Über das Buch:
Kat ist 14 und kann mit Pferden absolut nichts anfangen. Zu dumm nur, dass ihre Mutter zum Geburtstag ein Pferd bekommt. Und zu dumm, dass Kat gegenüber dem süßesten Jungen im ganzen Reitstall behauptet, sie werde künftig auch reiten. Jetzt bleibt ihr gar keine andere Wahl. Warum nur hat sie nicht ihren Mund gehalten? Und warum hat sich ihre Mutter kein vorzeigbareres Pferd aussuchen können als dieses kleine, gefräßige, überaus sture Pony namens Otto?

Über die Autorin:
Birthe zur Nieden, Jahrgang 1979, hat schon mit fünf Jahren die erste Pferdegeschichte verfasst und mit dem Schreiben danach nicht wieder aufgehört. Das Reiten entdeckte sie erst vor einigen Jahren richtig für sich, dafür hat das Pferdevirus sie seitdem fest im Griff. Sie hat in Marburg studiert und lebt und arbeitet weiterhin dort – bis jetzt noch ohne eigenes Pferd …

8. Kapitel

… enthält eine Herde Wildpferde, Frühlingsjubel und eine Gruppenreitstunde mit pferdigem Seitensprung.

„Na, was sagst du zu meiner Auflaufkreation?“

Kat nickte mit vollem Mund. „Fön viel Käwe!“

Mom runzelte die Stirn. „Schön viel was? Ach so, Käse. Du, nachher kommen die Pferde zum ersten Mal für zwei Stunden auf die Koppel. Willst du mit?“

Kat schluckte den Auflauf hinunter. „Klar!“ Der Deutsch-Aufsatz konnte schließlich gut bis heute Abend warten. „Kann ich Helli fragen, ob sie auch mitkommen möchte?“

„Na, sicher! Davon war ich jetzt eigentlich ausgegangen.“

Nach dem Essen rief Kat bei Abels an. Wieder einmal war Johann am Telefon. Kat verdrehte unwillkürlich die Augen. Hellis kleiner Bruder war zehn und eine furchtbare Nervensäge. „Hallo, hier ist Kat, könnte ich mal Helli sprechen?“

„Nein“, erklärte Johann, „Helli macht gerade Hausaufgaben.“

„Kannst du sie nicht trotzdem holen? Die Pferde werden heute auf die Koppel gebracht, da möchte sie doch bestimmt dabei sein!“

„Pff, was Mädchen immer mit diesen Gäulen haben … Moment“, sagte er und legte den Hörer neben das Telefon. Einen Augenblick später war Helli dran. „Hör mal, ich kann jetzt echt nicht, der Deutschaufsatz ist ganz schön knifflig und danach muss ich meiner Mutter noch im Garten helfen.“

„Ach Mann, wie doof! Kannst du dich da nicht irgendwie loseisen? Das ist doch heute was Besonderes!“

„Erklär das mal meiner Mutter“, sagte Helli düster. „Fährst du denn mit?“

„Ja, sicher. Soll ich Fotos machen?“

„Hm“, machte Helli zustimmend. „Das wäre schön.“

„Ich bin ja mal gespannt, ob Rick auch dabei sein wird … Aber ich denke schon. Schließlich wird er doch sicher seinen Blue nicht von irgendjemand anderem zum ersten Mal auf die Weide bringen lassen oder was meinst du?“

„Keine Ahnung, ich kenne den doch gar nicht.“

„Stimmt. Na, ich hoffe jedenfalls, dass er da ist, sonst lohnt sich das Hinfahren gar nicht so richtig, außer dass ich für dich ein paar Bilder mache natürlich.“

„Hm“, machte Helli, diesmal unbestimmt. „Du, ich muss jetzt zu meinem Aufsatz zurück. Bis morgen!“

Na, das war aber ein plötzlicher Gesprächsabbruch. „Bis morgen“, sagte Kat irritiert, dann knackste es in der Leitung und Helli hatte aufgelegt. Warum nur war sie in letzter Zeit so merkwürdig?

Zehn Minuten später saßen sie im Froschauto. Während sie aus dem Fenster schaute, fiel Kat etwas wieder ein, was sie eigentlich schon lange hatte fragen wollen. „Du, Mom?“

„Hm?“

„Sag mal, warum kommen die Pferde eigentlich erst jetzt auf die Weide? Und warum nur für zwei Stunden? Das Wetter ist doch schon seit Wochen schön und frisches Gras gibt’s auch schon lange – stattdessen hängen sie immer noch in Dreiergrüppchen abwechselnd auf diesem kahlen Auslauf rum.“

„Weil das Gras im Frühjahr sehr gehaltvoll ist. Und die Pferde sind das nicht mehr gewöhnt – das ist ungefähr so, als wenn du zwei Wochen lang nur Zwieback, Kartoffeln und Möhren gegessen hast und dir dann ein großes Schnitzel in Sahnesoße und vier Stücke Buttercremetorte reinstopfst. Das macht dein Verdauungsapparat nicht mit. Und Pferde sind da noch viel empfindlicher. Wenn man sie einfach so gleich für lange Zeit auf eine Koppel mit frischem Gras schickt, können sie ganz leicht Koliken und Hufrehe und andere Krankheiten kriegen.“

„Ach so.“ Nicht nur das Reiten war offenbar komplizierter, als man als Außenstehender meinte. Um zu begreifen, dass Kat eben nicht in ein paar Wochen neben Rick durch den Wald galoppieren würde, hatten schon zwei Reitstunden gereicht. Aber das machte nichts. Es war fast merkwürdig – eigentlich freute sie sich gerade deswegen darauf, es zu lernen. Aber Herausforderungen hatte sie ja auch schon immer gemocht. Außer in Deutsch, aber den Gedanken an die Hausaufgaben, die zu Hause noch auf sie warteten, schob sie lieber weiter weg.

Außerdem waren sie inzwischen sowieso am Stall angekommen.

„Hier, halt mal“, sagte Mom und drückte Kat einen Sack Futter in den Arm, während sie das Auto abschloss.

Kat ging unwillkürlich ein wenig in die Knie und ächzte. Das Ding hatte gar nicht so schwer ausgesehen!

„Na, schwaches Kind!“ Mit einem gespielt mitleidigen Blick nahm Mom ihr den Papiersack ab. Kat streckte ihr die Zunge heraus und hüpfte auf einem Bein voraus zum Stall.

Direkt vor dem Eingang trafen sie auf Anne. „Na, auch schon wieder hier?“, fragte sie grinsend und zwinkerte Kat zu.

Kat beschloss, nicht auf den leichten, wenn auch freundlichen Spott in ihrer Stimme einzugehen. „Otto in der freien Natur kann ich mir ja wohl nicht entgehen lassen. Schließlich kenne ich ihn nur im Stall oder im Matsch rumstehend.“

„Ja, da bin ich auch gespannt, wie er sich in die gesamte Herde einfügen wird. Bisher war er ja nur mit seinen Nachbarn zusammen.“

Mom kaute auf ihrer Unterlippe herum. „Glaubst du, das wird klappen?“

„Klar. Mach dir keine Sorgen. Wir bleiben auf jeden Fall eine Weile dabei. Aber ich glaube nicht, dass es Probleme geben wird.“

Sie verschwanden im Stall, nur Kat blieb noch ein wenig in der Sonne stehen. Es war so herrlich Frühling, dass man das ausnutzen musste. Einen Moment lang schloss sie die Augen und genoss die Wärme im Gesicht. Als sie sie wieder öffnete, sah sie Rick mit Blue von der Reithalle kommen. Beinahe hätte sie ihm zugewinkt, aber er schaute gar nicht in ihre Richtung. Ein Glück – das wäre ja wohl total peinlich gewesen. Eigentlich war es sowieso viel besser, ihm und seinem tollen Pferd aus der Entfernung zuzusehen. Erst als die beiden um die Ecke des vorderen Stalles gebogen waren, folgte Kat mit einem warmen Gefühl auf der Haut und im Bauch Mom und Anne in den Stall. Beide waren nicht zu sehen, also ging Kat direkt zu Ottos Box hinüber.

Als sie hineinschlüpfte, hing Anne halb unter Ottos Bauch und begutachtete eine kleine Schwellung, was das Pony mit einem unbeschreiblich irritierten Blick beobachtete. Kat grinste und stellte sich dazu. Nein, doof war das Vieh echt nicht und sie stellte fest, dass sie ihm die Blamage am Montag nicht wirklich übelnehmen konnte. Vielleicht waren daran auch diese dunklen Mädchenaugen unter den langen, rötlichen Wimpern schuld, mit denen er so unschuldig in die Welt guckte. Kat kraulte seine Stirn und entdeckte dabei einen kleinen weißen Fleck, der normalerweise immer unter der Stirnlocke verborgen war. Auf einmal senkte er den Kopf und begann, sich an ihrem Arm zu reiben. „He, ich bin doch kein Kratzbaum!“

„Lass das, Otto“, sagte Anne knapp und gab ihm einen Klaps. Otto nahm den Kopf hoch und schaute sich vorwurfsvoll nach ihr um. „Das solltest du nicht zu oft durchgehen lassen, das macht man nämlich nur bei rangniederen Pferden. – Also, Silke, das ist ein ganz simpler Bremsenstich, der geht von allein wieder weg. Erst wenn das größer werden sollte, musst du den Tierarzt rufen. Und jetzt müssen wir uns beeilen, die anderen warten bestimmt schon. Möchtest du mir helfen und eins von meinen Pferden auf die Koppel bringen, Kat?“

Kat dachte an die plattgewalzten Sträucher und daran, wie Otto sie über den Hof gezogen hatte, und zögerte.

„Ich verspreche dir, dass sowohl Toast als auch Flora sich mustergültig benehmen werden. Die sind auch beide heute schon im Gelände gewesen und dürften einigermaßen müde sein, also keine Sorge.“ Anne konnte offenbar Gedanken lesen.

„Okay.“ Entschlossen folgte Kat ihrer Reitlehrerin zu Flora und Toast, die nebeneinander etwas näher am Ausgang standen. Anne drückte ihr ein rotes Halfter in die Hand. Ob das diesmal besser klappen würde? Mit ein wenig Herzklopfen betrat Kat die Box. Toast streckte ihr die gemusterte Nase entgegen und ließ sich auch die Stirn kraulen. Dann stellte sich Kat mit dem Halfter neben seinen Kopf und versuchte sich an die Anweisungen ihrer Mutter zu erinnern. Aber das war gar nicht nötig, denn Toast steckte doch wahrhaftig den Kopf von selbst in sein Halfter! Kat brauchte nur noch den oberen Riemen über die Ohren zu schieben und den Haken zu schließen.

„Können wir?“, fragte Anne von draußen. Sie stand mit Flora schon auf dem Gang und öffnete die Boxentür für Kat. „Und denk dran: rechts halten, links den Rest vom Strick, und niemals um die Hand wickeln!“

„Okay“, sagte Kat wieder. Dann ging sie los und Toast folgte ihr. Mom wartete mit Otto schon ein Stück weiter hinten und gemeinsam verließen sie den Stall, Kat und Toast in der Mitte. Anders als sonst bogen sie jetzt vor dem Stall nach rechts ab, in Richtung Wald und Koppeln. Die weite Wiesenfläche war mit einem grau verwitterten Holzzaun umgrenzt, hinter dem weiße Stromlitze hervorblitzte. Tatsächlich waren es allerdings zwei Weiden, zwei lange Streifen, zwischen denen ein Gang verlief. Beide Flächen waren noch einmal durch Stromlitze in mehrere kleinere Parzellen aufgeteilt. Toast ging friedlich, wenn auch ein wenig aufgeregt hinter Kat her, während sie den Gang entlangliefen. Seine gespitzten Ohren zuckten hierhin und dorthin und er schaute sich aufmerksam um.

„So“, sagte Anne schließlich. „Hier ist unsere.“

Auf der Weide liefen schon vier andere Pferde herum. Anne öffnete das Tor und sie führten die Pferde hinein. Toast begann zu tänzeln, wobei Kat ein bisschen mulmig zumute wurde.

„Dreh einen Halbkreis mit ihm!“, rief Mom ihr zu. „Mit dem Gesicht zum Eingang bleibt ihr stehen und dann nimmst du ihm das Halfter ab.“

Das war nicht ganz einfach, weil Toast die ganze Zeit den Kopf nach den anderen Pferden drehte, aber schließlich gelang es ihr, ihm das Halfter abzustreifen. Augenblicklich trabte er davon, Flora hinterher. Otto folgte etwas langsamer.

„Komm“, sagte Anne. Vor der Weide blieben sie stehen und lehnten sich auf den Holzzaun. Die Pferde beschnupperten sich kurz und begannen dann zu toben. Anders konnte man das wirklich nicht bezeichnen. Sie jagten sich, galoppierten herum, buckelten, stiegen, schlugen aus und wirkten fast wie eine Herde Wildpferde in der Prärie.

Gut, abgesehen von Otto vielleicht. Aber sogar der entwickelte eine für seine Verhältnisse ungeahnte Energie und galoppierte und buckelte länger, als Kat ihm das zugetraut hätte.

„Schön“, seufzte sie.

Nach einer Weile ließ sie Mom und Anne stehen, die noch eine Zeit lang beobachten wollten, ob sich Otto auch wirklich gut in die Herde einfügte, und schlenderte ein Stück weiter. Rick sah sie zwar nicht mehr, aber das störte sie erstaunlich wenig. Sie atmete die frische Luft ein und war rundherum glücklich. Überall tummelten sich Wildpferde auf den Frühlingskoppeln. Es war deutlich mehr Gewieher zu hören als sonst und die herumspringenden Pferde im Sonnenschein, das grüne Gras und die frisch belaubten Bäume und Büsche, die auf den Weiden und vor allem dahinter wuchsen, machten Kat so kribbelig lebendig, dass sie am liebsten mitgerannt wäre.

Nur schade, dass Helli nicht dabei war.

***

Kat lag auf dem Bett und blätterte ein wenig lustlos in ihrem Bibelleseplan. Sie hatte wieder mal mehrere Tage nicht hineingeschaut und nun fehlte ihr völlig der Zusammenhang, aber mehrere Seiten Bibeltext auf einmal wollte sie jetzt auch nicht lesen. Vielleicht sollte sie einfach wenigstens die erklärenden Texte im Plan überfliegen. Sie hatte schon wieder ein ganz schlechtes Gewissen. Eigentlich ja blöd, im Grunde sollte man das doch gerne machen, wenn man Christ war, oder? Schon komisch. Warum las sie eigentlich mehr oder weniger regelmäßig in der Bibel, wenn es so langweilig war, dass sie immer keine Lust darauf hatte? Direkt verlangen tat es schließlich niemand von ihr, aber es gehörte eben zum Christsein dazu.

Unten klappte die Haustür. Mom kam zurück. Als Kat vorhin von der Schule nach Hause kam, hatte sie nur einen Zettel vorgefunden. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sie das Gekrakel als „Bin am Stall, Essen im Kühlschrank, blaue Dose“ entziffert hatte.

Na, jetzt lohnte es sich sowieso nicht mehr, sich noch mit dem Text zu beschäftigen. Mom würde bestimmt gleich hochkommen, um die neuesten Otto-Neuigkeiten loszuwerden. Die Pferde waren nun schon anderthalb Wochen auf der Koppel und Otto hatte sich längst in die Herde eingefügt. Trotzdem fand Mom immer wieder Interessantes zu beobachten, das sie dringend erzählen musste. Kat schob die Bibel beiseite und las die Comics, die auf jeder zweiten Seite den Bibelleseplan auflockerten, bis Mom an die Tür klopfte und hereinkam, ohne auf eine Reaktion ihrer Tochter zu warten. Es war hoffnungslos, sie darum zu bitten.

„Er passt!“

Kat klappte den Bibelleseplan zu und schob ihn zusammen mit der Bibel in ihr Nachtschränkchen. „Wer passt?“

„Der neue Sattel. Hab ich das nicht auf den Zettel geschrieben? Der baumlose Sattel ist vorhin angekommen und der scheint jetzt tatsächlich endlich richtig auf Ottos Rücken zu liegen und nirgends zu drücken! Was natürlich auch logisch ist, schließlich hat er keinen Baum und passt sich dadurch besser an. Ich hoffe bloß, dass Otto damit auch gut klarkommt.“

Kat schwang die Beine aus dem Bett. „Super! Dann kann ich nachher ja endlich mal mit Sattel reiten!“

Mom verzog die Stirn in bedauernde Dackelfalten. „Das wird leider nicht gehen, wir wollen das erst mal noch ein bisschen beobachten und es wäre für deine Reitstunde ja nicht so super, wenn Otto sich doch unwohl fühlt. Nächstes Mal, okay?“

„Na schön.“ Kat seufzte, aber Otto war nun mal Moms Pferd. Naja, einmal mehr ohne Sattel war vermutlich nicht verkehrt. Sie fühlte sich inzwischen schon deutlich sicherer, die dritte Reitstunde am Montag vor einer Woche war richtig gut gewesen, sie war sogar ein Stück getrabt, ohne herunterzurutschen. Bloß das mit den Zügeln war schwieriger als gedacht, aber fürs Erste hatte Anne ihr gesagt, sie solle einfach so tun, als wäre sie schon ein richtiger Westernreiter, und die Zügel eher etwas durchhängen lassen, bis sie ihr eigenes Gleichgewicht gefunden hatte.

Mom riss sie aus ihren Gedanken. „Ach so, Anne hat mir gesagt, dass du nachher deine erste Gruppenreitstunde haben wirst, zwei andere Mädchen mussten den Termin verschieben. Die beiden sind zwar schon etwas weiter als du, aber nicht gar so viel, und Anne meint, das passt. Die eine hat schon ein eigenes Pferd, einen reinrassigen Quarter. Den Namen habe ich jetzt vergessen.“

Kat grinste breit. „Von dem Mädchen oder von ihrem Pferd?“

„Beides“, erwiderte Mom ungerührt. „Wobei ich glaube, der Pferdename fing mit P an. Ist ein ganz hübscher Brauner.“

Kat musste lachen. „Oh Mann, Mom! Also, ein bisschen verrückt bist du ja echt. Aber ich hab dich trotzdem lieb.“ Sie hüpfte vom Bett und küsste ihre Mutter auf die Nasenspitze.

„Das beruhigt mich. – Sag mal, wenn du so vor mir stehst … Hast du mich größenmäßig etwa schon eingeholt?“

„Japp“, bestätigte Kat zufrieden. „Ich glaube, ich bin sogar schon größer als du.“

„Na, dafür haben dein Vater und ich schließlich auch geheiratet, damit unsere Kinder eine gute Zwischengröße kriegen. Macht nichts, Otto ist ja nicht so klein, dass er dich nicht mehr tragen könnte, wenn du noch weiter in die Höhe schießen solltest.“

„Du denkst echt immer nur an das eine.“ Erst nachdem die Worte heraus waren, fiel Kat auf, dass der Spruch normalerweise für etwas anderes benutzt wurde, und sie begann zu kichern.

„Nein, was bist du albern. Es ist übrigens schon kurz vor drei, du musst langsam los!“

Kat warf einen Blick auf ihre Uhr. Tatsächlich! Rasch begann sie, ihre Sachen zusammenzusuchen.

„Viel Spaß! Und nächste Woche geht es dann hoffentlich mit Sattel. Da komme ich auch wieder mit.“ Damit verließ Mom das Zimmer.

Kat zog sich rasch um, schnappte sich den Reithelm und holte ihr Fahrrad aus dem Keller. Während sie durch den Nieselregen strampelte, merkte sie, wie sich in ihr ein freudiges Kribbeln ausbreitete. Kam das daher, weil die Möglichkeit bestand, Rick am Stall zu begegnen? Nein, seltsam, an Rick hatte sie jetzt schon lange nicht mehr gedacht. Was also dann?

Es war nicht Rick, es war eher das Gefühl, auf dem Pferd zu sitzen. Und der ganze Rest.

Vor Verblüffung ließ Kat beinahe den Lenker los. Ja, tatsächlich, es war tatsächlich einfach die Reitstunde, auf die sie sich freute! Na so was … War also das Pferdevirus doch ansteckend?

„Quatsch!“, sagte Kat laut. Es machte einfach nur Spaß. Aber dann … Ein neuer Gedanke kam ihr auf einmal in den Kopf: Dann wollte sie es auch richtig lernen, das mit dem Reiten. Und nicht immer bloß auf Moms merkwürdigem, wenn auch irgendwie doch knuffigem Pony herumeiern. Entschlossen trat sie fester in die Pedale.

Anne war schon im Stall und sattelte Toast wegen des Wetters in der Stallgasse. Lässig winkte sie Kat über den Rücken des Wallachs zu. „Hi!“

„Auch hi“, sagte Kat. „Sag mal, satteln deine anderen Reitschüler eigentlich ihre Pferde nie selber?“

Anne lachte. „Doch, normalerweise schon. Aber Debbie hat heute lange Schule und schafft es gerade so zu diesem Termin, darum helfe ich ihr.“

Debbie? Jetzt wusste Kat wenigstens, mit wem sie es hier zu tun hatte: Debora Scherling war eine Klasse über ihr, trug raspelkurze Haare und ein Nasenpiercing und war einfach nur cool. Mit ihr zusammen in einer Reitstunde? Super! Aber dann auch wirklich mit Sattel und allem.

„Du, Anne? Könnte ich heute vielleicht ausnahmsweise mal auf Flora reiten? Ich zahle das Geld vom Taschengeld drauf. Aber schon wieder ohne Sattel und so – und dann in der Gruppenstunde, wo du auch auf die anderen gucken musst …“

Anne schaute sie mit leicht angehobenen Augenbrauen an. „Meinetwegen okay. Flora ist heute noch nicht gegangen. Aber wir würden das auch mit Otto hinkriegen.“

Kat zog es vor, das Gespräch nicht weiter auszuführen. „Wo ist ihr Halfter?“

Anne zeigte es ihr und half beim Satteln, dann gingen sie in die Halle hinüber. Ein Mädchen mit schulterlangen blonden Haaren und dramatischem Augen-Make-up versuchte gerade einigermaßen erfolglos, auf ein dunkelbraunes Pferd mit auffallend glänzendem Fell aufzusteigen, das nicht ruhig stehen bleiben wollte.

„Schick ihn ein paar Schritte zurück, wenn er zappelt, Lara! Ja, so. Noch einen. Und jetzt ruhig aufsteigen, nicht zögern, nicht unsicher werden, aber auch nicht hasten. – Siehst du, geht doch. Prima!“ Anne führte Toast in die Mitte der Halle, ließ die Zügel vor ihm auf den Boden fallen und kehrte zu Kat zurück, um Floras Sattelgurt noch einmal nachzuziehen. „Pinch ist noch ziemlich jung und unerfahren. Laras Eltern hätten ihr lieber ein älteres Pferd kaufen sollen, das ihr noch was beibringen kann, aber es muss ja immer ein junges, ‚unverbrauchtes‘ sein.“ Sie schüttelte den Kopf und trat auf Floras andere Seite. „So, ich halte dir mal gegen, damit der Sattel nicht rumrutscht und es für dich und für Flora etwas angenehmer ist. Du stellst jetzt einfach den linken Fuß in den Steigbügel, hältst dich mit der linken Hand am Sattelhorn und mit der rechten am Cantle fest – ja, genau, die Erhöhung da hinten, und dann stößt du dich ab und schwingst dich rauf. Und nicht in den Sattel plumpsen, sondern weich reingleiten lassen.“

Kat steckte den Fuß in den breiten, lederummantelten Steigbügel, was schon mal gar nicht so einfach war. Flora war zwar nicht riesig, aber doch größer als Otto, und der Steigbügel hing so wahnsinnig hoch! Das Aufsteigen geriet nicht allzu elegant, aber immerhin schaffte sie es, sich vorsichtig in den Sattel zu setzen.

„Prima“, sagte Anne und reichte ihr die Zügel.

In diesem Moment kam Debbie in die Halle gestürmt. „Hallo Anne! Puh, das war echt stressig. Also, jede Woche mach ich das nicht. Hi, Lara! Und du bist doch Kat, oder? Aus der Achten? Cool, dass du auch hier reitest!“ Damit war sie bei Toast angekommen und schwang sich zwar geschickter, aber auch nicht übermäßig elegant in den Sattel. Kat sah es mit einem Gefühl von Befriedigung.

Die Reitstunde machte sehr viel Spaß. Zu dritt zu reiten war eigentlich gar nicht so schlecht. Lara schien wirklich okay zu sein, Debbie war genauso flippig und witzig, wie man in der Schule immer mitbekam, und Anne schaffte es ohne Probleme, alle drei im Auge zu behalten und jedem etwas beizubringen. Kat durfte heute Leichttraben lernen – was nicht wirklich klappte, sie bekam den Rhythmus einfach nicht auf die Reihe. Aber Anne sagte, das ginge jedem zu Anfang so und Kat würde es auch noch lernen.

Flora jedenfalls war ein Schatz. Sie ging ungerührt ihre Runden und trabte unverdrossen weiter, solange Anne das wollte – egal, was Kat auf ihrem Rücken veranstaltete. Natürlich war es nicht Kat, die ihrem Pferd sagte, wo es langging, aber solange sie diese Aufsteherei übte, war ihr das ja nur recht. Floras Schritte fühlten sich auch ganz anders an als Ottos. Oder lag das am Sattel?

Als sie Flora hinterher zurück zum Stall führte, merkte sie schon bei jedem Schritt, wo sie in den nächsten Tagen einen ordentlichen Muskelkater bekommen würde. Aber Muskelkater waren Schmerzen, die man irgendwie gerne ertrug, weil sie einem anzeigten, dass man etwas geschafft hatte.

Beim Absatteln stand Anne zwar dabei und gab ihr Hinweise, aber letztlich durfte Kat es alleine machen. Der Sattel war so schwer, dass sie beim Herunterheben ein bisschen in die Knie ging, aber fallen ließ sie ihn nicht. Stolz schleppte sie ihn hinter Debbie mit Toasts Sattel her durch die Stallgasse zur Sattelkammer hinüber. Dabei kam sie an Ottos Box vorbei, die im Moment natürlich leer war, die Pferde standen inzwischen ja den größten Teil des Tages auf der Weide. Trotzdem bekam sie ein merkwürdiges Gefühl, als sie die Tür sah. Auf einmal kam sie sich irgendwie vor wie ein Verräter. Da ging sie – mit Floras Sattel anstatt mit Ottos, der doch in gewisser Weise zur Familie gehörte! Naja, mit seinem Sattel konnte sie ja nun mal noch nicht gehen, aber trotzdem.

Ein bisschen so musste sich Fremdgehen anfühlen. Gut, mit dem klitzekleinen Unterschied, dass es Otto vermutlich wurscht war, ob sie auf ihm oder auf Flora ihre Reitstunden nahm. An dem komischen Gefühl änderte das aber auch nichts.

Und was Helli wohl dazu sagen würde?