Verlag C.H.Beck
Diese kleine Einführung in das Zeitalter der Aufklärung porträtiert die Aufklärungsbewegungen in England, Frankreich und Deutschland, ihre wichtigsten Positionen, Philosophien und Protagonisten. Darüber hinaus nimmt sie die – häufig vernachlässigte – Aufklärung in anderen europäischen Ländern sowie in Amerika in den Blick. Schließlich erörtert sie auch die Grundprobleme jeder Aufklärungstheorie und stellt die Frage nach der Aktualität der Aufklärung.
Werner Schneiders, geb. 1932, war bis 1997 Professor für Philosophie an der Universität Münster. Er war Präsident der Deutschen und Mitglied des Vorstandes der Internationalen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts. Neben zahlreichen anderen Veröffentlichungen hat er bei C.H.Beck das „Lexikon der Aufklärung“ (2001) herausgegeben.
I. Aufklärung – ein neues Zeitalter
1. Aufklärung als Antwort
2. Aufklärung durch Philosophie
3. Erscheinungsformen der Aufklärung
II. England: Common Sense und Moral Sense
1. Parlamentarismus und Pragmatismus
2. Vom Empirismus und Enthusiasmus zum Psychologismus und Positivismus
3. Von der Tugendprosa zur Schauerromantik
4. Enlightenment – Deutung und Selbstdeutung
III. Frankreich: Kritik und Revolution
1. Repression und Rebellion
2. Von der Emigration zur Opposition
3. Von der Enzyklopädie zur Revolution
4. Les Lumières – Deutung und Selbstdeutung
IV. Deutschland: Metaphysik und Reform
1. Aufklärung und Absolutismus
2. Philosophie der Schule und Philosophie für die Welt
3. Gottes Reich und menschliche Moral
4. Aufklärung – Deutung und Selbstdeutung
V. Europa und Amerika: Rezeptionen und Rebellionen
1. Österreich und die Schweiz
2. Italien, Spanien und Portugal
3. Die Niederlande, Dänemark und Schweden
4. Polen, Rußland und Ungarn
5. Amerika
VI. Aufklärung – das Ende einer Epoche?
1. Das Scheitern der Aufklärung
2. Die Aktualität der Aufklärung
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Aufklärung zielt auf Wahrheit durch Klarheit, aber auch auf Freiheit und Selbständigkeit. Der Ausdruck Aufklärung bezeichnet ursprünglich eine rationale Operation, die – als „Aufklärung des Verstandes“ – zur Klärung von Begriffen, Behebung von Unwissenheit und Unvernunft usw. führen soll (rationalistischer Aufklärungsbegriff); dann aber bezeichnet Aufklärung auch eine emanzipative Aktion, die – z.B. als „Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ – zur Befreiung von Fesseln aller Art führen soll (emanzipatorischer Aufklärungsbegriff). Entsprechend heißt auch die geschichtliche Bewegung, die mehr oder weniger programmatisch auf solche Aufklärung im systematischen Sinne des Wortes abzielte, Aufklärung im historischen Sinne des Wortes; und da sie wesentlich ins 18. Jahrhundert fällt, heißt dieses (mit einer gewissen zeitlichen Unschärfe) das „Zeitalter der Aufklärung“. Diesem Selbstverständnis der Aufklärung entsprechen auch eine Reihe anderer Selbstbezeichnungen, die alle spätestens am Ende des 18. Jahrhunderts formuliert wurden. Da die Aufklärung in erster Linie auf den Verstand bzw. die Vernunft vertraut, heißt die von ihr dominierte Epoche auch „Zeitalter der Vernunft“, und weil sie wesentlich als Kritik (Kritik des Aberglaubens und der Vorurteile, des Fanatismus und der Schwärmerei) auftritt, heißt sie auch „Zeitalter der Kritik“. Außerdem wird das 18. Jahrhundert, weil es sich im allgemeinen der Führung durch die Philosophie anvertraute, das „philosophische Jahrhundert“ genannt. Bis heute treten viele betont kritische oder betont Vernunft- und freiheitsorientierte Aktivitäten bzw. Forderungen nach solchen Aktivitäten (quasi metahistorisch) im Namen der Aufklärung auf; sie beziehen sich insofern, wenn auch meist nur indirekt und sehr selektiv, immer noch auf das „Zeitalter der Aufklärung“.
Geschichtlich gesehen war die Aufklärung zunächst eine Antwort auf eine bestimmte Situation. Mit der Ausbildung erster zentral regierter und dann mehr und mehr national bestimmter Großstaaten wie England und Frankreich und der gleichzeitigen Spaltung der Kirche durch die Reformation war in Europa seit dem 16. Jahrhundert eine völlig neue geistige und gesellschaftliche Problemlage entstanden, die durch das gleichzeitige Aufkommen einer tendenziell theologie- und philosophiefreien Wissenschaft noch verschärft wurde. Die sogenannte Neuzeit begann als Kampf um eine Neuordnung auf allen Gebieten des geistigen und gesellschaftlichen Lebens, insbesondere als intellektueller und politischer Streit über die wahre Religion und die richtige Staatenordnung. Ideologische und militärische Kriege in und zwischen den Staaten, von denen der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) nur der bekannteste ist, prägen das 17. Jahrhundert und damit die Ausgangslage der Aufklärung am Ende dieses Jahrhunderts.
Das Religionsproblem, wie es sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stellt, ist vor allem durch die konfessionelle Spaltung charakterisiert. Die Reformationsbestrebungen des 16. Jahrhunderts hatten nicht zu einer allgemein anerkannten Lösung, sondern nur zur Bildung rivalisierender Kirchen und Schulen geführt, damit zu einem neuen theologischen und letztlich politischen Streit. Auch der Westfälische Friede (1648) hatte nur in Deutschland eine gewisse Beruhigung der Lage bewirkt, in England und Frankreich gingen die blutigen Streitigkeiten noch jahrzehntelang weiter. Angesichts dieser traumatischen Erfahrung permanenter Religions- und Bürgerkriege entstanden zwei eng miteinander verknüpfte Forderungen: das Postulat einer vernünftigen Religion bzw. natürlichen Theologie und das Postulat der Religionsfreiheit, das sich dann zur Forderung nach einer allgemeinen Denk- und Redefreiheit, später auch nach Pressefreiheit, erweitern konnte. Vor allem aber suchte die Aufklärung die wahre Religion nicht mehr in kirchlichen Dogmen, sondern in der praktischen Moral; angesichts der Verunsicherung über die Wahrheiten der Religion wird die Tugend zur diesseitigen Ersatzreligion. So entwickelten sich die emphatischen Forderungen der Aufklärung nach Vernunft, Freiheit und Tugend.
Die Politik, so wie die Aufklärung sie sah, war ebenfalls durch Unvernunft, Unfreiheit und Unmoral charakterisiert. Die Monarchie, die seit Menschengedenken politischer Normalzustand war und auch von der Aufklärung nur ausnahmsweise und erst spät in Frage gestellt wurde, tendierte angesichts der neuen Macht- und Ordnungsprobleme überall zum Absolutismus, der zunächst den alten Kriegsadel mit Hilfe des Bürgertums, dann aber auch das erstarkte Bürgertum selbst mit Hilfe des neuen Militärs zu unterdrücken suchte. Daraus ergaben sich für die Aufklärung zwei mögliche Konsequenzen (falls sie nicht wie in England eine alte konstitutionelle Monarchie bereits vorfinden konnte): entweder zu versuchen, den Absolutismus im Sinne ihrer eigenen Ziele, nämlich der Verbreitung von Tugend und Verstand, zu instrumentalisieren und gegebenenfalls auf Freiheit durch Reformen zu hoffen; oder die absolute Monarchie als Haupthindernis aller Weltverbesserung, als Despotismus oder Tyrannei, direkt zu bekämpfen und in der einen oder anderen Form eine Revolution zu propagieren. Die weitaus meisten Aufklärer haben die zunächst aussichtsreichere erste Möglichkeit verfolgt und, soweit sie nicht für eine liberalisierte konstitutionelle Monarchie plädierten, eine Verbindung zwischen Aufklärung und Absolutismus in einem aufgeklärten Reformabsolutismus angestrebt. Erst nach der Französischen Revolution haben sich eine Reihe von Aufklärern, jedoch längst nicht alle, für irgendeine Form von demokratischer Republik ausgesprochen. Die Sorge der Aufklärer um Vernunft und Moral war offensichtlich größer als ihr Interesse an einer Freiheit für alle.
Ein erster exemplarischer Fall von selbständigem Vernunftoder Verstandesgebrauch lag für die Zeitgenossen in der Naturwissenschaft vor, die sich seit dem 16. Jahrhundert mehr und mehr als eine eigene geistige Macht etabliert hatte; um die Mitte des 17. Jahrhunderts hatte sie schon die meisten klerikalen Bevormundungen abgeschüttelt, so daß sie nun als Modell eines theologieunabhängigen Denkens gelten konnte. Damit entstanden auch erste Hoffnungen auf eine freiere, mit der Wissenschaft eng verknüpfte Philosophie; die tendenziell theologiefreie Welterkenntnis ließ eine vernünftige Gottes- und bessere Menschenerkenntnis als möglich erscheinen und damit auch Fortschritte in praktischen, technischen wie moralischen Fragen. Das Faktum der Naturwissenschaft evozierte die Idee einer neuen Politik- und Moralwissenschaft (Naturrecht) und bestärkte die Hoffnungen auf Vernunft und Freiheit. Kurz, die Philosophie und damit die Aufklärung konnte die freie Wissenschaft als ihren Hauptverbündeten und sich selbst als Wissenschaft betrachten.
Der Blick auf Religion, Politik und Wissenschaft macht die Aufklärung von ihrem Anfang her als Reaktion auf eine geschichtliche Situation verständlich. Angesichts der Erfahrung der Unvernunft in Religion und Politik und der Erfolge von Verstand oder Vernunft in den neuen Wissenschaften setzen die Aufklärer auf Verstand und Vernunft, und zwar auf die Aktivität des eigenen Denkens (Selbstdenkens), für das folglich mehr und mehr auch Freiheit (Mündigkeit) gefordert werden muß. Die Vernunft ist Mittel und Instanz, um die wahren Sachverhalte gegen die reale Unvernunft und damit gegen Schein und „Verblendung“ zu verteidigen. Als erstes müssen Aberglaube und Schwärmerei, Vorurteile und Fanatismus bekämpft werden – die Stoßrichtung dieser Begriffe zielt offensichtlich auf Erscheinungsformen der Religion, die als Entartungen kritisiert werden. Zugleich drängt sich angesichts der Mängel des Glaubens, aber auch der Gesellschaft, an die Stelle der geschichtlichen Offenbarung die durch Vernunft erkennbare Natur als Norm und Wahrheitskriterium, also ein normativer Naturbegriff, der teils wissenschaftlich, teils metaphysisch konzipiert ist und vermutlich gerade wegen dieser Ambivalenz in neuartiger, emphatischer Weise zur Berufungsinstanz von Argumentationen werden kann. Da jedoch die Mächte der Politik und Religion sich der unmittelbaren Einwirkung der Aufklärung im allgemeinen entziehen, wird die Vermehrung des Lichts der Erkenntnis („Verbesserung des Verstandes“) und die dadurch erhoffte Ausbreitung der Moral („Verbesserung des Willens“) zum ersten Ziel der Aufklärung. Auf diesem Hintergrund lassen sich die meisten Forderungen bzw. Hoffnungen der Aufklärung (Fortschritt und Freiheit, Toleranz und Menschenrechte usw.) als Folgerungen aus ihrer Hoffnung auf Vernunft und ihrem Willen zur Vernunft verstehen.
Ganz allgemein gesprochen war die Aufklärung des 18. Jahrhunderts also eine geistige und gesellschaftliche Reformbewegung, die sich von der Klarheit des Denkens nicht nur geistige Fortschritte, sondern auch Besserung aller Verhältnisse versprach. Offensichtlich gibt es nun nach Jahrhunderten primär theologischen Denkens ein deutlich verstärktes anthropologisches Interesse, das u.a. zur Entwicklung der Humanwissenschaften, aber auch zur Frage nach der Bestimmung des Menschen führt; daher tritt auch an die Stelle der Gemeinde in Gott bzw. im Glauben mehr und mehr die bürgerliche Geselligkeit. Und offensichtlich gibt es nun nach Jahrhunderten großer Gläubigkeit, Abergläubigkeit und Leichtgläubigkeit eine deutliche Tendenz zu kritischem Denken, wie sie in den ständig wiederholten Forderungen nach Aberglaubens- und Vorurteilskritik, Kritik des Fanatismus und der Schwärmerei zutage tritt. Dieses kritische Denken ist, da es sich auf die individuelle Vernunft beruft und an die individuelle Vernunft appelliert, der Absicht nach vernünftiges und eigenständiges Denken und insofern durch betonte Rationalität und Authentizität charakterisiert. Selbständigkeit im Denken und Handeln wird zu einer zentralen Forderung, die zumindest indirekt auch die Forderung nach Freiheit impliziert. Vor allem aber scheinen sich viele Aufklärer mangels direkter Wirkungsmöglichkeiten von der wiederholten Aufforderung zur Tugend eine Besserung des Individuums und dadurch der Gesellschaft zu erhoffen.
Aufklärung ist nicht nur eine Ideenformation. Als Antwort auf eine geschichtliche Herausforderung war sie ursprünglich Aufbruch in eine neue Zeit und daher als solche auch Bruch mit Traditionen. Aufklärung ist auf Veränderung gerichtet. Sie ist ein Prozeß, und zwar nicht nur ein Reflexions-, sondern auch ein Reformprozeß; d.h. sie ist von ihrem Ansatz und ihrer Absicht her eine Reformbewegung, eine geistige und moralische, nicht zuletzt aber auch eine religiöse und politische Reformbewegung, an der sich Menschen aus allen Schichten beteiligen. Aber natürlich ist der Wille zur Weltveränderung und Weltverbesserung in der gesellschaftlichen Gruppe am stärksten, die als aufstrebende gesellschaftliche Formation davon zugleich am meisten zu profitieren hofft, also im sogenannten dritten Stand, im Bürgertum. Das geistig und gesellschaftlich aufsteigende Bürgertum (Besitzbürger, Bildungsbürger usw.) drängt auf ideelle und materielle Fortschritte und sieht in der auf Vernunft und Freiheit gerichteten Aufklärung auch eine Waffe gegen die herrschenden geistlichen und adeligen Mächte; auch seine zunächst unpolitische, private Moral kann sich gegen die faktische Religion und Politik richten.
Das neue Denken verbindet sich mit einem neuartigen Willen zur Umgestaltung aller Gebiete des Lebens, es will wirken oder praktisch werden. Die Aufklärung war, wie schon das Wort besagt, eigentlich und ursprünglich eine Aktion, kein automatischer Prozeß. Sie lebte vom Denken und Wollen der sie tragenden und vorantreibenden Personen. Allerdings gerieten auch in der Aufklärung der Anfang und die Anfangsbedingungen bald in Vergessenheit. Aufklärung wurde zu einer Weltanschauung, zu einem variablen Ensemble von Ideen in einem relativ festen Denkrahmen, zu einem von der Wirklichkeit sich abkoppelnden Gedankengebäude.
Während im 18. Jahrhundert das Interesse an der Theologie überall sank, stieg das Ansehen der Philosophie wie nie zuvor seit der Antike; die Philosophie wurde zur maßgeblichen Denkform. Die Philosophen sind die großen Vordenker der Aufklärung, die französischen Aufklärer nennen sich selbst ausdrücklich philosophes. Zwar mag die Philosophie für viele Aufklärer auch eine Art Ersatztheologie gewesen sein, die Aufklärung selbst verstand sich als eine durch und durch profane Wissenschaft oder Weisheit. Sie berief sich nicht nur wie immer schon auf das natürliche Licht der Vernunft (im Unterschied zum übernatürlichen Licht der Offenbarung oder Gnade), sondern betonte jetzt den Unterschied mit allem Nachdruck; und natürlich lehnte sie auch mehr und mehr das Evangelium als Korrektiv der natürlichen Erkenntnis ab. In Deutschland verstand sich die Philosophie sogar terminologisch als „Weltweisheit“ im Unterschied zur Gottesgelehrtheit. Allerdings wurde auch im 18. Jahrhundert der Unterschied der Aufklärung zur Wissenschaft immer deutlicher, nämlich in dem Maße, in dem der Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft klarer wurde.
Als im 17. Jahrhundert mit der modernen Naturwissenschaft eine tendenziell theologie-, aber auch philosophiefreie Erkenntnis entstand, versuchte die Philosophie zunächst, sich selbst nach dem Modell einer methodischen und exakten, allgemeingültigen Wissenschaft neu zu konstituieren und Physik durch Metaphysik als Wissenschaft zu überbieten, dann aber auch die Wissenschaft erkenntnistheoretisch zu hinterfragen und so die Philosophie als eine Art Metawissenschaft zu begründen. Und da zugleich der empirisch-hypothetische Charakter der exakten Wissenschaften immer deutlicher wurde, mußte auch klar werden, daß die Wissenschaft wesentliche Fragen nicht beantworten konnte, daß mit dem Positivismus der Wissenschaft die Suche nach letzten Prinzipien noch nicht erledigt war; einige sahen schon die Gefahr des Mißbrauchs der Wissenschaft bei mangelnder Moral, und viele befürchteten sogar die Zerstörung der Religion durch die Wissenschaft und deren immanente Tendenzen zum Atheismus und Materialismus. Jedenfalls läßt die methodische Ausklammerung aller Sinnfragen in der exakten Wissenschaft alle prinzipiellen, aber auch alle aktuellen Fragen unbeantwortet. Deren Beantwortung wird jetzt von der Philosophie erwartet. Aufklärung ist also, obwohl sie sich immer wieder auf die Wissenschaft beruft, selber keine Wissenschaft; soweit sie sich selbst als wissenschaftliche Erkenntnis begreift, muß sie Wissenschaft in einem sehr weiten Sinne verstehen. Aber natürlich muß auch Philosophie in einem sehr weiten Sinne verstanden werden, wenn Aufklärung als Philosophie bezeichnet werden soll bzw. Aufklärer sich selbst als Philosophen bezeichnen; Philosophie im Sinne einer Fachdisziplin wird zwar zur neuen „Leitwissenschaft“, dennoch sind die Aufklärer im allgemeinen keine Fachphilosophen. Im Grunde ist Aufklärung als Orientierungswissen oder Orientierungsversuch eine Antwort auf die (angesichts des Verlustes der religiösen Gewißheiten) durch die Wissenschaft sichtbar gewordene Sinnfrage.
Die Beziehung der Philosophie zur Wissenschaft, die einerseits immer wieder in die Frage münden mußte, ob und wie die Philosophie eine exakte, gewisse und allgemeingültige Wissenschaft werden könne, andererseits zur Erkenntnistheorie und Erkenntniskritik führen mußte, erhielt im 18. Jahrhundert einen besonderen Akzent dadurch, daß die Philosophie der Aufklärung wie auch die Aufklärung als Philosophie sich mit Nachdruck praktischen Fragen widmete, also Fragen der Rechts- und Moralphilosophie (z.B. der Affekten- oder Naturrechtslehre), aber auch der Politik und der Pädagogik, gelegentlich auch Fragen der Medizin und der Technik, während die spekulative Metaphysik meist der Verachtung anheimfiel. Natürlich gab es trotzdem immer auch theoretische Philosophie, insbesondere Erkenntnistheorie, und selbstverständlich auch Metaphysik, aber fast immer verstand sich die Aufklärungsphilosophie als praktische Philosophie. Als kritisch praktizierte Philosophie ist sie sogar eine kämpferische Philosophie, eine philosophia militans.
Während die Philosophie mit der Wissenschaft ein kritisches Bündnis anstrebte, ging sie mit der Literatur nicht selten eine wohl einmalige Symbiose ein. Beide kümmerten sich gleichermaßen um die Verbreitung von Verstand und Tugend, und nicht selten fanden sich Philosoph und Poet sogar in Personalunion. Diese Kooperation kam von beiden Seiten her zustande. Auf der einen Seite war das Können der Dichter immer noch an Kennen gebunden, Kunst setzte Kenntnis voraus, z.B. der Grammatik und Poetik, der Mythologie und der Emblematik; außerdem waren die Schriftsteller, da sie Aufklärung verbreiten wollten, auch selbst an Erkenntnissen aller Art und insbesondere an philosophischer Erkenntnis interessiert. Daher waren die Dichter noch mit Vorrang Gelehrte. Aber natürlich waren nicht alle Formen der Literatur gleichermaßen für die Zwecke der Aufklärung geeignet, die Lyrik z.B. war anscheinend ebensowenig geeignet wie das klassische Epos und die klassische Tragödie, die immer noch aristokratisch orientiert waren. Einen Aufschwung hingegen erlebten die kleineren, lehrhaften Literaturformen wie z.B. Lehrgedichte und Fabeln sowie Satiren. Hinzu kam im 18. Jahrhundert der Roman, der (frei von allen alten poetischen Regeln) viel Raum für freies Räsonieren bot, vor allem in der eine Kommunikation simulierenden Form des Briefromans. Auf der anderen Seite waren die Philosophen der Aufklärung, da sie die Welt durch Information und Kritik ändern wollten, notwendigerweise an der Ausbreitung ihrer „Weltweisheit“ interessiert. Da die praktischen Wirkungsmöglichkeiten wie eh und je so auch im 18. Jahrhundert für Philosophen äußerst beschränkt waren, mußten die Aufklärer versuchen, die Welt, die sie verbessern wollten, durch Denken und Schreiben zu verändern. Folglich mußte die Philosophie, die jahrhundertelang nur Schulphilosophie gewesen war, der Welt angepaßt werden; die Weltweisheit mußte als weltliche Weisheit und Wissen über die Welt auch Weisheit für die Welt sein. Kurz, die Philosophie mußte sich möglichst populär und praktikabel darstellen, d.h. als „Popularphilosophie“ oder „Philosophie für die Welt“ mußte sie eine literarische Form der Vermittlung suchen, die möglichst viele ansprechen konnte. Daher trafen sich Philosophen und Poeten nicht selten in der Mitte, nämlich auf dem Gebiet der ebenso unterhaltsamen wie unterrichtenden Zeitschrift. Philosophie und Literatur bildeten gemeinsam die „Papierkultur“ der Aufklärung, eine alles umfassende Wortkunst oder vielmehr Schreibkunst; zusammen machten sie das 18. Jahrhundert zum „tintenklecksenden Saeculum“. Deshalb bedeutet von der Aufklärung zu sprechen, hauptsächlich von der Philosophie und der Literatur des 18. Jahrhunderts zu sprechen.
So wie der programmatische Aufklärungsbegriff systematisch unterschieden werden kann (rationalistische und emanzipatorische Aufklärung, Selbstaufklärung und Aufklärung des anderen, Aufklärung von oben oder von unten, Fürstenaufklärung und Volksaufklärung usw.), so muß auch der historische Aufklärungsbegriff (z.B. nach Generationen und Nationen) differenziert werden. Trotz aller Einheit in gewissen Grundgedanken zeigen sich doch große Unterschiede, sobald auf das Wann und Wo sowie die Entwicklung der Aufklärung gesehen wird. Hinzu kommen die Unterschiede, die sich aus den verschiedenen Gebieten des geistigen und gesellschaftlichen Lebens (Philosophie und Literatur, Religion und Politik usw.) sowie aus der unterschiedlichen Art und Weise ihrer Durchführung ergeben. Daraus resultieren viele, manchmal kaum korrelierbare Erscheinungsformen der Aufklärung.
Die Aufklärung war zwar die mächtigste Bewegung des 18. Jahrhunderts, aber sie ist mit diesem weder sachlich noch zeitlich deckungsgleich. Als Antwort auf die religiöse und politische Grundsituation Europas begann sie ansatzweise schon lange vor 1700, klar erkennbar dann in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts, und zwar – nahezu gleichzeitig und voneinander unabhängig – in England, Frankreich und Deutschland. Dabei war der Charakter der Aufklärung von vornherein durch die national unterschiedliche Ausgangssituation und die unterschiedliche Art der Anfänge bestimmt. Schlagwortartig lassen sich drei symbolische Daten und damit drei spezifische Tendenzen nennen. In England begann die Aufklärung mit einem alles bestimmenden politischen Sieg, nämlich mit der Glorious Revolution von 1688; dadurch wurde die parlamentarische Monarchie festgeschrieben, die Aufklärung konnte sich auch als Religionskritik relativ ruhig entwickeln. In Frankreich begann die Aufklärung mit einer religiösen Katastrophe, nämlich mit der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685; dies führte zur fast völligen Vernichtung bzw. Vertreibung der Protestanten (Hugenotten). Frankreich wurde durch die feste Verbindung von Katholizismus und Absolutismus zu einem reaktionären Staat, in dem so etwas wie Aufklärung nur als (zunächst geheime) grundsätzliche Opposition möglich war. In Deutschland gab es kein epochales, politisch oder religiös bedeutsames Datum, das als Anfang der Aufklärung dingfest gemacht werden könnte; in Frage käme allenfalls ein zunächst provinzielles akademisches Ereignis, nämlich die spektakuläre Einführung der deutschen Sprache an der Universität Leipzig (1687). Dadurch wurde eine Universitätsreform angestoßen, die auf eine allgemeine Kultur- und Gesellschaftsreform zielte.
Diese Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern wurden noch durch eine Reihe weiterer Faktoren verstärkt. So besteht zwischen England und Frankreich seit dem Mittelalter ein relativ enger, wenn auch immer wieder konfliktreicher Kontakt; entsprechend rege war auch im 18. Jahrhundert der wechselseitige Kulturaustausch und damit auch der Aufklärungstransfer. Demgegenüber bleibt Deutschland, weil in sich zersplittert, in vielfacher Hinsicht rückständig und aus diesem kulturellen Prozeß ausgeschlossen. Schon aus sprachlichen Gründen bleibt die deutsche Kultur im allgemeinen und die deutsche Aufklärung im besonderen nahezu unbeachtet, während in Deutschland aufgrund des Kulturgefälles zumindest auf einigen Gebieten in hohem Maß die französische, aber auch die englische Kultur rezipiert wird. Im Grunde ist die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, trotz ihres betonten Kosmopolitismus, de facto national, und der überall als Tugend propagierte Patriotismus verstärkt die Tendenzen zur nationalen Selbstisolierung.
So wie die Aufklärung in England, Frankreich und Deutschland nahezu gleichzeitig begonnen hatte, so endete sie auch überall nahezu gleichzeitig, und zwar aufgrund der internationalen Situation, nicht nur aus national verschiedenen Gründen. In allen drei Ländern erreichte die Aufklärung um die Jahrhundertmitte einen gewissen Höhepunkt, danach gab es kaum noch innovative Leistungen, fast nur noch Ausbreitung und Vertiefung des Erreichten. Zugleich begannen sich in allen drei Ländern neuartige Gegenbewegungen zu formieren, sie bereiteten das Ende der betont kritischen Geisteshaltung der Aufklärung vor. Das wirkliche Ende kam jedoch erst durch das unerwartete und epochal folgenreiche Ereignis der Französischen Revolution (1789). Zwar wurde diese von den meisten Aufklärern zunächst begeistert aufgenommen, z.T. sogar als Bestätigung ihrer kühnsten Hoffnungen verstanden, aber das neue Faktum stellte sie auch vor das Dilemma, entweder ihren Ideen oder ihren revolutionsfeindlichen Regierungen treu zu bleiben. Der weitere Verlauf der Revolution (Hinrichtung des Königs, Terrorismus, französischer Imperialismus) entschied dann überall gegen die Aufklärung. Daher kann das Datum der Französischen Revolution bzw. ihrer „Ausartung“ (1793) oder ihrer Beendung durch Napoleon (1799) als symbolisches Datum für das Ende der Aufklärung fungieren, auch wenn viele ihrer Vertreter noch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts lebten und publizierten. Insofern ist das Zeitalter der Aufklärung eine hinreichend klar definierte Epoche. So oder so umfaßt es vier Generationen, die sich in Deutschland z.B. im Hinblick auf die Philosophie als Frühaufklärung, schulphilosophische und popularphilosophische Hochaufklärung und Spätaufklärung unterscheiden lassen; im Hinblick auf andere Länder und andere Kultursphären dürften andere Periodisierungen möglich oder nötig sein.
In jedem Fall ist mit einer Vielfalt von Erscheinungsformen zu rechnen. Hinzu kommen nämlich noch die kaum aufzulistenden Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Formen kultureller Aktivitäten und damit auch der sie tragenden Personen. Philosophen, die Vernunft, Freiheit und Moral propagieren, haben zumindest z.T. andere Interessen als Rechtsoder Religionsreformer, Schul- oder Universitätsreformer, Landwirtschafts- oder Theaterreformer. Die einen wollen den mündigen Menschen, die anderen vielleicht nur den nützlichen oder frommen Bürger. Der Dichter denkt auch als Aufklärer anders als der Philosoph. Außerdem wird die differenzierte Erscheinungsform der Aufklärung in den verschiedenen Ländern durch die unterschiedliche Praxis der Aufklärung geprägt.