Band 2: Schauspiel-Improvisation
Impressum
Dan Richter
www.danrichter.de
© März 2022
Herstellung:
PRINT GROUP Sp. z o.o.
ul. Księcia Witolda 7
71-063 Szczecin (Polen)
Verlag Theater der Zeit
Winsstraße 72,
10405 Berlin, Deutschland
Cover-Gestaltung: Laura Kötter
Foto des Autors: Matthias Fluhrer
ISBN 978-3-95749-422-1
eISBN 978-3-95749-423-8
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Dieses Buch widmet sich dem Kern des Improvisationstheaters – dem spontanen Schauspiel. Egal ob man kurze Games, lange Storys oder bunte Collagen bevorzugt, alles steht und fällt mit der spontanen Darstellung von Charakteren, der überzeugenden Pantomime, der glaubwürdigen Ausführung emotionaler Vorgänge.
Im Gegensatz zu geskriptetem Schauspiel in Theater und Film haben wir als Improvisations-Schauspieler keine Tage, Wochen und Monate, um uns auf das seelische Innenleben unserer Figuren vorzubereiten, wir können keine Handlungsabläufe einstudieren, wir können nicht die Wirkung zweier Charaktere aufeinander ausprobieren. Alles muss im Moment entstehen. Dabei kommt uns aber sehr entgegen, dass die Schauspielkunst selbst mit der Improvisation stark verbunden ist. John Wayne sagte einmal: „Die Leute denken, ich sei ein Action-Held, dabei bin ich eigentlich ein Reaction-Held.“ Das heißt, die Qualität der Schauspieler besteht darin, zu reagieren, und zwar auf das, was gerade im Moment geschieht.
Improvisiertes Schauspiel muss sich nicht um Gründe kümmern. Warum tut eine Person dies und jenes? Welche Motivation hat sie? Wie ist sie zu dem geworden, was sie ist? Diese Rätsel, die ein Schauspieler etwa im Method Acting beantworten soll, bevor er die Bühne betritt, können wir gern dem Publikum überlassen. Für Impro-Schauspieler ist die Freiheit, sich nicht um den Hintergrund der Figur zu kümmern oder sie intellektuell erfassen zu müssen, eine große Entlastung. Wir beobachten die von uns erschaffene Person mit derselben Neugierde wie das Publikum und fühlen uns auf dieselbe Weise bestätigt oder überrascht von ihren Handlungen.
In diesem Buch geht es zu einem großen Teil um universelle Schauspiel-Grundlagen. Es soll helfen, diese Grundlagen für die besonderen Erfordernisse des Improtheaters handhabbar zu machen.
Ein Buch ersetzt nicht das Training. Man wird kein guter Schauspieler allein durchs Lesen. Ich hoffe aber, dass diese Lektüre hilft, sich klassische und moderne Schauspieltechniken anzueignen, um anspruchsvoll improvisieren zu können und unsere Darstellung zu verfeinern.
Alle hier beschriebenen Übungen und Spiele sind sensibel und mit gegenseitiger Rücksichtnahme zu trainieren.
Nichts von dem, was in diesem Buch beschrieben wurde, ist unkritisch oder als Dogma aufzufassen. Denke selbst. Verwirf, was du nicht brauchen kannst. Nutze, was dir hilft.
(Ein detailliertes Inhaltsverzeichnis findet sich am Ende des Buchs.)
VORWORT
1EMOTIONEN
2PANTOMIME
3CHARAKTERE UND FIGUREN
4STATUS
5KUNST UND KLISCHEE
6IMPULSE UND ASSOZIATIONEN
7SPEZIELLE TECHNIKEN
8VERZEICHNIS DER SPIELE UND ÜBUNGEN
IMPROVISATIONSTHEATER. ALLE BÄNDE
DANK
LITERATURVERZEICHNIS
AUSFÜHRLICHES INHALTSVERZEICHNIS
EPILOG
1.1Die Steuerungszentrale der Emotionen
1.2Emotionen von innen nach außen … und wieder nach innen
1.3Empfinden und Spiel der Emotionen
1.4Sich emotional berühren lassen
Was das Erleben eines Theater- oder Kino-Abends so besonders macht, ist oft nicht so sehr der Storyplot, sondern dass wir den emotionalen Veränderungen der Charaktere beiwohnen dürfen. Eine Szene berührt uns, wenn sich die beteiligten Figuren berühren lassen, egal ob sie in Lachen ausbrechen, ob sie entsetzt sind oder ihnen die Tränen der Rührung in den Augen stehen.
Emotionale Bewegung lässt die Szene für die Zuschauer lebendig und real werden. Sie lässt das Theater-Erlebnis zu einer nachhaltigen Erfahrung werden.
Wie aber kann man als Impro-Schauspieler Emotionen hervorzaubern und lebendig werden lassen? Wie kann man Gefühle in sich aufsteigen lassen, die vielleicht gar nicht die eigenen „wahren“ Gefühle in diesem Moment sind? Und vor allem: Wie lässt sich das alles spontan aus der Situation heraus erzeugen?
Man erkennt Emotionen zwar äußerlich an ausdrucksvoller Mimik und Gestik. Erzeugt werden sie aber durch den Atem. Emotionale Mimik, die nicht mit dem Atem verbunden ist, wirkt hölzern, grotesk und unglaubwürdig. Man versuche einmal, für zehn Sekunden den Atem anzuhalten und dabei besonders wütend/fröhlich /angeekelt/erschreckt zu schauen oder zu gestikulieren. Es geht zwar irgendwie, aber das Schauspiel wirkt dann aufgesetzt und kraftlos.
Der Atem kommt zuerst, Gestik und Mimik folgen! Wenn man die emotionale Verbindung zum Atem hergestellt hat, braucht man sich um die Mimik im Prinzip nicht zu sorgen. Sie übernimmt ihre Aufgabe so selbstverständlich wie im realen Leben, wo wir uns schließlich auch keine Gedanken darüber machen, ob wir „richtig“ gucken, wenn wir uns zum Beispiel ausgelassen freuen.
Die folgende Übung lässt sich allein oder in der Gruppe durchführen. Sie aktiviert den Atem und somit den Zugang zu unserem Gefühlssystem.
Übung Emotionen verstärken
Schließt die Augen und fokussiert auf den eigenen Atem, ohne ihn zu verstärken oder wesentlich zu verändern. Es geht zunächst nur um die Wahrnehmung.
Wählt eine Emotion und atmet in diese Emotion hinein.
Nach und nach wird die Intensität des Atems (und somit der Emotion) verstärkt.
Wenn wir glauben, hundert Prozent Intensität erreicht zu haben, setzen wir noch mal fünfzig Prozent obendrauf und „übertreiben“.
Wir beruhigen den Atem wieder auf Normalniveau. Dann wählen wir uns eine neue Emotion.
Anmerkungen:
Die Übung ist körperlich und emotional sehr fordernd. Man sollte es nicht damit übertreiben. Fünf Emotionen reichen für Anfänger in der Regel schon aus.
„In die Emotion atmen“ mag vielleicht etwas esoterisch klingen, aber wenn man es ein paar Mal ausprobiert hat, ist klar, was gemeint ist.
Man halte sich zu Beginn der Übung an einfache Grund-Emotionen: Freude, Wut, Ekel, Angst, Gier, Traurigkeit.
Da die Gefahr des Hyperventilierens besteht, sollten Übende beim kleinsten Anzeichen von Schwindel sich hinsetzen oder in die Hocke gehen.
Um den Zugang zur Emotion so klar wie möglich zu finden, empfiehlt es sich, der Emotion eine konkrete Vorstellung zu geben, sich zum Beispiel bei „Gier“ das Lieblingsgericht vorzustellen, das sich im Raum befindet und bei jeder Emotionssteigerung näher kommt, ohne dass man es berühren dürfte.
Wie wir gesehen haben, werden Emotionen nicht durch irgendwelche äußerlichen Grimassen oder Gesten erzeugt, sondern sie kommen von innen. Alles andere folgt. Das heißt nun nicht, dass Körper und Gesicht keine Rolle spielen. Im Gegenteil. Wenn wir auf den Atem fokussieren, sollte der Körper durchlässig bleiben. Bei einigen Spielern endet das Schauspiel in der Höhe der Hüfte, bei manchen gar in Höhe der Schulter. Atme bewusst in die unteren Teile deines Körpers! Lass deinen Körper für Atem und Emotion durchlässig werden. Du bist nicht nur mit Kopf, Armen und Brust wütend, sondern lässt das Gefühl weiterströmen – in deinen Bauch, in dein Becken, in deine Beine, in deine Füße.1 Die Ganzkörperempfindung feuert zurück in unseren Geist und lässt uns die Emotion auch größer, voller empfinden. Haben wir in der Übung diese emotionale Fülle erreicht, in der wir den Körper regelrecht ausflippen lassen, können wir uns auch wieder zurücknehmen: Die Emotion wird nun sublimiert. Sie wird nach wie vor vom gesamten Körper empfunden, aber wir zügeln die körperlichen Reaktionen und Bewegungen. All die nach außen gehende Kraft der Emotion richtet sich nun nach innen. Für einen Betrachter wird die unter emotionaler Spannung stehende Person eine ganz außerordentliche Magie ausstrahlen. Die Emotion ist weiterhin sichtbar – als Spannung.
Wir haben es also, grob gesprochen, mit zwei Darstellungsformen der Emotion zu tun – der externalisierten und der internalisierten Emotion. Beides ist für uns auf der Bühne von großem Wert.
Externalisierte Emotionen reißen den Zuschauer mit, sie sind Explosionen, die uns in kürzester Zeit in einen anderen Zustand katapultieren. Man denke an die Angstschreie der sogenannten „Scream Queens“ in Hollywoods Horrorfilmen oder an die legendären Ausbrüche von Al Pacino und Nicholas Cage. Die Figur wird von ihren Gefühlen mitgerissen. Im realen Leben kann man das wunderbar an Kleinkindern studieren, die wahre Gefühlsbomben sind. Jedes Lachen, jedes Weinen, jede Angst, jede Wut, jede Gier ist absolut. Es gibt für sie noch keine gesellschaftlichen Konventionen, die diese Absolutheit irgendwie zügeln könnten.
Internalisierte Emotionen hingegen erzeugen Spannungen. Diese Spannungen sind körperlicher als auch dramatischer Art. Wir halten im wirklichen Leben Emotionen zurück, weil es sich nicht schickt, mit jeder inneren Regung gegenüber anderen herauszuplatzen, aber auch, weil wir lernen, mit unseren Gefühlen zu haushalten, um unser Denken nicht einzutrüben. Diese Spannungen bergen ein ungeheures szenisches Potential, sowohl komischer als auch dramatischer Natur.
Übung Emotionen verkörpern
Ein Spieler.
Eine Handlung (zum Beispiel Tischdecken) wird mit einer Grund-Emotion (zum Beispiel Einsamkeit) ausgeführt. Eine Information/Nachricht (zum Beispiel der Anruf des Geliebten) verändert die Emotion. Die Handlung wird nun in dieser neuen Emotion weitergeführt.
Die Emotion soll nicht nach außen hin fürs Publikum demonstriert werden. Vielmehr geht es um die Transformation zu innerlicher Empfindung. Die Spieler müssen das Vertrauen entwickeln, dass sich Spuren ihrer Emotion vom Publikum lesen lassen.
Game Widerstreitendes Außen und Innen
Zwei Spieler. A ist im Fokus dieses Emotions-Spiels. B ist lediglich Anspielpartner.
Zwei widersprechende Gefühle, zum Beispiel Angst/Vorfreude, Hunger/Zufriedenheit, Wut/Verliebtheit
Findet eine Ausgangssituation, in der A die positive Emotion nach außen zeigen soll, die negative aber innen spürt. Zum Beispiel ein Teenager, der vor seiner Freundin angeberisch vom 10-Meter-Turm springen will, aber große Angst hat. Oder ein Pärchen bei einem ersten Date, und sie versucht ihre Wut darüber, dass sie gerade ein Knöllchen bekommen hat, zu verbergen.
Ein starkes emotionales Engagement ist vonnöten, um überhaupt in die Gefühlswelt tief eindringen zu können, um das Gespielte für uns selbst und das Publikum glaubhaft darzustellen.2 Ein zu distanziertes bzw. ironisches Spiel lässt die emotionale Welt der Figur vielleicht noch andeutungsweise erkennen, aber als Zuschauer geht man nicht mit. Und doch brauchen wir eine spielerische Distanz zu unseren Gefühlen. Das heißt, wir dürfen von ihnen nicht so weit fortgetragen werden, dass wir keinen bewussten Zugang mehr zu ihnen haben.3
Als Improvisierer sind wir Marionettenspieler der von uns dargestellten Figuren. Selbst beim tiefsten Eintauchen in eine Figur und in ihre Emotionen müssen wir noch in der Lage sein, spielerisch mit dem Charakter und seinen Emotionen umzugehen und wahrzunehmen, was um uns herum geschieht, damit wir flexibel auf Angebote und Story-Verläufe reagieren können.
Die Emotionalität unseres Spiels birgt also eine Falle: Wenn wir zu tief in die Emotion eintauchen, kommt uns das Spielerische abhanden und wir verlieren uns in einem Gefühlsmeer, ohne flexibel genug zu sein für die Angebote unserer Mitspieler, für das Timing der Szene oder die Dynamik der Story.
Besonders problematisch ist das bei Emotionen, die den Impro-Tugenden widerstreben, wie zum Beispiel Gleichgültigkeit, Hass, Irritation, Überlegenheit, Phlegma. Als Impro-Spieler müssen wir stets auf positive Impro-Emotionen zurückgreifen können, auch wenn die eigene Figur gerade anders drauf ist. Das heißt, wenn du jemanden spielst, der voller Zorn auf sein Gegenüber ist, brauchst du eine Extraportion Güte und Großmut, um ein inneres emotionales Gegengewicht herzustellen, um mit deinen Spielpartnern gütig und großmütig umzugehen.
Sich verändern zu lassen ist eine der wichtigsten Impro-Tugenden.4 Für die emotionale Ebene des Schauspielers bedeutet das: Lass dich emotional berühren!
Wie wichtig die affektive Elastizität für uns ist, sieht man, wenn sie fehlt: Die Figur eines Spielers, der sich überhaupt nicht von den Angeboten seiner Mitspieler berühren lässt, bleibt starr und uninteressant. Igeln sich gar beide Spieler ein, erstarrt die Szene in emotionaler Bedeutungslosigkeit.
Solch eine emotionale Starre hat auch mit der Angst vor dem Unbekannten zu tun, mit der Angst, die Kontrolle über das Ego zu verlieren. Und umgekehrt liegt für flexible Impro-Spieler gerade darin der Reiz: Sobald ich mich emotional verändere, beschreite ich unbekanntes Territorium. Ich bin im Moment des Entstehens. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fließen zusammen in einen Prozess.
Um uns berühren zu lassen, brauchen wir offene Ohren und ein offenes Herz. Das heißt, wir müssen zuhören, was inhaltlich an Möglichkeiten angeboten wird, die nach emotionaler Berührung schreien und wir brauchen die innere Bereitschaft, in neue Emotionen einzutauchen. Man muss sich verletzlich machen und den emotionalen Panzer ablegen.
Die innere Bereitschaft zur Veränderung kann nicht hoch genug geschätzt werden. Im Vergleich dazu ist der Inhalt, auf den wir emotional reagieren, beinahe irrelevant. Denn letztlich können wir jedem banalen Inhalt die gehörige Bedeutung geben, indem wir emotional scharf reagieren.
Wenn aber die emotionale Veränderung so entscheidend für die Qualität und die Tiefe einer Szene ist, wie genau gelangen wir dann von Emotion A zu Emotion B?
Veränderung findet auf der emotionalen Ebene entweder sanft als Verschiebung oder als plötzlicher Wechsel statt.5
1. Beim emotionalen Wechsel wird quasi ein Schalter umgelegt. Wir springen beinahe übergangslos von einer Emotion in die andere.
Emotion A Emotion B
Vier-„Emotionen-Felder“
Zwei Spieler
Die Bühne wird aufgeteilt in vier rechteckige Felder. Jedem Feld wird eine Emotion zugeordnet, zum Beispiel:
Scham |
Verliebt |
Freudige Ekstase |
Misstrauen |
Es muss immer diejenige Emotion eingenommen werden, auf deren Feld man sich gerade befindet.
Man sollte sich beim Wechsel auf einen anderen Quadranten nicht davon leiten lassen, welche Emotion gerade „passt“. Vielmehr sollten die Bewegungen die Szene leiten. Diese Bewegungen können sachlich gerechtfertigt sein, zum Beispiel wenn ein Spieler zum Schrank geht, um diesem ein Buch zu entnehmen. Oder die Bewegung wird initiiert durch den letzten Satz des Mitspielers.
2. Die emotionale Verschiebung hingegen ist schleichend. Die Ausgangs-Emotion wird zunächst leicht irritiert und nach und nach geht man über zur anderen Emotion, bis diese dann voll ausbricht.
Emotion A Emotion B
Die Veränderung, also das allmähliche Hinüberdriften in eine andere Gefühlswelt und das Sich-Hineinsteigern in die neue Emotion, kommt im Improtheater manchmal etwas zu kurz.
Übung „Das heißt also“
Vorgegeben ist die Ausgangs-Emotion, die eher gedämpft angelegt werden sollte.
Ein Mitspieler bietet einen Satz mit mittlerem emotionalen Potential an, zum Beispiel: „Oh, sieh mal, ich hab zwanzig Euro gefunden.“
Veränderung bedeutet, dass sich die Grund-Emotion nun allmählich verschiebt und dann in die neue hineinsteigert. Dies geht der Spieler Schritt für Schritt mit der Einleitung „Das heißt …“ an.
Im folgenden Beispiel steigert sich die leise Freude in absolute Begeisterung:
„Zwanzig Euro. Okay, das heißt also, dass du dir auf dem Weg zum Bewerbungsgespräch doch noch eine ordentliche Krawatte kaufen kannst. Da hast du ja noch mal Glück gehabt. Das heißt aber auch, dass, wenn du eine passende Krawatte findest, du den Job im Prinzip schon in der Tasche hast. Denn inhaltlich bist du ja top vorbereitet. Und du wirst die passende Krawatte finden, denn du hast ja einen super Kleidungsgeschmack. Und das heißt: Der Job ist deiner! Juhu! Das heißt, du wirst ein festes Gehalt haben. Und das heißt wiederum, wir werden uns ein Haus kaufen können und das heißt, wir werden Kinder haben.“
In einer Variante des Spiels kann man die Emotion auf ihrem Höhepunkt in eine andere Emotion transformieren.
„… und das heißt, wir werden Kinder haben. Wir werden so viele Kinder machen, dass wir erst damit aufhören, wenn wir merken, dass es viel zu viele sind. Das heißt, es werden so viele sein, dass sie uns finanziell ruinieren. Und das heißt, dass wir im Alter in bitterer Armut leben müssen. Oh nein! Das darf nicht wahr werden! Bitte wirf diesen Zwanziger fort!“
Wir starten eine Szene in der Regel mit einer Plattform, die die Normalität der Szene etabliert.6 Die erste relevante Information bringt den Status Quo ins Kippen.
Sie: „Henrik, ist alles vorbereitet?“
Er: „Ja, Schatz, der Partyservice hat gerade noch die Lachsbällchen gebracht.“
Sie: „Doktor Schneider hat übrigens abgesagt.“
Er (entsetzt und voller Angst): „Oh nein!“
Die ersten beiden Sätze definieren die Plattform: Ein Paar, das Gäste erwartet. Der dritte Satz lässt die emotionale Plattform kippen, aber erst dadurch, dass Henrik auf diesen Satz emotional verändert reagiert. Würde er diese Information nonchalant hinnehmen, wäre das Nicht-Erscheinen von Doktor Schneider ebenso Teil der Plattform wie die eben eingetroffenen Lachsbällchen. Beide emotionale Varianten sind zu diesem Zeitpunkt akzeptable Entscheidungen. Der entscheidende Punkt ist, dass die emotionale Kippe, die Story ins Laufen bringt. Als Zuschauer wollen wir im Moment des Kippens wissen, was genau es mit Doktor Schneider auf sich hat, dass Henrik dermaßen reagiert. Die Aufgabe der Mitspielerin wäre nun, diese Emotion zu befeuern, das Drama zu verschärfen, den Einsatz zu erhöhen.
Die emotionale Kippe bringt uns also aus der Routine A (Vorbereitung der Party) in eine neue Routine B, deren Verlauf wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennen, die aber alle möglichen Verläufe annehmen kann – ein Streit zwischen dem Paar, Verzweiflung Henriks, da nun der Grund der Party nicht mehr gegeben ist, Selbstzweifel Henriks, da der von Schneider eine Beförderung erwartet hatte.
Was immer auch die neue Ebene ist, sie wird nun weitergespielt, bis sich das szenische Setting abermals emotional gewandelt hat.