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GEOFFREY WEST

SCALE

Die universalen Gesetze
des Lebens von Organismen,
Städten und Unternehmen

Aus dem Englischen
von Jens Hagestedt

C.H.BECK

ZUM BUCH

Am Anfang stand die Faszination von Altern und Sterblichkeit. Mit der Strenge und Präzision des Physikers hat West die Frage, warum wir so lange leben, wie wir leben, und nicht länger, zu beantworten versucht. Das Ergebnis war erstaunlich und veränderte die Wissenschaft: West entdeckte, dass trotz bestehender Unterschiede alle Säugetiere skalierte Versionen voneinander sind. Kennt man die Größe eines Säugetiers, so kann man vom täglichen Nahrungsverbrauch, über die Herzfrequenz, die Dauer des Reifungsprozesses bis hin zur Lebensspanne alles herausbekommen, was man über das betreffende Tier wissen will.

Seine für die Biologie bahnbrechende Forschung hat West auf andere Felder angewendet, insbesondere auf Städte und Unternehmen. In Scale schlägt er vor, einige der großen Probleme, mit denen wir heute ringen – von der rasanten Verstädterung, dem Bevölkerungswachstum und der ungesicherten Zukunftsfähigkeit des Planeten bis zum Verständnis von Krebs, Stoffwechsel sowie den Ursachen von Altern und Tod –, auf der Basis seines ganzheitlichen Ansatzes anzugehen. Nur so, das ist Wests Überzeugung, gelangen wir zu den Erkenntnissen und Strategien, mit denen wir diese großen globalen Herausforderungen auch bewältigen können.

ÜBER DEN AUTOR

Geoffrey West ist ein Pionier auf dem Feld der Komplexitätsforschung, der Wissenschaft von Systemen und Netzwerken. Der Physiker ist Professor am Santa Fe Institute, dessen Präsident er von 2005 bis 2009 war, sowie Gastprofessor an der Oxford University, dem Imperial College und der Nanyang Technischen Universität in Singapur. Für seine Forschung wurde er mit zahlreichen, international renommierten Preisen ausgezeichnet. Im Jahr 2006 wurde er vom Time Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt gerechnet.

INHALT

1: DAS GROSSE GANZE

1. EINFÜHRUNG

2. WIR LEBEN IN EINER EXPONENTIELL WACHSENDEN SOZIOÖKONOMISCHEN URBANISIERTEN WELT

3. LEBEN UND TOD

4. ENERGIE, STOFFWECHSEL UND ENTROPIE

5. ES KOMMT WIRKLICH AUF DIE GRÖSSE AN: SKALIERUNG UND NICHTLINEARES VERHALTEN

6. SKALIERUNG UND KOMPLEXITÄT: EMERGENZ, SELBSTORGANISATION UND RESILIENZ

7. SIE SIND DIE GESAMTHEIT IHRER NETZWERKE: WACHSTUM VON DER ZELLE BIS ZUM WAL

8. STÄDTE UND GLOBALE NACHHALTIGKEIT: INNOVATION UND ZYKLEN VON SINGULARITÄTEN

9. UNTERNEHMEN

2: DAS MASS ALLER DINGE – Eine Einführung in das Skalieren

1. VON GODZILLA ZU GALILEO GALILEI

2. FALSCHE VORSTELLUNGEN VON SKALIERUNG: SUPERMAN

3. GRÖSSENORDNUNGEN, LOGARITHMEN, ERDBEBEN UND DIE RICHTER-SKALA

4. EISEN STEMMEN UND GALILEI TESTEN

5. INDIVIDUELLE LEISTUNG UND ABWEICHUNGEN VON DEN ERRECHNETEN WERTEN: DER STÄRKSTE MANN DER WELT

6. WEITERE FALSCHE VORSTELLUNGEN VON SKALIERUNG: DROGEN- UND MEDIKAMENTENDOSIERUNGEN (LSD BEI ELEFANTEN, TYLENOL BEI BABYS)

7. DER BMI, QUETELET, DER DURCHSCHNITTSMENSCH UND SOZIALE PHYSIK

8. INNOVATION UND DIE GRENZEN DES WACHSTUMS

9. DIE «GREAT EASTERN», BREITSPUREISENBAHNEN UND DER BEMERKENSWERTE ISAMBARD KINGDOM BRUNEL

10. WILLIAM FROUDE UND DIE URSPRÜNGE DER MODELLBILDUNGSTHEORIE

11. ÄHNLICHKEIT: DIMENSIONSLOSE UND SKALENINVARIANTE ZAHLEN

3: DIE SIMPLIZITÄT UND KOMPLEXITÄT DES LEBENS

1. VON QUARKS UND STRINGS ZU ZELLEN UND WALEN

2. STOFFWECHSELRATE UND NATÜRLICHE SELEKTION

3. DIE SIMPLIZITÄT, DIE DER KOMPLEXITÄT ZUGRUNDE LIEGT: KLEIBERS GESETZ, SELBSTÄHNLICHKEIT UND SKALENEFFEKTE

4. ALLGEMEINGÜLTIGKEIT UND DIE DAS LEBEN BEHERRSCHENDE MAGISCHE ZAHL 4

5. ENERGIE, EMERGENTE GESETZE UND DIE HIERARCHIE DES LEBENS

6. NETZWERKE UND DER URSPRUNG DER ALLOMETRISCHEN ¼-POTENZ-SKALIERUNG

7. PHYSIK TRIFFT BIOLOGIE: ÜBER DAS WESEN VON THEORIEN, MODELLEN UND ERKLÄRUNGEN

8. NETZWERKPRINZIPIEN UND DER URSPRUNG DER ALLOMETRISCHEN SKALIERUNG

I. Raumerfüllung

II. Invarianz der endständigen Einheiten

III. Optimierung

9. DIE STOFFWECHSELRATEN UND KREISLAUFSYSTEME VON SÄUGETIEREN, PFLANZEN UND BÄUMEN

10. EXKURS ÜBER NIKOLA TESLA, IMPEDANZANPASSUNG UND AC/DC

11. ZURÜCK ZU DEN STOFFWECHSELRATEN, DEN SCHLAGENDEN HERZEN UND DEN HERZ-KREISLAUF-SYSTEMEN

12. SELBSTÄHNLICHKEIT UND DIE HERKUNFT DER MAGISCHEN ZAHL 4

13. FRAKTALE: DER RÄTSELHAFTE FALL DER LÄNGER WERDENDEN GRENZEN

4: DIE VIERTE DIMENSION DES LEBENS – Wachstum, Altern und Tod

1. DIE VIERTE DIMENSION DES LEBENS

2. WARUM GIBT ES KEINE SÄUGETIERE VON DER GRÖSSE WINZIGER AMEISEN?

3. UND WARUM GIBT ES KEINE RIESIGEN SÄUGETIERE VON DER GRÖSSE GODZILLAS?

4. WACHSTUM

5. DIE ERDERWÄRMUNG, DIE EXPONENTIELLE SKALIERUNG DER TEMPERATUR UND DIE STOFFWECHSELTHEORIE DER ÖKOLOGIE

6. ALTERN UND STERBLICHKEIT

I. Nachtgedanken in der Stunde des Wolfs

II. Morgendämmerung und Rückkehr zum Tageslicht

III. Tageslicht

IV. Zu einer quantifizierenden Theorie von Altern und Sterben

V. Berechnungen, Tests und Folgerungen: Verlängerung der Lebensdauer

A. Temperatur und Verlängerung der Lebensdauer

B. Die Gesamtzahl der Herzschläge und das Tempo des Lebens

C. Kalorienbeschränkung und Verlängerung der Lebensdauer

5: VOM ANTHROPOZÄN ZUM URBANOZÄN – Ein von Städten dominierter Planet

1. LEBEN IN EXPONENTIELL SICH AUSDEHNENDEN UNIVERSEN

2. STÄDTE, URBANISIERUNG UND GLOBALE NACHHALTIGKEIT

3. EXKURS: WAS GENAU IST EIN EXPONENTIAL?

4. DER AUFSTIEG DER INDUSTRIESTADT UND DAS UNBEHAGEN IN IHR

5. MALTHUS, NEO-MALTHUSIANER UND DIE GROSSEN INNOVATIONSOPTIMISTEN

6. IT’S ALL ENERGY, STUPID!

6: PRÄLUDIUM ZU EINER STÄDTEWISSENSCHAFT

1. SIND STÄDTE UND UNTERNEHMEN NICHTS ANDERES ALS SEHR GROSSE ORGANISMEN?

2. DIE HEILIGE JANE UND DIE DRACHEN

3. ZWISCHENBEMERKUNG: MEINE PERSÖNLICHEN ERFAHRUNGEN MIT GARTEN- UND RETORTENSTÄDTEN

4. ZWISCHENERGEBNIS UND FAZIT

7: AUF DEM WEG ZU EINER STÄDTEWISSENSCHAFT

1. STÄDTE SKALIEREN

2. STÄDTE UND SOZIALE NETZWERKE

3. WELCHES SIND DIESE NETZWERKE?

4. STÄDTE: KRISTALLE ODER FRAKTALE?

5. STÄDTE ALS GROSSE SOZIALE BRUTKÄSTEN

It’s a Small World: Stanley Milgram und das Kleine-Welt-Phänomen

Stadtpsychologie: Die Last des Lebens in der Großstadt

6. WIE VIELE ENGE FREUNDE HABEN SIE WIRKLICH? DUNBAR UND SEINE ZAHLEN

7. WÖRTER UND STÄDTE

8. DIE FRAKTALE STADT: DAS SOZIALE MIT DEM MATERIELLEN VERBINDEN

8: KONSEQUENZEN UND VORAUSSAGEN – Von Mobilität und Lebenstempo zu sozialer Vernetzung, Diversität, sozialem Stoffwechsel und Wachstum

1. DIE BESCHLEUNIGUNG DES LEBENS

2. LEBEN AUF EINEM IMMER SCHNELLER ROTIERENDEN LAUFBAND: DIE STADT ALS ZEITSCHRUMPFUNGSMASCHINE

3. PENDLERZEITEN UND GRÖSSE DER STÄDTE

4. DAS STEIGENDE GEHTEMPO

5. SIE SIND NICHT ALLEIN: HANDYS ALS DETEKTOREN MENSCHLICHEN VERHALTENS

6. VERIFIZIERUNG DER THEORIE: SOZIALE VERNETZUNG IN STÄDTEN

7. DIE GESETZMÄSSIGKEIT DER FORTBEWEGUNG IN STÄDTEN

8. MEHRLEISTER UND MINDERLEISTER

9. REICHTUM, INNOVATION, KRIMINALITÄT UND BELASTBARKEIT: INDIVIDUALITÄT UND RANG VON STÄDTEN

10. NACHHALTIGKEIT: EIN KURZER EXKURS ZUM THEMA WASSER

11. DIE SOZIOÖKONOMISCHE DIVERSITÄT DER GESCHÄFTLICHEN AKTIVITÄTEN IN STÄDTEN

12. WACHSTUM UND STOFFWECHSEL DER STÄDTE

9: AUF DEM WEG ZU EINER UNTERNEHMENSWISSENSCHAFT

1. IST WALMART EIN HOCHSKALIERTER TANTE-EMMA-LADEN?

2. DER MYTHOS VOM UNBEGRENZTEN WACHSTUM

3. DIE ERSTAUNLICHE EINFACHHEIT DER STERBLICHKEIT VON UNTERNEHMEN

4. REQUIESCANT IN PACE

5. WARUM UNTERNEHMEN STERBEN, STÄDTE ABER NICHT

10: DIE VISION EINER GANZHEITLICHEN THEORIE DER NACHHALTIGKEIT

Immer schneller rotierende Laufbänder, Innovationszyklen und Singularitäten zu endlichen Zeitpunkten

NACHWORT

1. WISSENSCHAFT FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT

2. TRANSDISZIPLINARITÄT, KOMPLEXE SYSTEME UND DAS SANTA FE INSTITUTE

3. BIG DATA: PARADIGMA 4.0 ODER NUR 3.1?

POSTSKRIPTUM UND DANKSAGUNG

ANMERKUNGEN

DAS GROSSE GANZE

DAS MASS ALLER DINGE

DIE SIMPLIZITÄT UND KOMPLEXITÄT DES LEBENS

DIE VIERTE DIMENSION DES LEBENS

VOM ANTHROPOZÄN ZUM URBANOZÄN

PRÄLUDIUM ZU EINER STÄDTEWISSENSCHAFT

AUF DEM WEG ZU EINER STÄDTEWISSENSCHAFT

KONSEQUENZEN UND VORAUSSAGEN

AUF DEM WEG ZU EINER UNTERNEHMENSWISSENSCHAFT

DIE VISION EINER GANZHEITLICHEN THEORIE DER NACHHALTIGKEIT

NACHWORT

NACHWEIS DER ABBILDUNGEN

PERSONENREGISTER

Für
Jacqueline
Joshua und Devorah
und
Dora und Alf
in Dankbarkeit und Liebe

1

DAS GROSSE GANZE

1. EINFÜHRUNG

Leben ist wahrscheinlich das komplexeste und facettenreichste Phänomen, das es im Universum gibt. Es manifestiert sich in einer außerordentlichen Mannigfaltigkeit von Formen, Funktions- und Verhaltensweisen und in einer enormen Bandbreite von Größenordnungen. Man schätzt beispielsweise, dass es auf unserem Planeten mehr als acht Millionen Arten von Organismen gibt,[1] vom kleinsten, weniger als ein billionstel Gramm wiegenden Bakterium bis zum Blauwal mit einem Gewicht von bis zu zweihundert Millionen Gramm. In einem tropischen Urwald in Brasilien würden Sie auf einer Fläche von der Größe eines Fußballfeldes mehr als hundert verschiedene Arten von Bäumen und Tausende Arten von Insekten finden. Oder denken Sie an die erstaunlichen Unterschiede in der Weise, wie all diese Arten ihr Leben leben: wie sie gezeugt und geboren werden, wie sie sich fortpflanzen und wie sie sterben. Viele Bakterien leben nur eine Stunde lang und benötigen nur ein zehnbillionstel Watt, um am Leben zu bleiben, während Wale älter als hundert Jahre werden können und für ihren Stoffwechsel mehrere hundert Watt benötigen.[2] Und neben dieser wunderbaren Tapisserie biologischen Lebens gibt es ja noch die erstaunliche Vielfalt sozialen Lebens, die wir Menschen dem Planeten beschert haben, vor allem in Form von Städten und all den Phänomenen, die sie beherbergen, vom Handel über die Architektur bis zur Mannigfaltigkeit der Kulturen und den unzähligen Freuden und Leiden jedes ihrer Einwohner.

Wenn Sie die Komplexität eines dieser Phänomenbereiche mit der überaus einfachen Ordnung des Sonnensystems vergleichen, oder mit dem Gleichmaß, mit dem Ihrer Armbanduhr oder Ihrem iPhone zufolge die Zeit verrinnt, dann fragen Sie sich vielleicht, ob jener Komplexität ebenfalls eine (und sei es auch verborgene) Ordnung zugrunde liegt. Kann es sein, dass alle Organismen, ja alle komplexen Systeme, von den Pflanzen über die Tiere bis zu den Städten und Unternehmen, einigen wenigen einfachen Gesetzen gehorchen? Oder ist das Schauspiel, das sich in den Wäldern, Savannen und Städten der Erde abspielt, nur eine Abfolge zufälliger Ereignisse, diktiert von Laune und Willkür? Ist es angesichts der Launenhaftigkeit des evolutionären Prozesses, der diese ganze Vielfalt hervorgebracht hat, nicht unwahrscheinlich, dass sich eine Gesetzmäßigkeit herausgebildet haben könnte? Schließlich hat sich doch jeder der zahllosen Organismen, die die Biosphäre ausmachen, jedes seiner Subsysteme, jedes Organ, jeder Zelltyp und jedes Genom in seiner besonderen Umweltnische auf einem eigenen Weg und im Prozess der natürlichen Selektion entwickelt!

Werfen Sie jetzt bitte einen Blick auf die Diagramme der Abbildungen 1 bis 4. Jedes stellt eine bekannte Größe dar, die in Ihrem Leben eine wichtige Rolle spielt und hier jeweils einer anderen Größe gegenübergestellt ist. Im ersten Diagramm ist die Stoffwechselrate – die Nahrungsmenge, die jeden Tag benötigt wird, um am Leben zu bleiben – dem Körpergewicht einer Reihe von Tieren gegenübergestellt. Im zweiten ist die Anzahl der Herzschläge über die gesamte Lebensdauer ebenfalls dem Körpergewicht einer Reihe von Tieren gegenübergestellt. Im dritten ist die Zahl der Patente, die in einer Stadt erworben wurden, deren Einwohnerzahl gegenübergestellt. Und im vierten und letzten Diagramm sind Eigenkapital und Einnahmen börsennotierter Unternehmen der Zahl ihrer Beschäftigten gegenübergestellt.

Sie brauchen kein Mathematiker oder Experte auf einem der vier Spezialgebiete zu sein, um auf den ersten Blick zu erkennen, dass diese Diagramme, obwohl sie einige der komplexesten Phänomene darstellen, mit denen wir es im Leben zu tun haben, jeweils eine außerordentlich einfache Gesetzmäßigkeit aufzeigen. Wie durch ein Wunder haben sich die Daten in nahezu geraden Linien angeordnet, statt sich regellos über die Fläche zu verteilen, wie man es aufgrund der historischen und geographischen Singularität jeder Tierart, jeder Stadt und jedes Unternehmens hätte erwarten können. Vielleicht am erstaunlichsten ist Abbildung 2, weil sie zeigt, dass die durchschnittliche Anzahl der Herzschläge über die gesamte Lebensdauer bei allen Säugetieren ungefähr gleich groß ist, obwohl kleine Säugetiere, wie Mäuse, nur wenige Jahre leben, während große, wie Wale, bis zu hundert Jahre alt werden können.

Beispiele für Skalierungskurven, die zum Ausdruck bringen, wie messbare Merkmale von Pflanzen, Tieren, Ökosystemen, Städten und Unternehmen mit deren Größe skalieren: (1) illustriert, wie sich die Stoffwechselrate,[3] (2), wie sich die Anzahl der Herzschläge über die gesamte Lebensdauer[4] zum Körpergewicht eines Tieres verhält; (3) illustriert, wie sich die Zahl der Patente, die in einer Stadt erworben wurden,[5] zu deren Einwohnerzahl verhält, und (4) illustriert, wie sich Kapital und Einnahmen eines Unternehmens[6] zur Zahl seiner Beschäftigten verhalten. Man beachte, dass diese Diagramme eine enorme Bandbreite von Größenordnungen abdecken: Beispielsweise ist sowohl beim Körpergewicht (von Mäusen bis zu Elefanten) als auch bei der Beschäftigtenzahl (von Ein-Personen-Unternehmen bis zu Großunternehmen wie Walmart und Exxon) der höchste Wert etwa eine Million Mal so hoch wie der niedrigste. Damit all diese Tierarten, Städte und Unternehmen von den Diagrammen erfasst werden können, wächst die Größenordnung auf jeder Achse jeweils mit dem Faktor 10.

Die Beispiele der Abbildungen 1 bis 4 sind nur eine Auswahl aus einer sehr großen Zahl solcher Skalierungsverhältnisse, die für fast jedes messbare Merkmal von Pflanzen, Tieren, Ökosystemen, Städten und Unternehmen quantifizieren, wie es mit der Größe des Phänomens skaliert. Sie werden in meinem Buch vielen weiteren solcher Skalierungsverhältnisse begegnen. Die Existenz dieser bemerkenswerten Gesetzmäßigkeiten deutet stark darauf hin, dass es einen gemeinsamen Bezugsrahmen für die sich stark voneinander unterscheidenden hochkomplexen Phänomene gibt und dass die Dynamik, das Wachstum und die Organisation von Pflanzen, Tieren, menschlichem Sozialverhalten, Städten und Unternehmen ähnlichen allgemeinen «Gesetzen» unterliegen.

Das ist das Hauptthema des Buches. Ich werde erläutern, was es mit diesen Skalierungsgesetzen auf sich hat, woher sie entspringen, wie sie alle miteinander zusammenhängen, inwiefern sie ein tiefes und umfassendes Verständnis zahlreicher Aspekte des Lebens ermöglichen, aber uns schließlich auch mit der Herausforderung konfrontieren, die Zukunftsfähigkeit des Planeten zu sichern. Zusammengenommen gewähren uns diese Gesetze einen Einblick in grundlegende Prinzipien, die möglicherweise zur Erarbeitung eines quantifizierenden Ansatzes für die Auseinandersetzung mit einer Vielzahl wichtiger Fragen aus Wissenschaft und Gesellschaft führen können.

Dieses Buch handelt von einer Art zu denken, es stellt große Fragen und gibt wichtige Antworten auf einige dieser großen Fragen. Es schlägt vor, einige der großen Herausforderungen und Probleme, mit denen wir heute ringen – von der rasanten Urbanisierung, vom Bevölkerungswachstum und von der ungesicherten Zukunftsfähigkeit des Planeten bis zum Verständnis von Krebs, Stoffwechsel und den Ursachen von Altern und Tod –, auf der Basis eines ganzheitlichen Ansatzes anzugehen. Das Buch handelt von den bemerkenswerten Ähnlichkeiten in der Funktionsweise, in Organisation, Struktur und Dynamik von menschlichen Körpern, Tumoren, Städten und Unternehmen, die all diese Phänomene als Variationen über ein einziges Thema erscheinen lassen. Eine allen gemeinsame Eigenschaft ist, dass sie hochkomplex sind und aus sehr vielen einzelnen Komponenten, seien es Moleküle, Zellen oder menschliche Individuen, bestehen, die durch vernetzte Strukturen über mehrere räumliche und zeitliche Größenordnungen hinweg interagieren. Einige dieser Netzwerke, wie unser Kreislaufsystem und das Straßennetz einer Stadt, sind sichtbar und materiell-konkret, während andere, etwa soziale Netzwerke, Ökosysteme und das Internet, eher abstrakter oder virtueller Natur sind.

Dieser umfassende Ansatz erlaubt uns, ein faszinierendes Spektrum von Fragen in Angriff zu nehmen, von denen einige meine Forschungsinteressen beeinflusst haben und – auf manchmal spekulative Weise – in den folgenden Kapiteln behandelt werden. Hier eine Auswahl:

Bei der Behandlung von Fragen wie diesen werde ich in transdisziplinärem Geist Ideen aus verschiedenen Wissenschaften zusammenführen. Ich werde grundlegende Fragen der Biologie mit solchen der Sozial- und der Wirtschaftswissenschaften in Beziehung setzen, und das frank und frei aus der Perspektive und mit den Augen eines Vertreters der theoretischen Physik. Dabei werde ich auch die wegweisende Rolle ansprechen, die derselbe Skalierungsansatz bei der Entwicklung eines ganzheitlichen Bildes von den Elementarteilchen und den Fundamentalkräften der Natur gespielt hat. Deren Bedeutung für die Entstehung des Universums nach dem Urknall wird dabei nicht unerwähnt bleiben. Wo es angebracht ist, werde ich in diesem Geist auch spekulativ und provokativ sein. In der Hauptsache basiert jedoch fast alles, was ich darstelle, auf etablierten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Obwohl viele oder gar die meisten dargestellten Forschungsergebnisse ihren Ursprung in Beweisen und Herleitungen haben, die in der Sprache der Mathematik formuliert sind, ist das Buch im Geiste dezidiert nichttechnisch; es ist didaktisch und für den sprichwörtlichen «intelligenten Laien» geschrieben. Ein gewisses Maß an dichterischer Freiheit muss daher in Kauf genommen werden, und ich bitte meine Kollegen aus der Wissenschaft, nicht allzu kritisch zu sein, wenn sie glauben, meine Übersetzung der mathematischen oder fachspezifischen Sprache in die Umgangssprache habe die Dinge allzu sehr vereinfacht. Leser mit Affinität zur Mathematik verweise ich auf die in den Endnoten angegebene technische Literatur.

2. WIR LEBEN IN EINER EXPONENTIELL WACHSENDEN SOZIOÖKONOMISCHEN URBANISIERTEN WELT

Ein zentrales Thema des Buches ist die überragende Bedeutung, die Städte für die Zukunft der Erde haben. Die Städte sind zur Quelle der größten Probleme geworden, vor die die Menschen den Planeten gestellt haben, seit sie in Gesellschaften leben. Die Zukunft der Menschheit und der Erde ist untrennbar mit dem Schicksal unserer Städte verbunden. Die Städte sind die Schmelztiegel der Zivilisation, die Drehscheiben der Innovation, die Motoren für die Schaffung von Wohlstand, die Zentren der Macht und die Magneten, die die kreativen Individuen anziehen. Sie haben aber auch eine Schattenseite: Vor allem in ihnen sind Armut, Krankheit und Kriminalität zu Hause, sie verbrauchen am meisten Energie und Ressourcen und verschmutzen die Umwelt am meisten. Die rasante Urbanisierung und die sich beschleunigende sozioökonomische Entwicklung haben zu vielfältigen globalen Problemen geführt, vom Klimawandel und seinen Folgen für die Umwelt bis zu den noch am Anfang stehenden Krisen beim Zugang zu Nahrung, Energie und Wasser, im Gesundheitswesen, auf den Finanzmärkten und in der Weltwirtschaft.

Angesichts dieser Doppelnatur der Städte als einerseits der Quelle vieler unserer größten Probleme und andererseits des Reservoirs von Kreativität und damit der Quelle für die Lösung jener Probleme drängt sich die Frage auf, ob es eine «Städtewissenschaft» geben kann, die es erlaubt, Dynamik, Wachstum und Entwicklung von Städten zu analysieren und vorauszusagen. Für den Entwurf einer seriösen Strategie zur Sicherung langfristiger Nachhaltigkeit wäre dies von entscheidender Bedeutung, insbesondere deshalb, weil die überwältigende Mehrheit der Menschen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts in Städten wohnen wird, viele von ihnen in Millionenstädten von nie dagewesener Größe.

Keine der Herausforderungen und Gefahren, denen wir uns gegenübersehen, ist neu. Sie alle waren uns zumindest seit den Anfängen der industriellen Revolution gegenwärtig, und nur aufgrund des exponentiellen Tempos der Urbanisierung erscheinen sie uns seit kurzem wie ein Tsunami, der uns unter sich zu begraben droht. Es liegt in der Natur einer exponentiellen Expansion, dass die Zukunft uns immer schneller erreicht und vor oft unvorhergesehene Probleme stellt, deren Gefährlichkeit wir erst erkennen, wenn es zu spät ist. So sind wir uns erst in jüngerer Zeit der Erderwärmung bewusst geworden, der langfristigen Veränderungen der Umwelt, der Umweltverschmutzung und der darin liegenden Gefahren auch für unsere Gesundheit, der Endlichkeit der Vorräte an Energie, Wasser und anderen Ressourcen, der Instabilität der Finanzmärkte und so weiter. Und selbst nachdem wir begonnen hatten, uns diesen Herausforderungen zu stellen, haben wir immer noch geglaubt, es handle sich um vorübergehende Fehlentwicklungen, die korrigiert werden würden. Insofern überrascht es nicht, dass die meisten Politiker und Ökonomen weiterhin ziemlich optimistisch sind und annehmen, auf lange Sicht würden wie in der Vergangenheit unser Einfallsreichtum und unsere Fähigkeit zur Innovation triumphieren. Ich bin da nicht so sicher und werde dies an späterer Stelle begründen.

Seit es uns gibt und bis vor relativ kurzer Zeit haben die meisten Menschen in nichtstädtischen Umgebungen gelebt. Noch vor zweihundert Jahren waren die Vereinigten Staaten im Wesentlichen ein Agrarland: Nur vier Prozent der Bevölkerung lebten in Städten, während es heute mehr als 80 Prozent sind. Ähnliches gilt für fast alle entwickelten Länder, wie Frankreich, Australien und Norwegen, aber auch für viele, die noch nicht so weit sind, wie etwa Argentinien, der Libanon und Libyen. Es gibt heute auf der Erde kein einziges Land mehr, dessen Bevölkerung zu nur vier Prozent in Städten lebt; selbst Burundi, vielleicht das ärmste und am wenigsten entwickelte Land, ist zu mehr als zehn Prozent urbanisiert. 2006 überschritt der Planet eine bemerkenswerte historische Schwelle: In diesem Jahr lebte erstmals mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in urbanen Zentren – 1950 waren es nur 30 Prozent und Anfang des 20. Jahrhunderts gar nur 15 Prozent gewesen. Es wird erwartet, dass diese Quote bis 2050 auf über 75 Prozent steigen wird, weil weitere gut zwei Milliarden Menschen, vor allem in China, Indien, Südostasien und Afrika, in die Städte ziehen werden.[8]

Zwei Milliarden – das ist eine gewaltige Zahl. Sie besagt, dass in den nächsten gut dreißig Jahren im Durchschnitt wöchentlich ungefähr eineinhalb Millionen Menschen in die Städte ziehen werden. Stellen Sie sich vor, was das bedeutet: Heute ist der 24. August; bis zum 24. Oktober wird es auf dem Planeten das Äquivalent eines weiteren New Yorker Ballungsraumes geben, bis Weihnachten noch eines, bis 24. Februar ein drittes, und so weiter … Von heute an bis Mitte des Jahrhunderts wird die Erde unausweichlich etwa alle zwei Monate durch einen weiteren New Yorker Großraum «bereichert», wobei wir wohlgemerkt von 15 Millionen Menschen sprechen, nicht nur von den 8 Millionen, die New York City an Einwohnern hat.

Das vielleicht erstaunlichste und ehrgeizigste Urbanisierungsprogramm auf dem Planeten läuft in China, wo die Regierung im Eiltempo in den nächsten 20 bis 25 Jahren bis zu 300 neue Millionenstädte aus dem Boden stampfen will. Bisher war China in Sachen Urbanisierung und Industrialisierung langsam, jetzt aber macht das Land verlorene Zeit wieder wett. Nachdem das Reich der Mitte noch 1950 zu nur zehn Prozent urbanisiert war, hat es im vergangenen Jahr die Marke von 50 Prozent überschritten. Beim gegenwärtigen Tempo werden in den nächsten 20 bis 25 Jahren mehr als 300 Millionen Menschen, das heißt so viele, wie die Vereinigten Staaten an Einwohnern haben, in Städte ziehen. Und Indien und Afrika stehen dem kaum nach. Es wird die bei weitem größte Wanderungsbewegung von Menschen sein, die es auf dem Planeten je gegeben hat. Sie wird aber sehr wahrscheinlich einmalig bleiben. Die sich daraus ergebenden Probleme für den Zugang zu Energie und Rohstoffen und die enormen Belastungen für das soziale Gefüge auf der ganzen Welt machen schon in der Vorstellung schwindelig, werden aber in kurzer Zeit bewältigt werden müssen. Und jeder wird davon betroffen sein.

3. LEBEN UND TOD

Das unbegrenzte exponentielle Wachstum der Städte steht in Gegensatz zu dem, was wir in der Welt der Biologie sehen: Die meisten Organismen, uns eingeschlossen, wachsen schnell, wenn sie jung sind, dann immer langsamer, bis sie überhaupt nicht mehr wachsen und schließlich sterben. Die meisten Unternehmen haben eine ähnliche Geschichte; fast alle verschwinden irgendwann. Nicht so jedoch die meisten Städte. Trotzdem werden sowohl auf Städte als auch auf Unternehmen oftmals biologische Begriffe angewendet. So ist häufig von der «DNA des Unternehmens» zu lesen, vom «Stoffwechsel der Stadt» und von der «Ökologie des Marktes». Sind das nur Metaphern, oder verweisen sie auf eine reale wissenschaftliche Substanz? Sind Städte und Unternehmen, die ja gleichermaßen biologische Wurzeln und somit viele gemeinsame Merkmale haben, riesige Organismen, und, wenn ja, inwieweit?

Städte haben natürlich auch Eigenschaften, die nicht biologischer Natur sind; ich komme später darauf zu sprechen. Wenn Städte aber tatsächlich eine Art von Superorganismen sind, warum stirbt dann nur selten eine? Sicher gibt es klassische Beispiele für untergegangene Städte, vor allem in der Antike. Aber das sind meistens Sonderfälle: Untergegangen sind diese Städte infolge kriegerischer Auseinandersetzungen oder des zerstörerischen Umgangs mit ihrer unmittelbaren Umwelt. Sie machen nur einen winzigen Bruchteil all jener Städte aus, die es je gegeben hat. Städte sind bemerkenswert robust, und die große Mehrheit hält sich. Denken Sie an das furchtbare Experiment von vor mehr als siebzig Jahren, als auf Hiroshima und Nagasaki Atombomben abgeworfen wurden: Nur dreißig Jahre später blühten die beiden Städte wieder! Es ist äußerst schwierig, eine Stadt zu töten, während es relativ leicht ist, Tiere und Unternehmen zu töten – selbst die Letzteren sterben fast alle, auch die marktbeherrschenden und scheinbar unverwundbaren. Und was den Menschen betrifft: Trotz der Zunahme unserer durchschnittlichen Lebenserwartung in den letzten zweihundert Jahren hat sich unsere maximale Lebenserwartung nicht verändert. Kein Mensch ist je älter geworden als 123 Jahre. Viel länger leben aber auch nur sehr wenige Unternehmen; die meisten sind schon nach zehn Jahren verschwunden. Warum also bleiben fast alle Städte lebensfähig, während jeder Organismus und fast jedes Unternehmen stirbt?

Der Tod ist integraler Bestandteil allen biologischen und sozioökonomischen Lebens: Fast alles, was lebt, stirbt irgendwann, aber im Unterschied zu Geburt und Leben wird der Tod als Gegenstand ernsthafter Betrachtung sowohl von der Gesellschaft als auch von der Wissenschaft vernachlässigt und tendenziell verdrängt. Auf persönlicher Ebene habe ich erst mit Anfang fünfzig begonnen, ernsthaft über Altern und Sterben nachzudenken. Ich hatte meine zwanziger, dreißiger und vierziger Jahre durchlebt, ohne mir groß Gedanken über meine Sterblichkeit zu machen, und hatte damit unbewusst am Glauben aller «jungen» Leute festgehalten, unsterblich zu sein. Doch ich stamme aus einer Familie, in der die Männer nicht lange gelebt haben, und so war es vielleicht unvermeidlich, dass mir irgendwann in meinen Fünfzigern dämmerte, ich könnte in fünf bis zehn Jahren tot sein, und sollte klugerweise anfangen, darüber nachzudenken, was das bedeutet.

Ich vermute, dass jede Religion und philosophische Reflexion ihren Ursprung in der Frage hat, wie wir die Unvermeidlichkeit des Todes in unser tägliches Leben integrieren können. Und so fing auch ich an, über Altern und Sterben nachzudenken und Bücher über dieses «weite Feld» zu lesen, und zwar zunächst aus persönlicher, psychologischer, religiöser und philosophischer Perspektive. Das war äußerst interessant, bescherte mir aber mehr Fragen als Antworten. Also begann ich, auch aufgrund von Ereignissen, die ich an späterer Stelle erzählen werde, diese Fragen wissenschaftlich zu reflektieren, was mich auf eine Fährte brachte, die sowohl mein Privat- als auch mein Berufsleben veränderte.

Als Physiker über Altern und Sterben nachzudenken bedeutet nicht nur, nach den Mechanismen zu fragen, aufgrund derer wir altern und sterben, sondern auch, nach den Gründen für die maximale Lebenserwartung des Menschen zu forschen. Warum ist niemand jemals älter als 123 Jahre geworden? Worauf basiert die Rede des Alten Testaments von den siebzig Jahren, die das menschliche Leben währt? Könnten wir vielleicht tausend Jahre leben, wie der mythische Methusalem? Und warum leben die meisten Unternehmen nur einige wenige Jahre? Die Hälfte aller börsennotierten Unternehmen in den Vereinigten Staaten ist spätestens zehn Jahre nach Markteintritt wieder verschwunden. Zwar lebt eine kleine Minderheit beträchtlich länger, doch scheinen fast alle dazu verurteilt, den Weg von German Wings, Studebaker und Lehman Brothers zu gehen. Warum? Ist es möglich, eine seriöse mechanistische Theorie zu erarbeiten, die nicht nur unsere Sterblichkeit, sondern auch die von Unternehmen zu verstehen erlaubt? Ist es vorstellbar, dass wir dereinst in der Lage sind, die Prozesse des Alterns und des Niedergangs von Unternehmen zu quantifizieren und dadurch deren ungefähre Lebenserwartung «vorauszusagen»? Und warum gelingt es Städten, dem Schicksal von Unternehmen zu entgehen?

4. ENERGIE, STOFFWECHSEL UND ENTROPIE

Wenn man sich mit diesen Fragen beschäftigt, wird man vielleicht auch wissen wollen, woher all die anderen Größenverhältnisse des Lebens kommen. Warum etwa schlafen wir ungefähr acht Stunden am Tag, während Mäuse fünfzehn schlafen und Elefanten nur vier? Warum sind die höchsten Bäume nur gut hundert Meter hoch und nicht einen Kilometer? Warum wachsen die größten Unternehmen nicht mehr weiter, wenn ihr Wert die Marke von einer halben Billion Dollar erreicht hat? Und warum enthält jede unserer Zellen ungefähr fünfhundert Mitochondrien?

Um solche Fragen beantworten und um Prozesse wie Altern und Sterben mechanistisch verstehen und quantifizieren zu können, ganz gleich, ob es um Menschen, Elefanten, Städte oder Unternehmen geht, müssen wir zunächst wissen, wie diese Systeme entstanden sind und wie sie am Leben bleiben. In der Welt der Biologie werden Systeme durch den Stoffwechsel am Leben erhalten. Quantitativ wird dieser als Stoffwechselrate beziffert, als Menge an Energie, die pro Sekunde benötigt wird, um einen Organismus am Leben zu erhalten; bei uns beträgt sie pro Tag etwa 2000 Kalorien, was einer Rate von lediglich ca. 90 Watt entspricht, dem Energieverbrauch einer Glühfadenlampe. Wie aus Abbildung 1 zu ersehen ist, hat unsere Stoffwechselrate den «korrekten» Wert für ein Säugetier unserer Größe. Sie ist die biologische Stoffwechselrate von Menschen als natürlichen, animalischen Lebewesen. Auch als gesellige, mittlerweile in Städten lebende Tiere benötigen wir an Nahrung, um am Leben zu bleiben, nur das Äquivalent des Energieverbrauchs einer Glühbirne, zusätzlich aber Wohnungen, Heizung, künstliches Licht, Autos, Straßen, Flugzeuge, Computer und so weiter. Daher ist die durchschnittliche Menge an Energie, die nötig ist, um einem Menschen das Leben in den Vereinigten Staaten zu ermöglichen, auf erstaunliche 11.000 Watt gestiegen. Diese soziale Stoffwechselrate entspricht dem Energieverbrauch von einem Dutzend Elefanten. Außerdem ist die menschliche Gesamtpopulation infolge des Übergangs vom Biologischen zum Sozialen von nur wenigen Millionen auf mehr als sieben Milliarden angewachsen. Kein Wunder, dass uns eine Energie- und Rohstoffkrise droht!

Keines der genannten Systeme, ob natürlich oder menschengemacht, kommt ohne permanente Zufuhr von Energie und Rohstoffen aus, die in etwas «Nützliches» umgewandelt werden müssen. In Anlehnung an den biologischen Begriff bezeichne ich all diese Prozesse der Energieumwandlung als Stoffwechsel. Je nach Entwicklungsstufe des Systems wird die gewonnene nützliche Energie in verschiedenen Relationen für körperliche Arbeit, Instandhaltung, Wachstum und Reproduktion verwendet. Als soziale Wesen nutzen wir – im Gegensatz zu allen anderen Geschöpfen – den größten Teil unserer Stoffwechselenergie für die Bildung von Gemeinschaften und Institutionen wie Dörfern, Städten, Unternehmen und Verbänden, für die Herstellung einer großen Mannigfaltigkeit von dinglichen Artefakten wie Kathedralen, Flugzeugen und Handys und für die Hervorbringung einer staunenswert langen Liste von geistigen Gebilden wie der Mathematik und der Musik, um nur einige zu nennen.

Dass es ohne permanente Zufuhr von Energie und Rohstoffen nicht nur keine dinglichen Artefakte, sondern, was vielleicht noch wichtiger ist, auch keine Ideen, keine Innovation, kein Wachstum und keine Entwicklung geben kann, wird oft nicht klar gesehen. Es ist erstaunlich, wie gering die Bedeutung ist, die der allgemeine Begriff der Energie für das konzeptionelle Denken von Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern hat – wenn er überhaupt eine hat. Aber ohne Energie geht gar nichts. Sie ist Voraussetzung von allem und jedem, was wir tun und was um uns herum geschieht. Ihre Bedeutung für alle Fragen, die ich erörtern werde, wird daher ein weiterer durch das ganze Buch laufender roter Faden sein.

Wenn Energie verarbeitet wird, hat das immer seinen Preis; es gibt im Leben nichts umsonst. Und da beim «Betrieb» eines jeden Systems immer auch Energie verarbeitet wird, hat dieser Betrieb Folgen. Es gibt sogar ein einschlägiges fundamentales, als Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik formuliertes Naturgesetz, das nicht außer Kraft gesetzt werden kann und das besagt, dass bei jeder nützlichen Umwandlung von Energie «unnütze» Energie als Abbau- und Abfallprodukt entsteht. Das heißt, «unbeabsichtigte Folgen» in Form von unverwendbarer desorganisierter Hitze oder unbrauchbaren Produkten sind unvermeidlich. Es gibt kein Perpetuum mobile. Um am Leben zu bleiben und die hochorganisierte Funktionalität von Geist und Körper aufrechtzuerhalten, müssen Sie essen. Aber wenn Sie gegessen haben, müssen Sie früher oder später auf die Toilette. Das ist die materielle Manifestation Ihrer persönlichen Entropie-Produktion.

Der deutsche Physiker Rudolf Clausius hat für dieses Phänomen, das stets als Folge der Interaktion von Dingen durch den Austausch von Energie und Rohstoffen auftritt, 1855 den Begriff der Entropie geprägt (das Wort ist übrigens die griechische Entsprechung von Umwandlung und Entwicklung). Wann immer Energie verbraucht oder verarbeitet wird, um in einem geschlossenen System Ordnung herzustellen oder aufrechtzuerhalten, lässt sich ein gewisses Maß an Unordnung nicht vermeiden. Daher wächst die Entropie beständig. Damit Sie nicht glauben, es gebe Ausnahmen von der Geltung dieses Gesetzes, sei Einstein zitiert: Die klassische Thermodynamik «ist die einzige physikalische Theorie allgemeinen Inhalts, von der ich überzeugt bin, dass sie im Rahmen der Anwendbarkeit ihrer Grundbegriffe niemals umgestoßen wird». «Die einzige», das heißt, dass Einstein sich nicht einmal der ewigen Geltung der von ihm selbst aufgestellten Relativitätstheorie sicher war!

Wie der Tod, die Steuern und das Schwert des Damokles, so hängt auch der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik über uns allen und über allem, was uns umgibt. Energieverlust, wie bei der Produktion von desorganisierter Hitze durch Reibung, ist unvermeidlich und führt zur Schwächung aller Systeme. Selbst die genialste Maschine, das bestorganisierte Unternehmen, der schönste Organismus entgeht nicht diesem unerbittlichsten aller unerbittlichen Schnitter. Das Aufrechterhalten von Ordnung in einem sich entwickelnden System erfordert die permanente Zufuhr und den permanenten Verbrauch von Energie, und als Nebenprodukt entsteht Unordnung. Darum müssen wir immer wieder essen, um die unentrinnbaren zerstörerischen Kräfte der Entropieproduktion zu bekämpfen und am Leben zu bleiben. Letztlich aber tötet Entropie. Letztlich unterliegen wir alle den Kräften der Abnutzung in ihren zahlreichen Erscheinungsformen. Der Kampf gegen die Entropie durch permanente Zufuhr von Energie für Instandhaltung, Innovation und Wachstum, dieser Kampf, der mit dem Altern eines Systems immer schwieriger wird, ist die Grundlage jeder seriösen Diskussion über Altern, Sterblichkeit, Belastbarkeit und Zukunftsfähigkeit, sei es von Organismen, Unternehmen oder Gesellschaften.

5. ES KOMMT WIRKLICH AUF DIE GRÖSSE AN: SKALIERUNG UND NICHTLINEARES VERHALTEN

Die Perspektive, die ich bei Betrachtung dieser verschiedenen und scheinbar miteinander nicht zusammenhängenden Fragen hauptsächlich nutzen werde, ist die einer Wissenschaft der Skalierung. Diese Wissenschaft befasst sich damit, wie sich Phänomene bei Größenveränderung verhalten. Die fundamentalen Regeln und Prinzipien, denen sie dabei unterliegen, sind zentrale Themen des Buches und Ausgangspunkte für die Entfaltung fast aller Thesen, die ich aufstellen werde. Aus dieser Perspektive offenbaren Städte, Unternehmen, Pflanzen, Tiere, unsere Körper und sogar Tumoren eine bemerkenswerte Ähnlichkeit in der Art und Weise, wie sie organisiert sind und funktionieren. Jedes dieser Phänomene variiert in seiner Organisation, Struktur und Dynamik auf faszinierende Weise ein universales Thema, das sich in erstaunlich strengen mathematischen Gesetzmäßigkeiten niederschlägt. Ich werde zeigen, dass diese Gesetzmäßigkeiten durch einen konzeptionellen Ansatz sichtbar gemacht werden können, der die sehr verschiedenen Systeme aus ein und derselben Perspektive zu betrachten und viele große Probleme zu analysieren und in Angriff zu nehmen erlaubt.

Skalierung macht in ihrer elementarsten Form schlicht und einfach deutlich, wie ein System auf eine Änderung seiner Größe reagiert. Was geschieht mit einer Stadt oder einer Firma, wenn sie doppelt so groß wird? Wie konzipiert man ein Gebäude oder ein Flugzeug, das nur halb so groß sein soll, im Detail? Welche Folgen hat es, wenn eine Volkswirtschaft auf die Hälfte schrumpft? Weist eine Stadt, deren Einwohnerzahl sich verdoppelt hat, ungefähr doppelt so viele Straßen, doppelt so viel Kriminalität und doppelt so viele erworbene Patente auf? Verdoppelt sich der Gewinn eines Unternehmens, wenn sich sein Umsatz verdoppelt? Und benötigt ein Tier, das halb so groß ist wie ein anderes, auch nur halb so viel Nahrung?

Die Beschäftigung mit der scheinbar belanglosen Frage nach der Art und Weise, wie Systeme auf eine Änderung ihrer Größe reagieren, hat bemerkenswert weitreichende Konsequenzen für das gesamte Spektrum der Wissenschaften, des Ingenieurwesens und der Technologie gehabt und sich damit auf fast jeden Aspekt unseres Lebens ausgewirkt. Skalenberechnungen haben zu einem besseren Verständnis chaotischer Phänomene (wie des berühmten «Schmetterlingseffekts», bei dem der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Hurrikan in Florida auslöst), aber auch der Dynamik von Phasenübergängen (wie dem Gefrieren von Flüssigkeiten zu Festkörpern und ihrem Verdampfen zu Gasen) sowie der Entstehung des Universums nach dem Urknall geführt, zur Entdeckung der Quarks (der Bausteine der Materie) und zur Zusammenführung der Fundamentalkräfte der Natur. Dies sind nur einige wenige der spektakuläreren Beispiele dafür, dass Skalenberechnungen schon in der Vergangenheit zur Erhellung bedeutsamer allgemeiner Prinzipien und Strukturen beigetragen haben.[9]

In praktischen Zusammenhängen ist Skalierung von entscheidender Bedeutung bei der Konstruktion immer größerer Dinge im weitesten Sinne, seien es Gebäude, Brücken, Schiffe, Flugzeuge oder Computer, weil das (kosten-)effiziente Extrapolieren vom Kleinen zum Großen eine immer wieder von neuem zu bewältigende Herausforderung ist. Noch schwieriger und vielleicht noch dringlicher ist das Skalieren der Strukturen immer größerer und komplexerer sozialer Organisationen, seien es Unternehmen, Konzerne, Städte oder Staaten, da es sich hierbei um adaptive Systeme handelt, deren Grundprinzipien wir im Allgemeinen nicht gut verstehen.