image

Karl-Heinz Meier-Braun

Die 101 wichtigsten Fragen

Einwanderung und Asyl

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

image

Zum Buch

Die Themen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik haben nach Meinungsumfragen für die Bundesbürger höchste Priorität. Doch Mythen und Legenden bestimmen oftmals die Diskussion, nicht nur im Umfeld von Pegida. Dem will dieses Buch abhelfen. Anschaulich und leicht verständlich führt es in die wichtigsten Daten, Fakten, Zusammenhänge und Entwicklungen ein – eine wichtige Orientierungshilfe für die Debatte im Einwanderungsland Deutschland.

Über den Autor

Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun, langjähriger Leiter der Fachredaktion SWR International beim Südwestrundfunk in Stuttgart und Integrationsbeauftragter des Senders, ist Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen und Mitglied im Rat für Migration (RfM).

Inhalt

Einleitung

    I. Statistik

    1 Kann man den Zahlen zu «Einwanderung und Asyl» trauen?

    2 Wie viele Ausländer leben in Deutschland?

    3 Was ist ein Migrationshintergrund?

    4 Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund leben in Deutschland?

    5 Wie viele Migranten und Flüchtlinge kommen nach Deutschland?

    6 Ist Deutschland das Hauptzielland von Flüchtlingen und Migranten – wie viele sind weltweit unterwegs?

   II. Geschichtliches

    7 Hatte Goethe türkische Vorfahren?

    8 Wie erging es den deutschen Auswanderern in Amerika?

    9 Wäre Deutsch beinahe zur Amtssprache in den USA geworden?

  10 Mit welchen Ländern hat Deutschland Anwerbeabkommen abgeschlossen?

  11 Von wem stammt eigentlich das berühmte Zitat «Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen»?

  12 Was wurde aus dem einmillionsten Gastarbeiter und seinem Moped?

  13 Wie haben sich Kultur, Kunst und Literatur in Deutschland durch die Einwanderung verändert?

  14 Auf welche Migrationsgeschichte blicken die Bürger der früheren DDR zurück?

  III. Grundlagen

  15 Was heißt Migration?

  16 Was ist Integration?

  17 Warum wandern Menschen aus und verlassen ihre Heimat?

  18 Wie wurde Deutschland zum Einwanderungsland?

  19 Ist Deutschland ein Auswanderungsland?

  20 Was wäre Deutschland ohne Ausländer?

  21 Wie schneidet Deutschland im internationalen Vergleich ab?

  22 Wie sieht die Migrationspolitik der anderen europäischen Länder aus?

  23 Was ist zirkuläre bzw. temporäre Migration?

  24 Welche Rolle spielen Integrationsgipfel und der Nationale Integrationsplan?

  25 Wie wichtig sind Migrantenorganisationen?

  26 Welche Aufgaben hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)?

  27 Was ist die Deutsche Islamkonferenz?

  28 Wie sieht die Integrationspolitik der Bundesländer aus?

  29 Was sind Integrationsbeauftragte?

  30 Wie beteiligen sich Migranten am politischen Geschehen in Deutschland?

  IV. Gruppen von Einwanderern

  31 Was sind Gastarbeiter?

  32 Was sind Flüchtlinge und Asylbewerber?

  33 Sind die Flüchtlinge, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland Schutz fanden, keine Migranten?

  34 Sind Italiener «Deutsche»?

  35 Sind Türken integrationsunwillig?

  36 Sind Griechen und Spanier die vergessenen Ausländer?

  37 Gibt es überhaupt noch Portugiesen in Deutschland?

  38 Was ist aus den Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien geworden?

  39 Welche Rolle spielt die polnische Minderheit in Deutschland?

  40 Wie steht es um die jüdische Gemeinde?

  41 Was sind «Zigeuner» bzw. Sinti und Roma?

  42 Was sind (Spät-)Aussiedler?

   V. Mittelmeerflüchtlinge

  43 Was ist FRONTEX?

  44 Warum versuchen so viele Menschen, über das Mittelmeer Europa zu erreichen?

  45 Auf welchen Routen kommen Flüchtlinge nach Europa?

  46 Woher kommen die Mittelmeerflüchtlinge?

  47 In welche Länder wollen die Mittelmeerflüchtlinge?

  48 Versagt Europa in der Flüchtlingspolitik?

  VI. Flüchtlinge: Recht und Aufenthalt

  49 Wie verläuft das Asylverfahren?

  50 Was sind sichere Drittstaaten?

  51 Was sind sichere Herkunftsstaaten?

  52 Wie läuft das Flughafenverfahren?

  53 Was ist der Königsteiner Schlüssel?

  54 Was ist subsidiärer Schutz?

  55 Was ist das Dublin-Verfahren?

  56 Was steht in der Genfer Flüchtlingskonvention?

  57 Welche Leistungen erhalten Asylbewerber?

  58 Was sind Kontingentflüchtlinge?

  59 Was sind «umF»?

  60 Was ist eine Duldung?

  61 Was ist «Kirchenasyl»?

  62 Was sind Härtefallkommissionen?

  63 Wie verläuft die Abschiebung bzw. Ausweisung?

  64 Was sind «illegale» oder «irreguläre» Migranten?

 VII. Arbeitsmigranten: Recht und Aufenthalt

  65 Was steht im Zuwanderungsgesetz?

  66 Was ist eine Aufenthaltserlaubnis?

  67 Was ist eine Niederlassungserlaubnis?

  68 Wer erhält Arbeit in Deutschland?

  69 Was ist die Green Card bzw. Blue Card?

  70 Wie erwirbt man die deutsche Staatsangehörigkeit?

  71 Was ist der Einbürgerungstest?

  72 Wie ist der Familiennachzug geregelt?

  73 Was beinhaltet das Anerkennungsgesetz?

  74 Was bringt das Integrationsgesetz?

VIII. Kontroversen und Konflikte in Politik und Gesellschaft

  75 War die Gastarbeiteranwerbung ein Fehler?

  76 Was denkt die Mehrheitsgesellschaft über Einwanderung und Asyl?

  77 Sind die meisten Einwanderer «Wirtschaftsflüchtlinge», findet eine Einwanderung in die Sozialsysteme statt?

  78 Sind Ausländer krimineller als Deutsche?

  79 Wie gefährlich sind Islamismus und Salafismus?

  80 Wird Deutschland islamisiert?

  81 Ist der Islam Teil Deutschlands?

  82 Was sind Parallelgesellschaften?

  83 Worum geht es beim «Kopftuchstreit»?

  84 Wie verbreitet sind Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in Deutschland?

  85 Ist die Integration gescheitert?

  86 Ist die multikulturelle Gesellschaft tot?

  87 Welche Rolle spielen die Medien in der Einwanderungsgesellschaft?

  88 Was bedeuten Diskriminierung und Antidiskriminierung?

  89 Welchen Einfluss haben PEGIDA und AfD?

  IX. Zukunftsperspektiven von Einwanderung und Asyl

  90 Werden in Zukunft mehr Flüchtlinge und Migranten zu uns kommen?

  91 Ist Deutschland verstärkt auf Einwanderung angewiesen?

  92 Brauchen wir ein Einwanderungsgesetz?

  93 Ist Kanada ein Vorbild für Deutschland?

  94 Was wird aus den Gastarbeiterrentnern?

  95 Was ist die Willkommens- und Anerkennungskultur?

  96 Was ist Diversity Management?

  97 Welche Rolle spielt die kommunale Integrationspolitik?

  98 Kann der Sport die Integration beflügeln?

  99 Vor welchen Herausforderungen stehen die Schulen?

100 Wann und wie gelingt Integration?

101 Wo kann man sich am besten über Einwanderung und Asyl informieren?

Einleitung

Bis zu 7 Millionen Flüchtlinge – nachziehende Familienangehörige eingerechnet – könnten es alles in allem werden, so wurde noch im Oktober 2015 in Zeitungsberichten vermutet. Das Schreckgespenst eines Landes, das die Kontrolle über seine Grenzen verloren hat, geisterte durch Deutschland. Längst wurde die Zahl der Flüchtlinge – man sprach lange Zeit von einer Million – nach unten korrigiert, im Laufe des Jahres 2016 suchten immer weniger Asylbewerber Zuflucht in Deutschland. So könnte eigentlich zur Jahreswende 2016/17 die Schlagzeile «Wir haben das wieder einmal geschafft!» lauten, nachdem die sogenannte Flüchtlingskrise mehr oder weniger bewältigt wurde. Trotz des Chaos an den Grenzen, überforderter Behörden und überfüllter Flüchtlingsunterkünfte – vor allem durch die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer ist Deutschland einigermaßen über die Runden gekommen. Vor ähnlichen Herausforderungen durch die Zuwanderung hatte das Land bereits verschiedene Male gestanden, beispielsweise als nach dem Zweiten Weltkrieg rund 12,5 Millionen deutsche Heimatvertriebene Zuflucht in der Bundesrepublik fanden. Oder als seit Mitte der 1950er Jahre Millionen von «Gastarbeitern» ins Land geholt wurden, die es zu integrieren galt. Von 1955 bis 1973 sind rund 14 Millionen Arbeitsmigranten eingewandert und etwa 11 Millionen wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. In der aufgeheizten Debatte der letzten Zeit geriet dies alles genauso in Vergessenheit wie die Tatsache, dass bereits Anfang der 1990er Jahre ein halbe Million Asylanträge gestellt wurden. Stuttgart nahm damals vorübergehend mehr Flüchtlinge aus Jugoslawien auf als ganz Großbritannien. Schon 1980 stiegen die Flüchtlingszahlen und es gab Zeitungsschlagzeilen wie «Explosiver Zustrom von Asylbewerbern», «Flut von Wirtschaftsasylanten» oder «Scheinasylanten stoppen». 5 Millionen Spätaussiedler wurden im Laufe der Jahre aufgenommen. Die Beispiele zeigen: Deutschland ist schon seit Langem ein Einwanderungsland, auch wenn das immer wieder in Frage gestellt wird. Die Bundesrepublik hat sich durch Einwanderung verändert, ist nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem weltoffenen Land geworden. Ob und wie es sich durch die «Flüchtlingskrise» verändern wird, bleibt abzuwarten. Wird es die Zugewanderten ein weiteres Mal integrieren können oder wird es sich abkapseln? Kippt die Stimmung, die immer noch ziemlich gut ist?

Wie viele Flüchtlinge endgültig hier bleiben werden, weiß niemand. Selbst die offiziellen Angaben zu ihrer Zahl wurden vom Bundesministerium des Innern immer mit einem Vorbehalt versehen. Sie stammen aus dem sogenannten EASY-System, einer Software-Anwendung zur Erstverteilung der Asylsuchenden auf die Bundesländer. «Bei den EASY-Zahlen sind Fehl- und Mehrfacherfassungen u.a. wegen der fehlenden Erfassung der persönlichen Daten nicht ausgeschlossen», schreibt das Ministerium immer wieder in seinen monatlichen Berichten. Am 30. September 2016 korrigierte der Bundesinnenminister höchstpersönlich die Zahl der Asylsuchenden aus dem Jahre 2015. Das sogenannte «EASY-Gap» – die Lücke zwischen der Zahl aus diesem System und der tatsächlichen Zahl der Asylbewerber – sei so gut wie geschlossen. Laut de Maizière lag sie für das Jahr 2015 bei rund 890.000. Davon seien 820.000 mittlerweise vollständig im sogenannten Kerndatensystem registriert. Rund 50.000 Schutzsuchende seien zunächst ebenfalls registriert worden, hätten aber in der Folge ihre Asylverfahren nicht mehr weiterbetrieben und dürften überwiegend weitergereist sein oder in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sein. Die Differenz zu der Zahl von über einer Million, die bisher gehandelt wurde und die Diskussionen bestimmte, ergibt sich nach Angaben des Bundesinnenministers aus den Mehrfachmeldungen und der Tatsache, dass die späteren Weiter- oder Rückreisen nicht in EASY berücksichtigt werden. Im Laufe des Jahres ging die Zahl der neuen Asylbewerber weiter zurück, was Anlass zur «Entwarnung» hätte sein können, auch wenn 2016 immer noch zwei Drittel aller Anträge in den EU-Staaten in Deutschland gestellt wurden. Erst im Januar 2017 sprach der Bundesinnenminister davon, dass es gelungen sei, «das Migrationsgeschehen zu ordnen, zu steuern», das BAMF (siehe Frage Nr. 26) sei jetzt «über den Berg». Die Zahl der tatsächlichen Einreisen von Asylsuchenden sei deutlich zurückgegangen: Nach vorläufiger Berechnung könne von 280.000 Asylsuchenden in 2016 ausgegangen werden, ein Drittel der Zahl vom Vorjahr. Im EASY-System wurden 2016 allerdings noch 321 371 Zugänge von Asylsuchenden registriert. Jetzt – so Minister De Maizière – werde zum letzten Mal die Statistik aus dem EASY-System dargestellt. Beginnend mit Daten ab dem Monat Januar 2017 stehe dem Bundesamt eine valide Asylgesuch-Statistik zur Verfügung, die künftig anstelle von EASY herangezogen werden könne. Kritik an der Asylbilanz äußerte unter anderem die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL: Der drastische Rückgang neuankommender Asylsuchender sei nicht das Ergebnis einer Verbesserung in den Herkunftsländern sondern einer rigorosen Abschottungspolitik. Selbst wenn alles in allem eine halbe Million Geflüchtete bleiben dürfen, ist das angesichts der jüngsten Einwanderungsgeschichte nicht sehr viel, auch wenn es anders zu sein scheint. Schließlich leben rund 17,1 Millionen Menschen in Deutschland, die einen Migrationshintergrund haben, d.h. selbst eingewandert oder direkte Nachkommen von Einwanderern, sind – eine Rekordmarke, die einem Bevölkerungsanteil von 21 Prozent entspricht. Würde man die deutschen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland Schutz fanden, hinzurechnen, so würde sich dieser Anteil mehr als verdoppeln, und das Land bestünde zur Hälfte aus Migranten. Deutschland kann sich also mehr zutrauen, auch wenn es bei der Integration der Flüchtlinge vor einer ähnlichen Herausforderung steht wie bei der Eingliederung beispielsweise der Heimatvertriebenen im Nachkriegsdeutschland. Die «Bewältigung der Flüchtlingskrise» wird auf jeden Fall lange Zeit eine der wichtigsten Aufgaben für Deutschland sein, selbst wenn die Flüchtlingszahlen zurückgehen.

Neu und einmalig war im Herbst 2015, dass die Behörden und staatlichen Stellen angesichts der sehr großen Zahl von Flüchtlingen innerhalb weniger Tage überfordert waren und dass überwiegend Muslime kamen. Hinzu kam der fatale Eindruck in der einheimischen Bevölkerung, die Grenzen seien offen, es herrsche Anarchie, die ganze Welt käme nach Deutschland und der Treck wolle kein Ende nehmen. In Wirklichkeit waren die Grenzen schon vorher offen, wurden sehr schnell Grenzkontrollen eingeführt und das Asylrecht immer weiter eingeschränkt. Versäumt wurde es auch, eine beunruhigte Bevölkerung über das «Weltflüchtlingsproblem» grundlegend zu informieren, über die Rekordzahl von 65 Millionen Flüchtlingen, von denen aber die meisten im eigenen Land oder in Nachbarländern Schutz suchen. So sind 6 Millionen Syrer im eigenen Land auf der Flucht, fast 5 Millionen sind vor allem in Nachbarländer geflohen. Der Libanon beherbergt seit Jahren 1,5 Millionen Flüchtlinge, ein Land halb so groß wie Mecklenburg-Vorpommern. Kriege, Bürgerkriege und andere Fluchtursachen in Afrika oder Lateinamerika geraten in Europa aus den Schlagzeilen. Ein aktuelles Beispiel ist Kolumbien, lange Zeit in Vergessenheit geraten, dann wieder in den Nachrichten, das Land, das über 220.000 Tote in einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg zu beklagen hat, mit über 6 Millionen Binnenflüchtlingen, die sich nicht auf den Weg nach Europa gemacht haben.

Neu ist in Deutschland aber auch eine bisher noch nicht dagewesene Welle der Hilfsbereitschaft. Schätzungsweise 10 Prozent der deutschen Bevölkerung haben sich an der Flüchtlingshilfe beteiligt, ein Drittel hat Sachspenden zur Verfügung gestellt. Für die Zukunft bleibt die Frage, wie das Land mit der aktuellen Bedrohung durch Gewalt und Terror umgeht, die Deutschland 2016 erschütterte – in einer Zeit, in der so etwas wie Ruhe und Normalität in die hitzige Flüchtlingsdebatte einzukehren schien. Vor allem weil zwei Flüchtlinge – offensichtlich mit islamistischem Hintergrund – für Anschläge in Würzburg und Ansbach verantwortlich waren, setzte eine erneute Debatte um innere Sicherheit und verschärfte Ausweisungsbestimmungen ein, die sich nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt zuspitzte und zu weiteren Verschärfungen in der Asylpolitik führte. Die CSU stellte eine direkte Verbindung zwischen den Anschlägen und der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel (CDU) her. Die Bundeskanzlerin selbst bekräftigte trotz allem ihr «Wir schaffen das!» und stellte einen Neun-Punkte-Plan für mehr Sicherheit vor. Nach dramatischen Stimmverlusten ihrer Partei bei Landtagswahlen sowie dem zunehmenden Erfolg der AfD (Alternative für Deutschland) räumte Merkel allerdings politische Fehler in der Flüchtlingspolitik ein und rückte von ihrem Satz «Wir schaffen das!», der schon fast zum geflügelten Wort in Deutschland geworden war, in gewissem Sinne ab. Sie habe den Satz «übertrieben oft» benutzt, obwohl er nicht die vor der Bundesrepublik liegende Aufgabe abbilde und «zu einem schlichten Motto, beinahe einer Leerformel geworden» sei. Obwohl sie, so Merkel, damit vor allem eine Haltung und ein Ziel habe ausdrücken wollen, fühlten sich offenbar viele Bürger davon «provoziert».

Befinden wir uns wirklich in einer «Flüchtlingskrise»? Ist es nicht vielmehr eine Krise der Migrations- und Flüchtlingspolitik, vor allem auch auf europäischer Ebene? Staaten wie Italien, Griechenland oder Spanien waren angesichts hoher Flüchtlingszahlen schon seit Langem überfordert. Deutschland und andere europäische Länder haben hier lange Zeit weggeschaut und das Drama im Mittelmeer ignoriert. So sagte die Bundeskanzlerin im September 2016 selbstkritisch, sie habe sich «lange Zeit gerne auf das Dublin-Verfahren verlassen, das uns Deutschen das Problem abgenommen hat.» Die Kanzlerin weiter: «Wenn ich könnte, würde ich die Zeit um viele, viele Jahre zurückspulen.»

Die letzten Jahre sind sicher für die Migrationspolitik sehr schwierig gewesen, aber solche Problemlagen sind nicht neu in Deutschland. Sie erinnern an 1991/92, als die Debatte um hohe Flüchtlingszahlen und die Änderung des Grundgesetzes tobte. Bundeskanzler Helmut Kohl sagte damals im Oktober 1992 auf dem CDU-Parteitag: «Die Grenze der Belastbarkeit ist überschritten. Die Situation hat sich dramatisch zugespitzt. Wenn jetzt nicht gehandelt wird, stehen wir vor der Gefahr einer tiefgehenden Vertrauenskrise gegenüber unserem demokratischen Staat, ja – ich sage es mit Bedacht –, eines Staatsnotstandes.» Nicht nur die Flüchtlinge, auch die Zuwanderung von «Gastarbeitern» oder Spätaussiedlern, oft Russlanddeutsche genannt, führten zu angeblichen Krisensituationen in Deutschland. So sagte beispielsweise 1996 der damalige SPD-Bundesvorsitzende Oskar Lafontaine: «Zudem muss die von der Union geförderte Aussiedlerzuwanderung gestoppt werden. In den vergangenen Jahren sind über eine Million Aussiedler als Erwerbspersonen zugewandert. Bei über vier Millionen Arbeitslosen ist das unverantwortlich.»

Es bleibt abzuwarten, wie die politische Auseinandersetzung um die Flüchtlingspolitik weitergeht und wie sie sich auf die Bundestagswahl 2017 auswirken wird, ob dadurch rechtspopulistische und rechtsradikale Strömungen weiteren Auftrieb erhalten oder ob es gelingt, das Thema zu versachlichen. Die Debatten um die doppelte Staatsangehörigkeit und das Burka-Verbot lassen nichts Gutes ahnen.

Dieses Buch möchte einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion leisten. Es versteht sich als Einführung in ein Thema, das jetzt und sicher auch in der Zukunft wie kaum ein anderes die Gemüter bewegt. Diese Einführung in das Migrationsgeschehen im Einwanderungsland Deutschland ist auf eine unerwartet große und positive Resonanz gestoßen, vor allem auch bei den Landeszentralen und der Bundeszentrale für politische Bildung. Bei einer Lesung in einer Kirchengemeinde sagte ein – wie er sich selbst bezeichnete – «einfaches Kirchengemeindemitglied», er sehe das so: Jede Generation habe ihre Aufgabe. Nach dem Krieg sei es um den Aufbau des Landes und die Heimatvertriebenen gegangen. Die Aufgabe der heutigen Generation sei die Integration der Flüchtlinge. Das bringt es vielleicht auf den Punkt.

Eine kleine redaktionelle Anmerkung: Die männlichen Formen (z.B. «Migranten») gelten selbstverständlich stets auch für Frauen (z.B. «Migrantinnen»). Mein besonderer Dank gilt Dr. Sebastian Ullrich vom Verlag C.H.Beck.

Das Buch widme ich meiner Frau Margot Meta Meier-Braun.

Stuttgart, im Januar 2017

Karl-Heinz Meier-Braun
 (www.meier-braun.de)

I. Statistik

1. Kann man den Zahlen zu «Einwanderung und Asyl» trauen?   «Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe.» Dieses Zitat wird immer wieder dem britischen Premierminister Winston Churchill zugeschrieben. In Wirklichkeit stammt es aus dem deutschen Reichspropagandaministerium und vermutlich von Joseph Goebbels selbst, der Churchill lächerlich machen wollte und ihm das Zitat «untergeschoben» hat. Wenn man also selbst Zitaten zur Statistik nicht trauen kann, wie sieht es dann mit den Statistiken selber aus? Weniger die Statistiken sind das Problem als die Art und Weise, wie sie dargestellt und für die eigene Argumentation benutzt bzw. interpretiert werden.

Lange Zeit mangelte es sogar an Daten und Zahlen. Während bereits 1980 eine heftige Diskussion über die Asylpolitik geführt wurde, musste eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einräumen: «Über die Zahl, die Herkunft, den Familienstand und Familiennachzug der Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland gibt es zur Zeit kaum gesichertes statistisches Material.» Der 6. Familienbericht der Bundesregierung zur Situation ausländischer Familien in Deutschland bezeichnete noch im Jahr 2000 die Reichweite statistischer Kenntnisse als begrenzt und stellte fest: «Wie viele Familien ausländischer Herkunft in Deutschland leben, wissen wir nicht.» Die Unabhängige Kommission «Zuwanderung», geleitet von der früheren Bundesfamilienministerin und Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), schrieb 2001 in ihrem Abschlussbericht: «Die Kommission ist im Verlauf ihrer Arbeit immer wieder an Grenzen der Durchschaubarkeit gestoßen.» Die Statistiken über das Wanderungsgeschehen seien unzulänglich und erlaubten keine «zweifelsfreie Beurteilung des gesamten Zuwanderungsgeschehens».

Der Migrationsbericht der Bundesregierung für das Jahr 2011 sorgte für Erstaunen, weil plötzlich die Menschen mit dem Herkunftsland Türkei von einem Jahr auf das andere enorm zugenommen hatten. Ihre Zahl stieg innerhalb von einem Jahr um rund 20 Prozent. Des Rätsels Lösung: Es handelte sich um 471.000 Kinder, die in Deutschland als «Deutsche», also mit deutscher Staatsangehörigkeit, auf die Welt gekommen waren. Bisher waren sie in der Statistik «unsichtbar» und wurden nur in der großen Gruppe von «Menschen mit Migrationshintergrund ohne Angabe zum Herkunftsland» mitgezählt. Das hatte sich nun geändert. Kinder, deren Eltern beide denselben Migrationshintergrund hatten, wurden zum ersten Mal Herkunftsländern zugeordnet, und so kam die Verschiebung bzw. Steigerung zustande.

Vor allem die Asylstatistik ist nicht unproblematisch. Dort werden Fälle – Anträge – gezählt und nicht Menschen. Die Zahlen beziehen sich also auf alle Anträge auf Asyl, einschließlich Folgeanträgen von Asylbewerbern, deren Antrag bereits abgelehnt wurde, oder die z.B. ihren Antrag zurückgezogen haben. Immerhin 22,5 Prozent aller Anträge hatten sich so, wie es im Amtsdeutsch heißt, «anderweitig erledigt», u.a. durch Rücknahme des Asylantrags. Von der offiziellen Asylstatistik müssen zunächst einmal die Folgeanträge – mindestens 15 Prozent – abgezogen werden. Man muss zudem bei dieser Statistik, die in der politischen und öffentlichen Diskussion eine wichtige Rolle spielt, fragen, auf wen sie sich bezieht. Auf alle Asylanträge einschließlich derjenigen, die bereits einen erfolglosen Antrag gestellt haben, oder auf die Zahl der Flüchtlinge, die schon einen Flüchtlingsstatus anerkannt bekommen haben, aber keine Asylbewerber mehr sind. Das Bundesinnenministerium bezieht sich auf die gesamte Zahl aller Asylanträge, die dann mit der Zahl an Asylbewerberzahlen gleichgesetzt werden. Wenn man wissen will, wie viele neue Asylbewerber einen Antrag gestellt haben, sollte man nur die Erstanträge zählen. Wichtig ist auch der Vergleichszeitraum. Anfang der 1990er Jahre in der heftig geführten Debatte um die Änderung des Grundgesetzes veröffentlichte beispielsweise das Bundesinnenministerium jeden Monat steigende Asylbewerberzahlen. Einmal wurden im Vergleich der Vormonat, dann das letzte Quartal oder Zeiträume aus dem letzten Jahr herangezogen. Auch wenn die Zahlen insgesamt hoch waren, stieg nach dieser Statistik die Zahl der Asylbewerber dauernd dramatisch an. Vergleicht man aber die Zahlen seit dem Zweiten Weltkrieg, so wird deutlich, dass es ein Auf und Ab gibt, in dem sich die Kriege, Bürgerkriege und Katastrophen auf der Welt spiegeln, was eigentlich ganz «natürlich» ist.

Die Migrationszahlen für Deutschland müssen insgesamt relativiert werden. Grundlage sind die Angaben der Meldebehörden. Auch Studenten oder Saisonarbeiter tauchen darin auf, was zu Verzerrungen führt. Grundlage für die Statistiker ist der Mikrozensus, eine Stichprobenerhebung, bei der jährlich rund ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland befragt wird. Um aus diesen Daten Aussagen über die gesamte Bevölkerung ziehen zu können, müssen die Daten entsprechend hochgerechnet werden. Immer wieder kommt es zu Korrekturen. Der Zensus hat beispielsweise gezeigt, dass am 9. Mai 2011 in Deutschland 80,5 Millionen Menschen lebten, darunter 6,2 Millionen Ausländer. Das sind insgesamt 1,5 Millionen Menschen weniger – darunter 1,1 Millionen Ausländer weniger –, als damals angenommen wurde. Auch die internationalen Migrations- und Flüchtlingszahlen sind teilweise vage. Eine zuverlässige Quelle ist der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen(UNHCR), der allerdings auch auf die Angaben von Ländern beispielsweise in Afrika angewiesen ist, deren Statistiken oft unzureichend sind. Vor allem die Zahl der Binnenflüchtlinge, die im eigenen Land Schutz suchen, bleibt eine Schwachstelle in der Statistik. Diese Flüchtlinge werden unterschiedlich erfasst, zumal sie keinen Schutz nach völkerrechtlich verbindlichen Bestimmungen genießen. Die Zahl der Vertriebenen im eigenen Land ist aber wichtig, weil sie den größten Teil der Flüchtlinge auf der Welt ausmachen. Die Daten zum «Weltflüchtlingsproblem» sollten also zunächst auf eine realistische Basis gestellt werden, weil sie Grundlagen für politische Entscheidungen sind und die Diskussion versachlichen können. Diese Forderung, die seit Jahren erhoben wird, blieb bislang unerfüllt. Um besseres Datenmaterial zu erhalten, wurde jetzt in Berlin das Global Migration Data Analysis Center (GMDAC) von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mit Unterstützung der Bundesregierung ins Leben gerufen. Nach Angaben von IOM liefert nur eins von vier Ländern weltweit belastbare Zahlen. Auf einer internationalen Konferenz der IOM im Dezember 2016 in Berlin, finanziell gefördert u.a. von der Europäischen Kommission, wurde ein Schritt in Richtung besseres Datenmaterial zur Migration und Integration unternommen.

Auch was die Zahlen der Arbeitsmigration und Einwanderer weltweit angeht, besteht Abstimmungsbedarf. Manche Länder sprechen von einem Daueraufenthalt und Einwanderung, wenn sich die Menschen ein Jahr im Land aufhalten, andere zählen schon ein halbes Jahr als dauerhaft, andere haben wiederum eine noch längere Zeitdauer als ein Jahr. Das alles führt zu Verzerrungen in der Migrationsstatistik.

2. Wie viele Ausländer leben in Deutschland?   Kaum zu glauben, aber wahr, selbst nach den offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes gibt es drei verschiedene Angaben über die ausländische Wohnbevölkerung zum 31. Dezember 2015: 9,11 Millionen nach dem Ausländerzentralregister, 8,65 Millionen nach der Bevölkerungsfortschreibung und 7,8 Millionen, die im Zusammenhang mit dem Migrationshintergrund genannt werden.

Immerhin schwanken die Zahlen um 1,3 Millionen, was erhebliche Folgen für die öffentliche Diskussion oder auch die Integrationspolitik hat. Dies liegt einmal an den unterschiedlichen Berechnungsarten, keineswegs an Fehlern der Statistiker, die wichtiges Zahlenmaterial liefern. Die Zahlen variieren schon seit Jahren, nicht erst seit der «Flüchtlingskrise», die weitere Unsicherheiten in die Statistik gebracht hat. Flüchtlinge werden dem Ausländerzentralregister gemeldet, wenn sie erfasst wurden und sind dann in der Statistik enthalten. Aufgrund der teilweise chaotischen Zustände und der Überforderung der Behörden wurden aber nicht alle Flüchtlinge zeitnah registriert.

Zum 31. Dezember 2015 war die ausländische Bevölkerung in Deutschland nach dem Ausländerzentralregister auf eine neue Rekordzahl von rund 9,1 Millionen angewachsen, was einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr um rund 12 Prozent entspricht. Mit 1,5 Millionen stellten die türkischen Staatsangehörigen nach wie vor die stärkste Gruppe, auch wenn ihre Zahl wie in den Vorjahren um 1,4 Prozent zurückging. Die Polen folgten in der Statistik mit etwa 741.000 und einer Steigerung von fast 10 Prozent. Dann kommen die Italiener mit rund 596.000 und einem Plus von fast 4 Prozent, gefolgt von den Rumänen mit 452.000 und einem Plus von 27 Prozent. Nach ihnen kamen schon die Syrer mit 366 556 Personen und einer Steigerung von 210 Prozent. Ihnen folgten die Griechen mit rund 340.000 und einem Plus von 3,5 Prozent, die Kroaten mit rund 298.000 und einer Steigerung von 13 Prozent und schließlich die Staatsangehörigen der Russischen Föderation mit etwa 230.000 und einem Plus von 4,3 Prozent.

3. Was ist ein Migrationshintergrund?   Die Unterscheidung zwischen deutscher und ausländischer Nationalität hat sich nicht nur in der Statistik immer mehr als unzureichend erwiesen, weil sich inzwischen viele Ausländer haben einbürgern lassen. Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse oder schulische Förderungen sind aber nach wie vor für diese Gruppe notwendig. Deshalb wird seit 2005 in der amtlichen Haushaltsbefragung (Mikrozensus mit 1 Prozent Stichprobe der Bevölkerung) nach dem Migrationshintergrund gefragt, so dass auch Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft erfasst werden, die eingebürgert wurden. Einen Migrationshintergrund haben daher sowohl die seit 1950 nach Deutschland Eingewanderten und deren Nachkommen als auch die ausländische Bevölkerung. Um einen Migrationshintergrund bescheinigt zu bekommen, muss man also entweder selber einen ausländischen Pass besitzen bzw. besessen haben oder Vater oder Mutter bzw. beide müssen eine ausländische Staatsangehörigkeit haben bzw. gehabt haben.

Der Begriff Migrationshintergrund wird zwar bisweilen belächelt und als zu «sperrig» bezeichnet, freilich ohne Alternativen anzubieten. Auch wird kritisiert, dass damit Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, immer noch als Migranten in der dritten oder vierten Generation abgestempelt würden. Trotzdem hat er sich in den letzten Jahren durchgesetzt, auch wenn häufig nicht vermittelt wird, was genau damit gemeint ist. Um die Kritik aufzunehmen, wird zunehmend zwischen Menschen «mit/ohne eigene Migrationserfahrung» unterschieden. So soll vermieden werden, dass sich der Migrationshintergrund «unendlich» vererbt. In Zukunft wird es sicher weitere Veränderungen geben, zumal das Mikrozensusgesetz von 2005, auf dem die Befragung zum Migrationshintergrund basiert, ausläuft und der Gesetzgeber eine neue Grundlage schaffen muss. Der entsprechende Gesetzentwurf enthält neue Merkmale wie das Geburtsland, die das Statistische Bundesamt in seine Tabellen und Analysen aufnehmen will. Das Statistische Bundesamt hat jedoch nicht vor, die Definition des Migrationshintergrunds zu verändern, wie es auf Anfrage im November 2016 mitteilte.

4. Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund leben in Deutschland?   Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund erreichte mit 17,1 Millionen im Jahr 2015 ein Rekordniveau. Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, entsprach das einem Anteil an der Bevölkerung von 21 Prozent. Der außergewöhnlich hohe Anstieg ist vor allem auf ausländische Zuwanderer zurückzuführen. Mit 9,3 Millionen hat der größte Teil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund einen deutschen Pass. 7,8 Millionen waren (nach dem Mikrozensus) Ausländerinnen und Ausländer. Die 9,3 Millionen Deutsche können in drei Gruppen untergliedert werden: Eingebürgerte (2,4 Millionen), (Spät-)Aussiedler (3,1 Millionen) und Deutsche durch Geburt (3,8 Millionen). Von den Menschen mit Migrationshintergrund sind 11,5 Millionen selbst zugewandert, haben also eigene Migrationserfahrung, rund 5,7 Millionen sind in Deutschland geboren. Der größte Teil der Personen mit Migrationshintergrund lebt in den alten Bundesländern und in Berlin. Der Bevölkerungsanteil der Personen mit Migrationshintergrund reichte von rund 4 Prozent in Thüringen bis fast 29 Prozent in Hamburg oder Bremen. Heute noch bilden Menschen aus den sogenannten «Gastarbeiterländern» eine sehr bedeutende Gruppe der Bevölkerung mit Migrationshintergrund: 6,3 Millionen haben ihre Wurzeln in diesen Anwerbestaaten, vor allem in der Türkei, in Italien und in Griechenland. Rund ein Drittel stammt also aus «Gastarbeiter-Anwerbeländern».

Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist durchschnittlich jünger als die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Den höchsten Anteil verzeichneten die Statistiker bei den Unter-5-Jährigen, wo mehr als jeder Dritte (36 Prozent) einen solchen Hintergrund hatte. In den Ballungsräumen liegt dieser Anteil noch viel höher, teilweise bei 60 Prozent. Die Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund unterscheidet sich, was den Bildungsstand angeht. Personen mit ausländischen Wurzeln haben deutlich häufiger keinen Schulabschluss oder nur einen Hauptschulabschluss. Außerdem haben sie dreimal häufiger keinen Berufsabschluss. Beide Gruppen erreichen aber akademische Abschlüsse in gleichem Umfang. Auch auf dem Arbeitsmarkt gibt es gravierende Unterschiede. So waren in der Altersgruppe der 25- bis Unter-65-Jährigen Personen mit Migrationshintergrund seltener erwerbstätig. Sie arbeiteten fast doppelt so häufig als Arbeiter und Arbeiterinnen, seltener als Angestellte oder Beamte und waren fast doppelt so häufig ausschließlich geringfügig beschäftigt. Menschen mit Migrationshintergrund sind fast doppelt so häufig erwerbslos wie jene ohne einen solchen Hintergrund. Auch das Armutsrisiko ist doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Migrationshintergrund. Die Arbeitslosenquote von Ausländern ist inzwischen fast dreimal so hoch wie von Deutschen. «2016 sind wir bei der Teilhabe und Integration in Deutschland grundsätzlich auf einem guten Weg», so die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Aydan Özoğuz bei der Vorstellung ihres Migrationsberichts im Dezember 2016. Kinder mit familiären Einwanderungsgeschichten würden deutlich häufiger von einem Kita-Besuch profitieren, Jugendliche mit Migrationshintergrund höhere Schulabschlüsse als vor fünf Jahren erreichen und die Erwerbstätigkeit sei – wenn auch gering – gestiegen.

Auch was die Zahlen über den Migrationshintergrund angeht, machen die Statistiker einen Vorbehalt: «Es ist davon auszugehen, dass der Mikrozensus 2015 die Zuwanderung des Jahres 2015 nur teilweise widerspiegelt. Dies ist insbesondere auf die Schutzsuchenden zurückzuführen, die vor allem in der zweiten Jahreshälfte 2015 nach Deutschland kamen und in Erstaufnahmeeinrichtungen lebten, in denen generell keine Mikrozensus-Befragungen durchgeführt werden.»

5. Wie viele Migranten und Flüchtlinge kommen nach Deutschland?   Hinter den USA war Deutschland noch vor der «Flüchtlingskrise» das zweitbeliebteste Zielland für Einwanderer – aber nur innerhalb der OECD (Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), also innerhalb der reichen Industrienationen. Mit 1,46 Millionen Zuwanderern sind bereits 2014 so viele nach Deutschland gekommen wie zuletzt 1992 – rund 238.000 mehr als 2013. Gleichzeitig wanderten rund 914.000 Menschen aus, das sind 116.000 mehr als 2013.

Mehr Menschen gehen seit 2002 in die Türkei zurück, als Einwanderer aus der Türkei zu uns kommen. Der Wanderungsgewinn in Deutschland – also Einwanderung minus Abwanderung – betrug 2014 insgesamt rund 550.000 Menschen. In den zurückliegenden Jahren hatte Deutschland einen wesentlich kleineren Wanderungsgewinn. Teilweise wurde sogar ein negativer Wanderungssaldo verzeichnet, das heißt, es wanderten mehr Menschen ab, als zu uns kamen.

Die Zahl von über 500.000 erscheint zunächst einmal hoch. Wenn man jedoch die weltweite Bevölkerungszunahme betrachtet, so ist das nicht viel. Länder wie Indien erreichen solche Zahlen innerhalb weniger Wochen oder Tage ohne Migration! Vor dem starken Anstieg der Zuwanderung durch Flüchtlinge in den Jahren 2015/16 kamen überraschend viele Menschen aus den Krisenländern am Mittelmeer wie Italien, Griechenland oder Spanien nach Deutschland, um hier zu arbeiten. Unklar ist, wie lange diese Zuwanderer langfristig bleiben werden, was entscheidend von der wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder abhängt.

Nach den Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes war im Jahr 2015 die Zuwanderung nach Deutschland so hoch wie nie zuvor. 2,14 Millionen Personen sind insgesamt nach Deutschland gezogen. Das waren 672.000 Zuzüge mehr als im Jahr 2014 und entspricht einer Steigerung von 46 Prozent. Alles in allem zogen aber auch 998.000 Personen aus Deutschland fort, 83.000 oder 9 Prozent mehr als im Vorjahr. Daraus ergibt sich ein Wanderungsüberschuss von rund einer Million Personen – ein neuer Höchststand seit Bestehen der Bundesrepublik. Von den rund 2,1 Millionen Zuwanderern hatten etwa 2 Millionen einen ausländischen Pass, das waren 50 Prozent mehr als im Jahr 2014. Dahingegen ist die Zahl der Zuzüge von Deutschen – Spätaussiedler sowie Rückkehrer aus dem Ausland – mit rund 121.000 Personen gegenüber dem Vorjahr fast konstant geblieben. Von den 998.000 Abgewanderten im Jahr 2015 waren 859.000 ausländische Staatsangehörige und 138.000 Deutsche. Daraus ergibt sich ein Wanderungsüberschuss ausländischer Personen von rund 1,2 Millionen Personen und ein Wanderungsverlust von Deutschen von rund 18.000 Personen. Im Rahmen des Familiennachzugs sind 2015 82 400 Personen nach Deutschland eingereist. Die Zahl der Drittstaatsangehörigen, die zur Erwerbstätigkeit kamen, ist um 4 Prozent auf 38 800 gestiegen, darunter waren 28.000 Fachkräfte. Im Wintersemester 2015/16 studierten 340.000 Ausländer an deutschen Hochschulen.

Die Einwanderung nach Deutschland ist vielschichtig und besteht nicht nur aus Flüchtlingen. Was nun die Schutzsuchenden angeht, so weisen die Statistiker wieder auf Unsicherheiten, auf eine mögliche Untererfassung hin. Aber: «Wegen Fehlbuchungen, insbesondere im Zusammenhang mit der Verteilung der Schutzsuchenden innerhalb Deutschlands können auch Doppelerfassungen vorgekommen sein.» Diese Vorbehalte und eine verlässliche Datenbasis sind umso wichtiger, als die Zahlen eine zentrale Rolle bei der Diskussion um Einwanderung und Asyl spielen.

6. Ist Deutschland das Hauptzielland von Flüchtlingen und Migranten – wie viele sind weltweit unterwegs?   Deutschland ist zwar ein Magnet für Migranten und Flüchtlinge, aber andere Länder, vor allem arme Entwicklungsländer, haben wesentlich höhere Zuwanderungszahlen, vor allem was die Flüchtlinge angeht. Die Mehrzahl der Flüchtlinge – rund 90 Prozent – bleibt im eigenen Land oder flieht in Nachbarländer, nicht in die reichen Industrieländer Europas, auch wenn die Industriestaaten bereits 2014 die höchste Zahl von Asylanträgen seit 22 Jahren verzeichneten. 2015 erreichte die