Die Schlacht bei Königgrätz 1866. Die preußischen Armeen siegen über das österreichische Hauptheer. In der Bildmitte König Wilhelm, Helmuth von Moltke und Otto von Bismarck. Gemälde von Christian Sell

Klaus-Jürgen Bremm ist Historiker mit dem Spezialgebiet Militärgeschichte und Publizist. Er veröffentlichte zahlreiche Bestseller bei der wbg.

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Klaus-Jürgen Bremm

1866

Bismarcks deutscher Krieg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Inhalt

Einleitung

I. Der Weg in den Krieg

Eine vertane Chance – Der Deutsche Bund von 1815

Bismarck und das Trauma von Olmütz 1850

Italien und das Risorgimento 1815–1866

Reformen ohne Ziel – Österreichs Armee von 1848–1866

Zwischen Pickelhaube und Zündnadelgewehr – Preußens Armee als Säule der politischen Reaktion und Speerspitze des modernen Krieges

Exkurs: Vom Vorbild zur Verdammung – Der Preußische Generalstab von Massenbach bis Moltke

II. Entscheidung in nur sechs Wochen – Custoza, Königgrätz, Langensalza und Lissa

Anlauf zum großen Krieg – Kalkulationen und Planungen

Exkurs: Auszug mit Hindernissen – Die Preußische Garde verlässt Berlin

Preußens Feldzug gegen Hannover und Kurhessen – Grundzüge eines neuen Kriegsbildes

Auf den Spuren Radetzkys – Österreichs Sieg in der zweiten Schlacht von Custoza

Nutzloser Achtungserfolg der Hannoveraner – Die Schlacht bei Langensalza

Vorwärts nach alter Sitte – Nachod, Trautenau, Skalitz und Gitschin

Exkurs: Ein Stiefkind der preußischen Armee – Die elektrische Telegrafie

Königgrätz – Die Preußen im Nacken und die Elbe im Rücken

Vormarsch auf Wien

Die Operationen der preußischen Mainarmee in Süddeutschland

Exkurs: „Ich will keinen preußischen Pardon“ Die – Schlacht bei Kissingen am 10. Juli 1866

Exkurs: Österreicher alleingelassen – Die Schlacht bei Aschaffenburg am 14. Juli 1866

Italienischer Epilog – Österreich behauptet das Trentino und die Isonzo-Linie

Exkurs: Lissa 1866 – Antike Seekriegsführung an der Schwelle zur Moderne: Panzerschiffe im Rammeinsatz

III. Die Neugestaltung Mitteleuropas

Die „Revolution von oben“ Ein Monarchist stürzt Monarchien

Exkurs: „Weder die Ehre Englands noch seine Interessen sind betroffen.“ Apeasement und Kalkül – Großbritanniens Neutralität im Krieg von 1866

1866 – Triumph der Ungarn und Trauma der Deutsch-Österreicher

Nationalstaat oder Föderation? – War Bismarcks militärische Reichsgründung alternativlos?

Anhang

Anmerkungen

Abbildungsnachweis

Bibliografie

Register

Einleitung

„Graf Bismarck hat neben sich einen zögernden Souverän mit einem unsicheren Gewissen, das unter verschiedenen gemischten und gearteten Einfüssen handelt; er hat ferner eine feindliche Nation vor sich und hinter sich eine Sache, die, bis zu einem gewissen Grade in ihrem Ziel volkstümlich, doch in der Form und der Methode dem öffentlichen Gefühl widerstrebt.“

Francis Napier of Merchistone, Britischer Botschafter in Berlin, am 14. Oktober 18651

Am 3. Juli 1866 stürmte das I. Bataillon des 7. Westfälischen Infanterie-Regimentes Nr. 56 gegen 14.30 Uhr die Ortschaft Problus, den südlichen Eckpunkt der österreichisch-sächsischen Stellung bei Königgrätz. Gut 1500 Meter offenes Gelände hatten die Angreifer unter heftigem Gewehr- und flankierenden Kartätschenfeuer bis zum Ortsrand zu überwinden. Die preußischen Verluste waren beträchtlich: 18 Offziere sowie 317 Unteroffiziere und Mannschaften des in Köln stationierten Regimentes waren am Abend entweder tot oder verwundet.2

Zu den ganz übel Zugerichteten zählte auch ein gewisser Johann Konrad Adenauer aus der Domstadt, ein stattlicher Mann in den Dreißigern, der in 15 Dienstjahren zum Feldwebel aufgestiegen war. Schon im folgenden Jahr musste Adenauer, der zuvor noch ehrenhalber zum niedrigsten Offizierdienstgrad (Sekonde-Lieutenant) befördert worden war, wegen seiner Blessuren als „Ganzinvalide“ mit einer monatlichen Pension von zehn Talern aus der Armee ausscheiden. Johann Konrad Adenauers tapferes Verhalten in der Schlacht von Königgrätz fand immerhin Würdigung in der Regi mentsgeschichte, die Behauptung aber, dass der Vater des späteren ersten Kanzlers der deutschen Westrepublik im Kampf eine österreichische Fahne erbeutet haben soll, erwies sich als aus der Luft gegriffen.3 Hätte sich aber der Feldwebel Johann Konrad Adenauer im Jahre 1866 je träumen lassen, dass einer seiner Söhne einmal in einer unvorhersehbar fernen Zukunft zum Nachlassverwalter jenes Reiches werden würde, an dessen Entstehung er bei Königgrätz als Soldat mitgewirkt hatte?

83 Jahre und eine ganze Epoche später war der auf dem böhmischen Schlachtfeld gegründete preußisch-deutsche Machtstaat schon wieder Geschichte und der jüngste Sohn des Veteranen von Königgrätz freute sich als Regierungschef des soeben konstituierten westdeutschen Teilstaates geradezu diebisch, dass er anlässlich der Vorstellung seines ersten Kabinetts vor der Alliierten Hohen Kommission am 21. September 1949 auf dem Bonner Petersberg den roten Teppich hatte betreten können, ohne von den argwöhnischen Kommissaren zurechtgewiesen worden zu sein.4

Adenauers Gefallen an kleinen Unbotmäßigkeiten gegenüber den Vertretern der Alliierten erinnerte in gewisser Weise auch an Bismarcks lustvoll provokantes Verhalten gegenüber den Vertretern Österreichs während seiner Zeit als preußischer Gesandter am Frankfurter Bundestag. Deutschland oder das, was nach dem Ende der Hitlerdiktatur davon übrig geblieben war, schien nun endgültig auf ein verträgliches Maß zurechtgestutzt. Westorientierung und die Beschränkung nationaler Souveränität durch Einbindung in europäische oder transatlantische Institutionen waren der neue Königsweg des vorerst noch fragilen Adenauerstaates. Das 1866 von Bismarck durch „Blut und Eisen“ begründete Reich, Europa in einer Stunde der Unaufmerksamkeit abgetrotzt, erschien einer nachwachsenden Generation deutscher Historiker bald schon nicht mehr als historische Ausnahmeleistung. Plötzlich war das Werk des „Eisernen Kanzlers“ zu einer nationalen Verirrung mutiert, zum fatalen Beginn eines deutschen Sonderweges, der eine gedeihliche demokratische Entwicklung verhinderte und angeblich auch verantwortlich war für die kriegerischen Katastrophen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Zu den prominentesten Vertreter dieser Richtung zählte wohl der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler, der in seiner Geschichte des Deutschen Kaiserreichs von einem strukturellen Grundproblem des Bismarckstaates sprach. Vorindustrielle Machteliten hätten demnach die Bildung einer freiheitlichen Sozial- und Staatsverfassung verhindert und eine aggressiv auftrumpfende Außenpolitik begünstigt.5 „Von Bismarck zu Hitler“ lautete wiederum in den 1970er-Jahren der Titel einer gedankenreichen Studie des renommierten Publizisten Sebastian Haffner, in der von einer Geburtshypothek des Bismarckreiches gesprochen wird. Für seine Nachbarn war es zu mächtig, für sich allein aber zu schwach, um einer gegnerischen Koalition erfolgreich trotzen zu können, und daher stets zum Prävenire geneigt. Das autoritäre Kaiserreich schien Historikern wie Heinrich August Winkler geradezu als der Gegenentwurf zur politischen Kultur des „Westens“ mit ihren Bürgerrechten, ihrer Gewaltenteilung und ihrer Toleranz.

Hatte also Bismarck 1866 die Büchse der Pandora geöffnet, um sämtliche Übel des Nationalismus in die Weltgeschichte zu entlassen? Historiker wie der Bismarckbiograf Lothar Gall oder Thomas Nipperdey haben dagegen immer darauf verwiesen, dass die Idee des Nationalstaates zu den wirkungsmächtigsten Kräften des 19. Jahrhunderts gezählt hatte. Eine in den 1850er-Jahren stark aufblühende Wirtschaft in Westdeutschland und Baden, in Berlin und Sachsen forderte geradezu die Vereinheitlichung von Maßen, Münzen und Tarifen in einem gemeinsamen Staat. Ökonomisch passte man schon längst nicht mehr zu Österreich, was der einflussreiche Staatssekretär im Handelsministerium, Rudolf Delbrück, dem preußischen Ministerpräsidenten im August 1864 unmissverständlich klarmachen musste, als dieser in der Zollfrage Zugeständnisse an Wien ernsthaft in Erwägung zog.6 Der Krieg von 1866 beschleunigte schließlich nur die unausweichliche Trennung vom Kaiserstaat.

Gab es aber 1866 überhaupt noch realistische Alternativen zu einer kleindeutschen Lösung unter preußischer Führung? Etwa eine Fortentwicklung des Deutschen Bundes mit seinen föderalen Strukturen unter Beibehaltung des preußisch-österreichischen Dualismus? War nicht gerade dieser Bund, dieser schale Aufguss des 1806 aufgelösten alten Reiches, längst zu einem Gebilde erstarrt, das immer noch die Kräfteverhältnisse von 1815 zu zementieren versuchte und das ein halbes Jahrhundert lang vielen Patrioten nur als Symbol engstirniger Kleinstaaterei und politischer Unterdrückung gegolten hatte? Nirgendwo löste die föderale Perspektive besonderen Enthusiasmus aus, ja eine deutsche Föderation wäre im Kontext der Nationalismen des 19. Jahrhunderts erst wirklich ein deutscher Sonderweg gewesen, da selbst Italien unter erheblich ungünstigeren Vorzeichen seine nationale Einheit anstrebte und die Gründung der Società nazionale im Jahre 1857 sogar Vorbild für den Deutschen Nationalverein wurde.

Bismarck hat 1866 und dann endgültig 1870/71 den deutschen Nationalstaat mit Waffengewalt errichtet, doch das Deutsche Reich von 1871 führte danach 43 Jahre keinen Krieg mehr. Selbst für das vergleichsweise friedliche 19. Jahrhundert war dies eine beachtliche Zeitspanne. Gewiss fügte sich das Reich von 1871 mit einem „Biegen“ in die europäische Staatenwelt, aber es war kein Brechen, wie Klaus Hildebrand betonte.7 Und überdies: Hätten die Deutschen auf ihren Nationalstaat verzichten sollen, nur weil dieser den Neid und den Revisionismus einiger Mächte hervorrief? Einzig linke Historiker mögen dies als eine echte Option betrachten. Sie verkennen in ihrer grundsätzlichen Ablehnung alles Nationalen aber auch gern, dass der Nationalstaat bis heute die einzige politische Organisationsform geblieben ist, die es wenigstens im atlantischen Raum geschafft hat, halbwegs stabile und ausgewogene Sozialordnungen hervorzubringen und mit demokratischen Mitteln zu bewahren. Ob dies auch der Europäischen Union mit ihrer von Krisen geschüttelten Währung gelingen wird, steht noch in den Sternen.

Der Krieg von 1866 hat fraglos die mitteleuropäische Staatenwelt revolutioniert und das Wiener System von 1815 begraben. Es erweist sich aber bis heute als überaus schwierig, den kampferfüllten sieben Wochen des Jahres 1866 überhaupt einen zutreffenden Namen zu geben. War es der Krieg Preußens gegen Österreich, von dem auch noch die meisten Nachschlagewerke im Kaiserreich sprachen?8 Politisch wäre das zutreffend, da der Krieg von 1866 in der Hauptsache den preußisch-österreichischen Dualismus, vom Potsdamer Autokraten Friedrich II. einst mit der Besetzung Schlesiens eröffnet, endgültig zugunsten des Hohenzollernstaates entschieden hat. Ein „Preußisch-Österreichischer Krieg“ würde aber der Mitwirkung der deutschen Staaten und vor allem Italiens nicht gerecht, selbst wenn die militärische Bilanz dieser Verbündeten 1866 nicht gerade beeindruckend ausfiel.

Auch die häufig verwendete Rede vom „Deutschen Krieg“ schließt das italienische Risorgimento vollkommen aus und müsste auch einräumen, dass die militärische Entscheidung in Böhmen, einem überwiegend von Nichtdeutschen bewohnten Gebiet, gefallen ist. Eine derartige Etikettierung würde zudem übersehen, dass auch in den österreichischen Regimentern Italiener, Kroaten oder Rumänen kämpften. Bei Nachod fochten am 27. Juni 1866 sogar auf beiden Seiten Polen unter fremder Fahne gegeneinander. Auch war der siebenwöchige Waffengang von 1866 nicht wirklich ein Einigungskrieg, denn immerhin schieden nach dem Sieg Preußens fast zehn Mio. Deutsch-Österreicher keineswegs begeistert aus dem jahrhundertealten Verbund der deutschen Nation aus. Der kleindeutsche Nationalstaat kam nur um den Preis einer schmerzlichen Trennung zustande, wie es Thomas Nipperdey einmal treffend formuliert hat.9

Inzwischen findet sich in aktuellen Darstellungen auch die Bezeichnung „Deutscher Bruderkrieg“.10 Tatsächlich sprachen im Vorfeld des Krieges viele Gebildete wie etwa der Bonner Rechtsprofessor Clemens Theodor Perthes, der in engem Briefkontakt zum preußischen Kriegsminister Albrecht von Roon gestanden hat, von einem Krieg, der die Feindschaft mitten in die Familien hineintragen würde.11 Doch derartige Bedenken schienen eher ein Oberschichtenphänomen gewesen zu sein und wohl auch nur auf Preußen beschränkt. Die Frankfurter etwa sahen auch schon vor ihrer Besetzung in den Preußen nicht etwa die deutschen Brüder, sondern schlicht harte und unerbittliche Gegner. Für die Soldaten aller Armeen wiederum blieb der feindliche Soldat einfach nur der Widersacher, der einem unter Umständen ans Leder wollte. Gewiss eine extreme Ausnahme war der bayerische Jäger, der in einem Kissinger Hotelzimmer hoffnungslos von Angreifern umstellt, jeden „preußischen Pardon“ ablehnte und sich lieber totstechen lassen wollte, was dann auch geschah.12 Doch auch die Soldaten der Division „Goeben“ freuten sich bei Aschaffenburg, dass sie nun Gelegenheit hatten, nach den Bayern und Hessen auch noch die Österreicher zu prügeln.13 Der Nationalismus war 1866 fraglos noch ein Anliegen der gebildeten Schichten. Gerade Soldaten aus ländlichen Räumen, die es gewohnt waren, sich mit den jungen Leuten der Nachbarorte bei jeder Gelegenheit zu raufen, auch unter Inkaufnahme böser Verletzungen, konnten mit der Idee eines einigen deutschen Volkes wenig anfangen. Entscheidend für sie war stets die Primärgruppe, das Dorf, die Handwerksgemeinschaft und schließlich im Krieg die eigene Korporalschaft.14 Die 5700 Patronen, die preußische Füsiliere am 26. Juni im Gefecht bei Podol innerhalb kürzester Frist verbrauchten, waren längst nicht alle in die Luft geschossen worden.15

Der Krieg von 1866 war somit allenfalls im Rückblick ein Bruderkrieg. Vor allem aber schien er Bismarcks Krieg gewesen zu sein. Damit ist allerdings keine vordergründige Kriegsschuldzuweisung verknüpft, wie sie damals viele Zeitgenossen in einer Art von gerechtem Zorn vornahmen. Mit einer „solchen Schamlosigkeit und Frivolität“ sei „vielleicht noch nie ein Krieg angezettelt worden wie der, den Bismarck gegen Österreich zu erheben sucht“, schrieb etwa der Rechtsprofessor Rudolf von Jherings am 1. Mai 1866 aus Wien16 und stand mit seiner Ansicht bei Weitem nicht allein.

Seit seiner Zeit als Preußischer Gesandter am Frankfurter Bundestag hatte Bismarck die militärische Konfrontation gegen Österreich herbeigeredet, hatte es in seiner Korrespondenz gegenüber beinahe jedem in vielen Varianten immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass Preußen und Österreich in Deutschland einander die Luft zum Atmen wegnähmen und „einer […] weichen oder vom anderen gewichen werden“ müsse.17 Nicht noch einmal dürfe Preußen eine Demütigung wie die von Olmütz hinnehmen, als im November 1850 Österreich seinen norddeutschen Rivalen mit militärischem Druck und der Hilfe Russlands dazu gezwungen hatte, seine kleindeutsche Unionspolitik aufzugeben und der Wiedererrichtung des Frankfurter Bundestages zuzustimmen. Bismarcks Weg in den Krieg von 1866 verlief allerdings nie gradlinig. Er war Staatsmann genug, ernsthaft auch friedliche Optionen mit Habsburg auszuloten, sofern nur Preußens Status als Großmacht und seine dominierende Rolle in Norddeutschland gesichert war. Die Ausdehnung preußischer Macht war das primäre Ziel des Urpreußen Bismarck und Habsburg musste – so oder so – dazu gebracht werden, Preußens neue Rolle zu akzeptieren. Nur wenige sahen die Rivalität zwischen Preußen und Österreich mit dieser kristallklaren Nüchternheit. Sein kritischer Realismus versetzte ihn in die Lage, Machtverhältnisse unabhängig von ideo logischen Bindungen zu analysieren, zu durchschauen und ständig im Fluss zu halten. Der Gegner von gestern konnte der Alliierte von morgen sein, selbst mit Österreich schloss er 1864 ein Bündnis gegen Dänemark und brüskierte damit die gesamte deutsche Nationalbewegung. Bismarck war gewiss nicht der Magier, der alle diese Kräfte wirklich kontrollierte, aber er verstand sie zu nutzen, kombinierte sie oder spielte sie gegeneinander aus und dies mit einer titanenhaften Kraft, die keinen Augenblick ihren Kurs aus dem Auge verlor. Doch auch wenn Bismarck spätestens seit der Kronratssitzung vom 29. Februar 1866 den Krieg gegen Habsburg energisch vorantrieb und alle erdenklichen Kräfte mobilisierte, war es ihm am Ende doch nicht gelungen, den ihn umgebenden Ring aus Isolierung und Feindseligkeit zu durchbrechen.18 Es brauchte Mut, ja vielleicht sogar Verzweiflung, unter diesen Bedingungen seinen Hut in den Ring zu werfen. Bismarck tat es, indem er am 7. Juni Holstein besetzen ließ und damit die Lunte zum Waffengang mit Österreich und seinen Verbündeten zündete. Ein „neues Olmütz“ durfte es nicht geben. Der Krieg von 1866 war in diesem tieferen Sinn tatsächlich sein Krieg.

I. Der Weg in den Krieg

Eine vertane Chance – Der Deutsche Bund von 1815

Damit aber die Bundesversammlung nicht eine störende Potenz, sondern ein wirksames und wohltätiges Werkzeug der vereinten Tätigkeit und Weisheit der deutschen Fürsten sei und bleibe, muss vor allem bei der Wahl ihrer Mitglieder nach gleichförmigen, festen, auf den Zweck allein berechneten Grundsätzen verfahren werden.“

Clemens Wenzel Fürst von Metternich, Österreichischer Staatskanzler, im Januar 1823

Der Bund als Trutzburg der politischen Reaktion

Unter den Schlägen dreier Niederlagen gegen das revolutionäre Frankreich war das mittelalterliche Reich, das sogenannte Heilige Römische Reich Deutscher Nation, beginnend mit dem 1. Koalitionskrieg von 1792 rasch zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Der Austritt der deutschen Rheinbundstaaten und zuletzt der Druck Napoleons hatten den Habsburger Franz II. zu der bitteren Entscheidung gedrängt, die fast tausendjährige Kaiserwürde, die bis auf Otto I., ja wenn man will bis auf Karl den Großen zurückreichte, am 6. August 1806 niederzulegen.

Die letzte Seite der Abdankungsurkunde von Kaiser Franz II., dem letzten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, vom 6. August 1806

Als sich 1814 Europa glücklich wieder von der französischen Hegemonie befreit hatte, verzichtete der habsburgische Souverän, der schon 1804 als Franz I. den österreichischen Kaisertitel angenommen hatte, auf eine Erneuerung seiner früheren Würde. Für viele deutsche Patrioten wie Joseph Görres oder Ernst Moritz Arndt, zwei engagierte Publizisten im Kampf gegen Napoleon, war es eine herbe Enttäuschung. Anstelle des alten Reiches hatte der Wiener Beschluss eine nur lockere Vereinigung der Fürsten ohne jeden Transfer von Souveränität gesetzt.

Der neue „Deutsche Bund“, das wenig geliebte Kind des Wiener Kongresses, setzte sich nach Artikel 1 der Bundesakte vom 8. Juni 1815 aus zunächst 34 souveränen und gleichberechtigten Potentaten und vier freien Städten zusammen. Mit den Königen Großbritanniens (für Hannover), der Niederlande (für Luxemburg) und Dänemarks (für Holstein und Lauenburg) gehörten auch drei nichtdeutsche Herrscher zum Kreis der Bundesfürsten. 1817 kam mit Hessen-Homburg noch ein 39. Mitglied hinzu. Der Bund sollte nach dem Willen seiner politischen Geburtshelfer eine ständige Föderation sein, ein Austritt einzelner Mitglieder war nicht vorgesehen. Da sich der territoriale Umfang des Bundes an den Grenzen des alten Reiches (ohne Belgien) orientierte, traten gemäß der Bundesakte die beiden deutschen Vormächte Preußen und Österreich nicht mit ihrem gesamten Staatsgebiet der neuen Föderation bei. Preußens polnische Gebiete sowie Ostpreußen hatten auch vor 1806 nicht zum alten Reich gehört und blieben daher wie auch auf Habsburger Seite Galizien, Ungarn, Dalmatien und das Lombardo-Venezische Königreich außerhalb des Bundes. Gleichwohl umfasste die neue Föderation immer noch nichtdeutsche Gebiete wie Luxemburg, Limburg (ab 1839), Böhmen, Mähren, das Trentino sowie Istrien mit Görz und Triest. 1815 lebten innerhalb der Grenzen des Bundes 30,1 Mio. Menschen, bis 1865 wuchs ihre Zahl auf 47,7 Mio.1

Zwar wurde mit Frankfurt wieder die Stadt der früheren Kaiserkrönungen als Sitz des neuen Bundestages bestimmt, aber sonst erinnerte nur wenig an die alte Reichsherrlichkeit. Das zentrale Organ des Deutschen Bundes bildete die Bundesversammlung, ein Bundesoberhaupt gab es jedoch nicht. Die Funktion der Prärogative nahm in eingeschränkter Form der Vertreter Österreichs als Versammlungsvorsitzender in Anspruch. Damit besaß Habsburg gegenüber Preußen eine leichte Vorrangstellung, die im Grundsatz von Berlin auch akzeptiert wurde. Außer dem Plenum gehörte zur Bundesversammlung auch der 17-stimmige „Engere Rat“, zu dem die Vertreter der elf größeren Staaten mit je einer Stimme gehörten. Die kleineren Staaten mussten sich einvernehmlich eine Stimme teilen, so wie es auch schon im alten Reich der Fall gewesen war. Bei Beschlüssen innerhalb dieses engeren Gremiums reichte die einfache Mehrheit, im Falle einer Stimmengleichheit entschied der Vertreter Österreichs als ständiger Ratsvorsitzender.

Nach Artikel 2 der Bundesakte sollte der Bund die äußere und innere Sicherheit der deutschen Staaten garantieren, was durchaus auch Interventionen zum Schutz bedrohter Regime einschloss. So etwa schritt die Bundesversammlung ein, als der junge und sich offenbar überschätzende Herzog von Braunschweig, Karl II., die landständische Vormundschaft aufheben wollte. Zuletzt im März 1829 mit dem Frankfurter Beschluss zur Bundesexekution konfrontiert, machte der Potentat einen Rückzieher.2

Welche genauen Kompetenzen aber überhaupt diese Versammlung aus Gesandten ihrer Fürsten und Magistrate haben sollte, versuchte zunächst eine Kommission zu klären. Aber erst 1820 wurde vieles in der Wiener Schlussakte nachträglich geregelt. Der Artikel 50 der Schlussakte berechtigte den Bund seither sogar, Gesandtschaften an fremden Höfen zu unterhalten. Wohl auf sanften Druck Österreichs und Preußens beschloss der Engere Rat jedoch, diese bedeutsame Konzession nur in Ausnahmefällen in Anspruch zu nehmen.

Die Frankfurter Delegierten traten erstmals am 5. November 1816 im Palais Thurn und Taxis an der Eschenheimer Gasse zusammen und begannen sogleich, durchaus mit Elan und Eifer, eine Fülle von Eingaben, Anträgen und Beschwerden abzuarbeiten. Die ihnen vorgelegten Fälle stammten aus allen deutschen Staaten, von Regierungen und Privatleuten und bezogen sich auf Fragen der Länderverfassungen, auf das Presserecht sowie auf die Ordnung an den Universitäten.3 Für größeres Aufsehen sorgte in dieser Anfangsphase des Bundes die Klage eines gewissen Wilhelm Hoffmann aus dem kurhessischen Marburg, der sich angesichts einer drohenden Enteignung durch die Kasseler Behörden zunächst mit Erfolg an die Frankfurter Bundesversammlung gewandt hatte. Als sich jedoch Kurfürst Wilhelm II. von Hessen-Kassel persönlich in Wien über die gegen ihn gerichtete Entscheidung aus Frankfurt beschwerte, sah sich Staatskanzler Metternich veranlasst, seinen Gesandten am Bundestag, Graf Johann von Buol-Schauenstein, energisch zurechtzuweisen. Wie er es überhaupt wagen könne, die Souveränität eines deutschen Fürsten infrage zu stellen, herrschte er seinen Gesandten an und drohte ihm sogar mit seiner Ablösung. Auch wenn dem schockierten Diplomaten diese Desavouierung vorerst erspart blieb, verstärkte der peinliche Zwischenfall doch die Neigung vieler Delegierten, sich zukünftig vor jeder anstehenden Beschlussfassung genaue Instruktionen an ihren heimatlichen Höfen einzuholen.4

Clemens Wenzel Fürst von Metternich, damals der einflussreichste Diplomat Europas, war fraglos der erste Architekt des Bundes und die treibende Kraft hinter dessen Maßnahmen. Der 1773 in Koblenz geborene Sohn eines reichsunmittelbaren Grafen und kurtrierischen Staatsministers leitete seit 1809 die Politik Österreichs. In seiner fast 40-jährigen Amtszeit war er, anfangs noch von Großbritannien unterstützt, bemüht, das in Wien sorgfältig austarierte Mächtegleichgewicht in Europa gegen Russlands Balkanambitionen und Preußens latente Unzufriedenheit zu verteidigen. Innenpolitisch bekämpfte er als leitender Minister des habsburgischen Vielvölkerstaates Liberalismus und nationale Bewegungen, in Deutschland die neuen Burschenschaften, in Italien wiederum die ins Kraut schießenden Geheimgesellschaften. Die Frankfurter Bundesversammlung sollte daher in seinen Augen vor allem ein Instrument der Überwachung und Unterdrückung aller als revolutionär empfundener Bestrebungen sein. Ruhe und Konsolidierung erschienen Metternich als das Gebot der Stunde nach immerhin einem Vierteljahrhundert voller Krieg und Verwüstung.

Der Mannheimer Mordanschlag auf August von Kotzebue, einen mittelmäßigen Dramendichter und erklärten Gegner der Burschenschaften, am 23. März 1819 kam dem österreichischen Staatskanzler nicht ungelegen. Eine Überraschung war die sinnlose und isolierte Tat des geistig verwirrten Studenten Karl Ludwig Sand jedenfalls nicht. Studentische Umtriebe in ganz Deutschland und insbesondere das berüchtigte Wartburgfest von 1817 mit seinen Bücherverbrennungen hatten den etablierten Kreisen bereits den Angstschweiß auf die Stirn getrieben. Ohne Mühe konnte Metternich nun, nur wenige Monate nach der Mannheimer Mordtat, im böhmischen Tepliz auch den zögerlichen Friedrich Wilhelm III. von Preußen für seinen reaktionären Kurs gewinnen und zusammen mit acht weiteren deutschen Potentaten wenig später in Karlsbad ein rigoroses Maßnahmenpaket gegen drohende revolutionäre Umtriebe in Deutschland beschließen. Die sogenannten Karlsbader Beschlüsse zielten auf die Überwachung von Hochschullehrern, verboten die Burschenschaften, schränkten die Pressefreiheit in allen Bundesstaaten ein und sahen die Gründung einer besonderen „Centralbehörde“ in Mainz zur Untersuchung revolutionärer Umtriebe vor. Zugleich wurde der Bundesversammlung ein Gesetz (Exekutionsordnung) vorgelegt, das zur Durchsetzung der Bundesakte auch militärische Maßnahmen gegen einzelne Bundesmitglieder ermöglichte, sofern ein vorangegangenes Schlichtungsprozedere ohne Erfolg blieb.5

Die Präsentation der ohne weitere Beratung zu beschließenden vier Gesetze in der Frankfurter Bundesversammlung im Rahmen eines Präsidialvortrages durch Graf von Buol-Schauenstein am 16. September 1819 hat der Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber einmal treffend einen Bundes-Staatsstreich genannt.6 Plötzlich war es dem Bund auch möglich, in die geheiligte Souveränität der Einzelstaaten einzugreifen. Dem öffentlichen Image der Frankfurter Versammlung haben die antiliberalen Dekrete dauerhaft geschadet. Vielen Patrioten erschien der Deutsche Bund seither geradezu als Trutzburg der Reaktion in Deutschland.

Metternich aber schien zu triumphieren. Er hatte das vormals so reformfreudige Preußen an die Kandare gelegt und dominierte nun zusammen mit Berlin die übrigen Mitgliedsstaaten. Zudem betrieb er erfolgreich die Abberufung von liberalen Gegnern wie etwa Karl Ludwig von Wangenheim, den Vertreter Württembergs in der Frankfurter Bundesversammlung und Protagonisten eines dritten Deutschlands ohne Österreich und Preußen.7

Metternichs rigorose Politik der Ruhigstellung in Deutschland blieb allerdings nur vordergründig ein Erfolg. Da selbst vorsichtige Reformansätze nur noch außerhalb der Bundesversammlung möglich schienen, versuchten die Bundesstaaten Wirtschaft- und Zollfragen seither in bilateralen Verhandlungen zu klären.8 Als Preußen sich überraschend 1833 mit seinen Plänen zu einem deutschen Zollverein durchsetzen konnte, saß Österreich nicht mit im Boot. Für das System Metternich war der Erfolg Berlins ein Desaster und der Staatskanzler sprach sogar von einem neuen „Staat im Staate“, der sich zu etablieren drohte. Die Präponderanz Preußens sei gestärkt und die höchst gefährliche Lehre von der Einheit Deutschlands befördert.9

Offiziell verharrte Preußen auch jetzt noch im Fahrwasser Österreichs, doch sein solider Staatshaushalt, seine effektive Bürokratie, seine homogene Bevölkerung und vor allem der Besitz der Rheinlande und Westfalens mit ihrer dynamischen Ökonomie verschoben allmählich die Gewichte innerhalb des Bundes zugunsten des Hohenzollernstaates. Zugleich geriet Metternichs System auch auf der europäischen Bühne überraschend schnell in die Defensive. Mit Preußens Staatskanzler Carl August von Hardenberg und Großbritanniens Außenminister Robert Stewart Lord Castlereagh waren 1822/23 gleich zwei bedeutende Mitschöpfer der Wiener Staatenordnung verstorben. Zugleich verschaffte der Aufstand der Griechen gegen ihre osmanischen Herren dem nationalen Gedanken in Europa neuen Schwung. Zu Metternichs Verdruss war Castlereaghs Nachfolger, der Tory George Canning, nicht mehr bereit, liberale und patriotische Bewegungen auf dem Kontinent durch militärische Interventionen zu unterdrücken.

Nur mit Mühe konnte die europäische Krise von 1830 von den etablierten Mächten bewältigt werden. Während Russland die aufständischen Polen in langen Kämpfen in die Knie zwang, versuchte Österreich die Mazzinisten in Italien zu unterdrücken. Beide in der „Heiligen Allianz“ verbundenen Höfe mussten jedoch akzeptieren, dass sich die Belgier noch im selben Jahr von den Niederlanden lossagten und ein eigenes Königreich gründeten. In Deutschland wiederum war am 6. September 1830 der umstrittene Herzog von Braunschweig, Karl II., verjagt und sein Schloss in Brand gesteckt worden, während in Hessen-Kassel die bürgerliche Opposition den Landesherrn, Kurfürst Wilhelm II., im Januar 1831 zur Abdankung zwang und seinem Nachfolger eine liberale Verfassung abnötigte. Für weitere Aufregung in Wien sorgte im Mai 1832 das sogenannte Hambacher Fest in der Ruine des gleichnamigen Schlosses bei Neustadt in der Pfalz. Es war die größte Massenversammlung in Deutschland vor der Revolution von 1848/49. Vielleicht 30.000 deutsche und polnische Patrioten – neben der schwarz-rot-goldenen Flagge wurde auch der weiße Polenadler auf rotem Grund gezeigt – forderten das Recht zur freien Meinungsäußerung und die Beseitigung der Fürstenherrschaft.10 Anders als der gegen Frankreich gerichtete Nationalismus der Burschenschaftler vertraten die Hambacher einen eher liberal-republikanischen Nationalismus, der von einer friedlichen Gemeinschaft der Völker träumte, ohne allerdings zu bedenken, dass dies auch neue Grenzziehungen zulasten Deutschlands zur Folge haben würde. Metternichs Antwort auf die neuerlichen Unruhen in Deutschland waren weitere drastische Eingriffe in die Souveränität der Einzelstaaten. Genau einen Monat nach Hambach verabschiedete die Frankfurter Bundesversammlung am 28. Juni und am 5. Juli 1832 in insgesamt 16 Artikeln Verbote von Volksfesten und Versammlungen, schränkte das Petitionsrecht ebenso ein wie die Redefreiheit und das Budgetrecht in den bereits repräsentativen Parlamenten der süddeutschen Staaten. In Frankfurt wiederum marschierten nach dem gescheiterten „Wachensturm“ vom 3. April 1833 österreichische Truppen aus der benachbarten Bundesfestung Mainz ein. Der dagegen protestierende Senat der Stadt musste schließlich nachgeben, als ihm die Bundesversammlung mit der Bundesexekution drohte. Britische und französische Einwände gegen diesen autoritären Ruck ließ Metternich vom Bundestag als „Einmischung in deutsche Angelegenheiten“ brüsk zurückweisen.11 Dass der Staatskanzler Österreichs und oberste Protagonist einer europäischen Interventionspolitik nun seinerseits die inneren Verhältnisse in Deutschland durch eine „Nicht-Interventions-Doktrin“ (18. September 1834)12 abschirmen ließ, entbehrt gewiss nicht der Ironie.

Auf dem Papier ein Koloss – Das Militärwesen des Bundes

Als Teil der Wiener Gleichgewichtsordnung hatte der Bund auch das Recht, militärische Rüstungen zu betreiben, und durfte seine Mitgliedsstaaten zur Stellung von Truppenkontingenten verpflichten. Artikel 11 der Bundesakte regelte die Beistandsverpflichtung aller Bundesmitglieder im Verteidigungsfall. Auch wenn jedes Bundesmitglied grundsätzlich das Recht hatte, mit fremden Mächten Bündnisse einzugehen, durfte sich keine Allianz gegen ein anderes Bundesmitglied richten. Preußens antiösterreichischer Pakt mit Italien vom April 1866 war daher ein klarer Bruch des Bundesrechtes.

Die Verhandlungen über Gliederung und Umfang des Bundesheeres hatten schon 1817 begonnen und setzten sich ab April 1818 in einem besonderen zwölfköpfigen Gremium fort, aus dem später die Bundesmilitärkommission hervorgehen sollte. Schwierigkeiten bereiteten vor allem die kleineren Staaten, die sich wie etwa das Fürstentum Lippe-Schaumburg mit ihren Truppenfragmenten (187 Mann Infanterie, 34 Kavalleristen und 17 Artilleristen)13 auf keinen Fall der preußischen Militärhierarchie unterwerfen wollten. Im August 1820 kam schließlich eine Einigung zustande, die auf die Bedenken der deutschen Kleinsouveräne einging. Die neue Bundeskriegsverfassung bestimmte nunmehr, dass Preußen und Österreich je drei volle Armeekorps zum Bundesheer stellten, Bayern ein weiteres Korps, während die Streitkräfte der übrigen Staaten in drei gemischten Bundeskorps organisiert sein sollten.14 Das Zusammenwirken und die Einsatzbereitschaft der auf dem Papier mit ihren 300.000 Soldaten recht beeindruckenden Streitmacht waren jedoch erheblich infrage gestellt. Denn ein Oberbefehlshaber und damit Gesamtverantwortlicher für die Bundestruppen sollte erst kurzfristig im Kriegs- oder Krisenfall bestimmt werden. Die ständige Bundesmilitärkommission, die auch die Verantwortung für die Bundesfestungen (zunächst Mainz, Luxemburg und Landau, später dann auch Ulm und Rastatt) trug, war für dieses Manko nur ein unzureichender Ersatz. Preußens halbherzige Versuche, die Krisen von 1830 und 1840 zu einer festeren Anbindung der kleineren deutschen Kontingente unter seinem Oberbefehl zu nutzen, scheiterten jedes Mal am Widerstand Wiens.15

In seiner fast 50-jährigen Geschichte ist das Bundesheer jedoch nie in seiner Gesamtheit mobilisiert und eingesetzt worden. 1831 kam eine geplante Bundesexekution zum Schutze Luxemburgs nicht mehr zur Ausführung, 1848 jedoch und dann wieder 1863 wurde das X. Bundeskorps gegen Dänemark eingesetzt. Im März 1848, wenige Wochen vor ihrer Selbstauflösung, beschloss die Bundesversammlung, das VIII. Bundeskorps zugunsten des badischen Großherzogs gegen den sogenannten Heckerzug einzusetzen. Preußens erneuten Versuch, im Italienischen Krieg von 1859 das Oberkommando über alle nichtösterreichischen Bundestruppen zu erlangen, durchkreuzten die Österreicher diesmal durch den überraschenden Waffenstillstand von Villa Franca. Sieben Jahre später aber dürfte Preußen froh gewesen sein, dass seine Bemühungen, die Mehrheit der Bundestruppen unter seine militärischen Fittiche zu nehmen, keinen Erfolg gehabt hatten. Die Kämpfe seiner Mainarmee gegen das VII. und VIII. Bundeskorps im Krieg von 1866 wären sonst vielleicht nicht so glatt verlaufen. So aber zeigte dieser einzige ernsthafte Waffengang autonomer Bundestruppen, dass selbst nach einem halben Jahrhundert die Bundesmitglieder nicht in der Lage waren, sich zu einer kraftvollen Politik und Kriegführung gegen Preußen, den nachweislichen Störer des Bundesfriedens, zusammenzuraufen.

Das Ende des Bundes

Zwei Monate nach dem Zusammentritt der ersten deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche löste sich die Bundesversammlung am 12. Juli 1848 auf und übertrug ihre Rechte an den Reichsverweser Erzherzog Johann. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Metternich, der Mitbegründer und Lenker des Deutschen Bundes, bereits im Londoner Exil. Drei Jahrzehnte hatte der Bund unter seiner harten Hand verschiedene Zwecke erfüllt: Er hatte die revolutionären Bewegungen eingedämmt, den europäischen Frieden um den Preis der Freiheit bewahrt und den deutschen Klein- und Mittelfürsten geholfen, ihre Souveränitätsillusion zu bewahren. Das war nicht wenig in einer Epoche grundstürzender Veränderungen in Wirtschaft, Technik und Politik. Vor allem aber hatte der Bund geholfen, Preußen, die unfertige Großmacht, sogar mit dessen eigener Billigung in der zweiten Reihe zu halten.

Fürst von Metternich auf einem Gemälde von Thomas Lawrence

Als im Frühjahr 1851 auf der Dresdner Konferenz die Erneuerung des Bundes beschlossen wurde, war dies bereits eine Totgeburt. Noch von seinem erfolglosen Alleingang in der Unionsfrage gezeichnet hatte Preußen nur unter Zwang in Olmütz der Wiedererrichtung des Deutschen Bundes zugestimmt. Österreich, der scheinbare Sieger im Nervenkrieg mit dem Hohenzollernstaat, musste jedoch schnell erkennen, dass die alte Geschäftsgrundlage einer gemeinsamen Lenkung der Bundesverhältnisse nicht mehr gegeben war. Auch wenn beide Mächte innenpolitisch wieder auf eine konservativ-reaktionäre Agenda zurückschwenkten, so war doch die außenpolitische Schnittmenge zwischen Wien und Berlin deutlich geschrumpft. Noch ehe Bismarck im September 1862 das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, hatte Preußen bereits im Bewusstsein seiner wachsenden ökonomischen und militärischen Potenz einen eigenen Kurs eingeschlagen. Besonders seit dem Krimkrieg (1853–1856) und dem Krieg in Italien (1859) betrachtete Berlin den Bund als eine politische Zwangsjacke, die keinem anderen Zweck diente, als Habsburgs fragwürdigen Großmachtansprüchen zu sekundieren. War Preußen 1815 noch ein überforderter Staat gewesen, so hatte sich schon in der Revolution von 1848/49 erwiesen, dass ihm durch seine Westverschiebung nunmehr Habsburgs alte führende Rolle in Deutschland zugefallen war. Bismarcks Politik einer klaren und nach Möglichkeit einvernehmlichen Trennung der Einflusssphären war daher im Kontext der ökonomischen Realitäten die schlüssigere Option. Dass Österreich sich nach seinem politischen Selbstverständnis nicht darauf einlassen wollte und konnte, war das Verhängnis, das schließlich 1866 zum Krieg der beiden deutschen Vormächte führte.

Bismarck und das Trauma von Olmütz 1850

„Aber wer, wie Euer Majestät alleruntertänigster Diener, seit 16 Jahren mit der österreichischen Politik intim zu tun gehabt hat, kann nicht zweifeln, dass in Wien die Feindschaft gegen Preußen zum obersten, man möchte sagen, alleinigen Staatszwecke geworden ist.“

Otto von Bismarck am 22. April 1866 an König Wilhelm I.16

Preußens Gang nach Canossa

Die Österreicher seien in vollem Rückzug auf Olmütz, schrieb Preußens Kriegsminister Albrecht von Roon am 5. Juli 1866, zwei Tage nach dem Sieg von Königgrätz, aus dem Quartier im böhmischen Horwitz an seine Frau. „Und dieser Gang nach Olmütz“, so fügte er mit grimmiger Genugtuung hinzu, „ist wohl demütigender als der unsrige vor 16 Jahren.“17

Als nur drei Tage später die Spitze der preußischen Mainarmee siegesgewiss das hessische Bronzell passierte, wusste jeder preußische Soldat, dass sich hier das Grab des berühmten Schimmels befand, der 1850 im Verlauf eines Scharmützels mit den Bayern getötet worden war.18 Theodor Fontane beschreibt die Szene: „Woran sich einst so viel bitterer Spott für uns geknüpft hatte, jetzt war es ein Gegenstand der Heiterkeit. Lachend zogen die Regimenter daran vorbei.“19

Anderthalb Dekaden nach dem spektakulären Scheitern von Preußens Unionspolitik und seinem bedingungslosen Einlenken gegen Österreich in der mährischen Hauptstadt war der „Gang nach Olmütz“ längst zu einer stehenden Redewendung geworden, vergleichbar mit dem legendären Gang Kaiser Heinrichs IV. nach Canossa. Die Angst vor einem „neuen Olmütz“ ließ sich dann auch im Frühjahr 1866 trefflich für einen strammen Kriegskurs instrumentalisieren, wenn etwa der preußische Gouverneur in Schleswig, General Edwin von Manteuffel, am 22. April 1866 in einem Immediatbericht an König Wilhelm I. von Österreichs „bösem Willen“ sprach und warnte, seinen Forderungen nachzugeben.20 Selbst der britische Botschafter in Berlin, Lord Augustus Loftus, benutzte in diesen kritischen Tagen die Olmütz-Metapher, als er nach London berichtete, dass Wilhelm zwar froh wäre, einem Krieg gegen Österreich zu entgehen, einen Waffengang aber wohl akzeptieren würde, wenn er dadurch ein „zweites Olmütz“ vermeiden könne.21

Knapp 16 Jahre zuvor, im Herbst 1850, hatte die nach den Revolutionswirren erneuerte Habsburgermonarchie mit der Rückendeckung des russischen Zaren den Hohenzollernstaat zur Aufgabe seiner revolutionären Unionspolitik gezwungen und sogar offen mit Krieg gedroht. Dabei war zu diesem Zeitpunkt der überhastete Versuch Preußens einer Lösung der deutschen Frage unter Ausschluss Österreichs schon längst gescheitert. Deutsche Mittelstaaten wie Hannover, Sachsen, Bayern und selbst Baden hatten König Friedrich Wilhelm IV. unter dem Druck Wiens die Gefolgschaft verweigert und waren wieder aus der Union ausgetreten. Doch der Habsburgerstaat wollte noch mehr. Aus österreichischer Sicht hatte Preußen offen mit der Revolution geliebäugelt und sich damit außerhalb der konservativen Solidarität der alten „Heiligen Allianz“ gestellt. Denn das in Erfurt zusammengetretene Unionsparlament war kein Fürstenbund mehr gewesen, sondern eine aus direkten Wahlen hervorgegangene Abgeordnetenkammer. Preußen, so sah es Staatskanzler Felix Fürst zu Schwarzenberg, musste wieder an die Kandare genommen und die 1815 etablierte Hierarchie zwischen beiden deutschen Führungsmächten demonstrativ wiederhergestellt werden. Schwarzenberg schien nun selbst vor einem großen militärischen Konflikt nicht mehr zurückzuschrecken, und tatsächlich schien die Lage zu eskalieren.

Als im Oktober 1850 Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von Hessen-Kassel im Frankfurter Rumpfbundestag eine Bundesexekution gegen seine wieder einmal rebellierenden Behörden erwirkte, waren preußische Truppen präventiv zum Schutz ihrer wichtigen Militärstraßen zum Rhein ins Nachbarland einmarschiert. Bayerische Kontingente hatten daraufhin ebenfalls die kurhessische Grenze überschritten, während die österreichische Armee in Böhmen mehr als 100.000 Mann versammelte und Wien unverhohlen drohte, damit auf Berlin zu marschieren, sollte Preußen nicht der Wiederherstellung des Deutschen Bundes in seiner alten Form zustimmen. Auch der Hohenzollernstaat hatte damals seine Armee mobilisiert und nur wenig hatte gefehlt und der Krieg von 1866 wäre bereits im Herbst 1850 ausgefochten worden. Doch Friedrich Wilhelm IV. war angesichts der offenkundigen Isolierung Preußens in Deutschland und auf Druck Russlands vor dieser letzten Konsequenz zurückgeschreckt. Der Protagonist seiner ambitionierten Deutschlandpolitik, Joseph Maria von Radowitz, musste am 2. November 1850 von seinem Amt als preußischer Außenminister zurücktreten. Seinem Nachfolger Otto von Manteuffel, als trockene Bürokratennatur das genaue Gegenteil des von großen Projekten träumenden Radowitz, blieb es überlassen, im mährischen Olmütz vier Wochen später die sprichwörtlich gewordene Unterwerfungserklärung zu unterzeichnen. Preußen rückte von sämtlichen seiner Positionen in der deutschen Frage ab und akzeptierte sogar, zuerst mit der Demobilisierung seiner Streitkräfte zu beginnen.

Das konservative Lager, wo man die antirevolutionäre Solidarität mit Österreich beharrlich pflegte, begrüßte zwar das endgültige Scheitern des verhassten Unionsprojektes, empfand aber wie die einflussreichen Brüder Leopold und Ludwig von Gerlach die sogenannte Punktation von Olmütz als schmerzhafte Demütigung, nicht anders als die liberalen Kräfte in Preußen. Am 11. Dezember 1850 notierte etwa Karl August Varnhagen von Ense in seinem Tagebuch: „Die Niederlage Preußens wird täglich deutlicher. Unser lappiges, hinterlistiges und dabei feiges Wesen tritt hell an den Tag.“22 Manche fragten sich, ob Preußen überhaupt noch eine Großmacht sei. Und in Magdeburg klagte ein Oberst Helmuth von Moltke, damals Chef des Stabes des dort stationierten IV. Preußischen Armeekorps: „Ein schimpflicher Friede hat noch nie Bestand gehabt. Was für eine Streitmacht haben wir zusammen gehabt! Was für eine Truppe! 30 Millionen verausgabt für eine Demonstration und um alle und jede Bedingung anzunehmen. Aber die schlechteste Regierung kann dies Volk nicht zugrunde richten, Preußen wird doch an die Spitze von Deutschland kommen.“23

Bismarcks Einstieg in die große Politik

Einzig ein verlorener Krieg hätte nach damaligem Verständnis eine europäische Großmacht dazu zwingen können, eine derart einseitige Vereinbarung zu unterzeichnen. Wohl kaum jemand empfand die „Schmach von Olmütz“ tiefer als Otto von Bismarck. Erst drei Jahre zuvor hatte der pommersche Gutsherr erfolgreich für den erstmals einberufenen preußischen Landtag kandidiert. Als Sohn einer ehrgeizigen Mutter aus akademischem Hause und eines eher antriebslosen märkischen Junkers mit langem Stammbaum und niedrigem Reserveoffizierdienstgrad hatte der junge Bismarck als Student in Göttingen und später als Assessor in Aachen jahrelang ein zielloses und von amourösen Eskapaden geprägtes Leben geführt, ehe er, hofnungslos verschuldet, auf eines seiner ererbten Güter in Ostpommern zurückgekehrt war. Wirtschaftlich zwar nun erfolgreich, konnte ihn das geruhsame Landleben, das auch der Selbstfindung und der Familiengründung gedient hatte, auf Dauer nicht befriedigen. Seine alten Hoffnungen auf eine Karriere als Politiker und Diplomat, ohne zugleich die ihm verhasste Fron einer bürokratischen Laufbahn auf sich nehmen zu müssen, waren noch nicht begraben. Die Einberufung des ersten allgemeinen preußischen Landtages im April 1847 sollte ihm tatsächlich einen anderen Weg in die hohe Politik ebnen. Während der Revolution von 1848 war Bismarck zunächst als antirevolutionärer Scharfmacher aufgefallen, der sogar seine Schönhausener Bauern bewaffnen wollte, um die Monarchie in Berlin zu retten. Gegner sahen in ihm allerdings nur eine „verkrachte Existenz“, der seine Göttinger Studententage mit Trinkgelagen und Raufereien verbracht hatte und dessen Laufbahn im preußischen Justizdienst schließlich an seinem unsteten Wesen gescheitert war.24 Die Konservativen schätzten ihn immerhin als Mann fürs Grobe, und Bismarcks rhetorischem Talent mussten auch die Gegner unwillig ihren Tribut zollen. Seine Rede zur Olmützer Punktation im preußischen Landtag am 3. Dezember 1850 war dann auch ein meisterlicher Hieb gegen die Liberalen und ihren waghalsigen Kriegskurs. Von der konservativen Fraktion um die Gebrüder Gerlach wurde sie sogleich in 20.000 Exemplaren gedruckt und verbreitet.25

Nur kurz nachdem der designierte Ministerpräsident Otto von Manteuffel dem Landtag einen Bericht von den Verhandlungen in Olmütz gegeben hatte, ohne allerdings den Abgeordneten über den tatsächlichen Umfang des preußischen Zurückweichens reinen Wein einzuschenken, war Bismarck ans Rednerpult getreten. Es war eine der wichtigsten Reden in seiner gesamten politischen Laufbahn und weit mehr als nur eine simple Verteidigung des Manteuffelschen Verhandlungsergebnisses.

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