Cover

Bernd Roeck

Leonardo

Der Mann, der alles wissen wollte

Biographie

C.H.Beck

Zum Buch

Maler, Architekt, Forscher, Erfinder, Literat und Gelehrter: Niemand hat das Ideal der Renaissance vom «uomo universale», vom universalen Menschen, glänzender verkörpert als Leonardo da Vinci. In seiner mitreißend geschriebenen Biographie folgt Bernd Roeck Leonardo auf seinen Wegen durch das Italien der Renaissance und durch den geistigen Kosmos dieser Epoche, dessen Grenzen er immer wieder durchbrach.

Leonardo war als Künstler wie als Forscher und Erfinder ein Besessener, der Wunderwerke hinterließ und eine unendliche Fülle von Ideen. Sie haben die Phantasie der Nachwelt blühen und die Spekulationen wuchern lassen. Bernd Roeck unterzieht die Quellen einer strengen Prüfung, um offenzulegen, was wir wirklich von dem Künstler wissen können – und was für immer sein Geheimnis bleiben muss. Die Leser begleiten Leonardo nach Venedig, Rom und an die Loire und sehen ihm in seiner Mailänder Werkstatt beim Malen mit Pinseln aus Eichhörnchenhaar zu. Sie erfahren von den Netzwerken, die Leonardos steile Karriere beförderten, und von den politischen Wirren, durch die er sich lavierte. Sie lernen seine vegetarischen wie seine erotischen Vorlieben kennen. Vor allem aber beleuchtet Bernd Roeck die kreativen Prozesse, in denen Leonardos wegweisende Erfindungen und seine unvergleichliche Kunst entstanden.

Über den Autor

Bernd Roeck ist Professor (em.) für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance. Bei C. H.Beck sind von ihm u.a. erschienen: «Florenz 1900. Die Suche nach Arkadien» (22004), «Mörder, Maler und Mäzene. Piero della Francescas ‹Geißelung›» (52010) und «Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance» (42018).

Inhalt

Vorwort

Auf dem Rücken des großen Schwans

I.: Anfänge:Vinci und Florenz, 1452–1481

1. Eine toskanische Jugend

Caterina, Antonio und Ser Piero

Ein Genius mit Defiziten

«Die ansehnlichste und schönste Stadt der ganzen Welt»

2. Ausbildung: Eichhörnchenschwänze und Hühnerknochen

Aufbruch in die Wirklichkeit: Theorie und Praxis

Bei Verrocchio

Die falsche Flora, Drachen und ein Fisch

3. Erste Werke und eine Sexaffäre

Der Blick Colleonis

Verklungene Feste

Bilder für die Madonna

Die unbotmäßige Stange: Sex, Liebe und Schmerz

4. Bilder für Magnaten und Mönche

Leonardos Handstreich

Der Gehenkte und drei Lorenzos aus Wachs

Ein Acker für ein Bild

Amerikas «Mona Lisa»: Ginevra de’ Benci

II.: Höhenflüge: Mailand, 1481–1500

1. Florenz, Mailand: Kulturtransfers

Das Universum im Visier

Aufbruch nach Mailand

Die Stadt des «Mohren»

Die «Madonna in der Felsengrotte»: Erster Akt

2. Neureiche der Macht

Konkurrenzen um den «tiburio»

Imaginäre Architekturen, urbanistische Gedankenflüge und der Hauch des Todes

Paradiesfest

Wilde Männer, schöne Frauen

«Nie war Schöneres auf Erden»: Ein Pferd für den Ruhm der Sforza

3. Höfling

Der toskanische Ikarus

Alltage, Studien, Ideen

Gesellen, Gefährten und ein kleiner Dämon

Leonardo singt zur Lyra

Florentiner Humor

Die Rede der Natur und der Dinge

4. Zeitbruch

«Mit Musik endet das Fest»

Aal mit Orangenschnitten: Das «Letzte Abendmahl»

Die Kunst der Geometrie

Der Retter der Welt

Geld und nochmals Geld

Mailänder Endspiel

III.: Neue Patrone: Florenz, 1500–1506

1. Umorientierung

Italienische Reise: Mantua, Venedig

Florenz, 1500: Die Schatten der Apokalypse

Isabella d’Este will einen «Leonardo», Florimond Robertet erhält einen

Heilige Familien, heimatlos

An der Seite des Valentino

Ein Brief an den Sultan und ein Kanal nach Livorno

2. Das berühmteste Gemälde der Welt

Leonardo auf der Couch

Vespuccis Notiz, Käse und Schneckenwasser: Die echte Mona Lisa

Traum und Schatten unseres Seins

3. Das unbekannte Meisterwerk

Eine gewonnene Schlacht

Ser Pieros Tod

Giganten: Leonardo und Michelangelo

Zwei verlorene Schlachten

4. Eine neue Kunstwelt

Augengier und Bücherlust

Neptun, Leda: Leonardo und die Antike

«Irgendetwas von Leonardo»

IV.: Der Ruf des Königs: Mailand, 1506–1513

1. Nahe der Krone

«Nostre cher et bien amé Léonard de Vincy»

Eine Villa für Charles d’Amboise

Florentiner Intermezzo, Rückkehr nach Mailand

Die «Madonna in der Felsengrotte»: Zweiter Akt und Finale

2. Die Gründe der Dinge erkennen

Zerschnittene Leichen

Erde, Sonne, Universum: Fragen und Skepsis

Schüler der Erfahrung

Gegen Astrologie, Schwarzkunst und Geisterglauben

Sehnsucht nach dem Ende

3. Mailänder Herbst

Umbrüche

Übergänge

V.: Die letzten Jahre: 1513–1519

1. Rom

Die Pfeiler des Petersdoms

Im Belvedere: Hammeldarm, Olgirams und Erenev

Wunderdinge: Wasserspiele, Uhren, Roboter

An den Grenzen der Kunst

2. Stille Tage in Cloux

Abschied von Florenz

Die letzte Reise

Ein Besuch in Amboise

«Die Suppe wird kalt!»

Mona Lisas Schwestern

Leonardos Schädel

3. Wie war er?

Phantombilder

Der Hamlet der Kunstgeschichte

Psychologie eines Kreativen

Die Schönheit des Rätsels

Anhang

Zur forensischen Rekonstruktion von Leonardo da Vincis Gesicht

Abkürzungen

Anmerkungen

Vorwort

Auf dem Rücken des großen Schwans

I.Anfänge: Vinci und Florenz, 1452–1481

1. Eine toskanische Jugend

2. Ausbildung: Eichhörnchenschwänze und Hühnerknochen

3. Erste Werke und eine Sexaffäre

4. Bilder für Magnaten und Mönche

II.Höhenflüge: Mailand, 1481–1500

1. Florenz, Mailand: Kulturtransfers

2. Neureiche der Macht

3. Höfling

4. Zeitbruch

III.Neue Patrone: Florenz, 1500–1506

1. Umorientierung

2. Das berühmteste Gemälde der Welt

3. Das unbekannte Meisterwerk

4. Eine neue Kunstwelt

IV.Der Ruf des Königs: Mailand, 1506–1513

1. Nahe der Krone

2. Die Gründe der Dinge erkennen

3. Mailänder Herbst

V.Die letzten Jahre: 1513–1519

1. Rom

2. Stille Tage in Cloux

3. Wie war er?

Die Schönheit des Rätsels

Literaturverzeichnis

Bildnachweis

Personenregister

Für Gabi

Leonardo da Vinci, Gehölz, 1500–1510, rote Kreide, 19,1 × 15,3 cm, Windsor Castle, Royal Library.

Andrea del Verrocchio/Leonardo da Vinci, Taufe Christi, um 1470/75, Öl und Tempera auf Pappelholz, 180 × 152 cm, Florenz, Uffizien.

Antonio del Pollaiuolo/Piero del Pollaiuolo, Martyrium des heiligen Sebastian, vollendet 1475, Öl auf Holz, 291,5 × 202,6 cm, London, National Gallery.

Andrea del Verrocchio/Leonardo da Vinci, Tobias und der Engel, um 1470/75, Tempera auf Pappelholz, 83,6 × 66 cm, London, National Gallery.

Leonardo da Vinci, Verkündigung, 1472–1475 (?), Öl und Tempera auf Pappelholz, 100 × 221,5 cm, Florenz, Uffizien.

Leonardo da Vinci, Madonna mit der Nelke, um 1475, Öl und Tempera auf Pappelholz, 62 × 48,5 cm, München, Alte Pinakothek.

Leonardo da Vinci, Madonna Benois, um 1478/80, Öl auf Leinwand (von Holz übertragen), 49,5 × 33 cm, St. Petersburg, Ermitage.

Leonardo da Vinci, Maria mit Kind, Anna und Johannes (Burlington House Cartoon), um 1500 (?), Kohle und weiße Kreide auf Papier, auf Leinwand aufgezogen, 141,5 × 104,6 cm, London, National Gallery.

Leonardo da Vinci, Heiliger Hieronymus, um 1480/82, Öl und Tempera auf Nußbaumholz, 103 × 75 cm, Rom, Vatikanische Museen.

Leonardo da Vinci, Anbetung der Magier, 1480–1482, Öl und Tempera auf Holz, 243 × 246 cm, Florenz, Uffizien.

Leonardo da Vinci, Ginevra de’ Benci, um 1474–1478, Öl und Tempera auf Pappelholz, 38,1 × 37 cm, Washington, National Gallery.

Leonardo da Vinci, Madonna in der Felsengrotte, 1483–1485 (?), Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen, 197,3 × 120 cm, Paris, Musée du Louvre.

Ambrogio de Predis/Leonardo da Vinci, Madonna in der Felsengrotte, 1500–1509 (?), Öl auf Pappelholz, 189,5 × 120 cm, London, National Gallery.

Leonardo da Vinci, Die Dame mit dem Hermelin (Cecilia Gallerani?), um 1490 (?), Öl auf Nußbaumholz, 55 × 40,5 cm, Krakau, Muzeum Narodowe.

Leonardo da Vinci, Porträt einer Unbekannten («La Belle Ferronière»; Lucrezia Crivelli?), um 1495 (?), Öl auf Nußbaumholz, 63 × 45 cm, Paris, Musée du Louvre.

Leonardo da Vinci, Studie für ein Reiterdenkmal, um 1485/90, Metallstift auf blauem Papier, 15,2 × 18,8 cm, Windsor Castle, Royal Library.

Leonardo da Vinci u.a., Maulbeerbäume, um 1496/98, Tempera auf Putz, Mailand, Castello Sforzesco, Sala delle asse.

Leonardo da Vinci, Das letzte Abendmahl, um 1495–1497, Tempera und Öl (?) auf Putz, 460 × 880 cm, Mailand, Santa Maria delle Grazie.

Jacopo de’ Barbari (?), Luca Pacioli, 1495, Öl und Tempera (?) auf Holz, 98 × 108 cm, Neapel, Museo di Capodimonte.

Leonardo da Vinci und Werkstatt (?), Christus als Salvator mundi, 1499/1505 (?), Öl auf Walnußholz, 65,5 × 45,1 cm, Louvre Abu Dhabi.

Leonardo da Vinci und Werkstatt, Madonna mit der Spindel («Lansdowne Madonna»), um 1501/07, Öl auf Holz, 50,2 × 36,4 cm, New York, Privatsammlung.

Leonardo da Vinci, Anna Selbdritt, um 1503–1513/15, Öl auf Pappelholz, 168,5 × 130 cm, Paris, Musée du Louvre.

Leonardo da Vinci, Stadtplan von Imola, um 1502, Feder, Tinte, Wasserfarben und schwarze Kreide auf Papier, 44 × 60,2 cm, Windsor Castle, Royal Library.

Leonardo da Vinci, Mona Lisa, 1503–1515 (?), Öl auf Pappelholz, 79,1 × 53,3 cm, Paris, Musée du Louvre.

Leonardo da Vinci, Anghiari-Schlacht. Rekonstruktion des Gesamtkonzepts um 1503 (Albert Boesten-Stengel/xkopp creative, Berlin, 2016).

Unbekannter Künstler nach Leonardo da Vinci, Der Kampf um die Standarte («Tavola Doria»), nach 1504, Öl auf Holz, 86 × 115 cm, bisher Tokyo Fuji Art Museum, künftig (voraussichtlich) Florenz, Uffizien.

Ambrogio de Predis, Musizierende Engel (der Engel links: Francesco Napoletano?), 1495–1503 (?), 1508 (?), Öl auf Pappelholz, jeweils 116,8 × 61 cm, London, National Gallery.

Kopie nach Leonardo da Vinci (Cesare da Sesto?), Leda mit dem Schwan, um 1505–1515 (?), Tempera grassa auf Holz, 112 × 86 cm, Rom, Galleria Borghese.

Francesco Melzi (?), Leonardo da Vinci, um 1515–1518, Rötel, 27,5 × 19 cm, Windsor Castle, Royal Library.

Leonardo da Vinci um 1490, Phantombild (Fotomontage: Grit Schüler, Zürich).

Leonardo da Vinci, Johannes der Täufer, um 1513/16, Öl auf Holz, 69 × 57 cm, Paris, Musée du Louvre.

Vorwort

Manchmal gab sich Leonardo bescheiden. Im Entwurf zu einem Vorwort für sein Buch über die Malerei schrieb er: «Da ich sehe, daß ich keinen Gegenstand von großem Nutzen oder Vergnügen behandeln kann, weil die vor mir Geborenen ihrerseits schon alle nützlichen und notwendigen Themen aufgegriffen haben, werde ich es wie einer machen, der sich aus Armut als Letzter auf dem Markt einfindet. Und da er sich nicht mit anderem versehen kann, nimmt er alle Dinge, die andere schon gesehen und nicht genommen, sondern wegen ihres geringen Werts verschmäht haben.»[1] Modernen Biographinnen und Biographen Leonardos ergeht es kaum anders. Seine Zeichnungen und Gemälde sind publiziert, die Schriftquellen ediert, viele davon wurden in modernes Italienisch und oft auch in andere Sprachen übertragen. Die Forschung hat sie hin- und hergewendet, ganze Bibliotheken mit Spezialliteratur gefüllt. Was also wird ein armer Historiker noch finden an Nützlichem und Vergnüglichem auf dem abgeräumten Markplatz von Vinci?

Er kann sich, wie es seinem Beruf entspricht, an eine kritische Auseinandersetzung mit der Überlieferung machen. Eben das hat der Autor dieser Biographie unternommen. Die vorwiegend italienischen oder lateinischen Quellen wurden neu übersetzt, dabei aber stilistisch nicht geglättet (was Wortwiederholungen und gelegentlich umständliche Satzbauten nach sich zog). Die Menschen der Renaissance sollten sprechen, nicht ihre Dolmetscher. Leonardo selbst präsentiert sich selten als großer Stilist, die Übertragungen verschleiern es nicht. Er schrieb holprig nicht aus mangelnder Begabung, sondern weil ihm Zeit, Lust oder beides fehlten, sich an die erforderliche Feilarbeit zu machen. Das meiste, was von ihm blieb, sind ohnedies nur Entwürfe, Ideenskizzen und Kritzeleien. Aus dem Durcheinander der Textfragmente funkeln dann aber doch immer wieder glanzvolle Passagen, denen die Literatur der Zeit wenig Gleichrangiges an die Seite zu stellen hat: die Hymnen an die Sonne und an das Auge, einige Landschaftsschilderungen, die Sintflutphantasmagorien – Texte, die eigentlich Gemälde sind.

Wir wollen nicht nur berichten, was man weiß, sondern ebenso, was man nicht weiß. Stets sollten die Probleme, die sich aus der Existenz einander scheinbar widersprechender Quellen ergeben, nachvollziehbar bleiben – so bei der Entstehungsgeschichte der beiden Versionen der «Madonna in der Felsengrotte» oder dem Rätsel der «neapolitanischen Mona Lisa». Allzuoft wurden und werden Lücken oder Widersprüche in der Überlieferung dazu genutzt, kühne, manchmal vollkommen absurde Thesen zu konstruieren. Auf «Nonsens-Leonardismus» solcher Art geht dieses Buch nur nebenbei ein. Allein der berühmtesten Fehldeutung, der die Psyche des Meisters aus Vinci unterzogen wurde, der Analyse Sigmund Freuds, ist ein längerer Abschnitt gewidmet. Dafür wollen wir versuchen, Leserinnen und Leser mit dem «fremden Denken» der Renaissance, dessen Spuren sich auch in Leonardos Aufzeichnungen finden, vertraut zu machen. Wenngleich Leonardo seine Zeit überragte, war er doch in vieler Hinsicht in ihr befangen.

Fachkundigen wird nicht entgehen, daß die vorliegende Biographie einige neue Thesen vorträgt und Akzente setzt, die der Forschungstradition widersprechen. Unter anderem bietet sie eine bisher nicht erwogene Rekonstruktion der Geschichte von Leonardos «Anna Selbdritt» und eine, wie ich hoffe, überzeugende Version der Schicksale der beiden «Felsgrotten-Madonnen». Einem von Leonardos Patronen, dem Staatssekretär Florimond Robertet «dem Großen», wird eine bedeutendere Rolle zugeschrieben als in der älteren Literatur. Wichtiger als diese und einige weitere Retuschen am Forschungsstand erschien aber die Rekonstruktion der kreativen Prozesse, die sich in Schriften, Zeichnungen und Bildern konkretisieren. Sie lassen sich dank einer reichen Überlieferung ausgerechnet im Fall des geheimnisumwitterten Leonardo genauer erschließen als bei jedem anderen Künstler nicht nur der Renaissance, sondern der frühen Neuzeit überhaupt. Ein mit modernen forensischen Methoden erarbeitetes Phantombild, das Leonardos mutmaßliches Äußeres wiedergibt, wird es erleichtern, sich den «echten» Leonardo aus Fleisch und Blut zu vergegenwärtigen. Die Leserschaft wird in diesem Buch einem gutaussehenden Mann begegnen, der sich gepflegt kleidete, von Sex viel und von Liebe noch mehr verstand, der gerne Wein trank, Schnurren erzählte und Zoten zum besten gab – dem, wie man so sagt, nichts Menschliches fremd war.

Das Fahndungsfoto ist insofern Programm, als dieses Buch sich nicht nur mit dem Gelehrten, dem Erfinder und Künstler Leonardo da Vinci beschäftigen wird. Leserinnen und Leser sollen auch an seinem Alltag teilhaben. Sie werden mit ihm vegetarische Gerichte speisen und sich seine Gesundheitstips zu Gemüte führen, an seiner Seite die sommerliche Toskana durchstreifen und ihn nach Venedig, Rom und an die Loire begleiten. In seiner Werkstatt in Mailands «Altem Hof» können sie ihm beim Anrühren von Farben, beim Mixen von Lasuren und natürlich beim Malen – mit Pinseln aus Eichhörnchenhaar und mit den Fingern – zusehen. Sie werden von den Beziehungsnetzen erfahren, die Leonardos steile Karriere trugen, und die Dukaten in seinem Geldbeutel zählen können. Gelegentlich sind sie zu Festen und Turnieren im Florenz Lorenzos des Prächtigen geladen, auch im Mailänder Sforza-Kastell und in Schloß Amboise. Leonardo hat für solche Anlässe Roboter und andere Apparate konstruiert, Kulissen und Kostüme entworfen.

Das Personenverzeichnis jeder Leonardo-Biographie gleicht einem Who’s who der Hochrenaissance. So wird die Leserschaft vielen interessanten Leuten begegnen, zum Beispiel dem Notar Ser Piero, Leonardos vitalem Vater, seinem Lehrer Andrea del Verrocchio und den Jahrhundertmännern Bramante, Michelangelo und Raffael. Machiavelli und das Monster aller Renaissance-Monster, Cesare Borgia, streifen durch die folgenden Seiten, dazu illustre Patrone: Heerführer und Herzöge, zwei französische Könige und ein Papst, Leo X. Schöne und mächtige und manchmal dennoch unglückliche Frauen werden Rendezvous gewähren: die «wilde Tigerin» Ginevra Benci, Ludovico Sforzas Mätressen Cecilia Gallerani und Lucrezia Crivelli, auch Isabella d’Este, die kapriziöse Markgräfin von Mantua. Auf Caterina, Leonardos schattenhafte Mutter, können wir nur flüchtige Blicke werfen. Aber wir werden seinem berühmtesten Modell, Lisa del Giocondo aus Florenz, gegenüberstehen und Voyeure sein, wenn sie sich mit Schneckenwasser – einem Kosmetikum für Hartgesottene – zu verschönern trachtet. Zum Personal des Buches zählen schließlich neben anderen der lockenhaarige Salai, Geselle und vielleicht Bettgenosse seines Meisters, der legendenumwitterte «Zoroastro» Tommaso Masini und Francesco Melzi, Leonardos engster Freund in den späten Jahren.

Umgang mit Leonardo da Vinci bedeutet, sich nicht nur auf einen großen Künstler, sondern zugleich auf einen universalen Geist einzulassen – auf einen Mann, der tatsächlich alles wissen wollte. So sehen wir ihm zu, wenn er Experimente anstellt, geometrische Figuren entwirft und Naturgesetze zu ergründen sucht. Wir blicken ihm über die Schulter, wenn er Waffen, einen Bratenwender oder einen Flugapparat ersinnt, den Kosmos ins Visier nimmt oder Leichen seziert. Vor allem aber werden Leserinnen und Leser teilhaben an der Entwicklung großer Projekte, an großem Scheitern auch und dann doch an der Entstehung einiger der bedeutendsten Werke der Weltkunst.

Die letzte intimere Begegnung mit Originalen des Meisters aus Vinci war mir im Verlauf der Vorbereitungen für die Ausstellung «Europa in der Renaissance» gewährt, die das Schweizer Nationalmuseum 2016 veranstaltete. Als Kurator der Schau durfte ich in Schloß Windsor Blätter mit Entwürfen Leonardos für die «Anghiari-Schlacht» auswählen. Sie sollten neben einer großformatigen Rekonstruktion, die einen Eindruck von Leonardos Gesamtkonzept vermittelte, gezeigt werden. Ich danke Dr. Martin Clayton (Windsor) für die damals gewährte Unterstützung, ebenso Albert Boesten-Stengel (Universität Torún), dem Autor der Rekonstruktion von Leonardos ursprünglicher Bildidee. Sie wird in diesem Buch mit Alberts freundlicher Zustimmung erstmals veröffentlicht. Dank gebührt außerdem Dr. Grit Schüler (Sicherheitsdirektion/Forensisches Institut Zürich), die mit Begeisterung und Professionalität dem seltsamen Ansinnen nachkam, die Physiognomie eines Mannes zu ermitteln, der seit einem halben Jahrtausend flüchtig ist. Sie hat dem Buch zudem einige im Anhang abgedruckte Erläuterungen zur dabei praktizierten Methode beigesteuert. Eine vorbereitende Version – den «rasierten Leonardo» – erarbeitete Sarah Steinbacher (Scientific Visualization and Visual Communication, Universität Zürich). Für Gespräche und Hinweise dankt der Autor weiterhin Rainer Babel (Paris), Szilvia Bodnár (Budapest), Peter Burke (Cambridge), Tatiana Crivelli und Andreas Maercker (beide Zürich), Sergiusz Michalski (Tübingen), Priscilla Roeck (Budapest), Tassilo Roeck und Klaus F. Steinsiepe (beide Zürich). Lucia Staiano-Daniels (Los Angeles) gewährte Einblick in ihre noch unpublizierte Dissertation. Bei der Beschaffung von Büchern halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Zürcher Lehrstuhl: Noemi Bearth, Rosemary Bor – die auch beim Korrekturlesen mitwirkte –, Jose Cáceres-Mardones und Stephan Sander-Faes. Jose erstellte daneben eine Fotomontage, die meine hypothetische Rekonstruktion der ursprünglich geplanten Hängung der «Anna Selbdritt» in der Priorenkapelle des Palazzo Vecchio in Florenz veranschaulicht.

Die bewährte Zusammenarbeit mit dem Haus C. H.Beck in München fand mit diesem Buch auf gewohnt angenehme Weise ihre Fortsetzung. Der Autor dankt Detlef Felken, Beate Sander, Christa Schauer, Susanne Simor, Katrin Maria Dähn und nicht weniger Jonathan Beck für das Vertrauen, das er dem Autor entgegenbrachte, indem er dessen «Leonardo» in das Programm seines Verlages aufnahm. Besonders herzlicher Dank gebührt Stefanie Hölscher, ohne deren Lektorat das Buch viel schlechter wäre. Der Verlag akzeptierte zudem eine gewisse Überschreitung des ursprünglich geplanten Umfangs und zählt damit gewiß nicht zu jenen «abbreviatori», die Leonardo einmal geschmäht hat: «Die Verkürzer der Werke fügen dem Wissen und der Liebe Schmach zu, dieweil die Liebe zu etwas die Tochter von dessen Erkenntnis ist; und die Liebe» – damit meint Leonardo wohl wissenschaftlichen Eros – «ist umso glühender, je sicherer das Wissen ist. Und ebendiese Gewißheit entsteht aus der vollständigen Kenntnis all jener Teile, welche, zusammen vereint, das Ganze jener Dinge bilden, die geliebt werden müssen».[2] Den «ganzen Leonardo» könnte dieses Buch freilich auch dann nicht erzählen, wenn es tausend Seiten hätte.

Gewidmet sei es meiner Frau, wie alles Übrige von mir.

Zürich, Ende August 2018

Auf dem Rücken des großen Schwans

Zwischen Fiesole und Maiano erhebt sich sanft der Monte Ceceri. Wanderwege führen durch Wälder von Pinien, Zypressen und Steineichen zum Gipfel. An klaren Tagen geht der Blick von dort bis Florenz, um sich im Blau der Hügel des Chianti zu verlieren. Berühmt wurde der Berg durch Leonardo da Vinci. Er soll ihn ausgewählt haben, um Flugversuche zu unternehmen. Was für eine Idee! Der Meister der schönsten Engel und Madonnen, der Maler des berühmtesten Bildes der Welt, der kühne Denker und Erfinder mit weitgespannten Riesenflügeln im Abendwind still übers toskanische Land schwebend, der sinkenden Sonne entgegen – und in der Ferne die von goldenem Dunst verklärte Silhouette seiner Stadt …

Leider gibt es keinen Beleg dafür, daß die romantische Szene je Wirklichkeit war. Auch die Behauptung, Leonardo habe einen Assistenten, den geheimnisvollen, als Magier beargwöhnten Zoroastro, vorgeschickt, der sich dann bei einem Absturz die Knochen brach, ist unbewiesen. Einen Beinbruch, den ein Mitarbeiter Leonardos erlitt, vermelden die Quellen tatsächlich. Doch es war nicht Zoroastro, dem das Mißgeschick widerfuhr, sondern ein gewisser Antonio, wohl Antonio Boltraffio (1467–1516), Leonardos begabtester Schüler.[1] Der Unfall geschah schließlich nicht in der Toskana, sondern Ende September 1510 in Mailand. Seine Gründe sind unbekannt. Vielleicht fiel Antonio damals vom Malgerüst.

Der «Schwanenberg» aber – «cecero» heißt «Schwan» – findet sich, kaum verschlüsselt, in einer von Leonardos Notizen erwähnt: «Der große Vogel wird seinen ersten Flug vom Rücken des großen Schwans aufnehmen, und er wird das Universum mit Staunen und mit seinem Ruhm alle Schriften füllen. Und er wird dem Ort, wo er geboren wurde, ewige Ehre bescheren.»[2] So war es. In Stein gehauen, finden sich die Worte, die Leonardo um 1505 auf ein Blatt Papier kritzelte, am Weg zum Gipfel des Ceceri. Es sind bedeutungsschwere Sätze, die große Ambitionen andeuten. In jüngster Zeit wurden sie unter dem Titel «The Dream of Flight» sogar vertont, als Leitmotiv des Computerspiels «Civilization VI». Der Mythos inspirierte zu bombastischer Musik. Außer Zweifel steht, daß Leonardo flugfähige Geräte entwickelte und sich intensiv mit der Mechanik des Fliegens auseinandersetzte. Wahrscheinlich kam ihm die Rede vom «grande uccello», dem «großen Vogel», in den Sinn, als er während eines Frühlingsspaziergangs nach Fiesole einen Raubvogel beobachtete (S. 240). Vor seinem geistigen Auge mag da ein gewaltiger Flugapparat aufgestiegen sein, mit dem man dereinst von der Höhe des sich vor ihm erhebenden Ceceri fliegen würde.

Auf große Ideen führt die Auseinandersetzung mit Leonardo immer wieder. Er will ein alle Maße sprengendes Bronzedenkmal schaffen, Kontinente verbindende Brücken bauen und riesige Paläste errichten. Neben Flugapparaten ersinnt er Tauchgeräte und Roboter, Hemmungen, Zahnräder und Getriebe. Er denkt sich nie zuvor gesehene Bildkompositionen aus, seziert Leichen, studiert Wolkenbildungen und Wasserstrudel. Und er fragt und fragt. Er betrachtet den blauen Sommerhimmel und will wissen, warum er blau ist. Er sieht Vögel fliegen und will wissen, wie sie fliegen. In ihm erweist sich die Renaissance mehr als in jedem anderen als «Zeitalter der großen Ungeduldigkeiten».[3]

Über keinen Künstler der Renaissance ist so viel bekannt wie über Leonardo da Vinci. Zugleich ist kein zweiter von so vielen Rätseln umwittert. Keines seiner Werke ist signiert oder mit einer Jahreszahl versehen. Die Diskussionen um Zu- oder Abschreibungen und Datierungen sind uferlos. Der Nachlaß an Schriften und Zeichnungen, zunächst in Händen von Leonardos Schüler Francesco Melzi (1491/93 – um 1570), wurde nach dessen Tod in alle Winde zerstreut. Erhalten ist immer noch viel, ein Bestand von gut 6000 Blättern. Die ursprüngliche Zahl mag das Fünffache betragen haben. Manche Quellen machten Passionen durch, zum Beispiel ein Konvolut, das im 17. Jahrhundert in den Besitz der Biblioteca Ambrosiana in Mailand gelangte und unter dem Namen «Codex Atlanticus» berühmt wurde. Den Namen hat es von seinem Format, den Maßen eines Atlas. Ein Vorbesitzer, der Bildhauer Pompeo Leoni (1533–1608), hatte 481 Blätter binden lassen, zuvor Zeichnungen und Texte ausgeschnitten, neu geordnet und aufgeklebt. Nach ihrer Ablösung zählt die Sammlung 1119 Blätter. Sie sind oft bis zum Rand gefüllt mit Texten und Zeichnungen zu Maschinen, Bauten, Waffen, mit Rechnungen und geometrischen Figuren. Papier war damals teuer. Manchmal zog Leonardo ein bereits benutztes Blatt nach über einem Jahrzehnt wieder hervor und fügte ganz andere Sujets hinzu. Ein Beispiel dafür bietet ein Exemplar der Accademia in Venedig. Die obere Hälfte dominiert das um 1490 mit der Feder aufs Papier gebrachte Profil eines Männerkopfes, offensichtlich eine Proportionsstudie. Unten sind, in Rötel, zwei Reiter zu sehen, die wohl um 1503 entstanden (Abb. 1).[4] Vom Zeichner ungewollt, ist die Gesamtwirkung des Blattes auf uns Heutige atemberaubend.

Abb. 1 Leonardo da Vinci, Proportionsstudie eines Männerkopfes (um 1503), zwei Reiter (um 1490), Feder, Tinte, Rötel und Metallstift, 28 × 22,2 cm, Venedig, Gallerie dell’Accademia.

Zahlreiche Quellen sind über die halbe Welt verstreut. Von Napoleons Truppen aus Mailand entführte Notizbücher Leonardos finden sich im Pariser Institut de France, ein weiteres, den Codex Arundel, bewahrt die British Library. Den Codex Leicester, der Notizen zu Astronomie, Geologie und zur Physik des Wassers enthält und der ursprünglich vielleicht ebenfalls im Besitz Francesco Melzis war, erwarb der Computer-Tycoon Bill Gates 1994. Über den größten Bestand an Zeichnungen, gut 600, verfügt die Sammlung des britischen Königshauses in Schloß Windsor, während die in drei Heftchen gebundenen Blätter des Codex Forster nahebei, im Londoner Victoria & Albert Museum, liegen. Eines der wichtigsten Zeugnisse der technischen Fertigkeiten Leonardos wurde erst 1965 aufgefunden: zwei Manuskripte aus dem Nachlaß Leonis, die in der Madrider Biblioteca Nacional ursprünglich falsch katalogisiert worden waren – die «Codices Madrid».

Die Überlieferung zu Leonardo ist also reich, aber chaotisch. Mal sind die Quellen geschwätzig, mal zum Verzweifeln schweigsam. Daten finden sich nur wenige. Über die Zwecke vieler seiner Texte herrscht ebenso Unklarheit wie über die Umstände, unter denen sie niedergeschrieben wurden. Der «Mythos Leonardo» hat viel mit dem Durcheinander zu tun, das die Nachwelt unter seinen Papieren angerichtet hat. Vermutungen und Hypothesen wucherten, Romane bemächtigten sich des Meisters. Das Spektrum reicht von Dimitri Mereschkowskis Leonardo-Roman von 1903 bis zu Dan Browns Thriller «The Da Vinci Code», einem Weltbestseller, der auch verfilmt wurde.

Brown schöpfte aus Henry Lincolns, Michael Baigents und Richard Leighs Buch «Das heilige Blut und der heilige Gral». Es handelt von einem geheimnisvollen Orden, der «Bruderschaft vom Berg Zion». Deren Existenz sollen Dokumente belegen, die um 1900 in der Kirche von Rennes-le-Château, einem okzitanischen Dorf, gefunden wurden. Ziel der seit dem Ersten Kreuzzug bestehenden Vereinigung sei es gewesen, Abkömmlinge der Dynastie der Merowinger zu Herrschern Europas und Jerusalems zu machen – und zwar deshalb, weil in ihren Adern das Blut Jesu Christi pulsiere. Der Gottessohn habe nämlich, anders als die Kirche lehre, Maria Magdalena zur Frau genommen und mit ihr Nachkommen gezeugt. Unter den Persönlichkeiten, die als Großmeister der Zionsbrüder amtiert hätten, nennen die Autoren neben Isaac Newton und anderen Zelebritäten auch Leonardo da Vinci. Damit fand das weibliche Aussehen des Johannes auf Leonardos «Abendmahl» eine schlüssige Erklärung: Leonardo hat in Wahrheit nicht den Jünger dargestellt, sondern die Gattin Christi! Indem er zwischen Jesus und der Schönen ein V öffne, weise der Großmeister auf Magdalenas fruchtbaren Schoß, das göttliche Weibliche, hin … Kehre man das Zeichen um, deute es den männlichen Phallus an. Selbst monströser Nonsens dieser Art hat seinen Anteil daran, daß die Fama des Schöpfers des «großen Vogels» vom Monte Ceceri inzwischen die ganze Welt erfüllt.

Leonardo war schon zu Lebzeiten berühmt und die Qualität seiner Kunst sprichwörtlich. So schrieb Luca Ugolini, Capitano der Republik Florenz, am 11. November 1503 an seinen Chef Machiavelli, als der ihm zur Geburt seines Sohnes Bernardo gratulierte: «Tatsächlich hat sich Eure Mona Marietta nicht getäuscht: Er ist ganz der Vater und ähnelt Euch; Leonardo da Vinci hätte ihn nicht besser porträtieren können.»[5] Man riß sich um Bilder Leonardos. Einem Monolithen gleich überragte er schon um 1500 die Handwerkerwelt. Aus ihr, der Domäne der «mechanischen Künste», kam indessen auch der Mann aus Vinci. Bevor er zum Maler der Fürsten aufstieg, stand er sozial auf derselben Stufe wie ein Bäcker, ein Metzger oder ein Wollweber.

Erste kurze biographische Würdigungen verfaßten der Florentiner Antonio Billi zwischen 1516 und 1525 und ein unbekannter Autor, der «Anonimo Gaddiano» oder «Magliabechiano». Gewichtiger ist die Biographie des humanistisch gebildeten Arztes Paolo Giovio (1483–1552) aus Como, der Leonardo noch persönlich gekannt hatte. Kein Text aber hat dessen Bild so geprägt wie das Leonardo-Kapitel der zuerst 1550 und in überarbeiteter Form nochmals 1568 erschienenen «Lebensbeschreibungen der hervorragendsten Maler, Bildhauer und Architekten» von Giorgio Vasari (1511–1574). Der «Vater der Kunstgeschichte» schöpfte aus älteren Quellen wie dem Gaddiano und Giovio und mündlicher Überlieferung. Er war zwar keineswegs der notorische Flunkerer, als der er mitunter dargestellt wird, aber doch ein witziger Toskaner, dem Boccaccios «Dekameron» ebenso vertraut war wie die Fazetien – «Possen» – eines Poggio Bracciolini oder die Novellen eines Franco Sacchetti. Eine gut erdichtete Anekdote geht Vasari allemal übers Rapportieren langweiliger Wahrheiten. Und er ist Patriot: Italien und besonders Florenz liebt er über alles. Dementsprechend stolz ist er auf die Kunst seiner toskanischen Heimat. Sie hatte in seinen Augen mit der Renaissance einen absoluten Gipfel erreicht, nachdem, wie er schreibt, von Cimabue und Giotto «erste Lichter» entzündet worden waren. Sein Gott ist Michelangelo, aber die Größe Leonardos – er nennt ihn «wunderbar und himmlisch» – entgeht ihm darüber nicht. «Mit seiner Geburt hat Florenz wahrlich das allergrößte Geschenk erhalten.» Obwohl Leonardo wenig vollendet, ja viel mehr mit Worten als mit Taten gewirkt habe, würden «wegen seiner vielen und göttlichen Fähigkeiten sein Name und sein Ruhm niemals verlöschen».[6] Der Kunst Vincis, den er einmal als den «Allergöttlichsten» – «divinissimo» – feiert, widmet Vasari wahre Hymnen. Zum Beschluß der Vita zitiert er den Lobspruch Giovanni Battista Strozzis: «Allein besiegte er alle, besiegte Phidias, siegt’ über Apelles und ihre ganze siegreiche Schar.»

I.

Anfänge:Vinci und Florenz, 1452–1481