie also nicht bloß eine statistisch korrekte Beschreibung der Gesellschaft darstellen. Sie müssen auch als Gegensatz empfunden werden, der eine wichtige Alltagserfahrung vieler Menschen beschreibt. Soziostrukturelle Unterschiede werden deshalb vor allem dann politisch handlungsleitend, wenn Menschen sie als Teil ihrer sozialen Identität begreifen.[18] Erst wer sich als Angehöriger einer «Schicksalsgemeinschaft» begreift, wird auch im Sinne dieser Gemeinschaft politisch aktiv, möglicherweise sogar dann, wenn er oder sie von einer konkreten politischen Debatte gar nicht unmittelbar persönlich betroffen ist.[19]
Zu den bedeutendsten politischen Schicksalsgemeinschaften zählen seit jeher das eigene Dorf, die eigene Stadt oder Region, gerade in einem historisch so fragmentierten Land wie Deutschland. Wie die politische Karriere des Heimatbegriffs nahelegt, werden diese Identitätsquellen sogar wichtiger, in dem Maße, in dem andere Quellen von Identität wie Religion oder Klasse an Bedeutung verlieren.[20] Scheinbar triviale Identitätsanker wie lokale Traditionen, Sehenswürdigkeiten, Getränke oder Fußballvereine werden politisch wirksam, wenn sie dazu beitragen, dass auch Menschen, die mit dem Bergbau nichts zu tun haben, gegen die Schließung eines Bergwerks auf die Straße gehen: Erst stirbt die Zeche, dann stirbt die Stadt.
Wenn abgehängte Regionen für rechtspopulistische Parteien stimmen, tun sie das also nicht allein deshalb, weil in ihnen besonders viele abgehängte Individuen leben. Stattdessen empören lokale Abstiegserfahrungen auch diejenigen, die selbst gar nicht abgehängt sind. Der Ort, an dem Menschen leben und arbeiten, beeinflusst zudem nicht nur ihren Standpunkt zu konkreten politischen Fragen, sondern auch, welche Fragen sie überhaupt als wichtig wahrnehmen. Wer in einer wachsenden Stadt lebt, wird das Thema «Mieten» naturgemäß als dringlicher empfinden als jemand, der auf dem Land lebt – auch wenn beide Personen in einem abgezahlten Reihenhaus leben.
Natürlich darf man die Bedeutung dieser Kontexteffekte nicht überzeichnen. Ein linker Berliner wird nicht über Nacht zum CDU-Wähler, wenn er aus beruflichen Gründen ins katholische Vechta zieht. Einen wichtigen Teil ihrer Einstellungsunterschiede bringen Städter und Dörfler bereits mit, wenn sie sich für ihren Wohnort entscheiden: Kosmopoliten zieht es in die Stadt, Kommunitaristen bleiben auf dem Land.[21] Für die politische Intensität von Stadt-Land-Konflikten ist die Frage, warum Städter oder Dorfbewohner zu einem «Wir» zusammenwachsen, aber auch nicht entscheidend. Wichtiger ist, dass dieses «Wir» existiert und politisch mobilisiert werden kann. Solange die beiden Gruppen unterschiedliche politische Ziele haben, kann ein Konflikt zwischen ihnen entstehen, unabhängig davon, ob der Zielkonflikt durch Sozialisation oder Selbstselektion entstanden ist.
Dieses «Wir» kann auch deshalb besonders gut mobilisiert werden, weil unser politisches System entlang geografischer Linien organisiert ist. Das gilt für den Staatsaufbau, mit seinen Ebenen aus Gemeinden, Kreisen und Ländern, wie für die Parteien mit ihren Orts-, Kreis- und Bezirksverbänden. Es gilt auch für die Wahlen selbst: Bei Bundestagswahlen wählen wir auf 299 verschiedenen Stimmzetteln. Wenn ein bestimmter Landesverband aus Gründen des Regionalproporzes noch im Bundeskabinett vertreten sein muss, mag das regelmäßig für Spott sorgen. Es ist aber Ausdruck davon, dass regionale Gruppen, anders als praktisch alle anderen gesellschaftlichen Gruppen, einen formalisierten Repräsentationsanspruch haben.
Eine latent vorhandene Chance zur Mobilisierung eines Konflikts benötigt allerdings konkrete Kristallisationspunkte, die von politischen Akteuren genutzt werden können, um diesen Konflikt zu aktivieren. In diesem Kontext gewinnt die Tatsache an Bedeutung, dass Deutschland heute, anders als zu Zeiten der «Bonner Republik», wieder über eine unbestrittene Metropole verfügt. Deshalb lautet die dritte Grundannahme schließlich, dass die Hauptstadt einen wichtigen Einfluss auf den Charakter des Stadt-Land-Konflikts in einem Land hat. Daher nimmt dieses Buch die Charakterisierung des wiedervereinigten Deutschlands als «Berliner Republik» ernst und fragt, welchen Einfluss Berlin selbst auf die politische Auseinandersetzung in Deutschland hat.
Die moderne Politikwissenschaft interessiert sich typischerweise nicht besonders für Hauptstädte, sondern überlässt sie als Thema Soziologen, Historikern und Geografen.[22] In der Regel konzentrieren sich Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler auf politische Akteure – Wähler, Parteien, Verbände – und auf die Institutionen, die das Zusammenspiel dieser Akteure strukturieren. Die Frage, in welchen konkreten geografischen Zusammenhängen Politik entsteht und wie Politik nach außen symbolisch repräsentiert wird, spielt dagegen nur selten eine Rolle.[23] Das mag damit zu tun haben, dass die Effekte von Hauptstädten empirisch schwer zu untersuchen sind: Jedes Land hat ja immer nur eine Hauptstadt, die sich zudem fast nie ändert.
Der Charakter der Hauptstadt beeinflusst die nationale Politik aus zwei Gründen. Zum einen beschränken sich die gerade beschriebenen Kontexteffekte nicht auf die Nachfrageseite der Politik – die Wähler –, sondern dürften analog auch auf die Angebotsseite wirken, also auf das, was gemeinhin als der «politische Betrieb» gilt. Zu diesem Betrieb gehören Abgeordnete und Minister, Mitarbeiter in Parlament und Parteizentralen, Ministerialbeamte, Berater, Verbandsvertreter, Lobbyisten, Thinktanker und nicht zuletzt Journalisten. Wenn der soziale Kontext, in dem Menschen leben und arbeiten, ihre Wahrnehmung politischer Probleme prägt, gilt dies natürlich auch für die Angehörigen des politischen Betriebs. Deshalb bleibt es nicht ohne Einfluss, dass Berlin heute der Kontext ist, in dem Meinung und Politik gemacht werden, in dem die Parteien ihre Positionen entwickeln, ihre Strategien formulieren und ihre führenden Köpfe auswählen.
Zum anderen leben politische Identitäten von einer zweifachen Einteilung in «Wir» und «die Anderen». Die Unterscheidung zwischen Stadt und Land dient dabei oft nicht bloß der Bestimmung eines «Wir», sondern mindestens ebenso sehr der Abgrenzung von «den Anderen». Diese Abgrenzung läuft allerdings vor allem in eine Richtung. Während «die Stadt» und «die Metropole» seit jeher scharfe Kritik auf sich ziehen, wird «das Land» nur selten zur Negativfolie überzeugter Städter.
Ebenso wie die erfolgreiche Identifikation des «Wir» sich aber häufig an konkreten Symbolen festmacht – der Dom, das Kölsch, der FC –, werden auch «die Anderen» regelmäßig an ebensolchen Symbolen identifiziert. Wer sich in den USA von Städtern abgrenzen will, kritisiert keine abstrakte Gruppe, sondern beschimpft New Yorker. Sein Gegner habe «New York values», warf der Texaner Ted Cruz seinem Kontrahenten Donald Trump im amerikanischen Vorwahlkampf 2016 vor, sei also gar kein Vertreter des «wahren» Amerika, sondern eigentlich Teil der verhassten Elite. Ganz ähnlich formulieren in Deutschland – siehe oben – Friedrich Merz oder Jens Spahn (und natürlich auch Alexander Gauland) mit Blick auf Berlin. In gewisser Weise handelt es sich beim Metropolen-Backlash also um einen Berlin-Backlash.[24] Ursachen und Form dieses Backlash lassen sich deshalb nur vollständig verstehen, wenn man berücksichtigt, dass Deutschland heute erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder ein Land mit einer Metropole ist. Aus der Bundesrepublik ist in den letzten 20 Jahren insofern tatsächlich eine «Berliner Republik» geworden.
An dieser Stelle ist es nötig, eine längere Bemerkung zur Begrifflichkeit vorauszuschicken. Die vereinfachende Gegenüberstellung von «Stadt» und «Land» erweckt den Eindruck, hierbei handle es sich um zwei homogene Gruppen, zwischen denen sich eine klare Unterscheidung ziehen lasse. Dabei seien die Städte die Heimat kosmopolitischer Modernisierungsgewinner, während auf dem Land kommunitaristische Modernisierungsverlierer lebten. Diese Gegenüberstellung ist aus mindestens drei Gründen zu simpel.
Erstens ignoriert sie die gerade in Deutschland sehr große Heterogenität innerhalb der beiden Gruppen. Es ist häufig üblich, «das Land» mit «abgehängten Regionen» und «die Städte» mit prosperierenden Metropolen gleichzusetzen. Das passt in Deutschland aber weder für «die Städte» noch für «das Land». Zwar sind Hamburg, München, Frankfurt und ihr jeweiliger Speckgürtel tatsächlich Beispiele für boomende, international vernetzte Metropolregionen. Für das Ruhrgebiet, den größten deutschen Ballungsraum, passt diese Beschreibung aber kaum. Nicht weniger groß sind die Unterschiede zwischen den ländlichen Regionen. Während es insbesondere in Ostdeutschland tatsächlich Regionen gibt, die unter Überalterung und schrumpfender Bevölkerung leiden, prosperieren Teile Niederbayerns, Brandenburgs oder Schwabens und ziehen auch neue Bevölkerung an.
Zweitens ignoriert diese simple Gegenüberstellung die großen Unterschiede innerhalb einzelner Großstädte. Nur weil München boomt, ist längst nicht jeder Münchner ein Modernisierungsgewinner. Im Gegenteil: Wie das Thema Mieten zeigt, werden viele Großstädter zu Opfern eines vom wirtschaftlichen Erfolg ihrer Stadt ausgelösten Verdrängungswettbewerbs. Umgekehrt gibt es in den Universitätsstädten des Ruhrgebiets Viertel, in denen die akademische Mittelklasse ebenso dominant ist wie in Teilen Hamburgs oder Kölns.
Wer über den politischen Kontext «Berlin» spricht, meint denn auch meistens die Bezirke innerhalb des S-Bahn-Rings, mit denen die Außenbezirke politisch wenig gemeinsam haben. So holten die Grünen bei der Bundestagswahl innerhalb des S-Bahn-Rings 35,2 % der Stimmen, außerhalb dagegen bloß die Hälfte. Bei CDU und AfD waren die Verhältnisse gerade umgekehrt.[25]
Das ist keine Berliner Besonderheit. Abbildung 1.1 zeigt einen ganz ähnlichen Zusammenhang für das Grünen-Ergebnis in Hamburg: sehr stark in den Innenstadtbezirken, umso schwächer, je weiter man sich vom Stadtzentrum entfernt. Die Heterogenität innerhalb der Städte ist zudem Ausdruck einer noch größeren Homogenität einzelner Stadtteile: In Berlin, Hamburg oder Köln gab es bei der Bundestagswahl Viertel vom Umfang kleinerer Großstädte, in denen die Grünen mehr als 40 % der Stimmen holten und die AfD weniger als 3 %.
Abbildung 1.1: Zweitstimmenergebnis der Grünen in Hamburg auf Stadtteilebene, Bundestagswahl 2021, in Prozent
Drittens ignoriert die einfache Dichotomie zwischen Stadt und Land, dass ein gar nicht kleiner Teil der Bevölkerung weder in eindeutig städtischen noch in eindeutig ländlichen Kontexten lebt. Die Gemeinden an den S-Bahn-Trassen im Speckgürtel der großen Städte sind zwar selbst nicht urban, gehören aber ebenso wenig zum ländlichen Raum. Sehr viele Menschen, die in diesen Gemeinden wohnen, pendeln täglich zur Arbeit in die Stadt und partizipieren somit am Großstadtleben. Zudem ziehen gerade Familien häufig aus der Stadt in diese «Zwischenstädte» und bringen ihre städtischen Prägungen und Erwartungen mit. Auch die deutschen Mittelstädte lassen sich nur schwer in dieser Dichotomie verorten.
Aus all diesen Gründen ist es sehr viel produktiver, sich «Stadt» und «Land» nicht als binäre Kategorien vorzustellen, sondern als Kontinuum, das von den wirklich urbanen Innenstadtbezirken der größten Städte bis zu wirklich ländlichen Räumen jenseits des Einzugsgebiets auch mittelgroßer Städte reicht.[26]
Eine Alternative zum Begriffspaar Stadt/Land könnte deshalb das Begriffspaar Zentrum/Peripherie sein, das in einem so föderalen Land wie Deutschland aber kaum eindeutiger wäre. Es würde letztlich auch nicht sehr viel daran ändern, welche Orte als privilegiert charakterisiert würden: Zwar sind nicht alle Städte Zentren, aber alle Zentren sind Städte. Ich bevorzuge die Begriffe Stadt und Land wegen der spezifischen ökonomischen und kulturellen Assoziationen, die mit ihnen einhergehen. Die Agglomerationseffekte der Wissensökonomie sind eben primär Effekte städtischer Verdichtung, ebenso wie ein kosmopolitischer Lebensstil fast automatisch ein urbaner Lebensstil ist.[27] Es sind diese Prozesse, die Städte zu Zentren und Dörfer zur Peripherie machen.
Aus diesen Überlegungen folgen sowohl konzeptionelle als auch praktische Konsequenzen. Konzeptionell verwendet dieses Buch die Begriffe «Stadt» und «Land» in der Regel als Idealtypen, mit denen einerseits «urbane Zentren» und andererseits die «ländliche Peripherie» markiert werden sollen. Dabei geht es mir vor allem darum, fassbar zu machen, dass sich an den Polen dieses Kontinuums Orte finden, die sowohl die Extrempunkte einer ökonomischen als auch einer kulturellen Konfliktachse markieren. Natürlich gibt es dazwischen viele Orte, in denen wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen nicht so eindeutig korrelieren und bei denen deshalb weniger klar ist, wie sie zu klassifizieren sind. Aber der Fokus auf die Idealtypen erlaubt, beide Dimensionen des politischen Konflikts gemeinsam in den Blick zu nehmen.
Hinzu kommt, dass die idealtypische Unterscheidung von «Stadt» und «Land» in der Realität wirksam ist, weil sie als Instrument politischer Mobilisierung verwendet wird. Hier gilt die politische Version des Thomas-Theorems: Kategorien, die Politiker als real definieren, haben reale politische Konsequenzen. Dass diese politischen Kategorien nicht 1:1 einer statistischen Beschreibung der Soziogeografie eines Landes entsprechen müssen, zeigt die Schweiz. Hier mobilisiert die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) den Stadt-Land-Gegensatz besonders lautstark in den sich urbanisierenden Bereichen der «Agglomeration».
Auf der praktischen Ebene folgt aus diesen Überlegungen, sich in der Empirie – wann immer möglich – um Kleinräumigkeit zu bemühen. Analysen auf aggregierter Ebene, etwa der von Bundestagswahlkreisen, unterschätzen das Ausmaß des Gefälles zwischen den urbansten und den ländlichsten Regionen häufig, weil nur die wenigsten Wahlkreise vollkommen urban oder vollkommen ländlich sind. Solche aggregierten Analysen lassen sich nicht immer vermeiden. In den meisten Fällen werde ich Wahlergebnisse oder Einstellungen aber auf der Ebene der Postleitzahlbezirke untersuchen. Dadurch lassen sich genauere Einblicke in einzelne Städte gewinnen und die Innenstadtviertel vom schon fast suburbanen Stadtrand unterscheiden.
Die Berliner Republik, zu der sich Deutschland in den letzten 20 Jahren entwickelt hat, ist von einer merkwürdigen Gleichzeitigkeit geprägt. Einerseits ist sie ökonomisch und politisch äußerst erfolgreich. Aus der Außenperspektive wirkt das Land wie ein Musterfall einer stabilen Demokratie. Angela Merkel galt während der Trump-Jahre häufig sogar als Führerin der Freien Welt. Auch die Bundestagswahl 2021 bestätigt diese Diagnose auf den ersten Blick: Die Ränder haben verloren, die Mitte wurde gestärkt.
Schaut man genauer hin, wirken die politischen Institutionen der Berliner Republik allerdings fragiler.[28] Dabei ist der Aufstieg der AfD nur das sichtbarste Zeichen für die zunehmende Zersplitterung des Parteiensystems und die wachsende Polarisierung der öffentlichen Debatte. Für das politische System noch folgenreicher ist der Niedergang der Volksparteien, dessen Konsequenzen vom politischen Alltagsgeschäft der Regierungsbildung bis zu der für die Demokratie so wichtigen politischen Integration weiter Teile der Gesellschaft reichen.[29] Und trotz des ständigen Wachstums der Zahl der Parteien wachsen auch die Repräsentationsdefizite, die dazu führen, dass ganz unterschiedliche Gruppen sich als nicht hinreichend repräsentiert wahrnehmen.
Gerüstet mit den drei beschriebenen Grundannahmen, sollen diese Phänomene im Folgenden aus der Perspektive des Stadt-Land-Gegensatzes untersucht werden. Dabei lautet die Ausgangsbeobachtung, dass mit dem Stadt-Land-Konflikt in vielen entwickelten Demokratien ein sehr alter Konflikt zurückkehrt, der in den Nachkriegsjahrzehnten zeitweilig in den Hintergrund getreten war (s. Kapitel 2). Die Muster des Stadt-Land-Konflikts in diesen Ländern schienen für Deutschland lange weniger relevant zu sein. Wie eine genauere Analyse der Bundestagswahl 2021 zeigt, bestimmen sie die Politik aber auch hierzulande in zunehmendem Maße (s. Kapitel 3).
Diese Rückkehr des Stadt-Land-Konflikts hat zwei Gründe. Zum einen ist sie eine Folge struktureller Veränderungen in den politischen Ökonomien kapitalistischer Demokratien, die alle westlichen Länder erfasst haben und die sowohl die ökonomischen als auch die kulturellen Konfliktlinien verändern (s. Kapitel 4). Zum anderen lassen sich strukturelle Gegensätze zwischen Stadt und Land relativ leicht in politische Konflikte übersetzen, weil der eigene Wohnort oft eine wichtige Quelle von Identität ist. Deshalb bieten Stadt-Land-Gegensätze besonders viele Ansatzpunkte für die politische Mobilisierung (s. Kapitel 5).
Was den deutschen Fall besonders macht, ist die sich parallel zu diesen strukturellen Prozessen vollziehende Metropolisierung der deutschen Politik, die mit dem Wiederaufstieg Berlins verbunden ist (s. Kapitel 6). Die strukturellen Veränderungen, die weltweit beobachtbar sind, werden in Deutschland also von einer historisch kontingenten Folge der Wiedervereinigung verstärkt. Während die Vertiefung der Spaltung zwischen Stadt und Land in anderen Ländern mit einem politischen Gewichtszuwachs ländlicher Räume verbunden ist – man denke nur an die erhebliche Überrepräsentation ländlicher Räume im amerikanischen politischen System –, hat das politische Gewicht ländlicher Räume in Deutschland erheblich abgenommen. Die Politik, die in Berlin gemacht wird, ist ganz wesentlich urbane Politik (s. Kapitel 7).
Viele der in diesem Buch beschriebenen Entwicklungen sind Tendenzen, keine abgeschlossenen Prozesse. Es handelt sich um eine Neusortierung der wirtschaftlichen Strukturen und gesellschaftlichen Konflikte entlang des Stadt-Land-Kontinuums, die noch in vollem Gang und deshalb prinzipiell offen ist. Wie der Blick in andere Länder zeigt, spricht aber viel dafür, dass sich diese Tendenzen noch verstärken. Daher ist es umso wichtiger, sich bereits jetzt mit ihnen auseinanderzusetzen.
2
Mit dem Konflikt zwischen Stadt und Land kehrt ein Konflikt auf die politische Bühne zurück, der zu den ältesten politischen Konfliktlinien überhaupt zählt, älter insbesondere als der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital. Der Unterschied zwischen den ökonomischen Interessen und den kulturellen Werten von Stadt und Land lässt sich bis zur Entstehung von Städten in den frühen Hochkulturen zurückverfolgen[1] – schon die Erzählung vom Turmbau zu Babel im Buch Genesis zeugt davon. Politisch spielte dieser Gegensatz dann bei der Herausbildung moderner Parteiensysteme im 19. Jahrhundert eine Schlüsselrolle, ehe er in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg stark an Bedeutung verlor.
In diesem Gegensatz hatten sich schon immer ökonomische und kulturelle Aspekte verbunden. Städte waren seit jeher die Zentren neuer Wirtschaftssektoren und neuer kultureller Werte und Praktiken. Das führte aber keineswegs zu allen Zeiten zu einem scharfen politischen Konflikt. Vielmehr war dieser Gegensatz vor allem dann virulent, wenn sich die städtische Wirtschaftsstruktur besonders rasant veränderte. Dagegen verlor der Gegensatz an Schärfe, wenn städtische Innovationen ins Land diffundierten und das Veränderungstempo in den Städten nachließ.