»Eigen war mein Weg und Ziel«

Das Fontane-Brevier

Herausgegeben von Karl Christoffel

Mit einem Vorwort von
Wolfgang Feyerabend

6. Auflage

 

 

 

 

 

Impressum

Einbandgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Einbandabbildung: © akg-images

 

 

 

 

 

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Der Lambert Schneider Verlag ist ein Imprint der
WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt.
6., überarbeitete Auflage 2011
(Die Auflagen 1 bis 5 sind unter dem Titel
›Lerne denken mit dem Herzen‹ erschienen.)
© 2011 by Lambert Schneider Verlag

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ISBN 978-3-650-24408-6

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-650-40102-1
eBook (epub): 978-3-650-40103-8

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INHALT


»… überhaupt hinter alles ein Fragezeichen«
Ein Vorwort

SELBSTBILDNIS

I.       Das Leben · Eigen war mein Weg und Ziel

II.      Der Mensch · Vor dir bestehen können

III.     Der Künstler · Ich bin eine gute Sorte Sonntagsdichter

LEBENSWEISHEIT

I.       Die kleinen Freuden aufpicken

II.      Das Glück liegt woanders

III.     Die Musik des Lebens

IV.     Die Geheimen Sanitätsräte

V.      Menschenglück und Putenbraten

VI.     Lehre mich die Menschen kennen

VII.    Die Dunkeltiefen des Herzens

VIII.   Die ledernsten Geschöpfe Gottes

IX.     Verdirb es nicht mit den Menschen

X.      Erziehung tut nicht viel

XI.     Ich hasse Moralpredigten und Tugendsimpeleien

XII.    Es gibt Umgangsformen und Artigkeitsgesetze

XIII.   Liebenswürdigkeit und Herzensgüte

XIV.   Das Ideale ist es, was not tut

XV.    Heldentum ist Ausnahmezustand

XVI.   Das Christentum ist nicht tot

XVII.  Ich liebe Liebe, aber ich gucke sie mir an

XVIII. Eine Frau, die nicht rätselhaft ist, ist eigentlich gar keine

XIX.   Zuneigung allein ist nicht genug zum Heiraten

XX.    Wenn man älter wird

XXI.   Ganz geringe wird der Wert der ird’sehen Dinge

XXII.  Heiteres Darüberstehen

XXIII. Ein hoher Rätselwille leitet alles Irdische

XXIV. Es gibt keine neue Weisheit

WELTBETRACHTUNG

I.       In aller Kunst kommt es auf etwas zu Herzen Gehendes an

II.      Das Dichten ist eine herrliche Sache

III.     Parkettplatz Nr. 23

IV.     Wie schwindelnd hoch steht daneben die Lektüre eines guten Buches

V.      Das vergnügliche Reisen

VI.     Überhaupt deutsche Luftkurörter!

VII.    Die Sandgefilde der märkischen Heimat

VIII.   Spree-Athen hat keine Athenienser

IX.     Die »Episode Preußen«

X.      Sehen Sie sich den alten Sachsenwalder an, unsern Zivil-Wallenstein

XI.     Der große Knote der Weltgeschichte

XII.    Die deutschen Volkschaften

XIII.   Frankreich: dies schöne, bevorzugte, verfallende Land

XIV.   Steht England wirklich auf tönernen Füßen?

XV.    Amerika, weil es selber jung ist, ist für die Jugend

XVI.   Tick, tick – Tausend Jahre sind ein Augenblick

XVII.  Die Welt liegt in Wehen


Nachweise und Fundstellen

Fundstellen der Briefauszüge

»…überhaupt hinter alles ein Fragezeichen«

EIN VORWORT


Im Januar 1878 begann die Leipziger Wochenschrift »Daheim« mit dem Vorabdruck eines Romans, dessen 59-jähriger Verfasser, Theodor Fontane, sich als Dichter, Reiseschriftsteller, »Wanderer« durch die Mark Brandenburg, Kriegsberichterstatter und Theaterkritiker einen Namen gemacht hatte, aber als Romancier noch ein unbeschriebenes Blatt war. Der Berliner Verleger Wilhelm Hertz besorgte im Herbst desselben Jahres die Buchausgabe, die von der Kritik wohlwollend, wenn auch nicht überschwänglich aufgenommen wurde, während das Publikum dem Werk nur geringe Beachtung schenkte.

Einer, der diesen Erstling rücksichtsvoll besprach, war der angesehene Kritiker Julius Rodenberg, der seinem Tagebuch freilich ganz anderes anvertraut hatte: »An Fontanes ‚Vor dem Sturm‘ würge ich nun schon bald acht Wochen; es ist nicht zu sagen, was das für ein albernes Buch ist. Ein Roman in vier Bänden, mit gewiß nicht weniger als 100 Personen und dabei nicht so viel Handlung, um auch nur einen halben Band daraus zu machen. Und das muß man lesen und darüber auch noch schreiben! Es ist so unglaublich dumm und albern, daß es mir aus diesem Grunde eine Art von negativem Vergnügen macht; ich frage mich immer: Was wird nun kommen? Werden sie wieder über Land fahren (mit den Ponies)? Werden sie sich wieder zu Tisch setzen? Werden sie wieder schlafen gehen? Das ist die beständige Runde, die [sich] statt durch 4 Bände durch vierzig fortsetzen könnte. Wer aber hält’s aus mitzugehen? Wenn nur Fontane nicht ein so feiner, liebenswürdiger und gescheiter Mann wäre. Und so etwas zu schreiben!«

Rodenbergs private Notizen zeugen zwar vom weitgehenden Unverständnis gegenüber den Intentionen Fontanes wie auch dem literarisch Neuen, das sich hier ankündigte, aber allein gestanden haben dürfte er damit nicht. Denn obgleich sich dieses Debüt schon deutlich von den Romanen jener Zeit unterschied, war es doch noch kein Meisterwerk. Und wohl kaum jemand hätte vorauszusagen gewagt, dass es lediglich den Auftakt für ein Erzählschaffen bildete, mit dem sein Autor Eingang in die Weltliteratur finden sollte.

Die Arbeiten des folgenden Jahrzehnts, darunter die Novellen »L’Adultera« und »Schach von Wuthenow« sowie die Romane »Graf Petöfy«, »Cecile« und besonders »Irrungen, Wirrungen« festigten Fontanes Ruf als Erzähler. Ein durchschlagender Erfolg aber ließ weiterhin auf sich warten. Dennoch haderte er weniger mit sich selbst als mit Kritik und Leserschaft, war er doch vom Rang seiner Epik in hohem Maße überzeugt.

Daran ändert auch eine Bemerkung nichts, die der mittlerweile 70-Jährige gegenüber Wilhelm Hertz in einem Brief vom 9. November 1889 machte: »Es ist sehr selten, daß nach 50 Jahren erscheinende Schriften noch ein großes Interesse wecken. Jeder Tag hat andere Götter […] Alles, was ich geschrieben, auch die ‚Wanderungen‘ mit einbegriffen, wird sich nicht weit ins nächste Jahrhundert hineinretten, aber von den Gedichten wird manches bleiben.«

Eine Äußerung, die später gern kolportiert worden ist als Beleg für die sympathisch uneitle Haltung Fontanes, die ihm freilich den Blick auf die Bedeutung seines Werkes verstellt habe. Abgesehen davon aber, dass er durchaus eitel war und vermutlich nichts einzuwenden gehabt hätte, wenn ihm hinsichtlich des Nachruhmes umgehend widersprochen worden wäre, stand dieses »Geständnis« im zeitlichen Zusammenhang mit der Neuausgabe seiner »Gedichte«, zu der sich Hertz nach jahrelangem Hin und Her endlich durchgerungen hatte. Hier sollten wohl letzte Zweifel des Verlegers, der die Absatzchancen der Gedichte eher skeptisch beurteilt haben dürfte, zerstreut werden. Nicht mehr und nicht weniger.

Denn dass Fontane ausgerechnet den »Wanderungen«, die bislang die meiste Anerkennung unter seinen Büchern gefunden hatten und deren einzelne Bände in zweiter bzw. auch schon dritter Auflage kursierten, nur eine begrenzte Lebensdauer zugestanden wissen wollte, war nicht sein Ernst. Ebenso wenig wie es die Beiläufigkeit war, mit der er von seinen übrigen Schriften sprach. Sogar der im Vorjahr bei F. W. Steffens in Leipzig erschienene Roman »Irrungen, Wirrungen« blieb erwähnt. Der Vorabdruck in der »Vossischen Zeitung« hatte wegen des Themas – der freien Liebe zwischen einem Adligen und einer Näherin – für einen Skandal und mithin für etliches Aufsehen gesorgt. Hertz, dem das Manuskript gar nicht erst angeboten worden war, musste offenbar in dem Glauben gewiegt werden, dass ihm da nichts entgangen sei und er selbst, Fontane, dem Buch keinerlei Gewicht beimesse.

Nein, hier stritt einer mit Vehemenz und allen ihm zu Gebotene stehenden Mitteln für die eigene Sache, unbekümmert darum, sich auch gegen seine Überzeugungen auszusprechen, wenn ihm dies geraten schien.

Wie sehr er jedoch all seinen Arbeiten die gleiche Aufmerksamkeit wünschte, wird in einem Brief deutlich, den er am 11. November 1889, also nur zwei Tage später, an den Publizisten Maximilian Harden schrieb, der ihn um Auskunft zu Werk und Person gebeten hatte: »Wenn ich tot bin und es findet sich wer, der mich der Nachwelt überliefern will, so geben ihm die Vorreden zu meinen verschiedenen Büchern, zum Teil die Bücher selbst – weil sie wie ‚Kriegsgefangen‘, ‚Aus den Tagen der Okkupation‘, ‚Ein Sommer in London‘, ‚Jenseit des Tweed‘ usw. Erlebtes enthalten – das beste Material an die Hand […] Ich glaube, wenn Sie den Artikel im Brockhausschen Konvers.-Lexikon als roten Faden nehmen und dann einiges, wie z.B. den Balladenbarden, den Alten-Fritz-, Zieten-, Kaiser Friedrich-, Bismarck-Sänger, den Wanderer durch die Mark, den Schlachtenbummler mit ekligen Gefahren im Gefolge, vielleicht auch ein bißchen den ‚Realisten‘ und Kritiker in der guten alten Vossin weiter ausführen, so erfreuen Sie mich und andere durch einen wundervollen Artikel.«

Harden, einer der Wortführer der jungen Generation, mochte mit Blick auf den in die Jahre gekommenen Fontane an das Resümee eines Lebenswerks gedacht haben. Aber dessen Zeit als Autor großer gesellschaftskritischer Romane stand erst noch bevor. In dem knappen Jahrzehnt, das ihm verblieb, schuf er Werke wie »Stine«, »Frau Jenny Treibel«, »Mathilde Möhring«, »Effi Briest«, »Die Poggenpuhls« oder »Der Stechlin«, mit denen er zur wichtigsten literarischen Stimme des gründerzeitlichen Deutschlands avancierte.

Der erste Lack des nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich aus der Taufe gehobenen Kaiserreichs war längst ab, die Hoffnung auf grundlegende gesellschaftliche Veränderungen längst verflogen. Der Börsenkrach 1873 hatte die Träume vom unbegrenzten wirtschaftlichen Aufschwung und einem damit verbundenen Wohlstand für breite Schichten wie Seifenblasen zerplatzen lassen. Die fortschreitende Industrialisierung trug stattdessen zur immer weiteren Verelendung der Massen bei. Auf die soziale Frage antwortete Bismarck mit dem »Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie«, dem Sozialistengesetz, das ab 1878 alle diesbezüglichen Aktivitäten untersagte. Adel und Klerus erwiesen sich als unfähig Alternativen aufzuzeigen. Ein neureiches Bürgertum etablierte sich, dem der eigene Vorteil allemal höher stand als die Ideale von 1848. An deren Stelle traten Standesdünkel, Deutschtümelei und nationale Überheblichkeit.

Vor diesem Hintergrund entfaltete sich Fontanes einzigartige Begabung, die nicht die des Sozialrevolutionären Autors war (zu dem ihm aufgrund seines Temperaments, Werdegangs und inzwischen erreichten Alters alle Voraussetzungen fehlten), sondern die des Realisten, der, ausgestattet mit den Erfahrungen eines gelebten Lebens, sich nur schwerlich noch etwas vormachen ließ: »Alles, was jetzt bei uns obenauf ist, entweder heute schon oder es doch vom morgen erwartet, ist mir grenzenlos zuwider: dieser beschränkte, selbstsüchtige, rappschige Adel, diese verlogene und bornierte Kirchlichkeit, dieser ewige Reserve-Offizier, dieser gräuliche Byzantizismus.«

Berlin bot die Bühne, auf der sich das Spektakel ungeniert vollzog. Und trotz der Hassliebe, die ihn mit dieser Stadt verband, und trotz des zeitweiligen Wunsches derselben den Rücken zu kehren, verließ Fontane den Beobachtungsposten nicht. Schon 1860 hatte er an den Freund und Dichterkollegen Paul Heyse geschrieben: »Es ist mir im Laufe der Jahre, besonders nach meinem Aufenthalte in London, Bedürfnis geworden, an einem großen Mittelpunkte zu leben, in einem Zentrum, wo entscheidende Dinge geschehn. Wie man auch über Berlin spötteln mag, wie gern ich zugebe, daß es diesen Spott gelegentlich verdient, das Faktum ist doch schließlich nicht wegzuleugnen, daß das, was hier geschieht und nicht geschieht, direkt eingreift in die großen Weltbegebenheiten. Es ist mir ein Bedürfnis geworden, ein solches Schwungrad in nächster Nähe sausen zu hören, auf die Gefahr hin, daß es gelegentlich zu dem bekannten Mühlrad wird.«

Bereits seit der Schulzeit lebte Theodor Fontane in Berlin. Das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, war er 1833 vom Gymnasium seiner Geburtsstadt Neuruppin an die hiesige Gewerbeschule gekommen. Kein mangelhaftes Zeugnis, sondern die durch die Spielsucht des Vaters verursachte wirtschaftliche Schieflage der Familie hatte den Schulwechsel erzwungen. Die Berliner Lehranstalt genoss zwar durch ihre naturwissenschaftliche und praxisbezogene Ausrichtung einen guten Ruf, ersetzte aber keinen Abschluss, der unmittelbar zum Studium berechtigte. Lediglich die Mittlere Reife in der Tasche verließ der 17-Jährige auch diese Einrichtung vorzeitig und begann 1836, den väterlichen Beruf vor Augen, jedoch ohne innere Überzeugung, eine Lehre als Apotheker.

In einem Brief an den Freund Bernhard von Lepel bekannte er noch viele Jahre danach, wie sauer ihm die Lehrzeit aufgestoßen war. »Es heißt zwar immer: »Arbeit schändet nicht‘, und namentlich solche, die immer auf dem Sofa gelegen haben, sind sehr freigebig mit diesem Trost, aber rufe Dir mal meine ganze Wesenheit vor die Seele und frage Dich dann, was ich empfinden muß, wenn ich dem Lehrling zurufe:,Sputen Sie sich! wiegen Sie genau! denken Sie, die China-Pomade kostet dem Herrn X. Y. kein Geld? mein Gott, lassen Sie doch das schöne Kind nicht so lange warten; Sie sehen ja, sie hat Eile.‘ Darauf ergreif ich in heiligem Eifer selbst die Pomadenbüchse, wickle mit einer zarten Bemerkung die Salbe in doppeltes Papier und überreiche irgendwelchem Saumensch, die abends hinter den Haustüren abgeknutscht wird, pfiffig lächelnd ihre Haarschmiere.«

Die Frage, welchen Weg Fontane gegangen wäre, wenn die Umstände es ihm erlaubt hätten, das Gymnasium abzuschließen und ein Studium zu absolvieren, ist spekulativ, verweist aber darauf, dass der Mangel an planvoller Bildung schon früh danach verlangte, sich des Wissens von der Welt über das Anschauen derselben zu versichern. Das erklärt einerseits sein später wiederholt geäußertes Misstrauen gegenüber aller Bildung, die nicht durch Lebenserfahrung legitimiert war. Herzensbildung stand ihm denn auch lebenslang höher als Gelehrsamkeit. Und es erklärt anderseits den langen wie langwierigen Reife- und Entwicklungsprozess, den er durchlief.

Erste Gedichte und die Novelle »Geschwisterliebe« hatte er bereits nach Beendigung der Apothekerlehre im Berliner »Figaro« veröffentlicht. Talentproben, die Formbewusstsein erkennen ließen, aber noch kein Thema. Bezeichnenderweise trug eines der Gedichte den Titel »Der Dilettant«. Es vergingen noch zehn Jahre, ehe er mit dem Gedichtband »Männer und Helden. Acht Preußenlieder«, in dem er der als bleiern empfundenen Zeit ein idealisiertes Vergangenheitsbild entgegenstellte, auch als Buchautor debütierte.

Vorangegangen waren dem, was hier nach literarischem Ausdruck drängte, die Erfahrungen während der Märzunruhen von 1848, an denen er sich aktiv beteiligt hatte und in deren Folge er zum Wahlmann für eine von König Friedrich Wilhelm IV. zähneknirschend in Aussicht gestellte verfassunggebende Volksversammlung gewählt worden war. Dass das alte Preußen freilich kaum dazu taugte, der Gegenwart Perspektiven aufzuzeigen, wie es Fontane in seinem Buch versucht hatte, blieb ein Widerspruch, über den er sich, wenn überhaupt, erst am Ende seines Lebens klar wurde.

Obwohl auch die Jahre als Apotheker – den Beruf hängte er endgültig 1849 an den Nagel – seine Lebens- und Menschenkenntnis geschärft hatten, sollte ihm eine der Achtundvierziger Revolution vergleichbare Erfahrungserweiterung erst während des England-Aufenthaltes wieder zuteil werden. 1850 war er nach dem glücklosen Versuch, sich als freier Schriftsteller zu etablieren, in das dem preußischen Innenministerium unterstellte »Literarische Kabinett« eingetreten, das, ganz im Gegensatz zu seinem Namen, nicht der Förderung geistiger und literarischer Bestrebungen, sondern deren Überwachung diente. Fontanes anfängliche Skrupel wurden durch die festen Bezüge gemildert, die es ihm im Oktober 1851 endlich gestatten Emilie Rouanet-Kummer zu heiraten, mit der er seit fünf Jahren verlobt war. Zwei Monate später allerdings kündigte man ihm schon.

Die folgende Zeit gehörte zu den finanziell schwierigsten der jungen Familie. Ein Gesuch um ein Dichterstipendium wurde mangels politischer Zuverlässigkeit des Antragstellers abgelehnt. Die Gründung einer Schülerpension erwies sich als Fehlschlag. Und auch mit der Erteilung von Privatunterricht war der Lebensunterhalt nicht zu bestreiten. Im Herbst 1851 trat Fontane erneut ins »Literarische Kabinett« ein und vermeldete dem Freund Lepel: »Ich habe mich heut der Reaktion für monatlich 30 Silberlinge verkauft und bin wiederum angestellter Scriblifax […] Man kann nun mal als anständiger Mensch nicht durchkommen.«

Im Frühjahr 1852 unternahm er einen ersten Versuch, sich als Korrespondent in London niederzulassen, der jedoch scheiterte. Erst 1855 sollte dies gelingen. Der 3-jährige Aufenthalt wurde, wie Edda Ziegler und Gotthard Erler zu Recht in ihrer Biographie »Theodor Fontane. Lebensraum und Phantasieweit« hervorheben, »die entscheidende Bildungserfahrung seines Lebens«. Die wirtschaftliche Prosperität des viktorianischen Englands bewunderte er ebenso wie dessen politische Liberalität, die ihre Entsprechungen im hohen Stand der Kultur fanden. Als literarische Frucht dieser Jahre erschienen 1860 seine Reisebücher »Aus England. Briefe über Londoner Theater, Kunst und Presse« sowie »Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland«.

Zurückgekehrt nach Berlin, arbeitete er in Ermangelung von Alternativen zunächst als Redakteur für die stockkonservative »Kreuz-Zeitung«. Erst 1870 bot sich die Chance, als Theaterkritiker für die liberale »Vossische Zeitung« tätig zu werden. 1876 nahm er noch einmal eine fest besoldete Stelle an – die des Ersten Sekretärs der Preußischen Akademie der Künste.

Was von den Freunden Fontanes, die ihm den Posten verschafft hatten (und mehr noch von seiner Frau als von ihm selbst), als eine Art Lebensversicherung gedacht war, entwickelte sich indes zum Desaster. Von den Verwaltungsaufgaben, für die er keine Voraussetzungen besaß, deutlich überfordert, traten obendrein auch noch Differenzen mit dem Akademiepräsidenten Friedrich Hitzig hinzu. Nach drei Monaten schon reichte er deshalb das Kündigungsgesuch ein. Das »Unglücksjahr«, wie er es selbst bezeichnet hat, gab jedoch den letzten Anstoß, sich endgültig der eigenen Berufung zu stellen.

Anhand der Briefe und Tagebücher, der autobiographischen Schriften, der Gedichte und des Erzählwerks führt das vorliegende Buch, gegliedert nach Themenkreisen, in den Lebens- und Schaffenskosmos Theodor Fontanes ein. Die Kapitelüberschriften sind allesamt Prägungen von ihm. Hier und da wurden behutsam Kürzungen seiner Texte vorgenommen, ohne deren Aussage oder Stimmung zu verändern. Kursiv hervorgehoben finden sich die weiterführenden Erklärungen und Kommentare des Herausgebers.

Der erste Teil dieses Auswahlbandes widmet sich unter der Überschrift »Selbstbildnis« dem Werdegang Fontanes von der Kindheit, Schulzeit und Lehre über die Jahre als Apotheker, England-Korrespondent und Berliner Redakteur bis hin zur Zeit der schriftstellerischen Reife. Wir erhalten Einblick in seinen Lebensalltag und die häuslichen Verhältnisse, erfahren von Hoffnungen und Enttäuschungen, Freuden und Kümmernissen, von Momenten des Glücks und bitteren Leids. Und wir haben teil am Ringen eines außergewöhnlichen Künstlers, über dessen Rang sich die Zeitgenossen lange nicht so sicher waren, wie wir es heute sind.

»Lebensweisheit« und »Weltbetrachtung« heißen der zweite und dritte Teil. Sie bringen uns die Gedankenwelt Fontanes und jene Gegenstände nahe, die er des genaueren Untersuchens für wert befand: die »Geheimen Sanitätsräte« ebenso wie die »Dunkeltiefen des Herzens«, den »großen Knoten der Weltgeschichte« ebenso wie die deutschen »Luftkurörter«. Was er darüber zu sagen hat, aphoristisch zugespitzt oder episch breit ausgeführt, lässt sich noch immer mit Gewinn lesen. Denn unumstößliche Wahrheiten gab es für ihn nicht, »weil er seinem ganzen Wesen nach überhaupt hinter alles ein Fragezeichen machte. Sein schönster Zug war eine tiefe, so recht aus dem Herzen kommende Humanität, und Dünkel und Überheblichkeit (während er sonst eine Neigung hatte, fünf gerade sein zu lassen) waren so ziemlich die einzigen Dinge, die ihn empörten. Er hörte gern eine freie Meinung, je drastischer und extremer, desto besser. Daß sich diese Meinung mit der seinigen deckte, lag ihm fern zu wünschen. Beinah das Gegenteil.« Das schreibt er einer seiner Romanfiguren zu, dem alten Stechlin, aber es galt genauso gut für ihn selbst.

Wolfgang Feyerabend

 

 

 

 

Die nicht diesem Brevier entnommenen Zitate stammen aus:

Anmerkungen. In: Theodor Fontane: Romane und Erzählungen in acht Bänden Hrsg. von Peter Goldammer, Gotthard Erler, Anita Golz und Jürgen Jahn Erster Band, 4. Aufl., Berlin und Weimar 1993, S. 359f.

(»An Fontanes ‚Vor dem Sturm‘…«)

Brief an Wilhelm Hertz. Berlin, 9. November 1889. In: Theodor Fontane, Briefe an Wilhelm und Hans Hertz. Hrsg. von Kurt Schreinert, Stuttgart 1972, S. 320

(»Es ist sehr selten …«)

Brief an Maximilian Harden. Berlin, 11. November 1889. In: Fontanes Briefe in zwei Bänden. Ausgewählt und erläutert von Gotthard Erler. Zweiter Band, 3. Aufl., Berlin und Weimar 1989, S. 243f.

(»Wenn ich tot bin…«)

Brief an Paul Heyse. Berlin, 28. Juni 1860. In: Fontanes Briefe in zwei Bänden. Ausgewählt und erläutert von Gotthard Erler. Erster Band, 3. Aufl., Berlin und Weimar 1989, S. 280

(»Es ist mir im Laufe der Jahre …«)

Brief an Bernhard von Lepel. Berlin. 5. Oktober 1849. In: Ebd., S. 33f.

(»Es heißt zwar immer …«)

Brief an Bernhard von Lepel. Berlin, [30. Oktober 1851]. In: Ebd., S. 67

(»Ich habe mich heut der Reaktion…«)

Der Stechlin. In: Romane und Erzählungen in acht Bänden. Hrsg. von Peter Goldammer, Gotthard Erler, Anita Golz und Jürgen Jahn. Achter Band, 4. Aufl., Berlin und Weimar 1993, S. 9f.

(»… weil er seinem ganzen Wesen nach«)

SELBSTBILDNIS


I

DAS LEBEN – »EIGEN WAR MEIN WEG UND ZIEL«


Vier Jahre war der Waffenlärm der langen napoleonischen Kriege verklungen, als Theodor Fontane in der Löwenapotheke in Neuruppin zur Welt kam, am 30. Dezember 1819.

Der deutsche Dichter mit dem romanischen Namen, in dessen Wesen und Kunst sich märkisches und französisches Ahnenerbe seltsam verschmelzen, ist bei aller Verwurzelung im deutschen Erdreich dennoch, wie Nietzsche, stolz auf die fremde Abstammung seiner Eltern.

Wie ungermanisch bin ich doch! Alle Augenblicke (aber ganz im Ernst) empfind ich meine romanische Abstammung. Und ich bin stolz darauf.

(an seine Frau, 9.8.75)

Wie stolz und wie glücklich bin ich, daß »meiner Ahnen Wiege« im Languedoc, ja sogar in der Gascogne gestanden hat. Übrigens bist Du auch daher; Toulouse und Montpellier liegen beieinander.

(an seine Frau, 30.9.88)

In seinem Erinnerungsbuch »Meine Kinderjahre« zeichnet der Fünfundsiebzigjährige das Bildnis der Eltern.

Mein Vater war ein großer, stattlicher Gascogner voll Bonhomie, dabei Phantast und Humorist, Plauderer und Geschichtenerzähler, und als solcher, wenn ihm am wohlsten war, kleinen Gasconnaden nicht abhold; meine Mutter andererseits war ein Kind der südlichen Cevennen, eine schlanke, zierliche Frau von schwarzem Haar, mit Augen wie Kohlen, energisch, selbstsuchtsvoll und ganz Charakter, aber von so großer Leidenschaftlichkeit, daß mein Vater halb ernst-, halb scherzhaft von ihr zu sagen liebte: »Wäre sie im Lande geblieben, so tobten die Cevennenkriege noch.«

Gascogne und Cevennen lagen für meine Eltern, als sie geboren wurden, schon um mehr als hundert Jahre zurück, aber die Beziehungen zu Frankreich hatten beide, wenn nicht in ihrem Herzen, so doch in ihrer Phantasie nie ganz aufgegeben.

(MK)

Der Vater siedelte in Theos achtem Lebensjahre nach Swinemünde über. Ernster Arbeit abhold, geriet er aus Langeweile an den Spieltisch, und so zerrann ihm, der aus der »Bredouille« niemals herauskam, bis auf einen bescheidenen Rest das fontanesche Familienvermögen. So entglitt ihm auch die Liebe seiner Gattin, der Berliner Seidenhändlerstochter Emilie Labry, die auf repräsentativen Wohlstand und eine gefestete bürgerliche Lebensordnung hielt. In solcher Atmosphäre wurden die im ganzen gesehen glücklichen Jugendjahre des Sohnes doch dann und wann durch die Gewichte frühen Leides beschwert, wenn wieder einmal eine »große Szene« sich zwischen den leicht erregbaren Eltern abspielte.

Immer infolge von phantastischen Rechnereien und geschäftlichen Unglaublichkeiten, um derentwillen man ihm doch nie böse sein konnte. Denn er wußte das alles und gab seine Schwächen mit dem ihm eigenen Freimut zu. Manches war Bitterkeit, noch mehr war Selbstanklage. Denn bis zu seiner letzten Lebensstunde verharrte er in Liebe und Verehrung zu der Frau, die unglücklich zu machen sein Schicksal war.

(MK)

Für das Verhalten der Mutter, die später getrennt von ihrem Gatten lebte, gewinnt der Sohn erst in reiferen Jahren volles Verständnis.

Als ich selber noch jung war, erschien mir vieles in ihrer Haltung, besonders meinem Vater gegenüber, zu hart und zu herbe, später indes habe ich einsehen gelernt, wie richtig alles war, was sie tat, vor allem auch, was sie nicht tat, und beklage jetzt jeden gegen sie gehegten Zweifel. Ihre ganz südfranzösische Heftigkeit, die mitunter geradezu ängstliche Formen annahm, war vielleicht nicht immer zu billigen, aber doch schließlich nichts anderes als eine beneidenswerte Kraft, sich über Pflichtverletzung und unsinnige Lebensführung tief empören zu können.

(MK)

Es ist ein menschlich schöner Zug, daß der Dichter gegen den Vater – »eigentlich ein schief gewickelter oder ins Apothekerhafte übersetzter Weltweiser« – keinen unversöhnlichen Groll im Herzen gehegt hat.

Viele Jahre danach, als es ihm selber schlecht ging, und sein Vermögen bis auf ein Minimum zusammengeschrumpft war, hat er mir in hochherziger und rührender Weise geholfen. Es handelte sich für mich um einen längeren und ziemlich kostspieligen Aufenthalt in England. Er half mir dazu, ohne langes Besinnen und ohne sentimentale Redensarten, unter Dransetzung letzter Mittel. Und so fügte sich’s denn, daß er, der in guten Tagen in diesem und jenem wohl manches versäumt hatte, schließlich doch der Begründer des bescheidenen Glückes wurde, das dieses Leben für mich hatte.

(MK)

Ergreifend, wie der Sohn den Ausgang des Vaters in herbstlich vergoldeter, fast friderizianischer Verklärung sieht.

Wie er ganz zuletzt war, so war er eigentlich. In seinen alten Tagen waren des Lebens Irrtümer von ihm abgefallen, und je bescheidener sich im Laufe der Jahre seine Verhältnisse gestaltet hatten, desto gütiger und persönlich anspruchsloser war er geworden, immer bereit, aus seiner eigenen bedrückten Lage heraus noch nach Möglichkeit zu helfen. In Klagen sich zu ergehen, fiel ihm nicht ein, noch weniger in Anklagen (höchstens gegen sich selbst), und dem Leben abgewandt, seinen Tod ruhig erwartend, verbrachte er seine letzten Tage comme philosophe.

(MK)

Die Übersiedlung des zwölfjährigen Knaben ans Gymnasium nach Neuruppin empfindet er später als schmerzhaft schroffen Abschluß der frühlingshellen Tage seiner Kinderzeit.

Es war eine glückliche Zeit gewesen; später – den Spätabend meines Lebens ausgenommen – hatt’ ich immer nur vereinzelte glückliche Stunden. Damals aber, als ich in Haus und Hof umherspielte und draußen meine Schlachten schlug, damals war ich unschuldigen Herzens und geweckten Geistes gewesen, voll Anlauf und Aufschwung, ein richtiger Junge, guter Leute Kind. Alles war Poesie. Die Prosa kam bald nach, in allen möglichen Gestalten, oft auch durch eigene Schuld.

(MK)

Der Erziehung im Elternhaus, die unter den dort waltenden Verhältnissen immerhin als fragwürdig erscheinen mag, spendet der Zögling seinen uneingeschränkten Beifall.

Ich hatte das Glück, in meinen Kindheits- und Knabenjahren unter keinen fremden Erziehungsmeistern – denn die Hauslehrer bedeuteten nach dieser Seite hin sehr wenig – heranzuwachsen, und wenn ich die Frage stelle: »wie wurden wir erzogen«, so muß ich darauf antworten: »Gar nicht und – ausgezeichnet.« Legt man den Akzent auf die Menge, versteht man unter Erziehung nichts weiter als »in guter Sitte ein gutes Beispiel geben« und im übrigen das Bestreben, einen jungen Baum, bei kaum fühlbarer Anfestigung an einen Stab, in reiner Luft frisch, fröhlich und frei aufwachsen zu lassen, so wurden wir ganz wundervoll erzogen.

(MK)

Der schulischen Ausbildung des Knaben, mit der es in Swinemünde haperte, pflegte der Vater nachzuhelfen mit einer durch geschichtliche Anekdoten gewürzten Form des Unterrichts, die er stolz seine »sokratische Methode« nannte. Auch für diese hat er die bewundernde Anerkennung des Sohnes geerntet.

Ich verdanke diesen Unterrichtsstunden, wie den daran anknüpfenden gleichartigen Gesprächen, eigentlich alles Beste, jedenfalls alles Brauchbarste, was ich weiß. Von dem, was mir mein Vater beizubringen verstand, ist mir nichts verloren gegangen und auch nichts unnütz für mich gewesen. Nicht bloß gesellschaftlich sind mir in einem langen Leben diese Geschichten hundertfach zugute gekommen, auch bei meinen Schreibereien waren sie mir immer wie ein Schatzkästlein zur Hand, und wenn ich gefragt würde, welchem Lehrer ich mich so recht eigentlich zu Dank verpflichtet fühle, so würde ich antworten müssen: meinem Vater, meinem Vater, der sozusagen gar nichts wußte, mich aber mit dem aus Zeitungen und Journalen aufgepickten und über alle möglichen Themata sich verbreitenden Anekdotenreichtum unendlich viel mehr unterstützt hat als alle meine Gymnasial- und Realschullehrer zusammengenommen. Was die mir geboten, auch wenn es gut war, ist so ziemlich wieder von mir abgefallen; die Geschichten von Ney und Rapp aber sind mir bis diese Stunde geblieben.

(MK)

Grotesk ist die Übersicht, die der Rückschauende über sein Schulwissen gibt, das er in die Quarta des Neuruppiner Gymnasiums mitbrachte.

Was ich dahin mitbrachte, war etwa das folgende: Lesen, Schreiben, Rechnen; biblische Geschichte, römische und deutsche Kaiser; Entdeckung von Amerika, Cortez, Pizarro; Napoleon und seine Marschälle; die Schlacht von Navarino, Bombardement von Algier, Grochow und Ostrolenka; Pfeffels Tabakspfeife, »Nachts um die zwölfte Stunde«, Holteis Mantellied und beinahe sämtliche Schillersche Balladen. Das war, einschließlich einiger lateinischer Brocken, so ziemlich alles, und im Grunde bin ich nicht recht darüber hinausgekommen. Einige Lücken wurden wohl zugestopft, aber alles blieb zufällig und ungeordnet, und das berühmte Wort vom »Stückwerk« traf auf Lebenszeit buchstäblich und in besonderer Hochgradigkeit bei mir zu.

(MK)

Wie spießbürgerlich war mein heimatliches Ruppin, wie poetisch das aus bankrutten Kaufleuten bestehende Swinemünde, wo ich von meinem 7. bis zu meinem 12. Jahre lebte und nichts lernte. Fast möchte ich hinzusetzen Gott sei Dank. Denn das Leben auf Strom und See, der Sturm und die Überschwemmungen, englische Matrosen und russische Dampfschiffe, die den Kaiser Nikolaus brachten – das war besser als die unregelmäßigen Verba, das einzig Unregelmäßige, was es in Ruppin gab.

(an Friedlaender, 22.10.90)

Mit 14 Jahren vertauscht Fontane das Neuruppiner Gymnasium mit der Klödenschen Gewerbeschule in Berlin. In den zwei Jahren, die er dort verbringen muß, gerät der phantasiebegabte Junge auf die gefährliche Bahn des gewohnheitsmäßigen Schulschwänzens.

Eine Gefahr war es, und sie läuft nicht immer so gnädig ab. Aber, nachdem ich der Gefahr nun mal entronnen, Sprech’ich, aller Unrechtserkenntnis zum Trotz, doch auch wieder meine Freude darüber aus, der Schule dies Schnippchen geschlagen und meine »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« lange vor ihrem legitimen Beginn schon damals begonnen zu haben. Ich habe mich gesundheitlich sehr wohl dabei gefühlt und mich in den Nachmittagsstunden bei Freund Anthieny (Konditorei) zu einem halben Literaturkundigen ausgebildet. Hätte ich statt dessen pflichtgemäß meine Schulstunden abgesessen, so wäre mein Gewissen zwar reiner geblieben, aber mein Wissen auch. Mein Vater, wenn ihm meine Mutter vorwarf, »er habe alles bloß aus dem Konversationslexikon«, antwortete regelmäßig: »Es ist ganz gleich, wo man’s herhat.« Und dieser Ansicht möcht ich mich anschließen.

(Zw)

Ostern 1836 tritt der Sechzehnjährige als Lehrling in die Rosesche Apotheke in Berlin ein. Mit diesem Verlegenheitsschritt zum Broterwerb, so gar nicht beschwingt durch innere Berufswahl, beginnen für ihn die langen 13 Jahre eines ungeliebten und qualvoll unbefriedigenden Apothekerdaseins, denn seine Herzensneigung weist ihn schon früh auf die romantischen Pfade geistig-künstlerischen Schaffensdranges.

Von Kindesbeinen an hab’ ich eine ausgeprägte Vorliebe für die Historie gehabt. Ich darf sagen, daß diese Neigung mich geradezu beherrschte und meinen Gedanken wie meinen Arbeiten eine einseitige Richtung gab. Als ich in meinem zehnten Jahre gefragt wurde, was ich werden wollte, antwortete ich ganz stramm: Professor der Geschichte. Als ich ein dreizehnjähriger Tertianer und im übrigen ein mittelmäßiger Schüler war, hatt’ ich in der Geschichte solches Renomee, daß die Primaner mit mir spazieren gingen und sich – ich kann’s nicht anders ausdrücken – fürs Examen durch mich einpauken ließen.

(an Storm, 14.2.54)

Als die vier Jahre der herkömmlichen Apothekerlehrzeit um sind, tut sich ihm ein größeres Stück Welt auf während der Gehilfenjahre in Burg, Leipzig und Dresden. Dann dient er als Fünfundzwanzigjähriger sein Jahr in einem Berliner Infanterieregiment ab. Es gibt ihm starke Eindrücke preußischen Soldatentums und preußischer Geschichte und weist ihm auch die Wegrichtung in seine eigentliche, die fontanesche Welt. Denn ein günstiges Geschick führt ihn einem Kreise lebens- und geistvoller junger Menschen zu, einem literarischen Sonntagsverein, der sich » Tunnel über der Spree« nannte.

Lauter »Werdende« waren es, die der Tunnel allsonntäglich in einem von Tabaksqualm durchzogenen Kaffeelokale versammelte. Um die Zeit, als ich eintrat, hatte die Gesellschaft ihren ursprünglichen Charakter bereits stark verändert und sich aus einem Vereine dichtender Dilletanten in einen wirklichen Dichterverein umgewandelt. Auch jetzt noch, trotz der Umwandlung, herrschten »Amateurs« vor, gehörten aber doch meistens jener höheren Ordnung an, wo das Spielen mit der Kunst entweder in wirkliche Kunst übergeht oder aber durch entgegenkommendes Verständnis ihr oft besser dient als der fachmäßige Betrieb.

(Zw)

Im »Tunnel«, wenn er sich auch unter seinen etwas verquerten Gesellen nie ganz heimisch gefühlt hat, findet er, wie später in den Seitengruppen »Ellora« und »Rütli«, Umgang und gar Freundschaft mit Künstlern hohen Ranges, wie Paul Heyse, Heinrich Seidel, Theodor Storm, Emanuel Geibel, Theodor Hosemann und Adolf Menzel, um nur einige der bedeutendsten zu nennen.

Dem vielgeschmähten Tunnel verdank’ ich es, daß ich mich wiederfand und wieder den Gaul bestieg, auf den ich nun mal gehöre.

(an einen Freund, 14.2.54)

In der Hochstimmung seiner frühen Tunnelzeit verlobt sich der Apothekergehilfe, unbekümmert um seine noch ganz ungesicherte Lebenslage. Die Verlobung mit Emilie Rouanet, einem Abkömmling hugenottischen Blutes, die, als er sie vor zehn Jahren kennenlernte, »nicht bloß ein französisches Kind aus dem Languedoc, sondern mehr noch ein Ciocciarenkind aus den Abruzzen« zu sein schien, ergibt sich wie von selbst auf der Weidendammer Brücke.

Da wir beide plauderhaft und etwas übermütig waren, so war an Verlegenheit nicht zu denken, und diese Verlegenheit kam auch kaum, als sich mir im Laufe des Gespräches mit einem Male die Betrachtung aufdrängte: »Ja, nun ist wohl eigentlich das beste, sich zu verloben.« Es war wenige Schritte vor der Weidendammer Brücke, daß mir dieser glücklidiste Gedanke meines Lebens kam, und als ich die Brücke wieder um ebenso viele Schritte hinter mir hatte, war ich denn auch verlobt. Mir persönlich stand dies fest. Weil sich aber die dabei gesprochenen Worte von manchen früher gesprochenen nicht sehr wesentlich unterschieden, so nahm ich plötzlich, von einer kleinen Angst erfaßt, zum Abschiede noch einmal die Hand des Fräuleins und sagte ihr mit einer mir sonst fremden Herzlichkeit: »Wir sind aber nun wirklich verlobt.«

(Zw)

Im Herbst 1847 besteht der sein ganzes Leben Examensfeindliche mit knapper Not die Apothekerprüfung.

Ich hatte Glück gehabt, wenn mir freilich auch sehr bald wieder die Frage kam: »Ja, was nun?« Ich hatte das Examen hinter mir, aber keine Spur von Lebensaussicht vor mir; bloß eine arme Braut, die wartete. Da half denn schließlich nichts, ich mußte wieder irgendwo unterkriechen und trat im Spätherbst 47 in die Jungsche Apotheke ein.

(Zw)

Die fünf Jahre der Brautzeit werden für den immer noch auf falscher Berufsbahn sich Dahinquälenden lang und peinigend.

Daß ich verlobt bin, weißt Du. In diesem Faktum liegt noch kein Grund zur Gratulation, wohl aber darin, daß ich mich glücklich fühle in meiner Wahl und meiner Liebe. Du hast das junge Mädchen bei Deinem Hiersein gesehen. Das Hervorstechende ihres Wesens ist, körperlich und geistig, das Interessante, sie wird mich auch da zu fesseln wissen, wo mir größere Schönheit, umfassenderes Wissen und selbst tieferes Gefühl auf meinem Lebenswege begegnen sollten. Mit einem Wort: sie ist »liebenswürdig«, sie hat jenes unerklärbare Etwas, was allem einen Reiz verleiht; die Schwächen selbst werden so zu Tugenden gestempelt; Unkenntnis gibt sich als herzgewinnende Natürlichkeit; launenhafte Wünsche und Einfälle kleiden sich in das Gewand des Eigentümlichen. Ich habe in meiner Liebe viele Kämpfe durchgemacht; ich habe (ohne deshalb meine Braut je minder geliebt zu haben) meine Verlobung wie eine Übereilung betrachtet, ich habe mir die Befähigung abgesprochen, je ein Weib glücklich machen zu können, und habe gleichzeitig meinen eigenen Untergang als eine Gewißheit vor Augen gesehen; zu dem allen habe ich den Höllensoff brennender, verzweifelnder Eifersucht gekostet, oder richtiger, meine Seele monatelang damit getränkt. Diese Zeiten sind vorüber; unter allen diesen Stürmen hat sich meine Liebe bewährt; ich darf sie als einen geklärten Wein betrachten, der, wenn auch nicht feuriger mit den Jahren wie Rheinwein, doch auch nicht schlechter wie Medoc werden wird. –

Ich muß meine obigen Mitteilungen durch das Geständnis ergänzen, daß namentlich der Poet in mir oft blutige Tränen über den verlobten Bräutigam vergoß. Auch diese Mißhelligkeiten sind beigelegt; meine Braut, die sonst in meinen dichterischen Gelüsten nur eine verhaßte Nebenbuhlerin sah, hat diese plötzlich von Herzen liebgewonnen, und so hoff’ ich in Zukunft wie der Graf von Gleichen zu leben, bei welchem Bild ich freilich in Zweifel gerate, ob ich meine Muse oder meine Braut mit der feurigen, schwarzäugigen Orientalin vergleichen soll. Stünde meine Braut jetzt hinter mir und guckte über die Schulter, so wäre eine Maulschelle mein unzweifelhaftes Los.

(an einen Freund, 10.11.47)

Mitten in die Brautzeit fällt das »tolle Jahr« 1848. Auch Fontane wird in den Wirbel des politischen Meinungs-Streites mit hineingerissen. Sein Leutnant aus der Einjährigenzeit, Tunnelfreund und Dichtergenosse von Lepel, soll dem Brausekopf zu einer Büchse verhelfen.

Hast Du nicht auf väterlicher Rumpelkammer eine alte aber gute Büchse: Ich fordre es von Dir als einen Freundschaftsdienst, mich nicht im Stich zu lassen. Der Augenblick erheischt Taten, oder doch Wort und Tat. Schande Jedem, der zwei Fäuste hat mit Hand ans Werk zu legen, und sie pomadig in die Hosentasche steckt. Hätt’ ich Zeit und namentlich Geld, ich wäre ein Wühler commc il faut, denn alles ist faul und muß unterwühlt werden.

(an Lepel, 21.9. 48)

Es liegt mir an der Freiheit, nicht an ihrer Form im Staate! Ich will keine Republik, um sagen zu können, ich lebe in solcher. Ich will ein freies Volk; Namen tun nichts zur Sache; ich hasse nicht die Könige, sondern den Druck, den sie mit sich führen. Man spielt kein ehrliches Spiel, und darum will ich die Republik. Es gibt keine deutsche Einheit bei 37 Fürsten, und deshalb will ich sie noch einmal. Von dieser letztern Wahrheit bin ich so tief durchdrungen, und das Aufgehn aller Sonderinteressen, jeder kleinen Eitelkeit und aller Vorurteile zur Ehre und zum Ruhme des großen deutschen Vaterlandes ist so sehr Gewissenssache bei mir geworden, daß um des gewaltigen Zweckes willen die Fürsten fallen müßten und wenn sie Engel wären. Aber sie, die da fallen sollen, sind längst gefallene Engel.

(an Lepel, 12.10.48)

Auch in der Brust des »wackern Revolutionärs«, der das »Schreckensregiment polizeilicher Willkür« durch den »militärisch organisierten Rechtsstaat« ersetzen will, legt sich der Sturm bald. Doch zeitigt er auf dem persönlichen Feld eine revolutionäre Tat, den Entschluß, den Apotheker an den Nagel zu hängen – im Oktober 1849 – und ohne Rücksicht auf das »Auch-leben-können« freier Schriftsteiler zu werden. In der Zeit der Not ums Brot, die schon voraufgegangen ist und nun ihre volle Härte erreicht, hilft ihm sein Vertrauter Lepel immer wieder freundschaftlich aus.

Ich habe die Ehre und das Vergnügen, einer durch und durch pauvren Familie anzugehören, die dadurch doppelt pauvre ist, daß sie, in fast allen ihrer Glieder, mal was besessen und die Tausende zum Schornstein hinausgewirtschaftet hat. Dadurch ist nicht bloß das Geld, sondern auch der Credit zum Teufel gegangen. Mein Vater, in vielen Stücken ein ganz famoser Kerl, in einzelnen sogar ein seltner, hat ein bis auf den letzten Dadiziegel verschuldetes Grundstück, und wartet eigentlich schon 25 Jahre darauf, daß er von Gerichts wegen mit Weib und Kind aus dem Hause geschmissen wird. Ich sage Dir: und wenn ich eine Sechserschrippe auf Pump kaufen und einen Schein auf die Apotheke meines Vaters ausstellen wollte, so würde sich der Bäcker bestens bedanken. Es wird zwar bei uns zu Hause immer noch Champagner getrunken, weil jeder Tag Geld bringt und die Pfennig-Not noch nicht da war, aber was die Stunde gibt, das nimmt sie auch, und wenn ich mich verheiratete, würde man mir höchstens eine Schiebelampe oder ein Teesieb zum Hochzeitsgeschenk machen können. – Sage mir ein Mittel, aus solchem dürren Bronnen die Lebensmilch – das Geld zu pumpen!

(an Lepel, 17.7.49)

Ich las gestern, Campe habe versichert: »ein Pfund Wolle spinnen sei verdienstlicher wie ein Band (selbst guter) Gedichte herausgeben.«

Mein lieber Lepel, lache nicht! Das ist noch gar nichts. Laß Dir inzwischen etwas aus dem allerneusten Leben Deines Freundes Fontane erzählen, der doch auch Gedichte geschrieben hat und zum Wesen der Wesen, trotz Einem, um sein Fisselchen Unsterblichkeit emporschreit.

Eggers fragte mich gestern, ob ich nicht Bilderaufseher im Museum werden wollte? Du kennst doch die langweiligen Gesichter und die dünnen Leiber mit dem Bedientenrock drauf! Nächstens, wenn beim Latrinenpersonal ein altes Weib gestorben sein wird, werden sie mich fragen, ob ich nicht um ihre Stelle einkommen will.

Wenn sich’s nicht bald ändert, siehst Du mich wahr und wahrhaftig doch noch als Condukteur auf den Wagen klettern. Ich finde auch nichts Schreckliches darin; denn selbst Gassenkehren und Steineklopfen ist eine noblere und poetischere Beschäftigung wie das begeistrungslose Verseleimen eines hungrigen, fadenscheinigen Poeten. Das Liebste wäre mir nach wie vor der Besitz einer Giftbude; aber es ist lächerlich, auch nur einen Augenblick an die Möglichkeit zu denken.

(an Lepel, 15.1.50)

Als ihm endlich eine Anstellung im »literarischen Büro« des preußischen Innenministeriums winkt und er eines weniger noch als kärglichen Brotes sicher zu sein glaubt, wagt er die Heirat.

Ich trat nur ein, um wieder auszutreten und bezog meine 40 Taler Diäten, auf die ich mich verheiratet hatte, nur 2 Monate lang…und begann meine junge Ehe mit einem Hungerjahr.

(Entwurf zum 3. Teil der Lebenserinnerungen)

Im August dieses Hungerjahres 1851 wird ihm sein erstes Kind George geboren, das »vor seiner Geburt wenig Delikatessen kennengelernt« hat.

Der Himmel hat alles ganz wie für arme Leute eingerichtet. Wir brauchten keinen Arzt, keine Arznei – die weise Frau mit ihren fünf Fingern war ausreichend. Der Wurm selbst ist, seiner Stimme und seinen Strampeleien nach zu schließen, von durchaus gelungener, dauerhafter Darstellung.

(an Lepel, 21.8.51)

Kind und Mutter sind wohl und letztere insonderheit glücklich. Ich bin es wahrlich auch; aber es drückt mich von Zeit zu Zeit doch danieder, wo es eigentlich mit uns hinaus will. Fest entschlossen bin ich, mich nicht zu verkaufen, und werde mich weder durch Not noch durch Tränen davon abbringen lassen; schlimmstenfalls muß ich sehen, als Abschreiber oder überhaupt als Handarbeiter mein Brot zu verdienen.

(an einen Freund, 17.8.51)

Endlich glückt es ihm, Mitarbeiter eines angesehenen konservativen Berliner Blattes, der »Preußischen Zeitung«, zu werden. Sie entsendet ihn zu seiner Freude auf ein halbes Jahr als Berichterstatter nach London. Die Hauptstadt des britischen Weltreiches wirkt bald anziehend, bald abstoßend auf ihn; seine Stimmung schwankt zwischen Zukunftshoffnung und herber Enttäuschung.

Keine Katze kümmert sich um mich, selbst die Hunde weichen Einem aus, als hielten sie’s unter ihrer Würde, einen Deutschen anzupissen.

Ich muß noch sehr viel Englisch lernen, bevor ich in Berlin den englischen Lehrer so gut spielen kann, wie jetzt bereits den deutschen.

(an Lepel, 10.5.52)

Beurteilt die ewigen Widersprüche so billig wie möglich; die Wahrheit ist die: es ist überall gut, wo man von der Sorge ums Fressen nicht aufgefressen wird.

Es ist gut in London wie in Berlin, nur die »Qual« ums tägliche Brot verhunzt einem das eine wie das andere. Soll ein armer Schlucker zwischen zwei solchen Bündeln entscheiden, so gebührt dem der Vorzug, das er am nächsten, bequemsten und sichersten abreichen kann. Diesen Maßstab angelegt, zieh’ ich London vor.

Ich lerne hier wirklich, und zwar mehr als hundert andre, denn ich knöpfe Augen und Ohren auf und verkehre mit den mannigfachsten Personen.

(an seine Frau, 23.8.52)

Bewundernd ging ich vom Hyde-Park nach Regents-Park, entzückt stand ich auf Richmond-Hill und sah den may-tree blühn; die Luft, die ich atmete, die Reichtumsbilder, die ich sah, alles tat mir wohl, aber ich ging doch wie ein Fremder oder als ein nicht zu voller und ganzer Teilnahme Berechtigter durch all’ die Herrlichkeit hin. Immer bloß Zaungast.

(an seine Tochter Mete, 4.8.83)

Die drei Berliner Jahre, die zwischen diesem ersten Londoner Aufenthalt und einem zweiten von dreieinhalb Jahren liegen, in denen sich der freie Schriftsteller nebenher durch Sprachunterricht und Gelegenheitsarbeiten durchschlägt, sind beschattet durch den frühen Tod von drei in dieser Zeit geborener Knäbchen. Von einem dieser Kleinen hatte Storm in seiner »goldnen Rücksichtslosigkeit« einmal bemerkt, er sehe »unterirdisch« aus.

Letzten Donnerstag ist der kleine »Unterirdische« an Zahnkrämpfen gestorben und seit Sonnabend in Wahrheit im Unterirdischen. Außer Vater und Mutter wohnten ein besoffener Leichenkutscher und die untergehende Sonne dem Begräbnis bei. Der Kreis der Erlebnisse ist nun so ziemlich geschlossen, nur das eigene Sterben fehlt noch.

(an Storm, 11.4.54)

Im September 1855 reist Fontane nach London ab, um die »Deutsch-Englische Presse-Korrespondenz« des Ministeriums Manteuffel zu übernehmen. Vom Januar bis zum Mai des nächsten Jahres weilt Frau Emilie mit dem kleinen George bei ihm. Der nach Berlin Zurückgekehrten und wieder ein Kind Erwartenden sendet er nach seiner schalkhaften Art gute Ermahnungen.

Ich wünsche recht sehr, daß Du ein gesundes Kind zur Welt bringst; das Geschlecht ist, vorläufig, gleichgültig, und alles wird dankbar akzeptiert. Nur keine allzu elenden Würmerchen; es ist eine Art Ehrensache. Also nimm Dich zusammen und tu das Deine. Man schreibt mir sonst auf den Grabstein: seine Balladen waren strammer als seine Kinder.

(an seine Frau, 5.7.56)

Also doch wieder ein Junge! Es scheint, daß wir auf Mädchen Verzicht leisten müssen, und wir wollen uns auch weiter keine Mühe drum geben; das weibliche Geschlecht verdient es nicht einmal.

Wenn Du nur mehr Regelmäßigkeit in die Sadie brächtest! Erst mit dem Kopf zuerst, dann mit den Beinen, nun gar mit dem Allerwertesten; wohin soll das schließlich noch führen?!

(an seine Frau, 5.11.56)

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