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Klaus Vieweg

HEGEL

Der Philosoph
der Freiheit

Biographie

C.H.Beck

Zum Buch

Jedes Jahr am 14. Juli soll Georg Wilhelm Friedrich Hegel ein Glas Champagner auf den Beginn der Französischen Revolution getrunken haben. Diese Revolution hat Leben und Denken des 1770 geborenen Meisterdenkers wie kein anderes Ereignis geprägt. Das Grundmotiv der Freiheit durchzieht den gesamten Denk- und Lebensweg des bedeutendsten Philosophen des 19. Jahrhunderts. Die erste umfassende deutschsprachige Hegel-Biographie seit 175 Jahren zeichnet ein neues Bild dieses philosophischen Genies und führt ebenso souverän in den Geist seiner Zeit wie in sein philosophisches Denken ein.

Nach Kindheit und Jugend in Stuttgart und Studium im benachbarten Tübingen ging der junge Philosoph zunächst als Hauslehrer nach Bern und nach Frankfurt am Main. Die akademische Laufbahn begann mit einer Privatdozentur in Jena, wo Hegel eng mit dem einstigen Tübinger Kommilitonen Schelling zusammenarbeitete und seine monumentale Phänomenologie des Geistes schrieb. Erst nach Stationen in Franken als Zeitungsredakteur und als Rektor eines Gymnasiums ereilte ihn der Ruf der Philosophischen Fakultät Heidelberg. 1818 schließlich wurde Hegel Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Johann Gottlieb Fichte im königlich-preußischen «Mittelpunkt» Berlin, wo er zum herausragenden Philosophen des Zeitalters aufstieg.

Der in Jena lehrende Philosoph Klaus Vieweg zeichnet in dieser Leben und Werk Hegels gleichermaßen würdigenden großen Biographie ein neues Bild des bedeutendsten Vertreters des deutschen Idealismus, der nicht zuletzt auch der Begründer einer modernen Logik und des Gedankens eines sozialen Staates ist.

Über den Autor

Klaus Vieweg ist Professor für klassische deutsche Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und einer der international führenden Hegel-Experten.

Inhalt

Farbabbildung: Jena, Promenade auf der Ostseite des Stadtgrabens

Farbabbildung: Jena, Promenade auf der Ostseite des Stadtgrabens

Farbabbildung: Gebäude der Berliner Universität (Humboldt-Universität)

Farbabbildung: Gebäude der Berliner Universität (Humboldt-Universität)

Hinweise

Philosophieren heißt frei denken und frei leben zu lernen

1. Lebenslauf nach aufsteigender Linie – Der ‹verknüpfende Faden›

2. Der sehende Maulwurf und die geheime Polizei

I.: Die ‹liebe Vaterstadt› –
Kindheit und Jugend in Stuttgart
(1770–1788)

1. «Freunde, die dir nicht nach dem Munde reden, halte fest» – Der Stuttgarter Freundeskreis

2. Das Gymnasium Illustre –Eintritt in die intellektuelle Welt

3. Herantasten an die Wissenschaftund die Philosophie

4. Gesunder Menschenverstand und Wunderglauben – Hegels Lehrer Jakob Friedrich Abel

5. Antike und moderne Dichter – Kunst und Freiheit

6. Das ‹Kettenhaus› der Welt – Rousseau und Schiller

II.: ‹Mein Reich ist nicht von diesem Stift› –
Hegels Studienjahre in Tübingen
(1788–1793)

1. Das Tübinger Stift – Geist und Galeere

Ein langer Tag im Stipendium Theologicum

2. Französische Revolution als Morgenröte –Revolutionsbegeisterung im Stift

3. Das Studium der Theologie und Philosophie

4. ‹Das Ideal des Jünglingsalters› –Bildung und Volkserziehung

5. Der ‹theologisch-Kantische Gang› unddie ersten intellektuellen Herausforderungen

6. Grundzüge der intellektuellen Erkundungsgänge

1. Christentum und Volksreligion

2. ‹Wir sind zu weit von der Natur entfernt›:Moralität – Natur – Monismus

3. Die ‹Partei der Pyrrhoniker› und das ‹Tor des Zweifels›

4. Recht und Staat – Die ‹eine Republik›

5. Logik – Metaphysik – Epistemologie –philosophische Psychologie

7. Ins ‹Freiheitsland› – Vor dem Wechselzur Hofmeisterstelle nach Bern

III.: Hofmeister in einer Berner
Patrizierfamilie – Hegel in der Schweiz
(1793–1796)

1. Die Entstehung des Deutschen Idealismus

Ein Sommerabend in Tschugg

2. Eine mühsame und riskante philosophische Bergtour

1. Religionsbegriffe

2. Die Natur und das «Eine» Prinzip

3. ‹Das Eine, was die Mode[rne] streng geteilt› – Schiller contra Kant

4. Fichtes Freiheitsgedanke und Hegels erstes systematisch-philosophisches Fragment

5. Schellings Ich-Philosophie und Hölderlin

6. Die Schweizer Gründe und Abgründe des Zweifels – Die Dämonen und Gespenster des Skeptizismus

7. Staatsverfassung, Ökonomik und Republikanismus – Hegels Übersetzung einer girondistischen Kampfschrift

8. Absolutes und empirisches Ich

3. Eine veritable Lebenskrise

4. Neue Hoffnung – Auf dem Weg nach Frankfurt

IV.: ‹Wie alles sich zum Ganzen webt› –
Hegels Frankfurt-Homburger Gang vom
Fragmentenmosaik zu den Bausteinen
des Systems (1797–1800)

1. Die freie Reichsstadt Frankfurt

2. Hauslehrer bei der Familie Gogel

3. Die ‹Concentration auf das Systemische› – Der idealistische Monismus

4. Ein Bund enthusiastischer und skeptischer Geister – Hölderlin, Sinclair, Zwilling und Hegel

‹Sonnenklarer Bericht› über ein denkwürdiges Treffen in Frankfurt anno 1797

5. Eine idealistisch-monistische Konzeption der Vereinigung und des Lebens

1. Die Vereinigung freier Staatsbürger – Philosophieren und Politisieren

2. Gott – Ein Lebendiges, dessen Wesen Vereinigung ist

3. Julia und Romeo – Liebe als Anerkennungsform

4. Lebendige Wesen statt Pflichtlinge – Gegen Kant

5. ‹Das Ideal lässt Besonderheit zu› – Die Einheit von Vereinigung und Entzweiung

6. Schelling und der absolute Idealismus

7. Frankfurter Bilanz und der Abschied vom Main

V.: Hegels Jenaer Entdeckungsreise
ins Wissen – Die Entstehung des
Grundgedankens des absoluten Idealismus
(1801–1807)

1. In der Hauptstadt der Philosophie

1. Hegel als Paradiesvogel – Die Gartenwohnung

2. ‹Auf dem alten Fechtboden› – Hegels zweite Wohnung

3. ‹Ein gemütlicher junger Mann voll guter Laune› – Hegel und seine Jenaer Freundeskreise

2. Die Revolution im Ideensystem – Die erste Jenaer Phase

1. Das ‹Buch eines sehr vorzüglichen Kopfes› – Die Differenzschrift

2. Der neue Monismus

3. Gegen die ‹krankhafte Manier des Postulierens› – Philosophie als Wissenschaft

4. Denken der Freiheit – Fichte

5. Die Habilitation und die Empörung der Sternengucker über die Planetenschrift

6. Logik und Metaphysik – Erste Lehrversuche

7. Das hochkarätigste Seminar der Philosophiegeschichte – Das Disputatorium von Schelling und Hegel

3. Der ‹ungemeine Journalismus›der verrufenen ‹Absoluten zu Jena› – Das KritischeJournal von Schelling und Hegel

1. Die Fünf Tropen des Agrippa und der Zentralgedanke des absoluten Idealismus

2. Der Aufsatz Glauben und Wissen – Gegen das Grundmuster der Reflexionsphilosophie

3. Idealismus der Freiheit

4. Der Verfassungsentwurf für Deutschland

5. ‹Unser Dr. Hegel› – Die zweite Jenaer Phase

1. Der Geistbegriff

2. Die Wege von Hegel und Schelling trennen sich

3. Auf dem Weg zum Olymp des Denkens – Die Jenaer Systementwürfe

4. Zwei Weltseelen in Jena – Hegel und Napoleon

6. Die Phänomenologie des Geistes (1807) –Ein Jahrtausendwerk der Philosophie

1. Die vielköpfige Hydra der Bewusstseinsphilosophie

2. Das Anliegen der Phänomenologie

3. Die Struktur des Bewusstseins

4. Der Zusammenhang der Dimensionen des Programms

5. Die Selbstprüfung des Bewusstseins

6. Zur Kartographie des phänomenologischen Weges

1. Die Anfangsgestalt – Sinnliche Gewissheit und das Meinen

2. Vom Bewusstsein zum Selbstbewusstsein

3. Skeptisches Selbstbewusstsein – Hegels Rochade

4. Der Übergang zur Vernunft, zur Geiststruktur

5. Der Geist auf dem Weg zum begreifenden Denken

6. Der seiner selbst gewisse Geist – Die Moralität

7. A long and winding road – Im Labyrinth des Geistes

8. Vorstellung und Begriff – Übersetzung als notwendige ‹Änderung der Mitteilungsart›

9. Die Religion

7. Das absolute Wissen als begreifendes Denken

VI.: Der neue Bamberger Reiter
in der Zeitungsstube –
Hegel als politischer Journalist
(1807–1808)

1. Aus Saal-Athen ins kleine fränkische Rom

2. Die Phänomenologie des Geistes erblickt die Welt

3. Hegel als Redakteur der Bamberger Zeitung

4. Das Problem der Verständlichkeit von Philosophie

5. ‹Es ist sehr schön in und um Bamberg› – Hegels Gesprächskreise

6. Vom katholischen ins protestantische Franken

VII.: Nürnberg –
Das erste humanistische Gymnasium,
die große Logik und die kleine Familie
(1808–1816)

1. In der Stadt des Meistermalers und der Meistersinger

2. Der ‹spekulative Pegasus aus Not an den Schulkarren gespannt›? – Hegel als Rektor des ersten humanistischen Gymnasiums in Deutschland

1. Hegel und sein bester Freund Niethammer

2. ‹Der gebildete Mensch ist frei›

3. Wie lernt man denken? – Hegel als Philosophielehrer

3. «Dieser schönen Zeit ich immer mit Freude gedenke»

1. Der Vertraute Paul Wolfgang Merkel

2. Die intellektuelle Szene in Nürnberg

3. Dienst am Gemeinwohl und die aufkommende industrielle Welt

4. Die Heirat mit Marie von Tucher und die Geburt der Söhne Karl und Immanuel

5. Schwester Christiane und der Jenaer Sohn Ludwig

6. Im Vorfeld der Heidelberger Ästhetik – Hegel und die Kunstschätze Nürnbergs

7. Die drei Napoleon-Briefe Hegels an Niethammer

8. Die Wissenschaft der Logik – Hegels Hauptwerk

1. Die Wissenschaft der Logik – Der Grundstein des Hegelschen Systems und Grundlinien des Systems der Begriffsbestimmungen

2. Methode und Grundmuster der Hegelschen Logik

3. Sein – Wesen – Begriff: Eine Skizze der drei Stadien im Selbstbestimmen des Begriffs

4. Womit muss der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?

5. Erster Teil: Die Lehre vom Sein

6. Zweiter Teil: Die Lehre vom Wesen

1. Der ‹Horror vor dem Widerspruch› – Der Satz der Identität und der Satz vom Widerspruch als aufzuhebende Prinzipien der alten Logik

2. Die Einheit des Gegensatzes

7. Dritter Teil: Die Lehre vom Begriff

8. Die logische Idee als absolute Einheitvon Subjektivität und Objektivität

9. Der Fortgang von der Logik zur Naturphilosophie

9. Die Befreiung von «Schulplunderwesen» und «Katzenjammer» – Auf dem Weg zur akademischen Laufbahn

VIII.: Hegel auf dem Heidelberger
Philosophenweg – Die Eule der Minerva
am Neckar (1816–1818)

1. Familienleben bei Hegels in Heidelberg

2. William Turners malerisch-romantische Neckarlandschaft

3. Der erste Philosoph in Heidelberg

4. «Alles athmet hier einen freyen, heiteren Geist»

5. Die Boisserée-Sammlung, Creuzer und Jean Paul

6. Der Württemberger Verfassungsstreit – Der ‹Gott der Landstände› Paulus bricht mit Hegel

7. Das illustre Völkchen der Hörer und Schüler

8. Hegel und die Heidelberger Burschenschaft

9. Die ‹Sonnenbahn der begreifenden Erkenntnis› – Hegels Heidelberger Enzyklopädie

IX.: Berlin – Der ‹große Mittelpunkt›
und Hegels Aufstieg zu Weltgeltung
(1818–1831)

1. Erste Eindrücke vom Leben in der preußischen Metropole – November 1818 bis Herbst 1819

2. Hegels erste Monate in der Leipziger Straße

3. Die Karlsbader Beschlüsse

4. Drei Thüringer Hegel-Anhänger in Berlin – Gustav Asverus, Friedrich Förster und Leopold von Henning

5. Hegels Rechtsphilosophie als Philosophieder Freiheit und Gerechtigkeit

1. Der verfemte Doppelsatz

2. Die Eule der Minerva

3. Das praktische Universum

4. Erster Teil: Das abstrakte Recht und die Freiheit der Person

5. Zweiter Teil: Die Moralität – Die Freiheit des moralischen Subjekts

1. Absichten und Resultate des Handelns – Deontologie und Konsequentialismus als zwei einseitige ethische Standpunkte

2. Kants kategorischer Imperativ und Hegels Kritik an der moralischen Weltauffassung

6. Dritter Teil: Die Sittlichkeit – Die Theorie der sozialen und politischen Selbstbestimmung

1. Die Einheit des objektiv und des subjektiv Sittlichen – Sittliche Institutionen und sittliches Selbstbewusstsein

2. Die erste Stufe der Sittlichkeit: Die Familie

3. Die zweite Stufe der Sittlichkeit: Die bürgerliche Gesellschaft – Die ‹in ihre Extreme verlorene Sittlichkeit›

Das System der Bedürfnisse – Die industrielle Marktordnung

Die zweite Stufe der bürgerlichen Gesellschaft: Die Rechtsordnung

Die dritte Stufe der bürgerlichen Gesellschaft: Steuerung und Regulierung

4. Die dritte Stufe der Sittlichkeit: Staat und Freiheit – Die ‹Staatswissenschaft› als moderne Theorie der Freiheit und Gerechtigkeit

Der Staat als die Wirklichkeit der sittlichen Idee –‹Bürgersein› oder ‹Bürgerschaft›

Der Staat als Ganzes von drei Schlüssen

Gegen den Polizeistaat

Staat – Religion – Wissenschaft

6. Spuren langer und anstrengender Beschäftigung – Konzentration auf den Gravitationspunkt Berlin

7. Neue Ausblicke vom Kupfergraben und neue Sorgen

8. ‹Dem Absoluten empfiehlt sich schönstens zu freundlicher Aufnahme das Urphänomen› – Goethe und der Berliner Hegel

9. Hegel und die Berliner Kunstszene

1. Das Theater als heilige Stätte

2. Die Berliner Literaturszene – Hegel, Heine und das Junge Deutschland

3. Von Zelter bis Mendelssohn Bartholdy, von Mozart bis Rossini

4. Die bildende Kunst und die Berliner Schule der Kunstgeschichte

10. Hegels europäische Streifzüge

1. Dresden

2. Aufbruch ins Ausland – Die Reise in die Niederlande (1822)

3. Das ‹Geschwelgthaben in geistigen Genüssen› – Prag und die Habsburger Metropole Wien (1824)

4. Auf dem Esel zu Rousseau – 1827 in Paris

5. Die letzte Auslandsreise nach Teplitz, Prag und Karlsbad – Zur Erholung und zu Schelling

11. ‹Er dachte seinen Zuhörern etwas vor› – Hegel als Berliner Professor

12. Die Berliner Enzyklopädie und die legendären Berliner Vorlesungszyklen

1. Erster Teil: Die Logik als Wissenschaft der Idee an und für sich

2. Zweiter Teil: Die Philosophie der Natur

1. Natürlicher Raum und natürliche Zeit

2. Die Wahlverwandtschaft

3. Der Zweck oder die Teleologie

4. Der Klang oder der Ton

3. Der dritte Teil: Die Philosophie des Geistes – Das geistige Universum

1. Die Lehre vom subjektiven Geist

Der Übergang vom subjektiven zum objektiven Geist –Der freie Geist und der vernünftige Wille

2. Die Lehre vom objektiven Geist – Die enzyklopädische Rechtsphilosophie

El gran teatro del mundo – Hegels Philosophie der Weltgeschichte als denkende Betrachtung des menschlichen Geschehens in freiheitlicher Absicht

Die orientalische Welt als Anfang der Geschichte

Die moderne Welt und das Ende der Geschichte

3. Die Lehre vom absoluten Geist: Kunst – Religion – Philosophie

Die Philosophie der Kunst – die Ästhetik

Die Philosophie der Religion

Die Philosophie als Wissenschaft und ihre Geschichte

13. Die Hegel-Zeitung – Die ersten Jahrgänge des Jahrbuchs für wissenschaftliche Kritik

14. Die letzten Monate – Das Rektorat und die dritte Enzyklopädie

1. ‹Liberal, voll Anteil für die französische Revolution, für englisches Freiheitsleben›

2. Monte Croce – Das ‹Schlößchen am Kreuzberg›

Nachrufe

Dank

Anhang

Verwendete Abkürzungen

Anmerkungen

Philosophieren heißt frei denkenund frei leben zu lernen

I. Die ‹liebe Vaterstadt› –Kindheit und Jugend in Stuttgart(1770–1788)

II. ‹Mein Reich ist nicht von diesem Stift› –Hegels Studienjahre in Tübingen(1788–1793)

III. Hofmeister in einer BernerPatrizierfamilie – Hegel in der Schweiz(1793–1796)

IV. ‹Wie alles sich zum Ganzen webt› – Hegels Frankfurt-Homburger Gang vom Fragmentenmosaik zu den Bausteinen des Systems (1797–1800)

V. Hegels Jenaer Entdeckungsreise ins Wissen – Die Entstehung des Grundgedankens des absoluten Idealismus (1801–1807)

VI. Der neue Bamberger Reiter in der Zeitungsstube – Hegel als politischer Journalist (1807–1808)

VII. Nürnberg – Das erste humanistische Gymnasium, die große Logik und die kleine Familie (1808–1816)

VIII. Hegel auf dem Heidelberger Philosophenweg – Die Eule der Minerva am Neckar (1816–1818)

IX. Berlin – Der ‹große Mittelpunkt› und Hegels Aufstieg zu Weltgeltung (1818–1831)

Bibliographie

Primärliteratur – Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Werke

Nachschriften von Vorlesungen

Bibliographien zu Hegel

Ungedruckte Quellen

Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin

Goethe- und Schiller-Archiv Weimar

Landesarchiv Berlin

Stadtarchiv Nürnberg

Universitätsbibliothek Erlangen

Andere Primärliteratur

Sekundärliteratur

Biographien über Hegel

Zu Hegels Gesamtwerk

Weitere Sekundärliteratur

Arbeiten bzw. biographische Vorarbeiten des Verfassers zur Biographie Hegels

Monographien/Sammelbände

Aufsätze (Auswahl)

Bildnachweis

Personenregister

ZUM 250. GEBURTSTAG VON GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL

Gewidmet dem kongenialen Hegel-Biographen
Karl Rosenkranz

Hoffen wir, dass uns demnächst eine detaillierte Biographie vorliegt, geschrieben ohne Hass und Gunst, nur inspiriert von dem Wunsch zu zeigen, was sich an Charakteristischem in so einer bemerkenswerten Persönlichkeit verbirgt, in das Innerste ihres Lebens einführt und uns einen Hegel zeichnet mit all seinen Facetten, als Mensch, als Gelehrter, als Staatsbürger.

Joseph Willm, Essai sur la philosophie de Hegel (1836)

Farbabbildung: Jena, Promenade auf der Ostseite des Stadtgrabens

Farbabbildung: Gebäude der Berliner Universität (Humboldt-Universität)

Hinweise

Doppelte Anführungsstriche zeigen wörtliche Zitate an, einfache Anführungsstriche zumeist sinngemäße Zitate. Kursivierungen werden für Werk- und Vorlesungstitel, fremdsprachliche Ausdrücke und Hervorhebungen des Autors eingesetzt.

Der Text enthält drei fiktive Passagen, auf biographischen Daten beruhend. Beispielsweise sind alle Ereignisse des geschilderten Tages im Tübinger Stift belegt, fanden aber nicht an einem Tage statt. Zur Legitimation dieses literarischen Mittels vgl. Hermann Kurzkes Büchner-Biographie Georg Büchner. Geschichte eines Genies (20 f.). Diese Form wird nur äußerst sparsam bei drei Lebensstationen des jungen Hegel eingesetzt, da dort erhebliche Lücken in der Überlieferung bestehen und die Autorschaft des sogenannten Ältesten Systemprogramms des Deutschen Idealismus bislang nicht geklärt werden konnte. Die Passagen sind in einer anderen Schriftart gesetzt.

Philosophieren heißt frei denken und frei leben zu lernen

Als ein Maler Goethe um das Porträt des berühmtesten Mannes des Zeitalters bat, soll der Dichter geantwortet haben, der Künstler müsse zuerst Hegel in Berlin malen, dann aber geschwind nach Weimar zu ihm zurückkommen. Georg Wilhelm Friedrich Hegel wurde unter einem glücklichen, mit Shakespeare gesprochen, unter einem tanzenden Stern geboren: Er kann als der Großmeister der neuzeitlichen Philosophie gelten, als der berühmteste moderne Philosoph. Vernunft und Freiheit bilden die beiden Grundpfeiler, auf denen Hegels Philosophiedom errichtet wurde. Im Denken der Freiheit liegt der Kernimpuls seines vielfach verschlungenen Lebens- und Denkweges. Friedrich Hölderlin sprach von der ‹Freiheit heilig Ziel›, Schelling von der ‹Freiheit als A und O der Philosophie› und Schiller vom ‹Reich der Vernunft als einem Reich der Freiheit›. Im Anschluss an diese schwäbischen Geistesverwandten, jenem nach Heinrich Heine ‹blühenden Wald großer Männer, der dem Boden Schwabens entsprossen, jenen Rieseneichen, die bis in den Mittelpunkt der Erde wurzeln und deren Wipfel hinaufragt bis an die Sterne›, lautete Hegels Credo: Philosophieren heißt, frei leben zu lernen. Ein von überlebten Klischees und grotesken Lügenmärchen befreites Hegel-Bild soll gezeichnet werden. Ungeachtet der Bedachtsamkeit in der Entwicklung seines Philosophierens gleicht der intellektuelle Weg Hegels einer Odyssee im Denkraum, aber auch sein Lebensweg verläuft ereignisreich und voller Spannungen und Kontraste, oft auf höchst gefährlichem Terrain.

Die Lebensbahn bewegt sich von Kindheit und Jugend in der herzoglich-württembergischen Residenzstadt Stuttgart, wo Lehrer und Professoren schon das Talent des Gymnasiasten erkennen, über die Studienjahre im Universitätsstädtchen Tübingen, hier zusammen mit Hölderlin und Schelling beim Studium der Theologie und in der intellektuell einzigartig besetzten Studentenbude der Philosophiegeschichte, hin zum Hofmeister- und Hauslehrerdienst im aristokratischen Bern und der idyllischen Rousseau-Landschaft am Bieler See sowie in der freien Reichsstadt Frankfurt am Main, wo im ‹Bund der Geister› – Hölderlin, Sinclair, Zwilling und Hegel – neue Denkexperimente gewagt werden. Von der unbezahlten Privatdozentur und dem Zusammenwirken mit Schelling im Saale-Athen Jena, der Hauptstadt der Philosophie, sowie der fulminanten Krönung durch ein philosophisches Jahrtausendwerk, der Phänomenologie des Geistes, führt der Weg nach Franken, ins neue Königreich Bayern, zuerst als Redakteur auf der Zeitungsgaleere im katholischen Bamberg, dann als Schulrektor und Gründer des ersten humanistischen Gymnasiums Deutschlands im protestantischen Nürnberg, wo Hegels Hauptwerk Wissenschaft der Logik erscheint. Dann folgt die erste Professur im romantischen Heidelberg, verbunden mit der Veröffentlichung der ersten Enzyklopädie, und schließlich das Wirken im königlich-preußischen ‹Mittelpunkt›, in Berlin und an seiner Universität, mit dem Aufstieg zum herausragenden Philosophen des Zeitalters.

In historisch turbulenten Jahren lernt Hegel berühmte Zeitgenossen kennen wie Hölderlin und Schelling, Schiller und Goethe, die Brüder Friedrich und August Wilhelm Schlegel, Jean Paul, Friedrich Schleiermacher, die beiden Humboldts, Felix Mendelssohn Bartholdy, Ludwig Feuerbach und Heine, um nur die Prominentesten zu nennen. Hegel unterhält sich mit dem preußischen König und seinem Thronfolger und parliert mit der Frau des Letzteren, er flaniert mit dem Weimarer Herzog Karl August und Goethe im Schloss Belvedere und bewundert in Jena Kaiser Napoleon. Er steht in Verbindung mit vielfältigen Zirkeln und pflegt Kontakte zu seinen beiden engsten Freunden, erst Hölderlin und dann Friedrich Immanuel Niethammer.

Hegel soll jedes Jahr am 14. Juli, dem Tag des Beginns der Französischen Revolution, ein Glas Champagner genossen haben. Diese Revolution war das prägende historische Ereignis seines Lebens und Denkens. Der Philosoph Hegel war stets ein politicus, ein sich zu politischen Fragen öffentlich positionierender Mensch, der sein ganzes Leben hindurch als vehementer Verteidiger der Grundgedanken der Französischen Revolution auftrat. Er feierte die Revolution als ‹herrlichen Sonnenaufgang› der modernen Welt, als ‹Morgenröte› freier Existenz. Das Denken der Freiheit durchzieht als Grundmotiv sein gesamtes Leben: War er in seiner Jugendzeit Bewunderer von Schillers gegen die Unterwürfigkeit geschriebenen Räubern und dem Fiesco, wird er in den Tübinger Jahren einer der Wortführer eines revolutionär-republikanischen Studentenkreises und auch enger Vertrauter des Revolutionsanhängers, Publizisten und Dichters Gotthold Friedrich Stäudlin. In Bern konspirierte er mit den aus Paris gesendeten Revolutionären Konrad Engelbert Oelsner und Georg Kerner und beginnt die Übersetzung einer Kampfschrift des Girondisten Jean Jacques Cart aus dem Waadtland. In Frankfurt steht er in enger Verbindung mit den Stuttgarter Oppositionellen um Christian Friedrich Baz und Carl Friedrich von Penasse, ebenso mit führenden Köpfen der Mainzer Republik wie Franz Wilhelm Jung, und vermittelt einen Brief an den berühmten Revolutionär Abbé Emmanuel Joseph Sieyès nach Paris, was den Tatbestand des Hochverrats erfüllt. Sowohl die genannten Berner wie auch die Stuttgarter und Frankfurter Aktivitäten sind in den Geheimpolizeiakten registriert. Hegel legt einen Verfassungsentwurf für Württemberg vor und publiziert anonym die Übersetzung der girondistischen Cart-Schrift. In Jena erarbeitet Hegel ein Konzept für eine föderative, moderne Verfassung Deutschlands und ist fasziniert von der Weltseele Napoleon, den er nach Jena hineinreiten sieht. In Bamberg wirkt er als politischer Journalist und erklärter Anwalt der Napoleonischen Gesetzgebung, auch steht er in bester Verbindung mit einer interessanten Figur der Mainzer Republik, Meta Forkel-Liebeskind. In Nürnberg verkehrt er mit dem Elsässer Revolutionsfreund Justus Christian Kießling, der sein Haus mit einem Freiheitsbaum und der Trikolore schmückt. Hegel pflegt freundschaftlichen Kontakt mit seinem Heidelberger Kollegen Philipp Christoph Heinrich Eschenmayer, einem der Hauptangeklagten im württembergischen Jakobinerprozess von 1800, der als eine der Zentralfiguren der republikanisch-demokratischen Kräfte zu zwei Jahren Kerkerhaft verurteilt wurde. Eine der beiden Strömungen der Heidelberger Burschenschaft, die antinationalistische Richtung, trug nicht zufällig den Namen «Hegelianer», geführt von Hegels erstem Assistenten Friedrich Wilhelm Carové, der die inhaltlich wichtigste Rede zum Wartburgfest hält. In Berlin avanciert Hegel zum intellektuell bedeutendsten Gegenspieler des Restaurationsgeistes, zu einem Denker, der von der reaktionären Hofpartei und ihrem Oberschnüffler Karl Albert von Kamptz des Republikanismus verdächtigt wird, maßgebend hierbei Hegels vernichtende Attacke auf einen der Hauptideologen der Restauration, Karl Ludwig von Haller. Auch opponiert er mit seiner Rechtsphilosophie ausdrücklich gegen den Kopf der Historischen Rechtsschule, Carl Friedrich von Savigny, der den napoleonischen Code civil als ein revolutionäres Krebsgeschwür ansieht und sich gegen die Konzeptionen des Vernunftsrechts wendet. Hegel wirkt engagiert als Fürsprecher seiner nach den Karlsbader Beschlüssen eingekerkerten Schüler Karl Ulrich, Leopold von Henning und Gustav Asverus. Letzterem wurde nichts weniger als die Mitgliedschaft in hochverräterischen Verbindungen zur Last gelegt. Für Asverus, dem E. T. A. Hoffmann mit seinem Meister Floh ein Denkmal setzt, bürgt der Berliner Professor, stellt Kaution und erreicht schließlich nach langen Jahren die Einstellung des Verfahrens, stellt sich öffentlich gegen Willkürjustiz. Wie schon in Bern und Frankfurt hat die geheime Polizei alles dokumentiert. Hegel steht klar auf der Seite der des Landesverrates, des Jakobinismus, der ‹Demagogie› und des Umsturzes Beschuldigten – er lebt gefährlich. Dies belegt ebenso der riskante Seiltanz in der Affäre um den französischen Kollegen und Hegel-Hörer Victor Cousin wie der Kontakt zu einflussreichen Restaurationskritikern in Paris. Als ein Beispiel für Hegels Unterstützung antirestaurativer Bewegungen steht seine Sympathie für den Freiheitskampf des griechischen Volkes. Hegels zuletzt publizierte Arbeit, die Reformbill-Schrift, beinhaltet ein politisches Statement im Sinne der notwendigen Fortführung der Revolution in Gestalt progressiver Reformen und zeigt zum letzten Mal den alten Politikus und Seismographen seiner Zeit, der sich nicht in ein philosophisches Wolkenkuckucksheim zurückzieht. Als Fingerzeig auf die Wirkungen des Hegelschen Denkens sei nur eine Stimme vorweggeschickt: Johann Georg August Wirth, einer der bekannten Schüler in Hegels Nürnberger Gymnasium und einer der Protagonisten des Hambacher Fests schrieb das wohl höchstmögliche Lob auf seinen Lehrer: Hegel habe den ‹unsterblichen Funken der Freiheit in ihm entzündet›.

Die Stadien des keineswegs geradlinigen, sondern von Brüchen gezeichneten Denkweges werden in dieser intellektuellen Biographie in ihren Grundzügen erschlossen: In seinen Lehr- und Studienjahren bis 1796 tastet sich der junge Hegel vor allem durch gründliche Lektüre der Schriften von Aristoteles, Platon, Rousseau, Kant und Fichte langsam an das Philosophieren heran und bringt erste Versuche zu Papier, die viel versprechen und einen künftigen Denkgiganten erahnen lassen. Dies gilt auch für das in seinen Frankfurter Jahren gezeichnete ‹Fragmentenmosaik›, in welchem schon einzelne Momente seiner späteren Ideen hervorleuchten. Als sein Ziel benennt er jetzt die Fortführung der Transzendentalphilosophie von Kant und Fichte, dieser ‹Revolution im Ideensystem›. Im Mekka der Philosophie, im Jena der Jahre 1801 bis 1806, gelingt schließlich in mühevoller Arbeit die Konzipierung seines Grundgedankens eines absoluten Monismus als Idealismus der Freiheit, der dann in den kommenden Jahren von Bamberg über Nürnberg, Heidelberg und Berlin weiter ausgearbeitet und fortentwickelt wird.

Hegel hat vier Werke allerersten Ranges geschrieben: erstens die Jenaer Phänomenologie des Geistes als faszinierendste Abhandlung, zweitens die Bamberger und Nürnberger Wissenschaft der Logik als das zweifellos bedeutendste fundamentale Werk, das eine moderne Logik bietet, drittens die Heidelberger und Berliner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften als das zentrale systematische Opus, welches die Grundzüge der Gesamtarchitektonik zeichnet, sowie schließlich viertens die Berliner Rechtsphilosophie, die wirkungsmächtigste und umstrittenste Schrift. Einige ganz wenige Juwelen aus den Hegelschen Schatztruhen: Zusammen mit Schelling leitet er in Jena das wohl hochkarätigste Seminar der Philosophiegeschichte und prägt mit seinen fulminanten Beiträgen eine der wichtigsten philosophischen Zeitschriften überhaupt, das mit Schelling herausgegebene Kritische Journal der Philosophie. Er bestimmt mit seiner furiosen Phänomenologie den Anfang des Philosophierens und ist der Begründer einer modernen Logik als neuer Metaphysik. Er liefert maßgebliche Bausteine für eine philosophische Theorie des Zeichens und der Sprache. Hegel gilt, Eugen Gombrich zufolge, als Vater der Disziplin Kunstgeschichte; seine Malerei-, Musik- und Literaturästhetik ist bis heute einschlägig und in ihrer philosophischen Tiefe anerkannt. Seine Berliner Vorlesungszyklen waren legendär, die Berliner Studenten schrieben markante Sätze an die Mauern des Universitätsgebäudes. Hegel entwirft Grundlinien für eine Gesellschafts- und Staatstheorie der Moderne, mit der epochemachenden Unterscheidung von bürgerlicher Gesellschaft und Staat revolutioniert er das philosophische Denken des Politischen und wird zu einem der Gründerväter der Soziologie. Er konzipiert die erste und bis heute tiefgründigste philosophische Theorie eines sozialen Staates, letztere neben der innovativen philosophischen Logik wohl sein bedeutendster Beitrag zum Denken in der modernen Zeit.

Die vorliegende Biographie soll ein Plädoyer für das durchgängige, die gesamte Lebensgeschichte prägende Credo Vernunft und Freiheit sein, der Versuch, entlang dieses ‹verknüpfenden Fadens› die Vita nachzuzeichnen. Diese Entdeckungsreise in ein Philosophenleben soll dessen Hauptstadien darstellen, immer im Wissen darum, dass dieses Porträt ganz im Hegelschen Sinne 77 Mal umzuarbeiten sei. Sich mit diesem Großmeister des Denkens auf ein solch ernstes Spiel einzulassen grenzt ohne Zweifel an Vermessenheit, bleibt auf jeden Fall eine riskante Herkules-, wenn nicht eine Sisyphus-Aufgabe. Den ‹ganzen Prozeß zu schildern, den Hegel in seinem Denken individuell durchlebt hat, bleibe unendlich schwer›, was Rosenkranz verzweifelt, aber zu Recht ausrufen ließ: ‹In was für ein Labyrinth ich geraten bin›.

Allein einige Beispiele aus dem weitgespannten Spektrum von Lobeshymnen und Verteufelung, von weltweiter Wertschätzung einerseits und der Unzahl unsachlicher, teils perfider Kritiken andererseits verdeutlichen die ungeheure Herausforderung: Schiller und der Jenaer Schelling sahen einen vorzüglichen und gründlichen philosophischen Kopf am Werke, Goethe respektierte Hegel als den bedeutendsten Philosophen seiner Epoche, man beschrieb die Phänomenologie des Geistes als ‹das Grundbuch der Freiheit›. Andere sahen einen ‹Fanatismus der Gottlosigkeit›, Pantheismus und Atheismus am Werk, man rief nach Polizei und Inquisition. Ein Rezensent diagnostizierte in Hegels Jenaer Differenzschrift einen ‹todbringenden Virus›, nämlich das begreifende Denken. Schopenhauer hielt Hegel für einen Scharlatan, der bombastischen Unsinn und Humbug verbreite. Laut Jakob Friedrich Fries sei Hegels ‹metaphysischer Pilz auf dem Misthaufen der Kriecherei gewachsen›, der ‹Prophet unter den preußischen Bütteln habe die Peitsche des Liberalenfressers und Oberzensors von Kamptz geküßt›. Es entstand die völlig abwegige Einschätzung der Hegelschen Philosophie als der ‹wissenschaftlichen Behausung des Geistes der preußischen Restauration›. Mit besserem Gespür urteilten die reaktionäre Hofpartei in Preußen und ihr radikaler Kämpfer gegen die ‹jakobinischen Ketzer und Umstürzler› von Kamptz: Sie verdächtigten Hegel als Anhänger der französischen Revolutionäre und ‹unseligen Mystizisten›, auch der König hielt den Philosophen für einen suspekten Republikanhänger. Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. engagierte später Schelling, um die ‹Drachensaat des Hegelschen Pantheismus› zu vernichten, und Kaiser Wilhelm II., auf den verwahrlosten Zustand der Gräber auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof angesprochen, erklärte, dass in seinem Reiche für Kerle wie Fichte und Hegel kein Platz sei. Für den NS-Ideologen Alfred Rosenberg galt der Philosoph als undeutscher, unvölkischer Kosmopolit, als ein Freiheitsschwärmer, der den verhängnisbringenden Ideen von 1789 anhing. Für Carl Schmitt war Hegel am 30. Januar 1933 mit der Machtergreifung Hitlers endgültig erledigt. Karl Raimund Popper hingegen verunglimpfte Hegel in perfider und von jeder Sachkunde freien Weise als Vordenker des Totalitarismus, und Ernst Cassirer diskreditierte ihn als den perfekten philosophischen Wegbereiter des Faschismus.

Der preußische Minister Karl Freiherr von Stein zum Altenstein erkannte in Hegel einen ‹Stern erster Größe›. Ohne Hegel, so ein Hörer von dessen Vorlesungen, wäre der Lebensnerv der Moderne nicht zu erfassen, der Burschenschaftler Carové hielt seinen Lehrer für den ‹tiefsten Denker der neuen Zeit›. Als ‹deutscher Aristoteles› eröffne Hegel ‹eine neue Epoche in der Geschichte der Philosophie›, indem er der Philosophie die strenge Form der Wissenschaft zu geben versuche. Karl Marx, der Hegels ‹groteske Felsenmelodie› durchaus schätzte, bezeichnete den absoluten Idealisten als seinen vom Kopf auf die Füße zu stellenden bourgeoisen Vorläufer. Nur hatte Hegel schon ausgesprochen, dass man sich beim Philosophieren auf den Kopf, mithin auf das Denken stellen muss, dass alle Philosophie Idealismus ist. Der späte Friedrich Nietzsche bedauerte es, in seinem Umgang mit Hegel der ‹unintelligenten Wut› Schopenhauers gefolgt zu sein, eine Wut, die bis heute grassiert. 200 Jahre Wirkungsgeschichte von Hegels Philosophie – ein Ozean von höchst unterschiedlichen und gegenläufigen Interpretationen, woraus zwei Kuriosa angefügt werden sollen: 1839 wird von der Berlin-Potsdam-Eisenbahn eine neue Lokomotive auf den Namen Hegel getauft. Im 19. Jahrhundert baut der aus Thüringen stammende Hegel-Hörer August Röbling, den der Berliner Professor höchst geschätzt haben soll, die Brooklyn Bridge, eines der bekanntesten Bauwerke der Moderne. Lokomotive und Brücke könnten zwei treffende Metaphern für ein an Hegel anschließendes Philosophieren sein – der Baumeister der Brooklyn Bridge hatte in seinem Reisegepäck nach New York jedenfalls ein Exemplar von Hegels Enzyklopädie.

Heute gilt Hegel manchen als Logizist oder Ontotheologe, als letzter abendländischer Metaphysiker oder gar als Fall für die Rumpelkammer der Philosophie, anderen hingegen als tieflotender Denker von Modernität, Recht und Freiheit, fundiert auf den Gedanken eines sozial gestalteten Staats. In den vergangenen Jahren erleben wir eine erstaunliche Hegel-Renaissance, ein Comeback seines monistischen Idealismus, selbst in den Gefilden der analytischen Philosophie, wo Hegels moderne Logik zumeist ignoriert wird. Gar in die New York Times schaffte er es unter der Überschrift «Hegel on Wall Street»: Seiner praktischen Philosophie als Denken der Freiheit gelinge es, so Jay M. Bernstein, die Verbindung von moderner Individualität und freiheitsgarantierender Gemeinschaften und Institutionen zu denken. Andere Forschungen sehen Hegels Freiheitsbegriff grundlegend in der von ihm diagnostizierten Fähigkeit der Menschen, die Perspektive eines Anderen anzunehmen und Freiheit als das Bei-sich-selbst-Sein im Anderen seiner selbst zu verstehen. Hegel ist der ‹erste gewesen, der den Menschen wirklich als soziales Wesen begriffen und das normative, freiheitliche Moment des Denkens herausgestellt hat› (Michael Tomasello). Das Potential an Ideen, welches der Idealist dem Nachdenken bietet, ist jedenfalls viel umfangreicher und fruchtbarer als dasjenige einiger jüngerer Gestalten der Philosophiegeschichte, die in ihrer Eitelkeit und Vermessenheit meinen, Hegel überwunden zu haben, oder eine nachmetaphysische Ära verkünden.

In der faszinierenden Biographie von Karl Rosenkranz aus dem Jahre 1844 empfiehlt der Autor, bei der Zeichnung des Lebensporträts des Philosophen den ‹Muth nicht sinken zu lassen, um diesen gewaltigen Stoff zu bezwingen›. Der Biograph dürfe hoffen, dass sich die Konzentration der Darstellung auf die ‹Grundanschauung› und den ‹verknüpfenden Faden› des Lebenswerkes bewähre. Auch wenn die eingefleischten Gegner der Hegelschen Denkungsart sein Vorhaben für untergegangen halten, so handele es sich laut Rosenkranz um ‹eine Illusion, mit welcher sich die Verächter schmeicheln, wäre Hegels Philosophie schon tot, so müsste man über die heutige Polemik staunen›. Der absolute Idealist provoziert noch im 21. Jahrhundert verschiedene Lager der Philosophie. Noch heute ‹ernähren sich Hegels Gegner von der Polemik gegen ihn›, sie ‹proklamieren sich zu den Siegern des Tages› und werden dafür in populären Medien gefeiert, obschon sie sich in den Irrgärten ihrer bloßen Hypothesen verirren und ungeniert mit unbewiesenen Annahmen operieren. Aber Philosophieren verlangt das ernsthafte, gründliche und mühselige Arbeiten im Geiste eines Aristoteles und Kant, das Hegel als Maßstab diente.

Rosenkranz war sich der riskanten Gratwanderung bewusst, für die Biographie Lebens- und Denkweg miteinander glücklich zu verknüpfen. Dennoch wird dem breiten Publikum in seinem Buch (wie auch in dem vorliegenden) ‹viel zu viel Philosophie sein›, und die Philosopheninnung wird zu wenig Philosophisches finden – eine echte Zwickmühle. In der Biographie eines Philosophen muss natürlich die ‹Geschichte seines Philosophierens› zu finden sein, aber sie kann keinesfalls Monographien über sein Denken ersetzen. Ein Nürnberger Gymnasiast, der Hegel als Lehrer und Schulrektor erlebte, notiert 1844: «Man sage nur nicht, es sey das Leben eines solchen Mannes schon in seinen Werken niedergelegt und seine Privatverhältnisse seyen etwas ganz Unerhebliches und Unwesentliches; es ist vielmehr ganz gewiß, daß System und Leben nur Hand in Hand gehen, Eines das Andere erläutern und ergänzen muß, und daß die Totalität des Menschen nur in dem Einklange Beider zu finden ist.»[1] Einer Einschätzung von Rosenkranz soll jedoch gleich anfangs widersprochen sein: Hegels Leben war ‹an sich so einfach, so mit einem Blick überschaulich, schlicht und ohne allen pikanten Schimmer von Intrigen und Geheimnissen›, seine Biographie entbehrt ‹des Reizes großer Contraste›. Heute kann ein viel bunteres, keineswegs monotones und durchaus von echten Erfolgen und bitteren Enttäuschungen, Brüchen und Krisen geprägtes Bild des Lebens des Philosophen gezeichnet werden, wozu auch viele Episoden und Anekdoten beitragen, dabei kommt Überraschendes, Spannendes, Pikantes, Humoristisches, Bizarres und Skurriles ans Licht. Vorweg einige dieser Facetten seiner Persönlichkeit: der junge Stuttgarter Gymnasiast, den seine Lehrer außerordentlich schätzen; der jungen Frauen gar nicht abgeneigte Theologiestudent, der wegen Vagabundierens und Sauferei im Karzer sitzt; der seit 1789 beständige konspirative Anhänger der Französischen Revolution, der ob des Terrors der Jakobiner in Zweifel gerät; der genau beobachtende Alpenwanderer durch die Schweiz; der Vater eines unehelichen Sohnes und galant-frivole Begleiter Jenaer und Bamberger Damen; der seine Schüler zum freien Denken erziehende Gymnasialrektor; der sich in aller Vorsicht und listig den Zugriffen der Geheimpolizei und Zensur entziehende Gelehrte; der in Berliner Salons und Kneipen verkehrende und mit hübschen Opernsängerinnen flirtende Professor; der penible Verwalter des familiären Haushaltsbuches; der Karten spielende, passionierte Weintrinker; der kuriose Kommunikationen pflegende Spaziergänger durch Berlin; der Besucher der von ihm so titulierten Hauptstadt der zivilisierten Welt Paris; der Bewunderer der holländischen Malerei, von Shakespeare, Cervantes, Jean Paul, Mozart und Rossini; der Freund von republikanisch orientierten Studenten, Dichtern, Malern, Schauspielerinnen und Operndiven.

Sicher erscheint Hegels Laufbahn als ein ‹stilles Processieren seiner Intelligenz›, ein ‹continuirliches Fortarbeiten›, aber sein Lebens- wie sein Denkschiff war nicht nur im ruhigen, sondern oft im stürmischen Gewässer unterwegs, mitunter nahe den Klippen und dem Schiffbruch. 1819, kurz nach den Karlsbader Beschlüssen, welche die Metternichsche Restaurationspolitik zementierten, schreibt der zu dieser Zeit schon bekannte und renommierte Berliner Professor: «Ich bin gleich 50 Jahre alt, habe 30 davon in diesen ewig unruhvollen Zeiten des Fürchtens und Hoffens zugebracht und hoffte, daß sei einmal mit dem Fürchten und Hoffen aus. [Nun] muß ich sehen, daß es immer fortwährt, ja, meint man in trüben Stunden, immer ärger wird.» 30 Jahre zuvor, 1789, hatte mit dem Sturm auf die Pariser Bastille die Französische Revolution begonnen. Nach außen haben wir es wohl mit einem vorsichtig agierenden, gemächlich und gründlich prüfenden, ruhigen Verstandesmenschen (Hölderlin) zu tun, in dessen Inneren aber eine nur mühsam gebändigte vulkanische Lava brodelte. Sein Philosophieren war kein Flanieren an den Ufern von Neckar und Saale, kein beschauliches Wandern durch den Thüringer Wald, sondern glich einer hochriskanten Perlenfischerei: Man könne zusehen, «wie sein Gedanke untertauchte in die Tiefe der Welt; also stöhnt er, sein Geist litt schwer und rang in abschüssigen Tiefen» bevor er «im Triumph die teuren Perlen hervorbrachte, welche er in den dunklen Abgründen des Alls erbeutet hatte».[2] Die Nachtseiten des Denkers samt den zerstörerischen Kräften, die in ihm gewirkt haben, dürfen nicht unterschlagen werden. Mitunter schien es, als wäre er ‹unter einem wankelmütigen Stern geboren› worden. Die ‹Sonnenbahn der begreifenden Erkenntnis› (Boris von Uexküll), das wusste Hegel genau, verläuft im eiskalten Kosmos und in totaler Einsamkeit. Auf Hegels Lebensbild kann nicht die bleichgesichtige Denkerstirn, sondern muss der lebenslustige, humorvolle, oft von inneren und äußeren Kämpfen zerrissene Mensch, der Zeitgenosse einer von turbulenten Umbrüchen geprägten Epoche zu sehen sein. Hilfe hierzu bieten Hegels eigene Reflexionen über das Genre der Biographie in Prosa sowie über die poetischen Lebensläufe in aufsteigender Linie, um es mit dem Titel eines aus der Feder des Kant-Freundes Theodor Gottlieb von Hippel stammenden Lieblingsromans Hegels zu sagen, den die Tübinger Troika Hölderlin, Schelling und Hegel den Lebensläufer nannte.

1. Lebenslauf nach aufsteigender Linie – Der ‹verknüpfende Faden›