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Walther L. Bernecker

SPANISCHE
GESCHICHTE

Vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Für alle diejenigen Leser, die Spanien nicht nur als sonniges und preiswertes Urlaubsland ansteuern, bietet der vorliegende Band einen Überblick über die wechselvolle Geschichte des Landes von der Entstehungszeit des heutigen Spaniens unter den Katholischen Königen bis zur gegenwärtigen parlamentarischdemokratischen Monarchie unter König Philipp VI.

Neben den großen historischen Ereignissen – die Entdeckung Amerikas, der Aufstieg Spaniens zur Weltmacht, das Reformationszeitalter, die Krise des Ancien Régime, Militärputsche, Diktaturen und die Franco Ära – stellt der Autor auch die gesellschaftliche, kulturelle, wirtschaftliche und politische Entwicklung, vor allem der letzten zwei Jahrhunderte, dar.

Über den Autor

Walther L. Bernecker, Dr. phil., Professor i.R., geb. 1947, Studium der Geschichte, Germanistik und Hispanistik, 1973–1977 und 1979–1984 Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere Geschichte der Universität Augsburg, 1984/85 „Visiting Fellow“ am „Center of Latin American Studies“ der University of Chicago, 1986 Habilitation, 1988–1992 Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Universität Bern, 1992–2014 Lehrstuhl für Auslandswissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg; 2002/03 Sonderlehrstuhl Wilhelm und Alexander von Humboldt in Mexiko-Stadt.

Neuere Veröffentlichungen (u.a.): Krieg in Spanien 1936–1939. Darmstadt 22005; (zus. mit H. Pietschmann) Geschichte Spaniens seit dem Mittelalter. Stuttgart 42005; (Hg.) Spanien heute. Frankfurt 52008; Geschichte Spaniens im 20. Jahrhundert. München 2010. Zus. mit H. Altrichter: Historia de Europa en el siglo XX. Madrid 2014.

Inhalt

Vorwort

    I. Die Grundlegung des Reiches (15. Jahrhundert)

   II. Der Aufstieg zur Weltmacht (16. Jahrhundert)

  III. Hegemonie und Niedergang (17. Jahrhundert)

  IV. Das Zeitalter der Reformen (18. Jahrhundert)

   V. Die Krise des Ancien Régime (1788–1808)

  VI. Die Ära der Militärputsche (1808–1875)

 VII. Restauration und Diktatur (1875–1930)

VIII. Zweite Republik und Bürgerkrieg (1931–1939)

  IX. Die Franco-Ära (1939–1975)

   X. Monarchie und Demokratie (1975–2015)

Literatur

Personenregister

Vorwort

Eine „Geschichte Spaniens“ auf knappem Raum muß sich auf die Herausarbeitung der allgemeinen Entwicklungslinien und die Hervorhebung spezifischer Strukturmerkmale konzentrieren. Die folgende Überblicksdarstellung betont daher die Grundzüge spanischer Geschichte, das Besondere in Vergangenheit und Gegenwart; sie muß zwangsläufig auf viele Detailaspekte verzichten. Im wesentlichen wird eine chronologische Darstellung geboten, da diese Form die historische Eigenentwicklung in den unterschiedlichen Phasen und Epochen leichter verständlich macht. Innerhalb der einzelnen chronologischen Abschnitte wird allerdings problemorientiert-strukturell vorgegangen. Wo möglich und nötig, wird auf die gemeineuropäische Geschichte verwiesen; damit wird deutlich gemacht, daß die spanische Geschichte nur im Kontext der europäischen verständlich wird. Von den folgenden zehn Kapiteln beziehen sich die ersten fünf auf die Zeitspanne von der Gründung der Monarchie im ausgehenden Mittelalter bis zur Krise des Ancien Régime, umfassen somit etwas über 300 Jahre; die zweiten fünf befassen sich mit der neueren Geschichte des Landes im 19. und 20. Jahrhundert, der somit anteilmäßig mehr Raum als der Frühen Neuzeit eingeräumt wird. Aus dieser Schwerpunktverteilung ergibt sich für den ersten Teil eine komprimiertere Darstellungsform. Die Geschichte des hispanoamerikanischen Kolonialreiches wurde nur dann einbezogen, wenn sie für das Verständnis der Entwicklung Spaniens erforderlich war.

I. Die Grundlegung des Reiches (15. Jahrhundert)

Der spanische Teil der Iberischen Halbinsel gehörte während des Mittelalters großteils zum islamischen Herrschaftsbereich. In seinem christlichen Norden zerfiel er in mehrere unabhängige Königreiche, die ab dem 13. Jahrhundert nach Ausweitung strebten. So nahm das wirtschaftlich und politisch führende Kastilien im Verlauf des 14. Jahrhunderts die Kanarischen Inseln in Besitz und kündigte dadurch seine Konkurrenz gegenüber portugiesischen Ansprüchen an.

Noch im frühen 15. Jahrhundert war nicht abzusehen, daß die verschiedenen Reiche auf der Iberischen Halbinsel in vorhersehbarer Zeit eine Einheit bilden würden. Das Königreich Kastilien war durch innere Wirren geschwächt und konzentrierte seine Energien auf die Fortführung der Reconquista [Rückeroberung], den seit Jahrhunderten andauernden Kampf zwischen Christen und Muslimen; den Ländern der Krone von Aragonien ging es vor allem um die Sicherung außeriberischer Interessen, vornehmlich in Süditalien; das Königreich Navarra im Norden der Halbinsel war um die Bewahrung seiner Unabhängigkeit bemüht; Portugal hatte sich seit Jahrhunderten im atlantischen Raum engagiert und zu jenem Zeitpunkt bereits eine Art Nationalbewußtsein entwickelt; und das im Süden gelegene, maurische Emirat Granada war das letzte islamische Reich auf der Halbinsel, gegen das Kastilien seit Jahrzehnten einen hinhaltenden Abnützungskrieg führte.

Von den fünf Reichen war Kastilien zweifellos das bedeutendste; ihm gehörten große Teile des Nordens, das Zentrum und der ganze Südwesten der Halbinsel. Kastilien umfaßte zwei Drittel des spanischen Gesamtterritoriums und hatte mit sechs Millionen mehr als sechs mal soviel Einwohner wie Aragonien. Lange Zeit wurde das entstehende moderne „Spanien“ mit Kastilien gleichgesetzt. Während dieses schon weitgehend einheitsstaatlich organisiert war, stellte die Krone von Aragonien eine Art Föderation mit Katalonien, Valencia und Mallorca dar; auch Sizilien, Neapel und Sardinien gehörten zur Krone von Aragonien.

Seit den 60er Jahren des 15. Jahrhunderts tobte in Kastilien ein Erbfolgekrieg, in dem es zum einen um die Frage ging, wer nach dem Tod Heinrichs IV. aus dem Haus Trastámara den Thron besteigen würde; zum anderen stand machtpolitisch das Verhältnis zwischen Monarchie und Adel zur Debatte. 1468 wurde in dieser Auseinandersetzung die damals erst 17jährige Isabella, die Halbschwester König Heinrichs IV. (1454–1474), von der kastilischen Adelspartei als Thronerbin ausersehen; vorerst mußte sie sich allerdings der Autorität ihres königlichen Halbbruders unterwerfen. Dieser schloß dafür seine eigene Tochter Johanna (Juana la Beltraneja) von der Thronfolge aus. Bereits ein Jahr später (1469) heiratete Isabella unter größter Geheimhaltung Ferdinand, den Sohn von König Johann II. (1458–1479) von Aragonien und Thronfolger im Nachbarkönigreich; damit war die entscheidende Weichenstellung für die spätere Einigung Spaniens vollzogen. Schon Anfang 1469, Monate vor der Eheschließung, hatte sich Ferdinand in einem Abkommen verpflichtet, alle zukünftigen Erlasse gemeinsam mit Isabella zu unterzeichnen und in sämtlichen politisch wichtigen Fragen mit ihr zusammenzuarbeiten.

Beim Tode ihres Halbbruders Heinrich IV. (1474) übernahm Isabella sofort die Krone Kastiliens; ihr Ehemann Ferdinand fühlte sich durch das rasche Vorgehen seiner Frau überrumpelt, willigte aber kurz danach (1475) in das „Abkommen von Segovia“ ein, das ihm zwar auch den Königstitel zusprach, Isabella aber zur eigentlichen Königin Kastiliens und „Besitzerin“ des Reiches erklärte. In allen Regierungsgeschäften wollte das Königspaar zusammenwirken; der Einheits- und Unteilbarkeitsgedanke spiegelte sich sowohl im gemeinsamen Wappenspruch (Tanto Monta) wie in den Herrschaftssymbolen (Pfeilbündel, Kette, Joch, gordischer Knoten) wider. Das persönliche Einvernehmen beider Herrscher wurde zur entscheidenden Voraussetzung für die erfolgreiche Politik der Katholischen Könige.

Nach der Thronbesteigung Isabellas ging der Erbfolgekrieg vorerst weiter. König Alfons V. von Portugal erkannte Johanna (Juana la Beltraneja) als legitime Erbin der Krone Kastiliens an, begehrte sie zu heiraten und wollte ihren Thronanspruch mit militärischen Mitteln gegen Isabella und Ferdinand durchsetzen. Ein Teil des kastilischen Adels unterstützte ihn bei diesem Unterfangen. Somit ging es beim Kampf um den kastilischen Thron auf der einen Seite um eine dynastische Auseinandersetzung – die Erbfolge Isabellas war umstritten –, auf der anderen um einen Kampf um die Stellung des Adels im Reich. Im wesentlichen konnte Isabella diese Kämpfe zu ihren Gunsten entscheiden: 1479 endete der Erbfolgekrieg; damals garantierten sich Kastilien und Portugal im Vertrag von Alcaçovas gegenseitig die Unveränderlichkeit ihrer Grenzen. Im gleichen Jahr wurde Ferdinand – als Nachfolger seines verstorbenen Vaters Johann II. – König von Aragonien. Von diesem Zeitpunkt an waren die Kronen Kastiliens und Aragoniens in einer Doppelmonarchie unter einem Herrscherpaar vereint, wenngleich beide Reiche weiterhin ihre Autonomie wahrten. Von einer echten Nationalunion konnte vorerst keine Rede sein. In der Literatur hat sich die Bezeichnung „Matrimonialunion“ durchgesetzt. (Bei Isabellas Tod im Jahr 1504 trennten sich übrigens die beiden Kronen wieder; endgültig vereint wurden sie erst unter ihrem Enkel Karl I.)

Nach der dynastischen „Einigung“ Spaniens erlahmte der expansionistische Drang Kastiliens. Fortan wurden alle Kräfte auf die Rückeroberung Granadas, der letzten islamischen Machtbastion auf der Iberischen Halbinsel, konzentriert. Erst nach dem erfolgreichen Abschluß der Reconquista (1492) konnten die gegenüber Portugal ins außenpolitische Hintertreffen geratenen Katholischen Könige ihre Aufmerksamkeit wieder externen, nunmehr auch überseeischen Unternehmungen zuwenden. Die Reconquista hatte die spanischen Könige zwar mehrere Jahrzehnte lang daran gehindert, außenpolitische Aktivitäten zu entfalten; andererseits trug sie jedoch wesentlich zu einer Stärkung der Monarchie bei und erlaubte dadurch die Festigung des neuen Staatengebildes. Gleichzeitig schuf die Reconquista wichtige Anknüpfungspunkte und Voraussetzungen für die unmittelbar nach ihrem Abschluß einsetzende Eroberung (Conquista) Amerikas – und zwar sowohl bezüglich der Vorgehensweise als auch hinsichtlich der Motive und Zielsetzungen.

Der Erbfolgekrieg um die kastilische Krone hatte die innere Ordnung des Reiches erschüttert; das Wirtschaftsleben hatte schwere Rückschläge erfahren, Rechtsprechung und Verwaltung lagen darnieder. Zu den wichtigsten Geboten der Stunde zählte daher die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung. Ausgebaut wurden die Zentralverwaltung und das Justizwesen. Die Militärorden wurden dem Einfluß der Kirche entzogen und der Krone unterstellt; der Kastilienrat war eine im Auftrag der Könige arbeitende Zentralbehörde, der Staatsrat beriet die Krone in der Außenpolitik, die oberste Justizverwaltung wurde von zwei Audiencias [Gerichtshöfen] wahrgenommen. Der Kronrat wurde als zentrale Kollegialbehörde zu einem reinen Verwaltungsinstrument der Monarchie, die Führung der Staatsgeschäfte lag bei den Rechtsgelehrten (letrados). Das Königspaar nahm sich besonders der Justizfragen an. Zur Grundlage der Rechtsprechung wurde die von ihnen angelegte Rechtsquellensammlung. Für die Verwaltung des Reiches setzten sie in jedem Landesteil einen Vertreter der Krone (corregidor) ein, der über weitreichende Entscheidungsbefugnisse verfügte. Die unterschiedlichen Gewichts- und Maßeinheiten wurden 1496 systematisiert.

Die Ständeversammlung (Cortes) bestand zum damaligen Zeitpunkt bereits nur noch aus den Vertretern der (17 privilegierten) Städte Kastiliens, nachdem die beiden höheren Stände Adel und Klerus an den Sitzungen nicht mehr teilnahmen. Aber selbst diese in ihrer Bedeutung ohnehin schon geschmälerten Cortes wurden von den Katholischen Königen kaum einberufen, sie traten äußerst selten zusammen.

Die Zentralisierungsbestrebungen machten sich auch im kirchlichen Bereich bemerkbar: Bei der Rechtsprechung über Laien wurde fortan den königlichen Justizbeamten gegen den kirchlichen Gerichtshof der Vorrang gegeben, der (spanische) Borgia-Papst Alexander VI. (1492–1503) – der dem Herrscherpaar den Ehrentitel „Katholische Könige“ verlieh – räumte Isabella und Ferdinand das Recht der Bischofsernennung ein, womit die Grundlage zu einer Art Nationalkirche gelegt wurde.

Wirtschaftspolitisch förderte das Königspaar den damals bedeutendsten Wirtschaftszweig: den Wollhandel. Wolle war in Kastilien zum dominierenden Handelsprodukt geworden. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts dürfte es an die drei Millionen „wandernder“ Merinoschafe (trashumantes) gegeben haben; die Schafzucht ermöglichte es dem Hochadel, den Klöstern und den Militärorden, aus ihren riesigen Ländereien regelmäßige Einkünfte zu beziehen. Seit 1273 waren die Schafzüchter in dem stets mächtiger werdenden Kartell der Mesta organisiert, der Wollexport nach Aragonien und in die verschiedenen europäischen Reiche stieg an, Burgos – das Zentrum des kastilischen Wollhandels – und Messestädte wie Medina del Campo wurden zu bedeutenden Wirtschaftszentren. Demgegenüber waren die anderen Wirtschaftszweige Kastiliens – die Eisenindustrie des Baskenlandes, der Schiffsbau Kantabriens, die Seifenindustrie Andalusiens, usw. – von nachgeordneter Bedeutung.

Im Gegensatz zu Kastilien dominierten in Aragonien die föderalen Strukturen. König Ferdinand II. (1479–1516) griff selten in den Verwaltungsapparat der „Gliedstaaten“ seiner Krone (Aragonien, Katalonien, Valencia, Mallorca) ein, verbriefte vielmehr den Fortbestand der regionalen Sonderrechte (vor allem Kataloniens). Die Reiche der Krone von Aragonien waren vorerst nur in Personalunion miteinander vereinigt. Der König verbrachte nur wenige Jahre in seinen Kronländern, setzte vielmehr einen Vizekönig und (1494) den „Aragonienrat“ ein, der zur höchsten Verwaltungsbehörde für alle Kronländer – somit auch für Sizilien, Neapel und Sardinien – wurde. Unmittelbar nach seiner Thronbesteigung (1479) hatte Ferdinand II. für den Bereich der Krone von Aragonien protektionistische Verordnungen und Reformbestimmungen zur Gesundung der städtischen Finanzen erlassen; hier kann man Ansätze jenes frühen Merkantilismus erkennen, der später so charakteristisch für Kastilien werden sollte. Der wirtschaftliche Wiederaufstieg Kataloniens läßt sich – nach der ökonomischen Zerrüttung der vorhergehenden Jahrzehnte – auf das Jahr 1484 datieren; im folgenden Jahrzehnt gelangten katalanische Erzeugnisse (vor allem Tuchwaren) wieder in den Mittelmeerraum und in andere Regionen Europas. Der mediterrane Wirtschaftsverbund der Krone von Aragonien war jedoch von der Ökonomie Kastiliens, die ab Beginn des 16. Jahrhunderts zunehmend auf die „Neue Welt“ ausgerichtet war, durch Zollschranken getrennt. Die Untertanen der Krone von Aragonien blieben vom Handel mit den Kolonien ausgeschlossen; dieser war ein Privileg der Kastilier.

Die Katholischen Könige waren vor allem bestrebt, den kastilischen Adel zu disziplinieren. Dessen völlige Entmachtung gelang ihnen allerdings nicht; vielmehr mußten sie in vielen Machtfragen ein hohes Maß an Kompromißbereitschaft zeigen. Durch eine geschickte Politik der Zugeständnisse gelang es ihnen jedoch, schließlich die Unterstützung eines Großteils des Adels für sich zu gewinnen. In jener Phase wurden die Grundlagen der absoluten Monarchie gelegt, wenn auch primär auf Kosten der Kirche und der in den Cortes vertretenen Städte.

Durch eine Neuregelung des Lehenswesens konnte der Adel seine Domänen nicht weiter ausdehnen, war vielmehr um Stabilisierung des status quo bemüht. Letztlich bewirkte die von den Katholischen Königen vorgenommene Reform sowohl eine Festigung der bestehenden Sozialordnung als auch eine Stärkung der monarchischen Macht. Das 1505 erlassene „Majoratsgesetz“ war durchaus im Sinne der Adeligen, legte es doch die Vererbung des Großgrundbesitzes an den Erstgeborenen und die Unveräußerlichkeit des Immobilienvermögens fest. Damit konnte der Grundbesitz des Adels sehr häufig in „Fideikommisse“ umgewandelt werden, das heißt in unteilbares und unveräußerliches Stammgut, sogenannte Majorate. (Dabei ist zu berücksichtigen, daß im ausgehenden Mittelalter Adel und Patriziat – eine höchstens 1,5 bis 1,7 Prozent der Bevölkerung umfassende Schicht – zusammen mit den Militärorden in den christlichen Reichen der Iberischen Halbinsel über mehr als die Hälfte des Grundbesitzes verfügten.)

Die „Heilige Hermandad“, ursprünglich ein Schutzbund der wichtigsten kastilischen Städte, wurde 1476 als Landpolizei und städtische Miliz wiedergegründet und der Aufsicht eines königlichen Rates unterstellt; bald wurde sie zu einem Ersatzorgan der entmachteten Cortes.

Aus der Regierungszeit der Katholischen Könige ragt vor allem das Jahr 1492 heraus. Dieses Jahr wurde für Spanien in vielerlei Hinsicht zu einem Schicksalsjahr, vielleicht zum wichtigsten überhaupt in seiner Geschichte: Zu Jahresbeginn, am 2. Januar, zogen Isabella und Ferdinand siegreich in Granada ein; damit fand die Reconquista ihr Ende. Knappe drei Monate später vertrieben sie die Juden aus Spanien; und wiederum einige Monate später entdeckte ein genuesischer Seefahrer in kastilischen Diensten, Christoph Kolumbus (Cristobal Colón), Amerika. Alle drei Ereignisse sollten von größter Bedeutung für die weitere Geschichte Spaniens sein.

Innenpolitisch festigte die Eroberung Granadas die Stellung der Monarchen als militärische und politische Führer des Reiches, strategisch war der erweiterte Zugang zum Mittelmeer von Bedeutung, wirkungsgeschichtlich kam es zu einer Wiederbelebung des Kreuzzuggedankens – eine wichtige Voraussetzung für die bald danach beginnende Eroberung der „Neuen Welt“.

Zuerst sah es so aus, als ob sich nach dem Abschluß der Reconquista für die unterworfenen Muslime und Juden nicht viel ändern würde. Während nach früheren Eroberungen die Bewohner der meisten maurischen Städte für ihren Widerstand mit der Ausweisung nach Nordafrika bestraft worden waren, hinterließen die Bedingungen bei der Übergabe Granadas einen großzügigen Eindruck. Den für ihren Fleiß bekannten niederen Volksschichten sollte eine ähnliche Existenz ermöglicht werden, wie sie die mudéjares (d.h. die in christlichen Territorien lebenden Muslime) im Norden, vor allem in Aragonien, führten: Sie sollten ihr Rechtswesen, ihre Sitten und Gebräuche beibehalten dürfen, der freien Ausübung ihrer Religion wurde nichts in den Weg gelegt. Diese Bestimmungen blieben jedoch weitgehend Theorie; die Praxis sah ganz anders aus. Es begann mit der Vertreibung der Juden.

Schon in den zwei Jahrhunderten vor 1492 waren die Juden verfolgt worden. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts war über die Hälfte der 200000 Juden auf der Iberischen Halbinsel zum Christentum konvertiert; man nannte sie conversos [Bekehrte]. Da die bekehrten Juden in allen Berufen und Ämtern erfolgreich waren, entstand eine neue Quelle sozialer Konflikte. Fortan wurde zwischen „Altchristen“ (cristianos viejos)und „Neuchristen“ (cristianos nuevos) unterschieden. Um die konvertierten Juden von öffentlichen Ämtern ausschließen zu können, wurde ab Mitte des 15. Jahrhunderts immer häufiger der Nachweis der nichtjüdischen Abstammung gefordert; die „Blutreinheit“ mußte in Übereinstimmung mit entsprechenden Vorschriften (estatutos de limpieza de sangre) nachgewiesen werden. Damit trat der religiöse Aspekt hinter dem rassischen zurück.

Am 31. März 1492 unterschrieben die Katholischen Könige das von Generalinquisitor Tomás de Torquemada vorbereitete Ausweisungsdekret. Innerhalb von vier Monaten hatten alle Juden das Land zu verlassen. Der erste Schritt auf dem Weg zur religiösen Einheit war getan; diese wurde als ein zentraler Punkt der Staatsräson betrachtet.

Eine erhebliche Anzahl von Juden konvertierte zum Christentum, der größte Teil aber emigrierte. Ging die ältere Forschung von 100000–200000 vertriebenen Sepharden aus (wie sich die spanischen Juden nannten), so spricht man neuerdings von 40000–50000, die in den gesamten Mittelmeerraum, vor allem nach Nordafrika und in den Nahen Osten, aber auch in den Nordseeraum emigrierten.

Um das „Problem“ der conversos zu lösen, hatte der Franziskanermönch Alonso de Espina schon 1460 gefordert, daß sie als „schlechte Christen“ und Ketzer der Inquisition zu unterwerfen seien. Die alte päpstliche Inquisition, die früher in Aragonien eingeführt worden war, spielte jedoch praktisch keine Rolle mehr; Espinas Darlegungen liefen somit auf die Forderung nach Einrichtung eines neuen Inquisitionstribunals in Spanien hinaus. 1478 wurde in Kastilien sodann durch päpstliche Verfügung die Inquisition „zur Ausrottung der Ketzerei“ eingerichtet, und bald darauf begann die Suche nach „ketzerischen“ conversos; anschließend übertrug Isabellas Ehemann Ferdinand von Aragonien die Inquisition auf sein Reich. Damit erhielt Spanien eine gemeinsame politische und religiöse Institution – übrigens das einzige gemeinsame Staatsorgan außer der Monarchie. Die „Spanische Inquisition“ war eine Art staatlicher Sicherheitsdienst, der über die Reinheit der Lehre zu wachen und insbesondere die jüdischen und muslimischen Konvertiten zu kontrollieren hatte, die stets im Verdacht der Häresie standen. Letztlich war die Inquisition das wichtigste Werkzeug für den entstehenden spanischen Staat, um seine innere Einheit zu festigen.

Die Notwendigkeit, nach der Eroberung Granadas die muslimische Bevölkerung des letzten islamischen Königreiches aufzunehmen, leitete auch im Verhältnis zwischen Christen und Muslimen eine neue Phase ein. Der Erzbischof von Granada, Hernando de Talavera, hielt die Bekehrung der Muslime für unbedingt erforderlich, wollte aber nur friedliche Methoden anwenden. Die Bekehrung durch Überzeugung war aber offensichtlich nicht erfolgreich; um die Jahrhundertwende setzte sich der harte Kurs des Toledaner Erzbischofs Francisco Jiménez de Cisneros (1436–1517) durch, und 1502 widerrief Königin Isabella für Kastilien die Religionsfreiheit, die sie der muslimischen Bevölkerung ein Jahrzehnt zuvor bei der Übergabe Granadas zugestanden hatte. Die mudéjares mußten konvertieren oder emigrieren; diejenigen, die sich für die christliche Taufe entschieden, wurden fortan moriscos genannt.

Im Bereich der Krone von Aragonien blieb den dortigen mudéjares ab 1525/26 auch nur noch die Wahl zwischen Zwangsbekehrung und Auswanderung. Die Mehrheit entschied sich zwar für die Taufe; damit war aber das Problem für diese moriscos nicht gelöst. Denn ähnlich wie im Fall der jüdischen conversos blieben Kirche und Krone den neuen Katholiken gegenüber äußerst mißtrauisch. Zuerst wütete die Inquisition unter ihnen, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kam es dann zu gewaltsamen Übergriffen, schließlich folgten verzweifelte moriscos-Aufstände. Die Inquisition dehnte das Prinzip der „Blutreinheit“ auf die moriscos aus und setzte sich nachhaltig für deren Ausweisung ein. 1609 schließlich wurden die moriscos vertrieben – rund 273.000 an der Zahl; die religiöse Einheit und die Sicherheit der Monarchie machten diese Maßnahme angeblich erforderlich.

Durch die Vertreibung der Juden (1492), der Muslime (1502) und der moriscos (1609) verlor Spanien Hunderttausende qualifizierter Arbeitskräfte; auch die geistige Arbeit litt fortan unter dem Damoklesschwert der inquisitorischen Zensur. Konformismus und geistige Intoleranz breiteten sich aus. Auch die ökonomischen Folgen waren für das Land verheerend. Nicht wenige Historiker führen den wirtschaftlichen Niedergang Spaniens in der Frühen Neuzeit auf die Vertreibung der Sepharden und der moriscos zurück.

Das dritte bedeutende Ereignis des Jahres 1492 war die ‚Entdeckung‘ Amerikas, damit zugleich der Beginn der Eroberung und Missionierung des ‚neuen‘ Kontinents. Kolumbus selbst hat in seinem Bordtagebuch einen Zusammenhang zwischen dem Ende der Reconquista, der Vertreibung der Juden und seiner Expedition hergestellt: Er wollte ja eigentlich nach Osten gelangen, nach Asien, um dort in Kathai (China) Kontakte mit dem prochristlichen Groß-Khan der Mongolen aufzunehmen, der im Glauben unterrichtet zu werden wünschte. Auf diese Weise sollte ein Bündnis zwischen den Mächten der östlichen und westlichen Christenheit hergestellt werden. Dieses Bündnis würde die Muslime besiegen und Jerusalem wiedergewinnen. Offensichtlich übte dieses Konzept im Augenblick der triumphalen Eroberung Granadas große Anziehungskraft auf den Kreuzzugsgeist der Katholischen Könige aus.

Die Kirche unterstützte von Anfang an die kolonialen Zielsetzungen der spanischen Könige. Da der Papst den weltlichen Herrschern das Patronatsrecht über neu eroberte Gebiete zusprach, erhielten die Könige das Recht und den Auftrag zur Christianisierung dieser Weltregion. Dieses Recht schloß die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten sowie die Besetzung aller kirchlichen Ämter ein. Damit war der Klerus zum treuen Staatsdiener bestellt; die kirchliche Verkündung in Amerika war an das staatliche Ausgreifen gebunden. Oft genug rechtfertigte die Kirche die Praxis der Eroberungen; die unmenschlichen Praktiken der Kolonialherrschaft wurden als irdisches Martyrium der Indianer auf dem Weg zum ewigen Leben bezeichnet.

Andererseits sahen die Missionsorden, die den Konquistadoren auf dem Fuß folgten, in den brutalen Maßnahmen der Eroberer gegenüber den Indianern ein entscheidendes Hemmnis für die Verbreitung des katholischen Glaubens. Der langjährige Wortführer dieser kirchlichen Gegenbewegung, Bartolomé de Las Casas (1474 oder 1484–1566), entwickelte sich zum erbittertsten Gegner der Kolonisten. Unter seiner Führung bekämpften vor allem die Bettelorden (Dominikaner, Franziskaner) die Konquistadoren in Amerika und am Königshof. Auf kirchliche Fürsprecher ging die königliche Indianerschutzgesetzgebung zurück, die die übelsten Auswüchse der spanischen Kolonisatoren wenigstens etwas einschränkte.

Betrachtet man die soeben dargestellten drei Ereignisse zusammenhängend, so wird deutlich, daß das „moderne“ Spanien als Bruch mit vielen mittelalterlichen Traditionen entstand. Den Beginn machten die Vertreibungen von 1492, 1502 und 1609. Der staatliche Schutz, der früher andersgläubigen Minderheiten gewährt worden war, wurde aufgehoben; religiöse Intoleranz wurde zur Staatsdoktrin; die christliche Missionsidee entwickelte sich zu einer staatlichen Aufgabe in Spanien und in Übersee, und wer sich der Bekehrung zum Christentum widersetzte, wurde von der politischen Gemeinschaft ausgeschlossen. Fortan sollte die Religion die Grundlage für die politische Einheit des Landes bilden; damit endete das spanische Mittelalter.

Nachdem die Reconquista auf der Iberischen Halbinsel abgeschlossen war, setzte Spanien seinen Kampf um die katholische Glaubenseinheit in veränderter Weise fort: im Lande selbst mit dem Mittel der Inquisition, in Übersee als koloniale Missionierung Amerikas, im Osten als Kampf gegen die Türken, im Norden in kriegerischen Auseinandersetzungen gegen die protestantischen Mächte. Glaubensfragen standen für Spanien, den selbsternannten „Wächter des Abendlandes“ mit einem ungebrochenen religiösen Sendungsbewußtsein, im Zentrum geistiger, politischer und militärischer Aktivitäten.

Seit 1474 wurden die Königreiche Kastilien und Aragonien durch Isabella und Ferdinand in Matrimonialunion geführt. (Nachdem es zuvor zwischen Aragonien und Frankreich wegen Navarra zu wiederholten Konflikten gekommen war, annektierte Ferdinand 1512 das südliche Navarra kurzerhand für Kastilien.) Als Erbe war Ferdinands und Isabellas Sohn Don Juan vorgesehen, der 1496 Margarete von Burgund, die Tochter von Kaiser Maximilian, heiratete, 1497 aber kinderlos starb. Da auch dessen ältere Schwester Isabella frühzeitig starb, avancierte die jüngere Schwester Juana (Johanna) zur Thronerbin; sie heiratete 1497 Philipp „den Schönen“ (1478–1506), ebenfalls Sohn Maximilians und Herzog von Burgund. Nach dem frühzeitigen Tod von Königin Isabella im Jahr 1504 übernahm Ferdinand, nachdem sich bei Johanna Anzeichen einer psychischen Erkrankung gezeigt hatten – sie ist in die Geschichte als „die Wahnsinnige“ (La Loca) eingegangen –, die Verwaltung des Reiches. Johanna war zwar die rechtmäßige Königin, sie wurde aber (zuerst von ihrem Vater, später von ihrem Sohn Karl I.) im Schloß von Tordesillas bis zu ihrem Tod im Jahr 1555 interniert. Nach dem Tod Ferdinands „des Katholischen“ (1516) fiel dem ältesten Sohn aus der Ehe Johannas („der Wahnsinnigen“) mit Philipp („dem Schönen“), dem 1500 in Gent geborenen Karl, das nunmehr vereinigte spanische Erbe zu (einschließlich der unteritalienischen Königreiche). Seit 1515 war Karl Herzog von Burgund; 1519, nach dem Tod seines Großvaters Maximilian, bekam er die österreichischen Erbländer und wurde zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gewählt.

Aus dieser Konstellation ergaben sich einige geopolitische Konstanten, die jahrhundertelang den Verlauf der europäischen Geschichte mitbestimmen sollten: Zum einen entwickelte sich ein Gegensatz zwischen Frankreich und den Habsburgern, von denen sich die französischen Könige umklammert fühlten. Zum anderen führte die Häufung von Herrschaftsrechten im Hause Habsburg zu einer ungewöhnlichen Machtfülle, aber auch zu gewaltigen Belastungen. Schließlich wurden die Habsburger durch das spanische Erbe nicht nur zu einer europäischen Universalmacht, sondern vertraten außerdem noch überseeische Interessen. Die habsburgische Großmachtbildung sollte somit für das Europa der beginnenden Neuzeit bestimmend sein.

II. Der Aufstieg zur Weltmacht (16. Jahrhundert)

Cortes