Herausgegeben von
Kai Brodersen, Martin Kintzinger,
Uwe Puschner, Volker Reinhardt
Herausgeber für den Bereich Antike:
Kai Brodersen
Beratung:
Ernst Baltrusch, Peter Funke,
Charlotte Schubert, Aloys Winterling
Gabriele Wesch-Klein
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© 2016 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.
Redaktion: Kristine Althöhn, Mainz
Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach
Einbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach unter Verwendung
einer Karte von Peter Palm, Berlin
Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-26438-4
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-534-74151-9
eBook (epub): 978-3-534-74152-6
Geschichte kompakt
Geschichte kompakt
Vorwort
I. Einleitung
Ausdehnung
Grenzen
Verkehrswege
Leitlinien der römischen Provinzpolitik
II. Eine Provinz entsteht
Klientelkönige
Die Einrichtung einer Provinz
III. Die innere Ordnung der Provinzen
Die Zeit der Römischen Republik
Die Teilung der Provinzen im Jahr 27 v. Chr
Die Kaiserzeit
Ein Novum der Prinzipatszeit: Präsidialprokuratoren
Amtsantritt des Statthalters
Tätigkeitsfelder des Statthalters
Helfer des Statthalters
Das Finanzwesen
IV. Die Einbindung der Bevölkerung in das provinziale System
Selbstverwaltungseinheiten innerhalb der Provinzen
Honoratioren mit regionalen und überregionalen Funktionen
V. Die einzelnen Provinzen
Achaea (Achaia)
Aegyptus
Africa vetus, Africa nova, Africa proconsularis
Alpes Cottiae
Alpes Graiae (et) Poeninae, Alpes Atrectianae
Alpes maritimae
Arabia
Armenia
Asia
Assyria
Britannia, Britannia superior, Britannia inferior
Cappadocia
Caria (et) Phrygia
Cilicia
Commagene
Corsica siehe Sardinia
Creta (et) Cyrenae
Cyprus
Dacia (Dacia superior, Dacia inferior, Tres Daciae, Dacia Apulensis, Dacia Porolissensis, Dacia Malvensis)
Dalmatia siehe Illyricum
Epirus
Galatia
Gallia
Gallia Cisalpina
Germania superior, Germania inferior
Hispania ulterior (Hispania Baetica), Hispania citerior (Hispania Tarraconensis), Lusitania
Hispania superior Callaecia
Illyricum (Dalmatia, Pannonia, Pannonia superior, Pannonia inferior)
Iudaea, Syria Palaestina
Lusitania siehe Hispania
Lycia (et) Pamphylia
Macedonia
Marcomannia und Sarmatia
Mauretania Caesariensis, Mauretania Tingitana
Mesopotamia
Moesia, Moesia superior, Moesia inferior
Noricum
Numidia
Osrhoena
Pannonia, Pannonia superior, Pannonia inferior siehe Illyricum
Pontus (et) Bithynia
Das Ende des Königreichs Pontus
Pontus
Raetia
Sardinia (et) Corsica
Sarmatia siehe Marcomannia
Sicilia
Syria, Syria Coele, Syria Phoenice
Thracia
Tres Eparchiae
Tabellarische Übersicht über die Provinzen
Karte der Provinzen des Imperium Romanum
Glossar
Quellen und Literatur
Abbildungsnachweis
In der Geschichte, wie auch sonst, dürfen Ursachen nicht postuliert werden, man muss sie suchen. (Marc Bloch)
Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden.
Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte.
Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissensstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden.
Kai Brodersen
Martin Kintzinger
Uwe Puschner
Volker Reinhardt
Der Anstoß, in der Reihe „Geschichte kompakt“ einen Band den Provinzen des Imperium Romanum zu widmen, ging von Kai Brodersen aus. Ihm gilt hierfür wie für seine Fürsorge mein herzlichster Dank. Ebenso sei Daniel Zimmermann und Anna Frahm von der wissenschaftlichen Buchgesellschaft für die umfassende redaktionelle Betreuung, vor allem das sorgfältige Lektorieren, vielmals gedankt.
Ziel des Bandes ist es, Studierenden der Altertumswissenschaften und der Geschichte eine knappe Einführung in die Genese der römischen Provinzen und deren Verwaltung zu geben, sie zur weiteren Beschäftigung mit dem Imperium Romanum und seinen Eigenarten zu motivieren. Dass in der vorliegenden Darstellung viele Aspekte lediglich kurz angerissen werden konnten, einige keine Berücksichtigung fanden, ist dem Umfang des Buchs geschuldet. Ebenso sind antike Quellen auf einige anschauliche Beispiele beschränkt und, um Sprachbarrieren zu vermeiden, in Übersetzung angeführt. Der Zielgruppe entsprechend beinhaltet diese Darstellung sehr vieles, das dem Fachmann bestens vertraut ist, ja der Erwähnung überflüssig erscheinen mag.
Quelle
Dionysios von Halikarnassos (ca. 54 v. Chr.–7 v. Chr.), Römische Altertumskunde 1,3,3:
Der Staat der Römer gebietet der ganzen Erde, soweit sie nicht unzugänglich ist und von Menschen bewohnt wird; er beherrscht das ganze Meer, nicht nur das innerhalb der Säulen des Herkules, sondern auch den Ozean, soweit er schiffbar ist, und machte – nach der Kunde aller Zeiten – zuerst und allein den Aufgang und Niedergang (der Sonne) zu den Grenzen seines Reichs.
Expansion
Rom, die Hauptstadt des Imperium Romanum, entstand aus dem Zusammenschluss einiger dorfartiger Kleinsiedlungen, die auf Anhöhen auf dem Boden der späteren Stadt lagen. Die ersten Siedler waren, soweit sie sich archäologisch fassen lassen, Latiner. Der Palatinhügel soll den Kern Roms gebildet haben. Als Grund für die besondere Bedeutung der Kleinsiedlungen wurde angeführt, dass ungefähr dort, wo später eine erste Holzbrücke über den Tiber gebaut wurde, seit alters her eine Furt bestand. Noch um 450 v. Chr. umfasste das römische Staatsgebiet auf dem Ostufer des Tiber lediglich eine Fläche mit einem Durchmesser von etwa 8 km. Die Zahl der Angehörigen des Gemeinwesens dürfte ca. 10.000–15.000 betragen haben. Das heißt, die literarische Überlieferung, die für 508 v. Chr. 130.000 und für das Jahr 392 v. Chr. 152 573 Bürger tradiert, ist stark übertrieben. Nach Kai Ruffing war das römische Staatsgebiet um 338 v. Chr. 5525 km2, 264 v. Chr. bereits 26.805 km2 groß (Wirtschaft in der griechisch-römischen Antike 2012, S. 89). Zwischen 340 und 290 v. Chr. setzten Landvermessungen ein, die auf eine intensive Nutzung der neu hinzugekommenen Gebiete weisen. Zudem wurden durch Meliorationsmaßnahmen, etwa Trockenlegungen, weitere Nutzflächen gewonnen. Gegen Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. begann man den Raum durch den Bau großer Überlandstraßen zu erschließen. Mit dem Sieg (275 v. Chr. bei Benevent) über König Pyrrhus von Epirus (319/318–272 v. Chr.) hatte sich Rom als regionale Großmacht etabliert, der im Westen allein Karthago gegenüberstand. Im späteren 3. Jahrhundert v. Chr. dehnte Rom infolge der Punischen Kriege seinen territorialen Machtbereich über die italische Halbinsel hinaus aus. Die ältesten Provinzen Roms bilden die Inseln Sizilien, Sardinien und Korsika sowie Hispanien; diese Territorien kamen infolge des Kampfes gegen die Karthager unter römische Oberhoheit. Um 200 v. Chr. überwachten die Römer und ihre Verbündeten eine Fläche von ca. 130.000 km2 mit einer Bevölkerung von etwa 3 Millionen Freien. Mit der Ausdehnung des Imperium Romanum stieg die Bedeutung Roms von einem kleinen Gemeinwesen über das caput Italiae (Hauptstadt von Italia) zum caput orbis, zur Hauptstadt des Erdkreises.
Trajan
Das Imperium Romanum zählt nicht nur flächenmäßig zu den größten Staatenbildungen der Weltgeschichte überhaupt, sondern gehört mit seiner rund 800-jährigen Geschichte auch zu den wenigen lang dauernden Hochkulturen der Erde. In der Zeit seiner größten Ausdehnung unter Kaiser Trajan (98–117 n. Chr.), zu Beginn des 2. Jahrzehnts des 2. Jahrhunderts n. Chr., erstreckte sich das Römische Reich vom Kap da Roca (promonturium magnum) als westlichstem Punkt (38° 46′ 60″N; 9° 30′ 0 W) bis zur Mündung des Araxes (Arâs) in das Kaspische Meer (Caspium mare oder Hyrcanium mare) als östlichstem Punkt (40° 1′ 6.29″ N; 48° 27′ 12.54″ O), im Norden vom Hadrianswall in Britannien (nördlichster Punkt: Limestone Corner, 55° 0′ 38″ N; 2° 1′ 92″ W) bis zum Nilkatarakt von Syene (Assuan, Ägypten) im Süden (24° 5′ 0″ N; 32° 52′ 54″ O). Das sind rund 59 Längen- und 31 Breitengrade. Die reine Landfläche des Reichs dürfte ca. 6.250.000 km2 betragen haben. Dennoch sollte man die Bezeichnung ‚Weltreich‘ vermeiden. Das Imperium Romanum nahm nur etwa ein 58stel der Erdoberfläche ein. Zum Vergleich seien die Flächeninhalte von Kanada mit 9.970.610 km2, den USA mit 9.809.431 km2 und der ehemaligen Sowjetunion (UdSSR) mit rund 22,4 Mill. km2 angeführt. Für Zeitzeugen wie den Historiker Polybios (um 200-etwa 120 v. Chr.), der 168 v. Chr. als Geisel nach Rom kam, war das Imperium Romanum schon zu seiner Zeit, also lange vor Abschluss der Expansion, das erste Reich, das die gesamte bewohnte Welt umfasste, (die damals bekannten) drei Kontinente (Europa, Asien, Afrika) beherrschte und das sich als erstaunlich langlebig erwies.
Ebenso wenig wie das Imperium Romanum ein Weltreich im modernen Sinn bildete, war die Kaiserzeit, insbesondere die Dezennien von der Zeitenwende bis zum Beginn des 3. Jahrhunderts n. Chr., eine goldene Zeit in der Menschheitsgeschichte. Es gab scharfe, unüberbrückbare soziale Unterschiede und Sklaverei war Alltag. Andererseits unterscheiden die großen Möglichkeiten der gesellschaftlichen Mobilität und der wirtschaftlichen Performanz das Römische Reich deutlich von anderen vormodernen Reichen, Staaten und Gesellschaften. Während der Kaiserzeit lebten im Imperium Romanum schätzungsweise ungefähr 80 Millionen Menschen, die zum größten Teil auf dem Land zu Hause waren (zivile Siedlungen mit munizipalem Charakter, die ebenfalls von der Landwirtschaft lebten, eingerechnet). Ein Bevölkerungsschwund dürfte im Laufe des 3. Jahrhunderts n. Chr. infolge von Epidemien, Kriegen und Gebietsverlusten eingetreten sein.
Im kaiserzeitlichen Imperium Romanum gab es ca. 2000 Städte, wovon die meisten wohl maximal 10.000–15.000 Einwohner zählten. Der 79 n. Chr. durch den Vesuvausbruch ausgelöschte Ort Pompeji war eine mittelgroße Stadt mit geschätzten 20.000 Einwohnern. Die bedeutende Metropole Pergamon hatte zur Zeit des Arztes und Medizinschriftstellers Galen (ca. 130–199 n. Chr.) rund 40.000 männliche Bürger; hinzuzurechnen sind Frauen, Kinder und Sklaven.
Der staatliche Verwaltungsapparat des Imperium Romanum war an modernen Verhältnissen gemessen relativ gering. Dies war wohl nur möglich, weil Rom darauf verzichtete, das gesamte Reich einheitlich administrativ zu durchdringen und eine komplexe Bürokratie aufzubauen. Vielmehr begnügte man sich damit, Grundsätzliches festzuschreiben, und beließ den höheren Amtsträgern ein gewisses Maß an Handlungsspielräumen.
Provinzen
Die Größe der Verwaltungseinheiten, in die das Römische Reich unterteilt war (‚Provinzen‘; s. S. 101ff.), schwankte erheblich. Zum Beispiel umfasste die Provinz Sardinia et Corsica die zweit- und die drittgrößte Insel des Mittelmeeres mit 23.812 km2 (Sardinien) und 8681 km2 (Korsika) sowie die kleineren benachbarten Inseln, die dieser Provinz zugerechnet wurden. Dagegen umschloss die Provinz Germania superior eine Fläche, die mehr als das 4,5-Fache ihrer Schwesterprovinz Germania inferior betrug. Wesentlich größer als Obergermanien waren etwa die Provinzen Aegyptus, Syria oder die Africa proconsularis. Die mit Abstand größte Provinz bildete die Hispania Tarraconensis (einschließlich der Balearen, die seit 123 v. Chr. zu dieser Provinz gehörten). Die reine geografische Ausdehnung sagt freilich nichts über die für Menschen als Siedlungs- und Lebensraum nutzbaren Gebiete der jeweiligen Provinz aus. Klimatisch und landschaftlich waren die römischen Provinzen ebenfalls recht unterschiedlicher Natur. Vom flachen Land geprägt waren namentlich die Provinzen Germania inferior, Pannonia superior, die Cyrenaica und Africa proconsularis. Die Provinzen Gallia Aquitanica, Gallia Lugdunensis und Pannonia inferior bestanden überwiegend aus Flachland, während andere, so zum Beispiel die Alpenprovinzen, Rätien, Norikum und alle hispanischen Provinzen, überwiegend in einer Gebirgszone lagen. Weitere Provinzen, etwa Britannia und Germania superior, lagen teilweise in einer Gebirgszone. Große geschlossene Kulturlandschaften bildeten in römischer Zeit die Gebiete der britannischen, der gallischen und der beiden germanischen Provinzen, in zweiter Linie die Provinz Rätien, das nördliche Norikum, Pannonien sowie große Teile Dakiens und des südlichen Hispaniens. Im Mutterland Italia bildete die Po-Ebene eine größere geschlossene Kulturlandschaft. Die übrigen Siedlungs- und Anbaulandschaften beschränkten sich vor allem auf die Küstenstreifen an der Adria und am Tyrrhenischen Meer. Ähnlich lagen die Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel. In den vorderasiatischen und nordafrikanischen Provinzen gab es hauptsächlich entlang der Küsten schmale Streifen von Kulturland. In Ägypten war das Niltal ein langer Streifen blühenden landwirtschaftlich genutzten Landes.
Natürliche Grenzen
In den äußeren wie inneren Grenzen des Römischen Reichs spiegelt sich die Landschaft bildende Bedeutung von Gewässern bzw. Flussläufen wider. So trennten Zweigmeere und Meeresarme, ja selbst schmale Meerengen wie bei Gibraltar oder die Propontis, Provinzen voneinander. Die großen Ströme Rhein, Donau und Euphrat bildeten jahrhundertelang entweder in ihrer gesamten Länge oder über weite Strecken ihres Laufs die Außengrenze des Imperium Romanum, auch wenn es die Römer geraten hielten, das gegenüberliegende Ufer militärisch zu überwachen bzw. zu sichern. Selbst unbedeutende Bäche wie der Vinxtbach oder der Rotenbach dienten als Markierung. Sie bezeichneten die Grenze zwischen den Provinzen Germania superior und inferior (Vinxtbach) bzw. zwischen der Germania superior und Raetia (Rotenbach). Da der größte Teil des Imperium Romanum aus Berg- und Gebirgsland bestand, spielten naturgemäß auch Gebirge als natürliche Grenzen und Annäherungshindernisse eine Rolle. Der Atlas mit dem Aurès trennte Numidien und Mauretanien von der Wüste; Hispanien und Gallien waren durch die Pyrenäen voneinander geschieden. Die Alpen bildeten die Grenze zwischen Norditalien und den angrenzenden Provinzen. Das Taurus-Gebirge schied Syrien und Kleinasien. Gebirgszüge umfassten die kleinasiatischen Provinzen ebenso wie die Karpaten die dakischen Provinzen. Wo es geraten schien, schufen die Römer nach und nach künstliche, weithin sichtbare und klar markierte Grenzen wie etwa den Obergermanisch-rätischen Limes oder den Hadrians- und Antoninuswall in Britannien. Sie ermöglichten eine bequeme Kontrolle des Grenzverkehrs und mochten zumindest kleinere Einfälle bzw. Raubzüge in das Reichsgebiet verhindern. Zudem demonstrierten sie Roms technische und architektonische Überlegenheit.
Angemerkt sei, dass der Verlauf der Grenzen des Imperium Romanum über größere Strecken hinweg nicht exakt festzustellen ist. Dies gilt nicht zuletzt im Hinblick auf Schwankungen, denen einzelne Grenzabschnitte etwa durch Vorverlegung, Rücknahme oder Begradigung unterlagen. Auch wurden in menschenleeren Zonen die Grenzen des Reichs von Rom sicherlich niemals exakt definiert. Hinzu kommen die sogenannten unsichtbaren Grenzen zwischen weniger differenzierten benachbarten Ethnien, mit denen man gute Kontakte pflegte, und dem höher entwickelten römischen Staat. Vertraglich mit Rom verbündete, aber rechtlich nicht zum Reich gehörige Stämme oder Stammesverbände dienten vielfach als Puffer zu anderen Völkerschaften. Sie wurden von Personen geführt, die den Römern genehm waren.
Straßenbau
Das wichtigste Mittel, um ein Gebiet zu erschließen, zu überwachen, zu sichern und wirtschaftlich zu nutzen, bilden Verkehrswege. Die Römer erkannten bald den Wert von Straßen für die herrschaftsbezogene Durchdringung des Raumes. Zu ihren größten Leistungen gehört fraglos der Bau von Straßen auch in schwierigem Gelände, über Pässe und Wasserläufe hinweg. Sie begannen früh mit der Anlage von Überlandstraßen, die gleichermaßen dem Handel wie der raschen Übermittlung von Nachrichten und der schnellen Verschiebung von Truppen dienen konnten. Nach und nach legten die Römer ein ganzes Netz von Straßen über Italia und die Provinzen. Seinen Anfang nahm der römische Fernstraßenbau mit dem Ausbau bestehender Verkehrswege. Roms Straßen führten zunächst von einem Ausgangspunkt zu einem Endpunkt. Da man bald die Notwendigkeit erkannte, das Land flächig zu erschließen, ging man zu einer komplexeren Anlage von Verkehrswegen über. Man baute von der Hauptlinie abführende Straßen oder schuf ein System von Straßen, die von Querstraßen gekreuzt und so vielfach miteinander verbunden waren. In der Regel wurden Straßen so geführt, dass sie wichtige Siedlungen durchquerten oder nahe daran vorbeiführten. Umgekehrt entstanden an Straßen, insbesondere an Knotenpunkten, Siedlungen, die dank ihrer Lage prosperierten.
Zu welchem Zeitpunkt man anfing, Straßen nach ihrem Erbauer zu benennen, harrt der Klärung. In republikanischer Zeit oblag der Straßenbau den höchsten Magistraten, so heißt die via Appia nach Appius Claudius, der die Straße als Zensor (312 v. Chr.) von Rom bis Formiae (Formia, Italien) und später als Konsul (307 v. Chr.) bis nach Capua (S. Maria Capua Vetere, Italien) bauen ließ. In ihrer letzten Ausbauphase führte die via Appia über Tarentum (Tarent, Italien) bis nach Brundisium (Brindisi, Italien). Das erste Stück der via Appia von Rom bis Tarracina (Terracina, Italien) bestand wahrscheinlich schon seit der Wende vom 6. zum 5. Jahrhundert v. Chr. Die vom Fluss Rhodanus (Rhône) über Nemausus (Nîmes, Frankreich), Forum Domitii (Montbazin, Frankreich), Narbo (Narbonne, Frankreich) bis zum Pyrenäen-Kamm führende via Domitia gilt als die älteste via publica (öffentliche Straße) Galliens. Sie geht auf den römischen Feldherrn Cnaeus Domitius Ahenobarbus zurück, der 118/117 v. Chr. einen vorhandenen Handelsweg ausbauen ließ. Etwa seit der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. erstellte man entlang der Straßen sogenannte Meilensteine, die überwiegend als Säule auf einer viereckigen Basis gearbeitet waren. Für gewöhnlich ist auf einem Meilenstein das caput viae, der Ort, von dem aus die Entfernung gezählt wurde, angegeben zusammen mit einer Zahl, welche die Entfernung von diesem Punkt in römischen Meilen benannte. Eine Ausnahme bildet der gallische Raum; hier finden wir ab Septimius Severus (193–211 n. Chr.) eine Zählung nach Leugen (leuga, Plural leugae) anstatt wie zuvor nach Meilen.
Mit Beginn der Prinzipatszeit wurde es Usus, Straßen allein nach dem regierenden Herrscher zu taufen. So hieß die 12 v. Chr. fertiggestellte via Iulia Augusta einerseits nach Caius Iulius Caesar (100–44 v. Chr.), der bereits daran hatte bauen lassen, andererseits nach dem ersten Prinzeps Augustus (63 v. Chr.–14 n. Chr.; Prinzeps: 30 v. Chr.–14 n. Chr.), unter dessen Herrschaft sie vollendet wurde. Die via Iulia Augusta führte (in Fortsetzung der via Aemilii Scauri) von der Küste Liguriens über Nicaea (Nizza, Frankreich), Forum Iulii (Fréjus, Frankreich), Aquae Sextiae (Aix en Provence, Frankreich), Arelate (Arles, Frankreich) an die Rhône. Von dort aus konnte man auf der via Domitia weiterreisen. Der regierende Augustus Trajan war namengebend für die sofort nach der Eroberung des Reichs der Nabatäer von den Römern in Angriff genommene via nova Traiana. Um das Straßennetz möglichst effizient für den Transfer von Nachrichten nutzen zu können, richtete der erste Prinzeps Augustus ein Kurier- und Transportsystem mit Wechselstationen für Tiere und Unterkünften für zivile und militärische Amtsträger ein.
Wasserwege
Auch Wasserwege nutzten die Römer, zumal der Transport von Menschen, Tieren und Waren zu Wasser oftmals erheblich leichter zu bewerkstelligen war als auf dem Landweg und eine Reise mit dem Schiff wesentlich kürzer sein konnte als zu Land. Außerdem verbanden Flüsse Provinzen miteinander. So ermöglichten die Mosel und die Maas die Schiffsverbindung von der Gallia Belgica zu den germanischen Provinzen. Einzelne Teile des Imperium Romanum, etwa Britannien und alle weiteren Inseln, waren ohnedies nur auf dem Seeweg zu erreichen. Die römischen Streitkräfte (exercitus Romanus) unterhielten eigene Flotten, denen sowohl Überwachungs- und Sicherungsaufgaben oblagen als auch der Transport von Militärpersonen und Gütern. Die größte Bedeutung hatten die Wasserwege für den Handel und die Versorgung Roms mit Getreide, das vornehmlich aus Nordafrika und Ägypten beigebracht wurde. Da die Schiffe in der antiken Welt nur Wind, Meeresströmungen und Menschenkraft zur Fortbewegung nutzen konnten, vermied man Fahrten über das offene Meer nach Möglichkeit. Stattdessen bevorzugte man Schiffsrouten entlang der Küsten.
Bis ins späte 3. Jahrhundert v. Chr. beschränkte sich Rom darauf, Einfluss auf Dritte mittels diplomatischer Beziehungen, Bündnissen und durch ein militärisches Übergewicht auszuüben. Ziel der römischen Politik war es, andere zu schwächen, sich selbst mit geringem Aufwand dauerhaft die Vorherrschaft im Mittelmeerraum zu sichern und dennoch ein Höchstmaß an Stabilität sowie Sicherheit zu erlangen. Erst infolge der Auseinandersetzungen mit Karthago begann man, unterworfene Gebiete außerhalb des italischen Mutterlandes einer direkten Kontrolle zu unterstellen. Ihre wesentlichen Kennzeichen waren die Ausübung der Steuerhoheit, der Jurisdiktion und die militärische Präsenz. Die damalige ‚Provinzorganisation‘ ist nur sehr bedingt mit der in späterer Zeit zu vergleichen. Man behalf sich damit, Imperiumträger zu entsenden, die mittels ihrer umfassenden Kompetenzen, insbesondere ihrer militärischen Potenz, vor Ort als Statthalter walteten. Als ihre Aufgabe sahen sie die Eintreibung von Abgaben und die Sicherung des Friedens an. Wurden die Interessen Roms nicht gewahrt, griffen die Statthalter ein.
Inbesitznahme von Territorien
Die römischen Provinzen sind allerdings nur teilweise ein Ergebnis erfolgreicher Feldzüge, denn Territorien wurden bisweilen friedlich annektiert. Hinzu kommen Gebiete, die an Rom durch Erbschaft fielen, wie zum Beispiel das Reich der Attaliden (siehe unter Asia). Weitere Provinzen entstanden durch die Abschaffung eines bestehenden Klientelreichs, etwa indem Rom nach dem Tod eines Herrschers das Gebiet direkter römischer Kontrolle unterstellte anstatt einen neuen Klientelherrscher einzusetzen. Territorien, die unter Roms Herrschaft gekommen waren, wurden nach einer Zeit des Übergangs für gewöhnlich als gemäß den römischen Gesetzen geleitete Provinzen organisiert. Das heißt, das Imperium Romanum bestand aus Rom, dem Mutterland“ Italia, welches das Ergebnis der sukzessiven Unterwerfung der dort lebenden Völkerschaften durch die Römer war, und einzelnen provinciae, die von römischen Amtsträgern geleitet wurden. Im Verhältnis zur Zahl der Provinzen überrascht immer wieder die relativ geringe Anzahl an Mandataren, mit deren Hilfe Rom die untertänigen Gebiete beherrschte und kontrollierte. Rom beschränkte sich bei der Verwaltung der Provinzen auch in der Kaiserzeit auf ein Minimum an Personen. Daher kann nicht von einer administrativen Durchdringung, geschweige denn von einer umfassenden Verwaltung einer Provinz in der Kaiserzeit und schon gar nicht während der Zeit der Römischen Republik die Rede sein. Pro Provinz wurde ein Statthalter bestimmt, dem je nach Größe seiner Provinz und den dort anhängigen Aufgaben einige wenige Helfer beigegeben wurden. Die Übergabe einer Provinz an einen Mandatar lief dem Prinzip der Kollegialität zuwider und steigerte somit die Bedeutung des Statthalters, der in seiner Provinz quasi omnipotent war, sowie die Gefahr des Amtsmissbrauchs.
Rom verzichtete bewusst darauf, die Provinzen gleichzuschalten, das heißt, einzelne Gebiete hatten jeweils eine eigene Prägung. Die Römer tolerierten ethnische, religiöse und kulturelle Eigenheiten, solange diese ihrer Herrschaft nicht zuwiderliefen. In den Provinzen verschmolzen daher lokale vorrömische Traditionen und römische Kultur auf lange Sicht gesehen miteinander, zumal die Provinzialen vor allem in den westlichen Provinzen für Waren und den Lebensstil der mediterranen Welt empfänglich waren. Zudem lag es den Römern fern, ihre Provinzen bis ins Detail einheitlich zu organisieren und nach identischen Mustern zu verwalten. Rom begnügte sich vielmehr damit, Leitlinien festzulegen, wobei man sich römischer Sitte gemäß an dem Vorbild der Väter, an Bewährtem und Erprobtem, orientierte. Selbstverständlich sind im Laufe der Zeit Umstrukturierungen und Neuerungen zu verzeichnen, denen teilweise nur temporäre Geltung zukam; diese betrafen vielfach nicht alle Provinzen, sondern einzelne oder Teile davon.
‚Vertikale Integration‘
Ein bedeutendes Instrument der Herrschaftssicherung mit geringem personellem Aufwand bildete die sogenannte ‚vertikale Integration‘, die Einbeziehung zunächst der kooperationswilligen örtlichen sowie regionalen Eliten der italischen Städte und Territorien, dann schrittweise der führenden Familien in den Provinzen. Damit schuf Rom für diesen Personenkreis zugleich neue Aufgaben und ein entsprechendes Selbstverständnis, denn Angehörige der Führungsschicht wurden mit Ämtern und Würden in den Gemeinwesen und auf provinzialer Ebene ausgezeichnet. Sie hatten somit aktiven Anteil an der Stabilisierung der Herrschaft Roms. Zudem integrierte man sie dauerhaft in das Herrschaftssystem; ein Faktum, das im Hinblick auf die Verfestigung der römischen Herrschaft kaum zu überschätzen ist. Zudem gewährte Rom den führenden Familien der lokalen und regionalen Eliten bei entsprechendem Engagement und finanziellen Mitteln den Aufstieg in den Ritterstand und über diesen den kommenden Generationen in den Senatorenstand. Damit ermöglichte man ihnen den Zugang zu führenden Positionen in Rom, in der Provinzverwaltung sowie im exercitus Romanus, womit die Bindung an das Imperium Romanum noch enger wurde. Dieser Prozess ist keineswegs ein Novum der Prinzipatszeit, vielmehr wurden schon früh Männer aus führenden Familien italischer Städte, die unter die Vorherrschaft Roms gekommen waren, in den Senat aufgenommen und ihnen der Aufstieg bis zum Konsulat ermöglicht. Die Gebiete außerhalb von Italia, die die Römer zuerst unter ihre Herrschaft gebracht hatten, stellten in der ausgehenden Republik und vor allem in der frühen Kaiserzeit nacheinander den Hauptteil der nicht italischen Senatoren: Gallia Narbonensis, Hispania ulterior (Baetica), Africa proconsularis, Hispania citerior und die griechischen Provinzen des Imperium. Freilich hing der soziale Aufstieg maßgeblich vom Selbstverständnis der Betreffenden und ihrer Bereitschaft ab, das Angebot der Integration in die Elite der römischen Gesellschaft anzunehmen. Von großer Bedeutung waren dabei die spezifischen geschichtlichen Rahmenbedingungen, das wirtschaftliche, geografische und soziopolitische Umfeld.
Kolonien
Eine wichtige Rolle spielten für die Sicherung der römischen Herrschaft des Weiteren die von den Römern gegründeten Kolonien (meist Veteranenkolonien). Sie entstanden häufig an der Stelle von Vorgängersiedlungen, die in ihnen aufgingen, oder, gerade im Osten, neben bestehenden Gemeinwesen, mit denen sie nach einiger Zeit verschmolzen sind. Gut entwickelte römische Kolonien und griechische Poleis mit einem hohen Anteil an italischstämmiger Bevölkerung brachten tendenziell mehr Senatoren hervor als andere Gemeinwesen. Trotz aller Offenheit gegenüber Fremden gab es Vorbehalte. Nicht nur, dass bestimmten Volksgruppen bisweilen wenig Schmeichelhaftes nachgesagt wurde (so galten etwa Gallier als Hitzköpfe und Afrikaner als wortbrüchig). Römer oder Italiker zu sein, erschien zumindest noch in den ersten Dezennien der Prinzipatszeit vielen als etwas Besseres, als nur Provinziale zu sein. Zudem beäugte mancher die Massen von Fremden, die nach Rom strömten, argwöhnisch. So klagte etwa Juvenal: Ich vermag nicht, ihr Mitbürger, das griechische Rom zu ertragen. Freilich, welchen Teil der Hefe bilden schon die Achäer? Schon längst ist der syrische Orontes in den Tiber gemündet und hat mit sich geführt die Sprache, die Sitten … (Satiren 3,60ff.). Sicher sprachen die Worte des Satirikers manchem aus dem Herzen.
Lokale Strukturen
Ein der römischen Provinzpolitik von ihren Anfängen an innewohnender Grundzug war, beim Aufbau des Verwaltungsapparates unterhalb der zentralen Verwaltungsebene auf bestehende Organisationsstrukturen zurückzugreifen. In ihrem Herrschaftsbereich bot sich den Römern ein divergierendes Bild. Im griechischen und im kleinasiatischen Raum sowie in Ägypten trafen die Römer auf eine hochgebildete Elite, geordnete administrative Verhältnisse und auf eine Bevölkerung, die seit Langem daran gewohnt war, verwaltet zu werden und Steuern zu entrichten. Dagegen prägten in den nordwestlichen Provinzen vielfach Ethnien, in sich untergliederte Sippenverbände (gentes) oder das System der Großfamilie (cognatio) die gesellschaftliche Ordnung. Hier galt es, eine administrative Struktur einzuführen; das geschah durch die Schaffung von civitates (s. S. 88f.). Besondere Strukturen trafen die Römer in Ägypten an, das in sogenannte Gaue gegliedert war. Dieses gut funktionierende System machten sich die Römer zu eigen; sie behielten die innere Gliederung im Prinzip bei; die Leiter (Strategen) der Gaue bestimmte der Statthalter (praefectus Aegypti). Bei der Umgestaltung des ehemaligen pergamenischen Reichs in eine Provinz legten die Römer die attalidische Struktur ihrer Einteilung des Landes in Diözesen zugrunde. Ein ähnliches Verfahren ist in der Provinz Iudaea zu beobachten; hier wurde die innere Aufteilung in Toparchien aufgegriffen und der römischen Administration dienstbar gemacht.
Unser Wissen über die römische Verwaltung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Fragen offen bleiben. So wissen wir nicht, was mit auf keiner fassbaren soziopolitischen Stufe stehenden Gruppen geschah. Beließ man ihnen ihren Lebensraum und ihre Gewohnheiten? Wie verfuhren die Römer mit menschenleeren Räumen, in denen sich der Aufbau einer Verwaltung kaum realisieren ließ? Hüten müssen wir uns ebenfalls davor, von einer funktionierenden Verwaltung und selbst von einer augenscheinlich erfolgreichen Akkulturierung einer Provinz auf eine allenthalben vorhandene gegenseitige Akzeptanz und Vorurteilslosigkeit zwischen Römern und Provinzialen zu schließen.
Überblick
In den Besitz seiner Provinzen gelangte Rom auf verschiedene Art und Weise. Neben erfolgreichen kriegerischen Auseinandersetzungen wurden Gebiete auch auf friedlichem Weg in das Imperium Romanum integriert. Bisweilen vererbten fremde Herrscher aus politischen Gründen sogar ihr Reich den Römern. Neben der direkten Ausübung der Herrschaft über ein Territorium übte Rom vielfach über lokale, von ihnen eingesetzte oder zumindest geförderte Herrscher indirekten Einfluss aus. In der Regel waren diese für gewöhnlich als Klientelkönige bezeichneten Männer aufgrund von inneren Problemen oder äußerer Bedrängnis auf den Beistand Roms angewiesen, um sich an der Macht halten zu können. Damit war eine zunehmende Abhängigkeit von Roms Wohlwollen vorgezeichnet.
Zahlreiche Provinzen Roms sind aus Klientelreichen hervorgegangen. In der Fachliteratur werden die von Rom abhängigen Herrscher mit dem modernen Begriff Klientelkönige (oder Klientelfürsten, seltener Vasallenkönige) bzw. im Englischen als „friendly kings“ bezeichnet, was nicht impliziert, dass allen der Titel König zukam. Auch wenn der Terminus Klientelkönig anachronistisch ist, trifft er doch den Charakter der Beziehung zwischen Rom und den betreffenden Herrschern, denn diese war nicht von Gleichrangigkeit, sondern von Unterordnung und Vormachtstellung geprägt. Die antiken Schriftsteller nannten die Klientelherrscher Freunde und Bundesgenossen des römischen Volkes (reges amici et socii populi Romani). Sie hatten sich in erster Linie loyal gegenüber Rom zu verhalten, das heißt Treue (fides) zu beweisen und die Hoheit (maiestas) des römischen Volkes zu akzeptieren. Dieses Verhältnis übertrug sich auf den Prinzeps. Gemäß Sueton (um 70– nach 122 n. Chr.) verließen die Klientelkönige immer wieder ihre Reiche, um dem Herrn der römischen Welt ihre Aufwartung zu machen, wobei sie als Bürger in der Toga ohne königliche Insignien erschienen. Diese Kleidung brachte einerseits die Zughörigkeit der Klientelkönige zur befriedeten römischen Welt zum Ausdruck, andererseits zeigte sie einmal mehr ihre dem römischen Herrscher untergeordnete Stellung, der als Vater des Vaterlandes über alle und allem waltete.
Quelle
Sueton (um 70-nach 122 n. Chr.) über das Verhalten der Klientelkönige (Augustus 60):
Oft verließen sie ihre Königreiche und warteten ihm (= Augustus), so wie es Klienten zu tun pflegen, nicht nur in Rom, sondern auch auf seinen Reisen durch die Provinzen täglich auf und zwar in der Toga und ohne königliche Abzeichen.
Verhältnis Klientelkönige – Rom
In der Regel bestand über längere Zeit hinweg ein Abhängigkeitsverhältnis der jeweiligen Klientelkönige von Rom bzw. in republikanischer Zeit von führenden Männern der res publica und von Augustus an vom Herrn der römischen Welt. Gründe für die Abhängigkeit der einzelnen Herrscher von Rom sind vielfältig. Manche gerieten in den Sog der römischen Expansionspolitik, andere bedurften der Hilfe der Römer gegen äußere Bedrohungen oder wegen innerer Probleme, wie zum Beispiel Unruhen, Thronstreitigkeiten mit Verwandten oder rivalisierenden Adligen. Eine ganze Reihe der Klientelkönige wurde von den Römern direkt eingesetzt (rex datus). So etwa Archelaos von Cappadocia, ein ambitionierter pontischer Adliger, dem Marcus Antonius (um 82–30 v. Chr.) anstelle der bisher in Cappadocia herrschenden Dynastie die Königswürde verlieh (37/36 v. Chr.). Die Wahl eines Mannes, der nicht aus der lokalen Elite oder dem bisherigen Herrscherhaus stammte, ist öfter zu konstatieren, bzw. es ist kaum zu weit gegriffen zu sagen, dieses Procedere hatte Methode. Herodes d. Gr. (um 73–4 v. Chr.), der seine Königswürde ebenfalls Marcus Antonius und dem (späteren) Augustus zu verdanken hatte, war kein Spross der hasmonäischen Königsdynastie, sondern Idumäer und somit für die konservativen jüdischen Kreise kein echter Jude, denn die Idumäer hatten erst spät und gezwungenermaßen den jüdischen Glauben angenommen. Die Vorteile der Protektion solcher Männer liegen auf der Hand; die Betreffenden waren zur Durchsetzung und Behauptung ihrer Herrschaft auf Rom angewiesen. Ihre einzige Legitimation bestand in Roms Gnade. Andererseits waren sie fähige Politiker und Feldherrn, auf die Rom bauen konnte.
Gründe für die Einsetzung
Mit Iuba II. (ca. 50 v. Chr.–23 n. Chr.) wählte Augustus im Jahr 25 v. Chr. für Mauretanien einen Klientelkönig, der seinen mauretanischen Untertanen als Sohn des letzten numidischen Königs Iuba I. (ca. 85–46 v. Chr.) eigentlich fremd war und der überdies mit Kleopatra Selene (∗ 40 v. Chr.) eine Frau zur Gemahlin nahm, welche einen Römer zum Vater hatte (Marcus Antonius) und die zugleich von ihrer Kindheit am Hof ihrer Mutter Kleopatra VII. (69–30 v. Chr.) in Alexandria stark geprägt war. Freilich entstammten Archelaos und Iuba ihrem Reich benachbarten Regionen und mochten daher als weniger ‚exotisch‘ angesehen worden sein als ein Römer. Die Erklärung für die Einsetzung von Königen anstatt der Überführung des Reichs in eine Provinz ist in den Territorien selbst zu suchen. Sie waren wenig der römisch-hellenistischen Zivilisation angepasst, aufgrund naturräumlicher und klimatischer Gegebenheiten schwer zu kontrollieren und oftmals nicht völlig befriedet. Ferner lagen die Reiche der Klientelherrscher an der Peripherie des Imperium Romanum; sie hatten somit eine Pufferfunktion zwischen Rom und anderen Mächten. Die Einsetzung eines ambitionierten Mannes mochte daher der für Rom bequemste und risikoärmste Weg sein. Zudem konnte die Einsetzung eines Klientelkönigs die wahren Machtverhältnisse sowohl gegenüber fremden Mächten als auch im Inneren verschleiern. Wenn Augustus eine ganze Reihe von Klientelherrschern bestätigte oder neu etablierte, so geschah dies sicher nicht zuletzt, um in den Jahren nach dem Bürgerkrieg, in denen er an der Festigung seiner Position hart arbeiten musste, seine tatsächliche Macht zu kaschieren. Die Klientelreiche waren offiziell nicht Teil seines Machtbereichs, auch wenn die betreffenden Herrscher in Wirklichkeit auf sein Wohlwollen zwingend angewiesen waren.
Römisches Bürgerrecht
Augustus hielt sich in Bezug auf die Klientelreiche im Wesentlichen an die Vorgaben seines Gegners Marcus Antonius, allerdings zeichnete er die Klientelkönige in der Regel mit dem römischen Bürgerrecht, der civitas Romana, aus. Dies ist im Gegensatz zur früheren Praxis ein Novum, denn das römische Bürgerrecht wurde bislang nur in Ausnahmefällen an verdiente fremde Herrscher verliehen. So stattete Caius Iulius Caesar Antipater (ca. 100–43 v. Chr.), den Vater von Herodes d. Gr., und seine Angehörigen wegen seiner großen Verdienste mit dem römischen Bürgerrecht aus. Vermutlich wollte Augustus das enge Verhältnis zwischen Römern und Klientelkönigen und vor allem seine übergeordnete Position in der Nomenklatur der Klientelherrscher zum Ausdruck gebracht wissen, denn sie führten fortan als römische Bürger einen Vor- und einen Gentilnamen, die nach ihrem Förderer und Patron lauteten. So trug etwa Iuba II. von Mauretanien das nomen gentile Iulius. Auch die in den Alpes Cottiae als Präfekten eingesetzten Mitglieder der Königsfamilie waren dank Augustus römische Bürger; sie hatten ebenfalls das praenomen und nomen gentile Caius Iulius. Togidubnus, ein von Claudius nach der Eroberung Britanniens eingesetzter König, hieß nach diesem römischen Herrscher Tiberius Claudius Togidubnus (s. Quelle S. 30). Die Gewährung der civitas Romana hatte zudem juristische Relevanz. Die Betreffenden unterlagen als römische Bürger dem römischen Recht, konnten also gemäß diesem belangt und verurteilt werden.
Quelle
Der Umgang des ersten Prinzeps Augustus mit Klientelkönigen (Sueton, Augustus 48):
Verbündete Könige verband er (= Augustus) auch durch wechselseitige verwandtschaftliche Beziehungen eng miteinander. Er war ein äußerst bereitwilliger Vermittler und Förderer jeder verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehung. Um alle sorgte er sich so, als seien sie Glieder und Teile des Reichs.
Söhne von Klientelkönigen