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Robert Bohn

GESCHICHTE DER
SEEFAHRT

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck


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Zum Buch

Das Buch bietet einen Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Seefahrt von der frühen Antike bis in die Gegenwart und zeigt deren zivilisationsgeschichtliche Bedeutung. Schiffe vermittelten den materiellen wie kulturellen Austausch zwischen immer weiteren Kulturkreisen. Robert Bohn erklärt, wie Fortschritte in Schiffbau und Navigation in der frühen Neuzeit zu globaler maritimer Dominanz und kolonialer Weltherrschaft Europas führten. Das Buch schließt mit den Veränderungen in der Seefahrt im Zeitalter der Industrialisierung und der Container-Schiffe.

Über den Autor

Robert Bohn ist Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Flensburg. Von ihm liegen in der Reihe C.H.Beck Wissen vor: Die Piraten (32007); Dänische Geschichte (22009); Geschichte Schleswig-Holsteins (2006).

Inhalt

Seefahrt in Frühgeschichte und Antike

Seefahrt im Mittelmeer in Mittelalter und früher Neuzeit

Von den Wikingern zur Hanse: Seefahrt im mittelalterlichen Nordeuropa

Das Zeitalter der Entdeckungsfahrten

Durch Seeraub zur Seemacht

Navigation: Kunst und Handwerk der Seefahrt

Globalisierung der Seefahrt im Zeitalter der großen europäischen Seehandelsgesellschaften

Entwicklung des Schiffbaus und Organisation der Seefahrt bis zum 19. Jahrhundert

Vom Segel zur Schraube: Seefahrt im Zeitalter der Industrialisierung

Von der Vielfalt zur Spezialisierung und Konzentration: Seefahrt im 20. Jahrhundert

Glossar

Literatur

Namens- und Ortsregister

Seefahrt in Frühgeschichte und Antike

Wie die Erfindung des Rads veränderte die Erfindung des Boots das Leben der Menschen. Die ersten Boote, die diesen Namen verdienen, waren Baumstämme, die mit Hilfe primitiver Werkzeuge und Feuer ausgehöhlt wurden. Dieser Anfang geschah in grauer, nicht datierbarer Frühzeit überall dort, wo das Bedürfnis vorhanden war, sich aufs Wasser zu begeben – und wo geeignete Bäume wuchsen. Andernorts, wo es kein brauchbares Holz gab, stellte man Boote oder Flöße aus zusammengeflochtenen Schilfbündeln her, wie etwa in Ägypten oder Teilen Südamerikas. Andere Bootstypen der Frühzeit waren aus Tierhäuten gefertigt, die auf einen Rahmen aus Ästen oder Tierknochen gespannt wurden. Mit all diesen Booten konnte man sich auf Flüsse oder Seen begeben oder an Küstensäumen entlangfahren, sogar, wenn der Wagemut ausreichte oder die Not drängte, Land hinter dem Horizont suchen. Sie erfüllten vielerlei Funktionen. Raumgreifende Seefahrt im eigentlichen Sinn war damit nicht möglich.

Um größere Wasserflächen sicher überqueren und weitere Entfernungen bewältigen zu können, mussten die Menschen ein Fahrzeug entwickeln, das größer war als ein Einbaum, ein einfaches Floß oder ein aus Tierhäuten geflochtenes Korakel und das vor allem einen Antrieb besaß, der nicht wie das Paddeln von menschlicher Arbeit abhängig war. Insofern war die Ausnutzung der Windkraft durch ein Segel eine der seefahrtsgeschichtlich wichtigsten Errungenschaften, wenn nicht sogar noch vor der Erfindung von Dampf- und Verbrennungsmotoren aufs Ganze gesehen die wichtigste überhaupt. Denn mit dem Segel beginnt die Geschichte der Seefahrt.

Der Zeitpunkt, wann Segel in der maritimen Schifffahrt erstmals zur Anwendung kamen, liegt ziemlich im Dunkeln, doch weiß man, dass bereits um die Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr. die Ägypter mit zunächst aus Papyrus gefertigten Booten, die mit Segeln und Paddeln ausgestattet waren, auf dem Nil und dessen Mündungsdelta fuhren, von wo aus sie sich immer weiter in den östlichen Mittelmeerraum vortasteten. Interregionale Beziehungen über das Meer begannen nun für die zivilisatorische Entwicklung eine Rolle zu spielen. Die sich immer weiter ausprägende Seefahrt trat dabei als wesentlicher historischer Faktor in Erscheinung, wie die Kulturentwicklungen in den Küstenzonen und auf den Inseln des Mittelmeeres zeigen.

Um 3000 ersetzten die Ägypter bei den größeren Booten die Paddel durch Kräfte sparende und effektivere Riemen, was eine weitere Revolution im Schiffsantrieb darstellte. Weil das Schiff auch im Totenkult der altägyptischen Hochkultur eine zentrale Rolle spielte, gibt es zahlreiche bildliche Darstellungen dieser Seefahrt. Den Hieroglyphen und Bandreliefs aus jener Zeit ist zu entnehmen, dass es bereits einen stetigen Seehandel mit der Levanteküste gab. Von dort wurde das für den Schiffbau so wichtige hochwertige Zedernholz geholt, denn inzwischen wurden neben den Papyrusbooten auch seetüchtige Holzschiffe gebaut. Etwa zur gleichen Zeit entwickelte sich die Seefahrt der Ägypter auf dem Roten Meer, und etwa 1000 Jahre später fuhren Segelboote vom Roten bis zum Arabischen Meer. Sie schufen die Voraussetzungen für regelmäßige Verbindungen zwischen den Hochkulturen am Nil und im Zweistromland mit dem Indischen Subkontinent, wo sie einen entscheidenden Impuls für die Entwicklung der Hochkultur im Industal geliefert haben. Diese frühe Seefahrt wurde von Herrschern zentral gelenkt und diente nicht nur dem Warenaustausch, sondern auch dem fürstlichen Luxusbedürfnis und der Prachtentfaltung. Hinzu trat immer auch eine kriegerische Komponente mit imperialen oder kolonisatorischen Absichten.

Letzteres machte sich, jetzt auch historisch deutlicher greifbar, bei dem maritimen Handelsimperium der Phönizier in besonderer Weise geltend. Um 1000 v. Chr. segelten die Phönizier zwischen ihrer levantinischen Heimat und ihren Kolonien im westlichen Mittelmeer, ja auch durch die Straße von Gibraltar in den Atlantik und legten an der marokkanischen Atlantikküste Handelsstationen an. Münzfunde auf den Azoren deuten darauf hin, dass phönizische Schiffe sogar bis hierher gelangten. Plinius der Ältere (23–79 n. Chr.) schreibt, dass vom phönizischen Karthago aus Seefahrer Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. bis zu den Zinninseln (Britannien) fuhren, um von dort das begehrte Metall für die Bronzeherstellung zu holen. Seefahrtsverbindungen zu den Britischen Inseln dürfte es aber schon Jahrhunderte zuvor gegeben haben, worauf die Bronzeherstellung im östlichen Mittelmeerraum im 3. vorchristlichen Jahrtausend hindeutet.

Die Schiffe der Phönizier besaßen außer dem Segel eine Errungenschaft, die die Fahrt über das offene Meer erleichterte, nämlich einen durchgängigen Kiel, den die Schiffe der Ägypter noch nicht hatten. Deren Schiffe bestanden gewissermaßen nur aus der hölzernen Außenhaut, die aus dicken, mit Holzdübeln miteinander verzapften Planken aufgezimmert wurde. An beiden Enden waren die Steven hornartig aufgebogen. Zur Verstärkung der Querverbände legte man in Höhe des obersten Plankengangs eine Trosse um das ganze Schiff. Auf altägyptischen Schiffsdarstellungen kann man auch ein dickes Tau erkennen, das um die Schiffsenden geschlungen wurde und über keilförmige Ständer längs über das Deck verlief. Dadurch sollte die Längssteifigkeit verbessert werden.

Die Schiffe der Phönizier erhielten durch den Kiel nicht nur eine weit bessere Längsversteifung, die das Schlingern in Wind und Wellen verhinderte. Dadurch konnten auch größere Fahrzeuge gebaut werden. Es waren Schiffe, die auf Spanten gebaut und mit Holzplanken in Kraweelbauweise umkleidet wurden, bei der die Planken Kante an Kante aufeinander liegen. Neben dem Segel besaßen sie wie die Schiffe der Ägypter Ruderbänke.

Die Phönizier begründeten eine Schiffbautradition, die im Mittelmeer bis in die frühe Neuzeit hineinreichen sollte. Wenngleich im Laufe der Jahrhunderte der Schiffbau vielgestaltiger wurde, hat man doch immer wieder kombinierte Segel- und Ruderschiffe (Galeeren) gebaut. Selbst die vor allem aus der griechischen und römischen Antike überlieferte zwei- oder dreibänkige Galeere geht letztlich auf die Schiffbaukunst der Phönizier zurück. Diese eher schlanken Schiffe, bei denen es auf Schnelligkeit und Manövrierfähigkeit ankam, fanden in erster Linie als Kriegsschiffe Verwendung. Der meistgebaute Typ war die Triere/Trireme, die über drei Ruderreihen verfügte. In der berühmten Seeschlacht bei Salamis (480 v. Chr.) soll die griechische Flotte aus 378 solcher Schiffe bestanden haben. Während des Peloponnesischen Krieges bauten die Kriegsgegner gar große Vier- und Fünfruderer – ein Kriegsschiffstyp, der auch in den Flotten späterer antiker Seemächte eingesetzt wurde. Außerhalb des Mittelmeerraumes fand dieser Schiffstyp allerdings keine Verwendung.

Das gewöhnliche antike Handelsschiff, bei dem eine vielköpfige Ruderbesatzung nicht zweckmäßig, weil teuer und platzraubend gewesen wäre, war dagegen ein hochbordiges, dickbauchiges Schiff mit einem mittschiffigen Mast und abgerundetem Heck und Bug. Das rechteckige Segel konnte nur bei achterlichem Wind eingesetzt werden. Bei vorderlichen Windverhältnissen und natürlich bei Flaute musste die zahlenmäßig geringe Mannschaft rudern. Diese Schiffe dürften in der Regel etwa 15 Meter lang und in der Mitte vier bis fünf Meter breit gewesen sein. Bei günstigen Windverhältnissen könnten sie eine Geschwindigkeit von fünf Knoten erreicht haben.

Ausgehend von diesem Grundtypus entwickelten die Griechen und Römer mit den gestiegenen Anforderungen an den Seehandel größere Schiffe mit zwei und zum Teil auch drei Segeln. Das Hauptsegel am Großmast, der nun etwas weiter vorn platziert wurde, erhielt variablere Formen, und an einem Bugspriet befestigte man ein kleines Rahsegel, womit die Manövrierfähigkeit des Schiffes verbessert wurde. Römische Handelsschiffe, insbesondere diejenigen, die alljährlich das für Rom so lebenswichtige Getreide aus Ägypten holten, erreichten eine Tragfähigkeit von bis zu 1000 Tonnen und hatten mit dem Besanmast einen dritten Mast. Sie hatten weiterhin eine rundliche Form und konnten noch immer nicht gegen den Wind segeln. Gesteuert wurden sie wie ehedem mit Hilfe zweier auf beiden Seiten des Hecks angebrachter Steuerruder, die mit einer Ruderpinne miteinander verbunden waren. Diese großen Schiffe konnten zwei bis drei Decks aufweisen und hatten achtern oft noch ein Deckshaus.

Während sich im ganzen Mittelmeerraum, dem Schwarzen Meer sowie im Indischen Ozean mit seinen Nebenmeeren der Gebrauch des Segels mit zahlreichen Bootstypen bis zum Beginn der klassischen Antike allgemein durchgesetzt hatte, ist dergleichen in Nordeuropa, das heißt bei den seefahrenden Völkern an Nord- und Ostsee, bis ins frühe Mittelalter nicht belegt, obwohl es spätestens seit der Römerzeit einen regen Kontakt mit der mittelmeerischen Welt gab. Tacitus berichtet kurz nach der Zeitenwende noch von primitiven Urformen, die ihn mehr an einen Einbaum erinnerten. Überhaupt sollte die Schiffbaukunst im Norden Europas, was die Größe der Schiffe betrifft, erst rund 1000 Jahre später an die des Mittelmeeres der Antike heranreichen. Allerdings verschwanden mit dem Untergang des Imperium Romanum auch im Mittelmeerraum Schiffe einstiger Größe für einige Jahrhunderte. Bezüglich Nordeuropa zeigt der bedeutende Bootsfund von Nydam (Südjütland), dass hier noch um 400 n. Chr. die seegängigen Boote ausschließlich mit Riemen eingerichtet waren. Erst mit den Wikingern tauchte im Norden ein neuer Bootstyp mit Segeln auf.

Anders dagegen im asiatischen und pazifischen Raum. In der ostasiatischen Inselwelt und im Chinesischen Meer waren ein- und zweirumpfige Segelboote regional verschiedener Bauart schon lange vor der Zeitenwende in Gebrauch. Die aus großen Baumstämmen gefertigten Kanus der Polynesier mit ein oder zwei Auslegern und ein oder mehreren dreieckigen Segeln waren hochseetüchtig und konnten bis zu drei Dutzend Personen befördern. Mit ihnen wurde, ausgehend von Neuguinea, bis zur Mitte des 1. Jahrtausends n. Chr. die gesamte pazifische Inselwelt zwischen den Salomonen im Westen und den Osterinseln im Osten sowie zwischen Hawaii im Norden und Neuseeland im Süden kolonisiert.

In den Meeren um Amerika wiederum waren Segelschiffe bis zur Ankunft der Europäer anscheinend nicht bekannt, wenn man von der kurzen Episode der Fahrten der Wikinger nach Neufundland von Grönland aus um 1000 v. Chr. absieht. Doch dieser kurzzeitige Aufenthalt hat dort keine nachhaltigen Spuren hinterlassen. Erst mit dem Auftauchen der Spanier am Ende des 15. Jahrhunderts tritt Amerika sozusagen in die Seefahrtsgeschichte ein. Davor beschränkten sich die Fahrten der Ureinwohner mit ihren Kanus oder Flößen auf schmale Küstenstreifen und die karibische Inselwelt. Kolumbus hielt bei seiner Ankunft auf den Bahamas im Oktober 1492 mit ersichtlichem Erstaunen in seinem Bordtagebuch fest, wie geschickt die Eingeborenen mit ihren großen ausgehöhlten Baumstämmen umgingen, in denen bis zu 50 Leute gesessen haben sollen. Knappe Hinweise in spanischen Schriften aus frühkolonialer Zeit auf die Anwendung primitiver Segel auf Flößen bei den Inkas sind wissenschaftlich umstritten.

Über die Organisation der frühgeschichtlichen Seefahrt gibt es nur spärliche literarische Quellen und materielle Zeugnisse. Ägyptische Hieroglyphen aus dem 2. vorchristlichen Jahrtausend berichten von der Fahrt einer großen Flotte in das sagenhafte Land Punt, das am südlichen Ausgang des Roten Meeres gelegen haben soll. Von dort wurden wertvolle Waren ins Reich der Pharaonen geholt. Ob die laut Herodot (ca. 484–420 v. Chr.) um 600 v. Chr. im Auftrag des Pharaos Necho von phönizischen Seefahrern durchgeführte Fahrt einer ägyptischen Flotte über das Rote Meer hinaus bis zur Südspitze Afrikas und an dessen Westküste gen Norden und durch die Straße von Gibraltar zurück ins Mittelmeer tatsächlich jemals stattgefunden hat, ist in der Forschung umstritten. Immerhin gab es damals die Vorstellung, dass Afrika vom Meer umgeben sein müsse. Herodot zufolge hat diese Schiffsreise knapp drei Jahre gedauert.

Einen ersten Höhepunkt erreichte die Seefahrt im Mittelmeer in der Mitte des 2. vorchristlichen Jahrtausends mit der Blüte der noch in mancherlei Hinsicht rätselhaften kretisch-minoischen Kultur, in der der sagenhafte König Minos von Kreta aus über weite Teile der Ägäis ein Seereich, eine Thalassokratie, errichtete. Bildliche Darstellungen kretisch-minoischer Schiffe wie auf den Fresken von Thera (Santorin) zeugen von einer Verwandtschaft mit dem ägyptischen Schiffbau. Gegen Ende des Jahrtausends setzte die so genannte dorisch-ionische Wanderung dieser Blüte allerdings ein Ende.

Es begann der Aufstieg der Phönizier als Beherrscher des mittelmeerischen Seehandels über rund 400 Jahre. Homer schildert in der Odyssee die wiederholten Begegnungen seines Helden mit phönizischen Seefahrern und Kaufleuten, die selten konfliktfrei blieben. Wir erfahren durch die homerischen Epen, dass die Phönizier See- und Kaufleute in einem waren, die in der Regel Fahrgemeinschaften bildeten, um ein gemeinsames Seehandelsprojekt durchzuführen. Wagemut und Abenteuerlust scheinen bei ihnen neben Geschäftssinn wesentliche Charaktereigenschaften gewesen zu sein. Von ihren Stadtstaaten an der Levanteküste aus gründeten die Phönizier Handelsstationen und Tochterstädte bis ins westliche Mittelmeer, die den Fernhandel ankurbelten: Karthago, Palermo, Málaga, Cádiz – um nur einige der wichtigeren zu nennen. Unter ihnen sollte sich Karthago zur bedeutendsten Pflanzstadt entwickeln. Mit dem Zerfall des phönizischen Seehandelsimperiums infolge der assyrischen Eroberungen der Levante übernahm Karthago die Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer. Aller Seehandel konzentrierte sich nun auf diese Stadt, die danach strebte, das Seegebiet zwischen Spanien und Sizilien sowie die Fahrt in den Atlantik für fremde Handelsschiffe zu sperren.

Mit der griechischen Kolonisation in Unteritalien und Südfrankreich war vom 8. bis 6. vorchristlichen Jahrhundert eine konkurrierende Seehändlerschicht herangewachsen, die zunehmend erstarkte. Es entstanden damit neue Bedingungen für die Seefahrt. Ihren Ausdruck fanden sie unter anderem darin, dass zeitgenössische Schiffsdarstellungen überwiegend Kriegsschiffe unterschiedlicher Bauart zeigen. Es taucht dabei erstmalig auf griechischen Vasen des 8. Jahrhunderts v. Chr. als neuer Typ ein Schiff mit einem am Bug in Höhe der Wasserlinie liegenden Rammsporn auf. Mit ihm sollte durch geschicktes Manövrieren das gegnerische Schiff an der Breitseite durchlöchert und zum Sinken gebracht werden. Diese Darstellungen korrespondieren mit den Aussagen antiker griechischer Autoren, denen zufolge mehrere Seeschlachten zwischen Griechen und Phöniziern/Karthagern stattgefunden haben, aus denen die Griechen zumeist als Sieger hervorgingen. Es bleibt aber die Frage offen, ob dieser neue Typ Kriegsschiff und die damit zusammenhängende Änderung der Seekriegstechnik (Manövrieren in geschlossenen Verbänden) tatsächlich eine griechische Erfindung waren, oder ob sie nicht auch wie vieles in der antiken Schiffbaukunst auf die Phönizier zurückgehen. Zu fragen bleibt auch, ob diese maritime Konfrontation wirklich durchweg so konfliktreich war oder ob es nicht über weite Strecken eher ein Nebeneinander, fallweise sogar Miteinander gegeben hat, wodurch die mediterrane Seefahrt jener Epoche geprägt wurde. Denn beide, Griechen und Phönizier, schufen durch diese das ganze Mittelmeer und das Schwarze Meer umfassende maritime merkantile Vernetzung jene Kultur und Zivilisation, die wir als klassische Antike bezeichnen.

Mittelmeer und Schwarzes Meer waren für die antiken Seefahrer mit der Gewissheit einer jenseitigen Küste geschlossene Meere. Anders dagegen der Ozean hinter den Säulen des Herkules, wie die Meerenge zwischen Spanien und Nordafrika bezeichnet wurde. Für Homer war das jenseits davon gelegene Meer ein mythischer Ort, den er mit dem Hades gleichsetzte – ein Meer ohne Wiederkehr. Über die Seefahrt in diesem Meer ohne Gegenküste geben die literarischen Quellen nur vage Hinweise. Sie berichten, wie sich bereits phönizische und karthagische Seefahrer in dieses Meer hinauswagten. So soll der legendenumwobene Seefahrer Hanno von Karthago um 500 v. Chr. an der Westküste Afrikas entlanggesegelt sein und dort einige Handelsorte gegründet haben. Hannos Reisebericht ist in einer späteren griechischen Transkription erhalten geblieben. Die geographischen Beschreibungen, die Hanno zahlreich auflistet, sind allerdings schwer zu deuten, zumal sie mit unzuverlässigen Distanzangaben über die Fahrtstrecke und die Geschwindigkeit versehen sind. Einigen Interpretationen zufolge soll Hanno bis über die Kapverdischen Inseln hinaus und möglicherweise bis in den Golf von Guinea gekommen sein. Hannos Fahrt hat indes, wenn sie denn stattgefunden hat, keine nachhaltige Wirkung auf die antike Seefahrtsgeschichte ausgeübt. Es sind keine Seefahrer bekannt, die nach ihm auch nur annähernd so weit an der westafrikanischen Küste nach Süden vorstießen. Das sollte erst rund 2000 Jahre später den Portugiesen vorbehalten bleiben.

Mit der sagenhaften Schiffsreise des Pytheas von Massilia (Marseille) gegen Ende des 4. vorchristlichen Jahrhunderts entlang der iberischen Atlantikküste und durch die Biscaya zur Irischen See und wahrscheinlich noch weiter nach Norden und um Britannien herum tritt dieses Meer stärker in den Gesichtskreis antiker griechischer Autoren. Fragmente des verloren gegangenen Reiseberichts des Pytheas sind von diesen Autoren in ihre geographischen Beschreibungen aufgenommen worden. Es taucht erstmals das für die griechischen Seefahrer bis dahin unbekannte Phänomen von Ebbe und Flut auf, das es im Mittelmeer nicht gibt. Pytheas sah bereits eine Beziehung zum Mondumlauf, auch wenn seine Erklärungen von der späteren Wissenschaft widerlegt wurden. Die monatelange Rundreise Pytheas’ in der britischen Inselwelt führte zu weiteren Beobachtungen, die die geographischen und astronomischen Kenntnisse der Griechen erweiterten und sie zu unzähligen Spekulationen veranlassten: das Polarlicht, die langen Tage des nordischen Sommers und die lange Winterfinsternis, Schnee und Eisberge sowie die sonderlichen Gewohnheiten und Riten der dortigen Menschen. Dieser Teil Europas wurde mit der Reise Pytheas’ in die antike Mittelmeerwelt und deren Seefahrt einbezogen.

In den letzten Jahrhunderten vor der Zeitenwende hat der Seehandel eine enorme Ausweitung erfahren. Zwischen den Meeren des Nordens, dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer fand ein lebhafter Warenaustausch statt. Genügten früher einfache Einrichtungen, um die Schiffe zu be- und entladen, wurde mit dem Bau größerer Schiffe und dem gestiegenen Frachtaufkommen der Ausbau der Häfen notwendig, von denen die bedeutenderen Kai- und Schutzmauern, große Molen und Lagerbauten erhielten. Hiermit wurden bereits in der Antike die beiden grundlegenden Funktionen eines Hafens definiert: Schutz vor dem Meer und Erleichterung des Warenumschlags.

Hafenstädte dienten nicht nur dem maritimen Warenaustausch, auch das Wissen der Schiffer zirkulierte von diesen Tauschplätzen aus. Alexandria wurde in der Zeit des Hellenismus, das heißt nach der Aufteilung des Reiches Alexanders des Großen unter die so genannten Diadochen, zur wichtigsten Hafenstadt des Mittelmeeres. Die Stadt war nicht nur Zentrum der Gelehrsamkeit – besonders der maritimen Wissenschaften –, sie war auch Ausfuhrhafen ägyptischen Getreides und Umschlagplatz der aus Arabien und Indien über das Rote Meer herangebrachten Güter. Hierfür war extra ein Kanal vom Roten Meer zum Nil gebaut worden. Der große Leuchtturm an der Hafeneinfahrt zählte zu den sieben Weltwundern der Antike.

Piräus, der Hafen Athens, stand vordem zur klassischen Zeit Alexandria kaum nach. Piräus war in der Mitte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts der größte Hafen gewesen. Hierher kamen täglich Schiffe aus den entferntesten Gegenden des Mittelmeeres und des Schwarzen Meeres, um vor allem in großen Mengen Nahrungsmittel für die zahlreichen Bewohner Athens und Rohstoffe für die Gewerbe der Stadt zu bringen, aber auch Luxuswaren für die Oberschicht der Polis – und nicht zuletzt Schiffbaumaterial für den Unterhalt und Ausbau der mächtigen athenischen Flotte. Der Seehandel hatte eine Bedeutung erreicht wie nie zuvor.

Im Laufe des 3. Jahrhunderts v. Chr. betrat eine neue Macht die Bühne der Seefahrtsgeschichte: Rom. In der Auseinandersetzung mit Karthago und infolge der Ausdehnung der Einflusssphäre der Res Publica bis Sizilien wurde es notwendig, zum Schutz der römischen Handelsschiffe und der Häfen vor Angriffen der Punier wie auch der zahlreichen Piraten eine Kriegsflotte zu bauen. Dank technischer und taktischer Innovationen konnte Rom noch vor dem Ende des Zweiten Punischen Krieges (202 v. Chr.) die Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer erringen. Es war der Beginn der dann stetigen Expansion auch in den östlichen Mittelmeerraum, die – bezogen auf die Seefahrtsgeschichte – 188 v. Chr. mit dem Sieg über die Flotte des Seleukidenherrschers Antiochos III. in Kleinasien ihren vorläufigen Abschluss fand. Rom herrschte nun über das ganze Mittelmeer, was in der Bezeichnung dieses Meeres als ‹mare nostrum› seinen beredten Ausdruck fand. Von da an stieß die römische Seemacht über die Straße von Gibraltar hinaus in den Atlantik bis nach Britannien vor.

Wichtigste Drehscheibe des Seehandels zwischen Gallien, Britannien und dem Mittelmeer wurde Gades (Cádiz) in Südspanien. In diesen Hafen kamen alle, die vom boomenden Seehandel profitieren wollten: Kaufleute und Seefahrer, Abenteurer und Kriminelle. Gades war Ausgangspunkt verwegener Expeditionen in den Atlantik nach Süden und nach Norden auf der Suche nach den von den alten Autoren beschriebenen mythischen Orten, wo Reichtum und Glückseligkeit zu erlangen waren. Zu diesen Orten zählten auch die noch weitgehend sagenumwobenen Zinninseln (Britannien). Der berühmteste Abenteurer, der von Gades und Galicien aus mehrere Jahre lang die Biscaya erkundete und schließlich mit einer Flotte von angeblich 800 Schiffen in Britannien landete, war Julius Caesar. Er bereitete auf diese Weise der römischen maritimen Hegemonie den Weg aus dem Mittelmeer hinaus in den Okeanos, den Atlantik.

Ausgehend von den Schriften antiker Geographen und aufbauend auf neue geographische Kenntnisse und navigatorische Fortschritte im Zuge dieser maritimen Expansion, die in der frühen Kaiserzeit fortgesetzt wurde, stand die römische Seefahrt an der Schwelle, die Fahrt nach Westen über den Atlantik zu wagen. Damit hätte sie vorwegnehmen können, was erst Kolumbus gelingen sollte, dessen Fahrt im Grunde auf nahezu demselben geographischen und nautischen Wissen beruhte. Dass Rom nicht zum Entdecker der fernen atlantischen Welten wurde, hing nicht zuletzt damit zusammen, dass sich der Seehandel nach den römischen Eroberungen im Vorderen Orient zunehmend auf die dortigen Gewässer konzentrierte. Insofern fehlte der ökonomische Anreiz, den theoretisch vorbereiteten Seeweg gen Westen zu den begehrten Gütern Indiens und Asiens zu suchen.

Dass sich der Kenntnisstand über die frühgeschichtliche Seefahrt und deren ökonomische wie kulturelle Bedeutung ganz besonders auf den Mittelmeerraum und den Vorderen Orient konzentriert, hängt zum einen mit dem Grad der Erforschung dieser historischen Räume zusammen, zum anderen damit, dass in diesen Regionen die Seefahrt in der Antike tatsächlich einen herausgehobenen Entwicklungsstand erreicht hatte und einen geschichtsmächtigen Faktor darstellte. In welchem Umfang und mit welchem Erscheinungsbild eine Seefahrt jenseits dieser Regionen in Hinterindien und den pazifischen Räumen in dieser Frühzeit stattfand, ist nur in groben Zügen bekannt.