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ALAIN DEMURGER

DIE VERFOLGUNG
DER TEMPLER

CHRONIK EINER VERNICHTUNG
1307–1314

Aus dem Französischen
von
Anna Leube und Wolf Heinrich Leube

C.H.Beck

ZUM BUCH

Der 13. Oktober 1307 bildet den Auftakt eines verstörenden Inquisitionsverfahrens: Der französische König Philipp IV. bezichtigt die Templer der Ketzerei und lässt über Nacht im ganzen Land die Mitglieder des mächtigsten Ritterordens der Geschichte verhaften und enteignen. Verhöre unter der Folter liefern die nötigen Geständnisse. Nicht zuletzt soll der Coup dem König ermöglichen, seine Macht auch auf den päpstlichen Stuhl auszuweiten. Stattdessen aber kommt es zu einem jahrelangen Tauziehen zwischen Krone und Kirche.

Alain Demurger zeichnet in seinem spannenden Buch mit großer Genauigkeit die dramatischen Ereignisse in jenem Prozess nach, der 1312 mit dem Konzil von Vienne zur Auflösung des Ordens führt, und bettet sie ein in das Machtspiel zwischen Philipp dem Schönen und Papst Clemens V. Mit Hilfe der Vernehmungsprotokolle bringt der beste Kenner der Geschichte des Templerordens die bewegenden persönlichen Schicksale der angeklagten Ordensmitglieder ans Licht. Er offenbart ihren Widerstand und macht deutlich, dass nicht alle Templer bloße Opfer waren, sondern sich nicht wenige ebenso mutig wie tapfer der ihnen zugedachten Rolle in diesem Katz-und-Maus-Spiel widersetzten. Der Autor erhellt zudem in höherem Maße, als dies bisher in der Geschichtsschreibung der Fall war, die vielschichtigen Interessen der päpstlichen Inquisition. Indem er die Unstimmigkeiten und Lücken in den Protokollen herausarbeitet, entwirft er ein neues Bild des Templerordens, das bis heute vor allem von den Darstellungen seiner Feinde geprägt war.

ÜBER DEN AUTOR

Alain Demurger lehrte bis zu seiner Emeritierung Mittelalterliche Geschichte an der Universität von Paris. Er ist international führender Experte zur Geschichte der Templer und der Ritterorden. Bei C.H.Beck sind u.a. von ihm erschienen: Der letzte Templer. Leben und Sterben des Großmeisters Jacques de Molay (22015) und Die Templer. Aufstieg und Untergang 1120–1314 (32007).

INHALT

VERZEICHNIS DER TAFELN UND KARTEN

EINFÜHRUNG

Der Templerorden (1120–1307)

Der Templerprozess (1307–1314)

Wie kann man die Templeraffäre erklären?

1: VORSPIEL (1305–1307)

Das Gerücht von Agen

Lyon, November 1305

Die «Maulwürfe» des Guillaume de Nogaret

Was gegen die Gerüchte spricht

Poitiers–Paris, 1306–1307: die Wege kreuzen sich

Der Brief vom Sankt-Bartholomäus-Tag (24. August 1307)

2: 13. OKTOBER 1307: DIE VERHAFTUNG

Maubuisson (September 1307)

13. Oktober, früher Morgen in der Ballei von Caen

13. Oktober 1307. Gefangen im Tempel von Paris

Auf der Flucht

3: DER KÖNIG UND DIE INQUISITION (OKTOBER–NOVEMBER 1307)

Troyes (15. und 18. Oktober 1307)

Paris (19. Oktober – 24. November 1307)

Sénéchaussée Beaucaire und Nîmes (8.–15. November 1307)

Anderswo in Frankreich

Die Folter

4: NOTRE-DAME DE PARIS (?), 24. ODER 26. DEZEMBER 1307

Die Geständnisse von Jacques de Molay

Die Reaktion des Papstes

Jacques de Molay und die Kardinäle

Die Verteilung der Templer von Paris im ganzen Land (24. Januar–12. Februar 1308)

5: DIE MACHTPROBE (JANUAR–JUNI 1308)

Poitiers. Die Flucht des Kammerherrn (13. Februar 1308)

Paris. Das Gutachten der Universität (März 1308)

Pierre Dubois

Tours. Die Generalstände (Mai 1308)

Bertrand de Languissel, Bischof von Nîmes, und die Templer

Guillaume de Plaisians in Poitiers (Mai–Juni 1308)

6: DER KOMPROMISS: POITIERS–CHINON (JUNI–AUGUST 1308)

Templer vor dem Papst: Poitiers, 28. Juni–2. Juli 1308

Faciens misericordiam

Chinon (17.–20. August 1308)

7: CLERMONT (JUNI 1309): DIE DIÖZESANKOMMISSIONEN

Die Einsetzung der Diözesankommissionen (August 1308–Frühjahr 1309)

Die Kommission von Clermont (Juni 1309)

Weitere Kommissionen im übrigen Frankreich

Nîmes, August 1310 bis August 1311

Pressionen und Drohungen

8: DER SCHLEPPENDE ANFANG DER PÄPSTLICHEN KOMMISSION (AUGUST–NOVEMBER 1309)

Paris, 8. August 1309

Bazas, September bis Oktober 1309

Paris, Bischofspalast, November 1309

27. November: Ponsard de Gizy

26. und 28. November: Jacques de Molay

Erneuter Aufschub

9: DIE PÄPSTLICHE KOMMISSION BEI DER ARBEIT

Die Kommissare

Die Versammlungsorte

Sitzungsgelder

Ziele und Arbeitsmethoden

10: DER AUFSTAND DER TEMPLER (FEBRUAR–MAI 1310)

Alle in Paris: Februar 1310

Die Zusammensetzung der Listen der Ordensbrüder

Die Gefängnisse von Paris

28. März. In den Gärten des Bistums

Der Rundgang durch die Gefängnisse

Die «Denkschriften» bzw. Eingaben zur Verteidigung des Ordens

Die Sprecher der Templer

11: DAS KONZIL VON SENS UND DIE ZERSCHLAGUNG DES AUFSTANDS (11.–12. MAI 1310)

Der Wind dreht sich

Das Konzil von Sens am 11. und 12. Mai

Die Templer auf dem Konzil von Sens

Der Scheiterhaufen vom 12. Mai

Rückfällig oder nicht?

Nach dem 12. Mai

12: ZWISCHENSPIEL: IN DEN KERKERN VON SENLIS (JUNI 1310–1312)

Von den Gefängnissen in Paris in die Gefängnisse in Senlis

Die Haftbedingungen

Flucht aus Plailly

Die Gesamtkosten der Haft

13: PARIS 1311 DIE ZWEITE PHASE DER VERHÖRE

Wiederaufnahme der Arbeit: 17. Dezember 1310

Im Karren auf Frankreichs Straßen

Die Verhöre: der Rückfall in die Ketzerei

Bart und Mantel

14: DAS KONZIL VON VIENNE UND DER FEUERTOD VON JACQUES DE MOLAY (1311–1314)

Der Abschluss der päpstlichen Untersuchungen

Das Konzil von Vienne und die Verteidigung der Templer

Die Aufhebung des Templerordens

Was wurde aus den Templern?

Jacques de Molay auf dem Scheiterhaufen (März 1314)

SCHLUSS

Philipp der Schöne

Clemens V.

Die päpstliche Kommission

Henri de Harcigny oder Der Widerstand der Templer

ANHANG

ANHANG 1: EIN IDENTIFIZIERUNGSPROBLEM:
THIERS-SUR-THÈVE (DIÖZESE SENLIS)

ANHANG 2: DIE SELTSAME DIÖZESE VIENNE
AN DER GRENZE ZU DEN ARGONNEN

ANHANG 3: DIE ANKLAGEPUNKTE

ANHANG 4: STAMMDIÖZESE DER TEMPLER,
DIE VOM 6. FEBRUAR BIS 2. MAI 1310
IN PARIS VORGELADEN WAREN

ANHANG 5: DIE BEI DEN PROVINZIALKONZILIEN VON SENS UND REIMS ANWESENDEN TEMPLER

Die Templer, die am Provinzialkonzil von Sens in Paris teilnahmen:

Die Templer, die am Provinzialkonzil von Reims in Senlis (Mai–Juni 1310) teilnahmen:

ANHANG 6: LISTE DER TEMPLER, DIE AUF DIE VERTEIDIGUNG
DES ORDENS VERZICHTEN (19. MAI 1310)

ANHANG 7: DIE TEMPLER, DIE IN PARIS
VON OKTOBER BIS NOVEMBER 1307 UND
VOR DER PÄPSTLICHEN KOMMISSION 1311 VERHÖRT WURDEN

ANHANG 8: LISTE DER IN DER BALLEI VON SENLIS
INHAFTIERTEN TEMPLER (1310–1312)

Haftorte:

Dokumente:

Haus: Kloster von Auchy in Villers-Saint-Paul (V)

Haus: Asnières (A)

Haus: Beauvais (September 1310 bis Juni 1311), dann Senlis (Oktober bis November 1311), schließlich Asnières (April 1312) (B)

Haus: Crépy (C)

Haus: Luzarches (L)

Haus: Montmélian (M)

Haus: Plailly (P)

Haus: Compiègne, Festung von Pont (Po)

Haus: Senlis 1, Haus von Jean Le Gagneur (S1)

Haus: Senlis 2, Haus von Pierre de la Cloche (S2)

Haus: Thiers-sur-Thève (T)

ANHANG 9: DIE PRÄSENTATION DER TEMPLER
VOR DER KOMMISSION IN PARIS
UND IHRE VERHÖRE (APRIL–MAI 1310
UND 17. DEZEMBER 1310–MAI 1311)

ABKÜRZUNGEN

ANMERKUNGEN

EINFÜHRUNG

1: VORSPIEL (1305–1307)

2: 13. OKTOBER 1307: DIE VERHAFTUNG

3: DER KÖNIG UND DIE INQUISITION
(OKTOBER–NOVEMBER 1307)

4: NOTRE-DAME DE PARIS (?),
24. ODER 26. DEZEMBER 1307

5: DIE MACHTPROBE (JANUAR–JUNI 1308)

6: DER KOMPROMISS: POITIERS–CHINON
(JUNI–AUGUST 1308)

7: CLERMONT (JUNI 1309):
DIE DIÖZESANKOMMISSIONEN

8: DER SCHLEPPENDE ANFANG
DER PÄPSTLICHEN KOMMISSION
(AUGUST–NOVEMBER 1309)

9: DIE PÄPSTLICHE KOMMISSION BEI DER ARBEIT

10: DER AUFSTAND DER TEMPLER (FEBRUAR–MAI 1310)

11: DAS KONZIL VON SENS UND DIE ZERSCHLAGUNG
DES AUFSTANDS (11.–12. MAI 1310)

12: ZWISCHENSPIEL: IN DEN KERKERN VON SENLIS
(JUNI 1310–1312)

13: PARIS 1311
DIE ZWEITE PHASE DER VERHÖRE

14: DAS KONZIL VON VIENNE UND DER FEUERTOD
VON JACQUES DE MOLAY (1311–1314)

SCHLUSS

ANHANG 1: EIN IDENTIFIZIERUNGSPROBLEM:
THIERS-SUR-THÈVE (DIÖZESE SENLIS)

ANHANG 3: DIE ANKLAGEPUNKTE

ANHANG 4: STAMMDIÖZESE DER TEMPLER,
DIE VOM 6. FEBRUAR BIS 2. MAI 1310
IN PARIS VORGELADEN WAREN

ANHANG 9: DIE PRÄSENTATION DER TEMPLER
VOR DER KOMMISSION IN PARIS
UND IHRE VERHÖRE (APRIL–MAI 1310
UND 17. DEZEMBER 1310–MAI 1311)

BIBLIOGRAPHIE

Quellen – Protokolle der Templerprozesse

Weitere Quellen

Literatur

Einzelstudien

PERSONENREGISTER

ORTSREGISTER

VERZEICHNIS DER TAFELN UND KARTEN

Tafel 1: Flüchtige Templer, die in den Vernehmungen erwähnt werden 

Tafel 2: Verteilung der Templer des Tempelbezirks von Paris (25. Januar–11. Februar 1308) 

Tafel 3: Erwähnte Versammlungen der Diözesankommissionen 

Tafel 4: Die Diözesankommission von Nîmes (Juni–Juli 1310) 

Tafel 5: Versammlungsorte der Kommission in Paris (1309–1311) 

Tafel 6: Arbeitssitzungen und Vertagungen der päpstlichen Kommission 

Tafel 7: Anwesenheit der Kommissare bei Sitzungen 

Tafel 8: Ankunft der Gruppen vor der Kommission von Februar bis Mai 1310 

Tafel 9: Geographische Aufteilung 

Tafel 10: Haftorte der Templer 1310 in Paris 

Tafel 11: Die am 12. Mai verbrannten Templer 

Tafel 12: Inhaftierungsorte in der Ballei Senlis (1310–1312) 

Tafel 13: Kosten für die Haft der Templer in der Ballei Senlis 

Karte 1: Orte, aus denen die Templer zur Verteidigung des Ordens gekommen waren 

Karte 2: Die Gefängnisse der Templer im Stadtbereich von Paris (1310) 

«Für mich ist die Vernichtung der Templer ohne Frage eine Verschwörung gegen eine ganze Gesellschaft. Diese Barbarei ist umso entsetzlicher, als sie mit Hilfe des Justizapparates ins Werk gesetzt wurde. Es handelte sich hierbei nicht um einen jener Wutausbrüche, die plötzliche Rache oder die Notwendigkeit, sich zu verteidigen, zu rechtfertigen scheinen; es war der wohlüberlegte Plan, einen allzu reichen und allzu stolzen Orden zu vernichten. Zweifellos gab es unter den Ordensrittern einige liederliche Jugendliche, die eine ordentliche Abreibung verdient hatten, aber ich werde niemals glauben, dass ein Großmeister und so viele Ritter, unter denen sich Fürsten befanden, sämtlich ehrwürdig aufgrund ihres Alters und der geleisteten Dienste, sich der absurden und sinnlosen Schandtaten schuldig gemacht haben sollen, deren man sie anklagt. Ich werde niemals glauben, dass ein ganzer Orden gläubiger Männer in Europa die christliche Religion aufgegeben hat, für die sie in Asien und Afrika kämpften und für die sogar etliche unter ihnen in türkischen und arabischen Gefängnissen schmachteten, weil sie lieber im Kerker starben als ihrem Glauben abzuschwören.

Und ich bin überzeugt von der Aufrichtigkeit der über achtzig Ritter, die im Tode Gott als Zeugen ihrer Unschuld anriefen. Wir zögern nicht, ihre Ächtung auf eine Stufe mit den verhängnisvollsten Geschehnissen einer Zeit der Ignoranz und der Barbarei zu stellen.»

VOLTAIRE, Des conspirations contre les peuples ou des Proscriptions, hrsg. von Ulla Kölving, in: Cahiers Voltaire, Revue annuelle de la Société Voltaire, Ferney-Voltaire, 1 (2002), S. 137.

EINFÜHRUNG

Der Prozess gegen die Templer oder besser die «Templeraffäre» beschäftigt die Nachwelt noch immer, weil sie so ungeheuerlich ist: Dieser internationale, mächtige religiöse Orden mit seiner militärischen Ausrichtung, der direkt dem Papst unterstellt war, wurde vom französischen König Philipp IV. dem Schönen der Ketzerei angeklagt. Am 13. Oktober 1307 wurden die Templer im französischen Königreich verhaftet und eingekerkert, ihre Güter beschlagnahmt und unter königliche Zwangsverwaltung gestellt. In den folgenden Oktober- und Novembertagen 1307 machten sie nach Verhören und unter der Folter verstörende Geständnisse: Bei ihrer Aufnahme in den Orden verleugneten sie Christus, traten das Kreuz des Herrn mit Füßen oder bespuckten es, gaben sich obszönen Praktiken und der Sodomie hin; ihre Priester weihten die Hostien nicht bei der Messe; ihre Zusammenkünfte fanden nachts und im Geheimen statt etc.

Dies ist der Ausgangspunkt der Templeraffäre.

Der Templerorden (1120–1307)

Zu Beginn fanden sich einige Ritter zusammen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die heiligen Stätten von Jerusalem, der Stadt Christi, und die in der Folge des ersten Kreuzzugs (1095–1099) gegründeten lateinischen Staaten zu verteidigen: das lateinische Königreich Jerusalem, die Grafschaft Tripolis, das Fürstentum Antiochia und die Grafschaft Edessa, wobei letztere bald wieder von der Bildfläche verschwand. Diese Staaten brauchten Männer, Waffen und Geld, um sich gegen die muslimischen Reiche in dieser Region zu wehren, die bald nach dem Überraschungserfolg des ersten Kreuzzuges reagierten und die Rückgewinnung verlorenen Terrains in Angriff nahmen. Im Lauf des 12. und 13. Jahrhunderts kam die Unterstützung – in Form stetiger Kreuzzugsexpeditionen – aus dem Abendland, aber auch aus eigenen Mitteln der lateinischen Staaten selbst, die über Heere nach abendländischem Vorbild verfügten. Doch dies reichte nicht aus. Ein paar christliche Ritter scharten sich um Hugues de Payns, einen Ritter aus der Champagne, und stellten sich in den Dienst der Domherren vom Heiligen Grab. In der Überzeugung, keine Zeit verlieren zu dürfen, wollten sie sich zu einem religiösen Orden zusammenschließen und sich unter der Führung eines Meisters einer Ordensregel und dem Gelübde des Gehorsams, der Keuschheit und der Armut unterwerfen. Im Jahr 1120 wurden sie von König Balduin II. von Jerusalem und vom Patriarchen der Heiligen Stadt anerkannt. Noch fehlte ihnen die Bestätigung durch die Römische Kirche und den Papst. Diese war nicht selbstverständlich, denn ihr Vorhaben war neu und geradezu revolutionär: die Gründung eines neuen religiösen Ordens, dessen Bestimmung nicht wie beim benediktinischen Mönchtum und seiner zisterziensischen Variante in der Meditation und Kontemplation lag, sondern vielmehr in der Aktion und, noch weitergehend, in der militärischen, also gewaltsamen Aktion, bei der man tötete und getötet wurde.

Diese Anerkennung erfolgte im Januar 1129 auf dem Konzil von Troyes unter der Leitung eines päpstlichen Legaten und in Anwesenheit des Zisterzienserabtes Bernhard von Clairvaux (des späteren heiligen Bernhard). Rasch fand der Orden Anhänger im niederen und mittleren Adel, und auch die Mächtigen wurden auf ihn aufmerksam. Eintritte in den Orden und Schenkungen häuften sich und sicherten ihm die ökonomischen Mittel und menschlichen Ressourcen, die zur Erfüllung seiner Mission an der «Front» notwendig waren: Schutz der Pilger, die nach Jerusalem wallfahrten, und Verteidigung der Kreuzfahrerstaaten.

Die aragonesischen, kastilischen und portugiesischen Herrscher, die auf der Iberischen Halbinsel die Reconquista vorantrieben und gegen die nach dem Zerfall des Kalifats von Cordoba entstandenen muslimischen Kleinreiche kämpften, begriffen rasch die Bedeutung, die der Templerorden gewinnen konnte, und stifteten ihm immer mehr Burgen und Ländereien mit dem Auftrag, diese zu verteidigen, sie aber vor allem mit Mannschaften auszurüsten und zu bewirtschaften.

Der Orden verdankte seinen Namen der Tatsache, dass er sein Hauptquartier in Jerusalem an der Stelle errichtet hatte, an der man den einstigen Tempel Salomos vermutete. In Wahrheit handelte es sich um den Standort von Salomos Königspalast, über dem die arabischen Eroberer die al-Aqsa-Moschee gebaut hatten. Die genaue Bezeichnung des Ordens lautete: Orden «der armen Kampfgefährten Christi und des salomonischen Tempels» (pauperum commilitonum Christi Templique Salomonici), abgekürzt Templerorden. Ab den 30er Jahren des 12. Jahrhunderts entwickelte sich der Orden beträchtlich und machte eine umfassende Organisation erforderlich.

Das konkrete Umfeld des Templers ist das Haus (domus); die Häuser sind zusammengefasst in Komtureien, diese wiederum in Provinzen: französisches Königreich, Provence, Poitou-Aquitaine, Auvergne, England, Deutschland, Italien, Sizilien, Aragón, Kastilien und Portugal. An der Spitze des Ordens stehen ein Meister oder Großmeister sowie ein knappes Dutzend Würdenträger wie Marschall, Seneschall, Drapier (Haushofmeister des Ordens), Turkopolier (Befehlshaber der leichten berittenen Bogenschützen nach Türkenart) etc.

Der Orden umfasst drei Kategorien von Ordensbrüdern: die Ritter, die allein zum Tragen des weißen Mantels mit dem roten Kreuz berechtigt sind, dann die Knappen und die Priester oder Kaplane. Die zahlreichen Knappen sind unterteilt in waffentragende, kämpfende Knappen einerseits und dienende Ordensbrüder andererseits, die zur Arbeit, zur Bewirtschaftung der Güter und zu handwerklichen Tätigkeiten bestimmt sind.

Nach dem Vorbild der Templer entstanden noch andere geistliche Ritterorden im Heiligen Land und in jenen Gebieten Europas, in denen die Christen auf «Ungläubige» trafen, das heißt Muslime (in Spanien) und Heiden (Slawen und Preußen im Baltikum): zum Beispiel die iberischen Orden von Calatrava, Alcantara, Avis und Santiago oder auch die deutschen Orden an den Grenzen der preußischen Territorien. Der Deutsche Orden, am Ende des 12. Jahrhunderts im Heiligen Land gegründet, fasste rasch Fuß in Preußen und in Livland. Eine Besonderheit war der Orden des heiligen Johannes vom Spital zu Jerusalem, kurz Hospitaliter- oder Johanniterorden genannt. Noch vor dem ersten Kreuzzug war in Jerusalem ein Hospital gegründet worden, in dem Pilger beherbergt, verpflegt und bei Bedarf auch medizinisch versorgt wurden. Mit dem Erfolg des Kreuzzuges wurden die Johanniter zur Zentrale eines Netzes von Häusern im Okzident. Zunächst als Hospitaliterorden anerkannt, wandelte er sich im Verlauf des 12. Jahrhunderts zu einem militärischen Verband und wurde zu einem den Templern ebenbürtigen Orden, zu seinem Partner und Rivalen.

Anfangs gelang es den Lateinern im Heiligen Land dank ihrer Tatkraft und einer aktiven Militärstrategie, ihre muslimischen Gegner in Schach zu halten, die zunächst noch untereinander zerstritten waren. Um das Jahr 1160 gab es zwar die Grafschaft Edessa nicht mehr, doch erlebten die anderen lateinischen Staaten ihre größte Ausdehnung. Aber dann verbünden sich die Muslime: Nûr-al-Dîn (gestorben 1176) vereinigt Nordsyrien und Damaskus, sein Nachfolger Saladin führt sein Werk fort und setzt sich in Ägypten durch. 1187 werden die Lateiner bei Hattin vernichtend geschlagen und müssen Jerusalem aufgeben. Das Königreich besteht nur noch aus ein paar Landfetzen mit Tyrus als Stützpunkt. Von diesem Hafen aus brechen die Lateiner auf, um Akkon zu belagern. Unterstützt von den Teilnehmern des dritten Kreuzzuges, dessen Galionsfigur der englische König Richard Löwenherz ist, erobern sie nach und nach die Küste zurück und errichten erneut das Königreich Jerusalem, allerdings in verringertem Umfang: ein langer Küstenstreifen, dessen Hauptstadt Akkon wird. Jerusalem bleibt in der Hand Saladins und seiner Nachfolger aus der Dynastie der Ayyubiden. Die Grafschaft Tripolis und das Fürstentum Antiochia bestehen mit verkleinertem Territorium weiter.

Das Kräfteverhältnis zwischen Lateinern und Muslimen verkehrt sich vollständig. Dies führt dazu, dass die geistlichen Ritterorden dank der ihnen im Okzident zur Verfügung stehenden Mittel eine wachsende politische und militärische Rolle spielen und zu den eigentlichen Herren des lateinischen Orients werden. Sie sind die Herren beeindruckender Festungswerke wie des Krak des Chevaliers der Hospitaliter, des Château Pèlerin der Templer, die auszurüsten und zu unterhalten allein sie in der Lage sind; von ihnen hängen nun Verteidigung und Überleben der lateinischen Staaten ab. Sie bestehen bis zum Jahr 1250. In diesem Jahr übernehmen die Mameluken (Armeeeinheiten aus ursprünglich türkischen Sklaven) die Macht in Ägypten. Als sie auch noch das muslimische Syrien erobern, läutet die Totenglocke für die Kreuzfahrerstaaten.[1] Die Offensiven der Mameluken werden zwar manchmal von Persien aus durch Attacken der Mongolen gebremst, brechen aber Stück für Stück Teile der lateinischen Gebiete heraus, und eine Festung nach der anderen fällt. 1291 geht Akkon verloren, und in der Folge werden die letzten Rückzugsgebiete der Lateiner an der Küste aufgegeben. Diese ziehen sich nach Zypern zurück, von wo aus sie durch ein Bündnis mit den Mongolen das Heilige Land zurückzuerobern hoffen. Templer und Hospitaliter haben ihre couvents, das heißt ihren Hauptsitz und den militärischen Apparat, auf die Insel verlegt. Die Hoffnung, Jerusalem zurückzugewinnen, haben sie noch nicht aufgegeben.

In Zypern besteigen Ende 1306 Jacques de Molay, der Großmeister der Templer, und Foulques de Villaret, sein Kollege von den Hospitalitern, das Schiff nach Frankreich, um sich mit Papst Clemens V. zu besprechen, der sie ausdrücklich dazu einberufen hat: Ein neuer Kreuzzug soll vorbereitet und ein Zusammenschluss der beiden Orden ins Werk gesetzt werden.

Für Jacques de Molay wird dies eine Reise ohne Wiederkehr sein.

Der Templerprozess (1307–1314)

Ich beabsichtige nicht, hier die Geschichte des Templerprozesses neu zu schreiben. Es gibt bereits zahlreiche Werke darüber, und ich verweise den Leser auf das Buch von Malcolm Barber, das vollständigste von allen.[2] Mein Ziel ist ein anderes, und wenn ich im Untertitel «Chronik» schreibe, deute ich damit meine Absichten und auch die Grenzen des Werkes an: Ich möchte erzählen, wie sich das alltägliche Leben der Templer in Frankreich während einer Affäre, die sich über fünf Jahre hinzieht, ganz konkret abgespielt haben kann, beginnend mit der Verhaftung im Jahr 1307 bis zur Auflösung des Ordens auf dem Konzil von Vienne im Jahr 1312, auch wenn sich für die hohen Würdenträger des Ordens die Verfahren noch zwei Jahre bis zur Hinrichtung von Jacques de Molay und Geoffroy de Charnay im März 1314 hinziehen. Ebenso wenig versuche ich, die Gründe für diesen Prozess zu erklären oder die tendenziöse Debatte über Schuld oder Unschuld der Templer aufzugreifen oder ein weiteres Mal die Auseinandersetzung zwischen dem Papst und dem französischen König nachzuzeichnen, die im Zentrum der Affäre steht. Um mein Vorhaben verständlich zu machen, muss ich allerdings die entscheidenden Elemente, die im Hintergrund stehen, kurz beschreiben. Bevor die widerstreitenden Positionen der Historiker dargestellt werden, bietet sich eine kurze Zusammenfassung der verfügbaren Quellen und Dokumente an.

DIE PROZESSPROTOKOLLE  Schriftliche Zeugnisse sind reichlich vorhanden, sowohl in den päpstlichen als auch in den französischen Archiven und anderswo. Unter diesen Dokumenten sind die Vernehmungsprotokolle vom Prozess gegen die Templer im Zuge der verschiedenen Verfahren von entscheidender Bedeutung, jedoch mit Vorsicht zu interpretieren. Zahlreiche historiographische Debatten drehen sich um die Frage, wie beweiskräftig diese Art von Quellen ist. Ich werde sie jeweils parallel zum zeitlichen Verlauf der Gerichtsverfahren präsentieren.

Die erste Phase (Oktober bis November 1307) betrifft nur Frankreich. Am 13. Oktober werden die Templer in Frankreich verhaftet und von den Vollzugsbeamten des Königs und den Inquisitoren verhört. Wir verfügen über die Protokolle aus Paris, Caen, Cahors, Carcassonne und Nîmes und stellen fest: Überliefert sind uns nur sehr wenige Aussagen von Templern.

Zu keinem Zeitpunkt ist der Papst über Absichten und Vorgehen des französischen Königs unterrichtet worden. Er protestiert und reagiert am 22. November 1307, indem er die Verhaftung aller Templer im gesamten Okzident und auf Zypern anordnet. Auf diese Weise hofft er, das Heft des Handelns wieder in die Hand zu bekommen. Nach einer heftigen Auseinandersetzung mit Philipp IV. dem Schönen und seinen Ratgebern setzt er die Vernehmung von zweiundsiebzig Templern durch (ein Teil dieser Protokolle ist erhalten) und erwirkt (im Juli/August 1308) die Einleitung eines doppelten Verfahrens: eines gegen die Templer als Einzelpersonen und ein zweites gegen den Orden als Ganzen. Das erste wird im Rahmen der Diözesen von bischöflichen Kommissionen, denen auch Inquisitoren angehören, durchgeführt werden, das zweite auf Ständeebene von päpstlichen Kommissionen. Auf diese erste Phase folgen die Urteile, die gegen die Einzelpersonen auf Konzilien in den erzbischöflichen Provinzen, gegen den Orden auf einem ökumenischen Konzil ergehen werden. In den französischen Archiven verfügen wir über die Ermittlungen der Diözesen Clermont (Juni 1309) und Nîmes (August 1310 und 1311), ein weiteres Dokument ist so verstümmelt, dass man es weder zeitlich noch örtlich einordnen kann. Wahrscheinlich stammt es aus dem Dauphiné und einem Teil der Provence – Regionen, die damals nicht zum französischen Königreich gehörten; außerdem ist die Ermittlungsakte der Diözese Elne im Roussillon zu nennen, die damals zum Königreich Mallorca gehörte.

Außerhalb Frankreichs wurden beide Verfahren oft parallel durchgeführt, und wir besitzen mehr oder minder vollständige Vernehmungsprotokolle für Zypern, England, Italien, die iberischen Königreiche und für Deutschland. Diese Verfahren begannen nicht vor 1310 oder 1311.

In Frankreich kam der Prozess gegen den Orden im November 1309 nur schwer in Gang und dauerte mit einigen mehrmonatlichen Unterbrechungen bis Mai 1311. Die Zeugenaussagen der Templer kennen wir dank zweier Manuskripte (das eine wird in der Bibliothèque Nationale in Paris, das andere in den Archiven des Vatikan verwahrt), die mit Abstand die ausführlichsten und genauesten sind, die wir besitzen: Außer den Verhörprotokollen von 224 Templern und sechs Zeugen, die dem Orden nicht angehörten, enthalten sie zahlreiche wertvolle Informationen über die Begleitumstände der Sitzungen und die Versuche der französischen Templer im Frühjahr 1310, sich zur Wehr zu setzen.[3]

Bevor die Frage der Zuverlässigkeit dieser Zeugenaussagen angeschnitten werden kann, ist zunächst festzuhalten: 1. Folter wurde systematisch angewendet, um Geständnisse zu bekommen. 2. Die päpstliche Kommission hat in Paris 224 Templer verhört, jedoch haben 650 Templer vor der Kommission ihren Willen bekundet, den Orden zu verteidigen; dabei traten sie immer entschlossener und häufig im Kollektiv auf und übergaben den Kommissaren Denkschriften, die mit Argumenten untermauert waren. Dieser Widerstand wurde durch den Gewaltstreich des Erzbischofs von Sens (dem der Bischof von Paris nachgeordnet war) abrupt gebrochen, der am 11. Mai 1310 das Konzil seiner Kirchenprovinz einberief, um das Urteil über die einzelnen Templer seiner Provinz zu fällen: Am 12. Mai wurden 54 Templer als Ketzer verbrannt. Am 19. Mai zogen 44 (von über 600) ihre Verteidigung des Ordens zurück. Einige von diesen sind unter den 224, deren Aussagen wir besitzen. Von den anderen wissen wir nichts. Man hat sich also vor Schlussfolgerungen zu hüten, die allein auf den Aussagen beruhen, von denen wir die Protokolle haben, denn dies hieße, eine (wahrscheinliche) Mehrheit der Templer außer Acht zu lassen, deren Haltung nicht eingeschätzt werden kann.

Diese Dinge muss man berücksichtigen, wenn man nun zunächst die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen der Templer abwägen und danach die Gründe und Ursachen der Templeraffäre erforschen will.

SIND DIE GESTÄNDNISSE DER TEMPLER GLAUBWÜRDIG?  Drei Positionen sind denkbar: 1. Sie sagen die Wahrheit. 2. Alles ist frei erfunden. 3. Sie rechtfertigen nicht den Prozess gegen die Templer, aber es steckt ein Kern Wahrheit darin.

Mit anderen Worten, auf die Frage: «Sind die Templer schuldig?» wird der Historiker antworten: «ja», «nein» oder «nein, aber …».

Ist die Antwort also «ja», besteht die Anklage zu Recht; die vernommenen Templer konnten ihre skandalösen Praktiken nicht verheimlichen, und ihre Geständnisse sind ernst zu nehmen. Es gibt allenfalls Nuancen zwischen einem Pierre Dupuy, einem Autor des 17. Jahrhunderts und treuen Royalisten, für den eine Infragestellung der Sache des Königs nicht in Frage kam, und einem Jean Favier oder einem Joseph R. Strayer, Historikern der jüngsten Zeit, die einräumen, dass zwar nicht von Häresie gesprochen werden kann, es jedoch viel Schlendrian innerhalb des Ordens gab und er nicht von ungefähr so wenig populär war. Philipp der Schöne hatte leichtes Spiel, als er Anklage erhob. Die Folter war damals gängige Praxis, und niemand kam auf den Gedanken, ihre Anwendung in Frage zu stellen (was, wie wir noch sehen werden, nicht stimmt).[4]

Die Vorstellung, dass die in der Anklage angeprangerten Praktiken das Ergebnis der Verderbtheit der Ordensbrüder und der Fahrlässigkeit der Anführer waren, passt hervorragend zu der Idee von der Unpopularität des Ordens, die von vielen Historikern ungeachtet der geschichtlichen Realität aufgegriffen wurde: Der Orden kämpfte nicht mehr, er verwaltete nur noch sein Vermögen; er kümmerte sich nicht mehr um das Heilige Land und hatte sein Hauptquartier von Zypern nach Paris verlegt; seine Mitglieder pflegten den Müßiggang und trieben sich wie Lotterbuben in Kaschemmen und Bordellen herum. Jonathan Riley-Smith hat diese These aufgegriffen und praktisch mit «ja» die Frage beantwortet, die einem seiner beiden Artikel als Überschrift dient: «Were the Templars guilty?»[5] Dieser Autor, im Übrigen ein bedeutender Historiker der Kreuzzüge und des Johanniterordens, stellt den Ausschweifungen des Templerordens die guten Sitten, die zur gleichen Zeit die Führung der Hospitaliter charakterisierten, gegenüber. Dieser für die Templer unvorteilhafte Vergleich wird von einem anderen großen Historiker der Hospitaliter, Anthony Luttrell, übernommen, der im Übrigen nicht auf den Prozess eingeht.[6] Bei ihm findet sich auch das bei Historikern der Hospitaliter weit verbreitete, doch nie ernsthaft diskutierte oder gar verifizierte Thema vom Gegensatz zwischen dem beschränkten und nur mäßig intelligenten Tempelmeister Jacques de Molay und dem brillanten und raffinierten Hospitalitermeister Foulques de Villaret. Angeblich erklärt sich daraus zum Teil das Verhängnis des Tempels im Jahr 1307. Das ist allerdings ein wenig zu einfach!

Ist die Antwort «nein, aber …», ist das Verfahren ein vom König und seinen Beratern ins Werk gesetzter Prozess. Die Anklagen wegen Ketzerei, die in den Haftbefehlen enthalten sind und in den vom Papst angeordneten Verfahren wieder auftauchen, sind dem von den Inquisitoren im Lauf des 13. Jahrhunderts entwickelten Katalog entnommen. Dieser Katalog war auch von Nutzen bei den anderen Prozessen, die Philipp der Schöne gegen Papst Bonifatius VIII. und gegen die Bischöfe Bernard Saisset oder Guichard de Troyes angestrengt hatte; die Anwendung der Folter wird in diesem Leitfaden ausdrücklich empfohlen, und sie wurde auch angewendet, um die diesen Listen entsprechenden Geständnisse der Templer zu erhalten. Das ist alles richtig …

Aber boten die Templer nicht dadurch eine offene Flanke für Kritik und Diffamierung, dass sie in ihrem Orden sinn- und geschmacklose Praktiken zuließen wie schikanöse Aufnahmeriten, die an sich nicht ketzerisch waren, jedoch dem König von Frankreich hinreichend Stoff bieten konnten, um daraus eine Anklageschrift zu zimmern, die im Übrigen frei erfunden war?

Viele Historiker des Templerordens – und auch ich – haben mit einigen Nuancierungen diesen Standpunkt eingenommen: die Verleugnung Christi, das Bespucken des Kreuzes (oder das Herumtrampeln auf dem Kreuz), die obszönen Küsse, der Rat, Sodomie zu treiben, all das wurde als plausibel anerkannt. Nahezu alle Templer haben im Übrigen diese Verfehlungen gestanden: Ja, man hatte verleugnet, aber mit dem Mund, nicht mit dem Herzen; ja, man hatte gespuckt, aber nicht auf das Kreuz, sondern daneben; den Rat, Sodomie zu praktizieren, hatte es gegeben, aber er wurde nie in die Praxis umgesetzt.[7] Anne-Marie Chagny-Sève weist Vorwürfe als unbewiesen zurück, bei denen es um die Anbetung einer Katze geht, um das Weglassen von Wörtern bei der Segnung der Hostie, um die Empfehlung, Homosexualität zu üben oder Götzen zu opfern, doch sie fügt hinzu: «Trotzdem bleiben die Verleugnung und das Bespucken des Kreuzes problematisch.»[8]

Handelt es sich um vereinzelte individuelle Praktiken oder um kollektives, durch die Ordensstatuten bestimmtes Handeln, wie die Templer behaupten? In den Statuten findet sich nichts Derartiges, was Barbara Frale zu der Vermutung führt, es habe einen codice ombra, einen Initiationskodex, gegeben, der diskret, wenn nicht gar geheim, wie ein Auswuchs in den Ablauf des an sich völlig orthodoxen Aufnahmerituals eingeführt wurde und dazu diente, den Neuling gleich beim Eintritt in den Orden einer Prüfung zu unterziehen. Ein solches Ritual, das ausschließlich für die Aufnahmezeremonie erwähnt wird, hätte demnach neben Glaubensbekenntnissen und religiösen Riten bestehen können, die dem katholischen Glauben entsprachen.

Ich verhehle nicht, dass mir diese Sicht eingeleuchtet hat und dass ich die Vorsicht, die ich in meinem Buch Die Templer. Aufstieg und Untergang (1991) bewies, außer Acht ließ und mir diese Interpretation in den Werken Der letzte Templer (2002) und Les Templiers (2005) zu eigen gemacht habe.

Dieses «nein, aber …» lässt indessen manche Frage offen. Geheimhaltung der ordensinternen Beratungen (Versammlung der Kapitel, Aufnahmezeremonien) war angebracht und im Übrigen nicht auf den Orden beschränkt. Wenn blasphemische Riten wie die Verleugnung Christi und das Bespucken des Kreuzes allgemeine Praxis waren, wie soll man dann glauben, sie wären außerhalb des Ordens unbekannt geblieben, hatten doch zahlreiche Templer zum Beispiel angegeben, sie hätten in den Tagen nach der Aufnahme bei Ordenspriestern, aber auch bei Weltgeistlichen und Brüdern der Bettelorden, Franziskanern und Dominikanern, ja sogar beim Papst die Beichte abgelegt? Alan Forey hat diese Frage zu Recht gestellt (und sie verneint): Wie hätte all dies jahrzehntelang verborgen bleiben können, ohne eine Reaktion hervorzurufen?[9] Und zudem wird, wenn man die Position des «nein, aber …» vertritt, die Frage der Folter teilweise unterschlagen: Die Orte, wo Geständnisse abgelegt wurden, entsprechen genau jenen, an denen man die Folter anwendete. Niemand bestreitet das. In Frankreich, wo sie von Beginn des Prozesses an allgemein angewendet wurde, hätte sie doch bei den Angeklagten dazu führen müssen, dass sie sich zu realen Praktiken bekannten und nicht einem vorgefertigten Schema folgten; in diesem Fall hätten viele Ordensbrüder gestanden, ohne dass man sie hätte foltern müssen. Außerhalb Frankreichs, wo die Folter nicht zur Anwendung kam, gab es keine Geständnisse; wie passt dies zur allgemein üblichen Praxis eines codice ombra? Die Erklärung, die ich für diese Ungereimtheit gab, dass nämlich die Templer außerhalb Frankreichs in Kenntnis dessen, was mit ihren Brüdern im Reich der Kapetinger geschehen war, es unterlassen hätten, durch die Leugnung eines «Initiationsritus» das Räderwerk ins Stocken zu bringen (und dies umso mehr, als sie in ihrem Land keine Folter zu befürchten hatten), erscheint mir im Nachhinein ziemlich schwach.

Das «nein, aber …» oder, um eine Formulierung von Julien Théry aufzugreifen, das «ich weiß wohl, aber dennoch …» ist nicht aufrechtzuerhalten.

Also ist die Antwort «nein», an den Geständnissen ist nichts Wahres dran, und es ist – mit den Worten des erwähnten Autors – «illusorisch, zu glauben, man könnte in den Protokollen das Wahre vom Falschen trennen», und «nichts außer der Verhaftung und den erpressten Geständnissen erlaubt es, die Templer für schuldig zu halten».[10] Für Sean Field, der den Fall des Templers Mathieu de Cressonessart untersucht, ist klar, dass «die Historiker, wie genau sie auch Zeugenaussagen wie die vorliegende lesen, nie etwas anderes finden werden als eine vorbestimmte ‹Wahrheit›, die völlig von den königlichen Imperativen bestimmt ist».[11]

Dieses unwiderrufliche «nein» ist freilich nicht neu, sondern war die Haltung einer Anzahl von Historikern im 19. Jahrhundert, die sich auf die Veröffentlichung der Quellen des Prozesses stützen konnten. (Michelet allerdings teilte diese Haltung nicht.) Und es ist die Position zahlreicher heutiger Historiker des Tempels, die sie mit soliden Forschungen und Studien begründen: Malcolm Barber, Helen Nicholson, Alan Forey, Julien Théry u.a. Ich schließe mich ihnen an und denke, dass ich in diesem Buch weitere Elemente hierzu beitragen kann, die nicht aus den Prozessakten stammen und diese Position stützen.

Wie kann man die Templeraffäre erklären?

Jeder kennt die Wendung «Wo Rauch ist, da ist auch Feuer». Wenn die Argumente ausgehen, ist das auch ganz praktisch. Die Historiker, wie auch andere Menschen (ich jedoch nicht!), erliegen dieser Versuchung gelegentlich und vergessen dabei zu fragen: «Wer hat das Feuer entzündet?»

Die Antwort ist eindeutig: der König von Frankreich und seine Berater. Nicht in der Geschichte oder den tatsächlichen oder mutmaßlichen Schwächen des Ordens findet man die Ursachen seines Sturzes. Ich zitiere noch einmal Julien Théry:

Das Schicksal des Tempels wurde besiegelt durch eine Geschichte, die nicht seine eigene, sondern die der französischen Monarchie war, und zwar die Geschichte der Konfrontation zwischen Philipp dem Schönen und dem Papsttum, die Geschichte der bei dieser Gelegenheit geschaffenen besonderen Beziehungen zwischen Gott, Frankreich und seinem «Allerchristlichsten König».[12]

In dieser Hinsicht brauche ich dem nichts hinzuzufügen, was ich in den Templern dargelegt habe: «Durch das Aufdecken der Gründe des Königs kann man hoffen, zu einer rationalen Erklärung des Templerprozesses zu gelangen.»[13] Man muss von den finanziellen Erwägungen absehen (die erhofften Gewinne sind nur ein Nebeneffekt) und den Schlag gegen die Templer in den Kontext der Auseinandersetzung des Königs mit dem Papsttum unter dem Pontifikat von Bonifatius VIII. (1295–1303) und deren Folgen stellen. Der französische König klagte sogar den Papst der Häresie an und wollte ihn durch ein Konzil verurteilen und absetzen lassen. Bonifatius VIII. wurde angegriffen und eine Zeitlang in seiner Residenz in Anagni festgehalten, bevor er wenig später starb (1303). Die Templeraffäre war nicht von langer Hand geplant; der König hat die sich ihm bietende Gelegenheit ergriffen, um auf Papst Clemens V. (1303–1314) Druck auszuüben mit dem Ziel, von ihm die nachträgliche Verurteilung von Bonifatius VIII. zu erwirken und damit seinen in Anagni verübten Anschlag zu rechtfertigen. Ich betone die Gelegenheit, denn wie man sehen wird, bringt der König die Gerüchte gegen die Templer nicht auf, sondern er nutzt sie, um die Affäre von A bis Z zu inszenieren. Man muss nämlich genau unterscheiden: Das Gerücht ist eine Realität, sein Inhalt jedoch nur eine Lüge. Im gesamten Verlauf der Templeraffäre ist die nachträgliche Verurteilung von Bonifatius VIII. das Hauptanliegen des Königs und daher auch des Papstes, der freilich von einer solchen Verurteilung nichts wissen will.

Die Aktion von Anagni und ihre Folgen zu bereinigen ist allerdings nur eines der Motive für den Angriff des französischen Königs auf den Templerorden. Andere haben zu tun mit den Glaubensvorstellungen, der Frömmigkeit und den mystischen Neigungen des Königs und seiner engsten Berater. Bei ihrer Analyse stützte ich mich auf die Studien von Robert-Henri Bautier und Malcolm Barber; Ersterer war bemüht, die Persönlichkeit des Königs zu erfassen, der zweite versuchte herauszufinden, was das «Weltbild» Philipps des Schönen war.[14]

Die Mystik des Königs hatte die Reinigung des Reiches des Allerchristlichsten Königs zum Ziel; die Mittel hierzu waren die Ausweisung der Juden im Jahre 1306 und die Zerschlagung des Templerordens 1307. Die Studien von Julien Théry, Sébastien Nadiras und anderen zur Weltanschauung des Königs an der Wende zum 14. Jahrhundert erbrachten neue Einsichten, die diesen Erklärungsansatz stützten.[15] Es ging nicht allein darum, Druck auf Clemens V. auszuüben, um von ihm den Freispruch in der Anagni-Affäre zu erreichen, sondern auch darum, den König von Frankreich, den «Engel Gottes» nach den Worten seines treu ergebenen Beraters Guillaume de Nogaret, zu einem «Papst in seinem Reich» zu machen. Durch seinen Angriff auf die Templer stellte Philipp der Schöne nicht nur die Oberhoheit des Papstes in Frage, die er über die Bischöfe und den Klerus Frankreichs zu haben glaubte, er machte ihm auch das Recht streitig, in Glaubensdingen (in diesem Fall die «Häresie der Templer») einzuschreiten und zum Wohle der gesamten Christenheit zu handeln. Schließlich wollte er das französische Königreich nach dem Vorbild der Kirche zu einem mystischen Körper machen, dessen Haupt er, Philipp, wäre, während die Kirche des Reiches ein Glied in gleicher Weise wie die anderen sein sollte. Lange vor Ludwig XIV. betrieb Philipp einen Gallikanismus.

Ein Jahr nach der Vertreibung der Juden erfolgte der Angriff auf die Templer mit der Anklage, Christus durch ihre Verleugnung ein zweites Mal zu kreuzigen und das Kreuz seines Martyriums zu besudeln. Der Orden der Tempelritter musste verschwinden, damit die neue Allianz zwischen König, Christus und Volk geschmiedet werden konnte.

All dies war dem Templer an der Basis reichlich fremd. Am 13. Oktober fiel ihm der Himmel, den er sich durch seine tapferen Taten im Dienste der Kirche und Jerusalems verdient zu haben glaubte, auf den Kopf. Ihm möchte ich in diesem Buch nachgehen und zeigen, wie sich seine Verfolgung im Alltag darstellte.

1

VORSPIEL (1305–1307)

Das Gerücht von Agen

Bruder Ponsard de Gizy war vor 1298 in den Orden eingetreten. Er stammte aus der Picardie und war der Neffe von Raoul de Gizy, auch er ein Templer, der Karriere im Dienst des Königs als Steuereinnehmer in der Champagne und in der Brie[1] gemacht hatte. Zum Zeitpunkt der Verhaftung der Templer war Ponsard in der Position eines Komturs von Payns in der Nähe von Troyes (der Komtur des Dorfes, aus dem der Gründer des Templerordens Hugues de Payns stammte). Er wurde im Templerbezirk von Paris festgesetzt und ist keiner der Templer, die im Oktober und November 1307 von den Inquisitoren verhört wurden, doch man weiß, dass er vor den Bischof von Paris zitiert wurde, nachdem er schwer gefoltert worden war.[2] Am 27. November 1309 erscheint er vor der päpstlichen Kommission, die mit der Ermittlung gegen den Orden beauftragt worden ist. Als einer der ersten Beschuldigten, die vor dieser Kommission aussagen, erklärt er die Vorwürfe gegen den Templerorden für falsch und übergibt den Kommissaren eine kurze eigenhändige Stellungnahme. Darin zeigt er an:

Die Verleumder, die Falschaussagen gegen die Brüder des Templerordens vorgetragen und ihnen schändliche Taten unterstellt haben: der Mönch Guillaume Robert, der sie der peinlichen Befragung unterworfen hat, Esquieu de Floyrac de Biterris, zweiter Prior von Montfaucon, Bernard Pelet, Prior von Mas d’Agen, und Gérard de Boyzol, ein Ritter, der nach Gisors gekommen ist.[3]

Mit diesem Vorgehen wandte Ponsard de Gizy das einzige Mittel an, das den Angeklagten im Verfahren der Inquisition zu Gebote stand: ihre Ankläger als ihre Feinde und damit als böswillig auszuweisen. Die Identifizierung der vier «Verleumder» war lange unsicher, ist heute jedoch geklärt.[456789