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Hans Förstl

ALZHEIMER UND DEMENZ

Grundlagen, Diagnose, Therapie

C.H.Beck


Zum Buch

Ist «Alzheimer» eigentlich eine Krankheit? Oder doch nur eine Alterserscheinung, von der jeder irgendwann betroffen wäre, würde er nur alt genug? Demenz, der Verlust vorher vorhandener geistiger Fähigkeiten mit der Folge, dass die Bewältigung des Alltags nicht mehr wie gewohnt gelingt, ist jedenfalls keineswegs gleichbedeutend mit einer irreversiblen Alzheimer-Erkrankung. Hans Förstl, der sich seit Jahrzehnten als Arzt und Forscher mit dem Thema beschäftigt, stellt in diesem Band medizinische Grundlagen, diagnostisches Vorgehen und therapeutische Möglichkeiten dar. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Demenzen befinden sich gerade in einem Umbruch. Dazu passen auch neue Versuche, die Probleme von der Wurzel her ursächlich zu behandeln und nicht allein Symptome zu kurieren. Auch wenn die Voraussetzungen nicht gleich und gerecht verteilt sind, kann jeder Einzelne die Chancen und Risiken für ein langes und gesundes Leben beeinflussen.

Über den Autor

Prof. Dr. Hans Förstl, Arzt für Neurologie und Psychiatrie/Geriatrie, Technische Universität München, ist Autor und Herausgeber zahlreicher Arbeiten und Bücher über Demenz, Frontalhirn, Neurobiologie und Theory of Mind.

Inhalt

Einleitung

1. Grundlagen

Geschichte

Alter

Alzheimer-Krankheit

Demenz

Depression

Delir

Daten

2. Untersuchung (Diagnostik)

Krankengeschichte (Anamnese)

Beginn.

Beschwerden.

Weniger häufige Frühsymptome.

Sehr seltene Beschwerden.

Beim Arzt

Gespräch.

Körperliche Untersuchung.

Gedächtnis.

Gedächtnistestung.

Beurteilung

Demenzstadium und Verlauf.

Mitteilung der Diagnose.

Autofahren.

3. Erkrankungen (Diagnosen)

Subjektive kognitive Beeinträchtigung

Leichte kognitive Beeinträchtigung

Alzheimer-Krankheit und Alzheimer-Demenz

LATE

Vaskuläre Demenzen

Diagnose.

Vorgeschichte.

Untersuchung.

Behandlung.

Besonderheiten.

Frontotemporale Erkrankungen (z.B. Pick-Krankheit)

Frontotemporale Demenz.

Primär progressive Aphasie

Demenz bei Parkinson-Krankheit

Demenz mit Lewy-Körperchen

Weitere Besonderheiten.

Atypische Parkinson-Erkrankungen

Chorea Huntington

Amnesie, Wernicke-Korsakow-Syndrom, Alkoholdemenz

Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD), Prionosen

Herpes-Enzephalitis

Autoimmunenzephalitis

Multiple Sklerose (MS)

Neurosyphilis

HIV und AIDS-Demenz-Komplex

COVID-19

Hirnverletzungen, Boxerdemenz

Subduralhämatom (SDH)

Normaldruckhydrozephalus (NDH)

Krebs und Demenz

Demenzen im Kindes- und Jugendalter

Gemischte Demenz

4. Vorbeugung (Prävention)

Voraussetzungen

Gene.

Geschlecht.

Alter.

Geistige Reserve

Intelligenz.

«Bildung».

Resilienz.

Fallbericht aus den Jahren 1796 bis 1804.

Risikoerkrankungen

Psychisch.

Zerebral.

Somatisch.

Risikoverhalten

Ernährung.

Genuss- und Nahrungsergänzungsmittel.

Bewegung.

Risikoabschätzung.

Umwelt und Soziales.

Schlaf.

Schlafstörungen.

5. Behandlung (Therapie)

Pflegende Angehörige

Alltagsbewältigung und -training

Ursachenbehandlung

Sekundärprophylaxe:

Alzheimer-Krankheit.

Symptombehandlung I: Antidementiva

Cholinesterase-Hemmer.

Memantin.

Symptombehandlung II: Störungen des Erlebens und Verhaltens

Schlussbemerkungen

Rechtliche Aspekte.

Sterben und Tod.

Demenz, kein Alleinstellungsmerkmal.

Ausblick.

Glossar medizinischer Begriffe und Abkürzungen

Weiterführende Literatur

Adressen

Register

Einleitung

Was ist eigentlich Alzheimer und was ist die Demenz? Ist das nicht das Gleiche? Das sind vermutlich die häufigsten Fragen, die Alzheimer- und Demenzexperten gestellt werden, und zwar auch nach ausführlichen Vorträgen, in denen genau erklärt werden sollte, was Alzheimer und was Demenz eigentlich bedeuten. Dieser Band versucht, einige Grundlagen wichtiger Krankheitsbilder verständlich zu erläutern. Dies ist kein wissenschaftliches Werk für Spezialisten, und auf akademische Wortwahl wird weitgehend verzichtet. Ebenso kommt sehr wenig Molekulares und Medikamentöses vor. Dafür ist das Buch angesichts unübersichtlicher Verhältnisse in der Welt der Demenzen recht ordentlich aufgebaut und enthält am Ende sogar ein Verzeichnis wichtiger Begriffe und wiederkehrender Abkürzungen. Da nicht grundsätzlich davon auszugehen ist, dass Bücher geduldig von der ersten bis zur letzten Seite studiert werden, wurden sogar Wiederholungen in Kauf genommen, damit einzelne Abschnitte für sich verständlich bleiben.

Komplizierte Zusammenhänge lassen sich oft durch eine besonders modellhafte Darstellung am leichtesten verständlich machen. Damit ist auch gleich zu begreifen, dass die Probleme in Wirklichkeit weit variabler und individueller sind als ihre schematische Vereinfachung. Besonders kompliziert und anspruchsvoll ist das Gehirn.[1] Mit einem Gewicht von knapp drei Pfund verzehrt es Tag und Nacht einen erheblichen Teil der gesamten Körperenergie, nämlich im Alter bis zu ein Drittel. Bringt der Organismus diese Leistung nicht mehr auf oder entwickelt das Gehirn selbst besondere Veränderungen, also z.B. «Alzheimer», so kann die gewohnte Leistung nicht mehr erbracht werden, und das führt schließlich zur Demenz.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Demenzen und ihre Grundlagen befinden sich gerade in einem Umbruch. So gelingen tiefere Einblicke in die genetischen und molekularen Veränderungen, die eine neue Betrachtung und neue Gliederung der Erkrankungen nahelegen. Dazu passen auch neue Versuche, die Probleme von der Wurzel her ursächlich zu behandeln und nicht allein Symptome zu beeinflussen. Zudem gelingt es den Menschen in der westlichen Welt immer besser, immer länger gesund zu bleiben. Daher wächst die Lebenserwartung, und so gewinnt der Hauptrisikofaktor für das Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit weiter an Bedeutung, nämlich das Alter. Auch wenn die Voraussetzungen nicht gleich und gerecht verteilt sind, kann jeder Einzelne die Chancen und Risiken für ein langes und gesundes Leben beeinflussen. Und diese Verantwortung kann nicht an Staat, Medizin und Pharmaindustrie abgegeben werden.

Hans Förstl

München, im Sommer 2021

Fußnoten

If the brain was so simple that it could understand itself – it wouldn’t.

1. Grundlagen

Geschichte

Als Alois Alzheimer anno 1901 in Frankfurt am Main einer Patientin namens Auguste Deter begegnete, konnte er nicht ahnen, welche Bedeutung ihre Erkrankung und sein eigener Name erlangen würden. Alzheimer hat die Demenz nicht erfunden und er verfolgte auch keineswegs die Absicht, der heute bekanntesten Demenzform seinen Namensstempel aufzudrücken. Als sorgfältiger, vorsichtiger und eigentlich bescheidener Arzt und Wissenschaftler war ihm eher daran gelegen, einem handverlesenen Kreis von Fachleuten im Jahr 1906 den besonderen Fall dieser Frau bekannt zu machen, die mit knapp 50 Jahren sehr rasch ihre Geisteskraft verlor, nach wenigen Jahren verstarb und deren Gehirn in ausgeprägter Form alle typischen Veränderungen aufwies, die man sonst nur bei Patienten mit dem damals so genannten Greisenblödsinn fand. Jahre vorher hatte Alzheimer schon geschrieben, wenn diese Hirnveränderung und der Greisenblödsinn überhaupt eine Erkrankung wären, dann würde es sich um die häufigste Hirnerkrankung überhaupt handeln – aber es sei ja keine Erkrankung, da alle Menschen diese Gebrechen und die Hirnveränderungen entwickelten, sie müssten nur alt genug werden.

Bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts war die spezielle Alzheimer-Demenz eine vergleichsweise seltene Erkrankung, die vor dem 65. Lebensjahr beginnen musste, sonst sprach man von seniler Demenz. Erst dann entschloss man sich, die willkürliche Altersgrenze von 65 Jahren zurückzustellen und die Gemeinsamkeiten von präseniler und seniler Demenz in den Vordergrund zu rücken: (1.) die langsame Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit, bei der zunächst die Vergesslichkeit das hauptsächliche Problem darstellt, und (2.) die typischen Eiweißablagerungen und Nervenzellverluste. Damit wurde endlich anerkannt, dass die nahezu regelhaft, wenngleich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit auftretenden Veränderungen an Gehirn und Geist zwar normal, aber keineswegs gesund sind.

Abb. 1 Alois Alzheimer etwa 1910 mit internationalen Kollegen in seinem Labor (stehend von links): Fritz Lotmar, Karl Gruber, Stefan Rosental (Polen), Rudolf Allers (A), Max Isserlin (?), Alois Alzheimer, Nicolas Achucarro (Sp), Friedrich Heinrich Lewy; (sitzend von links) Adele Grombach, Ugo Cerletti (I), Emma Wilson Mooers (USA), Francesco Bonfiglio (I) und Gaetano Perusini (I) (Foto: akg-images)

Bereits der älteste erhaltene medizinische Papyrus von Ptahhotep beschäftigte sich mit den Gebrechen des Alters und enthält eine typische Beschreibung der Gedächtnisprobleme bei der Alzheimer-Demenz: Das Herz erinnert sich nicht mehr an gestern. Das Hauptproblem war schon vor 3500 Jahren erstmals beschrieben worden, aber ein wesentlicher wissenschaftlicher Fortschritt bestand darin, dass man im Lauf der Zeit zu der Erkenntnis gelangte, die Ursache sei eher im Gehirn als im Herzen zu suchen. Diese Einsicht mag aus heutiger Warte recht schlicht erscheinen, verfestigte sich aber erst durch den Vergleich von Symptomen und von unübersehbaren Hirnveränderungen etwa von Patienten nach Hirnverletzungen und Schlaganfällen, die ihren Erkrankungen erlagen. Erst an der Wende zum 20. Jahrhundert wurden Färbeverfahren, Hirnschnitt- und Mikroskopiertechniken entwickelt, die detaillierte Darstellungen erlaubten. Einer der Ersten, die davon Gebrauch machten, war Alois Alzheimer.

Die wichtigsten Punkte zuerst: Alter, Alzheimer, Demenz, Depression, Delir und ein paar Zahlen.

Alter

Was ist Alter? Altern und Reifung sind Merkmale jedes Lebens und beginnen nicht erst mit der Geburt. Aber zur Frage, wann ein Mensch alt ist, gibt es recht unterschiedliche Einschätzungen. Natürlich spielt die individuelle Lebenslänge im Vergleich zu anderen Artgenossen eine Rolle. Auch charakterisieren Gebrechlichkeit, die zunehmende Belastung durch Krankheiten, das Alter. Aber eine einfache Erklärung oder ein scharfer Beginn des Alters lassen sich nicht definieren. Die Auffassungen weichen in Theorie und Praxis voneinander ab, je nachdem, ob man sich bei Fachleuten für Kranken- und Rentenversicherung oder für Altersmedizin (Geriatrie) erkundigt. Der Geriater fühlt sich für Patienten zuständig, die mindestens 65 Jahre alt sind und unter zahlreichen Erkrankungen leiden (Multimorbidität). Auch wenn es viele gibt, die trotz zahlreicher körperlicher Gebrechen geistig frisch sind, wird dieser Zusammenhang zwischen Leib und Geist auf den folgenden Seiten immer wieder auftauchen.

Menschen scheinen unterschiedlich schnell zu altern – diese Individualität wird heute immer wieder betont. Für den modernen Alten müssen traditionelle Sichtweisen geradezu einen Affront darstellen. Der altersbedingte Verlust geistiger Leistungsfähigkeit war nicht nur für Ptahhotep, den Verfasser des ägyptischen Papyrus, eine Gewissheit, sondern auch für die Bibel und den Koran. In beiden Büchern wird der Verlust des Gedächtnisses im Alter als so selbstverständlich aufgefasst, dass er nur beiläufig erwähnt wird.[1] Das Dasein der Menschen in früheren Epochen und in anderen Ländern war und ist jederzeit vom Tod bedroht und gleichzeitig von der Hoffnung auf ein besseres Leben im Jenseits geleitet. Daher war der kindische Greis (senex puer), der am Ende der Lebenstreppe kauert und von einem Esel symbolisiert wird, auch keine Beleidigung, sondern eine natürliche Rückkehr auf ein Ausgangsniveau, von dem er sich nur kurz zur Lebensmitte erhoben hatte (Abb. 2).Diese nüchterne Selbstverständlichkeit stellt alle gefühligen künstlerischen und literarischen Darstellungen der Moderne in den Schatten.

Abb. 2 Traditionelle Lebenstreppe – der Tod droht jederzeit, aber im Jenseits wartet das Paradies. Damit scheint die zunehmende Last des Greisentums und der Gebrechen ab der Lebensmitte leichter zu ertragen und der Esel als Symboltier der zehnten Dekade weniger verletzend zu sein. Das Leben endet nicht mit dem Tod (Jörg Breu der Jüngere; 1540, Augsburg; Wikimedia Commons).

Lässt sich das Alter schon nicht richtig abgrenzen, dann ist es ganz unmöglich, ein vernünftiges Konzept des «normalen Alterns» zu entwerfen. Dieser Begriff geistert seit langem durch Wissenschaft und Medien. Oft wird dann mitgeteilt, dass der «normale» alte Mensch geistig zwar etwas weniger flexibel und schnell sei (fluide Intelligenz), dafür aber weiterhin viel oder sogar noch mehr wisse als früher (kristalline Intelligenz). Das sind ehrenwerte Rettungsversuche für eine insgesamt doch verminderte Leistungsfähigkeit (Leistung = Arbeit pro Zeiteinheit; P = W/t). Natürlich kann man rein empirisch und nach wissenschaftlicher Gewohnheit als «noch normales Altern» jenen Leistungsbereich fassen, der nicht zu weit vom Durchschnittswert entfernt ist – als z.B. eine sogenannte Standardabweichung. Ferner ist in der Literatur auch immer wieder vom «erfolgreichen Altern» die Rede. Das ist leichter zu fassen, denn dabei handelt es sich einfach um die Leute, die ihre günstigen Anlagen erfolgreich genutzt haben und sehr lange körperlich und geistig fit bleiben.

Alzheimer-Krankheit

Alois Alzheimer fand seine vergleichsweise junge Patientin mit einer Demenz deshalb so besonders interessant, weil sie die typischen Hirnveränderungen aufwies, die sonst nur im höheren Lebensalter zu finden sind: Eiweißklumpen (Plaques, heute «Alzheimer-Plaques») zwischen den Nervenzellen und fädige Strukturen (Neurofibrillen) in den Nervenzellen. Zusätzlich beschrieb er auch erhebliche Veränderungen der Hirngefäße bei ihr, die aber in künftigen Beschreibungen meist unter den Tisch fielen. Als «Alzheimersche Erkrankung» wurden dementsprechend in den folgenden Jahrzehnten nur die Demenzerkrankungen vergleichsweise junger Patienten bezeichnet, die vor dem 65. Lebensjahr die typischen Beschwerden entwickelten und deren Gehirne diese Alzheimer-Plaques und Neurofibrillen aufwiesen. Vor etwa 50 Jahren entfiel die Altersbegrenzung und die Bezeichnung «Alzheimer-Demenz» (Demenz vom Alzheimer-Typ) wurde nun für alle Demenzformen mit den charakteristischen Symptomen und Hirnveränderungen verwendet.

Die etwas vorsichtige Bezeichnung «Demenz vom Alzheimer-Typ» wurde früher gewählt, um auszudrücken, dass es sich (1.) wegen der typischen Symptome mit frühen Gedächtnisstörungen, zu denen im weiteren Verlauf erst weitere Beschwerden hinzutreten, und (2.) wegen fehlender Hinweise auf eine andere Hirnerkrankung (z.B. Schlaganfall oder Entzündungen) aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Erkrankung handelt, der vorwiegend die häufigen Alzheimer-Veränderungen zugrunde liegen. Nur selten – und in Deutschland besonders selten – wurden die Gehirne nach dem Tod tatsächlich untersucht. Also basierte die Verdachtsdiagnose einer «Demenz vom Alzheimer-Typ» bei den allermeisten Patienten auf einer wahrscheinlichen, aber unbewiesenen Annahme, im besten Fall auf einer sorgfältigen Ausschlussdiagnose. Dies hat sich erst in den letzten Jahren geändert.

Die Beschwerden entwickeln sich meist schleichend, bleiben sogar oft lange unbemerkt und beeinträchtigen dann zunächst das Gedächtnis, da der Gedächtnisapparat tief im Schläfenlappen des Gehirns besonders früh von den Alzheimer-Veränderungen betroffen ist. Die ersten Symptome zeigen sich erst, wenn die Fähigkeit des Gehirns erschöpft ist, bestimmte Leistungsschwierigkeiten auszugleichen. Das bedeutet, dass während dieser Phase im Gedächtnisapparat schon erheblicher, nicht mehr zu kompensierender Schaden angerichtet ist, während sich die Alzheimer-Veränderungen gleichzeitig auf andere Teile des Gehirns ausbreiten. Die vermehrte Ablagerung dieser Eiweiße namens Amyloid und Tau im Gehirn lässt sich heute mit Spezialuntersuchungen sichtbar machen. Dafür können radioaktiv markierte Stoffe eingesetzt werden, die sich kurze Zeit an die typischen Eiweiße im Gehirn binden (z.B. Amyloid-PET). Einfacher, aber etwas unangenehmer ist die Untersuchung des Nervenwassers (Liquor cerebrospinalis), von dem einige Tropfen aus dem unteren Rückenmarkskanal entnommen werden. Da Amyloid im Gehirn haftet, ist die Konzentration im Nervenwasser erniedrigt. Wenn bereits Nervenzellen zerstört wurden (Neurodegeneration), werden ihre Inhaltsstoffe freigesetzt, unter anderem das Eiweiß Tau. Das ist der Grundbaustein der Neurofibrillen. Sind also Amyloid im Nervenwasser erniedrigt und Tau erhöht, so kann man die Diagnose einer «Alzheimer-Krankheit» bereits stellen, ehe sich spürbare Beschwerden entwickelt haben.

Abb. 3 Die Alzheimer-Krankheit beginnt lange, ehe sich ein Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit bemerkbar macht. In Untersuchungen über längere Zeiträume lässt sich erst eine Ablagerung von Amyloid im Gehirn erkennen. In der Folge nimmt die Amyloid-Konzentration im Nervenwasser ab. Sobald Nervenzellen in größerer Zahl zerstört werden, wird das Eiweiß Tau daraus freigesetzt und steigt im Liquor an. Danach lassen sich weitere Veränderungen von Hirnfunktion (PET) und Hirnstruktur (MRT) in der Bildgebung nachweisen. Schließlich zeigen sich erste Symptome, z.B. Vergesslichkeit im Stadium der leichten kognitiven Störung (MCI) und danach Probleme in der Alltagsbewältigung (ADL).

Diese Frühestdiagnostik wäre für die Betroffenen besonders sinnvoll, wenn bereits heute Medikamente zur Verfügung stünden, die den Prozess der Eiweißablagerung früh zum Stillstand oder zur Rückbildung bringen können. Daran wird geforscht, und damit ist die Frühdiagnose der Krankheit von eminenter wissenschaftlicher Bedeutung. Noch befinden wir uns aber in einer Zeit, da die Alzheimer-Krankheit bei beschwerdefreien Menschen Monate und Jahre ehe sich eine Alzheimer-Demenz entwickelt, diagnostiziert werden kann, ohne dass die Chance besteht, den Prozess aufzuhalten. Der praktische Nutzen dieser Frühestdiagnose ist damit noch höchst zweifelhaft, und die etwaige psychische Belastung für die Untersuchten muss vor einer entsprechenden Untersuchung in Betracht gezogen werden. Diese Abwägung ändert sich, sobald ein Patient unter Beschwerden leidet und selbst auf eine Klärung der Ursachen drängt.

Die Alzheimer-Krankheit ist also eine sehr häufige, aber ganz bestimmte Art von Hirnveränderungen mit der Ablagerung sogenannter Amyloid-Plaques und Neurofibrillen, die unter anderem aus dem Eiweiß Tau bestehen.

Demenz

Demenz (lateinisch de = von, herab; mens = Geist) ist ein Verlust geistiger Fähigkeiten von solchem Ausmaß, dass der Alltag nicht mehr wie gewohnt bewältigt werden kann.

Eine Demenz kann durch sehr unterschiedliche Erkrankungen verursacht werden. Am häufigsten ist die Alzheimer-Krankheit, gefolgt von Durchblutungsstörungen und anderen Erkrankungen, welche die Funktion des Zentralnervensystems deutlich beeinträchtigen und zu einer Zerstörung der Nervenzellen führen. Diese neurodegenerativen Erkrankungen entwickeln sich im Allgemeinen langsam und führen über Jahre zu einer Demenz. In Diagnosekriterien wird meist ein Mindestzeitraum von sechs Monaten genannt, um die Diagnose Demenz stellen zu können. Ausgedehnte Schlaganfälle oder eine schwere Hirnverletzung (Schädel-Hirn-Trauma) können auch von heute auf morgen zum Bild einer Demenz führen, bei dem man nicht weiß, wie weit sich die Defizite wieder zurückbilden werden. Es muss auf jeden Fall ein Verlust bislang vorhandener Fähigkeiten eintreten, sonst würde es sich um eine Minderbegabung handeln.

Es gibt aber auch kindliche Demenzen, bei denen die Entwicklung zunächst normal verläuft, dann aber ein Verlust von Fähigkeiten eintritt. Ursache sind z.B. Stoffwechselerkrankungen. Wäre allein das Gedächtnis betroffen, könnte man noch nicht von einer Demenz sprechen, sondern von einem Gedächtnisverlust (Amnesie). Es müssen also weitere Schwierigkeiten dazukommen, um die Merkmale einer Demenz zu erfüllen. Oft handelt es sich dabei um Wortfindungsstörungen, Probleme mit der zeitlichen und räumlichen Orientierung, im Erkennen von Gesichtern und Objekten, Denken, Planen und Entscheiden, den sogenannten höheren geistigen Leistungen. Bestimmte grundlegende Fähigkeiten können erstaunlich lange erhalten bleiben. Bei manchen Formen der Erkrankung sind nicht Gedächtnis und Sprache früh betroffen, sondern andere Fähigkeiten, etwa die räumliche Orientierung und das Erkennen von Gesichtern, oder Persönlichkeit und Verhalten ändern sich. Schreiten die Hirnveränderungen fort und breiten sich aus, so verwischen sich auch die Symptome. Die einzelnen Erkrankungen verlieren ihre spezifische Charakteristik.

Kommt jemand trotz verminderter Leistungsfähigkeit ohne fremde Hilfe zurecht, so spricht man von leichter kognitiver Beeinträchtigung. Danach kann zunächst die Fähigkeit verloren gehen, anspruchsvolle Aufgaben, die früher bewältigt werden konnten, weiterhin zu erledigen (z.B. Bankgeschäfte, Orientierung in fremder Umgebung, Erinnerung an komplizierte Absprachen vom Vortag). Dazu wird fremde Hilfe benötigt. An diesem Punkt wird deutlich, dass die Festlegung «(noch) nicht dement» oder «bereits dement» individuell sehr unterschiedlich ist. Der Alltag und damit die Demenzschwelle eines genialen Mathematikers oder Konzertpianisten sieht anders aus als die eines Handwerkers. Dabei stellt die Vielseitigkeit einer praktischen Tätigkeit mit kluger Planung und tagtäglichen sozialen Kontakten zusammen mit manueller Geschicklichkeit sogar ein umfangreicheres Training des menschlichen Gehirns dar als einseitige akademische und künstlerische Übungen. Die zuverlässige Beurteilung, ob ein deutlicher Leistungsverlust eingetreten ist, der eine Demenzdiagnose rechtfertigt, muss in diesen Grenzsituationen sehr individuell betrachtet werden. Die meisten Patienten gelangen erst zur Untersuchung, wenn nur noch wenig Zweifel bestehen, dass eine Demenz vorliegt. In den letzten Jahren kommen aber immer mehr gut informierte und besorgte Menschen mit exquisit hohen Ansprüchen an sich selbst, die dann in einer besonders genauen Untersuchung tatsächlich verkrampfen und geringe Defizite als Zeichen bevorstehenden Unheils auffassen.

Erkrankung und Symptome schreiten bei den meisten Patienten mit einer Demenzdiagnose fort. Es gibt jedoch auch Demenzformen, die sich von selbst oder durch eine zielgerichtete Behandlung zurückbilden, die also reversibel sind. Dazu zählen z.B. Entzündungen des Gehirns oder der sogenannte Normaldruckhydrozephalus, ein Aufstau von Nervenwasser in den Hirnkammern, der sich oft gut behandeln lässt, sowie eine Depression, die im Alter einer Demenz sehr ähnlich sehen kann (Tab. 1).

Eine wichtige Unterscheidung von der richtigen Demenz mit einer ernsthaften Hirnveränderung ist die «Pseudo-Demenz», also die scheinbare Demenz. Es gibt tatsächlich einige wenige Patienten, die vorsätzlich eine Demenz vorzutäuschen versuchen. Andere sind so sehr getrieben von der Angst, an Alzheimer zu erkranken – wie ihre eigenen Angehörigen oder wie Prominente, deren Schicksal in den Medien ausgestellt wird –, dass nicht nur die übergenaue Selbstbeobachtung, sondern auch die Testleistung den Verdacht scheinbar bestätigen.