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Ute Gerhard

FRAUENBEWEGUNG UND FEMINISMUS

Eine Geschichte seit 1789

C.H.Beck


Zum Buch

Beginnend mit dem Aufbruch der Frauen in der Französischen Revolution werden hier die verschiedenen Stationen und Strömungen der Frauenbewegung vorgestellt: der Anfang organisierter sozialer Bewegungen nach der 1848er Revolution; die Höhepunkte ihrer Organisation und öffentlichen Wirkung an der Wende zum 20. Jahrhundert; der Aufstieg von Frauen zu gleichberechtigten Staatsbürgerinnen nach dem Ersten Weltkrieg und der Niedergang der Bewegung in der Zeit des Nationalsozialismus; der Aufbruch zu einem ‹neuen› Feminismus nach 1970; und schließlich die Situation der Frauen und des Feminismus sowie die Veränderung der Geschlechterverhältnisse nach 1989 und seit der Jahrtausendwende.

Über die Autorin

Ute Gerhard, em. Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Geschlechterforschung an der Universität Frankfurt a.M., war die erste Inhaberin eines Lehrstuhls für Frauen- und Geschlechterforschung in der Bundesrepublik.

Inhalt

Einleitung

1. Zeitenwende in den Geschlechterbeziehungen: Die Französische Revolution

Geschlechterstreit und Aufklärung

Verteidiger und Pionier_innen

Auswirkungen und Ende der Revolution

2. Die Freiheitsbewegungen um die 1848er Revolution

Frauen in der neuen politischen Öffentlichkeit

Die Frauen-Zeitung als Sprachrohr einer ersten Frauenbewegung

Frauenvereine

Nach dem März

Nachklang, Spuren und Verbindungslinien

3. Die hohe Zeit der Frauenbewegungen und ihrer Organisationen

Übergänge und Neuanfänge

Trennlinien

Arbeiter- und Frauenbewegung

Einzelne Vorkämpferinnen

Aufschwung und Profilierung

Sternstunde oder verpasste Gelegenheit: Der Kongress 1896

Themen und Debatten

Internationales und Krieg

4. Zwischen und nach den Weltkriegen: 1919 bis 1949

Wahlen und Wahlergebnisse

«Wohlfahrtsfeminismus»

Internationale Beziehungen und nationale Entwicklung im BDF

Krise und Auflösung des BDF

Unterm Nationalsozialismus

Erste Nachkriegszeit

5. Die Neue Frauenbewegung

Aufbruch zu einer Neuen Frauenbewegung

Feministische Öffentlichkeiten und Projekte

Autonomie oder Institution

Die ostdeutsche Frauenbewegung

6. Feminismen nach 1989

Gleichstellungspolitik

Geschlechterforschung

Alltäglicher Feminismus oder Bewegung?

Literatur

Übersichten

1. Zeitenwende in den Geschlechterbeziehungen

2. Die Freiheitsbewegungen um die 1848er Revolution

3. Die hohe Zeit der Frauenbewegungen und ihrer Organisationen

4. Zwischen und nach den Weltkriegen

5. Die Neue Frauenbewegung

6. Feminismen nach 1989

Personenregister

Einleitung

Die Stichworte ‹Frauenbewegung› und ‹Feminismus› stehen für ein gemeinsames Ziel. In beiden Fällen geht es darum, Frauen in allen Lebensbereichen, in Staat, Gesellschaft und Kultur und vor allem auch in der Privatsphäre, gleiche Rechte und Freiheiten sowie gleiche Teilhabe an politischer Macht und gesellschaftlichen Ressourcen zu verschaffen. Das heißt, im Zentrum der Bestrebungen liegt nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Einlösung demokratischer Prinzipien der Freiheit und Gleichheit aller Menschen und die Anerkennung ihrer gleichen Menschenwürde – Prinzipien, die seit der Französischen Revolution als Kennzeichen einer rechtsstaatlichen demokratischen Ordnung gelten. Und doch meinen beide Begriffe nicht unbedingt dasselbe, sie transportieren insbesondere im Deutschen unterschiedliche Bedeutungen oder politische Ansichten.

‹Frauenbewegung› bezeichnet wie andere soziale Bewegungen bestimmte Formen gemeinsamen sozialen Handelns, die darauf gerichtet sind, sozialen Wandel herbeizuführen und – im Falle der Frauenbewegung – insbesondere im Geschlechterverhältnis Bevormundung, Ungerechtigkeit und soziale Ungleichheiten zu beseitigen. Frauenbewegungen sind historische Phänomene und soziale Tatsachen, die sich beschreiben, deuten und unter vielfältigen Aspekten wissenschaftlich analysieren lassen. Die sozialwissenschaftliche Forschung hat hierfür ein ganzes Repertoire von Kriterien und Methoden erarbeitet, mit denen sie die verschiedenen Formen kollektiven, bürgerschaftlichen Engagements zu kategorisieren und einzuordnen versteht.

Der Begriff ‹Feminismus› hat, obwohl auch er zur Bezeichnung der sozialen Bewegungen von Frauen gebraucht wird, noch eine weitergehende Bedeutung. Wie andere Theorien oder Gesellschaftskonzepte, etwa der Liberalismus, Konservatismus oder Marxismus, die seit dem 19. Jahrhundert als «Ismen» verhandelt werden, verweist die Rede vom Feminismus auf eine politische Theorie, die nicht nur einzelne Anliegen verfolgt, sondern die Gesamtheit gesellschaftlicher Verhältnisse im Blick hat, also einen grundlegenden Wandel der sozialen und symbolischen Ordnung – auch in den intimsten und vertrautesten Verhältnissen der Geschlechter – anstrebt und gleichzeitig Deutungen und Argumente zu ihrer Kritik anbietet. Dieser Anspruch ist nicht erst neuerdings der Ideologie verdächtig und deshalb in Verruf geraten, vielmehr begleiten Abwehr und Missverständnisse die Erörterung von Frauenfragen und Feminismus, seitdem sie benannt wurden. Wie ist das zu erklären? Liegt der Grund darin, dass die Emanzipation der Frauen in jedem Fall, mit jeder einzelnen Forderung nach mehr Gerechtigkeit, die bisherige Geschlechterordnung und damit die bestehende Ordnung in Frage stellt, also den Status quo von Gewohnheiten und Privilegien gefährdet?

Um hierauf eine Antwort geben zu können, lohnt es sich, mehr zu wissen und die Geschichte und die gesellschaftlichen Zusammenhänge genauer zu kennen, in denen um Emanzipation, Gleichheit und Gerechtigkeit gerungen wurde. Tatsächlich genügt es nicht, sich auf Gemeinplätze und Erfahrungen aus dem eigenen Alltag zu berufen, gerade weil jeder und jede sich alltäglich gegenüber bestimmten Erwartungen als Mann oder Frau bewähren muss. Hier helfen Erklärungsansätze und Theorien, die inzwischen von der Frauen- und Geschlechterforschung in den verschiedenen Disziplinen erarbeitet wurden. Dabei zeigt sich, dass die Einführung der Frage nach dem Geschlechterverhältnis in unsere Überlegungen und in die Forschung die Perspektive auf die Geschichte und die Gesellschaft und damit auch den Kanon des Wissens verändert – ohne damit behaupten zu wollen, dass es eine richtige Deutung und Lösung der Probleme gäbe. Somit gibt es auch nicht eine feministische Theorie oder den Feminismus, vielmehr unterschiedliche Ansätze und politische Theorien und – wie wir sehen werden – im Laufe der letzten 200 Jahre die verschiedensten Richtungen, politische und soziale Bewegungen von Frauen, die hier in ihren verschiedenen Ausrichtungen und ‹Wellen› vorgestellt und diskutiert werden.

Tatsächlich wurde der Terminus ‹Feminismus› erst in den 1880er Jahren von französischen Frauenrechtlerinnen aufgebracht, und zwar von Hubertine Auclert (1848–​1914), einer französischen Suffragette, die in der von ihr zwischen 1881 und 1891 herausgegebenen Zeitschrift La Citoyenne (Die Staatsbürgerin) den Begriff als politische Leitidee gegen den ihrer Meinung nach vorherrschenden ‹Maskulinismus› der Dritten Republik in Frankreich einführte. 1892 veranstalteten die Französinnen einen großen Kongress, der bereits das Adjektiv «feministisch» im Titel führte, und 1896 berichtete die französische Delegierte auf dem Internationalen Frauenkongress in Berlin vor einem großen Publikum darüber, wie bereitwillig die französische Presse dieses Wort «à la mode» aufgegriffen hatte (Int. Kongress 1897, 39f.). Von da breitete sich der Begriff wie ein Lauffeuer in den Frauenbewegungen der westlichen Welt aus und wurde nun teilweise im gleichen Sinn wie das Stichwort ‹Frauenbewegung› benutzt. Im Deutschen aber haftet dem Begriff bis heute der Geruch besonderer Radikalität an. Tatsächlich wurde er an der Wende zum 20. Jahrhundert von den Akteurinnen kaum zur Selbstbezeichnung, dagegen abwertend und denunzierend von den Gegnern der Frauenemanzipation gebraucht und hat erst mit der Frauenbewegung der 1970er Eingang in unsere Alltagssprache gefunden.

Doch gleichgültig, wie der Gegenstand der Beunruhigung und die Gleichberechtigungsforderungen der Frauen im öffentlichen Diskurs bezeichnet wurden, als «Frauenemanzipation» – so insbesondere um die 1848er Revolution –, als «Frauenfrage» in Parallele und Anknüpfung an die «soziale Frage» in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oder als Frauenbewegung bzw. Feminismus: Es ging in dieser Geschichte seit 1789 immer um den gleichen Widerspruch, um das Versprechen oder auch nur die Denkmöglichkeit der Freiheit und Gleichheit der Frauen und zugleich um ihre Nichteinlösung oder die nur partielle, nicht hinreichende Verwirklichung von Frauenrechten. Dieser Widerspruch zwischen Befreiung und Beschränkung, zwischen der Rede von der Emanzipation und tatsächlicher Unterordnung der Frau unter männliche Dominanz, eheliche Pflichten und Gewalt, begleitet die Frauen- und Geschlechtergeschichte der Neuzeit seit der Französischen Revolution. Er kennzeichnet zugleich die Ambivalenz bzw. den Webfehler der sich als ‹modern› bezeichnenden Gesellschaften. Mit dem immer subtiler begründeten Ausschluss der Frauen aus dem Kreis gleicher Staatsbürger wurde die Eigenschaft Geschlecht jenseits der Klassentrennung zu einer politischen Kategorie und konstitutiv für die sog. liberale Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft. Aus diesem Grund aber scheint es angemessen, die ‹modernen› Erzählungen über die Geschlechterfrage im 19. und 20. Jahrhundert – über die verschiedenen Phasen, Etiketten und «langen Wellen» der Frauenbewegung hinweg – als eine Epoche zu verstehen, die möglicherweise noch nicht abgeschlossen ist, um zu fragen, wo wir heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts, stehen. Sowohl die Frauenbewegungen als soziale Bewegungen als auch die politischen Theorien des Feminismus sind in historische und politische Kontexte eingebunden bzw. gestalten diese auch mit. Daher folgt die Gliederung des Stoffes hier weitgehend politischen Wendepunkten. Doch trotz aller Fortschritte und Errungenschaften zeigt schließlich auch die Analyse der Gegenwart, dass der Feminismus als demokratisches Projekt noch immer nicht erledigt ist.

1. Zeitenwende in den Geschlechterbeziehungen: Die Französische Revolution

Die Ereignisse um das Jahr 1789, vor allem die Reaktionen und die Erschütterung, die diese Ereignisse in Europa, in der Alten und Neuen Welt auslösten, kennzeichnen die Französische Revolution als Zeitenwende. Sie stellte, anders als die amerikanische Unabhängigkeitserklärung mit der Erklärung der Menschenrechte von 1776, in der es vorrangig um die Unabhängigkeit vom englischen König, d.h. um Volkssouveränität und die Gründung der Vereinigten Staaten ging, die Grundfesten der gesamten bisherigen Weltordnung in Frage. In nur wenigen Schritten und Verfassungsakten beseitigte sie den Feudalismus, seine ständische Gesellschaftsstruktur und den Absolutismus des Ancien Régime. Auch die Ordnung der Familie und die Beziehungen zwischen den Geschlechtern wurden vom Strudel des Umsturzes und der Befreiung erfasst. Damit aber, so empfanden es die Zeitgenossen, wurde eine ganze Zivilisation bis in ihre häuslichen Fundamente erschüttert.

Die grundlegende Infragestellung der traditionellen Geschlechterbeziehungen und die veränderte, ungewohnte Rolle der Frauen waren nicht nur eine Folge revolutionärer Umwälzungen – im Sinne von betroffen sein oder mitgerissen werden. Vielmehr bestand das Neue gerade darin, dass der «allgemeine» Wille, die Welt von Grund auf zu erneuern, eine neue Form der Öffentlichkeit schuf, d.h. einen politischen Raum, in dem Männer und Frauen der verschiedenen Schichten des Volkes agieren, ihre Stimme erheben und intervenieren konnten. Darunter waren nun nicht nur Frauen aus den untersten Schichten des Volkes, nicht nur die «Marktfrauen und Fischweiber», sondern auch Frauen bürgerlicher Herkunft und Aristokratinnen. Wenn schon die Hungerunruhen und Agrarrevolten unter dem Ancien Régime ein typisch weibliches Aktionsfeld waren, so ging es bei dem Marsch der Pariserinnen am 5. und 6. Oktober 1789 von Paris nach Versailles um mehr als den Kampf ums alltägliche Brot. Ziel der ersten Massendemonstration von etwa 8000 bis 10.000 Frauen, die schließlich auch von 20.000 Männern der Nationalgarde, der neuen Bürgermiliz, eskortiert wurden, war es, die königliche Familie und die in Versailles tagende Nationalversammlung in die Hauptstadt und damit ins Zentrum der Revolution und des Volkswillens zurückzuholen, nicht zuletzt um den König zu kontrollieren und zu zwingen, die Abschaffung der Feudalität und die am 26. August 1789 verkündete Erklärung der allgemeinen Menschenrechte zu unterschreiben.

Mit dem Marsch am 5. Oktober 1789 nach Versailles – einer Intervention, die die Beschlüsse der Nationalversammlung umsetzen sollte – haben die Frauen das Recht auf Teilnahme am öffentlichen Leben nicht nur gefordert, sondern bereits ausgeübt (Petersen 1987, 13). Dieser «Tag der Weiber» sollte in die Geschichte eingehen und hat doch zugleich das Bild der Frauen in der Französischen Revolution eher verdunkelt und verzerrt (nachzulesen insbesondere bei Michelet 1913, zuerst 1854). Das Klischee der «Weiber, die zu Hyänen» wurden (Schiller), d.h. vulgär und zügellos, mit Spitzhacken und Gewehren ausgerüstet, ja in Männerkleidern der Revolution zum Durchbruch verhalfen, machte von da an die Runde und grub sich zur Denunziation jeglicher weiblicher Mitwirkung in der Politik in das historische Gedächtnis ein. Dabei war für Frauen, solange es keine Beteiligungsrechte gab, die Regel- und Formverletzung die einzige Möglichkeit, sich Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das gilt schon im Hinblick auf ihre führende Rolle bei den Brot- und Hungerrevolten des Ancien Régime, aber erst recht seit 1789 bei allen ihren Versuchen, sich in der neuen politischen Öffentlichkeit, in den Clubs und neuen Verfassungsorganen zu Wort zu melden, blieben sie doch in der Nationalversammlung sowie der Constituante und dem Konvent bis zuletzt auf die Zuschauertribüne verbannt.

Geschlechterstreit und Aufklärung

Das Aufbegehren und die Kritik an der Geschlechterordnung waren keine Erfindung der Französischen Revolution. Vielmehr hatte es schon seit der Frührenaissance, also über mindestens vier Jahrhunderte, einen sog. Geschlechterstreit («querelle des sexes» bzw. «querelle des femmes») gegeben. Dies war ein männlicher Diskurs, an dem sich auch gelehrte Frauen beteiligten. Insbesondere Christine de Pizan (1365–​1429) gilt als eine der Ersten, die sich in diesen Streit der Frauen und um Frauen mit einem umfangreichen Werk, u.a. ihrem Buch Die Stadt der Frauen von 1404/05, prominent eingeschaltet hat. Mit diesem Lese- und Trostbuch für Frauen entfachte sie den ersten großen Literaturstreit in Frankreich um den berühmten Rosenroman von Jean de Meun (um 1280), dessen misogynes Frauenbild die ganze Frauenverachtung seiner Zeit und der kulturellen Überlieferung zusammenfasst. Indem Pizan eine Umdeutung der antiken und mittelalterlichen Quellen vornahm und auf große Frauenfiguren in der Geschichte, in Bibel und Mythologie verwies, gelang es ihr, die Frauen im Rekurs auf die Tugenden der Vernunft, der Rechtschaffenheit und der Gerechtigkeit zu Selbstbewusstsein und Widerstand, allegorisch zum Bau einer Stadt der Frauen als «Festung gegen die Schar der boshaften Belagerer und Verleumder des weiblichen Geschlechts», zu ermutigen (Pizan [1405] 1986, 23).

Im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der Aufklärung, wurde die Kontroverse angesichts eines auf die Vernunft des Menschen gegründeten Menschenbildes unumgänglich und unerbittlicher. «Der Verstand hat kein Geschlecht», lautete die Schlussfolgerung, die der Aufklärer François Poullain de la Barre in seiner Schrift Über die Gleichheit beider Geschlechter (1763) zog, ganz im Sinne der Philosophie René Descartes’, dessen rationalistische Trennung von Körper und Verstand/Geist zugleich auf der Annahme beruhte, dass die Vernunft als besondere Begabung den Menschen vor allen anderen Lebewesen auszeichne. Das bedeutete, dass auch die Besonderheit des weiblichen Körpers die Verstandestätigkeit der Frau nicht beeinflussen könne. Doch dieser Einsicht wurde sogleich und immer wieder von den verschiedensten Seiten heftig widersprochen. Mit der Entwicklung der empirischen Wissenschaften, insbesondere den medizinischen Erkenntnissen über die besondere Physiologie der Frau und der Entdeckung, dass Wissen und Denken sehr wohl von Sinneswahrnehmungen, Gefühlen und Erfahrungen beeinflusst werden, wurde diese rationale Begründung der Gleichheit der Geschlechter als Vernunftwesen nicht mehr akzeptiert (Honegger 1991).

Die nachhaltigste Wirkung hatten die politischen Theorien und pädagogischen Schriften von Jean-Jacques Rousseau. In seinem fast gleichzeitig mit de la Barres Werk veröffentlichten Erziehungsroman Emile oder Über die Erziehung (1762) philosophiert er im 5. Buch «Über Sophie oder die Frau» ausführlich über die geschlechtsbedingten Unterschiede zwischen Mann und Frau und kommt zu dem Schluss, dass die Anatomie der Frau, im Jargon der Zeit die «Natur der Frau», auch ihre Stellung in der Gesellschaft und im Recht bestimme. Wie bei anderen Aufklärungsphilosophen, z.B. Johann Gottlieb Fichte, wird diese Analogie zwischen Körper und sozialer Ordnung aus der ungleichen Stellung im Sexualakt abgeleitet, und zugleich wird mit Verweis auf das notwendige Schamgefühl der Frau moralisch begründet, warum es für sie prinzipiell keine Gleichberechtigung geben könne: «Das eine muss aktiv und stark, das andere passiv und schwach sein … Die wirkungsvollste Art, diese Kraft zu erwecken, ist, sie durch Widerstand notwendig werden zu lassen … Aus dieser Verschiedenheit der Geschlechter … im Hinblick auf das Geschlechtliche … folgt, dass die Frau eigens dazu geschaffen ist, dem Mann zu gefallen» (Rousseau [1762] 1963, 721–​726).

Rousseau bewegte sich mit dieser Auffassung über die besondere und andere Rolle der Frau im dominanten Denkmuster der abendländischen Philosophie, die seit der Antike, insbesondere in der christlichen Deutung über Thomas von Aquin, aus der Gegenüberstellung von männlich – weiblich, aktiv – passiv die Minderwertigkeit, Unvollkommenheit bzw. notwendige Unterwerfung der Frau unter die Herrschaft des Mannes zu begründen versuchte. Nicht zuletzt die ältere, gleichwohl zweite Schöpfungsgeschichte aus Genesis 2 und 3, in der Eva aus der Rippe Adams geformt wird und die mit dem von Eva initiierten Sündenfall endet, hatte der patriarchalen Weltordnung in der Kultur des Abendlandes, in den Mythen, Bildern und vor allem in der Kunstproduktion, nicht nur Popularität, sondern auch den Charakter eines göttlichen Gebots verliehen.

Doch indem die Französische Revolution bereits in den ersten Gesetzgebungsakten die Privilegien des Klerus beseitigte, die Klöster auflöste, die Kirchengüter enteignete und durch eine strikte Trennung von Staat und Kirche nicht nur der Meinungsfreiheit, sondern auch der Glaubensfreiheit zum Sieg verhalf, räumte sie auch mit einer religiös gestifteten Weltordnung auf. Nicht zuletzt die politischen Schriften von Rousseau, z.B. seine Abhandlung Über den Gesellschaftsvertrag (1758), sowie Charles-Louis Montesquieus Vom Geist der Gesetze (1748) hatten den Weg zu einer auf der Basis von Recht und Gesetz und der Souveränität des Volkes gegründeten Gesellschaftsordnung vorgezeichnet – allerdings ohne die Frauen auch nur gedanklich in die Lehren vom Gesellschaftsvertrag als Partner einzubeziehen. Mit dem Zusammenbruch der alten Gewalten und der Erhebung des Volkes aber waren aus den politischen Prinzipien Rechtsbegriffe geworden, aus denen nun konkrete Forderungen und ein politisches Programm sozialer Gerechtigkeit abgeleitet werden konnten, auch im Blick auf und unter der Mitwirkung von Frauen (Gerhard 1990b).

Verteidiger und Pionier_innen

Einer der ersten prominenten Fürsprecher, der in dieser Zeit des Umbruchs bei der Umsetzung der Idee von Freiheit und Gleichheit der Menschen für die Bürgerrechte auch der Frauen eintrat, war der Marquis Marie Jean Antoine de Condorcet (1743–​1794), Mathematiker und Philosoph, ein Liberaler, der 1791 Abgeordneter der Nationalversammlung war und neben der Planung eines klassenübergreifenden staatlichen Bildungssystems am Entwurf einer republikanischen Verfassung mitarbeitete, bevor er 1793 von den radikalen Jakobinern angeklagt und verfolgt wurde. Vor der Revolution hatte sein zusammen mit seiner Frau, Sophie de Grouchy, geführter Salon als «Wiege der Republik» ein Zentrum der französischen Aufklärung gebildet. Condorcet war für die Sklavenbefreiung in den französischen Kolonien in Nordafrika eingetreten und hatte schon 1787 die Wählbarkeit auch der besitzenden Frauen in die ständischen Vertretungsorgane gefordert. 1790 erschien sein berühmtes Plädoyer für die Zulassung der Frauen zum Bürgerrecht. In Anbetracht der auf das Naturrecht gegründeten Gleichheit der Menschen betrachtete er es als «Akt der Tyrannei», die «Hälfte des Menschengeschlechts» – eine von ihm geprägte Formulierung – von den Bürger- und Menschenrechten auszuschließen: «Entweder hat kein Glied des Menschengeschlechts wirkliche Rechte, oder sie haben alle die gleichen, und derjenige, der gegen das Recht eines anderen stimmt, mag er auch einer anderen Religion, einer anderen Hautfarbe oder dem anderen Geschlecht angehören, hat damit seine Rechte verwirkt.» (Condorcet 1789) Damit benannte er – ohne allerdings den Klassenunterschied zu erwähnen – auch heute noch aktuelle Hauptachsen sozialer Ungleichheit.

Aus dem großen Kreis berühmter und berüchtigter «Frauen der Revolution», die in einem der führenden Pariser Clubs, der Vereinigung … der Freunde der Wahrheit (Société … des amis de la vérité), eine Frauensektion begründeten und die verschiedenen revolutionären Frauenclubs zu vereinen suchten, ragt Etta Palm d’Aelders (1743–​1799) hervor, eine gebildete Frau und schillernde Person holländischer Herkunft, die sich nach einem bewegten Leben 1774 in Paris niedergelassen hatte. Hier verkehrte sie mit einem eigenen Salon in den verschiedenen Zirkeln von Liberalen und europäischen Diplomaten. Sie gilt als die erste Frau, die öffentlich zugunsten von Frauen das Wort ergriff. Sie veröffentlichte Zeitungsartikel und Pamphlete und provozierte mit ihren Reden vor den Freunden der Wahrheit in den Jahren 1790 und 1791 hitzige Debatten über Frauenrechte. «Wir sind Eure Gefährten, nicht Eure Sklaven», war ihr Motto. An der Spitze einer Frauendelegation erschien sie in der Nationalversammlung und forderte in einer Petition die Abschaffung des Erstgeburtsrechts, gleiche Scheidungsfreiheit für Frauen und Männer, den Schutz geschlagener Frauen und politische Gleichberechtigung, ja selbst den gleichen Zugang zu allen militärischen Diensten und Posten. Als Präsidentin der Société patriotique et de bienfaisance des Amies de la Vérité entwickelte sie darüber hinaus Vorschläge für ein nationales Wohlfahrtssystem, das sich insbesondere der Erziehung und Fürsorge für arme Frauen und deren Kinder annehmen sollte. In diplomatischer Mission nach Holland zurückgekehrt, wurde Etta Palm dort nach Ausrufung der Republik 1795 der Spionage verdächtigt und verhaftet. Sie starb kurz nach ihrer Freilassung 1799 in Den Haag (Duhet 1971, 81–​83).

Eine der extravagantesten und bis heute in ihrer Bedeutung verkannten Frauen der Französischen Revolution war Olympe de Gouges, geb. Marie Gouze (1748–​1793). Unmittelbar nachdem die Nationalversammlung im September 1791 die erste republikanische Verfassung Frankreichs verabschiedet hatte, der die allgemeine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 als Grundrechte vorangestellt waren, veröffentlichte de Gouges ihre Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne). Mit der Verabschiedung der Verfassung, in der entgegen den Gleichheitsversprechen der Menschenrechte sowohl die Monarchie (als konstitutionelle) als auch das Zensuswahlrecht, d.h. ein Männerwahlrecht nach Besitzklassen, beibehalten wurden, war klar geworden, dass nicht nur die Privilegien der Besitzenden, des Bürgertums, sondern auch die des männlichen Geschlechts neu befestigt wurden. Tatsächlich waren paradoxerweise mit der Abschaffung der Adelsprivilegien auch die im Ancien Régime einzigen Wahl- und Vertretungsrechte von Frauen der höheren Stände aufgehoben worden. In einer scharfzüngigen Polemik kennzeichnete Olympe de Gouges daher in ihrer Vorrede zur Frauenrechtserklärung das Kernproblem: «Der Mann allein» maßt sich an, «von der Revolution zu profitieren … Extravagant, blind, von den Wissenschaften aufgeblasen und degeneriert, will er in diesem Jahrhundert der Aufklärung und des Scharfsinns, doch in krasser Unwissenheit, despotisch über ein Geschlecht befehlen, das alle intellektuellen Fähigkeiten besitzt.» (zit. n. Gerhard 1990b, 263f.)

Die Erklärung von Olympe de Gouges war Teil einer längeren Broschüre unter dem Titel Die Rechte der Frau. Nach einem Brief an die Königin, die de Gouges um Mithilfe bittet, «dem Aufschwung der Rechte der Frau Gewicht zu verleihen», sowie der Vorrede, die mit der Frage eröffnet wird: «Mann, bist Du fähig, gerecht zu sein?», folgt die «Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin». Dem schließt sich der Entwurf eines Gesellschaftsvertrages an, der sich als Vertrag «zwischen Mann und Frau» wie ein zivilrechtlicher Partner- und Ehevertrag liest, den de Gouges jedoch als Staatsvertrag und notwendigen Bestandteil der Verfassung verstanden wissen wollte. Damit hat sie hellsichtig die systematische Bruchstelle der bürgerlich-liberalen Rechtsordnungen der Neuzeit zwischen privatem und öffentlichem Recht aufgezeigt, die mit einer Platzanweisung an die Frauen korrespondiert: Der Einschluss in die Privatsphäre mit Hilfe des Ehe- und Familienrechts, wo der Ehemann alle Gewalt und Entscheidungsbefugnis hatte, legitimierte gleichzeitig den Ausschluss der Frauen aus der politischen Öffentlichkeit. Bis zu den Rechtsreformen der 1960er und 1970er Jahre bildete diese Geschlechterordnung die Grundlage aller rechtsstaatlichen Verfassungen der westlichen Welt, gleichgültig, ob sie sich auf republikanische, liberale oder sozialdemokratische Traditionen stützten.

Wegweisend für den neuzeitlichen Feminismus wurde Olympe de Gouges’ Schrift Die Rechte der Frau vor allem aber durch die Manifestation der Frauenrechte als Menschenrechte. Mit der ausdrücklichen Einbeziehung der Frauen in den Geltungsanspruch der Menschenrechte stellte de Gouges sich auf den Boden einer allgemeinen Rechtsordnung für Männer und Frauen und nahm die Freiheits- und Gleichheitsversprechen beim Wort. Das zeigt sich darin, dass sie in ihrem Text, ebenfalls in 17 Artikeln, dem Wortlaut der allgemeinen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 folgt, jedoch mit scheinbar geringfügigen, aber im Blick auf die Frauen wesentlichen Umformulierungen, Ergänzungen und Korrekturen. Sie benennt die entscheidenden Forderungen nach Anerkennung der Frauen als Gleichberechtigte und gleichermaßen Verpflichtete in Staat und Gesellschaft (sie lehnt deshalb Sonderrechte oder sog. Rechtswohltaten für Frauen in Art. 7 und 9 ab) und begründet die Notwendigkeit ihrer Teilhabe am politischen Prozess der Selbstbestimmung und Selbstgesetzgebung, z.B. mit dem Zusatz in Artikel 16: «Die Verfassung ist null und nichtig, wenn die Mehrheit der Individuen, die die Nation darstellen, an ihrem Zustandekommen nicht mitgewirkt hat.» Beharrlich buchstabiert sie die «natürlichen und unveräußerlichen Rechte von Frau und Mann» aus, wo im sog. allgemeinen Text von «Menschenrechten», französisch «droits de l’homme», die Rede ist (Art. 2). Gerade auch in den sperrigen, für eine Verfassung scheinbar unpassenden Einzelheiten benennt sie spezifische Unrechtserfahrungen der Frauen. So plädiert sie z.B. in Artikel 11 zur Gedanken- und Meinungsfreiheit für das Recht der Frau, den Vater ihrer nicht-ehelichen Kinder benennen und gerichtlich belangen zu können, und weist damit auf eine elementare Not der von Männern betrogenen und verlassenen Frauen hin. In dem Entwurf eines Gesellschaftsvertrags bietet sie «ein unübertreffliches Mittel» an, Elend, Unbildung und Abhängigkeit der Frauen zu beheben: Unverzichtbar seien die Teilhabe der Frauen an gemeinsamem Vermögen, sprich die Eigentumsrechte der Frau, und die gemeinsame Sorge und Verantwortlichkeit der Väter an ihren auch außerhalb einer Ehe geborenen Kindern (Gerhard 1990, 49f.; vgl. Burmeister 1999, 168f.).

Als de Gouges dieses in der Verfassungsgeschichte einmalige Rechtsdokument veröffentlichte, war sie bereits eine bekannte Literatin, die vor 1789 in der Pariser Gesellschaft, bei Hofe und in oppositionellen Kreisen als «femme galante» von strahlender Schönheit Aufsehen erregt und sich durch zahlreiche Theaterstücke, Romane und politische sowie sozialkritische Streitschriften einen Namen gemacht hatte (Blanc 1989). Ihr gesamtes Werk, mehr als 130 Titel, die sie zwischen 1788 und 1793 wiederholt in mehreren Bänden herausgab, waren politische Interventionen und vom Stil der Zeit geprägte Tendenzliteratur. Gleich in ihrem ersten Theaterstück aus dem Jahr 1784, dem Drama Zamore et MirzaXVI