Was es bedeutet
Was uns daran hindert
Wie wir es erreichen können
„selbst bestimmt sterben“ ist ein so einfühlsames wie nüchternes Buch, das zum Nachdenken über die eigene Einstellung zum Leben und zum Sterben anregt. Es bietet keine Patentrezepte – wohl aber konkrete Hinweise darauf, wie man sich auf die letzte Lebensphase so vorbereiten kann, dass sie den eigenen Wünschen entspricht.
Was bedeutet „selbstbestimmtes Sterben“ in der modernen Gesellschaft? Und was hat es mit all diesen verwirrenden Begriffen auf sich, die häufig durcheinandergebracht werden: aktive, passive, indirekte Sterbehilfe, Behandlungsabbruch, Suizidhilfe und so weiter? Der Autor schöpft aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung im Betreuen und Begleiten von Schwerstkranken und Sterbenden, um mit vielen weit verbreiteten Missverständnissen aufzuräumen. Ausgehend von den neuesten wissenschaftlichen Studien wie vom gesunden Menschenverstand erläutert er in klar verständlicher Sprache, worauf es auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Lebensende wirklich ankommt, und plädiert für eine „hörende Medizin“, die sich nach den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen statt nach ökonomischen Gesichtspunkten richtet.
Gian Domenico Borasio ist Inhaber des Lehrstuhls für Palliativmedizin an der Universität Lausanne und Lehrbeauftragter für Palliativmedizin an der Technischen Universität München. Er gilt als einer der führenden Palliativmediziner Europas. Ihm ist es maßgeblich zu verdanken, dass sich heute jeder Medizinstudent in Deutschland und der Schweiz in seiner Ausbildung mit der Begleitung Sterbender und ihrer Familien auseinandersetzen muss. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er durch sein Eintreten für ein Gesetz zur Patientenverfügung und durch seinen Bestseller „Über das Sterben“ bekannt.
Vorwort zur Taschenbuchausgabe
Teil 1: Was heißt hier «Sterbehilfe»?
1 Was heißt hier «Sterbehilfe»?
Eine merkwürdige Debatte
Irrationalität am Lebensende: Die Missachtung der demographischen Entwicklung
Politik: Fehlanzeige
Historischer Rückblick
Die Palliativmedizin als Gegenbewegung
Lagerdenken und reflexhafte Reaktionen
Voraussetzungen für eine vernünftige Diskussion
2 «Passive Sterbehilfe» und medizinische Indikation
Fallbeispiel
Definition und Rechtslage
Medizinische Indikation
Patientenwille
Der Sonderfall: das Wachkoma
Bisherige Erfahrungen
Praktische Bedeutung
3 «Indirekte Sterbehilfe» und palliative Sedierung
Fallbeispiel
Definition und Rechtslage
Bisherige Erfahrungen
Praktische Bedeutung
Palliative Sedierung
Sedierung in der Terminalphase
4 «Aktive Sterbehilfe» und Tötung ohne
Verlangen
Fallbeispiel
Definition und Rechtslage
Bisherige Erfahrungen: Holland und Belgien
Praktische Bedeutung
Tötung ohne Verlangen
Euthanasie bei Kindern?
5 Neue Begriffe (und ihre Tücken)
Empfehlung für eine neue Begrifflichkeit
Entscheidung des Bundesgerichtshofs im «Fall Putz»
Was Worte mit uns machen
Internationale Begrifflichkeiten
Bitte nicht mehr von «Selbstmord» reden
6 Assistierter Suizid und freiwilliger Verzicht
auf Nahrung und Flüssigkeit
Fallbeispiel
Definition und Rechtslage
Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen
Bisherige Erfahrungen: Schweiz und Oregon
Praktische Bedeutung
Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit
7 Brauchen wir den ärztlich assistierten Suizid?
Ein Vorschlag für eine gesetzliche Regelung eines
marginalen Phänomens
Die wichtigste Begründung: Den Blick frei machen
Was spricht für eine gesetzliche Regelung?
Was sagen die Zahlen?
Ziele des Gesetzesvorschlags
Zusammenfassung des Gesetzesvorschlags
Die Gegenargumente: Recht auf Leben, Angst vor Störung der Arzt-Patienten-Verhältnisses, Angst vor sozialem Druck auf gefähredete Menschen, vor Verschlechterung der Palliativversorgung und vor Suizidzunahme
Ausblick
Kommentar zum «Gesetz über die
Strafbarkeit der geschäftsmäßigen
Förderung der Selbsttötung»
Ausgangslage
Gesetzentwürfe
Die öffentliche Diskussion
Faktencheck zur Sterbehilfe
Das neue Gesetz
Auswirkungen des Gesetzes auf Ärzte
Ethische Aspekte
Auswirkungen des Gesetzes auf Patienten und ihre Angehörigen
Fazit
Ausblick
Teil 2: Was heißt hier «Selbstbestimmung»?
8 Was heißt hier «Selbstbestimmung»? Versuch einer
Annäherung
Jeder Mensch stirbt anders
Versuch einer Definition
Die juristische Bedeutung
Die Bedeutung für die Ärzte: Autonomie im Dialog
Die Bedeutung für die Patienten
Schlussbemerkung
9 Keiner stirbt für sich allein –
Psychosoziale, kulturelle und spirituelle Aspekte
der Selbstbestimmung
Der Ausweg
Die Familie ist wichtiger
Ambivalenz: Ein großes Hindernis
Der Wunsch, eine Spur zu hinterlassen
Glaube versetzt Schmerzen – Ohne Kommunikation keine Selbstbestimmung
Schlussbemerkung
10 Vorsorge für das Lebensende –
Jenseits der Patientenverfügung
Fallbeispiel
Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung
Bisherige Erfahrungen
Grenzen der Patientenverfügung
Warum es doch Sinn macht
Das Konzept des Advance Care Planning
11 Die Rolle der Gesundheitsindustrie – Cui bono?
Fallbeispiel
Der Grundfehler des Gesundheitssystems
Finanzielle Fehlanreize
Die echten Verstöße gegen die Menschenwürde
Zielgerichtete Arzt-Patienten-Kommunikation
Was wir brauchen: Eine hörende Medizin
12 Fürsorge und Selbstbestimmung:
Ein Vermittlungsversuch
Fürsorge durch Aufklärung
Selbstbestimmung und Souveränität
Schlussbemerkung
Danksagung
Anmerkungen
Bildnachweis
Liste nützlicher Websites
Warum ein neues Buch über das Sterben? Aus mehreren Gründen. Der wichtigste Auslöser war die sogenannte «Sterbehilfe-Debatte», die in den letzten Jahren in Deutschland wieder entflammt ist und ihr vorläufiges Ende im neuen, leider gründlich misslungenen Gesetz vom November 2015 gefunden hat. Die vielfach emotional geführten Diskussionen gleiten bedauerlicherweise nicht selten ins Plakative, wenn nicht gar ins Ideologische ab. Dann geht es nur noch darum, ob man «dafür» oder «dagegen» ist. Was dabei aus dem Blickfeld gerät, ist der Gegenstand der Diskussion selbst. Zwar wird, insbesondere von den sogenannten «Sterbehilfe-Befürwortern», immer wieder betont, es gehe um das unveräußerliche Gut der Selbstbestimmung am Lebensende – Stichwort etwa: «Mein Sterben gehört mir.» Aber es wird erstaunlich wenig darüber nachgedacht, was Selbstbestimmung am Lebensende überhaupt bedeuten kann.
Die Hauptthese dieses Buches ist, dass es zu kurz gegriffen und zudem realitätsfremd ist, wenn man die Debatte über die Autonomie am Lebensende auf die Selbstbestimmung des Todeszeitpunktes reduziert. In der Praxis ist dies nur für eine sehr kleine Anzahl von Menschen das ausschlaggebende Kriterium. Ausgehend von der unumstößlichen Tatsache, dass jeder von uns selbst bestimmt sterben wird, stellt sich die Frage, was selbstbestimmtes Sterben in der heutigen multikulturellen und pluralistischen Gesellschaft bedeuten kann. Geht es wirklich vorwiegend um die Frage, ob es erlaubt sein soll, unter bestimmten Umständen mit fremder Hilfe aus dem Leben zu scheiden? Oder verdeckt vielleicht die medial aufgeheizte Diskussion über die sogenannte «Sterbehilfe» den Blick auf wichtigere Realitäten, die für die allermeisten Menschen am Lebensende von größerer Bedeutung sind?
Wenn man als Arzt das Privileg geschenkt bekommt, Menschen auf dem letzten Stück ihres Weges begleiten zu dürfen, dann erschließt sich eine weit komplexere Wirklichkeit, als es die Vereinfachungen und Verallgemeinerungen in den Sterbehilfe-Talkshows vermuten lassen. So banal es klingt: Jeder Mensch stirbt anders, und die meisten Menschen sterben in etwa so, wie sie gelebt haben. Das Spektrum der Wünsche, Ängste und Nöte am Lebensende ist so unterschiedlich wie das Leben selbst. Es gibt zum Beispiel nicht wenige Menschen, die der Meinung sind, die Autonomie-Debatte gehe an ihnen gänzlich vorbei, weil sie gar nicht selbstbestimmt sterben wollen, sondern sich voll und ganz anderen Menschen anvertrauen möchten – was natürlich wiederum ein Akt der Selbstbestimmung ist.
Dieses Buch ist ein Versuch, zunächst ein wenig Klarheit in die Diskussion zu bringen, indem die verschiedenen Begriffe, die in der Diskussion immer wieder auftauchen und gelegentlich für Verwirrung sorgen (aktive, passive und indirekte Sterbehilfe, assistierter Suizid, Euthanasie usw.), anhand von Fallbeispielen aus der klinischen Praxis und der aktuellen Rechtslage in Deutschland erläutert werden. Dabei wird auch ein Gesetzesvorschlag vorgestellt, der dazu gedacht war, die leidige Diskussion um eine gesetzliche Regelung der «Sterbehilfe» zu einer vernünftigen Lösung zu führen, damit wir uns anschließend den wirklich wichtigen Problemen in der letzten Lebensphase widmen können. Am Ende des ersten Teils wird das neue «Gesetz über die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung» erläutert und kritisch bewertet.
Im zweiten Teil des Buches geht es genau um diejenigen Facetten der Autonomie am Lebensende, die für die meisten Menschen weit wichtiger sind als die Selbstbestimmung der Todesstunde, aber von der Debatte bislang weitgehend ausgeklammert werden. Dazu gehören unter anderem die Frage nach der tieferen Bedeutung von «Selbstbestimmung», die Vorsorgeplanung, die Rolle der Familie und weiterer psychosozialer, kultureller und spiritueller Faktoren sowie der weithin unterschätzte Einfluss der Gesundheitsindustrie auf unsere Optionen und auf unsere Entscheidungen für und in der letzten Lebensphase.
Das Buch ist (hoffentlich) so geschrieben, dass es auch aus sich selbst heraus verständlich ist. Allerdings basiert es weitgehend auf den Ausführungen zum Thema Lebensende, die ich in meinem ersten Buch Über das Sterben erläutert habe. Hierauf wird mehrfach Rekurs genommen, um Wiederholungen so weit möglich zu vermeiden. Dem Gegenstand geschuldet, geht der Text bei den einzelnen Punkten deutlich mehr ins Detail und ist sicher auch komplexer, wofür ich bei den Lesern sehr um Nachsicht bitten möchte. Wenn der geneigte Leser nun vermutet, das erste Buch sei so etwas wie «Sterben für Anfänger» und das vorliegende Buch, darauf aufbauend und vertiefend, eher «Sterben für Fortgeschrittene», so liegt er vielleicht nicht ganz falsch …
Möge dieses kleine Buch dazu beitragen, eine sachliche Diskussion über das Lebensende jenseits eines zu eng gefassten Autonomiebegriffes anzustoßen. Möge es aber vor allem den Menschen helfen, ihre eigene Endlichkeit bewusster anzuschauen, und damit die Angst vor dem Sterben ein klein wenig verringern.
München/Lausanne, im August 2016
Gian Domenico Borasio
Es ist erstaunlich: Über kaum ein Thema wird in Deutschland emotionaler, kontroverser und bisweilen ideologischer diskutiert als über die sogenannte «Sterbehilfe» – und dabei stellt sich immer wieder heraus, dass die Diskutanten sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, um was es bei der Debatte überhaupt geht. Begriffe wie «aktive», «passive», «indirekte» Sterbehilfe, Euthanasie, assistierter Suizid und viele andere mehr werden munter durcheinandergewürfelt. Man redet häufig aneinander vorbei, weil man nicht über dieselben Sachverhalte spricht. In diesem einleitenden Kapitel möchte ich versuchen, die Gründe für diese Verwirrung zu beschreiben und die Voraussetzungen für eine vernünftige Diskussion zu skizzieren. In den nachfolgenden Kapiteln wird es darum gehen, was «selbstbestimmtes Sterben» eigentlich bedeutet, was uns daran hindert, es zu erreichen, und warum die sogenannte «Sterbehilfe-Debatte» viel zu kurz greift.
Eine im Laufe der Jahre immer wiederkehrende Beobachtung ist die, dass viele der Diskussionen, die etwas mit dem Lebensende zu tun haben, auf seltsame Weise ins Irrationale abgleiten. Da werden Fakten missachtet oder verdreht, wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert, selbst der gesunde Menschenverstand wird teilweise außer Kraft gesetzt. Auch hochintelligente Menschen sind davon betroffen. Der Grund für dieses Verhalten ist einfach zu beschreiben: es ist die Angst. Die Angst vor dem eigenen Tod ist – aus biologischer Sicht verständlich – eine der stärksten Ängste, die ein Mensch erfahren kann. Hinzu kommt, in den letzten Jahrzehnten zunehmend, die Angst vor dem Sterben. Damit ist die Angst vor einem qualvollen Verlauf der letzten Lebensphase gemeint. Für viele Menschen ist es auch die Angst davor, einer Apparatemedizin ausgeliefert zu sein, die der Lebenserhaltung um jeden Preis verpflichtet ist.
Diese Ängste sind in der Bevölkerung weit verbreitet. Wenn man die Menschen fragt, wie sie sterben möchten, antwortet eine große Mehrheit: «Schnell und schmerzlos.» Dieser Wunsch wird sich aber nur bei einer kleinen Minderheit (ca. 5 Prozent) realisieren lassen. Etwa ein Drittel der Menschen würde einen mittelschnellen Tod über 2–3 Jahre (zum Beispiel durch Krebs) vorziehen, eine optimale pflegerische und palliativmedizinische Versorgung vorausgesetzt. In der Tat wird der Anteil dieser Todesfälle sich mittelfristig bei ca. 40 Prozent einpendeln, wobei es natürlich nicht garantiert ist, dass dieses Schicksal genau diejenigen trifft, die es sich gewünscht haben. Dagegen ist das von fast niemandem erwünschte Sterben im Rahmen einer Demenzerkrankung eindeutig auf dem Vormarsch: Es wird in Zukunft für 40–50 Prozent der Todesfälle verantwortlich sein, Tendenz steigend.
Grund dafür ist die – hinlänglich bekannte, aber immer wieder erfolgreich verdrängte – demographische Entwicklung. Schauen wir zur Erinnerung auf die Vorhersage für die Altersverteilung in Deutschland im Jahr 2050 (Abb. 1.1).
Abbildung 1.1: Voraussichtliche Altersverteilung in Deutschland im Jahr 2050.
Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl der Menschen über 80 in Deutschland auf über 10 Millionen erhöht haben, der Anteil der Hundertjährigen wird sich verzehnfachen. Die mittlere Lebenserwartung wird auf über 85 Jahre steigen, so dass die meisten Sterbenden 85 Jahre und älter sein werden.[1] Bis zu drei Viertel davon werden – wenn bis dahin kein Wundermittel entdeckt wird – an einer mehr oder weniger schweren Form der Demenz leiden und auf umfassende pflegerische Hilfe angewiesen sein. Die Anforderungen an die Pflege erhalten damit eine ganz neue Dimension. Die Herausforderung für die Gesellschaft wird noch größer dadurch, dass schon ab 2030 die ersten geburtenstarken Jahrgänge aus der Nachkriegszeit (die Babyboomer-Generation) das Lebensende erreichen, was die Zahl der Todesfälle in Deutschland von heute etwas mehr als 800.000 auf eine Million pro Jahr erhöhen wird (Abb. 1.2).
Abbildung 1.2: Sterbezahlen in Deutschland bis 2030, in Tausend.
Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen den Diskussionen zum Beispiel um die Folgen des Klimawandels und den Prognosen zur demographischen Entwicklung: Letztere sind unumstößlich, da die Menschen, um die es geht, schon alle da sind und täglich älter werden. Nur globale Katastrophen wie ein Nuklearkrieg könnten diese Vorhersagen wesentlich verändern. Ansonsten handelt es sich um die sicherste und wichtigste Aussage über die Zukunft unserer Gesellschaft, die wir heute treffen können – und um die am meisten unterschätzte.
Angesichts der Unausweichlichkeit der beschriebenen Entwicklung müsste man eigentlich davon ausgehen, dass die Politik sie zu einem zentralen Thema macht und dass rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, um den unaufhaltsam auf uns zurollenden demographischen Tsunami aufzufangen oder wenigstens abzumildern. Wenn man nach diesen Maßnahmen sucht, reibt man sich verwundert die Augen, denn man sieht sehr wenig.
Sicher, es gibt viele Foren, Talkshows, Kongresse und Symposien, die sich der alternden Bevölkerung widmen. Das ist inzwischen ein beliebtes Thema geworden. Auch auf den Internetseiten der Bundesregierung entdeckt man interessante Dokumente, zum Beispiel zur deutschen «Demografiestrategie». Unter anderem findet man eine Langfassung dieser Strategie auf 77 eng bedruckten Seiten, die eine bemerkenswerte Eigenschaft aufweisen: Die Worte «palliativ», «Hospiz», «Sterben», «Tod» oder «Lebensende» kommen darin nicht vor.[2]
Das ist ein gutes Beispiel für die Irrationalität in der Diskussion über das Lebensende: Hier wird praktischerweise die Diskussion über das Sterben gleich ganz ausgeklammert. Als ob die hochbetagten und pflegebedürftigen Menschen, um die es in der Regierungsstrategie geht, nicht auch alle – und zwar innerhalb relativ kurzer Zeit – sterben würden. Die durchschnittliche Überlebenszeit in einem deutschen Pflegeheim beträgt nur etwas mehr als ein Jahr. Schätzungen zufolge sind die Alters- und Pflegeheime dabei, in Kürze Sterbeort Nr. 1 in Deutschland zu werden, noch vor den Krankenhäusern und weit vor dem eigenen Zuhause. Wie kann in einer solchen Situation selbstbestimmtes Sterben aussehen? Darüber wird noch zu sprechen sein.
In den letzten Jahren wurde von den Medien zunehmend der Eindruck vermittelt, Selbstbestimmung sei das Wichtigste, was es am Lebensende überhaupt zu erreichen gibt. Das ist allerdings eine kulturhistorisch sehr junge Entwicklung. Von Anbeginn der Menschheit bis vor ganz kurzer Zeit war es selbstverständlich, sich in vorgegebene Schicksalsmuster zu fügen und anderen Menschen – in der Regel Vertreter bestimmter Berufe – die Deutungshoheit über das eigene Sterben zu überlassen. Im Mittelalter war es die ars moriendi (Kunst des Sterbens), deren Hüter die Vertreter der Geistlichkeit, also Priester und Mönche, waren. In neuerer Zeit waren es die Ärzte, welche diese Deutungshoheit übernahmen und vornehmlich deswegen als «Halbgötter in Weiß» tituliert wurden. Beiden Berufen gemeinsam ist die gegenüber dem Sterbenden ausgeübte Fürsorge – für sein ewiges Heil bei den Priestern, für seine Gesundheit bei den Ärzten. Und in beiden Fällen droht die Fürsorge ständig in wohlgemeinte Bevormundung (Paternalismus) umzuschlagen.
Bei den Priestern gehört es gewissermaßen zur Berufsbeschreibung, dass sie besser wissen als der Sterbende, was seinem ewigen Heil dient und was nicht. Daher erstaunt auch die Tatsache nicht, dass über Jahrhunderte der Prozess des Sterbens in genau festgelegten Bahnen und Ritualen abzulaufen hatte, wenn es denn ein «gutes Sterben» sein sollte. Die letzte Handlung am Sterbenden war eine sakramentale, nämlich die sogenannte «Letzte Ölung». Diese konnte nur einmal, und zwar kurz vor dem Tod (in articulo mortis), empfangen werden – womit dem spendenden Geistlichen auch die Fähigkeit zum Erkennen des nahenden Todes zuerkannt wurde. Heute redet man in der katholischen wie in der evangelischen Kirche übrigens nicht mehr von «Letzter Ölung», sondern von Krankensalbung. Diese darf auch mehrfach durchgeführt werden, was sicher ein Fortschritt und eine Erleichterung für die Seelsorger ist.
Bei den Ärzten leuchtet es ebenfalls ein, dass ihnen die Fachkenntnis im medizinischen Bereich zugesprochen wird. Weniger einleuchtend erscheint es allerdings aus heutiger Sicht, dass ihnen damit unausgesprochen auch die Definitionshoheit über den Begriff «Gesundheit» übertragen wurde. Bis vor ganz kurzer Zeit, und teilweise bis heute, konnte der Arzt gegenüber seinen Patienten unwidersprochen eine paternalistisch-fürsorgliche Haltung einnehmen: «Ich weiß genau – und viel besser als du –, was für dich Gesundheit zu bedeuten hat und welche Mittel nötig sind, um dich wieder in diesen Zustand zu versetzen.» Der Patient war damit (und ist es teilweise bis heute) passives Objekt der wohlgemeinten Fürsorgeabsicht der Ärzte. Das hat übrigens nicht nur Nachteile, wie wir sehen werden.
Es gibt allerdings ein grundsätzliches Problem mit dieser Haltung in Bezug auf das Lebensende: Wenn man den Tod als die ultimative Abwesenheit von Gesundheit definiert, wie es die Medizin im Grunde bis heute tut, dann ist die ärztliche Kunst letztlich immer zum Scheitern verurteilt, weil jeder Patient irgendwann sterben wird. Damit gibt es nur die Wahl zwischen einer Anpassung des Gesundheitsbegriffs, die womöglich (oh Schreck) auch nichtmedizinische Elemente integrieren müsste, oder einer massiven, kollektiven Verdrängung von Tod und Sterben im Medizinbetrieb. Wie wir alle wissen, ist das Gesundheitssystem im letzten Jahrhundert konsequent den zweiten Weg gegangen. Leider zum großen Nachteil der Patienten und ihrer Familien, also von uns allen, wie das folgende Fallbeispiel zeigt:
Frau W. war eine rüstige alte Dame, die seit dem Tod ihres Mannes vor 20 Jahren alleine zuhause lebte, leidenschaftlich gern malte und Gedichte schrieb. Ihr Freundeskreis wurde mit der Zeit aus biologischen Gründen immer kleiner, aber ansonsten ging es ihr so weit gut. Sie hatte auch eine Patientenverfügung verfasst, in der sie ihren Wunsch nach einem friedlichen Sterben ausdrückte und angesichts ihres Alters jede Krankenhauseinweisung strikt ablehnte. Die Patientenverfügung hatte sie ihrem Sohn übergeben, für den sie auch eine Vorsorgevollmacht erstellt hatte. Der Sohn wohnte allerdings in einer anderen Stadt, was sich als problematisch herausstellen sollte. Nachdem Frau W. einen leichten Schlaganfall erlitten hatte, wurde sie von ihrem Hausarzt dazu überredet, doch einen Notrufsender zu tragen, falls ihr in der Wohnung etwas zustoßen sollte. Der Sender tat auch brav seinen Dienst, als Frau W. einige Monate später einen deutlich schwereren Schlaganfall erlitt und bewusstlos in ihrer Wohnung zusammenbrach.
Die alarmierten Rettungssanitäter und der Notarzt setzten alle notwendigen Maßnahmen in Gang, um ihren Zustand zu stabilisieren, und brachten sie ins Krankenhaus. Dort wurde sie wegen einer beginnenden Lungenentzündung mit Antibiotika behandelt und zwei Wochen lang über eine Nasensonde künstlich ernährt. Ihr Zustand besserte sich so weit, dass sie wieder essen und trinken konnte. Inzwischen war auch ihr Sohn mit der Patientenverfügung angereist, aber die schien nicht mehr auf die aktuelle Situation zuzutreffen, denn der alten Dame ging es ja etwas besser. Sie konnte schließlich sogar nach Hause verlegt werden.
Einmal zuhause angekommen, kam sie in die Obhut ihres jungen und sehr engagierten Hausarztes. Dieser wies den Pflegedienst an, ja auf eine ausreichende Ernährung und Flüssigkeitszufuhr bei Frau W. zu achten. Er organisierte auch eine Krankengymnastin, die täglich eine Stunde kommen sollte, um Frau W. wieder «auf die Beine zu helfen». Aber Frau W. war für diese gut gemeinten Unterstützungsversuche nicht mehr richtig empfänglich. Sie redete kaum noch, verließ freiwillig nicht mehr ihr Bett, schlief fast die ganze Zeit, aß und trank fast nichts mehr und war offensichtlich dabei, wie eine verlöschende Kerze ihr Leben langsam auszuhauchen. Die Fütterungsversuche seitens der Pflegenden wie auch die Mobilisierungsversuche der Physiotherapeutin gereichten ihr zunehmend zur Qual, bis schließlich der Sohn – nach mehreren, zum Schluss heftigen Diskussionen mit dem Hausarzt – einen Rechtsanwalt einschalten musste, um zu erreichen, dass seine Mutter in Ruhe gelassen wurde und in Frieden sterben durfte. Der Hausarzt war fassungslos. Er konnte nicht verstehen, dass sein in der Tat weit überdurchschnittliches Engagement bei der Behandlung von Frau W. so wenig Wertschätzung fand. Aber er brachte es nicht übers Herz, den Sohn von Frau W. anzuzeigen, so dass dieser seine Mutter schließlich in Frieden zum Grab begleiten konnte. Frau W. war bei ihrem Tod 103 Jahre alt.[3]
Ende der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts begann, zaghaft, eine kleine Gegenbewegung im Medizinsystem. Sie wurde – gewiss kein Zufall – von einer Frau angestoßen. Eine Frau, die den Mut gehabt hatte, ihren beruflichen Horizont weit jenseits des seinerzeit Üblichen zu erweitern. Sie war ausgebildete Krankenschwester, Sozialarbeiterin und Ärztin (zu einer Zeit, in der es in Großbritannien noch sehr wenige Ärztinnen gab). Sie bezeichnete sich deswegen selbst, mit typisch britischem Humor, als «one-woman multiprofessional team». Und sie hätte den Medizin-Nobelpreis, den sie nie bekam, so viel mehr verdient als etliche Molekularbiologen, die nie einen Patienten gesehen haben.
Abbildung 1.3: Cicely Saunders am Bett eines Patienten.
Die Rede ist von Dame Cicely Saunders (1918–2005; Abb. 1.3), der Begründerin der modernen Palliativmedizin und Hospizarbeit. Sie gründete 1967 mit dem St. Christopher’s Hospice in London die erste moderne Einrichtung zur Pflege und Begleitung Sterbender und markierte damit den Anfang für eine stille Revolution in der Medizin. Die verschiedenen Angebote der Palliativ- und Hospizbetreuung und deren Entwicklung in Deutschland sind ausführlich in meinem Buch Über das Sterben beschrieben. Im vorliegenden Buch werde ich nur diejenigen Elemente wieder aufgreifen, die im Zusammenhang mit der Frage nach dem selbstbestimmten Tod stehen. Das sind allerdings, wie wir sehen werden, nicht ganz wenige.
Wenn man die sogenannte «Sterbehilfe-Debatte» in den Medien verfolgt, stellt man schnell fest, dass das Land in zwei Lager gespalten zu sein scheint. Das eine Lager fordert vehement die «Legalisierung der Sterbehilfe», also die gesetzliche Erlaubnis zur Durchführung von Maßnahmen, welche das Leben eines Menschen auf seinen Wunsch hin beenden (Tötung auf Verlangen) oder ihm ermöglichen, dies selbst zu tun (Suizidhilfe). Begründet wird diese Position durch die Freiheit des Einzelnen, das Recht auf ein Sterben in Würde und das Gebot der Neutralität des Staates gegenüber der Weltanschauung seiner Bürger. Jeder Versuch der Gegenargumentation wird reflexhaft als reaktionär und freiheitsfeindlich bezeichnet.
Das zweite Lager, unterstützt von den großen christlichen Kirchen, sieht – zugespitzt formuliert – jede Form von Tötung auf Verlangen und Beihilfe zur Selbsttötung als ein unter Strafe zu stellendes Vergehen an. Grundlage dieser Haltung ist die Vorstellung der Heiligkeit und Unverfügbarkeit des Lebens. Daraus wird abgeleitet, dass es zwar ein Recht auf Leben, aber kein Recht auf Sterben gibt. Untermauert wird dies durch die Befürchtung, jeder Zweifel daran leiste der Entwicklung eines unerträglichen Drucks auf ältere Menschen Vorschub, zugunsten der jüngeren Generationen doch bitte für ein «sozialverträgliches Frühableben» zu sorgen. Auch hier wird jeder Versuch der Gegenargumentation reflexhaft als unethisch und menschenverachtend tituliert.
Es ist hinlänglich bekannt, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. Angst ist aber auch eine schlechte Grundlage für vernünftige Diskussionen. Wenn sich zu der Angst vor dem (eigenen) Sterben auch noch die Angst vor der Preisgabe liebgewordener ethischer Positionen gesellt, wird ein Dialog mit dem Ziel einer echten Verbesserung der Situation praktisch unmöglich.
Aus dem Gesagten wird deutlich, dass es derzeit an einigen wesentlichen Voraussetzungen für eine vernünftige Diskussion über die Selbstbestimmung am Lebensende mangelt. Selbstbestimmung geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die wir uns erst einmal in ihrer Bedeutung bewusst machen sollten. Wünschenswert erscheinen insbesondere:
– eine Klarstellung der Bedeutung der in der Diskussion verwendeten Fachbegriffe (Sterbehilfe, Behandlungsabbruch, Suizidhilfe usw.),
– eine Trennung zwischen emotionalen bzw. ideologiebehafteten und sachlichen Argumenten,
– eine Erweiterung des Begriffs der Selbstbestimmung über die bisherigen Grenzen der «Sterbehilfe-Debatte» hinaus und hin zu den Wünschen und Prioritäten der betroffenen Menschen,
– eine Einbeziehung der psychosozialen, kulturellen und spirituellen Aspekte der Selbstbestimmung in die Diskussion,
– eine nüchterne Betrachtung der Rolle der ökonomischen Kräfte, die das Gesundheitswesen maßgeblich beeinflussen,
– und schließlich die Bereitschaft, die unglaubliche Breite an Einstellungen, Ansichten, Wünschen und Wertvorstellungen der Menschen zu akzeptieren und zur Grundlage für eine vernünftige Regelung zu machen.
Die folgenden Kapitel stellen den Versuch dar, einen kleinen Beitrag zur Schaffung der genannten Voraussetzungen zu leisten.
Fallbeispiel
Der noch junge Mann, erst 44 Jahre alt, litt an einem unheilbaren, weit fortgeschrittenen Nierenkrebs. Er hatte eine sehr liebevolle Beziehung zu seiner Frau und zu seinen zwei kleinen Kindern. Für sie nahm er belastende Chemotherapien in Kauf, um eine Chance auf eine Lebensverlängerung zu bekommen. Leider wirkten irgendwann alle Therapien nicht mehr, er litt unter Schmerzen und starker Müdigkeit und kam auf unsere Palliativstation. Dort konnten wir die Schmerzen rasch lindern, die Müdigkeit nahm aber zu, und es war bald klar, dass der Patient die Station nicht mehr lebend verlassen würde. Das war ihm selbst auch bewusst, und sogar ganz recht, aber er verlor dabei seinen Humor nicht. Es war kurz vor Weihnachten, und er fragte mich bei der letzten Visite vor den Feiertagen: «Herr Doktor, hoffentlich sehen wir uns nach Weihnachten nicht mehr?» – «Doch, das glaube ich schon», erwiderte ich, da sich sein Zustand nur langsam verschlechterte. «Würden Sie drauf wetten?», fragte er mich verschmitzt. «Wenn es nicht unmoralisch wäre, ja», antwortete ich, und er lächelte: «Dann schau’n mer mal.» Nach den Feiertagen kam ich wieder zur Visite, und der Patient empfing mich sofort mit einem «Da ham’s mal wieder recht g’habt» und fügte gleich hinzu: «Und wie lange habe ich jetzt noch?» – «Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen», antwortete ich wahrheitsgemäß. Daraufhin fragte mich der Patient, ob es nicht etwas gebe, um seinen Weg abzu kürzen, er sei so unendlich müde und hätte sich doch schon von allen verabschiedet. Darauf erwiderte ich, dass es sehr wohl etwas gebe: Er bekam nämlich noch eine Infusion, um seine schwache Nierentätigkeit zu unterstützen. Beim Abstellen der Infusion war davon auszugehen, dass es zum Nierenversagen und zum baldigen Tod kommen würde. Als ich ihm das erklärte, wurde er sehr wach und hörte aufmerksam zu. Dann sagte er: «Das muss ich mit meiner Frau besprechen.» Am Nachmittag teilte er uns seine Entscheidung mit. Die Infusion wurde abgestellt, und er starb friedlich im Kreise seiner Familie wenige Tage später.
Die Rechtslage zur sogenannten «passiven Sterbehilfe» (auch als «Sterbenlassen» bezeichnet) ist in Deutschland schon seit den Achtzigerjahren eindeutig. Sie basiert auf dem allgemein anerkannten Rechtsprinzip, dass jeder ärztliche Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Menschen unzulässig ist, wenn der Betroffene damit nicht einverstanden ist. Das heißt zu Deutsch: Ärztliche Zwangsbehandlung ist verboten.
Es gibt von diesem Grundsatz einige wenige Ausnahmen. Sie betreffen im Wesentlichen Menschen mit psychischen Erkrankungen, die eine Gefahr für sich selbst oder andere darstellen können. Hier ist eine Behandlung auch gegen den Patientenwillen erlaubt, weil man davon ausgeht, dass die psychische Krankheit es dem Patienten unmöglich macht, einen freien Willen zu bilden. Ansonsten ist aber klar: Jede Behandlung gegen den Willen des Patienten ist eine strafbare Körperverletzung.
Das bedeutet, dass jeder ärztliche Eingriff, sei es diagnostischer oder therapeutischer Art, von der einfachsten Blutabnahme bis zur Herz-Lungen-Transplantation, nur dann zulässig ist, wenn der Patient nach vorheriger Aufklärung in dessen Durchführung einwilligt. Das hat sich inzwischen in der Medizin herumgesprochen. Die verbreitete Tendenz der Ärzte nach maximaler rechtlicher Absicherung führt zwar mitunter zu seitenlangen schriftlichen Aufklärungsbögen, die kaum ein Patient wirklich liest, aber sei’s drum. Schwerer wiegt, dass den meisten Ärzten nicht wirklich bewusst ist, dass die Einwilligung des Patienten erst die zweite Voraussetzung darstellt, die für die Durchführung eines ärztlichen Eingriffs notwendig ist. Die erste, leider oft nicht explizit thematisierte Voraussetzung ist die medizinische Indikation.
Wenn ich bei Vorträgen gestandene ärztliche Kollegen frage, ob sie jemals in ihrer Ausbildung eine Vorlesung über die medizinische Indikation gehört haben, ist die Antwort ausnahmslos: nein. Das ist bedenklich, denn die medizinische Indikation ist die unabdingbare Voraussetzung für jeden ärztlichen Eingriff. Wie wir sehen werden, ist ihre Bedeutung sogar noch größer als die des Patientenwillens.
Was bedeutet nun genau der Begriff «medizinische Indikation»? Damit ist die ärztliche Entscheidung über die Sinnhaftigkeit einer medizinischen Maßnahme gemeint. Maßnahmen, die nach dem Stand der Wissenschaft für den Patienten in seiner aktuellen klinischen Situation wirkungslos oder gar schädlich wären (z.B. die Gabe eines Antibiotikums, auf das der gefundene Keim resistent ist, oder die Gabe von Flüssigkeit und Sauerstoff in der Sterbephase[1]), sind medizinisch nicht indiziert und dürfen vom Arzt nicht angeordnet werden – auch dann nicht, wenn Patienten oder Angehörige sie vehement verlangen.
Wie stellt man fest, ob eine Indikation vorhanden ist oder nicht? Das ist im Prinzip relativ einfach. Der Arzt muss sich zwei Fragen stellen:
1. Was ist das Therapieziel, das ich mit dieser Maßnahme erreichen möchte?
2. Ist das angestrebte Therapieziel mit der geplanten Maßnahme realistisch zu erreichen?
Die erste Frage erscheint fast trivial, denn mit einer Therapie will man doch immer irgendein vernünftiges Ziel erreichen. Und doch konnte genau diese Frage über die Hälfte der Fälle lösen, in denen das Palliativteam des Klinikums der Universität München zur Beratung bei kritischen Situationen auf Intensivstationen gerufen wurde.[2